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Mein Haus - eine Burleske
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eBook504 Seiten7 Stunden

Mein Haus - eine Burleske

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Über dieses E-Book

Ein Haus in einer Straße in einer Stadt. Der Erzähler berichtet über die Hausbewohner - eine recht skurrile Gesellschaft - und seine eigenen Ansichten über die Welt, die Menschen, die Umstände.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum9. Juni 2020
ISBN9783347089020
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    Buchvorschau

    Mein Haus - eine Burleske - Peter Hesselbein

    Eingang

    Also als Tante Anneliese das erste Mal vor meinem Haus gestanden ist, da hat sie ihren Hut festgehalten und entsetzt gesagt: »Ach Gott, Junge, wo bist du denn da hingeraten?« Ja, was hätte ich hier einwenden sollen?

    Sie hat ja Recht gehabt. Oder zumindest nicht ganz Unrecht. (Und dass sie nicht Anneliese heißt sondern irgendwie anders, wird jedermann klar sein, denn ich habe mich ja mit meinem ersten Buch¹ bekanntlich dermaßen in die Nesseln gesetzt, weil Leser Anklänge an Wirklichkeiten zu vermuten unternahmen und damit auch Gerichte befassten, dass ich mich dieses Mal gern etwas besser absichern möchte. Es ist eigentlich höchst amüsant: erst wollte kein Verlag das Ding drucken, aber das ist ja wohl immer so; ich könnte Ihnen aus Ablehnungsschreiben zitieren, dass Ihnen die Augen tränen. Ich habe das alles ziemlich klaglos ertragen, aber als es dann draußen war, das Buch, begann der Zirkus mit den Gerichtsprozessen.)

    Ich muss da etwas weiter ausholen, ob Ihnen das gefallen mag oder nicht.² Die Geschichte mit dem Haus ist nicht ganz einfach zu verstehen.

    Die Hüte von Tante Annemarie sind übrigens Legende in der Familie. Sie trug – und bisweilen war der eine oder andere tatsächlich geneigt, sie diesbezüglich mit der Queen oder gar Queen Mom (selig) zu vergleichen (übrigens gibt es daneben ja noch namhafte andere hütetragende Mitglieder der königlichen Familie, irgendwie scheint hier der Hut die Krone abgelöst zu haben) – sie trug sozusagen majestätische Kopfbedeckungen, meist in gedeckten oder Pastellfarben, oft in gewagten Ausformungen und stets häufigem Wechsel. Dabei gelang es ihr fast vollständig, auf ausgesprochen widerwärtige Modelle zu verzichten; einen Strohhut mit einer Applikation aus schwarzen (sozusagen süßen) Kirschen³ hätte sie z.B. nie getragen, ebenso wenig etwas mit auch nur einer Andeutung von Zylinder. Aber Borsalinos hat es schon gegeben (es können auch Kalabreser⁴ gewesen sein, die Unterscheidungsmerkmale habe ich mir nie merken können). Mit einer Art Melone war sie schon gesehen worden, und natürlich besaß sie eine Vielzahl von Modellen mit gerundeten Krempen, ausgebuchteten Krempen, schmalen oder sehr breiten Krempen, von Kopfbedeckungen mit rundem Korpus, eingebuchtetem Korpus, nahezu spitzem Korpus usw. Mit den Bändern und Bordüren möchte ich Sie nicht langweilen, und über Muster muss ich mich nur insofern auslassen, als es nicht sehr viele gab (was den Kenner beruhigen wird). Welche Sorte Hut sie nun an diesem bewussten Tag trug, weiß ich nicht mit Sicherheit zu sagen, mir schwebt etwas Gelbes mit leichtem Schleier vor, vielleicht bekrönt von einer ebenfalls gelben Rose? Ja, das könnte passen.

    Ich schweife ab.

    Sie stand da also vor mir (denn sie war um ein Erhebliches, ja, man könnte sogar sagen Erkleckliches kleiner gewachsen als ich, und hinter mir hätte sie wohl nur sehr wenig von diesem Hause gesehen oder sich in höchst undamenhafter Weise nach links oder rechts verbiegen müssen), aber auch von hinten war ihrer Haltung deutlich anzumerken, dass sie besagte Immobilie oder ihre Lage⁵ oder ihren Erwerb durch mich oder gar das Leben, dem ich ihrer Einschätzung nach dort oblag, missbilligte. (Vielleicht sogar das Leben an sich, zumindest das anderer Leute.)

    Jetzt fällt mir ein, dass wir natürlich auch nebeneinander hätten stehen können. Gut. Aber es war eben nicht so. Wir standen hintereinander, bildeten sozusagen eine Warteschlange mit nur zwei Gliedern.

    Dass sie mit Grund, mit Fug, mit Fug und Recht missbilligte – oder mindestens nicht ohne – (in Bezug auf das Haus wohlverstanden, nicht in Bezug auf meinen Lebenswandel, was ich ausdrücklich anmerken möchte), konnte sie gar nicht wissen, aber sie war gewöhnlich nicht nur schnell in ihrem Urteil, sondern auch fest und gar nicht einmal so daneben.

    Als sie z.B. den ersten Ehemann meiner Mutter kennen lernte (also nicht meinen Vater), da muss sie wohl so etwas gesagt haben wie: Liebe Schwester, ich will hoffen, dass du weißt, was du tust. Und es soll Wochen gedauert haben, bis meine Mutter sie wieder eines Wortes würdigte. Zumal besagter Bräutigam (in diesem Stadium befand sich die Beziehung noch) in Hörweite gestanden haben soll. Blicke bezog sie dagegen viele (und alsobald), wenngleich nicht allzu liebevolle. Aber das ist eine alte Familienge-schichte, die ich nur vom Hörensagen her kenne. Später hinderte diese Episode meine Tante auch nicht daran, mit dem Mensch eine längere Liaison einzugehen, was wiederum die Chancen meines leiblichen Vaters bei der Bewerbung um die noch (wenn auch nicht glücklich) verheiratete Frau erheblich erhöhte, die dann meine Mutter wurde, bevor sie ihren zweiten Gatten auch rechtsgültig freien konnte.

    Kompliziert, gell? Aber ich will Sie auch nicht allzu sehr mit Begebenheiten aus dem Kreise meiner Verwandtschaft langweilen, zumal, wie ich hier schon versichern möchte, kein einziges Mitglied dieser, ja, soll ich Sippe sagen? in meinem Haus wohnt oder jemals wohnte. Darauf lege ich Wert. (Der Begriff Sippe soll hier gar nicht abschätzig, sondern, bitte, wirklich rein genealogisch gemeint sein.)

