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5 tales of faith
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eBook565 Seiten7 Stunden

5 tales of faith

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Über dieses E-Book

Yoji, Emma, Marco, Zoé und Rick führen alle fünf vollkommen unterschiedliche Leben auf vollkommen unterschiedlichen Kontinenten. Nur eines haben sie gemeinsam: Sie alle besitzen eine Fähigkeit, die für sie Fluch und Segen zugleich ist. Erst durch Yojis hellseherische Träume erfahren sie voneinander und finden zusammen. Dass sie damit etwas auslösen, was im Stande ist, die gesamte Menschheit zu gefährden, ahnen sie zu dem Zeitpunkt noch nicht. Und auch nicht, was für einen uralten und mächtigen Feind sie sich gemacht haben.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum29. Okt. 2018
ISBN9783748152989
5 tales of faith
Autor

Marleen Franke

1990 in Norderstedt geboren schreibt Marleen Franke seit der Grundschulzeit eigene Geschichten. Gerade die übernatürliche Welt hat es ihr angetan, wie man in ihren Romanen wie "Küss mich, Vampir!" und dessen beiden Nachfolgern sehen kann.

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    Buchvorschau

    5 tales of faith - Marleen Franke

    Epilog

    Es dämmerte bereits am Horizont, als Rick Nolan das erste Mal seit Stunden auf die Tankanzeige seines Motorrads schaute und leise seufzte. Bei der nächsten Tankstelle würde er anhalten müssen, wenn er nicht am Straßenrand schlafen wollte. Das wäre zwar nicht das erste Mal, aber er war immer froh, wenn es sich vermeiden ließe. Für einen Zwischenstopp würde das Benzin allerdings noch reichen. Rick drehte das Gas auf und spürte den Fahrtwind und den Sand vom Straßenrand in seinem Gesicht, in seinen Haaren.

    Es war nicht weit, bis er schließlich auf einem kleinen Parkplatz anhalten konnte, der vor einem baufälligen Haus gebaut war. Inzwischen war es fast schon dunkel und Rick schob sich die Sonnenbrille, die er immer beim Fahren trug in die Haare, bevor er die Treppen zur Tür hinauf ging und diese aufschob.

    Es war eine kleine Straßenkneipe, nicht unüblich in dieser Gegend von Australien. Bis auf die Barkeeperin hinter dem Tresen war sie jedoch menschenleer. Diese hob den Blick, als Rick eintrat und sofort breitete sich ein warmes Lächeln auf ihrem Gesicht aus.

    »Hallo mein Hübscher«, begrüßte sie ihn strahlend, als er sich an der Theke niederließ. Er erwiderte ihr Lächeln.

    »Hi Rachel«, antwortete er und betrachtete das Gesicht der Frau.

    Sie hatte lange, gewellte, braune Haare, die ihr bis zur Mitte des Rückens reichten, haselnussbraune Augen und trug enge Jeans und ein kariertes Hemd, dass sie über dem Bauch zusammen geknotet hatte. Nur beim näheren Hinsehen sah man die Fältchen um ihre Mundwinkel und ihre Augen, die ihr wahres Alter verrieten.

    »Wo kommst du her?«, wollte Rachel wissen und beugte sich über den Tresen zu ihm herüber, stützte das Kinn auf die Hände und lächelte verschmitzt.

    »Sydney«

    »Und wo willst du hin?«

    »Weiß ich noch nicht«

    »Du bist gesprächig wie eh und je« Das klang nicht wie ein Vorwurf und Rick lachte leise. Rachel verstand ihn.

    »Funktioniert die Dusche noch?«, wollte er wissen und Rachel nickte.

    »Ist aber kalt«

    »Ich bin nicht anspruchsvoll« Er schenkte ihr ein Lächeln, bei dem das Grübchen in seiner rechten Wange aufblitzte und verschwand dann durch eine Hintertür zum Badezimmer.

    Es war dunkel in dem kleinen Zimmer, in dem sich nichts außer einer Dusche, einer Toilette und ein Spiegel befanden. Nur mit Mühe schaffte Rick es, die kleine Glühbirne zum Leuchten zu bringen und selbst dann brachte sie nur ein schwaches Flackern zu Stande. Aber das störte ihn nicht. Wie er es Rachel gesagt hatte, er war nicht anspruchsvoll.

    Unter der kalten Dusche wusch er sich den Staub und den Sand aus den Haaren und vom Körper und betrachtete danach kurz sein Spiegelbild, fuhr sich durch die nassen, blonden Haare, die ihm schon fast bis zur Mitte des Nackens reichte. Ein Haarschnitt würde ihm so langsam mal wieder gut tun.

    In Jeans und T-Shirt betrat er wieder die Kneipe. Rachel stand immer noch hinter dem Tresen und wischte über die staubige Tischplatte.

    »Deine Klamotten musst du auch mal wieder waschen«, sagte sie, als sie Rick erblickte. Dieser zuckte nur mit den Schultern und ließ sich wieder an der Theke nieder.

    »Willst du einen Drink?«, wollte Rachel wissen und ihre Augen blitzten vergnügt. Das war ein Running Gag von ihnen. Sonst lehnte er immer ab, heute aber ließ er erneut sein Grübchen aufblitzen und erwiderte: »Klar, gerne.«

    Augenblicklich erlosch Rachels Lachen.

    »Wirklich?«, fragte sie unsicher und drehte sich zu den Flaschen an der Wand um. Rick stieß ein leises Lachen aus und schob sich an ihr vorbei hinter den Tresen.

    »Ich mach das schon, keine Sorge«

    Er ergriff eine Flasche Whiskey und ein Glas, das er notdürftig vom Staub befreite und dann die goldene Flüssigkeit hinein goss.

    »Du solltest nichts trinken, wenn du noch fahren musst«, tadelte Rachel.

    »Ja, ich weiß« Er tat es trotzdem. Eine Weile schwiegen die beiden. Rick unterbrach die Stille schließlich.

    »Wieso bist du noch hier?«, wollte er wissen.

    Rachel zuckte mit den Schultern.

    »Ich gehöre wohl hier her. Bin an diesen Ort gebunden«

    »Und du hast keine andere Wahl?«

    Diesmal zögerte sie mit ihrer Antwort, fuhr sich durch die Haare.

