Blankenese: boben un ünnen
Von Brigitte Huuss
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Buchvorschau
Blankenese - Brigitte Huuss
Vorneweg
Wenn du von der Blankeneser Bahnhofstraße rechts ab den Hessepark durchquerst und über den Bürgersteig Kiekeberg ins Tal schaust, dann siehst du eingebettet am tiefsten Punkt den Kahlkamp mit seiner kleinen Dorfschule. Sie wurde 1874 für die Kinder der Treppenviertel errichtet:
Als ich 1951 in der kleinen Kahlkampschule eingeschult wurde, kam etwa die Hälfte meiner neuen Mitschüler mit einer Parallelklasse vom Süllberg. Sie wohnten in der Hans-Lange-Straße, Süllbergs Terrasse, Sörensens Weg, Steiler Weg, Rutsch, Krumdal, Krumdals Weg, Am Eiland, Am Hang und dem langen Strandweg. In zumeist kleinen, beengten Fischerhäusern oder Katen. Manche Väter hatte der Krieg auf See verschluckt, Kapitäne, Nautiker, U-Boot-Fahrer, Fischer und andere. Und so war es 1951 ganz und gar nicht einfach für die hinterbliebenen Familien, mit dem Blankeneser Treppenalltag klar zu kommen. Um den Süllberg herum gab es einen einzigen Milchladen in der Hans-Lange-Straße, dem die Eltern meiner Freundin Antje gehörte, etwas weiter oben an der Ecke Eiland gab es eine kleine Bäckerei für das Nötigste, in der wir Schulkinder in der großen Pause die „Knuuste" der Landbrote und die Rinden von Butterkuchen und Streuselkuchen abholen durften. Da drängelte sich dann jeder auf etwa 10 qm Verkaufsraum.
Viele Fischerhäuser und Katen hatten noch Ofenheizung und die Familien mußten weite Wege gehen, um Koks und Briketts zu beschaffen. Manchmal fuhr ein Kohlewagen über die Hauptstraße zum Strandweg, aber der Transport von dort in die eigenen Häuser war beschwerlich genug. Das war dann Sache der kernigen Jungs „vun innern Blanknees", dem Strandadel - mit den legendären Namen Breckwoldt, von Appen Stehr, Schuldt und dem Lotsenclan Schade. Die Mutter einer meiner Mitschüler, die sich viele Jahrzehnte lang mit allerlei Nachforschungen aus den Kirchenbüchern Blankeneses beschäftigt hat, konnte feststellen, dass die von Appens und die Breckwoldts so reichlichen Kindersegen hatten, dass beinahe jeder Dritte so hieß. Aber das war auch schon länger als 200 Jahre her.
Wir wohnten „boben" in Blankenese. Um zur Schule zu kommen, durchquerten meine Freunde und ich jeden Tag den ganzen Hessepark Die große Treppe mit den gefühlt mehr als hundert unregelmäßigen Treppenstufen war mühsam, bis wir endlich am Schuleingang waren. Vor allem im Winter bei Eis und Schnee. Einige Schüler kamen sogar jeden Morgen vom Elbufer unterhalb Baurs Park oder von der Panzerstrasse in die Kahlkampschule. Die durchquerten dann frühmorgens das ganze Parkgelände, am Musenstall vorbei und dann durch die Auguste-Baur-Straße, wo wir uns meistens an der Ecke Tangermann/Bahnhofstraße trafen und gemeinsam zur Schule gingen.
Zwei unserer Mitschüler kamen von Neuenfelde und Cranz, also von der anderen Seite der Elbe. Sie wurden morgens oft mit dem privaten Motorboot gebracht, Wind und Wetter waren egal und dann fuhren sie mittags mit dem HADAG-Dampfer allein wieder zurück.
Die Kahlkampschule wurde zweizügig als reine Volksschule geführt. Sportplatz und Turnhalle gab es nicht, für Sport mussten alle Klassen wieder die vielen Treppen rauf bis zur Sibbertstrasse, wo wir den Sportplatz und die Turnhalle vom BMTV, dem Blankeneser Männer-Turnverein mitbenutzen durften.
Der Pedell in unserer ersten Schulzeit war ein über 60 Jahre alter Verwalter, der nicht nur im Alleingang jeden Tag den Schulhof sauber hielt und überhaupt für Ordnung sorgte, sondern darüber hinaus auch manche Schülerträne trocknete. Er war bei allen Schülern hochangesehen, eine Seele von Mensch und aus der Kahlkampschule dieser Jahre gar nicht wegzudenken. Er wohnte mit seiner Frau direkt nebenan. In dem ursprünglich als Lehrerwohnhaus gebauten kleinen Gebäude hielt er so manchen vergessenen Ranzen, Anorak oder Turnbeutel am Nachmittag bereit.
