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Heimat ist das, wovon die anderen reden: Kindheitserinnerungen einer Vertriebenen der zweiten Generation
Heimat ist das, wovon die anderen reden: Kindheitserinnerungen einer Vertriebenen der zweiten Generation
Heimat ist das, wovon die anderen reden: Kindheitserinnerungen einer Vertriebenen der zweiten Generation
eBook209 Seiten2 Stunden

Heimat ist das, wovon die anderen reden: Kindheitserinnerungen einer Vertriebenen der zweiten Generation

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Über dieses E-Book

Eine Geschichte von Flucht und Vertreibung - und von den Schwierigkeiten der Integration.

1949 bezogen zwanzig donauschwäbische Familien aus dem Dorf Brestowatz in der Batschka im heutigen Serbien eine Barackensiedlung im hessischen Obersuhl. Die Familien waren 1944 vor der heranrückenden Sowjetarmee geflohen und fanden hier eine vorläufige Bleibe. Obwohl sie sich selbst als Deutsche verstanden, kamen sie nach Deutschland in die Fremde. Abgeschottet von ihrer Umgebung ließen sie ihre mitgebrachte Lebensweise wieder aufleben.
In dieser Brestowatzer Welt in Obersuhl wuchs Rosemarie Bovier von ihrem 3. bis zu ihrem 12. Lebensjahr auf. Im Spannungsfeld zwischen der Heimat der Familie (derhom) und dem neuen Zuhause (dohaus), zwischen den Erzählungen der Bewohner und den Erfahrungen außerhalb der Siedlung erzählt die Autorin ihre Geschichte der Integration.
Sie berichtet von einer Heimat, die sie selbst nur aus zweiter Hand kennenlernt, und von einer verdrängten Wahrheit: Nach und nach wird sichtbar, dass die enge Verstrickung vieler Brestowatzer mit dem NS-Regime und die Täterschaft des eigenen Vaters als SS-Mann in dieser erzählten Heimat unterschlagen wurden.
SpracheDeutsch
HerausgeberWallstein Verlag
Erscheinungsdatum1. Sept. 2014
ISBN9783835326507
Heimat ist das, wovon die anderen reden: Kindheitserinnerungen einer Vertriebenen der zweiten Generation
Autor

Rosemarie Bovier

Rosemarie Bovier wurde 1947 in Obersuhl (Nordhessen) als Kind deutschstämmiger Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien geboren. In einem Barackenlager mit überwiegend donauschwäbischen Flüchtlingen wuchs sie als Kind zweier Welten im Spannungsfeld zwischen der erzählten Heimat der Lagerbewohner und ihrer konkreten Erfahrungswelt auf. Nach dem Studium der Germanistik und Geografie in Frankfurt am Main Unterrichtstätigkeit an verschiedenen Gymnasien. Daneben war sie Fachberaterin für Deutsch bei der Bezirksregierung in Braunschweig. Ihre Kindheitserinnerungen sind 2014 unter dem Titel „Heimat ist das, wovon die anderen reden“ erschienen.

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    Buchvorschau

    Heimat ist das, wovon die anderen reden - Rosemarie Bovier

    Impressum

    Erste Bilder

    Es ist ein kalter Novembertag 1949. Da setzen die Bilder ein, zuerst nur weit verstreute Inseln der Erinnerung, die später dichter und dichter werden sollen.

    Ich stehe mit meiner Mutter in Obersuhl an der Hauptstraße, die das Dorf von West nach Ost durchzieht und von der ich noch so wenig gesehen habe. Wir warten auf einen Wagen mit Pferden davor. Hinter uns ist ein großer Schaukasten aufgebaut, in dem bunte Plakate Filme ankündigen, vor uns stehen Stühle, die die Breitbardin, der das Kino gehört, uns geborgt hat, damit wir etwas haben, was wir in die große Wohnung stellen können, die wir jetzt auf dem Lager kriegen. Später, viel später, ich kann einen Stuhl dann schon alleine tragen, werden wir sie zurückbringen. Dann können wir uns endlich selber Stühle kaufen.