    Dass ich trotzdem bestimmte Absichten damit verband, Tante Auguste mein Haus vorzuführen, werden Sie wohl vermuten können, denn noch ist sie Ihnen nicht sympathisch, das ahne ich.

    Mit Sympathien muss man im Übrigen vorsichtig umgehen. Ich habe da so meine Erfahrungen gemacht, und sie waren durchaus nicht immer erfreulich. All zu leicht fällt es mir z.B., junge Mädchen nett zu finden (junge, nicht kleine). Gut, das geht vielen so, aber wie fatal diese Neigung für einen älteren Mann ist – ich könnte auch »gereiften« sagen –, darauf brauche ich wohl nicht näher einzugehen.

    Meine Tante Aglaia verfügte, fürchte ich, nicht gerade über große Erfahrung mit Häusern, aber dass es hier nicht um etwas ausgesprochen Exquisites ging, muss sie gleich bemerkt haben. In der Tat: von außen gesehen, kann man mein Haus nicht gerade als Schmuckstück bezeichnen. Der Putz ist grau, der Schnitt einförmig-glatt, ohne Ornament, ohne Gepränk, ohne Farbakzente. Leider auch nicht so formvollendet-bauhausig, dass man das Schlichte vergessen ja verzeihen würde. Die Fenster machen einen ärmlichen und abgeschabten Eindruck, auch gibt es wenig Blumengekräusel, der sozusagen von den Fensterbänken herunterquellen könnte wie an so vielen anderen Gebäuden: gar nichts quillt. Auf dem schmalen Gehsteig, der aus diesen quadratischen Betonplatten der Nachkriegszeit zusammengesetzt ist, liegt Hundeköttel. (Habe ich eben Tante Amelie gesagt oder Tante Adelheid? Annemie meine ich natürlich. Bei Amelie – ich denke da immer an Kamelie – weiß man ohnehin nie, wie es richtig auszusprechen ist.) Nicht einmal einen anständigen Fahrradständer gibt es, oder ein Dach über der Haustür, paar Marmorstufen davor mit einem schönen antiken Stiefelkratzer oder so etwas Ähnliches. Auch fallen weder Briefkästen noch eine Zeitungsrolle vor dem Eingang auf.⁶ So hat man den Eindruck, die Bewohner wollten nicht gestört sein, nicht Kontakt finden oder aufnehmen, nicht Neues erfahren, und so wirkt das Haus unbewohnt, die Fassade hässlich nackt.

    Der Begriff ›nackt‹ ist ja nun eigentlich eher positiv belegt, zumindest in den zurückliegenden drei Jahrzehnten war er das (oder wurde). Gemeinhin verbindet man damit die immer häufiger auch öffentliche Zurschaustellung der Körper eher jüngerer, dünnerer, hübsch gestalteter Menschen durchaus beiderlei Geschlechts (auch holt in den letzten Jahren der männliche Teil der Bevölkerung hier deutlich auf, mag das als Zeichen der Gleichberechtigung interpretieren wer da will, mir läge diese Deutung nicht so präsent, mir fielen da ganz andere Muster ein). Als sehenswert empfindet man das aber vorwiegend dann, wenn es sich um Menschenfleisch handelt. Bei Tieren verhält es sich höchstens ambivalent, möchte ich meinen; sicher sind diese exotischen Exemplare von Nacktkatzen und Nackthunden den meisten Menschen eher unangenehm und Nacktschnecken ekelig.⁷ Schon der nackte Hals des Geiers lässt uns erschauern. Auch liebt man nackte Jungmäuse, -ratten, -vögel nicht sehr. Immerhin wecken sie bei manchen noch Beschützerinstinkte. Bezieht man den Begriff aber auf ein Zimmer, eine Wand, eine Fassade wie in unserem Falle, auf einen Wald oder anderes Landschaftliches (was etwas weithergeholt klänge, höchstens zulässig bei Schlucht⁸ oder Kluft oder Fels – aber da liegt einem ja schon wieder die Fels-Wand auf der Zunge), auf das Entsetzen natürlich⁹, auf Armut oder dergleichen ohnehin negativ besetzte Wörter (es war einmal eine Zeit, da gab ›Armut‹ eine wünschenswerte Orientierung an, und zwar nicht einmal nur für Mönche, man stelle sich vor), so steht es nicht mehr so sexy um dieses Wort, da verliert es jede Attraktion, da haftet ihm sogar etwas Höllenmäßiges an, im schlimmsten Falle natürlich. Aber in diesem trifft’s, man könnte auch von ›bloß‹ sprechen, wenn nicht dieses Wort seines ursprünglichen Sinns allmählich verlustig gegangen wäre. Nackt und bloß (ja, so klingt’s wieder) wirkt die Fassade, von schlichter Einfachheit kann aber gar nicht die Rede sein, es mangelt mindestens an etwas oder sogar an mancherlei.