    »Ich habe nicht das Gefühl, dass mir eine bleibt. Das Schicksal wollte es so und da bleibt mir keine andere Möglichkeit«

    Rick schüttelte leicht den Kopf, senkte den Blick und drehte sein Glas in der Hand. Im Dämmerlicht sah der Whiskey aus wie flüssiges Glück.

    »Das ist dir gegenüber nicht fair«, sagte er schließlich und schenkte sich nach. Rachel streckte die Hand nach der Flasche aus, machte eine abwehrende Bewegung.

    »Trink bitte nicht so viel«, bat sie und ihr besorgter Blick brachte Rick schließlich dazu, das Glas wegzuschieben.

    »Du bist ganz alleine hier«, stellte er fest. Jetzt hatte Rachel ihr Lächeln wieder gefunden.

    »Nicht ganz. Du besuchst mich doch«

    »Aber ich bin nicht immer da. Und du kannst hier nicht weg und niemand kommt vorbei.«

    »Was erwartest du, Rick? Die Bar ist geschlossen. Das sieht man schon vom Weiten. Hier hält niemand an, um eine leere Kneipe zu besuchen. Und selbst wenn, würde es mir nichts bringen. Sie sind nicht wie du«

    Das sagte sie immer wieder. Sie sind nicht wie du.

    »Du weißt, dass ich lieber wäre wie die anderen« So etwas konnte er nur Rachel sagen. Ihr Lächeln verschwand.

    »Ich nicht«, sagte sie leise und streckte die Hand aus. Rasch zog Rick seine zurück.

    Einen Moment herrschte wieder Schweigen, bis Rachel schließlich ihre Hand wieder von der Theke zog.

    »Wo schläfst du heute Nacht?«, wollte sie wissen.

    »Keine Ahnung. Mein Tank reicht noch eine Weile. Mal sehen, wo ich lande«

    »Du kannst auch hier schlafen«

    »Ich bleibe nicht über Nacht, Rachel«

    Seine grauen Augen wirkten dunkler, wenn er ernst wurde und Rachel nickte langsam, während sie sanft über das dunkle Holz des Tresens strich. Die Staubschicht darauf musste jetzt schon einige Monate alt sein. Als sie diesmal lächelte, wirkte es seltsam traurig. Es erreichte ihre Augen nicht. Er senkte den Blick wieder auf sein Glas.

    »Rick…« Diesmal zog er den Arm nicht zurück, als sie sanft ihre Hand darauf legte. Er spürte, wie er Gänsehaut bekam an den Stellen, wo sie ihn berührte, »Süßer, warum tust du dir das an? Warum kommst du immer wieder her?«

    Einen Moment schwieg er, dann atmete er tief durch und hob den Kopf, um ihr fest in die Haselnussaugen zu sehen.

    »Weil ich dabei war, als du gestorben bist«

    Es schneite, als Emma Richards aus dem Schultor trat und genervt presste sie die Lippen zusammen. Immerhin war Schnee in Oklahoma selten und ausgerechnet heute, wo der Tag sowieso schon gelaufen war.

    Eigentlich sollte sie gute Laune haben. Heute war ihr achtzehnter Geburtstag und das sollte schließlich ein Grund zum Feiern sein.

    »Hey Freak!«, tönte es hinter ihr und Emma zuckte zusammen, als ein Schneeball sie am Hinterkopf traf. Höhnisches Gelächter folgte, doch Emma drehte sich nicht um. Sie biss die Zähne zusammen, zog sich die Mütze vom Kopf und klopfte den Schnee ab, bevor sie sie sich wieder über die schwarzen Haare zog.

    Zum Glück folgten ihr die Mitschüler nicht und schließlich war nur noch das Geräusch ihrer Stiefel zu hören, die über den Schnee knirschten.

    »Happy Birthday, Moonglow«, murmelte sie zu sich selbst und seufzte.

    Eigentlich war es ein Tag wie jeder andere. Sie war alleine Zuhause aufgewacht, ihre Eltern waren noch unterwegs, in Paris oder London oder irgendeine andere Modemetropole. Nur die Haushälterin war da gewesen, aber die hatte wie immer kein Wort mit Emma gewechselt, sondern nur rasch ihre Arbeit angefangen. Und Emma hatte ebenso wortlos ihren Ledermantel genommen und hatte das Haus verlassen. Kein Kuchen. Keine Geschenke. Keine Party. Kein Gar nichts.

    Und nicht mal Bandprobe war heute. Sehnsüchtig dachte Emma an die Saiten ihrer Bassgitarre und die Jungs, mit denen sie in der Band spielte. The Shadowed Knife.

    Seit fünf Wochen war die Band ihr Leben und der einzige Grund, warum sie noch nicht wieder abgehauen war. Die Jungs akzeptierten sie, hatten ihr ihren Spitznamen Moonglow verpasst und schwärmten von ihren talentierten Handgriffen am Bass.

    Noch wenige Meter, dann betrat Emma das Grundstück ihrer Familie.

    Wie immer stieg die Abneigung in ihr hoch, als sie das riesige Gartentor aufzog und den Kiesweg entlang ging. Vor ihr ragte die gläserne Fassade der Villa auf, in der sie mit ihren Eltern lebte, zumindest, sofern diese mal da waren.

    Emmas Bauch begann zu schmerzen, als sie die schwarze Limousine ihres Vaters erblickte. Offenbar waren ihre Eltern inzwischen Zuhause. Ob sie das einzige Kind war, das bei dem Anblick ihrer Eltern Bauchschmerzen bekam?

    Nur zögernd öffnete sie schließlich die Haustür und hörte sofort die Stimme ihrer Mutter, die am Handy offenbar mit einer ihrer Assistentinnen sprach. Jedenfalls sprach sie in dem Befehlston, den sie nur bei ihren Angestellten benutzte.

    Und bei ihrer Tochter.

    Emma ließ ihre Tasche von der Schulter gleiten und machte sich nicht die Mühe, ihre Schuhe auszuziehen. Die Stiefel hinterließen nasse Fußabdrücke auf dem dunklen Holzboden.

    »…ja Betty, Sie müssen das unbedingt heute noch erledigen. Ich weiß, wann Sie Feierabend haben. Wollen Sie Ihren Job behalten oder nicht?«

    Emmas Mutter hatte sie erblickt und winkte sie aufgeregt zu sich.

