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Tödliche Erinnerung: Rebecca Friedrichsen ermittelt wieder auf eigene Faust
Tödliche Erinnerung: Rebecca Friedrichsen ermittelt wieder auf eigene Faust
Tödliche Erinnerung: Rebecca Friedrichsen ermittelt wieder auf eigene Faust
eBook309 Seiten4 Stunden

Tödliche Erinnerung: Rebecca Friedrichsen ermittelt wieder auf eigene Faust

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Über dieses E-Book

Auf der Suche nach sich selbst und einem Mörder.

Drei ehemalige Schulfreundinnen feiern bis in die späte Nacht ihr Wiedersehen. Am nächsten Morgen wird eine von ihnen, das Ex-Model Katja Nenninger, ermordet aufgefunden.
Mirja Benner erinnert sich nur schemenhaft an den Abend. Welches schreckliche Geheimnis hatte die Tote ihr anvertraut? Worüber haben sie sich gestritten? Mirja entdeckt in ihrem Koffer das Halstuch der Toten, die vermeintliche Mordwaffe.
Wurde sie etwa selbst zur Mörderin? Mirja gerät in Panik und trifft eine folgenschwere Entscheidung.
Rebecca Friedrichsen will die Unschuld ihrer Freundin beweisen. Dadurch kann sie auch dem romantischen Wochenende mit ihrem Freund entfliehen, denn sie scheut feste Beziehungen. Keine Berührungsängste hat sie hingegen bei dem charismatischen Tierarzt Kai ...

Ein totes Model, ein pädophiler Lehrer und eine große Lüge.
Der zweite Fall für Rebecca Friedrichsen.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum11. Nov. 2022
ISBN9783756827190
Tödliche Erinnerung: Rebecca Friedrichsen ermittelt wieder auf eigene Faust
Autor

Tara Winter

Tara Winter ist ein Pseudonym. Dahinter verbirgt sich Claudia Schmitt, geboren 1976, die seit einigen Jahren erfolgreich Kurzgeschichten für verschiedene Zeitschriftenverlage schreibt. Ihr vierter Roman "Tödliche Erinnerung" ist der zweite Teil der neuen Serie um die unfreiwillige Ermittlerin Rebecca Friedrichsen. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Schleswig-Holstein. Wenn sie nicht von der Familie auf Trab gehalten wird, genießt sie lange Spaziergänge an der Ostsee.

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    Buchvorschau

    Tödliche Erinnerung - Tara Winter

    Kapitel 1

    Warum bin ich hier?, überlegte Kai.

    Es gab so viele Gründe, nicht an diesen Ort zurückzukehren. Gute Gründe, die ihn vor langer Zeit veranlasst hatten wegzuziehen und alle Kontakte abzubrechen. Er seufzte. Trotz allem gab es aber auch Argumente, es doch zu tun. Er stellte den Motor ab und blickte zu dem erleuchteten Eingang des Gasthofes hinüber. Das Gebäude sah einladend aus, viel freundlicher als früher. Neben der breiten Doppeltür standen hohe Kübel, in denen Efeu, Ziergräser und irgendwelche Blumen wuchsen. Sie blühten in leuchtenden Rottönen. Wahrscheinlich dufteten sie verführerisch. Aber oft steckte hinter den Dingen, die gut aussahen, nicht viel mehr dahinter.

    Kai betrachtete sich im Rückspiegel. Seine Haut war glatt und makellos, die Augenbrauen sorgfältig gestutzt. Der dunkle Schatten um sein Kinn verlieh ihm einen Hauch Verwegenheit. Gekrönt wurde dieses perfekte Zusammenspiel von seinen Augen. Wie ein schwarzes Loch dominierten sie sein Gesicht.

    Niemand, der in ihren Bann geriet, konnte seinem Blick entkommen.

    Diese Augen waren das Einzige, was er seinem spanischen Vater zu verdanken hatte. Er öffnete die Tür und stieg aus dem Wagen. Der Sand knirschte leise unter seinen Schuhen. Kai wusste, dass er nicht hätte kommen müssen. Aber er hatte der Verlockung nicht widerstehen können.

    Vor fünfzehn Jahren war er gegangen. Seither hatte er kein einziges Mal daran gedacht, noch einmal zurückzukehren. Und doch stand er jetzt auf dem Parkplatz vor dem alten Gasthof. Es war ein merkwürdiges Gefühl.

