Binas Kurzgeschichten
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Buchvorschau
Binas Kurzgeschichten - Sabina Ritterbach
Widmung
Für die Kinder
Advent
Kirchpoint – der Name sagt doch alles. In Kirchpoint Nr. 7 wohnten wir. Es gab nur sieben Häuser. Sechs kleine Katen, nur unser Haus war aus Stein gebaut und hatte eine Etage aufzuweisen. Unser Haus war es eigentlich nicht mehr, denn das österreichische Opfervolk hatte uns als Deutsche enteignet.
Im Steinhaus wohnten Grünauers und Jungbauers. An das Wohnhaus angebaut war eine kleine so genannte Halle. Unten in der Halle war unser eigenes Elektrizitätswerk. Da waren die großen Räder und der rotierende breite Ledergurt, der die Lichtmaschine antrieb. Das machte ziemlichen Lärm. Aber der Lärm war gut, denn solange dieser anhielt, hatten wir Licht. Außerdem waren da noch die Vorrichtungen für die Wehre. An der Außenmauer der Halle war das große Schaufelrad.
War es im Winter lange Zeit sehr kalt, fror das Rad ein. Zwischen den Schaufeln hingen dann lange Eiszapfen. Auch die Wehre ließen sich nicht mehr bewegen. Dann kam die Petroleumlampe zum Einsatz. So war es auch im Frühling nach der Schneeschmelze, wenn die Bäche anschwollen und reißend über die Ufer traten. Dann blieben die Wehre hochgezogen, und das Wasser lief in die Halle. Wir waren gefangen. Denn über der Halle auf dem Dachboden wohnten wir, in zwei ausgebauten Zimmern. Sieben Kinder, die Eltern und die Tante.
In der Wohnküche standen der Herd, ein Spind, der große Tisch und ein Notbett. Alle Kinder und die Tante schliefen im zweiten Zimmer. Ach, ich vergaß den kleinen Kloeimer neben dem Spind. Zum Plumpsklo im Steinhaus war es ein weiter Weg. Erst überquerte man den Dachboden, dann ging’s die steile Treppe hinunter durch die Halle und die Waschküche, ein paar Stufen hoch – dann hatte man es geschafft oder auch nicht. Des Nachts wurde über dem Treppenaufgang eine Falltür hinuntergelassen. Da war der Weg für alle gesperrt.
Wir waren vor Jahren aus Oberschlesien geflüchtet. Ich glaube, wir hatten dort in guten Verhältnissen gelebt. Schau ich mir meine Kinderfotos von damals an, war es wohl recht üblich, in dieser kalten Region einen Pelzmantel zu tragen. Mit meinen fünf Jahren trage ich einen Pelzmantel, Muff und eine Fuchsmütze. Meine Schwester im Kinderwagen hat auch etwas Pelziges an. Und die Mäntel der Jungen waren pelzgefüttert.
Die Erinnerung an diese Zeit war uns Kindern aus dem Gedächtnis entschwunden. Wir lebten in einer Gegenwart, in der man nie genug zum Heizen und zum Essen hatte. Doch kann ich nicht sagen, dass wir unzufrieden gewesen wären.
Es war Advent, und Opa hatte Geburtstag. Er wurde 90 Jahre alt. Wir lernten Gedichte und Lieder und waren voller Erwartungen.
Opa wohnte in Freilassing, fünfzig Meter neben dem Grenzschlagbaum, am Ufer der Salzach. Der Besuch musste vorbereitet werden. Es gab Papierkram, Pässe, Formulare. Mama musste öfter zum Bürgermeister. Wie waren wir aufgeregt, als wir eines Tages sehr früh am Morgen geweckt wurden. Unsere besten Anziehsachen lagen in sorgfältig geschichteten Häufchen neben dem Herd. Die Kleinen wurden von der Tante angezogen und zwischendurch aßen wir unsere Haferflocken in wilder Hast. Fast waren wir fertig. Ich stopfte gerade meine Schuhe mit Zeitungspapier aus, als Mama die Küche betrat. Sie war nicht mehr unsere Mama, sie war eine Erscheinung.
Sie hatte einen Nerzmantel an und auf den frisch aufgedrehten Locken trug sie eine runde Lederkappe. Eine Welle der Erinnerung überschwemmte mich. Dieses Käppchen aus verschiedenfarbigem Leder erkannte ich sofort. Das hatte ich schon vor langer Zeit zu Hause so geliebt. An Mamas Fingern glänzten Ringe, aus ihrem Ärmel schimmerte ein Armband und an ihren Ohren baumelten lange Perlenohrringe. Die Lippen waren rot gemalt. – Neben dem Kloeimer stand eine Prinzessin.