    »Ja, Moment Betty, meine Tochter ist gerade nach Hause gekommen. Sie hat heute Geburtstag und wir haben eine Überraschung für sie. Ja, sie wird sich riesig freuen«

    Hinter ihrem Rücken schnitt Emma eine genervte Grimasse. Vor ihren Angestellten tat ihre Mutter immer gerne so, als wäre sie die fürsorglichste Mutter der Welt. Wahrscheinlich dachte sie das sogar selber.

    »Hallo Emma« Ihr Vater hatte ebenfalls das Wohnzimmer betreten und tätschelte seiner Tochter kurz den Kopf. Unwirsch zog Emma den Kopf weg und machte einen Schritt zur Seite.

    »Hi«, murmelte sie. Ihr Vater drehte sich um und musterte sie lange und ausgiebig.

    »Bist du so angezogen zur Schule gegangen? «, fragte er mit strenger Stimme.

    »Ja«, erwiderte Emma trotzig und sah an sich herunter.

    Zu ihren schwarzen Springerstiefeln trug sie eine schwarze Strumpfhose, einen schwarzen, nietenbesetzten Rock und eine dunkelrote Korsage, darüber noch eine schwarze Strickjacke und den Ledermantel. Eigentlich erwartete sie nun eine Standpauke, aber dieses Mal blieb sie aus. Vielleicht als Ausnahme, weil sie Geburtstag hatte.

    Ihre Mutter hatte das Telefonat inzwischen beendet und stand nun breit lächelnd vor Emma. Sie trug ein beiges Kostüm und ihre blonden Haaren waren zu einem so akkuraten Bob geschnitten, dass Emma sich immer fragte, ob die Friseurin ein Lineal dafür benutzte.

    »Schätzchen, wir haben das tollste Geschenk für dich, das du dir vorstellen kannst«, frohlockte sie und Emma zog eine Augenbraue hoch.

    »Na, da bin ich mal gespannt«, erwiderte sie und ihre Stimme war beißend vor Sarkasmus, was aber keiner von beiden zu merken schien.

    Ihre Eltern wechselten einen strahlenden Blick.

    »Wir…fahren mit dir…zur Fashion Week nach New York!« Die Begeisterung in der Stimme ihrer Mutter war nicht zu überhören. Emma dagegen verzog keine Miene.

    »Fashion Week. New York«, wiederholte sie kühl. Ihre Eltern nickten freudestrahlend und synchron. Heftig presste Emma die Lippen aufeinander.

    »Ist das ein Geschenk für mich oder für euch?«

    »Emma-Schatz….«

    »Kennt ihr mich eigentlich gar nicht?«, zischte sie und langsam verschwand das Lächeln aus den Gesichtern ihrer Eltern.

    »Schätzchen, das hat uns Unmengen von Geld gekostet, um die Karten für dich zu besorgen. Andere Mädchen würden ausflippen vor Freude« Ihre Mutter sprach langsam und mit einem betont geduldigen Unterton, als müsste sie Emma erst erklären, wie unglaublich toll dieses Geschenk war.

    »Ich bin aber nicht wie andere Mädchen!« Emmas Stimme überschlug sich vor Zorn. Sie sprang auf, drängte sich zwischen ihren Eltern hindurch und stürmte die Treppe zu ihrem Zimmer hoch.

    »Emma…«, rief ihr Vater ihr nach.

    »Und mein Name ist Moonglow!«, brüllte Emma, bevor sie ihre Zimmertür hinter sich zuknallte.

    Zwei Tage später saß Emma schließlich mit verschränkten Armen und zusammen gepressten Lippen in einen Hotelzimmer in New York City und ließ den Vortrag ihrer Mutter über ihre Klamottenwahl an sich vorbei ziehen.

    »Es ist mein Lieblingskleid und mein Geburtstagsgeschenk. Ich behalte es an. Basta«, sagte sie schließlich mit leiser Stimme. Dann erhob sie sich, die Stimme ihrer Mutter missachtend, und zog die Badezimmertür hinter sich zu. Am liebsten wäre sie weggerannt. Hätte sich verkrochen. Nur nicht hier sein. Aber ihre Mutter hatte sich mal wieder durchgesetzt und schließlich hatte Emma nachgegeben. Sie würde das schon durchstehen. Es waren ja nur ein paar Stunden.

    Als sie das Badezimmer wieder verließ, hatte ihre Mutter das Zimmer bereits verlassen und ein Blick auf die Uhr sagte Emma, dass sie wahrscheinlich schon im Foyer sein würde und dort auf sie wartete, so dass sie gemeinsam mit der Limousine zum Lincoln Center fahren konnte.

    Während der Fahrt schwieg Emma und blendete die Stimme ihrer Mutter aus. Sie war das erste Mal in New York, trotzdem hatte sie keinen Blick für die Stadt.

    »Emma. Hörst du mir überhaupt zu?«

    Ihre Mutter fasste Emma am Ellbogen und sofort kroch ein eisiger Schauer Emmas Arm hinauf. Rasch zog sie den Arm zurück. Sie hasste Berührungen.

    »Nein«, erwiderte sie schlicht und zog sich die Stulpen am Unterarm zu Recht, so dass sie auch ihren Ellbogen bedeckten.

    Die Fashion Week war wie jedes Jahr fantastisch besucht. Jeder andere Mensch hätte vermutlich gar nicht gewusst, wo er zuerst hinsehen sollte, so viele bekannte Gesichter waren zu sehen. Aber nicht Emma.

    Ohne den Prominenten eines Blickes zu würdigen schob sie sich die Ohrstöpsel ihres iPods in die Ohren und missachtete den entsetzten Blick ihrer Mutter, als sie sich auf ihren Platz in der dritten Reihe niederließ.

    Sie ignorierte ebenso den strafenden Ellbogenstoß, drehte die Musik lauter und schaute gelangweilt zu, wie die ersten Models über den Laufsteg schwebten, magere Mädchen mit hervorstehenden Wangenknochen und streng zurück gekämmten Haaren, die Klamotten trugen, die ihnen fast von den knöchernen Leibern rutschten.

    Emma verdrehte die Augen und scrollte durch die Playliste ihres iPods. Ein weiterer grober Ellbogenstoß ließ sie aufschrecken und ein Ohrstöpsel rutschte aus ihrem Ohr.

