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Zwischenräume im Tagebuch von Jeannine Laube-Moser
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Zwischenräume im Tagebuch von Jeannine Laube-Moser
eBook545 Seiten7 Stunden

Zwischenräume im Tagebuch von Jeannine Laube-Moser

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Über dieses E-Book

Mir jedenfalls macht es mir einen Riesenspaß, wenn ich mich zum Beispiel mit Dir, na ja gut, ausnahmsweise auch mit Dir dort hinten, unterhalten darf. Ich hoffe nur, das stört Dich nicht und auch Dich dort hinten mit dem blauen Dingsbums nicht besonders.
Über meinen Namen brauche ich gar nicht viel zu sagen, weil den kann jeder ohnehin vorne am Buchdeckel lesen. Nur auf den Bindestrich zwischen Laube und Moser lege ich einen großen Wert. Einen sehr großen sogar!
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum15. Sept. 2017
ISBN9783742775511
Zwischenräume im Tagebuch von Jeannine Laube-Moser

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    Buchvorschau

    Zwischenräume im Tagebuch von Jeannine Laube-Moser - Wilhelm Kastberger

    Wilhelm Kastberger

    Zwischenräume im Tagebuch

    von Jeannine Laube-Moser

    Entstanden zwischen September 2016 und Juli 2017

    Impressum

    Auflage

    © 2017 Copyright by Wilhelm Kastberger

    5700 Zell am See, Golfstraße 3/5, Atelier in 5722 Niedernsill-Jesdorf

    Tel.: +43 (0)650-3031356, E-Mail: w.e.kastberger@sbg.at,

    http://kastberger.members.cablelink.at/

    Abdruck, auch auszugsweise nur mit Genehmigung des Autors

    Herausgeber: im Eigenverlag

    Das Cover-Bild vorne:

    Foto vom Zellersee in Richtung der

    Berggruppe „Drei Brüder" im Mai 2016 aufgenommen

    Das Cover-Bild hinten:

    Eine Blumenlandschaft im Pinzgau

    aufgenommen von Wilhelm Kastberger

    Streu-Teller-Extra-Post

    Inhaber Mariandl Streu und Magnus Luka Teller

    Zum wiederholten Male wurden wir beide als die bereits legendären Streu-Teller-Zwischenzeitjournalisten von unserer eigenen Redaktion, der niemals periodischen, jedoch vereinzelnd erscheinenden Lokalbeilage der Streu-Teller-Extra-Post, in arge Bedrängnis gebracht. Wir sollten nämlich hierzu eine fiktive Reportage machen. Was vielen Lesern, als auch dem kleinen Kreis der Zuhörerschaft, wahrscheinlich bis vor geraumer Zeit verborgen geblieben war, betreiben wir als Zwischenzeitjournalisten längst schon nachfragwürdige, gleichfalls wissenschaftliche Untersuchungen am Horizont der Verzweiflung.

    Es gibt sie dort. Das wissen wir. Jede Menge sogar. Einige davon kennen wir in der Zwischenzeit vergleichsweise ganz gut. Von erheblicher Bedeutung sind für uns die Großen. Aber auch die weniger Großen. Oder gar die bereits halbversteinerten Schöpfergehirne. Freilich auch jede Menge andere. Zum Beispiel die Aufgeblasenen oder die mit Sprenggas angefüllten Pyramidenspitzen, die so ungeniert mit immenser Geschwindigkeit rotieren und erzwungenermaßen mit sich selbst gefesselt sind.

    Eine engagierte Außendienstmitarbeiterin der Streu-Teller-Extra-Post, die namentlich hier nicht genannt werden möchte, entdeckte beim gewissenhaften Übersehen einen neuen, bislang unbekannten und nicht erforschten Trabanten am Autorenhimmel. Ein einseitiger, bislang unbeachteter Jubel soll ihr danach zwischen ihren Gedanken lautlos entflohen sein. Jeannine Laube-Moser heißt die Unberühmtheit. Inzwischen ist sie durch Einflüsterungen von Allmöglichen, nicht zuletzt durch die Streu-Teller-Extra-Post, überall im Dorf bekannt geworden. Jetzt kennt man sie auch unter ihrem Spitznamen Schani.

    Allerdings fehlt unserer Ansicht nach in ihren Geschichten Wesentliches. Die Schani versucht hier locker vom Hocker der Welt und vor allem Dir, etwas mitzuteilen, obwohl sie das Einleuchtende, was normalerweise eine Tagebucherzählung rundweg auszeichnet, offensichtlich übersehen hatte. Die Zeitangaben. Es gibt keine! Hat sie diese vergessen oder absichtlich nicht eingefügt? Gerade deswegen werden sich irgendwann einmal Forscher schwer tun, die Dokumentationen von Schani einzuordnen. Sie werden damit am Rande der Verzweiflung stehen.

    Mariandl Streu und Magnus Luka Teller im Juli 2017

    Inhaltsverzeichnis

    01            Das Vorwort scheib ich mir schon selber …

    02            Am Brunntrog bei der Zwischenscherzerlalm

    03            Auf dem verwickelten Tanzparkett

    04            Bernie´s Kindermund

    05            Da Spur Sepp und da Pfarra

    06            Das Gurkerl in Paradeuniform

    07            Das Stell-dich-ein der Powerfrauen

    08            Das verlorengeglaubte Kartenspiel

    09            Die Seelenzwischenraumkultur

    10            Die erste Lesung im Wurscht-Theater

    11            Ein Rucksack voller Hab mi gern

    12            Eine Dorferneuerung mit dem Reinthaler Pepi und Co

    13            Eine Frisur, wie ein Kamel vorm Wasserloch

    14            Einen Führerschein hab ich auch

    15            Harmlose Kugerlspiele

    16            Im Sonnenblumenblütenstrauchcafe

    17            Lektion über Innovation im Tourismus

    18            Lumpazi und das Erwachen von Dornröschen

    19            Maximilian Felsenreitmair und die Digitalpumpserie

    20            Mein Gehirn hat nur ein Leergewicht …

    21            Mein Monteverdi-Bildungsstätten Abenteuer

    22            Rauchfreizone im Pizzabäckerrestaurant

    23            Woarts nur ab, Gruaba Wastl, woarts nur ab

    24            Zipfelmützenschläferin

    25            Wer den Schluss nicht kennt …

    26            Biographie

    01 Das Vorwort schreibe ich mir schon selber …

    Niemand hat mich je dazu genötigt oder gar auf andere Weise

    um zwei Jahre, drei Monate, vier Tage und vielleicht sogar noch um einige Stunden jünger bin, als sie. Die andere meine ich.