    Er ging um den glänzenden SUV herum, öffnete den Kofferraum und griff nach seinem eleganten Rollkoffer. Dann überquerte er den Parkplatz. Das Zimmer hatte er vor wenigen Tagen online reserviert.

    Kai stieß die breite Eingangstür des Gasthofes auf und betrat den Empfangsraum. Es war ein Schritt in seine Vergangenheit, mit all ihren Erinnerungen.

    Damals war in dem Gasthof auch eine Disco veranstaltet worden. Die Jugendlichen der umliegenden Dörfer hatten sich hier versammelt. Es waren tolle Partys gewesen und ein gelungener Schachzug der Besitzer. Sie verhinderten damit einen unrentablen Leerstand des großen Festsaals an vielen Wochenenden.

    Der verführerische Duft nach Gebratenem und der Geruch von Holz stiegen ihm in die Nase. Tina Gudrow stand hinter dem rustikalen Tresen der Rezeption.

    „Ich fasse es nicht, Kai!", rief sie freudig.

    Tina strahlte ihn an. Die kleinen Fältchen um ihre Augen waren bei ihrer letzten Begegnung noch nicht da gewesen. Sie waren ein stilles Zeugnis der Probleme, die sie als Inhaberin des kleinen Landgasthofes stemmen musste.

    Tina war schon immer fröhlich gewesen und hatte selten gezeigt, was sie tief im Innern wirklich bewegte. Deswegen fühlten sich die Gäste hier so wohl. Das war schon früher so gewesen. Laut den Internetbewertungen hatte sich daran auch nichts geändert. Die Atmosphäre war herzlich und alle Probleme schienen weit weg.

    Tina reichte ihm das vorbereitete Anmeldeformular hinüber.

    „Soll ich dich zu deinem Zimmer bringen?", fragte sie lächelnd und wedelte mit dem einfachen Schlüssel.

    „Das finde ich schon noch, danke."

    Die Gästezimmer lagen im ersten Stock. Er griff nach seinem Koffer und stieg die dunkle Holztreppe hinauf.

    Kai öffnete die Tür und betrat das Zimmer. Die Abendsonne tauchte den Raum in angenehmes Licht. Helle Vorhänge wehten in der leichten Sommerbrise, die durch die gekippten Fenster hereinwehte. Die Möbel waren gemütlich, die Farben der Tapeten und Bilder geschmackvoll aufeinander abgestimmt. Tina hatte ein gutes Händchen bei der Einrichtung bewiesen. Kai warf seine Jacke aufs Bett. Dieses Zimmer erweckte den Eindruck, man übernachte bei Freunden.

    Er tippte eine kurze Nachricht auf seinem Handy und ging zum Fenster. Sein Blick schweifte über das weitläufige Tal. Der Bauernhof des alten Jessen lag friedlich zwischen den Wiesen, die sich hinter dem Gasthof entlangzogen. Am Horizont erblickte er einen dichten Wald, der sich um den See erstreckte. In den Sommern seiner Kindheit hatte er dort ganze Tage und manchmal auch die Nächte verbracht. Idenbrügg. Es sah noch immer aus wie früher.

    Eine knappe Stunde später ging Kai wieder hinunter, vorbei an der inzwischen unbesetzten Rezeption. Er öffnete die Tür zum Gastraum. Zur Linken lag der geschnitzte Tresen. Ein rustikales Urgestein, das wohl schon seit Erbauung des Gasthofes hier seine Dienste tat. Ebenso wie die Frau, die mit mürrischem Gesicht dahinter stand.

    „Kai, was für eine Überraschung", begrüßte sie ihn mit rauchiger Stimme.

    Kai musterte die Frau, die ihn aus zusammengekniffenen Augen ansah. Sie polierte ein Glas mit einem karierten Tuch.

    „Gut siehst du aus. Du hast dich kaum verändert." In seinen Worten lagen ebenso wenig Charme wie Ehrlichkeit und er machte sich keinerlei Mühe, dies zu verbergen.

    „Spar dir das. Bist wegen des Klassentreffens morgen hier?" Die Frau polierte weiter, eine routinierte Bewegung, die ihr Körper wie im Schlaf ausführte. Kais Blick haftete auf ihrem hellen kurzen Haar. Er wusste nicht einmal, ob es noch blond oder schon weiß war. Diese hellen Strähnen hatte er noch nie leiden können.