    »Was?!«, zischte sie.

    »Das sind die neuen Entwürfe von Phillipe Chevailler. Er ist ein…«

    »Interessiert mich nicht, Mum!« Unwirsch schob Emma den Ohrstöpsel wieder an Ort und Stelle und warf einen Blick auf den Laufsteg.

    Für einen Moment blieb ihr Herz stehen.

    Eine Reihe von Männern hatte den Laufsteg betreten und ganz am Ende ging der schönste Mann, den sie je gesehen hatte. Er hatte kurze, dunkelblonde Haare, blasse Haut und seine Augen waren so blau, dass sie es selbst aus der Entfernung sehen konnte.

    Emma spürte, wie ihr Mund trocken wurde und ihre Hände sich verkrampften. Nicht, weil sie ihn so unheimlich attraktiv fand. Sondern weil seine Augen sich genau in ihre bohrten.

    Die Welt um Emma herum verschwamm. Mit offenen Mund starrte sie den Mann an, der den Laufsteg entlang schritt, den Blick fest auf sie gerichtet, als würde er direkt auf sie zugehen.

    Für einen Moment schien sich ihre Kehle zusammen zu ziehen und sie konnte kaum atmen. Die Luft wurde dick und die Zeit schien plötzlich viel langsamer zu verlaufen, als würde der Sekundenzeiger sich durch dicken Teer kämpfen müssen, um weiter zu wandern. Sämtliche Nervenenden in Emmas Haut vibrierten.

    Sie kannte es, dass sie Menschen spüren konnte, sie wahrnehmen konnte, wenn sie von ihnen berührt wurde. Sie wusste, was sie fühlten, wie sie waren, sie konnte ihren Charakter ergründen. Sie war eine Hexe, das wusste sie, sie war halt anders. Aber noch nie, noch nie hatte sie das so intensiv gespürt und das, ohne jemanden zu berühren. Es war so intensiv, dass ihre Hände zu zittern begannen. Der Mann war am Ende des Laufsteges angekommen und immer noch bohrten sich seine Augen in ihre. Er sah sie an. Sie direkt. Es raubte Emma den Atem. Die Welt schien still zu stehen.

    »Ich kann dich spüren«, flüsterte sie.

    Klick klack. Klick klack. Klick klack. Die Absätze ihrer neuen Stiefel klackerten über den Flur der Mod´ Art International und Zoé Cion genoss die neidischen Blicke ihrer Kommilitonen. Sie hatte einfach eine Schwäche für solche Auftritte. Und sie liebte es, wenn sich jeder nach ihr umdrehte. All eyes on me.

    Natürlich erkannten die anderen sofort, dass die Schuhe aus der neusten Kollektion von Christian Louboutin stammten. Jeder in der Universität kannten seinen Namen, seine Arbeiten und jeder liebte sie, aber Zoé war eine der wenigen, die sich diesen Luxus leisten konnte.

    Sie schenkte einem jungen Mann ihr schönstes Lächeln, als dieser ihr die Tür zum Hörsaal aufhielt, so dass er ihr mit offenem Mund hinterher starrte und beinahe die oberste Treppenstufe verfehlte. Dann ließ sie sich auf einem Platz in der Mitte des Hörsaals nieder. Die anderen Studenten und der Professor sahen zu ihr hoch.

    »Mademoiselle Cion, Sie sind zu spät!«, sagte der Professor schließlich, nachdem eine Weile keiner einen Mucks gesagt hatte. Zoé sah, wie zwei Mädchen in der ersten Reihe sich anstießen und auf ihre Stiefel deuteten.

    »Pardon, Monsieur Gratton«, antwortete sie mit einem hinreißenden Lächeln und warf sich die rotblonden Locken über die Schulter, so dass es aussah, als würde ein Flammenmeer um sie herum tanzen.

    Missbilligend schüttelte Professor Gratton den Kopf, aber er wusste, dass ein Tadel nichts bringen würde. Zoé tat sowieso immer, was sie wollte und sie kam damit immer durch. Ihr Onkel bedachte die Modehochschule stets mit großzügigen Spenden und man wollte diesen auf keinen Fall verärgern, nur weil seine Nichte Probleme mit der Pünktlichkeit hatte.

    Während Professor Gratton mit seinem Vortrag fort fuhr, holte Zoé ihr iPad heraus und begann gelangweilt im Internet nach den neusten Modetrends zu suchen, so dass sie sich irgendwann in ihrer eigenen kleinen wunderschönen Welt, bestehend aus Prada und Louis Vuitton, verlor. Gerade überlegte sie, ob sie den brandneuen bordeauxroten Mantel bestellen sollte, der sie schon seit Tagen beschäftigte, als ihr Professor den Vortrag beendete und die Studenten begannen, ihre Sachen einzupacken.

    Auch Zoé packte ihre Tasche und wollte gerade den Hörsaal verlassen, als Professor Gratton sie noch einmal zurückrief.

    Ihm den Rücken zugedreht verdrehte Zoé die Augen, dann drehte sie sich um und knipste ihr hinreißendes Lächeln an, während sie die Treppe hinunter ging zu ihrem Lehrer, sorgsam darauf bedacht nicht zu schnell zu gehen, damit jeder, der ihr entgegen kam, ihr Platz machte und sich so mancher männlicher Student den Kopf nach ihren perfekten Kurven verdrehte.

    »Worum geht es denn, Monsieur?«, fragte sie mit süßer Stimme und ließ ihren französischen Akzent mit Absicht heraus klingen, bei dem jeder ausländische Kommilitone Herzklopfen bekam. Doch Professor Gratton ließ das kalt. Er kannte die Spielchen seiner Studentin und er dachte nicht im Traum daran, sich von ihr den Kopf verdrehen zu lassen wie so mancher männliche Kollege.

    »So geht das nicht weiter mit Ihnen, Zoé. Sie waren bisher bei kaum einer Vorlesung pünktlich und Ergebnisse liefern Sie auch keine ab. Wenn Sie sich nicht ab sofort zusammenreißen, werden Sie in Modegeschichte durchfallen«

    Zoés Augen wurden groß. Einen Moment lang schaffte Professor Gratton etwas, was noch keiner vor ihm geschafft hatte: Zoé hatte es die Sprache verschlagen. Mit so etwas hatte ihr noch kein Professor gedroht.