    Dir ist es vielleicht schon aufgefallen. Ganz dicht ist ja nicht. Ihr fehlt nämlich bedrängt, mich in so ein endlos erscheinendes Abenteuer, mit jeder Menge Durch- und Umbrüchen oder gar zwischen so manchen Vorahnungen und Prophezeiungen hineinzuzwängen. Im Nachhinein betrachtet wäre es wahrscheinlich für mich besser gewesen, wenn ich mich gleich zu Beginn gesträubt hätte, diese mir selbst gestellte Aufgabe zu übernehmen. Nämlich die Zwischenräume meines Tagebuches zu durchforsten. Das hirnvernebelte Übel konnte ich damals nicht einmal im Sommer erahnen, der genaugenommen einen ganzen langen Donnerstag gedauert hatte.

    Mit allen möglichen abenteuerlichen Wortspielereien habe ich mich bereits früher einmal, zumindest Dir gegenüber, äußern dürfen. Keinesfalls werde ich es mir selbst erlauben, dass ich so im selben Fahrwasser weiterwurschteln werde.

    Mir jedenfalls macht es mir einen Riesenspaß, wenn ich mich zum Beispiel mit Dir, na ja gut, ausnahmsweise auch mit Dir dort hinten, unterhalten darf. Ich hoffe nur, das stört Dich nicht und auch Dich dort hinten mit dem blauen Dingsbums nicht besonders.

    Über meinen Namen brauche ich gar nicht viel zu sagen, weil den kann jeder ohnehin vorne am Buchdeckel lesen. Nur auf den Bindestrich zwischen Laube und Moser lege ich einen großen Wert. Einen sehr großen sogar!

    Ich heiße nämlich Jeannine Laube-Moser. Du kannst selbstverständlich auch Schani zu mir sagen, da fühle ich mich überhaupt nicht angemeiert, wie man bei uns im Pinzgau nicht sehr oft zu sagen pflegt.

    Aber was mir der Verleger angetan hat, das kann man mit bestem Willen nicht gutheißen. Der Mensch, der für das Coverdesigne verantwortlich war, der hat doch wirklich meinen wertvollen Bindestrich vergessen und so kam halt das Buch mit einem Geburtsfehler behaftet unter die Leut.

    Du wirst mich verstehen lernen. Weil ganz so freiwillig gibt nämlich eine Dame vom Land, so wie ich eine bin, jedenfalls glaube ich das, ihr hohes Lebensalter nicht preis. Aber grad einmal als Fleißaufgabe, sowie mit ausgesuchter mittlerer Bosheit, tue ich das nun hier.

    Ich kann nämlich jene Jeannine Laube Moser, die ein paar Ortschaften von mir entfernt ihren Wohnsitz hat, um kein Haar nicht ausstehen. Verstehst Du mich! Daher verkünde ich hier in meiner wohlmeinenden und Übergebühr freundlichen Art, dass ich nicht nur die Verbindung zwischen ihrem Doppelnamen. Der hat keinen Bindestrich. Ein Unterschied, der zwar nicht weltbewegend zu sein scheint, aber den Du Dir unbedingt merken solltest! Abgesehen vom Bindestrich ist sie auch um einige Strichlängen kleiner als ich. Du siehst es ja selbst, gar so groß bin ich ja auch nicht. Aber sie schleppt jedenfalls keine einhundertachtundsechzig Zentimeter Gardemaß mit sich herum.

    Kennengelernt habe ich diese Frau irgendwann einmal bei einer Vernissage, droben in Neukirchen. Bei dieser Gelegenheit hatte sie mir damals hinter dem Halstuch, oder war es doch ein Kopftuch - egal - jedenfalls unter einer durchgehäkelten Verschwiegenheit eines ihrer Geheimnisse verraten.

    Das kann ich Dir gleich schon für die Zukunft mitgeben. Vielleicht wärst Du selbst auch ohne meinen Hinweis draufkommen. Geheimnisse, welcher Art auch immer, sind bei mir ja bestens aufgehoben. Da kommen nur selten Geheimnisse ins Tagebuch hinein und lesen tut das sowieso neimpi net.

    Also mein Namenszwilling ohne Bindestrich hatte schamloserweise ihr Geburtsdatum ins Facebook veröffentlicht. Trotzdem halte ich mich persönlich an ein bereits abgegebenes Versprechen, beispielsweise anvertraute Geheimnisse nicht preiszugeben. Daher sage ich es Dir auch nicht, dass sie schon eine Zeitlang neunundfünfzig Jahre und ein paar zerquetschte Monate noch dazu, gewesen ist. Später einmal werde ich Gelegenheit aufgreifen und die Bindestrichlose in eine meiner Kurzgeschichten verpacken. Das wär´s dann.

    Über meine haufenweis eingetragenen Facebook-Freunde und meine etwas weniger guten Bekannten brauche ich an dieser Stelle nicht viel herumzudeuteln. In der einen oder anderen Geschichte, die noch folgen werden, wirst Du noch genügend Zeit finden, die wahren Charaktereigenschaften von diesen liabn Leitln selbst herauszufiltern.

    Vielleicht einen, höchstens aber einen zweiten Menschen aus meinem Bekanntenkreis möchte ich Dir ganz gerne hier gleich am Anfang ein wenig an Deinen Herzschrittmacher legen. Solltest Du zufälligerweise in der Zuleitung zu dem Zauberding keinen Stromstoß verspüren, dann kannst Du eh machen, was Du willst. Ich bin ja nicht eine Geburtshelferin für Deine verzwickten Gedanken, obgleich ich eine mehrmonatige Seelenklempner-Ausbildung schon hinter mir habe. Aber das gehört im Moment nicht hierher.

    Also abgesehen von meiner besten Freundin Margot, wäre da auf alle Fälle noch der Nikolaus Froschkopf. Er wohnt mit seiner Ehefrau Valentina Feitelkramer-Froschkopf unter mir im ersten Stock. Du musst nämlich wissen, wir wohnen alle in einem gelb-braun heruntergepinselten Mehrfamilienhaus, wo die Fenster neuerdings mit Dreifachverglasungen ausgestattet worden sind. Dies wahrscheinlich deshalb, weil die Architekten und andere saumäßig gscheite Leit unbedingt eine vierzehn Zentimeter dicke Styroporverpackung rund um die Ziegelmauern kleben wollten. Momentan kann ich diese Entscheidung nur positiv beurteilen. Im Gegensatz zu den Briefwahlkuverts dürfte dieser Kleber, obwohl er angeblich auch in Deutschland hergestellt worden ist, an der Hausmauer vielleicht noch eine geraume Zeitlang picken bleiben.