    Beim Warten wird mir kalt. Ich trippele von einem Fuß auf den anderen. Ob es der Versuch war, die Füße, die in Sommerschuhen stecken, ein bisschen zu wärmen, oder die Aufregung, kann ich heute nicht mehr entscheiden. Vielleicht war es beides.

    Ich erahne mehr, als dass ich es verstehe, dass etwas Einschneidendes in unserem Leben geschieht. Wir werden nie mehr zu Lehmanns auf den Dachboden nach Hause gehen.

    Lehmanns, das sind: der alte Lehmann, unser Hausherr, der eine Baufirma hat und die Wohnung im ersten Stock direkt unter uns alleine bewohnt, ein polternder, oft angetrunkener Mensch, der über die aufgezwungenen Bewohner des Dachbodens murrt, und wenn die Kinderfüße über ihm trippeln, brüllt er. Im Erdgeschoss wohnen seine geschiedene Frau, der Sohn mit seiner Frau und den beiden Töchtern, etwa im Alter meiner Brüder. Zwei streiten immer, entweder der alte und der junge Lehmann wegen der Firma oder der alte Lehmann und die alte Frau Lehmann, sobald sie aufeinander treffen. Zwischen dem alten Lehmann und den Bewohnern unter dem Dach gibt es keinen Streit, er braucht nur »Ruhe da oben!« zu brüllen, und die eingeschüchterten Mitbewohner verstummen und vermeiden jedes Geräusch. Das herumhüpfende Kind wird mit einem gereizten »Pscht, der Hausherr schimpft« zum Stillsitzen gebracht.

    Das Warten wird langweilig. Mein ständig wiederkehrendes »Wann kommen sie denn?« wird genauso oft mit einem ungeduldigen »Gleich!« meiner Mutter erwidert. Auf der Straße ist nichts los, nur ein dreirädriger Pritschenwagen kommt vorbei und biegt nebenan in die Kohlenhandlung ein. Bei dem schaurigen Wetter sind auch kaum Fußgänger unterwegs. Meiner Mutter ist das recht, die Obersuhler brauchen nicht zu sehen, wie arm wir sind.

    Sechsundvierzig, erzählt meine Mutter später, sind wir nach Deutschland gekommen, nach Nordhessen, erst waren wir drei Wochen lang in Iba im Durchgangslager, von da haben sie uns nach Obersuhl gebracht. Das war im September. Die Obersuhler wollten die Flüchtlinge nicht haben, aber sie konnten ja nichts machen. Uns haben sie bei Lehmanns einquartiert! Aber das war doch keine Wohnung! Zwei Zimmer direkt unterm Dach, eins davon war eine alte Wurstkammer, das andere ein langer Schlauch mit ’nem alten Eisenbett und ’nem Schrank von Lehmanns und unsren paar Kisten, die wir aus den Flüchtlingslagern in Österreich mitgebracht hatten. Der erste Abend, das war furchtbar! Wir saßen da auf unseren Kisten bei Kartoffeln, die wir noch in Iba von den Feldern gestohlen hatten. Sonst hätten wir eh nix zu essen gehabt. Wir schliefen auf dem Fußboden. Am zweiten Tag hat uns der junge Herr Lehmann einen Tisch und Stühle gebracht und am nächsten Tag noch ein Bett vom Boden. Man hat ja nichts gehabt außer ’nem alten Herd aus Österreich und ein paar Lagerdecken, die waren wie Rossdecken. Und der Winter 47, der war doch so eiskalt. Wenn dein Vater nicht im November bei der Bahn hätt’ anfangen können, wären wir erfroren. Aber so hat er Schichtdienst gehabt, und bei der Nachtschicht hat er dann von den Kohlen, mit denen sie die Loks geheizt haben, immer eine Tasche voll mitgebracht. So konnten wir wenigstens ein Zimmer heizen. Das ging ja schon! Aber nachts unter den Lagerdecken haben wir gefroren wie nur was, ich hab geheult: Wir kriegen unser Leben lang keine Duchede, keine Federbetten, mehr.

    Ein Pferdegespann taucht in der Kurve auf.