    Aber sie fing sich rasch wieder, schob die Unterlippe ein Stück vor und blinzelte Professor Gratton durch ihre dichten, schwarzen Wimpern an.

    »Ich glaube nicht, dass es meinem Onkel gefallen würde, wenn ich in irgendeinen Fach durchfalle«, sagte sie leise und legte den Kopf schief, so dass ihre rotblonden Locken ihr über die Schulter fielen.

    Doch auch damit machte sie auf Professor Gratton keinen Eindruck.

    »Was Ihrem Onkel gefällt und was nicht ist mir egal. Ich behandle eine Studentin nicht anders, nur weil ihre Verwandtschaft der einzige Grund dafür ist, dass sie noch nicht von der Uni geflogen ist. Machen Sie sich bewusst, dass Sie ab sofort arbeiten müssen, ansonsten lasse ich Sie durchfallen, verstanden?«

    Wütend biss Zoé sich auf die Unterlippe.

    »D’accord«, sagte sie schließlich mit zischender Stimme, drehte sich um und stampfte kochend vor Wut die Treppe hinauf zur Hörsaaltür

    Eine Freundin rief ihren Namen, als sie die Tür zu den Toiletten aufstieß. Zoé ignorierte das jedoch und ließ die Tür lautstark hinter sich ins Schloss fallen. Eine junge Studentin, eine kleine langweilige graue Maus, warf ihr einen erschrockenen Blick zu und floh rasch aus dem Raum.

    Wütend sah Zoé sich in der Toilette um, ballte die Hände zu Fäusten und ließ sie dann auf das Waschbecken vor ihr niederkrachen. Ein stechender Schmerz schoss durch ihre Finger und ihre rechte Handinnenfläche begann zu prickeln. Im nächsten Moment gab eines der Wasserrohre nach und eine Wasserfontäne schoss hoch bis zur Decke des Raumes wie aus einem Geysir.

    Erschrocken machte Zoé einen Satz nach hinten.

    »Mist«, fluchte sie leise und sah sich hektisch um. Das Wasser sprudelte hervor und bespritzte sie mit kaltem Wasser. Rasch hob Zoé die Hand über ihren Kopf. Sofort änderte der Wasserstrahl die Richtung, weg von ihr.

    Schnell schob Zoé die Tür auf und verließ mit schnellen Schritten die Toilettenräume. Sollten sich doch die Hausmeister um das Chaos kümmern.

    Das war ihr schon seit Jahren nicht passiert, dass sie die Beherrschung über ihre Kräfte verloren hatte. Das letzte Mal war sie zwölf gewesen und hatte getobt, weil sie die Chanel Jacke nicht bekommen hatte, die sie sich zu Weihnachten gewünscht hatte. Sie hatte geschrien und geheult und auf einmal war der Tannenbaum in Flammen aufgegangen. Sie erinnerte sich noch genau, wie ihre Tante ihren Onkel angeschrien hatte, während dieser den Baum mit einem Feuerlöscher bearbeitete, dass sie von Anfang an gesagt hatte, dass echte Kerzen zu gefährlichen waren.

    Bei dieser Erinnerung huschte Zoé unwillkürlich wieder ein Lächeln über die Lippen.

    Wen kümmerte es schon, wenn sie in einem Fach durchfiel? Wen kümmerte es, wenn sie überhaupt studierte?

    Sie hatte Talente, von denen andere Modedesigner nur träumen konnten. Wenn sie erstmal ihre Entwürfe auf den Markt gebracht hatte, dann würde sie niemand nach einem Abschluss fragen.

    Vor ihrem inneren Augen sah Zoé sich bereits über den Laufsteg schweben in einem feuerroten Kleid, am Bein geschlitzt und rückenfrei. An ihren Händen leckten die Flammen, mit denen sie spielte, die sie beherrschte, sie und jedes andere Element. Sie würde berühmt werden als das Mädchen, das mit dem Feuer spielt. Das Mädchen, das Hurrikans aus dem Nichts entstehen lässt und Kleider im Wind wehen lässt.

    Zoé lächelte. Das gefiel ihr.

    Ohne es zu merken hatte sie die Universität verlassen und zog sich rasch den Mantel enger um den Körper. Marketing würde sie einfach schwänzen. Ihr war nicht nach noch mehr Standpauken zu Mute. Sie würde jetzt einfach in die Avenue Montaigne gehen und dort ihre Kreditkarte zum Glühen bringen.

    Der Gedanke daran besserte ihre Laune augenblicklich und so machte sie sich rasch auf den Weg zum Parkplatz.

    Gerade wollte sie ihren Mini Cooper aufschließen, als sie plötzlich inne hielt und hinüber zu dem schwarzen Jaguar sah, der auf dem Parkplatz von Professor Gratton stand. Wie die Parkplätze der anderen Professoren stand auch dieser halb unter dem Dach der Universität und war somit zumindest größtenteils vom Schnee geschützt. Zoé kaute auf ihrer Unterlippe und ließ ihren Blick hoch zu dem Dach wandern. Seit Tagen schneite es schon und es hatte sich eine dichte Schneedecke gebildet.

    Schnee ist nichts anderes als gefrorenes Wasser, dachte Zoé und ein verschmitztes Grinsen huschte über ihr Gesicht, als sie sich vorsichtig umsah und dann die rechte Hand hob.

    Sofort setzte sich der Schnee auf dem Dach in Bewegung. Erst langsam, dann mit einem Rutsch begann er vom Dach zu fallen genau auf das Auto von Professor Gratton, so lange, bis von dem schwarzen Wagen nichts mehr zu sehen war und er unter einer dichten Schneeschicht versteckt war.

    Kichernd fuhr Zoé sich durch die Locken, öffnete die Fahrertür ihres Minis und startete den Motor, während immer mehr Studenten angelaufen kamen und sich über das eingeschneite Auto amüsierten.

    »Geschieht dir ganz Recht. Niemand legt sich mit Zoé Cion an«, flüsterte sie zu sich selbst und lenkte ihr Auto vom Parkplatz.