    Die nicht unbedingt im Zusammenhang mit diversen Klebereigenschaften stehenden, aber sonst unvermeidlichen Streitschlichtungen im Haus, sollten eigentlich von einer Hausverwaltung gemacht werden. Was zum Glück bislang noch nie geschehen ist. Nicht, weil es noch nie einen Streit gegeben hatte, das schon, aber so eine Hausverwaltung ist ja zunehmend überarbeitet. Wenns gut geht, dann kommt ja bloß einer oder eine Abgesandte alle paar Jahre zu uns. Die schauen dann nach, ob wir noch leben oder ob wir uns schon gegenseitig bereits die Schädel ordentlich verbeult haben. Danach verschwinden sie wieder so unauffällig, wie sie gekommen sind. Für diese Höflichkeitsbesuche zahlen wir pro Monat gleich im Voraus ein Schweinegeld, sag ich Dir!

    Zum Glück sind wir im Großen und Ganzen friedliche nachbarfreundliche Hausleute und das haben wir hauptsächlich dem Nikolaus Froschkopf zu verdanken. Er besitzt vorzugsweise, wie kaum ein anderer in unserem Haus das Talent, sozusagen häusliche Plagen herbeizuschleppen. Diese beschreibt er dann ausführlich in seinen Leserbriefen! Und was für welche! Da gehen förmlich die Rösser auf der staubigen Landstraße durch, wenn es noch welche geben sollte. Ja, ja, seine nicht immer stillbegleitende Ehefrau Valentina Feitelkramer-Froschkopf ist die eigentliche Ideenlieferantin für dieses Geschreibsel.

    Da wird schon mal Tagesaktuelles zwischen Politik und Wirtschaft mit der örtlichen Müllabfuhr kreuz und quer vermischt. Aber er zieht auch gerne Vergleiche mit den Geruchsbelästigungen, zum Beispiel durch das vormittägliche Herausbacken von Kaspressknödln in unseren viel zu kleinen Kochnischen einerseits und mit der andauernden Verunreinigung des kanalgeschützten Abwassers. Diese Mischkulanz versetzt naturgemäß so manche Leserbriefleser in unfassbare Erregungszustände.

    Postwendet kann der stirngeneigte Leser oder die im Schaukelstuhl sitzende Leserin, wie ich zum Beispiel, in den nächsten oder übernächsten Ausgaben der Bezirkszeitungen wütende oder auch beipflichtende Reaktionen zu den Froschkopfzitaten studieren. Das ist, für mich jedenfalls, oftmals unterhaltsamer als das Fernsehprogramm am ORF-Sport-Kanal, das ich ohnehin meide, so geht es geht, genauso wie das Herumsitzen im Wartezimmer der Ordination von unserm Land- und Hausarzt Doktor Alfred Burusmeister.

    Angekündigt habe ich es bereits. Nun möchte ich Dir es auch nicht vorenthalten.

    Schau mal! Als ein lupenreines Gegenstück zum Nikolaus Froschkopf, stelle ich Dir hiermit die Journalistin Doktor Anita Reisenhübner vor. Irgendwann hatte es sich so ergeben, dass ich sie jetzt als eine vertrauenswürdige, gute Freundin betrachten kann.

    Nein, nein, nicht so wie die Margot. Die gehört als beste Freundin, sozusagen als danebenherhatschende Begleiterin, ohnehin zu meinem Leben.

    Wie soll ich Dir das erklären? Gut, zu Anita Reisenhübner ist meine Seelenverwandtschaft nicht so stark ausgeprägt. Vielleicht liegt das auch an ihrem Beruf. Als freie Mitarbeiterin ist sie ja in den verschiedensten Printmedien zugange. Ferner wohnt sie außerdem in Mittersill. Was ich nicht unbedingt als eine Beleidigung der Stadt bezeichnen möchte. Nein, ganz bestimmt nicht! Sie ist nämlich ausgerechnet dort auch noch verheiratet. All das kann ich persönlich leider Gottes nicht bieten.

    Doch bedauernswerterweise versteht sie als akademisch gebildete Sprachengeschulte kaum verschiedene umgangssprachliche Deutungen von uns Einheimischen. Schon gar nicht begreift sie die wahrlich unterschiedlichsten, bisweilen hochkulturellen Dialektformen, die zugegebenermaßen oftmals von Ort zu Ort anders in den Ohren der Zuhörer klingen mag. Andererseits gebe ich es ja auch zu. Eine Dialektforscherin bin ich nicht. Und aufschreiben kann ich diese Fremdsprache selbst auch nicht.

    Aber den nordamerikanischen Alaska Dialekt, ein Englisch, das man als solches niemals hierzulande im Schulunterricht einreihen könnte, kapiert die Anita Reisenhübner wieder bis in die kleinsten Nuancen hinein. Nur gibt es hier in den Nationalparkgemeinden sehr wenig nordamerikanische Ansässige, auch keine Grizzlybären, mit denen sie ihre Verbal-Allüren ausleben könnte.

    Hätte sie halt doch Arabisch studiert! All diese Umstände gehörten gewiss auf eine Plattform der Gegensätze gehoben und wahrscheinlich nur deswegen wurden wir auch Freudinnen.

    Warum ich mir das Vorwort schon selber schreibe, dafür habe ich nämlich zuverlässige Gründe. Einer davon heißt Heinrich Otto Stormhänger. Andere fallen mir im Moment nicht ein. Die werden gewiss noch kommen, davon bin ich überzeugt!

    Zuerst möchte ich das Positive über den Heinrich Otto Stormhänger aus meiner Nähschatulle hervorkramen. Die besitze ich nur deshalb, weil Margot ja eine Hobbytrachtenschneiderin ist und bei mir hin und wieder Sticheleien ausprobieren möchte. Zwar nicht immer, aber dafür immer weniger, beachte ich ihre Art von stichwütiger Gesprächskultur.

    Also gut. Der Heinrich Otto Stormhänger ist ein guter Mensch! Zweifellos. Aber wohlgemerkt, er ist auch ein an meinen Nerven herumsägender Besserwisser. Zu kritischen Fragen von mir oder von anderen, die zum Beispiel seine Dichtkunst nur am Rande streifen sollte, gibt er sehr gerne keine Antwort. Aus reiner Verzweiflung und Unsicherheit heraus, nörgelt er dafür überall herum. Auch im Caféhaus! Und das ist bitteschön doch ein Ort der Einkehr und der Stille. Für andere und für ihn mag das Kloster der richtige Ort sein. Für mich ist das Caféhaus zwar nicht eine heilige, aber immerhin eine erhabene Stätte der Stille. Das ist ihm, dem Heinrich Otto Stormhänger, aber wieder völlig wurscht. Zum Glück verlieren sich seine Widerspruchsgeister in dem Moment, wo er bemerkt, dass er seine Zeche nicht selbst zu bezahlen braucht.