Dieses Buch habe ich geschrieben als Erinnerung an eine wunderschöne, wenn auch strenge Kinderzeit, diesen Flecken Erde, der für mich ein Gefühl von Heimat hat. Und geschrieben auch für meine ehemaligen Mitschüler, die sich auf ein gemeinsames Wiedersehen freuen. Warum? Das kannst du am Ende des Buches – Achterran - nachlesen.
Butzemann
Ich geh schon mal rüber, sagt mein Stiefvater, wer weiß, ob alle Rollen vollständig da sind. Er hat schon seinen blauen Arbeitsanzug an und steckt sich eine große Brasil für die große Pause in die Brusttasche. Hast du alles, Hans, fragt meine Mutter und weiß schon im voraus, dass er nicht alles hat. Denn der blaue Arbeitsanzug, den er jetzt anhat, kommt gerade frisch aus der Wäsche, also kann er gar nicht alles haben, was er braucht. Es fehlt sein Falzbein, die kleine Dose für die Cutter-Klingen und vor allem das einäugige Vergrößerungsglas, das er sich heute nachmittag zuletzt auf das zugekniffene linke Auge geklemmt hat, um in seinem Russen-Album die Vollständigkeit und Unversehrtheit einer Briefmarkenserie zu kontrollieren. Ja, wo ist sie denn die Lupe, ja wo denn wohl. Er findet sie bei mir in der Spielecke. Ich habe damit die Oblaten angesehen, die mit der Lupe so wunderschön aussehen und durch den Prägedruck eine gewisse Lebendigkeit kriegen, die mich fasziniert. Er grinst mich freundlich an, steckt seine Lupe ein und streichelt noch mal über meinen Kopf, bevor er geht. Um 7 Uhr abends fängt er an, aber es ist noch zwanzig Minuten vor der Zeit. Heute ist ein besonderer Tag, da sind die großen Papierrollen für die Rotationsmaschine gekommen. An einem solchen Tag herrscht drüben in der Druckerei immer große Aufregung. Wo sollen all die großen Rollen hin, man kann sie nicht alle übereinander stapeln. Die ganze Eingangshalle der Druckerei steht voll mit Rollen, die Garagenplätze sind frei gemacht worden, überall nur Rollen. Die 80er sind für das Hamburger Telefonbuch, das mein Stiefvater auf der einen großen Rotationsmaschine druckt und die 100er sind für die Norddeutsche Nachrichten. Die Zeitung muß morgen früh erscheinen.
Unsere Wohnung liegt direkt gegenüber dem Druckerei-Tor, in der Auguste-Baur-Straße, die seit einiger Zeit eine Durchgangsstraße zur Elbchaussee, aber auch gleichzeitig eine Einbahnstraße ist. Unser Haus ist ein sogenannter Klassiker der Jahrhundertwende, also längst vor dem zweiten Weltkrieg gebaut. Unsere beiden Wohnzimmer liegen im Parterre und sind von einer schönen, aber immer quietschenden Schiebetür voneinander trennbar. Vom Kaminzimmer führt eine große Glastür auf die vorgebaute Veranda, die nach allen Seiten mit Glasscheiben versehen ist und den besten Platz für Beobachtungen auf die Straße, die Druckerei und auch in den offenen Himmel freigibt. Da sitze ich jetzt mit meinem Abendbrot und sehe meinem Stiefvater nach, wie er im Druckereitor verschwindet.
Meine Mutter kommt von unten aus dem Souterrain, wo unsere Küche liegt, mit meiner Brottasche hoch, die sie mir für morgen früh schon fertig gemacht hat. Sie hat schon ihren bunten Arbeitskittel an und hat sich in den Kittelgürtel gerade ein frisches Paar weißer Glacehandschuhe gehängt, die sie für ihre Arbeit in der Buchbinderei drüben dringend braucht und die auch heute wieder schneeweiße Frische atmet. Die Hektik, die sie nun verbreitet, bin ich gewöhnt, denn auch für sie wird es Zeit. Die Uhr ist kurz vor sieben. Mit geübten Griffen hat sie die ausziehbare Couch auf der Veranda in ein kuscheliges Bett verwandelt. Jetzt nimmt sie mich wie jeden Abend, wenn sie Nachtdienst hat, auf die Huckepack, dreht sich ein paarmal im Kreis und dann falle ich wie ein Plumpsack glucksend auf die Bettdecke.
Ein Glas Milch steht frisch auf dem Tisch, nur für den Fall, dass ich nachts aufwache und Durst kriege. Den großen weißen Kachelofen im angrenzenden Zimmer füllt sie noch einmal randvoll mit Koks auf, damit die Wärme durch das Zimmer in die Veranda reicht. In diesem Januar 1949 ist es besonders kalt und frostig, die Fensterscheiben der Veranda haben Eisblumen an den Stellen, wo die darunter liegende Zentralheizung nicht hinkommt.