    Der Sand brannte unter Marco Gonzalez‘ Füßen, als er zum Sprint ansetzte und dem alten Lederball hinterher jagte, dem sein Mitspieler gerade mit einer perfekten Flanke in Richtung Tor geschossen hatte. Aus den Augenwinkeln sah er die Gruppe Mädchen, die auf der Mauer saßen, die den Strand von der Straße trennte und er legte noch einen Zahn zu. Wie ein Profifußballer schraubte er sich in die Luft, holte mit dem rechten Fuß aus – und verfehlte. Der Ball landete mit einem dumpfen, resignierenden Geräusch neben ihm, als Marco in Sand fiel.

    Mierda.

    Das Gelächter der Mädchen drang an seine Ohren und Marco spürte, wie seine Wangen unter der braunen Haut zu brennen begannen.

    »Marco? Bist du verletzt?« Einer seiner Mitspieler kniete sich neben ihn und Marco schaltete blitzschnell.

    »Jaaaa«, stöhnte er und umfasste sein Knie, »Mein Knie. Ich glaube, es ist verdreht« Ächzend ließ er sich aufhelfen und humpelte auf seinen Mitspieler gestützt zur Mauer. Das Gelächter der Mädchen war verstummt. Eines von ihnen, eine junge Schönheit mit moccafarbener Haut und sinnlich roten Lippen rutschte von der Mauer hinunter und lief ihnen entgegen, um Marco von der anderen Seite zu stützen.

    »Danke, mi belleza«, sagte Marco und versuchte, möglichst schmerzerfüllt zu gucken und gleichzeitig eine heldenhafte Miene zu bewahren.

    »Bist du schwer verletzt? Sollen wir einen Krankenwagen rufen?« Besorgt half das Mädchen ihm, sich auf die Mauer zu setzen, und berührte vorsichtig sein Knie.

    »Nein nein. Nicht nötig, sowas passiert öfter. Das sind Kriegsverletzungen« Betont tapfer schenkte er dem Mädchen sein charmantestes Lächeln und fügte hinzu: »Aber wenn du willst, kannst du mir einen Kuss geben, vielleicht wird es dann besser.«

    Sofort verschwand das Lächeln des Mädchens und bevor Marco reagieren konnte, schubste sie ihn von der Mauer.

    »Idiota«, zischte sie und stampfte dann mit hocherhobenem Kopf zu den anderen Mädchen zurück, die wieder angefangen hatten zu kichern.

    Fluchend rappelte Marco sich auf und klopfte sich den Sand von der Hose.

    »Okay, das war deutlich«, murmelte er und griff nach seinem T-Shirt, das neben seiner Tasche im Sand lag. Kurz rief er seinen Freunden einen Gruß zu, dann stampfte er an den Mädchen vorbei zur Treppe, die hinauf zur Straße führte und bemühte sich dabei, ihr Getuschel und ihre verachtenden Blicke zu missachten.

    Die Sonne brannte wirklich heiß und die Straßen waren voll von Menschen. Touristen drängten sich rücksichtslos an ihm vorbei, um möglichst schnell zum Strand zu gelangen, wo das Meer mit einer verlockenden Abkühlung wartete. Marco drückte sich weiter hindurch durch die Menschenmenge, bis die Wege freier wurden.

    Ein paar Straßen weiter fand er eine Gruppe Jungs in seinem Alter, die neben einem Café herumlungerten und ihn winkend begrüßten, als er sich ihnen nährte.

    Marco ließ sich neben einen der Jungs nieder, der ihm auf die Schulter klopfte und grinsend zu einer Gruppe junger Männer deutete, die im Café saßen und Bier tranken.

    »Engländer. Gib ihnen noch eine Stunde«

    Marco grinste und nahm eine Zigarette entgegen, die ihm sein bester Freund Ángel über die Schulter hinweg reichte. Eigentlich mochte er Zigaretten nicht mal, aber das konnte er natürlich vor den Jungs nicht zugeben.

    »Machst du das?«, fragte Ángel, ließ sich neben Marco nieder und gab ihm ein Feuerzeug.

    »Claro. Das wird leichte Beute«

    Die Stunden vergingen, langsam ging die Sonne unter. Das Gelächter in dem Café wurde lauter und schließlich stand Marco auf.

    »Viel Glück«, flüsterten die anderen ihm zu, er grinste und hob den Daumen, dann schlenderte er hinüber zu dem Tisch, wo die jungen Engländer saßen und bereits lauthals irgendwelche Lieder grölten. Einige Gäste sahen pikiert zu ihnen herüber, während Marco sich an den Tischen vorbei schob.

    Kurz vor dem Tisch der Engländer geriet er ins Stolpern und ließ sich zu Boden fallen.

    »Aaaah. Mierda!« Stöhnend umfasste er wie kurz zuvor auf dem Fußballfeld sein Knie und wälzte sich theatralisch auf dem Boden.

    Drei der Engländer fingen an zu lachen, einer jedoch, der als einziger noch halbwegs nüchtern schien, sprang auf und hielt Marco die Hand hin.

    »Alles okay, Kumpel?«, fragte er und half ihm auf die Beine.

    »Gracias«, murmelte Marco und klopfte dem jungen Mann auf die Schulter, wobei seine Finger bei der Abwärtsbewegung blitzschnell und geübt aus der Jackentasche das Portemonnaie und das Handy zogen. Dann humpelte er davon, zwinkerte seinen Jungs im Vorbeigehen zu und machte sich auf den Heimweg.

    Der Weg dauerte fast eine Stunde zu Fuß. Marco überlegte kurz, sich von dem eben erbeuteten Diebesgut eine Busfahrkarte zu kaufen, doch dann entschied er sich für den zwar längeren, aber bekannten Fußweg.

    Inzwischen war es dunkel, aber es war immer noch warm. Marco pfiff gut gelaunt vor sich hin, während er durch die Straßen Acapulcos schlenderte, die Augen offen haltend nach vielleicht noch einem kleinen Nebenverdienst. So beschäftigt mit dieser Aufgabe war er, dass er den großen braunhaarigen Mann erst bemerkte, als dieser ihn ohne Vorwarnung von hinten mit einem Faustschlag nieder streckte.

