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Ein trauriger, aber tanzbarer Gedanke: Zwölf Geschichten über die Liebe und ihre Ungenauigkeiten
Ein trauriger, aber tanzbarer Gedanke: Zwölf Geschichten über die Liebe und ihre Ungenauigkeiten
Ein trauriger, aber tanzbarer Gedanke: Zwölf Geschichten über die Liebe und ihre Ungenauigkeiten
eBook143 Seiten2 Stunden

Ein trauriger, aber tanzbarer Gedanke: Zwölf Geschichten über die Liebe und ihre Ungenauigkeiten

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Über dieses E-Book

In den zwölf Erzählungen geht es um die Ungenauigkeiten der Liebe. Es geht darum, dass Menschen sich nach etwas sehnen, sich verbinden wollen und doch ganz oft nicht zueinander finden. Es geht um Sprachlosigkeit und Missverständnisse zwischen Menschen, die miteinander reden, ohne sich zu verstehen. Es geht um verpasste Chancen, Glück und Mut und ein bisschen Traurigkeit. Es geht einfach um die Liebe in ihren unterschiedlichen Facetten - und ihr Gegenteil.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum6. Okt. 2022
ISBN9783347715318
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    Buchvorschau

    Ein trauriger, aber tanzbarer Gedanke - Jan C. Weilbacher

    Der rote Pyjama

    Es ist ein Samstag wie der in der vergangenen Woche. Das Frühstück verläuft wieder chaotisch. Diese kurze Hoffnung bei Karl, diesmal könnte der Tag mit einem harmonischen Zusammensein starten, verflüchtigt sich schnell. Lasse schmeißt nach wenigen Minuten seine Kakaotasse runter. Er fängt vor Schreck an zu weinen, was seinen Vater daran hindert, mit ihm zu schimpfen. Weswegen auch?! Karl ärgert sich schon direkt nach dem Aufprall der Tasse über sich selbst, weil er seinem Sohn schon wieder keine Plastiktasse gegeben hat.

    Und dann spürt er auch noch den beleidigten Blick seiner pubertierenden Tochter Melina von der Seite. Sie schmollt, weil sie nicht ausschlafen durfte. Sie spricht nicht. Lässt ihren Teller unberührt.

    Nina ist seit einer halben Stunde im Bad. Karl fragt sich, warum seine Frau nicht schon längst am Frühstückstisch sitzt. Er streichelt seinem Sohn über den Kopf und versucht ihn zu beruhigen. Dann holt er Schaufel und Besen, kniet sich auf den Boden, ist halb unterm Tisch und kehrt die Scherben zusammen, die sich in der Küche weit verteilt haben. Es ist mühsam, seine Knie und sein Rücken schmerzen.

    Er hört seine Tochter von oben, die jetzt aufstehen will, weil sie wohl noch mit ihrer Freundin Sophie telefonieren möchte. Ihre Stimme hat etwas Krächzendes und Hysterisches. Eigentlich, denkt er, wäre es das Beste, sie steht auf und geht.

    Karl stößt sich am Tisch den Kopf, als er – mit Schaufel und Handfeger in der Hand – wieder aufstehen will. Es tut kurz weh. Ein kurzes „Ahh! springt aus seinem Mund. „Ich hatte mich eigentlich auf ein Familienfrühstück gefreut, sagt er in Richtung seiner Tochter. „Du kannst doch mal eine halbe Stunde mit uns frühstücken! Wir sehen dich ja kaum."

    „Mama ist doch auch nicht hier. Warum muss ich?"

    „Ja, sie wollte eigentlich schon hier sein. Sie ist immer noch im Bad."

    „Dann kann ich ja noch kurz telefonieren", sagt Melina und steht auf, ohne noch eine Reaktion von ihm abzuwarten.

    Karl will etwas sagen, lässt es aber dann. Er schüttet die Scherben in den Abfalleimer. Noch liegen einige am Boden. Er fegt sie nicht auf, geht mit der Schaufel in der linken Hand zum Bad, hämmert gegen die Tür. „Nina", ruft er laut und bestimmt. Er will, dass sie seinen Ärger wahrnimmt.

    Seine Frau sagt, dass sie gleich komme. Sie sagt es sehr freundlich.

    Als er in die Küche zurückkommt – immer noch die Schaufel in der Hand –, sieht er, wie der 3-jährige Lasse mehrere Wurstscheiben in der Hand hält.

    „Lasse, die Wurst essen wir zusammen mit Brot. Du sollst dir doch nicht einfach so die Scheiben nehmen. Er hält seinem Sohn eine Scheibe Brot vors Gesicht. „Mit Brooot. Lasse lacht.