    Hundeköttel habe ich gesagt; das gehört ursächlich nicht zur Fassade, ergänzt sie aber sozusagen, indem es – oder sie? – den dazugehörigen Gehsteig, Fußweg, Bürgersteig – auch ein etwas aus dem Gebrauch gekommenes Vokabelchen (als ob es keine Bürger mehr gäbe. Aber vielleicht gibt es ja wirklich keine Bürger¹⁰ mehr?) –, das Trottoir eben, bedeckt, wenngleich nicht vollständig, so doch sichtbar und auch, das muss betont werden, störend, das bringt mich auf ein wichtiges und vielleicht sogar interessantes Thema. Warum nimmt der Mensch Hundeköttel als Verunreinigung wahr? (Sogar Hundehalter wären hier erstaunlicherweise zu subsumieren; mein Erstaunen bezieht sich in diesem Falle auf ihre diesbezügliche Rolle und Wahrnehmung dieser Fäkalien trotz eigener Teilbetroffenheit, nicht auf ihr Sein als Menschen, es soll also nicht irgend etwas abschließend Vernichtendes über die Gruppe der Hundebesitzer ausgesagt werden.) Vielleicht hat sich bei den Hundebesitzern aber auch eine selektive Wahrnehmung herausgebildet, vielleicht schätzen sie nur das Liegenlassen beim Tier anderer Leute weniger, aber durchaus beim eigenen? So sie es nicht schätzen, so tolerierten sie es doch? Warum sieht und riecht er (der Mensch jetzt wieder) diese Hinterlassenschaften mit einem solchen Ekel, ja Abscheu? Verfolgt (jetzt ist wieder der Mensch allgemein gemeint, Hundebesitzer höchstens inbegriffen) das Herumliegenlassen mit Strafen oder droht diese zumindest so häufig an? Begegnet er doch Pferdeäpfeln und Rinderdung, auch Karnickellosung mit so ganz anderer Emotionalität und offenbar geringerem, vielleicht sogar mangelhaft ausgeprägtem Regulierungsbedürfnis. Man mag einwenden, dass in unseren Städten ein zahlenmäßig außerordentlich verschobenes Verhältnis zwischen diesen Kotarten bestehe und die Schwerpunktsetzung so gerechtfertigt wenn nicht geboten erscheinen lassen möchte (ganz anders als auf dem imaginären Bauernhof mit aller Art Getier und allerhand Scheiße, den es vielleicht einmal gegeben hat aber nicht mehr gibt, oder höchstens noch in Gestalt von geschmackvoll bemaltem hölzernem Kinderspielzeug), aber das trifft es – so vermute ich – auch wieder nur teilweise. Ich denke vielmehr, dass den Menschen die so unmittelbar spürbare Ähnlichkeit seines eigenen Auswurfs mit der? dem? Hundeköttel betroffen macht, diese übrigens frappierend erstaunliche Ähnlichkeit selbst in der Größe, obwohl ja die meisten Hunde deutlich kleiner geraten sind als die meisten Menschen. Diese Ähnlichkeit ärgert, denn unsere eigene Scheiße lieben wir ja auch nicht mehr, zumindest nach einem gelungenen Abschluss der ersten Kindheitsjahre lieben wir sie nicht mehr (wiewohl die erstaunliche Vorliebe für Würstchen z.B. bei vielen deutschen Volksgruppen eine gewisse Zurückhaltung beim Aufstellen solcher Behauptungen geraten erscheinen lassen sollte), und hier wird einem etwas so Gleichartiges vor Augen geführt, unter die Sohlen geklebt, in den Weg gelegt. Das ergrimmt uns. Wir betrachten Hundehalter, die ihre Liebsten Abends durch die Straßen zerren, auf der Suche nach geeigneten Orten, mit Misstrauen, trauen ihnen einfach nicht zu, dass sie Behältnisse zur Entsorgung der Hundeköttel mit sich führen oder, selbst wenn sie sie unterm Arm trügen, zu ihrer Benutzung Neigung spüren. Dem Ausführen der Hunde haftet auf diese Weise etwas gemäßigt Kriminelles an, fast wie dem Rauchen von Zigarren. Übrigens ähneln weggeworfene Zigarrenreste manchmal der Hundeköttel ein wenig, zumal wenn ein Regen über der Stadt niedergegangen ist, allerdings weniger ein reinigender Sturzregen als vielmehr einer von den schmierenden, sich Zeit lassenden, gemächlichen, die den Schmutz eher zu vermehren scheinen als ihn davon zu waschen. Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass die Hundeköttel die Menschen immer wieder infam daran erinnert, dass sie selber etwas Ähnliches absondern, und daran möchten wir wohl nicht in dieser Form erinnert sein.¹¹

    Die Stadtverwaltung tut etwas für ihre Bürger: Ab heute dürfen Hundebesitzer auch selber aufs Trottoir machen.

    Zum Zigarrenrauchen wäre auch noch so einiges zu sagen. Allein die häufigere Notwendigkeit, bei dieser Tätigkeit auszuspucken. Wissen Sie, man kann ja unterschiedlicher Ansicht darüber sein, ob es noch zum guten Ton gehört, auf dem Trottoir auszuspucken.¹² Versteht sich, nur solange man nicht beobachtet wird dabei. Sonst wird man, will man, sollte man das Ausspucken eigentlich stets vermeiden. Die Spucke ist ja auch eine etwas ambivalente Flüssigkeit, manchmal höchst willkommen, manchmal auch sehr eklig. Der süße Speichel ist das Eine, der stinkend-gelbe Rotz das andere. Hand aufs Herz, wenn Sie sich eine Person vorstellen sollten, die aufs Trottoir spuckt, fiele Ihnen da eher ein anmuthig Jungfräulein ein oder ein verzottelt-krätziger Alter im zerlumpten Gewande? Na, sehen Sie. Und welche Person von beiden würden Sie lieber, sagen wir einmal, küssen? Ah ja, merken Sie’s? Daher weht der Wind.

    Es kömmt vor, dass so ein Alter, so ein Bettler vor dem Haus sitzt. Vielleicht lockt ihn der Laden, der Laufkundschaft vermuten lässt, obschon die meisten meiner Ladenmieter – später sollten Sie noch einige davon kennen lernen, denke ich – leider nie über den genügenden Andrang der Laufkundschaft verfügten. Die Läden hielten sich meistens nicht sehr lange, was in einzelnen Fällen schon bedauerlich war, finde ich. Die Bettler jedenfalls, die dort saßen, wurden auch nicht fett.

    Geben Sie gern an Bettler? Ich gebe nicht gern. Es ist eigentlich egal: wenn sie diese unterwürfige Haltung einnehmen, gesenkten Kopfs und Blicks, sich offenbar eines möglichst zerlumpten Äußeren befleißigend (so scheint’s mir oft), ist es mir peinlich, und ich mache einen Bogen um sie. Blicken sie einem frech ins Gesicht, geradezu das Geld fordernd, meistens einen Hund neben sich, der zwar besser genährt erscheint als sie, aber dennoch dazu dient, das Mitleid der Vorübergehenden auf sich zu ziehen, so es der Bettler nicht schafft (und diese vermuten wohl, es werde ihnen nicht gelingen) (dass indes ich Hunde nicht so sehr mag, muss ich nach dem oben Ausgeführten wohl nicht noch besonders betonen) –, so schlage ich fast noch weitere Bogen um sie als um Vertreter der anderen Gruppe. Ich glaube immer, sie stänken, wiewohl ich dieses nicht positiv behaupten kann, da ich ihnen wohl nie nahe genug gekommen bin, um es sinnlich zu verspüren. (Ich meine jetzt die Bettlerhunde im Zusammenhang mit den unerfreulichen Ausdünstungen, nicht die Bettler selber.)