    Marco stürzte nach vorne. Es fühlte sich an, als würde ihm die Luft aus den Lungen gedrückt, als er auf dem Boden aufkam. Ein stechender Schmerz ließ ihm die Tränen in die Augen schießen, als er mit der Schläfe auf dem Boden aufschlug. Blinzelnd versuchte er, etwas zu erkennen. Vor seinen Augen tanzten rote Lichter, doch da kam schon der nächste Schlag, der ihn diesmal direkt in die Magengrube traf. Ächzend rollte Marco sich zusammen und versuchte krampfhaft, sich nicht auf der Stelle zu übergeben.

    »Was fällt dir eigentlich ein, du kleiner Straßenpenner?

    Glaubst du, ich bin zu blöd, nicht zu merken, wenn ich ausgeraubt werde?«

    Ein Tritt traf Marco in die Rippen und er spürte, wie eine davon sofort brach.

    »Aufhören, bitte!«, stöhnte er verzweifelt und für einen Moment schien der Kerl inne zu halten. Dann wurde Marco an der Vorderseite seines T-Shirts nach oben gezogen.

    Mit glasigen Augen und wildem Blick starrte ihn der Engländer an, der ihm vorhin noch wie leichte Beute vorkam. Jetzt jedoch schlug Marco eine starke Alkoholwolke entgegen und er wusste nur zu gut, zu was Menschen im Alkoholrausch fähig waren. Seine Mutter hatte genug Typen gedatet, die ein Alkoholproblem hatten.

    »Gib mir meine Sachen wieder, du Pisser. Und wehe, es fehlt auch nur ein Cent«, zischte der Engländer. Mit zitternden Fingern machte Marco sich an seiner Tasche zu schaffen und zog so schnell es ging die Brieftasche und das Handy hervor.

    »Hier«, presste er hervor und seine Stimme klang unnatürlich hoch dabei.

    »Braver Junge« Der Engländer grinste spöttisch und Marco stieß einen weiteren Schrei aus, als der letzte Schlag ihm die Nase brach.

    Hustend und Blut ausspuckend blieb er zusammen gerollt auf dem Bürgersteig liegen, während der Engländer sich triumphierend davon machte.

    Es kam ihm wie Stunden vor, bis er es endlich schaffte, sich aufzurichten. Niemand hatte sich darum gekümmert, dass er einfach am Boden lag, wimmernd vor Schmerz. So etwas war ihm noch nie passiert.

    Ihm wurde wieder übel, als er sich an einem Laternenpfahl in die Höhe zog und vor seinen Augen tanzten kleine Lichtpunkte.

    Nicht ohnmächtig werden.

    Schritt für Schritt kämpfte Marco sich vorwärts. Blut tropfte ihm von seiner Nase in den Mund und er würgte. Es war doch nicht mehr weit nach Hause. Zehn Minuten Fußweg. Sie kamen ihm vor wie zehn Stunden.

    Er hätte weinen können vor Erleichterung, als er schließlich die Haustür hinter sich zu zog und sich daran herunter rutschen ließ. Sein Kopf pochte schmerzhaft an den Stellen, wo er aufgeschlagen war oder geschlagen wurde. Das Blut hatte die Vorderseite seines T-Shirts rot gefärbt.

    »Marco? Bist du das?« Die Stimme seiner Mutter holte ihn aus der nahenden Ohnmacht und mit letzter Kraft zog er sich wieder hoch.

    »Ja, ich bin es«, stieß er hervor, »Ich gehe ins Bett, Mamá.«

    Und ohne auf eine Antwort zu warten, wankte er so schnell es ging in sein Zimmer, schloss die Tür ab und ließ sich endlich auf das Bett fallen, wo ihn sofort die gnädige Ohnmacht erlöste.

    Als Marco wenig später wieder zu sich kam, war es noch dunkel. Blinzelnd versuchte er etwas zu erkennen und war erleichtert, dass die Schmerzen im Kopf und in seiner Brust nachgelassen hatten. Er fühlte sich besser. Nein, nicht nur das…

    Marco runzelte die Stirn und richtete sich langsam auf. Er fühlte sich nicht nur besser. Er fühlte sich gut.

    Seine Hand tastete seine Nase ab, drückte daran herum, aber außer getrocknetes Blut schien nichts ungewöhnlich zu sein. Sie tat nicht weh. Dabei war er sich vorhin sicher gewesen, sie wäre gebrochen.

    Doch auch sein Brustkorb schmerzte nicht mehr bei jedem Atemzug. Und auch die Kopfschmerzen waren wie fortgeblasen. Als hätten ein paar Stunden Schlaf seinen Körper vollkommen kuriert.

    Langsam erhob Marco sich von dem Bett und trat vor den Spiegel. Tatsächlich ließ lediglich das Blut in seinem Gesicht und auf seinem T-Shirt darauf schließen, dass überhaupt etwas vorgefallen war.

    Rasch zog Marco sich das T-Shirt über den Kopf, ließ es zu Boden fallen und starrte dann ungläubig sein Spiegelbild an. Keinerlei blaue Flecken. Keine Anzeichen von Gewalt.

    Nur dieses seltsame, rot glühende Licht, dass durch seine Adern zu pulsieren schien, ausgehend von der Stelle, wo sein Herz aufgeregt pochte.

    Es regnete leicht, als Yoji Saito sich aus der Bahnstation der U-Bahn Tokios drängelte, die Hände tief in den Jackentaschen vergraben, die Kapuze seines schwarzen Kapuzenpullovers in die Stirn gezogen.

    Verärgert warf er einen Blick gen Himmel. Der Wind wehte den feinen Nieselregen gegen Yojis Brille, so dass er noch weniger sehen konnte als sowieso schon. Leise in sich hinein fluchend rieb er mit dem Ärmel über die Gläser, was jedoch nicht wirklich half, und schob sich dann weiter durch die Menschenmassen. Erst, als er schließlich seinen Arbeitsplatz betrat, atmete er erleichtert auf.

    Es war eine geräumige Spielhalle mit angrenzendem Café. Leise Musik und das Geräusch von Knöpfen, auf die eingehämmert wurde und das Lachen der Gäste empfingen ihn. Yoji zog seine Jacke aus, die sich von dem Nieselregen ganz klamm anfühlte. Die hübsche Mitarbeiterin mit den langen, blonden Haaren hinter der Theke winkte ihm strahlend zu.