    Sie waren wie ein Schleier, der ihre Konturen verschwimmen ließ. Eine einzige Masse widerlicher Blässe, die sich von den Haaren bis über das Gesicht erstreckte.

    „Warum sonst hätte ich zurückkommen sollen?" Der Blick aus seinen dunklen Augen traf sie wie ein Pfeil. Fast unmerklich zuckte sie zusammen.

    „Meinetwegen ja wohl nicht. Aber nett, dich einmal wiederzusehen, mein Sohn."

    Er nickte und wandte sich mit einem überheblichen Lächeln ab. Sein Blick glitt hinüber zu den Tischen, von denen an diesem Freitagabend nur wenige besetzt waren. Er sah die beiden Frauen sofort, die aufmerksam hinüberblickten und ihm zuwinkten.

    „Hallo Kai, ich freue mich so, dass du da bist!" Katja sprang auf und umarmte ihn herzlich. Er roch den Duft ihrer Haare und schloss kurz die Augen. Dann wandte er sich an die andere Frau.

    „Hallo Jana. Coole Frisur, das Rot steht dir."

    „Danke. Sehr vernünftig, dass du unserem Ruf doch noch gefolgt bist", neckte sie ihn mit einem breiten Grinsen.

    „Wer kann denn zwei so wundervollen Frauen schon widerstehen? Ihr hättet ein Foto von euch beilegen sollen, dann hätte ich sofort zugesagt." Er zwinkerte beiden zu.

    „Ihr zwei habt euch echt total aus den Augen verloren?, fragte Jana. „Ich meine, das ist voll krass, ihr wart doch immer so dicke. Eigentlich hatte ich wie alle anderen gedacht, dass ihr heiratet, sobald ihr von der Schule seid.

    Mit ihren großen Augen beobachtete sie Kai und Katja.

    Beide waren in der Schule unzertrennlich gewesen, galten als Traumpaar. Nach fünfzehn Jahren Funkstille spürte Jana sofort wieder ihre Vertrautheit. Die beiden hatten sich unglaublich viel bedeutet.

    „Das hat sich einfach nicht mehr ergeben. Ich habe gemodelt und Kai ist für sein Studium weggezogen."

    „Stimmt, du bist ja unser Supermodel! Voll aufregend." Jana strich sich eine Strähne ihres leuchtend rot gefärbten Haares hinter das Ohr. Katja lächelte und ihr Rücken straffte sich ein wenig.

    „Als Model hatte ich wirklich eine aufregende Zeit. Ich war auch zweieinhalb Jahre in New York. Ich kann dir ja mal ein paar Zeitschriften mit Fotos von mir zeigen."

    „Klar, gerne. Nach New York will ich auch unbedingt mal. Aber irgendwie ist bei mir immer Ebbe in der Kasse. Jana zupfte an der groben Holzkette, die sie trug. „Ich finde Berlin richtig abgefahren, aber es ist schon teuer. Außerdem verdient man als Künstlerin nicht solche Summen, um mal eben um die Welt zu jetten.

    „Was genau machst du denn?" Kai blickte sie aufmerksam an, so dass die schrille Jana einen Augenblick brauchte, um sich von seinem Blick zu lösen.

    „Skulpturen. Viel Holz, manchmal auch Metall. Ich habe auch immer wieder kleine Ausstellungen. Es macht mich nicht reich, aber glücklich. Ich komme ganz gut über die Runden. Und du bist nach der Schule nie wieder hier gewesen?"

    Kai schüttelte den Kopf.

    „Nein, und den liebevollen Worten meiner Mutter kannst du wahrscheinlich auch entnehmen, warum", sagte er sarkastisch.

    „Ein Herz und eine Seele seid ihr offensichtlich nicht gerade. Ich verstehe mich total gut mit meinen Eltern. Ich bin schon ein paar Mal im Jahr hier. Meine große Schwester und mein Bruder leben auch noch hier. Ich finde Familie total schön. Also, wenn es klappt mit denen. Sorry." Sie hob entschuldigend die Hände.

    „Nicht deine Schuld." Kai warf einen kurzen Blick zum Tresen, hinter dem seine Mutter Bier zapfte. Ihre hinabhängenden Mundwinkel waren Zeugnis jahrelanger Enttäuschung und Verbitterung.

    Kai schluckte. Er war für ihr Leben nicht verantwortlich.

    Er blickte zu Katja.