    Karl stellt den Wurstteller außerhalb der Reichweite seines Sohnes. Dabei belässt er es, nimmt den Handfeger und kniet sich wieder auf den Boden, um weitere Scherben aufzukehren. Er hört, dass hinter ihm seine Frau in die Küche kommt.

    Sie fragt ihn, was er da mache.

    „Scherben aufkehren. Sieht man doch. Lasse hat seine Tasse runtergeschmissen."

    „Warum gibst du Lasse denn nicht einen Plastikbecher?"

    „Hab ich nicht dran gedacht", grummelt er missmutig.

    „Das verstehe ich nicht. Wir geben ihm doch immer Plastikgeschirr."

    „Ich habe nicht dran gedacht." Er schreit beinahe. Karl kommt unter dem Tisch hervor. Seine Frau sieht heute irgendwie anders aus, denkt er. Er fragt sie, was sie so lange im Bad gemacht habe.

    Was man eben so mache im Bad, wenn man auf Hygiene Wert lege, antwortet sie.

    „Was willst du denn jetzt damit sagen?"

    „Gar nichts. Nur dass man halt etwas Zeit investieren muss, wenn man sich nicht gehen lassen will."

    „Und ich lass mich gehen, oder was?"

    „Das habe ich nicht gesagt. Warum bist du so ärgerlich?"

    „Weil ich mich auf ein Familienfrühstück gefreut habe und du einfach nicht kommst."

    „Dann musst du mir das klarer sagen, dass das ein richtiges Familien-Event wird, sonst isst ja samstags auch jeder so für sich."

    „Ja, genau. Und das ist doch bescheuert. Wenn jeder hier sein eigenes Ding macht, dann können wir ja ’ne WG machen, Familie ist ja dann offensichtlich passé."

    Karl dreht sich von Nina weg. Er schüttet die nächsten Scherben in den Abfalleimer.

    „Du übertreibst", sagt Nina.

    „Finde ich nicht."

    „Wir können immer noch gemeinsam frühstücken", sagt seine Frau und geht zur Kaffeemaschine, um sich eine Tasse Kaffee einzuschenken.

    Karl sagt nichts und setzt sich wieder auf seinen Platz. Er mustert seine Frau von hinten und denkt, dass sie etwas zu gut aussieht für einen normalen Samstagvormittag. Er will das ansprechen. Er weiß nicht wie.

    Nina setzt sich ihm gegenüber und nimmt sich eine Scheibe Brot. Sie streichelt Lasse über den Kopf. Der Junge streckt ihr seine Tasse entgegen. „Kann ich Kakao?"

    „Haben wir Kakao auf dem Tisch?", fragt sie ihren Mann. Er deutet auf eine Thermoskanne und nimmt einen Schluck von seinem Kaffee.

    Nina schenkt Lasse Kakao ein. „Wollen wir heute Abend vielleicht Maria fragen, ob sie Zeit hat?", fragt sie ihren Mann, ohne ihn anzusehen.

    Karl zuckt mit den Schultern. Maria ist die Babysitterin, eine Studentin, die ab und an mal auf Lasse aufpasst. Sie war schon mehrere Monate, vielleicht ein halbes Jahr nicht mehr da.

    Anfangs hatte er das gemeinsame Ausgehen mit seiner Frau vermisst, aber zuletzt gewöhnte er sich doch irgendwie daran, genauso wie an die Abwesenheit von Zweisamkeit und Intimität.

    „Du kannst ruhig auf dein Handy schauen, wenn du willst", sagt er zu ihr. Jetzt schaut Nina ihren Mann zum ersten Mal direkt an. Nur ganz kurz erwidert er ihren Blick.

    „Ich habe dich gefragt, ob wir mal wieder Maria fragen sollen, ob sie Zeit hat."

    „Hast du was Besonderes vor?"

    „Wir könnten mal wieder einen gemeinsamen Abend verbringen, zu zweit, vielleicht ins Kino oder essen gehen."

    Karl hat mit der Idee seiner Frau nicht gerechnet. Er weiß nicht, was er sagen soll, und hilft erst einmal Lasse, von seinem Stuhl runterzukommen.

    „Brauchen wir Maria denn? Wir könnten Melina bitten, dass sie Lasse ins Bett bringt. Sie könnte sich was dazuverdienen. Und wir gucken einen Film hier zuhause."

    Sie nickt. Karl kann nicht sagen, ob sie seine Idee gut findet.

    „Okay, sagt sie nach einem Moment der Stille. „Wir bleiben zuhause, machen es uns gemütlich. Wir haben noch die gute Rotweinflasche, die wir von deinem Chef bekommen haben.

    „Ja. Das ist wahr."

    „Gut. Dann sind wir verabredet", sagt Nina.