    Weil von Teilen versteht er ungefähr so viel, wie der krawattenlose blonde Kirchensteuereintreibungsbeamte. Der hatte schon letzten Winter bei mir auch ausgeschi … So was von Überheblichkeit muss man über sich ergehen lassen, nur weil man höflich zu erwidern versucht. In etwa so: `Schau net so bled, i zoi dir des nia`.

    In Wahrheit habe ich die paar Worte mit einer lieblichen Tonmelodie, ja beinahe leise ihm vorgesungen, obwohl ich im Singen in der Schule nie über drei gestanden bin. Aber das weißt Du ja schon längst. Eine Gesangstalentierte bin ich beileibe nicht. Und geschrien, wie von dem hinter dem Schreibtisch Geschützten behauptet worden war, habe ich schon überhaupt gar nie nicht.

    Na ja, was soll´s. Der Heinrich Otto Stormhänger ist bei Weitem kein Steuereintreiber. Ganz im Gegenteil! Er tut sich halt sehr schwer beim Teilen. Es ist ihm egal, was wir, sozusagen als Durchschnittsmenschen, gerne bereit sind, mit anderen zu teilen. Ich teile gerne mit jemandem. Beispielsweise eine Buttermilch. Ja ich würde mich sogar herablassen, ein volles Glas von diesem Gesöff, das ich nicht ausstehen kann, zu teilen. Mehr noch zu verschenken.

    Heinrich Otto Stormhänger ist obendrein noch mit sich selbst geizig. Er lässt es nicht einmal zu, dass irgendwer seinen dreiteiligen Namen vollständig aussprechen, geschweige denn, niederschreiben darf. Er besteht hartnäckig darauf, dass der zwischendrin herumlungernde Otto, von wem auch immer, nicht ausgesprochen werden soll. Aber ansonsten ist er ganz handsam.

    Also wie gesagt, ich darf den Heinrich Stormhänger im vertrauten Du ansprechen. Allerdings muss ich Heinrich zu ihm sagen, weil Heini wäre auch eine Beleidigung gewesen.

    Bei einer schon länger zurückliegenden Caféhausdiskussion hatte er sich bemüßigt gefühlt, ein Vorwort zu meinen Geschichten schreiben zu wollen. Er wollte sich quasi revanchieren, weil ich in seinem letzten Buch Zwischen Heinrich und Jeannine mit meinen frechen Bemerkungen ihm dazwischen hineingepfuscht hatte. Klar und unmissverständlich habe ich damals schon meine Ablehnung kundgetan, um hier im Sprachmodus von Heinrich zu bleiben. Ich konnte mir nämlich bildlich vorstellen, wie seine Revanche ausgefallen wäre.

    Nämlich unteilbar und boshaft!

    Vielleicht zum Abschluss noch einen klärenden Hinweis! Allein nur für Dich. Du wirst Dich auch schon gefragt haben, wie kommt die Schani bloß auf dieses Buchtitel. Ja das ist ganz einfach. Es gibt in meiner natürlichen Umgebung noch so ein Schwergewicht von einem Mann, der nur so umgeben wird von wirren Vorahnungen und ebensolchen Prophezeiungen.

    Bertram Reinprächter heißt er. Von Beruf ist er Meisterregisseur bei den Festspielen und das nicht nur in Salzburg.

    Um es kurz zu machen: Dieser Bertram Reinprächter hatte die unvorstellbare Gabe mich als Jeannine Laube-Moser (mit Bindestrich) so zuzusetzen, dass ich zu dem Buchtitel, der ja eigentlich vorne draufstehen sollte, wenn ihn der Verlag nicht zwischenzeitlich ausradiert hat, zustimmend genickt haben soll.

    Das reichte wiederum den Regisseur und ich konnte den Buchtitel auch gar nicht mehr ändern.

    02 Am Brunntrog bei der Zwischenscherzerlalm

    Dunkel kann ich mich noch erinnern. Ich glaube es dürfte im August gewesen sein. Jedenfalls war es ein Samstag. Gut, ich kann mich auch irren und möchte mit Dir nicht streiten, aber ein Montag war es auf keinen Fall. Nach vierzehn Uhr dreiundzwanzig war es schon. Das stimmt und das weiß ich noch sehr genau, weil um diese Zeit betrat ich das Lokal. An der Uhr, die über der Tür aufgehängt war, konnte ich die Zeit ja gut ablesen. Leider standen die Zeiger nach gut einer Stunde immer noch an derselben Stelle. Daraus schließe ich, dass die Zeitangabe nicht unbedingt korrekt war. Wurscht!

    An diesem Tag waren alle meine zwei Freundinnen, nämlich die Margot und die Anita Reisenhübner sowie außerdem noch ein paar Bekannte rund um den Stammtisch versammelt. Mehr oder weniger war es halt der kleine harte Kern. Nicht der Bundeskanzler, den meine ich nicht, sondern die Stammtischler. Sie versuchten wieder einmal, eine der berüchtigten Caféhaustratschereien in Gang zu setzen.

    Jeder und jede redete mit jeden und bei dieser Gelegenheit habe ich wohl die freudige Kunde hinausposaunt. Das Wort Kunde streichen wir besser wieder weg, weil es gar zu mittelalterlich klingt. Du musst das so sehen: In meiner Niedergeschlagenheit, nämlich nur so am Tisch zu hocken, am lauwarmen Kaffeehäferl zu schnuppern und ein nichtssagendes Gesicht aufzusetzen, das wollte ich auch nicht. So entschloss ich mich halt, etwas Hochintelligentes am Tratsch-Markt beizutragen.

    Ob es nun richtig war oder falsch, was ich mit leicht angehobener Stimme in die Runde hineingeworfen habe, das sei dahingestellt. Keinesfalls wird das je das Los entscheiden. Ich hatte nämlich etwas zu feiern. Einen Jahrestag!

    Als Entschuldigung möchte ich freilich gleich einmal anmerken, dass ich schon ein bisschen zu gutgelaunt gewesen bin, als ich das Lokal betreten hatte. Schuld an meiner überdurchschnittlichen Fröhlichkeit war gewiss nicht der Standardkaffee vom Cafetier Walter Winkelmeier.

    Eher war es die zwanglose Plauderei bei der Herfahrt mit der Schaffnerin von der Pinzgauer Bahn. Sie erzählte mir nämlich hinter fast vorgehaltener Hand, sodass auch die rundumsitzenden Fahrgäste ihren Spaß gehabt haben mussten, zwei angeblich nigelnagelneue, sehr freche Blondinen Witze. Frauenbeauftragte von Greenpeace hätten nicht hinhören dürfen. Wenn beispielsweise nur eine davon anwesend gewesen wäre, hätte es einen scharfen Protest gehagelt, womöglich begleitend von einem Skandal und wir wären unter Umständen alle wegen Diskriminierung des schwachen Geschlechts vor den Richter zitiert worden. Es war keine dieser militanten Damen im Zug und kommen daher diese hier auch nicht zum Zug.