    »Sind sie das?« Sie sind es! Endlich wird er wahr, der heiß ersehnte Umzug ins Lager, in eine richtige Wohnung, wenn auch nur in einer Baracke. Ein Gefühl der Befreiung stellt sich ein, man ist wieder sein eigener Herr. Es gibt keinen Hausherrn mehr, der einem vorschreiben kann, was man zu machen hat. Und wenn eine Rückkehr nach Brestowatz in der Batschka, wo man Herr in seinem eigenen Haus gewesen ist, schon nicht möglich ist, dann wird einem da oben auf dem Lager wenigstens keiner mehr reinreden, und man wird wieder unter sich sein.

    Neben dem Kutscher auf dem Leiterwagen erkenne ich meinen Vater. Auf der schmalen Ladefläche hinter ihm ist unser ganzer Besitz aufgetürmt: das Ami-Feldbett, ein mit grünem Zeltstoff bezogenes Faltbett, das noch von den Amerikanern aus einem Flüchtlingslager in Österreich stammt, ein eisernes Bettgestell mit einem Strohsack, ein Hocker mit einem dreibeinigen Eisengestell, ein Kochherd, der auch noch aus Österreich stammt, und ein kleiner, weiß lackierter Küchenschrank mit jeweils zwei Türen im oberen und unteren Teil. Das sind die Stücke, die in meiner Erinnerung bleiben, wahrscheinlich, weil sie mich noch viele, viele Jahre meines Lebens begleitet haben, bis sie nach und nach durch neue ersetzt wurden. Am längsten wird der Küchenschrank erhalten bleiben, er wird den Umzug nach Bebra ins Eisenbahnerhaus miterleben und dort in der Küche stehen, er wird mitziehen ins eigene Haus, wo er als Vorratsschrank im Heizungskeller stehen wird. Es wird seine letzte Station sein.

    Sechsundvierzig, da müssen sie allerdings noch lange auf warme Federbetten und so manches andere warten. Dafür kriegen sie mich, nach einem Jahr bei Lehmanns in der Wurstkammer unter dem Dach. Und das, so meine Mutter, wo man nichts gehabt hat. Man war froh, wenn was zu essen auf dem Tisch war. Sie hat geheult, wo sollte man denn was herkriegen für ein kleines Kind. Und dann die Leute, was werden die sagen: Nix zu essen, aber noch ein Kind, als wären zwei Kinder nicht genug, und in dem Alter!

    Nein, sie wollte 1947 kein Kind. Die materielle Not, die ungewisse Zukunft ließen in ihren Augen kein drittes Kind zu. Dazu kam die Scham, in ihrem Alter, mit zweiunddreißig Jahren, noch ein Kind zu kriegen, die Scham auch vor den eigenen Söhnen, vor allem dem älteren, der mit fast fünfzehn Jahren doch schon etwas verstand, wie sie glaubte. Derhōm, so sagt sie mir später, hat man doch keine Kinder mehr gekriegt, wenn man mal über dreißig war.

    Ich werde zusammen mit den Stühlen auf dem Wagen verstaut, mitten zwischen unseren wenigen Habseligkeiten. Für meine Mutter ist kein Platz mehr. Sie muss zu Fuß gehen. »Ist ja nicht weit«, sagt sie. Die erste Fahrt meines Lebens beginnt. Ich erlebe, dass ich fahre und die anderen laufen müssen; ich spüre, dass Fahren ein Privileg ist. Stolz sitze ich auf dem Wagen, und das Gefühl stellt sich ein, dass alle anderen neidisch auf unser Fuhrwerk blicken. So werde ich noch lange auf die Kinder gucken, die in einem Auto fahren dürfen.

    Die Fahrt mit dem Fuhrwerk scheint kein Ende zu nehmen. Das Pferd zieht den Wagen über eine gepflasterte Straße durch das Dorf, dann unter der Bahnlinie hindurch, am Friedhof vorbei. Hinter der Bahnlinie stehen keine Häuser mehr, hier ist das Dorf zu Ende. Die gepflasterte Straße biegt zum Friedhof ab. Wir nehmen den Fahrweg, der geradeaus weiterführt auf einen kleinen Berg hinauf. Der Weg ist holperig und die Räder unseres Wagens zeichnen parallele Spuren in die aufgeweichte Oberfläche.