    Ich brauche wohl nicht näher darauf einzugehen, dass ich die Haltung von Haushunden bei meinen Mietern nicht dulde.

    (Hm. – Den »Haushund« gibt es eigentlich gar nicht. Lauschen Sie mal: ›Die Hauskatze traf auf den Haushund‹, nein, nicht wahr, das klingt nicht richtig. Unter Hauskatze stellen wir uns sofort bildlich¹³ etwas vor, und zwar die freundliche Nicht-Rassekatze, aber beim Haushund wollen wir doch etwas mehr wissen, z.B. ob er nun Locken hat oder glatt trägt, ob er so groß ist wie ein Kalb oder unters Sofa¹⁴ passt. Was aber interessanterweise geht, ist ›der Hofhund‹. ›Die Hauskatze lief zum Hofhund und beschwerte sich über den dummen Pudel‹, damit wäre ich sofort einverstanden. Der Hofhund muss arbeiten, er ist dabei eine Mischung aus Proletarier und Hausmeister¹⁵, ein bisschen abhängig und ein bisschen selbständig.

    Natürlich ist die Katze gar nicht abhängig¹⁶. Sie erlaubt es ausgewählten Menschen, sie zu füttern. Lässt es zu. Ein Freund von mir besaß einmal eine Katze, die er »Hoheit« nannte, glaube ich mich zu erinnern. Manchmal wohl auch Gräfin.¹⁷)

    Auch den »ehrlichen Bettler« gibt es wohl, der schriftlich oder – auch das habe ich schon bemerkt – auf einem vor ihm stehenden Pappschild ganz genau zu beschreiben versucht, wie er in diese Notlage hineingekommen ist. Und dann den Musicalbettler, der mit Cassettenrecorder, mit Gitarre, bisweilen Querflöte (das sind meist jüngere Bettlerinnen ohne grüne Haare), heute auch schon mal Akkordeon oder Geige – die Palette wird immer breiter, scheint mir, bald könnte man ein ganzes Bettlerorchester aufmachen, das, wenn man wollte – zur obligaten Mütze musiziert.

    Das war jetzt ein etwas anspruchsvolleres Wortspiel, und ich würde mich freuen, wenn Sie es erkannt und gewürdigt hätten.

    Bei Musicalbettler muss ich an den Musicalclown denken. Sagen Sie, ist es Ihnen nicht auch immer so erschienen, als sei der kleine feiste hässliche im Ensemble derjenige, der sich die ganzen Gags ausgedacht hat? Und der schöne strahlende mit den Pailletten auf dem Wams, der so wunderbar auf der kleinen silbernen Geige spielen kann oder auf der polierten Posaune, als sei der von dem kleinen Hässlichen engagiert und angelernt worden? Mir war das immer klar, schon als ich das erste Mal im Zirkus war.¹⁸ Das war Hagenbecks Zirkus. Den gab es damals noch. Ich glaube, heute ist er längst untergegangen, wie auch Sarrasani selbstverständlich. Das hat mir auch so einen Stich ins Herz versetzt, als ich über den Konkurs von Sarrasani gelesen habe. Natürlich hat mich auch die Liquidation des DDR-Staatszirkus getroffen, aber der kam doch nicht an Sarrasani heran! Oder schrieb man es Sarasani?

    Mit dem VEB Staatszirkus war es natürlich noch eine ganz andere Geschichte, aber die hat ja schon Fritz Rudolf Fries aufgeschrieben, teilweise. (Wussten Sie, dass es in der DDR ungern gesehen, ja wohl zeitweise geradezu verboten war, die Vokabel »Staatszirkus« zu verwenden, wegen der allfälligen Assoziationen?)

    Natürlich fällt mir bei Bettlern auch immer Mr. Peachums Geschäft ein. Nun ist Frau Elisabeth Hauptmanns und ihres Mitarbeiters Sichtweise ja so, dass einerseits der Bettler präsentiert wird als Proletarier, also durchaus noch des Ausgebeutetseins fähig ist und darum seinerseits natürlich Standesbewusstsein und Professionalität entwickelt, tendenziell die Opferrolle verlässt und Täter wird (letzteres ist allerdings nicht allzu deutlich herausgearbeitet, aus verständlichen, ideologischen, Gründen), andererseits die Rolle des Gebenden, des Kunden also, nur ganz am Rande gestreift wird. Das kann man als ganz typisch für diese produktionslastige Sichtweise der Linken ansehen, die immer den Kunden und damit den Markt zu wenig würdigt, und wenn, dann auch wieder nur als Opfer. Peachums Bemühungen erscheinen dem Leser geradezu als grandioser Betrug, als die Unterhaltung einer bombastischen Fälscherwerkstatt. So kann man natürlich fast jedes bedeutende Unternehmen denunzieren.

    Überhaupt hat der Handel ja viel mit dem Bettel zu tun, was dann in der epischen Version des Stoffes auch herausgearbeitet wird, und in diesem Fall sehr profund (hier hat der Stückeschreiber übrigens mit Frau Steffin zusammen gedichtet, Frau Hauptmann war ihm zeitweise abhanden gekommen). Schon der Standort, die Straße, ist ein nicht unwichtiges Signal, dass hier Verwandtschaften wirken. Versandhandel hat sein Pendant im professionellen postalischen Betteln der Wohltätigkeitsorganisationen. Ich habe einmal eine namhafte Spende an einen solchen Verein gegeben und erhalte seither immer wieder, vorzugsweise zu Weihnachten, Bittbriefe von einer großen Anzahl mildtätiger Vereine. Den diesbezüglichen Adressenverkauf kann man durchaus mit dem Markieren der Türen durch Bettlerzinken vergleichen.