    Ich habe mir sowieso nicht alle Einzelheiten von dieses Witzen gemerkt. Einer davon lautete etwa so: Was macht eine Blondine am Computer, wenn es brennt? Die Pointe habe ich bereits beim Erzählen des Witzes verschluckt. Die Schaffnerin lachte sich selbst bei jeder ihrer Pointen einen Holzfuß und steckte uns Fahrgäste mit ihrem herzhaften, tränenzubodenfallenden Lachen an. Bei diesem Lachtiramisu hätten wir beinahe vergessen, den Ausstiegwunschknopf zu drücken. Das wär dann ein Lacher mehr gewesen.

    Also zurück ins Caféhaus. Da saß sie dann am Stammtisch. Allerdings ein wenig abgerückt von den anderen und keine Spur einer Heiterkeit im Gesicht. Daneben stand ein leerer Sessel, auf den ich dann platzgenommen habe. Ich weiß nicht, ob Du diese ein wenig trübsinnig aussehende Frau überhaupt kennst. Gesehen habe ich sie schon ein paar Mal hier im Lokal. Nur die Chance, ein Gespräch mit ihr zu führen, das ist mir bislang noch nicht gelungen.

    Einige am Stammtisch und auch der Walter Winkelmeier kannten sie nur unter dem Allerweltskosenamen Cherie. Sie war blond und hatte halblange Haare. Rechts und links am Scheitel hatte sie horizontal zarte geflochtene Zöpfe. Wie mir schien, waren die mit irgendwelchen verdeckten Befestigungsinstrumenten an der Kopfhaut festgenagelt. In der Mitte von ihrem Hinterkopf wuchs ein kräftig geflochtenes Kunstwerk über ihren Nacken hinunter. Der untrügliche Blick einer Frau, also meiner, erkannte schon beim ersten Mal Hinschauen, dass man hier von einer natürlichen Verblondung nicht ausgehen darf. Da wurde mit chemischen Keulen getrickst. Aber wie! Geht mich ja eigentlich gar nichts an.

    Freilich erinnerte ich mich wieder augenblicklich an den Blondinen Witz von der Schaffnerin. Nur die Pointe wollte und wollte nicht freiwillig aus meinem Gedächtnis hervorkommen.

    Cherie redete mit mir, aber erst der vertrauten Du Umwandlung, ihren vollständigen Namen. Marianne heißt sie! Das weiß ich. Ihren Nachnamen kann man sich bei bestem Willen nicht so mir nichts dir nichts merken. Der ist viel zu kompliziert, um ausgesprochen zu werden. Irgendwas mit Grillsinger am Anfang und witsch zum Schluss. Vielleicht Grillsingerwitsch – kann sein.

    Cherie sagte ich nie zu ihr, das klang zu doof. Nur Marianne. Und sie ist, wie gesagt, eine Blondine. Eine Gebleichte allerdings.

    Weil ich gerade vorhin vom Los geredet habe. Damit Du es auch richtig einordnen kannst. Ich spiele nur ab und zu, wenn ich zufällig bei uns im Dorf in die Trafik gehe, um mir eine Wochenzeitung zu kaufen. Jedoch nur dann, wenn ich vor dem Geschäftseingang einen Plakatständer sehe, auf den ein Zusatzzettel klebt und darauf mit Filzstiften der Vermerk angebracht wurde:

    „Bei der nächsten Ziehung gewinnen sie neunundzwanzig Millionen!" Oder weniger! Dann kaufe ich mir halt um ein paar Euro so ein EURO-Millionenlos.

    Gewonnen habe ich insofern schon sehr oft, wenn ich kein Los gar nie gekauft habe.

    Marianne, das war mir schnell bewusst geworden, ist eine geduldige Zuhörerin. So wie ich sie damals einschätzen durfte, hatte sie an dem Tag kaum einen Lacherfolg zu verbuchen gehabt. Da fiel mir plötzlich der andere von der Schaffnerin erzählte Witz wieder ein. In einem millisekundenlangen mundtoten Augenblick der redefreudigen, immer noch bestens gelaunten Tischrunde, schmetterte ich mit voller Lautstärke, selbstverständlich nur in der löblichen Absicht, meine Tischnachbarin aufheitern zu wollen, den mir ins Gedächtnis zurückgekehrten Blondinen Witz in die entgeisterten Gesichter.

    „Warum haben Blondinen keine Eiswürfel im Kühlschrank?"

    Minutenlange Stille des Nachdenkens trat ringsum ein. Auch die nebenansitzenden hartgesottenen Männer der Bauernschnapserrunde, zwei davon mit Hut bedeckt, damit die darunterliegende Glatze keinen Widerschein auf den Gegenspieler werfen konnte, nützten die willkommene Spielunterbrechung zum Schwindeln.

    Das Mienenspiel von der blonden Marianne neben mir veränderte sich anschaulich – positiv – wie ich damals erkennen durfte. Ja, wie soll ich Dir das am besten begreiflich machen: Einfach so. Ihre Lachfalten traten deutlich hervor. Sie gewannen auf dem sonst glatt polierten, von Schönheitscremen gepflegten Gesicht eine bedrohliche Tiefe. Das eben noch Melancholische flog bis hinüber zur Theke, wo der Walter Winkelmeier inzwischen seine Ohren zu einem Außerirdischen zugespitzt haben musste. Weil er trat nämlich ungeduldig von einem Bein auf das andere, quetschte seine Oberschenkel zusammen, als ob ihm ein unaussprechliches Bedürfnis zu überrollen schien. Er wollte aber von unserem Witz nichts verpassen. Das Drängen auf die Pointe war die allgemeine logische Schlussfolgerung und die wurde vehement von mir verlangt.

    Was soll ich sagen. Inzwischen waren sicherlich sechzig Sekunden oder gar schon eine Minute vergangen. Die Pointe schien mir irgendwie verloren gegangen zu sein. Um eben Zeit zu schinden, wiederholte ich die Frage noch einmal.

    „Warum haben Blondinen keine Eiswürfel im Kühlschrank? Na ja, ist doch klar."

    Die Pointe war wie ein Blitzgewitter aus mir herausgesprudelt. „Sie haben das Rezept verloren!"

    Marianne, obwohl blond, aber nicht naturblond, wie sie mir später im Vertrauen und zu meiner Bestätigung zugeflüstert hatte, lachte sich auch so was Ähnliches wie einen Holzfuß, diesmal aber mit Schanierln. Zumindest tat sie so, als wäre ihr einer angewachsen.