    Ein paar Jahre später, auf dem Rückweg aus der Schule, wird der Bäcker hier gelegentlich mit seinem Auto anhalten, in dem er an jedem Wochentag das Brot auf das Lager bringt, und mich das letzte Stück des Weges mitnehmen. Dieser Bäcker hat ein Herz für die Flüchtlinge, höre ich die Erwachsenen sagen. Für sie backt er das Mischbrot besonders hell, fast so hell wie derhōm, daheim in Brestowatz, aber das richtige Brot, das nur aus Weizenmehl gebacken wird, das kommt dōhaus, hier in Deutschland, zu teuer. Da braucht man zu viel, bis man satt ist. Schon vor der Währungsreform hat ihr Bäcker den Flüchtlingen auch ohne Karten hin und wieder ein Brot gegeben. Bei den anderen Bäckern im Dorf war da nichts zu machen, die haben nur den Obersuhlern Brot gegeben. Ja, jetzt würden die schon gern an die Flüchtlinge verkaufen. Aber da werden sie lange drauf warten, dass die Flüchtlinge ihr Geld zu denen bringen! Die sollen nur weiter ihr Brot an die Obersuhler verkaufen.

    Schließlich biegt das Fuhrwerk scharf nach rechts ab. Wir sind da, auf dem Lager, unserem neuen Zuhause. Da bleiben wir jetzt! Und wir gehen nie mehr zurück zu Lehmanns.

    Auf der Wache 27

    Fast zehn Jahre lang soll das Lager unser Zuhause bleiben. Es wird meinen Begriff von Lager prägen. Wann immer auf dem Lager von einem Lager die Rede sein wird, und es wird besonders in den ersten Jahren oft davon die Rede sein, vom Lager in Gakovo, vom Lager in Puch, vom Lager in Saalfelden, vom Lager in Iba, vom Lager in Russland, entsteht als Vorstellung in meinem Kopf die Projektion des Obersuhler Lagers. Dass es Lager gibt, in denen es einem schlecht geht, wie in Gakovo, und solche, in denen es einem gut geht, wie in Obersuhl, lerne ich früh. Von Konzentrationslagern höre ich auf dem Lager nichts, nichts von Sachsenhausen, nichts von Buchenwald. Das Konzentrationslager in Dachau wird das erste sein, von dem ich erfahre, aber das erst viel später und nicht von den Obersuhler Lagerbewohnern.

    ’S Lager! So nennen es die Flüchtlinge, um es vom Dorf abzuheben. Das Lager, so nennen es die Obersuhler, um sich von dessen Bewohnern abzugrenzen. Von unten aus dem Dorf auf das Lager ziehen die Flüchtlinge, auf dem Lager, nicht im Lager, wie in Puch und Saalfelden, wollen sie fortan hier oben leben.

    Das Lager liegt auf einer kleinen Verflachung am Nordhang des Obersuhler Beckens. Der alte Flurname »Auf der Wache« legt den Gedanken nahe, dass hier einst Wachposten ihren Dienst versahen. Und in der Tat, diese kleine Anhöhe oberhalb des Gerstungen-Obersuhler Beckens, die schon die Menschen der Bronze- und Eisenzeit als Siedlungs- und Begräbnisplatz zu schätzen wussten, stellt einen idealen Ort für Wachposten dar. Die erhöhte Lage über dem Dorf, auch wenn es nur rund dreißig Meter sind, ermöglicht einen weiten Blick über das Becken, über die alten Verkehrswege und über die Werra. Nur wenige hundert Meter weiter östlich verläuft die Landesgrenze zwischen Hessen und Thüringen.

    Die Zeiten, in denen hier möglicherweise Posten die Verkehrswege und die umkämpfte Landesgrenze überwacht haben, gehören der Geschichte an und sind längst in Vergessenheit geraten. Der überlieferte Flurname lebt in der offiziellen Adresse des Lagers weiter. Schon früh wird mir beigebracht, wenn mich jemand fragt, wo ich wohne, so muss ich sagen: »Auf der Wache 27«. Ich präge es mir ein, verstehe nicht, warum ich das sagen muss, obwohl doch alle nur vom Lager reden, auf dem wir wohnen.