    Ich weiß wovon ich rede! Junge, hat meine Tante immer gesagt, damals, als ich nämlich noch als Handelsvertreter gearbeitet habe, Junge, das ist doch kein Beruf, das ist doch nur eine Verkaufstätigkeit. Das letzte Wort ließ sie in ihrer Sprachmelodie in der zweiten Silbe ungefähr um eine übermäßige Quinte absinken, was Geringschätzigkeit ausdrücken sollte. Hoffentlich vorübergehend? schloss sie dann gleich an, und ich nickte schnell und bereitwillig.¹⁹

    Die Griechen aber, so denke ich, hatten durch die Mehrfachzuständigkeit ihres Gottes Hermes den Handel eher dem Stehlen gleichgesetzt. Stehlen gilt ja doch wohl als ehrenwerter denn Betteln, nicht wahr? Zumindest verlangt es eine überlegenere Organisation, und in vielen Fällen auch arbeitsteilige Vorgehensweise, das Vorhandensein bzw. die Beschaffung von Kapital u.v.m. Auch die Sache mit der Harfe oder Lyra fand ich immer prima, und so typisch: Hermes hatte das Instrument flugs erfunden, aus einem Schildkrötenpanzer mit Saiten bespannt gebastelt (…mit Bonbons gefüllt)²⁰, aber dann stahl er seinem Bruder Apollon eine Herde, und als Vater Zeus schließlich diesen Streit (wieder mal, wie so viele in seinem nun weiß Gott auch nicht leichten Leben) schlichten musste, ward gerechterweise die Herde, ungerechterweise aber auch das Instrument²¹ Apollon zugesprochen. Und nicht Hermes preist man seither als Erfinder der Musik, sondern sein zugegebenermaßen ebenfalls einfallsreiches Brüderchen. Zum Beispiel erbte Hermes von diesem ja einen Stab, mit dem er – wen er möchte – in tiefen Schlaf versetzen kann. Und das ist ja wohl ein Instrument, das sich sowohl Diebe wie Handelsleute für ihre jeweiligen Opfer inniger wünschen als irgendeine Klimperkiste. Also Entwurf, Budget, Schaltplan und allem wieder bei ihm zu sein. Als ich sein Café verließ, stolperte ich auf der Treppe und stieß mir ziemlich schmerzhaft ein Bein an. Später, als ich über den Traum nachdachte, fiel mir ein, was mir da zugestoßen war. Eigentlich schätze ich nämlich an diesem Bäcker, dass er so ganz und gar nur gute Backwaren macht ohne dafür zu werben, im Gegensatz zu den Großbäckern, die schlechte Backwaren machen und sie mit hohem Geschick erfolgreich vermarkten. Ich merkte, dass ich mir in dieser Rolle überhaupt nicht mehr gefiel, wie ich ihm da anriet, es auch so zu machen wie die anderen und damit den Typ Bäcker, den ich eigentlich selbst an ihm schätzte, sozusagen zu verraten. Ich war ein Anstifter zum Selbstverrat. Also wieder: besser wärst du nicht mehr in diesem Geschäft tätig. diese Nachbarschaft von (Diebes)kunst und Handelsbrauch (und der Fähigkeit den Partner in Hypnose zu versetzen) wäre und ist mir immer schon höchst interessant erschienen. Man denkt doch gleich an Herrn Hood aus dem Sherwood Forest, den ehrlichen Dieb & Diebstahlkünstler; auch aber an diese schmale Brücke, die den ehrlichen Dieb und ehrbaren Kaufmann voneinander trennt – miteinander verbindet – ach Gott, was rede ich da²² – aber eine interessante Triole sind diese drei ja nun doch: Dieb, Künstler und Händler. Meine Tante wusste wenig von antiken Göttern und war auch des Griechischen nicht fähig. Gott sei Dank, vielleicht. Nein, nicht mächtig sagt man wohl.

    (Damit wurde jetzt endlich einmal ein lohnendes Thema angeschnitten, leider aber nicht im Geringsten befriedigend ausgeführt, werden Sie denken. Vielleicht müssen Sie sich an solche Vorgehensweise des Autors erst noch gewöhnen.²³ Manchmal kommt er im Übrigen noch später auf liegen gelassene Fährten zurück.)

    Nun müssen Sie nicht glauben, diese Leute – also die Bettler, um Ihnen einzuhelfen – säßen tagein tagaus vor meinem Haus, aber es kommt bisweilen eben vor, und an jenem Tag, dem der Vorführung des Hauses für die Tante, war es ausgerechnet auch so. Bei der Tante jedenfalls bewirkte das so ein weiteres Mal in seiner Anmutung herabgesetzte Hausesäußere eine gewisse Missstimmung, so schien es mir.

    Dabei ist das Gesindel ja überall. Es sitzt auf der Straße, läuft am Haus vorbei, es wartet in der Stadt, bettelnd oder wachsam. Bettelnd und wachsam. Bettelnd und stehlend. Das Gesindel kennt sich gut aus, es schlägt sich nur durch, weil es die Schlupfwinkel findet, die kleineren Gaunereien beherrscht, stets auf dem Sprunge ist, das Gesindel kennt die Regeln, obwohl es sie ignoriert, ja auf sie scheißt, aber so geht das.

    Das Entscheidende ist überhaupt, dass man die Re-geln kennt und auf sie scheißt. Es ist ja unbestritten immer weniger Leuten vorbehalten, in geregelten Verhältnissen leben zu dürfen. Die meisten schlagen sich so gerade durch (»Der HErr²⁴ ist mein Hirte / Mir wird nichts mangeln«²⁵). Gesetzt, diese Leute müssten auf die Einhaltung der Regeln verpflichtet werden: schier verhungern hieße das für sie. Und die andern erst recht: wer etwas werden will, bedarf doch gerade der heilsamen Fähigkeit, sich über die offiziell existierenden oder besser niedergelegten Usancen hinwegzusetzen. Er muss, und das wird ihn adeln, in seinen Kreisen geradezu darauf hinweisen können, dass er wohl wisse, wie es eigentlich gemacht werden soll, dass er also wohl auch wisse, dass es nicht so gemacht werden kann, wie die üblichen Regeln für die Plebs es bestimmen. Aber die Plebs hat – mittlerweile, unglücklicherweise – diese Regeln für sich ja auch außer Kraft gesetzt. Auch die Plebs könnte, beherrschte sie nur diese göttlich-herablassende Ausdrucksweise, darauf hinweisen, dass sie wohl weiß, dass das, was sie da so tut, nicht gut ist und nicht den Herrn Kant erfreuen würde. In Bezug auf die Einhaltung seiner Regel. Dieser besonderen Regel, die der Herr Helmut Schmidt immer so gern zitiert hat. Das muss wohl damals noch irgendwie eine andere Art Welt gewesen sein.²⁶ Heute interessiert so was keine tote Fliege mehr.