    Die vier Bauernschnapser hingegen waren bitter enttäuscht. Sie erwarteten einen deftigeren, nicht so einen abgestandenen Ladenhüter aus der verstaubten hintersten Schublade von irgendeinem Otto.

    Der Toni Kreiswagner, An- und Spielführer der Bauernschnapsergruppe, stotterte dann, wie schon allgemein befürchtet, auch einen Blondinen-Witz hervor. Die Pointierung desselben war so versalzen, dass beim Walter Winkelmeier, der gerade zur richtigen Zeit, offensichtlich wieder erleichtert, an die Theke zurückgekehrt war, seine blassgelbe Gesichtsfarbe auf Purpurrot gewechselt hatte.

    Alles in allem war der Caféhausnachmittag ein lustiger. Für mich gab es sogar einen freudigen Zuwachs. Wir, also die Margot, die Anita Reisenhübner und ich, nahmen Marianne als Neuzugang in unserem Freundeskreis herzlich auf. Diese Art von Zeremonie wurde verständlicherweise auch entsprechend gefeiert.

    Marianne sorgte dafür, dass ein frischaufgewärmter Topfenstrudel vom Vortag, von Walter Winkelmeier persönlich sowie mit besten Empfehlungen von seiner Frau Elisabeth aus der Küche, auf unseren Tisch serviert wurde. In aufmerksamer Reihenfolge wurde vom flinken Chefcafetier auch der vorletzte Schluck von meiner lauwarmen Lawuschibria entfernt und durch einen brühheißen Kaffee ersetzt. Ich vermute das geschah rein in der Absicht, die durchschnittlichen statischen Werte seiner Tageseinnahmen zu erhöhen und nicht wie Du vielleicht glaubst, aus reiner Höflichkeit.

    Bei der Marianne konnte ich bald darauf keine Niedergeschlagenheit mehr aus ihrem Gesicht ablesen. Sie gab sich redselig und erzählte nur so drauflos. Wir haben dann erfahren, dass sie seit vielen Jahren im Tauernklinikum arbeitet. Was sie dort genau tut, das weiß ich allerdings nicht mehr.

    Gemeinsam mit ihrem Mann Miloni wohnt sie sogar im selben Ort wie die Margot, nur rund vier Kilometer weiter talabwärts und dann gleich links hinauf, wo ein alleinstehenden Haus steht. Genau das Große, mit den hellgrünen Balkonen. So ein farbenverspieltes Bauwerk gibt’s dort ohnehin nur einmal. Und von dort ist es nur mehr zweihundert Meter geradeaus zu einem Mehrfamilienhaus einer Wohnbaugesellschaft. Und in diesem Haus im Hochparterre samt Balkon und Abstellraum wohnt das Ehepaar Marianne und Miloni. Angeblich würde man den Wohnblock schon von Weitem sehen, weil gleich daneben drei große weiße Birkenstämme die Schatten auf ihren Balkon werfen.

    Miloni soll ein fleißiger Baggerfahrer bei einer ortsansässigen Baufirma sein. Er ist kein Alkoholiker. Das betonte sie klar und deutlich. Und rauchen tut er auch nicht. Er soll auch nicht in fremden Teichen angeln und schon gar nicht mit einer anderen Frau. Regelmäßig kommt er abends, meist müde und ausgehungert und von oben bis unten voller Dreck, bei der Wohnungstür herein. Im Grunde genommen, ein überdurchschnittlicher langweiliger Typus von einem Mann.

    Miloni und Marianna haben zwei längst schon erwachsene Kinder und die haben auch ihre eigenen Familien. Die Tochter samt Ehemann sowie drei ihrer schulpflichtigen Kinder wohnen in Kroatien unweit vom Meer. Der Sohn lebt mit seiner zweiten Ehefrau in Wien, mittendrin in einem Häusermeer. Er ist Oberarzt im Allgemeinen Krankenhaus und zum Enkel aus seiner ersten Ehe fehle seit Langem der Kontakt.

    In dem Moment, wo sie uns Dreien ihre Familiengeschichte in Kurzform erzählt hat, wäre sie beinahe wieder gekippt und in eine Grube der Melancholie gefallen. Zum Glück griff ich blitzschnell zur Kuchengabel, stocherte ein Stück Topfentorte hinauf, führte diese zu ihren Lippen und habe auf diese Art und Weise professionell Erste Hilfe geleistet. Marianne lächelte wieder.

    Wahrscheinlich hatte sie in ihrem bisherigen Leben wenig zu lachen gehabt. Eine Gabel voller Topfen bewirkt in so einem Fall fast Wunder.

    Stell Dir vor, sie ist zirka fünfzehn Jahre jünger als ich und beinahe gleich alt wie die Journalistin Doktor Anita Reisenhübner. So gesehen ist die Margot demnach die Jüngste von uns vier. Aber mit dem kinnladen- und mundwinkelherunterhängenden Gesicht von der Marianne, aus dem noch vernebelte, trübsinnige Augen herausschauen, da muss man doch etwas unternehmen. Meist in solchen Augenblicken trat wieder einmal mein chronisches Helfersyndrom voll in den Vordergrund.

    Mir war es schon geraume Zeit bewusst. Dies freilich nur aus statistischen Überlegungen heraus. Ich glaube Du hast es natürlich auch bereits geahnt, dass so ähnliche Typen, wie die Marianne, die mit schräg nach unten gezogenen Mundwinkeln in der Gegend herumspazieren, gerademal ungeahnte Fähigkeiten besitzen. Sie sind sozusagen in der Lage, prophezeiende Erfolgsleitern im Schnellzugtempo emporzuklimmen. Anders ist es ja nicht ableitbar, warum solche Menschen, mit so einem Gesichtsausdruck hosenanzugtragende Bundeskanzlerinnen, nicht bei uns freilich, aber in anderen weniger entwickelten Ländern werden können.

    Bei der Marianne ist das selbstverständlich ganz was anderes. Sie leidet fallweise unter der Miloni-Depression, die immer dann bei ihr auftritt, wenn ihre Gedanken einen Spaziergang durch das Vergangene wagen. Ich bin nahezu überzeugt, das wäre einer der Punkte, die man erkennen und wo man mit einer frisch aus der Reinigung kommenden Therapie den Hebel auf Turbo verschieben sollte.

    Unsere gemeinsame Freundin Doktor Anita Reisenhübner ist nicht nur eine hervorragende freischaffende Journalistin und teilverantwortlich auch für die Bezirkszeitung, sie hatte sogar in den jungen Jahren einmal Pädagogik und Psychologie studiert. Danach hatte sie ihre Fähigkeiten als Lehrerin im Gymnasium in Mittersill unter Beweis gestellt. Und wie! Während unseres Gespräches hatte sie alleine die zündende Idee entwickelt, wie man der Marianne helfen wird können.