    Sie war immer auffallend schön gewesen und hatte als Schülerin schon gemodelt. Auch jetzt noch hatte sie ein wundervolles Lächeln, ebenmäßige Haut und tolle blonde Haare. Aber das Besondere waren Katjas Augen. Diese wundervollen grünen Augen in Verbindung mit einer Spur Überheblichkeit im Blick waren außergewöhnlich. Dieser natürlichen Extravaganz verdankte Katja viele der Jobs, die sie bekommen hatte.

    Sie waren fünf Jahre zusammen gewesen. Kai wusste, dass jede Stelle ihres Körpers perfekt war. Auch wenn sie jetzt schon über dreißig war, sah sie unglaublich gut aus. Die Feinheit war aus ihren Zügen gewichen und durch eine attraktive Reife ersetzt worden.

    Damals hatte es keine Trennung gegeben. Beiden war am Ende der Schulzeit einfach klar gewesen, dass jeder seiner Wege gehen würde.

    Ein helles Piepsen ertönte. Katja griff nach ihrem Handy und blickte auf das Display.

    „Mirja hat geschrieben. Sie steckt im Stau und verspätet sich."

    Kai erinnerte sich. Er, Katja und Mirja hatten damals ihre gesamte Freizeit miteinander verbracht. Vielleicht war es doch eine gute Idee von Jana gewesen, dieses Klassentreffen zu organisieren.

    Katja nippte an ihrem Mineralwasser. Jana griff über den Tisch nach der Speisekarte.

    „Dann lasst uns schon mal was zu Essen bestellen, ich verhungere."

    Tina Gudrow betrat den Gastraum, in dem die meisten Plätze mittlerweile besetzt waren. Seit sie den Gasthof von ihren Eltern übernommen hatte, steckte Tina ihre ganze Energie und viel Herzblut in den Betrieb. Dank wohlgesonnener Mitarbeiter der Sparkasse hatte sie hohe Investitionen tätigen können. Sowohl die Gästezimmer als auch die Küche waren inzwischen komplett renoviert worden.

    „Ich hoffe, dir geht es gut, so ohne Idenbrügg?" Sie legte Kai die Hand auf die Schulter.

    „Danke, ich komme zurecht. Kompliment, du hast aus dem Gasthof ein echtes Schmuckstück gemacht."

    „Danke. Was kann ich euch bringen?"

    Sie tippte die Bestellung in ihr Smartphone.

    Eine Gestalt schlich sich von hinten an die Gruppe heran.

    „Welch ein beschauliches Zusammentreffen!"

    Alle drehten sich um. Mit verkniffenen Lippen stand ein Mann da und presste seine Finger zusammen, so dass die Knöchel weiß hervortraten.

    „Timo, was machst du denn hier?" Katja wurde blass.

    „Was glaubst du denn? Ich komme nach einem echt anstrengenden Tag bei der Arbeit in den Gasthof, um meine Freundin zu überwachen."

    Katja schüttelte abwehrend den Kopf. Unsicher blickte sie zu den anderen Gästen, dann wieder zu Timo. Er wedelte siegessicher mit einem Zimmerschlüssel. Die gravierte Zimmernummer auf dem Anhänger leuchtete im Kerzenschein.

    „Ich lasse bestimmt nicht zu, dass du hier mit anderen Männern herumflirtest, während ich Zuhause sitze und auf dich warte!" Er zeigte auf Kai, der ruhig am Tisch saß.

    „Sie übernachten meinetwegen hier im Gasthof?, fragte dieser süffisant. „Das ist aber nett. Dann wünsche ich einen schönen Aufenthalt.

    Timo ballte die Hände zu Fäusten.

    „Timo, hör bitte auf damit", zischte Katja.

    Tina trat resolut dazwischen. Sie kannte ihn schon viele Jahre. Er leitete den örtlichen Supermarkt und belieferte den Gasthof regelmäßig. Tina mochte ihn, obwohl er ihr ein wenig leidtat, denn seine Kompetenz wurde oft unterschätzt.

    „Timo, es ist nichts los, beruhige dich. Du hast das Zimmer bekommen, aber mach hier bitte keine Szene. Es ist spät. Setz dich irgendwo hin und trink erstmal was." Ihr Tonfall war beschwichtigend. Sie hatte genügend Erfahrung, um auch mit schwierigen Gästen umzugehen. Timo ließ sich jedoch so schnell nicht beruhigen. Mit hasserfülltem Blick zeigte er auf Kai.