    Stubenfliegen, letale²⁷, scheinen ja interessanterweise gar nicht zu stinken. Im Gegensatz, beispielsweise, zu Bettlerhunden. Vielleicht stinkt die gesamte Species der Insekten überhaupt nicht. Oder es kommt uns nur so vor, weil bei uns in Mittel- oder Westeuropa die menschlichen Nasen nicht mehr so empfindlich sind oder, weil bei uns in Mittel- oder Westeuropa Kerbtiere nur in Abarten bescheidener Körpergröße vertreten sind, und es möglicherweise nur eine Frage der fehlenden bzw. nicht in ausreichender Quantität vorhandenen Körpersubstanz ist²⁸ ²⁹, weniger eine der Qualität, nämlich der Beschaffenheit des Insektenfleisches, falls man da überhaupt von Fleisch sprechen kann. Was man aber wohl tun sollte, denn immerhin gelten z.B. geröstete Grillen, namentlich in Honig getaucht, Wüstenbewohnern als ausgesuchte Delikatesse. Was mag daran schmecken, wenn nicht Fleisch? Und was soll das gestorbene Fleisch, wenn nicht verzehrt, tun, als verwesen und demnach stinken. Außer der Chitinpanzer, was immerhin eine weitere Möglichkeit wäre, verhinderte den Luftaustausch.

    So ein Chitinpanzer scheint ja eine ganz vortreffliche Einrichtung. Wenn z.B. die unbestritten in totem wie in lebendem Zustand stinkenden Mäuse auch einen Chitinpanzer trügen, bliebe diesen Nagetieren wohl so einiges Missgeschick in ihrem Leben erspart. Man könnte sich die Verzweiflung von Katzen und Bussarden angesichts eines solchen Mäuseschutzes vorstellen. Natürlich könnte man sich genau so gut ausmalen, wie die Natur mittels ihres unparteiischen Vorrats an bildnerischer Fantasie dann auch den Chitinmäusen Feinde geschaffen hätte, z.B. in Form der Säbelzahnkatze oder des Bohrbussardes, vermutlich scheußlicher Kreaturen, angesichts derer der Gedanke an Tierschutz uns wieder einmal noch etwas verrückter erscheint. Auch ist meines Erachtens höchst fraglich, ob eine Säbelzahnkatze es zu einer solchen Karriere als Kuschel- und Kindersatztier hätte bringen können wie die Hauskatze mit ihrem zwar auch schon nicht zu unterschätzenden, jedoch meist diskret versteckten Gebisses. (Es ist übrigens bemerkenswert: meist ist in der Tierwelt das Zeigen des Gebisses als Drohung zu verstehen; die Menschen haben sich ihr Zähnefletschen als Lächeln umgedeutet.) Wer indes schon einmal den verzweifelten Gesichtsausdruck einer z.B. von Kindern zwangsgestreichelten Katze gesehen hat, mag den Tieren ein bisschen Verteidigungsfähigkeit durchaus gönnen. Der Evolution hat es ja interessanterweise gefallen, Wehrhaftigkeit sowohl als Schwert wie auch als Schild zu gestalten, was vielfach zu der irrigen Annahme geführt hat, es gebe (wie man auch von nützlichen und unnützlichen Tieren zu sprechen geruht hat) angreifende, also böse, und sich verteidigende, vulgo friedliche, brave Kreaturen. (Wenn man sich mal überlegt, dass Krokodil und Nachtigall recht nah miteinander verwandt sind – man könnte auch Schildkröte und Schwalbe nennen –, falls das denn wirklich stimmt mit der Abstammung der Vögel von den Dinosauriern, das hätte man sich so zu Zeiten von Linné auch nicht ausgemalt, oder? Ja, manchmal könnte es einem fast so vorkommen, als kultiviere die Natur eine Art Humor.)

    In der Tat weiß man nichts von Schildkröten, die ihre Gegner unter ihren Panzern zu Tode quetschen. Man weiß ja überhaupt so wenig, und fast täglich werden noch neue Tierarten entdeckt (während andere stillschweigend aussterben). Aber so ganz einfach scheint es doch nicht zu sein, auch ein Elefant kann einen Störenfried schon ganz schön plattmachen, beispielshalber. Zumindest wäre es merkwürdig, wenn es in diesem Fall einmal einfach und klar wäre. Die real existierende Welt neigt leider selten zur Eindeutigkeit.

    Die Sache mit den Katzenalternativen bringt mich übrigens zu einem schon früher angeschnittenen Punkt zurück.³⁰ Gesetzt, ER hätte gekonnt wie er wollte und nicht dauernd auf die darwinschen Regeln Rücksicht nehmen müssen, dann wären ja wohl auch Ausnahmen von der Viererregel bei Wirbeltieren möglich gewesen, wodurch dann auch der Dichter Wunsch nach Pegasus und dem der Alten nach Zentauren zu befriedigen gewesen wäre.

    Denn – es gibt ja auch interessante Reminiszenzen; also z.B. mindestens zwei Frauen, die ich kannte, litten an ständigen Entzündungen, Furunkeln und anderen Beschwerden just an dieser Stelle, an der der Schwanz bei Säugetieren zu sitzen pflegt. Der Körper schien hier etwas zu wollen, war irgendwie nicht einverstanden mit der offensichtlichen Lücke. Oder es hatte sich eine Schwachstelle gefunden.

    In der Tat habe ich einmal eine halbe Nacht wachgelegen und überlegt, erstens ob und zweitens warum es nicht wirklich sechsbeinige Krokodile oder Chamäleons gibt. Es würde am Gesamtbild dieser Kreaturen absolut kaum auffallen geschweige denn stören. Sage ich so, mit meiner geringen Kenntnis schon über das Außen-, gleich gar Innenleben der Chamäleons. Z.B. zweifelte ich vor kurzem in einer Unterhaltung zunächst eisern an, dass diese so wandelbaren Tiere in der Türkei vorzukommen pflegen. Bis mich dann ein Blick ins Lexikon – ich wählte aus den diversen, die ich besitze, den Großen »Meyer« – eines besseren belehrte. In der Türkei! Dabei hatte ich diese Geschöpfe immer über die Äste im oberen Drittel eines tropischen Regenwalds spazieren sehen, in meiner Vorstellung. Denn in der Realität habe ich sie überhaupt nur in den Terrarien von Zoologischen Gärten studieren können, und da hingen die Biester immer fast bewegungslos unter der ultravioletten Lampe und schienen irgendwie übel zu nehmen. Wenn sie dann grämlich ein Auge verdrehen, erinnern sie an ältliche Verwandte. Natürlich darf ich an dieser Stelle nicht unterlassen an die Geschichte mit der Handtasche zu erinnern, die zwar auf den ersten Blick wie aus Krokodilleder wirkt, aber in Wahrheit aus Chamäleonleder hergestellt worden ist. Zwangsläufig ändert die Tasche je nach Standort, an dem man sie abgestellt hat, oder nach dem Kleid respektive Übergewand, dem sie nahe ist, indem die Trägerin sie in der Hand hält, ihre Farbe. Das ist hübsch anzusehen (und spart Kosten, die die Beschaffung einer größere Handtaschenkollektion sonst verursachen würde), und mit dem Charakter der Tasche nicht Vertraute sollen sich immer wieder höchst überrascht geäußert haben.

