Samis Welt: Aus dem Leben eines lernfähigen Hundes
Von Angelika Hein
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Über dieses E-Book
die ihm anfangs fremd ist und die er versucht
zu verstehen. Eine Annäherung von Mensch und Hund im Familienalltag einer Münchner Vorstadt.
Angelika Hein
Angelika Hein ist Architektin und lebt in München in der Vorstadt. Sie liebt Hunde über alles, ist ein Film-und Fernsehjunkie, spielt leidenschaftlich Tennis und tritt als Sängerin mit ihrer Jazz-Band auf. Lesen und Schreiben gehört zu ihrem Le- ben. Bislang hat sie Short Storys verfasst, im Sinne von Less is More. Ihre Schreibfreundinnen haben sie inspiriert, daraus ein More is More zu machen.
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Buchvorschau
Samis Welt - Angelika Hein
KAPITEL 1
Frühjahr 2020
Schon wieder raus! Ich war doch erst Joggen mit Chris, heute morgen fast zwei Stunden, und jetzt kommt auch noch Eva mit den Kindern.
„Sami, auf geht’s, frische Luft!" Ich brauche keine frische Luft, ich will einfach meine Ruhe, endlich mal wieder ausschlafen, meinen Körper schonen, leckeres Essen. Und dieser Name: Sami! So habe ich mir mein neues Leben nicht vorgestellt. Nur weil ich in Griechenland in einem Dorf auf der Insel Samos aufgewachsen bin, soll mich meine Vergangenheit mit diesem seltsamen Namen bis ans Ende meines Lebens verfolgen?
Okay, es war nicht einfach, damals auf der Straße zu leben. Mama hatte mich die ersten Wochen gut versorgt, aber plötzlich war sie weg, auch meine Geschwister. Und Papa hab ich nie kennengelernt. Aber da gab es Pepe, Rina und all die anderen in unserer Gang, die mir zeigten, wie man überlebt. Ich lernte zu betteln, zu klauen und vor allem schnell abzuhauen, wenn’s brenzlig wurde.
Schön waren die Monate, wenn die Fremden kamen. Das Dorf war voller Menschen, die Mülleimer quollen über, es gab immer was zu essen und warme Plätzchen zum Schlafen. Mein Lieblingsplatz aber war am Brunnen vor dem El Greco, der Dorfkneipe. Lucia, die Kellnerin, hatte einen Narren an mir gefressen. Sie steckte mir heimlich Essensreste zu und oft knuddelte sie mich auch. „Du bist so ein Süßer", sagte sie dann in der mir vertrauten Sprache – Worte, deren Bedeutung ich nur ahnte und fühlte. Diese Wärme tat so gut. Es erinnerte mich an Mama und dann hatte ich plötzlich diese Sehnsucht. Aber ich unterdrückte sie ganz schnell wieder, denn ich war jetzt ja schon fast erwachsen. Gefühle hatten keinen Platz in unserer Welt, das wusste ich. Es ging ums Überleben. Viele meiner Kumpels verschwanden über den Winter und ich erfuhr nie, wohin.
Der Winter ging vorbei – auch Pepe war verschwunden – und es kamen, wie jedes Jahr im Frühling, die ersten Fremden. Ich saß am Brunnen, etwas abseits vom El Greco, und genoss die ersten Sonnenstrahlen. Lucia stellte die Tische und Stühle nach draußen und gegen Mittag, als die Sonne am höchsten stand, war das Lokal voll mit Gästen.
Ich beobachtete Lucia von Weitem und wartete sehnsüchtig darauf, dass sie mich rief, mich kraulte und mich an sich drückte. Aber man will ja nicht aufdringlich sein.
„Du bist ja ein Süßer, hörte ich plötzlich in einer mir fremden Sprache – Worte, die ich nur ahnte und fühlte. Ein kleines blondes Mädchen kam auf mich zu und umarmte mich. Sie roch seltsam, anders als Lucia und nicht nach Fisch, Fleisch oder Essensresten. Aber es war nicht unangenehm. „Mama, Papa schaut mal.
Was dann geschah, weiß ich nicht mehr so genau. Da waren dieser Mann und diese Frau und das kleine blonde Mädchen, die lange und aufgeregt in der mir fremden Sprache aufeinander einredeten. Ich sah Lucias Lächeln. Sie kam auf mich zu, streichelte mir über den Kopf. „Alles wird gut", flüsterte sie. Und ich verließ mich auf sie.
Der Mann nahm mich auf den Arm, wir fuhren in einem Auto – die kannte ich bisher nur von außen, als stinkende, gefährliche und rücksichtslose Blechkisten – zu einem anderen Mann in einem weißen Kittel, der mit einem komischen Schlauch im Ohr an meinem Bauch herumfummelte, mich dann auf den Rücken legte, glitschiges Zeug auf mich schmierte, meinen Mund und die Zähne inspizierte und mich zuletzt in den Hintern pikste.
Er sagte so was wie „Alles okay" und als ich dann endlich was zu essen und zu trinken bekam, war auch für mich alles okay. Nur diese Box beunruhigte mich. Gitterstäbe? Sollte ich etwa auf diese perfiden Hundefänger hereingefallen sein, vor denen mich Pepe immer gewarnt hatte? Aber als ich dann auf dem weichen Kissen lag, Lucias Lächeln sah – oder war es das Lächeln des blonden Mädchens? –, schlief ich ein.
Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen habe. Ab und an spürte ich ein heftiges Rütteln in meinem Körper und dann wachte ich auf. „Hallo Sami, hörte ich von Weitem, „wir sind zu Hause.
Sami? Zu Hause? Ich hatte schon was von einem Hundehimmel gehört, als Endstation, wenn alles schiefläuft, sich alle wiedersehen – Mama, Papa – und alles gut ist. Und vielleicht begegnete ich ja Pepe? Aber das hier schien anders. Es war nicht der Hundehimmel, denn ich spürte meine Knochen, meinen Körper und vor allem: Ich hatte Hunger!
Das kleine blonde Mädchen öffnete die Tür der Box. Ich streckte und dehnte mich und dann verschlang ich gierig alle diese leckeren Teilchen, die sie mir reichte. Eigentlich war es unnötig, denn kurze Zeit später kam das Ganze wieder raus.
„Das ist die Aufregung, die Fahrt, der Flug", sagte die Frau und machte das Auto wieder sauber.
Seitdem sind fast vier Wochen vergangen. Ich bin in Deutschland, in München, wie ich mittlerweile weiß. Der Mann heißt Papa oder Chris, die Frau heißt Mama oder Eva, das blonde Mädchen Miri und da gibt es noch Leon, ihren älteren Bruder. Sie sind alle sehr nett zu mir,