Ich fand nicht in meine Schuhe, doch da beugte sie sich zu mir hinunter. Sie roch ganz phantastisch. Sie wickelte geschickt das Zeitungspapier um meine Füße und band mir die Schuhe zu. Es konnte losgehen. Natürlich konnten wir mit dieser Prinzessin nicht durch den Kirchpoint und schon gar nicht durch das Dorf gehen. Wir liefen am Bachufer entlang und dann übers Feld bis zum Bahndamm. Die Prinzessin trug ihr jüngstes Kind im Arm und ging weit ausschreitend von Bahnschwelle zu Bahnschwelle. Ihr klägliches Gefolge stolperte kurzbeinig über den Schotter. Tante bildete, mit zwei Kleinen an der Hand, die Nachhut.
Im Zugabteil war es warm. Die vierzig Kilometer nach Salzburg kamen mir endlos vor. Der Tag war kalt und klar und Salzburg strahlte im vorweihnachtlichen Festschmuck. Wir waren verzaubert von all den Herrlichkeiten, die in den Auslagen angeboten wurden. Unser Tross zog über den lichtergeschmückten Weihnachtsmarkt. Etwas Schöneres konnte es einfach nicht geben. In der Mitte des Marktes wurden Christbäume, Gestecke und Adventskränze angeboten. Es gab sogar Adventskränze in den Ausmaßen von Richtkränzen, andere mit Bögen überspannt und mit Bändern umwunden.
Vor einem großen, besonders üppig geschmückten Exemplar stand ein Händler. Und er sprach meine Mutter an. „Gnäd´g Frau, wie wär’s denn mit dieser wunderschönen Adventskrone? Für den Salon!" Das Wort Salon musste Mama mir erklären.
Wir näherten uns dem Grenzfluss, der Salzach, und Opa stand mit unserem Papa vor der Baracke. Sie winkten uns. Aber erst einmal mussten die Formalitäten erledigt werden. Dann aber wurde gefeiert mit Liedern und den Gedichten und dem ersehnten Streuselkuchen. Irgendwann hieß es Abschied nehmen. Der Papa musste wieder nach St. Johann zur Arbeit. Wir standen wieder auf der anderen Seite des Grenzflusses und winkten dem Opa und der Tante Hilde zu, die vor der Baracke standen. Sie winkten zurück, bis sie uns nicht mehr sehen konnten.
Es war schon lange dunkel, als wir in Vöcklamarkt ankamen, und weil es so dunkel war, brauchten wir keinen Umweg über den Bahndamm zu machen. Wir stapften durch den Schnee zum Kirchpoint. Es war sehr kalt. Im Schlafzimmer glitzerten die Wände weiß vom Frost. „Schnell, schnell, ab in die Betten! wurden wir angetrieben. „Ich bin gleich da,
rief die Mama, „und dann mach ich sofort Feuer."
In der Mitte des Schlafzimmers stand ein kleiner Bullerofen. Die Ofenrohre wurden, der Wärmegewinnung wegen, durch das ganze Zimmer geleitet. Sie hingen an Drahtschlingen von den Dachbalken. Die Prinzessin war verschwunden. Aschenputtel kniete vor dem Ofen und schürte das Feuer. Ich lag zusammengerollt oben im Doppelbett. Da hatte ich die beste Übersicht. Irgendwie hatten sich die Ofenrohre verschoben. Durch die Ritzen qualmte es fürchterlich. In kurzer Zeit war das Zimmer gänzlich verräuchert. Alle husteten. Mama holte einen Schemel und versuchte verzweifelt, die Rohre ineinander zuschieben. Hörte es auf der einen Seite auf zu qualmen, fing es auf der anderen Seite umso heftiger an.
Die Mama stand mit über den Kopf gereckten Armen auf dem Schemel und ächzte leise vor Anstrengung. Die Haltedrähte schwangen hin und her, und sie wusste einfach nicht, wie es weitergehen sollte.
„Gnäd´g Frau, wie wär’s mit einer wunderschönen Adventskrone für den Salon?" sagte ich. Den Bruchteil einer Sekunde hatte sich die Gnäd´g Frau auf dem Schemel noch in der Gewalt, dann fing sie