    Ich komme aber im Interesse der allgemeinen Verständlichkeit wieder zurück auf den Hund, der zwar sprachlich tatsächlich in einer fliegenden Variante vorkömmt, die sich jedoch bei näherer Betrachtung als gar nicht verwandt erweist. Also der normale Haushung³¹ ist es, der mich zu einem Vorschlag an die Natur oder die Geningenieure? – inspirierte dergestalt, dass man den beliebten Freund des Menschen doch mit einer dritten Achse und daran anmontierten Flügelchen ausrüsten könnte. So brauchte man seinem Liebling dann abends nur das Fenster aufzumachen, ihn aufs Fensterbrett zu setzen und »husch« zu sagen, und der beste Kamerad des Erdenbürgers würde zu seinem abendlichen Ausflug aufbrechen, ohne dass man selbst ihn begleiten müsste (was in diesem Fall ja zugegebenermaßen auch noch erheblich aufwendiger als der obligatorische Abendspaziergang wäre). Wie Karlsson vom Dach.

    Ja, da steht er nun der Gedanke, und schon kommen die Bedenken ob der Kontraindikationen dieser neuerlichen Bequemlichkeit. Natürlich wäre es eine einschneidende Reform für die Hundebesitzer. Schon auch eine Bereicherung des Stadtbildes (wobei man vielleicht zunächst nur für eine Stadt die Lizenz zum Fliegen ausgeben sollte, eine bisher in touristischer Hinsicht benachteiligte, die dann die entsprechende Attraktion in der Werbung herausstellen und Scharen von Sensationssüchtigen damit anlocken könnte. Dabei fällt mir ein, dass noch im Jahr 1999 im saarländischen Marpingen drei eher jüngere Damen öffentlich behaupteten, ihnen erscheine die Jungfrau Maria und übermittle ihnen Botschaften, die sie an mehreren aufeinander folgenden Sonntagen in einem Wald auf ein transportables Diktiergerät aufsprachen und den zu Abertausenden erschienenen Pilgern und Neugierigen anschließend über eine eigens installierte Lautsprecheranlage vorspielten. Vielleicht wären also auch in einem solchen Falle die touristischen Chancen gar nicht so gering, ob man nun die entsprechenden Hunde vorrätig hätte oder auch nur ein paar entsprechende Anzeigen veröffentliche). Auch böte dieses Hundemodell natürlich sowohl für den Schnepfen- als auch den Moorhuhnjäger³² erhebliche Erleichterungen, wohingegen die Engländer es bei der Fuchsjagd vermutlich aus Fairnessgründen nicht zum Einsatz brächten. Aber die übrigen Folgen! Stellen Sie sich vor, wie ein Briefträger von einem ganzen Rudel von hyänen-harpyienhaft flatternden und infernalisch kläffenden Dackel durch seinen Zustellbezirk verfolgt wird. Das sind dann wahrlich gefährliche Briefschaften. Allein, so etwas könnte man eher als Nebensache ansehen gegenüber dem, was dann mit der Hundeköttel geschähe, die dann nicht mehr nur in Kontakt mit den Schuhen der Passanten geriete, sondern auch mit deren Hüten, um Schlimmeres gar nicht zu erwägen oder zu erwähnen.

    Nein, da lassen wir doch alles lieber so, wie es ist.

    (Die Einführung neuer Bequemlichkeiten hat ja oft mehr Schattenseiten als lichtvolle. Aber gemeinerweise scheint es so eingerichtet zu sein, dass Menschheit das immer erst merkt, wenn es spät ist. Die Erfindung des Automobils löste jene verhängnisvolle Entwicklung aus, in deren Verlauf den Leuten zunächst die Beine verkümmerten und schließlich ganz abfielen, die Einführung des warmen Essens führte zu ähnlichen Erscheinungen bei den Zähnen, die Beherrschung des Feuers beim Fell – na ja, und so weiter usw. Der gerade einmal ein paar Jahrzehnte im Einsatz befindliche Computer hat bekanntlich bereits jetzt zum Ergebnis, dass 15-Jährige nicht mehr rechnen können und Buchstaben fast nur noch erkennen, wenn sie aus Pixeln aufgebaut sind, von Augen- und Rückenschäden einmal gar nicht zu sprechen. Jaja sagte die alte Tante Annerose setzte sich in ihrer Sofaecke zurecht pickte sich ein paar Krümel von der Bluse und nahm sich noch ein Stück Kuchen jaja das ist gar nicht gut aber die Leute wollen's ja nicht anders aber wenn sie erst mal so viel gesehen hätten wie unsereiner - - - - - )