    „Ich weiß genau, wer das ist. Und was ihr vorhabt. Ich werde euch nicht eine Sekunde aus den Augen lassen! Cowboy, das ist meine Freundin, damit das klar ist. Finger weg und das sage ich nur einmal!"

    Kai musterte den jungen Mann mit den schmalen Schultern. Er war schlank und blass. Die rotblonden Haare verliehen ihm ein geradezu kindliches Aussehen. Kai tat viel für den guten Zustand seines Körpers und trainierte mehrmals die Woche im Fitnessstudio. Dieser Timo, der nun aufgebracht vor ihm stand, erweckte nicht den Eindruck, als sei er ihm gewachsen. Davon abgesehen, was glaubte dieser Hänfling denn, was hier vor sich ging?

    „Von dem Tisch dort drüben können Sie uns wunderbar beobachten, begann er mit sanfter Stimme. „Oder möchten Sie bei uns sitzen? Kai wies auf den freien Stuhl neben sich. Timo wandte sich wutschnaubend ab, ging zu einem der anderen Tische und ließ sich auf einen der Stühle fallen.

    Tina räusperte sich und nahm in ihrer gewohnten Fröhlichkeit die Bestellung weiter auf.

    „Darauf erstmal einen Schnaps für jeden. Was darf es sonst noch sein?"

    Katja entschuldigte sich und stand auf. Sie schlich zu Timo und setzte sich neben ihn.

    „Wow, das ist ihr Freund?", platzte Kai heraus.

    „Ja, bestimmt schon seit sechs oder sieben Jahren, flüsterte Jana. „Als er herkam, waren wir aber längst weg. Er leitet hier den Supermarkt. Eigentlich ein ganz stiller Typ.

    Tina stellte drei Schnapsgläser auf den Tisch. Jana griff nach einem und leerte es in einem Zug. „Nur eben nicht, wenn es um Katja geht."

    „Aber ganz normal ist er ja offensichtlich nicht. Er wohnt hier im Ort und nimmt sich ein Hotelzimmer, damit er sie überwachen kann?"

    „Das nenne ich Liebe", spottete Jana.

    Kai schüttelte verständnislos den Kopf. Er blickte zu dem anderen Tisch. Timo sah nicht gerade aus wie jemand, der den ganzen Tag schwere Kisten herumschleppte. Katja saß zusammengesunken neben ihrem Freund. Sie hatte ihre Hand auf seine Schulter gelegt und redete beruhigend auf ihn ein.

    Tina beobachtete vom Tresen aus ebenfalls das Pärchen. Timo schien sich etwas beruhigt zu haben, wirkte nicht mehr ganz so angespannt. Allerdings verriet die blitzartige Geschwindigkeit, mit der er die Bierdeckel durch seine Finger gleiten ließ, eine gewisse Nervosität.

    „Guck mal, wie fix er mit diesen Deckeln ist. Er macht dieses Speedstacking", erklärte Jana.

    „Dieses Stapeln von Plastikbechern?" Kai verstand nicht, dass ausgerechnet Katja an einen so merkwürdigen Typen geraten war.

    „So, bitteschön. Ich wünsche euch guten Appetit." Tina stellte zwei Salatteller und eine große Portion duftender Bratkartoffeln mit Roastbeef auf den Tisch.

    „Es riecht hervorragend", schwärmte Jana und verteilte Remoulade auf den dünnen Fleischscheiben. Katja kam zurück. Schweigend setzte sie sich wieder auf ihren Platz. Mit zittrigen Fingern griff sie nach der Gabel und begann, in ihrem Salat herumzustochern.

    „Er will da drüben sitzen bleiben. Das ist mir jetzt etwas peinlich."

    „Quatsch, wenn er so ein Miesepeter ist, soll er ruhig da drüben schmollen. Wir lassen uns unser Wiedersehen nicht verderben!", sagte Jana. Sie erhoben die Gläser und stießen klirrend miteinander an.

    Tina ging an ihrem Tisch vorbei. Sie lächelte beim Anblick der wiedervereinten Kids, die ein Teil ihrer längst vergangenen Kindheit und Jugend gewesen waren.

    „Kannst du uns hiervon bitte noch eine Runde bringen?"

    Jana hielt ihr leeres Schnapsglas in die Höhe.

    Tina nickte. „Natürlich, einen kleinen Moment."