    Ein klein wenig abgelenkt durch Mariannes Neuaufnahme in unserem Freundinnenkreis war ich schon. Das gebe ich freimütig zu. Ursprünglich hatte ich ja vor, mit meinem einigermaßen hochintelligenten, mühsamst eingeübten Vorrat von schöpferisch Wertvollen am Tratsch-Markt hier am Caféhaustisch aufzuwarten. Schöpferisch deshalb, weil ich selbst eine Methode entwickeln konnte, wie man Kaspressknödln aus einem Topf mit Suppe ohne das Tischtuch mit Fettflecken zu verunzieren, in das tiefe Teller schöpft.

    Das ging erst, als jede und jeder vom Walter Winkelmeier mit Kaffee und Topfentorte sowie mit zwei oder drei Pizzas, versorgt gewesen waren. In dieser ruhigen Phase, denn beim Essen spricht man ja nicht, das haben wir alle schon sehr früh im Leben gelernt, da brach ich eines der zwölf Gebote des Schweigens. Und niemand hörte mir zu!

    Da bin ich vollkommen bei Dir. Man kann sich in so einem verbal gelenkten Kunstwerk der Sinne nicht sofort zurechtfinden. Mir gelänge es ebenso nicht, wenn ich nicht vor Jahren einen Kurs besucht hätte. Eigentlich wäre es ein Seminar für Schweigsame gewesen. Leider nahmen zu viele Frauen daran teil. Kaum eine von ihnen war, im Gegensatz zu mir, für ein langanhaltendes Schweigen, so knapp unter fünf Minuten, durchtrainiert.

    Du wirst es mir nicht glauben, wenn ich Dir gleich verkünden werde, wer von den ganz Großen von Politik und Kultur an diesem Schweigeseminar teilgenommen hatte. Im Nachhinein war mir auch klar geworden, warum es vor Jahren einen Schweigekanzler bei uns in der Regierung gegeben hatte. Dieser Mann kommt angeblich jedes Jahr immer noch zu derartigen Exerzitien ins Haus der Unbarmherzigen. So eine Beinahedressur dauert ziemlich genau eine Woche. Danach hast Du bei gutem Wind und Regenwetter das Schweigen erlernt. Nur Freundschaften, was ich darunter verstehe, kann man in so einer Anstalt für Redefaule nicht knüpfen. Das wäre vergebliche Liebesmüh.

    Du hast schon recht. In Wahrheit gibt es nur elf Gebote. Doch das Zwölfte wurde von Verfassungsexperten hinzugedichtet und soll quasi nur einen Versuch einfangen. Jenen Versuch nämlich, schweigen zu wollen und dem Nichtgelingen Fußfesseln anlegen zu dürfen. Dieses zwölfte Gebot wurde uns in dem Seminar von einigen weltabgewandten Klosterinsassen derart auf brutale Weise eingetrichtert, sodass einem die Lust und die Luft zum Reden schlussendlich vergangen sind.

    Ich weiß auch nicht, welcher Teufl mich geritten hatte, so ein Seminar zu besuchen, wo ich doch ein leut- und redseliger Typ bin. Ich mache immer noch gerne meinen Schnabel auf, auch wenn nichts Gescheites dabei rauskommt.

    Zugegeben, die Billa-Reisen-Angebote waren einst ein Schnäppchen gewesen. Den seinerzeit gewonnenen geistigen Wertzuwachs habe ich längst in das Regal der schweigsamen Vergangenheit eingeordnet.

    Und das war´s. Weil ich bin ja nicht zum Kaffeetratsch gekommen, nur um so dazusitzen und zu schweigen. Nein! Ich hatte ja Grund zum Feiern. Keinen Nichtgeburtstag. Schon etwas Anständiges. Nicht einmal Dir habe ich es erzählt, obwohl ich Dich nie von Neuigkeiten ausschließen würde. Schon gar nicht bei einer epochalen Entscheidung.

    Auch für meine Freundinnen wird es eine Überraschung werden, darauf kannst Du einen Schluck aus meinem Kaffee riskieren.

    Also pass obacht! Anfangs Mai ist es gewesen. Schuld war wieder einmal so ein Werbeprospekt und der neue Busfahrplan. Na ja, ich wollte mobiler werden. Jedenfalls für ultrakurze Strecken, wie zum Beispiel in unserem zirka fünfhundert Meter weit entfernt gelegenen dorfeigenen Supermarkt.

    Immer mit dem Bus oder mit der Bahn fahren geht schon aus organisatorischen Gründen nicht. Zum einen gibt es für den Bus in der Nähe meiner Wohnung gar keine Haltestelle nicht und Schienen, die für den Eisenbahnbetrieb unumgänglich sein sollen, schon gar nicht.

    Dann kam eines Tages eben ein Werbeprospekt. Günstig. Das Wort stand ganz groß vorne drauf! Alles, was auf dem doppelseitigen Plakat abgedruckt gewesen war, war um fünfzig Prozent verbilligt. Schuhe, Socken, Jacken, Mützen und Fahrräder. Toll! Schuhe, Socken, Jacken oder Mützen wollte ich nicht. Aber ein Fahrrad schon. Das Elektrische auf dem Plakat sollte es sein. Das hat mir auf Anhieb gefallen. Als besonders Zuckerl wurde die Zustellung frei Haus angepriesen!

    Ich bestellte mir also das supermoderne E-Bike mit zwölf Gängen, zwei Notbremsen und einer Klingel. Was sage ich! Obendrein als Geschenk gab es noch eine Batterie samt Ladekabeln, speziell isolierte Handgriffe in Rot oder Schwarz sowie eine Fahranleitung in zwölf Sprachen. Das alles zusammen zum einmaligen Sonderpreis von zweitausendeinhundertneunundfünfzig Euro.

    Na ja, jetzt solltest Du Dir bitte einmal mit Deiner inneren Ruhe das Gesicht von der Margot vorstellen, als ich ihr von dem einmaligen Schnäppchen berichtet habe. Ich spare sage und schreibe bei dem Kauf von dem E-Bike zweitausendeinhundertneunundfünfzig Euro. Bitte, wenn das kein Schnäppchen sein soll, was dann. Wenn ich zum Beispiel nur eine Doppelpackung Socken um acht Euro sechsundzwanzig Cent gekauft hätte, wäre der Gewinn viel geringer gewesen. So habe ich, davon war ich anfangs auch fest überzeugt, das Geschäft meines Lebens gemacht.