    (Tanten sind ja in der Literatur meistens ältere, schrullige Damen und kaum jemals junge knackige. Auch diese Tante ist durchaus in die Jahre gekommen. Jemand anders hätte ihr vielleicht sogar schon ein Buch geschenkt »Wie regle ich meinen Nachlass«, aber das wäre mir doch allzu unpassend erschienen, ja, stillos. Wobei: eines tat sie nicht: Patiencen legen. Patiencen legen hat so etwas Miefiges, habe ich immer gefunden. Es erinnert irgendwie an die alten Damen bei Saki, na ja, vielleicht auch nicht, denn die alten Damen bei Saki können manchmal auch ziemlich gefährlich sein; zumindestens bissig. Gleichwohl. Ich dachte das über Patiencen. Lange Zeit. Bis ich dann auf Solitär stieß, dieses Spiel im alten Windows-Betriebssystem. Ich bin ja eigentlich ein eingefleischter Hasser von Spielen, aber dieses Spiel faszinierte mich, ja, einige Wochen lang war ich regelrecht süchtig. Anfangs dachte ich, es sei mir überlegen, wie ich das auch vom Schach weiß. Dann fand ich heraus, dass sich einige Partien eben wirklich nicht lösen lassen, das Programm das dem Spieler aber nicht verrät. Ich überlegte ernsthaft einen Artikel zu schreiben, in dem ich das Spiel als Schule für Unternehmer anpreisen wollte, denn es lehrt Überblick suchen, auf verschiedenen Baustellen arbeiten und überhaupt sich selbst nicht überschätzen – irgend etwas übersieht man immer, und man weiß vorher nie, wie sie Sache ausgeht (und man findet auch keinen Sündenbock). Überhaupt ist das Spiel ziemlich hinterhältig und gemein programmiert, finde ich, schon allein der triumphierende, ja geradezu höhnische Ton, der einem bei einem Tip ankündigt, dass man wirklich wieder blind wie ein Huhn war, ist eine regelrechte Unverschämtheit. Oder die Art, einen immer wieder dieselben dummen Züge machen zu lassen, bevor die erlösende Meldung kommt »Leider verloren«. Vielleicht spielt das Programm ja auch mit getürkten Karten, und behält einem sozusagen in Abhängigkeit vom eigenen Spielverhalten bewusst bestimmte Karten vor, die man unbedingt braucht. – Ich vermute aber, dass es auch bei wirklichen, wirkliche Patiencen aus materiellen Spielkarten legenden Tanten solche gibt, die immer wieder glauben, ihr Lieblingsneffe habe ihnen die Pik-Sieben versteckt. Und nachzählen.³³)

    Alles so lassen wie es ist: auch leichter gesagt als getan. Nehmen wir nur mal die Haustür; seit einigen Jahren verzieht sie sich. Man sollte das gar nicht für möglich halten, alt wie das Holz schon ist und wenigstens im letzten Jahrzehnt immer mal wieder neu gestrichen, aber sie verändert ihre Form, verliert an Geradheit, will fort vom Linearen (wofern man das bei dreidimensionalen Gegenständen überhaupt so sagen kann) und begibt sich damit ernsthaft in Gefahr, auch ihren derzeitigen und einzigen Beruf nicht mehr verlässlich ausführen zu können, denn was mit Spalten und Ritzen begann, könnte bald zu einer gänzlich Unverschließbarkeit führen und damit eine Wandlung, eine Trennung, eine Veränderung herbeiführen, die ich nicht herbeisehne, denn neue Haustüren sind teuer. Kommt aber noch eins hinzu: die Haustür fügt sich optisch so gut ins Gesamtbild des Hauses ein. Ein Schreiner, der seinen Beruf noch geliebt hat, so scheint’s, kerbte ihr eine Reihe von bescheidenen Verzierungen ein, die mit der Gestaltung der Mauersimse und der äußeren Fensterbänke (ich erwähnte es vorhin beiläufig: viel Kunstfertigkeit ist da nicht vorzufinden, aber immerhin) aufs Freundlichste korrespondieren, und ich ahne schon, dass man einen solchen Tischler heute nicht mehr finden wird (›Manchmal sind Brötchen noch, was Brötchen einmal waren…‹³⁴). Dann bliebe nur noch die Wahl zwischen gähnender Langeweile und standardisiertem Protz; getriebene Bronze etwa, wie von namhaften Türenherstellern gern angeboten, wäre mir ein Graus. Also werde ich doch bald einmal jemanden auftreiben müssen, der die alte Haustür abhobelt und sie wiederum neu anstreicht, für eine weitere Galgenfrist, damit ein kleines Stückchen mehr beim Alten bleiben kann.

    Das bringt aber ein weiteres Problem mit sich, Sie ahnen es schon. Wenn ich den Auftrag erteile, die Haustür abzuhobeln, muss man sie aus den Angeln heben und forttragen. Wenn sie angestrichen sein wird, darf man sie zunächst nicht schließen. Es wird also ein paar Tage offenes Haus sein, und das ist gefährlich, denn das Gesindel lauert ja nur drauf.

    Tante A – --- Tante Agnes hat, glaube ich, dem Haus den Bettler sehr übel genommen. – Agnes? – Obwohl das Haus gar nichts dafür konnte, und ich auch nicht sehr. Aber das war vielleicht nicht einmal das Schlimmste. Denn den (ansonsten bekanntlich recht schmucklosen) Sockel schmückten auch noch Graffitis. Adelheid?? Das ist halt so einer der Preise, die man für eine innerstädtische Wohnlage zu zahlen hat.³⁵ In den Metropolen³⁶ gibt es immer eine große Gruppe oder besser viele kleine Gruppen von Sprühern (auch Einzelgänger, natürlich), die einen Teil ihres Glücks im nächtlichen Anbringen mehr oder weniger origineller Zeichen an mehr oder weniger bedeutsamen Stellen im Weichbild einer Siedlung zu finden verdächtig sind.³⁷ Früher waren das einmal hübsche Bilder, heute sind es meist nur noch die Signaturen. Kein Werk, aber eine Signatur, das ist auch so eine Entartung von Kunst, der man einmal näher nachgehen sollte. Sie mögen die Verwendung des Wortes ›Entartung‹ an dieser Stelle vielleicht als zu grob empfinden, aber ich möchte mir nicht immer von der früheren Fehlverwendung einzelner Vokabeln eine heutige Rechtverwendung verbieten lassen. Gleich werde ich es ohnehin wieder relativieren; vielleicht ist das bei genauerem Überlegen, denke ich mir nämlich, gar keine Entartung, es ist nur eine Art Spaltung. Schauen Sie mal: das Kunstwerk ohne Signatur finden wir heute allerorten, es überschwemmt die Rezipienten seit den Dosenbildern, (den Bildern der Campbell’schen Dosen, meine ich, nicht den Bildern auf Campbell’schen Dosen) alles ist Werbung alles ist Kunst, das bestimmt doch unsern Alltag immer mehr, das Verschwinden der Autorenkennung am Werk ist absehbar. Wie angenehm nimmt sich dagegen einmal eine Unterschrift ganz ohne Werk aus. Wie still kommt sie daher, kündigt sozusagen nur etwas an, das sie aber nicht einlöst (damit natürlich wiederum dem Brimborium der

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