    Sie wandte sich Timo zu, der mit verdrießlichem Gesicht vor sich hinstarrte.

    „Hier, nimm besser dieses", raunte sie und legte einen Gegenstand neben sein Glas. Im Gegenzug nahm Tina etwas anderes vom Tisch und steckte es ein. Timo blickte sie aus großen Augen dankbar an. Ehe er etwas sagen konnte, war die Wirtin schon wieder zur Bar geeilt.

    Er warf einen düsteren Blick zu seiner Freundin, die mit Jana plauderte und mit diesem Kai flirtete.

    Was für ein oberflächlicher Aufreißertyp, dachte Timo verächtlich. Der hatte im Leben wahrscheinlich noch nie richtig gearbeitet. Aber solchen südländischen Typen rannten die Frauen ja scharenweise hinterher. Aber seine Katja nicht, da würde er schon aufpassen!

    Mirja stieß mit der Schulter die Tür auf und zog ihren schwarzen Koffer ächzend in den Empfangsraum. Die geplante Fahrzeit von eineinhalb Stunden hatte sich mehr als verdoppelt. Zu verdanken war dies einer Baustelle, einem unerklärlichen Stau und einem Unfall. Sie hoffte, dass dabei niemand schwer verletzt worden war.

    Bei ihrer Ankunft war es bereits stockdunkel, so dass Mirja von ihrem alten Heimatort nicht mehr viel hatte sehen können.

    Sie blies sich eine Haarsträhne aus der Stirn, atmete einmal tief durch und ging auf die Rezeption zu. Tina hatte sie bereits auf dem Parkplatz entdeckt und war in den Vorraum gekommen.

    „Wie schön dich zu sehen!" Mirja begrüßte die Wirtin freudestrahlend. Ihre Erschöpfung war wie verflogen. Sie füllte schnell das Anmeldeformular aus und erklärte ihre Verspätung.

    „Kein Problem. Die anderen warten schon. Tina wies mit dem Kopf in Richtung des Gastraums. „Soll ich meinen Mann bitten, deinen Koffer hochzubringen? Dann kannst du gleich zu deinen Freunden gehen.

    „Oh, das wäre lieb, wenn Michael das machen würde. Ich bin ja schon so aufgeregt, die anderen endlich wiederzusehen."

    Mirja betrat mit federnden Schritten den Gastraum. Fröhliches Gelächter und Stimmengewirr erfüllten den gemütlichen Raum. Sie wandte den Kopf nach rechts und entdeckte schnell den Tisch mit ihren Freunden.

    „Ich bin zu spät, es tut mir leid. Ich konnte es kaum erwarten, euch wiederzusehen, ich habe mich so gefreut!", sprudelte sie los. Sie umarmte Jana kurz, Katja lange und herzlich.

    „Kai!" Mirja schlang ihre Arme um seinen Hals und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Sie ließ sich auf den freien Stuhl fallen.

    „Ich habe euch so vermisst! Unglaublich, dass ich es ohne euch aushalten konnte!" Mirja strahlte, während sie die Jacke auszog und den Zimmerschlüssel in ihre Tasche steckte.

    „Es ist so schön! Jana, das mit dem Klassentreffen war eine super Idee von dir." Sie fuhr sich mit den Händen durch ihre etwas strubbeligen Haare. Dann blickte sie zu Kai und legte den Kopf schief. Sie legte den Finger an ihre Nase.

    „Neu? Ist schick geworden."

    Kai lächelte sie an, seine Augen funkelten.

    „Es war klar, dass dir das nicht entgeht."

    „Ich bin eben ein cleveres Kerlchen", konterte Mirja und zwinkerte ihm zu. Katja starrte in Kais Gesicht. Ihre Augen weiteten sich überrascht.

    „Das ist mir die ganze Zeit nicht aufgefallen. Unglaublich. Seit wann?"

    Jana blickte fragend in die Runde. Sie hatte das Gefühl, die drei verstanden sich nur durch ihre Gedanken.

    „Kai hat seine Nase richten lassen. Sie ist einen Hauch schmaler geworden", erklärte Mirja.

    Sie griff nach ihrem Glas und hielt es hoch.

    „Auf die innere und äußere Schönheit!"

    Lachend stießen sie an.

    Jana griff nach ihrer Tasche und wühlte darin herum.

    „Hätte ich ja fast vergessen. Ich habe Fotos dabei!" Sie reichte einen kleinen Stapel Abzüge herum.