    »Hallo Yoji-kun. Schön, dass du früher da bist, kann ich dann schon gehen? Ich bin noch verabredet und dann kann ich vorher noch einkaufen«, sprudelte sie hervor und legte bittend den Kopf schief. Yoji erwiderte ihr Lächeln halbherzig.

    »Ja, natürlich. Hab einen schönen Abend, Stella« Er drehte ihr den Rücken zu, während Stella freudestrahlend ihre Schürze auszog. Ihm selber würde niemals einfallen, um einen früheren Feierabend zu bitten, aber Stella war Studentin aus Europa und vermutlich war das dort Gang und Gebe. Während sie sich im Hinterzimmer umzog, übernahm Yoji ihren Platz hinter dem Tresen, warf seine Jacke über einen Stuhl und wischte mit einem Handtuch seine Brillengläser trocken. Doch selbst ohne die Wassertropfen auf den Gläsern merkte Yoji, dass seine Sicht nicht besser wurde und das verschlechterte seine Laune noch mehr. Er würde demnächst wieder zum Arzt müssen.

    Seit er denken konnte, wurden seine Augen immer schlechter. Die Ärzte hatten ihm prophezeit, dass er mit Mitte zwanzig, spätestens mit dreißig Jahren komplett blind sein würde. Wenn er Glück hatte, blieben ihm also noch ungefähr zehn Jahre.

    Stella rief ihm noch einen letzten Gruß zu, den er geistesabwesend erwiderte, dann begann er, den Kaffeeautomaten zu reinigen.

    Seine Schicht war ruhig, worüber Yoji sehr dankbar war. Die wenigen Gäste, die er bediente, ließen ihn größtenteils in Ruhe und so konnte er fünf Stunden später das Geschäft pünktlich abschließen.

    Sein Kopf und seine Augen schmerzten und er sehnte sich nach seinem Bett. Es war dunkel und es regnete immer noch. All das ließ Yojis Laune noch weiter sinken, als er sich in die immer noch volle U-Bahn quetschte.

    Wenigstens dauerte der Rückweg nicht lange und so schloss Yoji nur eine halbe Stunde später erschöpft die Haustür zu der Wohnung auf, in der er mit seiner Mutter lebte.

    »Ich bin Zuhause!«, rief er und trat in das kleine Wohnzimmer. Seine Mutter saß auf einem Stuhl dicht am Fenster und nähte an einem Hemd von Yoji. Sie sah auf, als ihr Sohn neben sie trat und ihr einen Kuss auf den schon ergrauenden Haarschopf drückte.

    »Hallo Yoji« Lächelnd drückte sie seine Hand, die auf ihrer Schulter lag, »Hast du Hunger?«

    »Nein, ich habe bei der Arbeit gegessen. Ich lege mich auch gleich hin« Sanft zog Yoji seine Hand zurück und spürte sofort den forschenden Blick seiner Mutter.

    »Tun deine Augen schon wieder weh?« Die Besorgnis war unüberhörbar und Yoji tat das, was er immer tat, wenn sie ihn so ansah: Er log.

    »Nein, ich bin nur ein wenig müde. Es war eine anstrengende Schicht« Mit diesen Worten zog er sich in sein Zimmer zurück.

    Die Kopfschmerzen hinter seinen Augen waren inzwischen wirklich schlimm und selbst, wenn Yoji die Augen schloss und die wohltuende Dunkelheit sich um ihn legte, blieb der Schmerz.

    Er war daran gewohnt. Seit er sechs Jahre alt war, hatte er Abend für Abend diese Kopfschmerzen. Je schlechter seine Augen wurden, desto schlimmer wurden auch die Schmerzen. Und er wusste genau, dass er nichts dagegen tun konnte.

    Yoji öffnete die Augen wieder. Obwohl vom Wohnzimmer aus ein leichtes Dämmerlicht in sein Zimmer drang, nahm er ohne Brille nur Schatten wahr.

    Großen Unterschied macht es auch nicht mehr, ob ich blind bin oder nicht, schoss es Yoji durch den Kopf und verbittert tastete er nach seiner Brille, um die Schmerztabletten zu sehen, die immer auf seinem Nachttisch lagen. Er nahm zwei davon, legte die Brille wieder daneben und schloss die Augen, wartend, dass die Wirkung einsetzte. Langsam wurde der stechende Schmerz dumpf und die Müdigkeit tat ihr Übriges. Yoji spürte, wie der Schlaf ihn langsam in das Reich der Träume gleiten ließ.

    »Emma, Emma! Bleib doch hier!« Es war seine eigene Stimme, die durch den Nebel drang und das schwarzhaarige Mädchen, das vor ihm stand, drehte sich um, die Augen voll mit Tränen und auf den Wangen schwarze Spuren von verlaufener Schminke.

    »Ihr braucht mich doch eh nicht«, schluchzte sie und zerrte an den Armstulpen, die ihre Unterarme verdeckten.

    Um Yoji herum wurden andere Gestalten scharf, ein rothaariges schlankes Mädchen, ein kräftiger blonder Mann und ein schmaler Junge mit schwarzen Haaren und braungebrannter Haut. Sie alle starrten das Mädchen an, das von ihnen entfernt stand, die Arme um den eigenen Oberkörper geschlungen. Ihre Gesichter waren jedoch nicht klar zu erkennen.

    »Du gehörst zu uns. Wir müssen zusammen bleiben«

    Yojis Stimme klang erschöpft, müde und erst jetzt bemerkte der Teil seins Gehirns, der wusste, dass er träumte, dass alle um ihn herum mit Blut befleckt waren. Er fragte sich, ob es ihr eigenes war.

    Das Mädchen entfernte sich weiter, man hörte nur noch ihr Schluchzen und Panik regte sich in Yoji. Er durfte sie nicht verlieren.

    »Emma, nein! Moonglow!«

    Yoji riss die Augen auf und starrte in die Dunkelheit, während sein Herz heftig gegen seine Rippen pochte, als wäre er sehr schnell gerannt. Sein Kopf schmerzte jetzt wieder mehr und er presste die Lippen zusammen, um nicht allzu laut zu atmen. Stocksteif blieb er auf dem Rücken liegen, starrte hinauf zu der dunklen Zimmerdecke, bis sich sein Puls langsam beruhigte und er sich im Bett aufrichten konnte.

    Alles um ihn herum war stockfinster. Langsam tastete

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