    Sie frühstücken weiter zu zweit. Sie reden über das Wetter und den Nachbarn, der so dick ist, dass er immer Probleme hat, die Stufen hochzukommen. Nina erzählt von ihrer Arbeit, die ihr derzeit viel Freude mache, wie sie sagt. Sie arbeitet seit einigen Monaten in einer PR-Agentur und versteht sich gut mit den Kollegen und Kolleginnen. Mit manchen geht sie nach einem langen Arbeitstag etwas trinken. Karl macht das meist nichts aus – wenn sie rechtzeitig Bescheid sagt und er nicht seinen Astronomietag hat. Denn alle zwei Wochen gibt es ein Treffen des Astronomievereins, wo Karl gemeinsam mit Gleichgesinnten durch Teleskope Himmelskörper beobachtet. Diese Treffen sind ihm heilig.

    Als sie nach einiger Zeit gemeinsam den Frühstückstisch abräumen, sagt Nina, sie wolle Karl ein kleines Geschenk machen.

    Karl ist überrascht. Sie haben sich – außer zum Geburtstag oder zu Weihnachten – schon lange nichts mehr geschenkt, selbst den Hochzeits-Er denkt an etwas hübsch Verpacktes. Sie übergibt ihm einen Pyjama, der in einer Klarsichtfolie steckt.

    „Ein Pyjama", sagt er und versucht nicht irritiert zu schauen.

    „Es ist ein roter Pyjama", sagt Nina freudig.

    Karl schaut sich das Bild auf der Verpackung genauer an. Dort ist ein junger, gutaussehender Mann, Mitte 30, abgebildet. Der auf einer Wiese steht – im roten Pyjama, das Oberteil ist kurzärmelig. Der Mann mit Dreitagebart schaut in die Ferne, das eine Bein hat er auf einen großen Stein gestellt. Karl kennt niemanden, der auch nur eine annähernde Ähnlichkeit mit dem Mann hat.

    „Ich finde rote Pyjamas sexy", flüstert Nina ihm plötzlich ins Ohr. Karl erschreckt sich. Dann freut er sich, weil es eine Form des Austauschs mit seiner Frau verspricht, die sie schon lange nicht mehr hatten.

    „Es ist ein Pyjama", sagt er.

    „Ja, erwidert sie sichtlich erfreut. „Rot ist meine Lieblingsfarbe.

    Im Laufe des Tages bis zum gemeinsamen Abend müssen diverse Dinge erledigt werden, wie zum Beispiel der Einkauf und der Haushalt. Anfangs überwiegt bei Karl die Vorfreude auf die Zeit mit Nina, doch dann denkt er mehr und mehr an den roten Pyjama.

    Er fragt sich, welche Erwartung sie mit dem Geschenk verbindet. Und warum ausgerechnet ein roter Pyjama? Er hätte sicherlich nicht mit Bestimmtheit sagen können, dass Rot die Lieblingsfarbe seiner Frau ist. Es schien ihm, als habe er das am heutigen Tag zum ersten Mal gehört.

    Die Frage „Soll ich den nun heute Abend anziehen?" kommt ihm immer wieder in den Kopf.

    Ein roter Pyjama, warum ein roter Pyjama?

    Sie hat mir so lange nichts geschenkt … und dann ist es dieser alberne rote Pyjama.

    Während Karl mit seinem Einkaufswagen durch den Supermarkt läuft, kann er an nichts anderes denken. Er versucht es zu verstehen, er versucht sie zu verstehen. Umso mehr er sich fragt, was Ninas Beweggründe sein könnten, desto unmöglicher erscheint ihm eine Antwort. Und dann plötzlich huscht ganz kurz ein Gedanke durch seinen Kopf, wofür er sich hasst, und dann verdrängt er ihn auch schon wieder.

    Gegen 20 Uhr sitzen Karl und Nina tatsächlich in ihrem Wohnzimmer zusammen auf der Couch. Die Babysitterin spielt mit Lasse im Kinderzimmer, Tochter Melina schläft bei einer Freundin. Auf dem Couchtisch stehen eine Flasche Rotwein, Canapés, Knabberzeug. Karl hat sich vorher genau überlegt, was er anziehen soll, und sich für ein dunkles Hemd und Jeans entschieden. Nina trägt Schmuck und ist auffällig geschminkt. Karl findet, dass sie schön aussieht. Sie stoßen an. Er freut sich, dass sie sich Zeit füreinander genommen haben. Sie reden kurz über Innenpolitik und Umweltthemen. Danach geht es um eine Cousine von Nina, die schwer erkrankt ist, und was das für ihre Kinder bedeutet.

    Nach mehr als einer Stunde des gemeinsamen Abends, die erste Flasche Rotwein neigt sich dem Ende zu, verabschiedet sich Maria. Lasse ist eingeschlafen. Karl hört die Tür ins Schloss fallen. Und dann muss er seine Frau etwas fragen,

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