    „Es fühlt sich an, als hätten wir gerade erst das Abi gemacht. Oh, waren wir da noch jung." Mirja kicherte, während sie die Fotos durchblätterte.

    „Ihr drei seid unzertrennlich gewesen", sagte Jana.

    „Unglaublich, dass es schon über fünfzehn Jahre her ist", sinnierte Katja melancholisch.

    Jana nahm ihr Handy aus der Tasche und tippte darauf herum.

    „Selfie-Time", rief sie. Alle rückten zusammen und blickten lachend in die Kamera.

    Mirja betrachtete eines der Fotos. Es zeigte Kai bei einem Schulausflug. Mit hängenden Schultern und traurigem Blick stand er abseits der anderen Jugendlichen.

    „Trotz deiner Freundschaft mit Katja warst du so in dich gekehrt und bist nie auf andere zugegangen. Da musste ich natürlich eingreifen. Mirja zwinkerte ihm zu. „Das war ganz schön schwierig, erstmal an dich heranzukommen. Und als ich das endlich geschafft hatte, warst du so ein Haufen Arbeit, unglaublich. Aber ich denke, du bist mir ganz gut gelungen. Mirja lachte herzlich. Auf ihren Wangen bildeten sich lustige Grübchen.

    Kai grinste spitzbübisch. Er konnte sich noch gut daran erinnern, als Mirja zu ihnen an die Schule gekommen war. Vom ersten Augenblick an war er von dem sprunghaften und lebensfrohen Mädchen fasziniert gewesen. Mirja hatte ihn sofort in ihr Herz geschlossen und es sich zur Aufgabe gemacht, den schüchternen Jungen in ein fröhliches Wesen zu verwandeln. Oft hatte er sie zurückgewiesen, aber Mirja war hartnäckig geblieben. Kai blickte in ihr strahlendes Gesicht. Sogar ihre Augen schienen zu lachen. Tina ersetzte die leeren Schnapsgläser regelmäßig durch neue und brachte weitere Bierflaschen. Katja bestellte noch ein Wasser.

    „Habt ihr das auch bemerkt? Mirja beugte sich über den Tisch und kicherte beschwipst. „Der Typ da drüben beobachtet uns die ganze Zeit. Sie blickte verschwörerisch in die Runde. Mirja verschränkte die Arme und lehnte sich zurück, wobei sie fast das Gleichgewicht verlor.

    Jana hob den Kopf, den sie erschöpft auf ihrem Arm abgelegt hatte.

    „Der tut nichts, der will nur spielen", bemerkte Kai mit etwas schwerer Zunge, bevor er seine Bierflasche leerte.

    „Du bist gemein. Katja schlug Kai spielerisch auf die Hand, während sie ihre Unterlippe beleidigt vorschob. „Das ist Timo. Wir sind zusammen. Schon gaaaanz lange. Leider ist er ein klitzekleines bisschen eifersüchtig.

    Niemand wusste darauf eine Entgegnung.

    „Du bist Tierarzt?", unterbrach Jana die peinliche Stille. Jana wollte von dem brisanten Thema ablenken. Sie hatte viel Mühe in die Vorbereitung des Klassentreffens gesteckt und wollte jetzt keinen Ärger mit dem eifersüchtigen Freund von Katja bekommen.

    Dieser Abend sollte einfach ein lockeres Treffen werden. Eine Einstimmung auf das morgige Wiedersehen, zu dem auch weitere Mitschüler von damals anreisen würden.

    Jana war kein Teil der Clique gewesen, sondern hatte andere Freunde gehabt und sich von der Gruppe distanziert.

    Ein merkwürdiges Gefühl beschlich sie, wie schon damals. Die drei waren so unterschiedlich. Wie ein Pulverfass, das jeden Moment hochgehen konnte. Ihre Nase begann zu jucken. Das geschah immer, wenn ihr Instinkt zur Vorsicht riet. Sie blickte zu den anderen. Katja war eine atemberaubende Schönheit. Kein Wunder, dass sie es später als Model bis nach New York geschafft hatte. Aber ihre Augen blickten ernst und wie schon damals umhüllte sie eine Aura von Traurigkeit. Das komplette Gegenteil war Mirja. Sie sprühte vor positiver Energie. Ihr Lachen kam aus tiefstem Herzen und erfüllte nicht nur sie selbst, sondern auch die Menschen um sie herum.

    Die

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