    Die Margot war ja gar nicht neidisch, als sie meinen tollen weißen fahrbaren Untersatz mit den roten Zierstreifen und einem extra breiten Sattel für meinen - na Du weißt schon für was - aus der Nähe betrachten durfte. Ich habe mir extra rote Isoliergriffe ausgesucht. Geliefert wurden mir aber Schwarze. Egal.

    Margot meinte, dass sie schon längere Zeit von einem E-Bike träume. Aber die Bestellfrist auf dem Werbepapier war leider bereits abgelaufen.

    Margot hatte beim Anblick meines wunderschönen Fahrrades, wie man so schön sagt, Feuer gefangen. Nichtsdestotrotz fuhr sie gleich am nächsten Tag mit ihrem Auto nach Schüttdorf. Bei dem dort ansässigen hochkatholischen Fahrradhändler kaufte sie, rein zufällig, verstehst Du, akkurat dasselbe Modell, wie ich es schon bei mir im Fahrradraum stehen hatte. Bloß in den Farben Gelb und Grau. Allerdings um einen völlig anderen Preis. Der Händler gewährte ihr nämlich einen Sonderrabatt von nur zwanzig Prozent. Dies deshalb, weil es ein Vorjahresmodell gewesen war. Sie bezahlte bar.

    Eigentlich war der Handel das Niederträchtigste an der Geschichte. Denn die Gesamtsumme bei ihrer Rechnung betrug nur tausendsechshundertneunundzwanzig Euro. Und ein Betrug war es obendrein. Die Batterie samt Ladekabel war auch dabei.

    Gekauft ist gekauft! Was soll´s. Der nette Zusteller hat sich für mich Zeit genommen und hat mich obendrein mit dem vorne am Lenker montierten riesigen Display vertraut gemacht. Wochen später hatte ich fast alles wieder vergessen gehabt.

    Margot und ich wollten eigentlich gemeinsame Radausflüge unternehmen, was leider wegen Terminprobleme beiderseits nicht möglich gewesen war. Bitteschön, das war eine hilfreiche Ausrede.

    Doch hier im Caféhaus hatte ich großspurig verkündet, dass ich mit meinem Elektro-Fahrrad bereits die einhundert Kilometer Grenze geringfügig - aber doch - überschritten habe. Hochgerechnet dürfte ich sozusagen mindestens fünfzigmal von der Wohnung zum Einkaufen und zurück geradelt sein. Das ist in meinen Augen zumindest ein Erfolg.

    Erstaunt war ich, als Marianne, wie heißt sie noch? Grillsingerwitsch. Genau! Zu mir gesagt hatte, sie habe auch eins. Anita Reisenhübner folgte dem allgemeinen Chorgesang und erklärte feierlich, sie besitze so ein E-Bike schon über zwei Jahre lang. Was war nun die logische Konsequenz? Das kannst Du Dir nicht einmal in Deinen schönsten Träumen ausmalen.

    Gut! Zwei Wochen später, aber noch im August:

    Meine Damen und Herren. Du erkennst wahrscheinlich in diesem Moment bereits die feierliche Formulierung meinerseits. Wenn ich einmal so überspitzt einleiten muss, dann wird unweigerlich der Ernst neben mir großgeschrieben.

    An dieser Stelle und überhaupt muss ich in meiner Erzählung einen langgezogenen Querstrich anbringen, weil ab sofort übernahmen völlig andere Kräfte meinen Tagesablauf. Die überschlagen sich nämlich, die Kräfte, und dabei treten sie mir ganz schön in die Pedale. Ein hartes E-Bike-Training hätte ich machen sollen. Und eine Einschulung obendrein.

    Wer die vielen Tauerntäler kennt, der weiß, über was ich hier erzähle. Es gibt neben den berühmten großen, auch einige wenige, dafür kleine, vom Fremdenverkehr unberührte Täler. Diese könnte man ohne Weiteres mit gebirgstauglichen Fahrrädern erobern. So steht es jedenfalls in den von der Region aufgelegten Prospekten für Mountainbiker. Und genauso ein hirnverbranntes Unternehmen haben wir vier uns im Caféhaus ausgeschnapst.

    Auf der recht übersichtlich gestalteten Radwanderkarte, die ich vor mir in der Küche schon zum wiederholten Male ausgebreitet hatte, konnte ich ja nichts Besonderes entdecken. Zumindest am Papier - ein flaches rot markiertes Terrain. – Aus!

    Die Anita Reisenhübner war schon öfters beruflich, aber auch privat mit ihrem Mann auf dieser Alm. Nette Wirtsleute bewirtschaften sie. Es werden schmackhafte Jausen angeboten, jedoch das Überdrüber soll aber der weithin verbreitete, mir aber bislang unbekannte Kaiserschmarrn sein. Ist nur ein Scherzerl!

    Anita Reisenhübner zeigte mir, der Margot und auch der Marianne, damals schon im Caféhaus auf ihrem Handy die Fotos von der Almhütte, mit den rundum grünen Wiesen und dem obligaten Hausbrunnen. Aus einer wildgeschnitzten Brunnenfigur fließt dort das Quellwasser gemäßigt in den darunter befindlichen Holztrog.

    In meiner Einfältigkeit, um ja nicht als außenstehender Feigling bei meinen Freundinnen zu gelten, war ich gleich zu Beginn der Diskussion Feuer und Flamme. Mit diesem vorgespielten Enthusiasmus, den ich auf der Bühne meiner Gedanken spitzbübisch sofort auszubreiten versuchte, zog ich dann sämtliche Register meiner Leidenschaft und auch den Schwarzen Peter, wie sich später herausstellen sollte.

    Der Treffpunkt für unseren abenteuerlichen Ausflug war schnell ausgemacht. Das Wetter schien perfekt zu werden. Die Batterie meines Fahrrades wurde am Vortag an die Ladestation angedockt. Meine Notfallpackungen, wie Wasser und Braunschweiger, verstaute ich in die linke Satteltasche. In der rechten befand sich bereits ein kleiner Regenschirm und für alle Fälle zwei Meter Hansaplast. Man weiß ja nie, was einem auf der Fahrt wo möglich alles passieren wird.

    Somit begann das Schicksalhafte seinen Lauf. Allerdings auf zwei Rädern versteht sich. Zumindest bei mir! Die Hinfahrt war ja ein Klacks und eine Schonung meiner Muskulatur. Weißt du, mit der Pinzgauer Bahn werden auch Fahrräder befördert. Ja, freilich auch die E-Bikes. Das hast du nicht gewusst? Ich sage Dir, das war schon einmal ein guter Einfall meinerseits.

    Aus leicht verständlichen Gründen gibt es bei der Pinzgau Bahn

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