    Ein kleines Wäldchen, das sich südlich an das Lager anschließt, verhindert heute den freien Blick auf das Dorf, schirmt aber auch die Holzbaracken, die »Auf der Wache« errichtet worden sind, vor den Blicken der Dorfbewohner ab.

    Ab wann wohl mag es ratsam erschienen sein, das Lager zu verbergen? 1936/1937, als die Baracken errichtet worden sind, wohl noch nicht. Da konnten sie sich sehen lassen, zeigten sie doch, dass es mit Deutschland wieder aufwärts ging! Hier, beim Bau der Reichsautobahn, sah man, wie der »Führer« die Arbeitslosen von der Straße holte. Und wenn auf den Fahrbahnen erst die Autos aus dem Westen nach Berlin rollen würden, dann konnten auch die Obersuhler daran verdienen! Nein, die Behelfsunterkünfte nahe der Autobahn, in der die Hilfstruppen des Reichsarbeitsdienstes untergebracht waren, mussten nicht versteckt werden. Waren es doch Boten besserer Zeiten, und wenn diese Zeiten dann da sein würden, konnten die einfachen Baracken wieder abgerissen werden.

    Sie brauchten aber nicht abgerissen zu werden. Der »Führer« sorgte dafür, dass bald neue Lagerinsassen nachgeliefert wurden. Keine Zeugen des wirtschaftlichen Aufschwungs mehr: Je länger die Militärkolonnen nach Osten rollten, desto mehr Kriegsgefangene wurden aus dem Osten ins Reich gebracht. Die ehemaligen Unterkünfte des Arbeitsdienstes füllten sich mit Zwangsarbeitern, wurden zum Gefangenenlager, dessen Insassen bei Bauern auf den Feldern der Umgebung arbeiten mussten. Mit den neuen Bewohnern zogen erneut Posten »Auf der Wache« ein. Viele Änderungen waren nicht erforderlich. Die nach allen Seiten hin geschlossene Anlage ließ sich leicht überwachen, die erhöhte Lage über dem Dorf schied es von den Dorfbewohnern ab. Ist das Wäldchen zwischen dem Dorf und dem Lager in dieser Zeit entstanden?

    Im Jahr 1945, nach dem Abzug der Kriegsgefangenen, standen die Baracken wieder nur für kurze Zeit leer. Zum Abriss, zumal in den Zeiten der wirtschaftlichen Not nach Kriegsende, waren sie allemal noch zu schade. Die Gemeinde Obersuhl nahm sich ihrer an, ließ sie renovieren und richtete ein Altersheim darin ein.

    Das Ende des Zweiten Weltkrieges sorgte nicht nur dafür, dass Obersuhl seine unfreiwilligen Arbeitskräfte verlor, sondern führte dem Dorf auch Hunderte von Menschen zu, die ihre östlichen Heimatländer hatten verlassen müssen, auch sie kamen unfreiwillig. Flüchtlinge aus Schlesien, dem Sudetenland oder Ostpreußen trafen ein. Obersuhl hatte auf einmal über tausend Einwohner mehr als 1939. Im Herbst 1946 trafen noch einmal rund dreihundert Flüchtlinge ein, die aus Südosteuropa kamen und die nicht protestantisch waren wie die Obersuhler Bevölkerung und die meisten der anderen Flüchtlinge, die schon einige Monate früher in den Häusern des Dorfes einquartiert worden waren. Was sollten die Obersuhler mit den Katholiken anfangen? Die wenigen ortsansässigen katholischen Familien wie die des Apothekers oder die des Försters waren nach Gerstungen in Thüringen zur Messe gefahren. Aber da waren jetzt die Russen. Da konnten sie die Flüchtlinge nicht hinschicken.

    Die Donauschwaben blieben hartnäckig. Etwa vierzig Familien, darunter meine Eltern mit meinen Brüdern, stammten aus dem gleichen Dorf, Brestowatz in der Batschka, das nach wechselnder Staatszugehörigkeit heute zu Serbien gehört. Im Oktober 1944 hatten sie zusammen mit über zweitausend anderen deutschstämmigen Bewohnern ihr Dorf in der Batschka verlassen, um sich vor den herannahenden Truppen

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