Dann kommt der letzte Handgriff, für mich der schönste vom ganzen Abend. Auf der gegenüberliegenden Glaswand der Veranda steht ein großes braunes SABA-Radio, ein wunderschönes, lackiertes Riesending mit einer tollen Akustik. Drückt man auf die Taste, dann springt das Radio an und zeigt einen giftgrünen Punkt und eine beleuchtete rote Nadel, mit der man die Senderfrequenz einstellen kann. Nun höre ich ganz leise den NWDR mit irgendeiner Musik und meine Mutter macht ein beruhigtes Gesicht, weil sie weiß, dass ich am liebsten der Musik beim Einschlafen zuhöre. Wenn sie später in der Nacht ab und zu aus dem Druckereitor über die Straße in unsere Wohnung kuckt, dann sieht sie das grüne Licht des SABA-Radios auf der Veranda und weiß, dass das Haus noch steht und alles in Ordnung ist. Ob die kleine Brigitte auch wirklich schläft, das kann sie natürlich nicht sehen. In den Kindergarten gehe ich morgens mit Marlies, meiner Freundin von nebenan. Um halb acht bringt mich meine Mutter, von der Arbeit erschöpft, an die Gartentür. Sie hat die ganze Nacht durchgearbeitet und ist sehr froh, dass Marlies Mutter uns bis zum Blankeneser Bahnhof bringt, wo sie dann in die S-Bahn steigen muss. Von da an gehen wir beide dann allein weiter. Wir Kinder fassen uns an die Hand und gehen das lange Stück vom Sülldorfer Kirchenweg bis in die Caprivistraße zu Fuß, wo der Kindergarten ist. Marlies ist eine Lustige, hat immer gute Laune und immer Hunger. Sie ist ein halbes Jahr jünger als ich und deshalb wird mir immer wieder eingeschärft, dass ich als die Ältere die Verantwortung habe drauf zu achten, dass wir unversehrt im Kindergarten ankommen. In der Winterszeit, wie jetzt, ist das aber gar nicht so einfach, denn es ist um halb acht noch dunkel und die Fußwege sind keineswegs alle gestreut, falls es rutschig ist. Straßenlaternen gibt es auch noch nicht und Autos sind glücklicherweise noch selten bis gar nicht auf den Straßen. Wir erzählen uns Hand in Hand abwechselnd Phantasiegeschichten und plündern bereits die beiden Brottaschen.
Im Gegensatz zu mir geht Marlies sehr gern in den Kindergarten, sie findet es toll, dass man dort viel Platz hat und alles spielen darf, was man will. Sie bastelt gern und kann sehr lange sehr ruhig auf einem der Kinderstühle sitzen, um irgendwelche Männchen aus Knete anzufertigen oder mit der Schere gemusterte Papiertaschentücher zu schneiden. Noch toller findet sie die sogenannten Geduldsspiele, kleine runde Handspiele, die wie Untertassen mit Glasdeckel aussehen. Darin liegen mehrere silberne Kügelchen, die es gilt, in die vorgestanzten Löcher zu balancieren, bis alle ihren Platz gefunden haben. Dann bricht sie in helle Freude aus.
Für mich ist das unnütze Zeitverschwendung und auf solch Spiele habe ich keine Lust. Dann ticke ich sie absichtlich an und ihre zuvor sorgsam geordneten Kugeln fliegen zu meiner Schadenfreude wieder durcheinander und sie muss alles noch mal machen. Ihre dicken Tränen kullern dann auf den Spieltisch und sie schreit mich an, daß ich eine blöde Kuh und eine Spielverderberin bin. Die anderen Kinder am Spieltisch reißen an meinen Zöpfen und treten mich mit den Füßen und im Nullkommanichts ist eine wilde Rangelei im Gange mit Fäusten und Füßen. Der Spieltisch ist ein einziges Chaos. Tante Hanna, die Kindergärtnerin unserer Gruppe, kommt aus dem Nebenraum angeflitzt und hat große Mühe, die Ordnung wieder herzustellen und dem Störenfried Brigitte eine Strafe aufzubrummen: eine viertel Stunde in der Ecke stehen mit dem Kopf an der Wand. Das ist ungerecht, brülle ich aus voller Kehle, das hab ich ja nicht mit Absicht getan, das ist mir eben so passiert, einfach so, kann ich doch nichts dafür. Außerdem hat mich Joachim geschubst und da bin ich an Marlies Schulter gefallen, kann ich doch nichts dafür.
Nützt mir aber nichts. Tante Hanna kennt ihre Pappenheimer ganz genau. Und Lügen, sagt sie ganz schroff, haben kurze Beine, und wer lügt und auch noch dazu feige ist, kommt ganz gewiss in die Hölle.