TERRY
Von Dennis Herzog
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Buchvorschau
TERRY - Dennis Herzog
Vorwort
graphics1Eines Tages...
Prolog
Mein Name ist Terry,
Mein Leben begann vor einem Jahr.
Es ist nicht etwa so, dass ich bereits im zarten Säuglingsalter des Schreibens mächtig bin, oder eine Art Mutant darstelle. Ich bin im biologischen Alter von siebenunddreißig Jahren.
Manch Einer mag behaupten: Nicht mehr lang und die berühmte Midlifecrisis bahnt sich an.
Doch was meine Person betrifft, weit gefehlt, ich wage die Behauptung ich sprühe nur so vor Lebensfreude.
Die Erklärung dafür, und der Grund warum ich all dies überhaupt erzählen möchte ist nicht wirklich einfach. Aber es ist mir wichtig mich mitzuteilen. Die Zeit die ich darauf verwenden werde, oder vielmehr verwendet haben werde, wenn, oder falls dies jemand lesen wird, ist es allemal wert.
Ohnehin bin ich mittlerweile so weit, dass ich nur allzu gern den Satz gebrauche: „Hätte ich so viel Geld wie Geduld, ich würde mir keinen Ferrari, aber mit einiger Sicherheit eine noch gemütlichere Couch anschaffen."
Viele von meinen eventuellen Lesern werden wohl eine Weile über eine solch profane Aussage zu grübeln haben, aber das ist auch bloß gut so und ich würde nur zu gern ihre Gesichter im Moment des Begreifen sehen. Es wäre mir eine wahre Freude.
Dies jedenfalls sind meine Tagebücher.
Nicht im Original. Ich schreibe sie um, benutze die dort festgehaltenen Ereignisse und Erinnerungen, um eine Neufassung zu erstellen, die in leserlicher Schrift verfasst und in Wort und Darstellung hoffentlich um Einiges verständlicher sein wird, als die in Bleistift und Kugelschreiber verfassten Kritzeleien von damals.
Ach ja, ich schweife ab. Die vorherrschende Frage ist doch: Warum macht er das ?
Ich bekam eine zweite Chance und möchte schlichtweg für mich, mein Gewissen und alle die es interessiert, berichten was ich erlebt habe und wie mein Leben verlief. Das Leben das ich führte bevor mein jetziges begann, und wie es endete.
Denn vor einem Jahr bin ich gestorben. Ich starb und ich wurde geboren. Bitte entschuldigen Sie im Voraus, dass es in dieser Erzählung keine Kapitel gibt. Es war mir unmöglich eine Gliederung vorzunehmen. Diese hätte die Geschichte deformiert, ja geradezu zensiert.
TERRY
Tagebuch habe ich wohl geführt, so sagt mir meine vordergründige Erinnerung, seit ich das erste mal verliebt war. Den Anfang machte hierbei ein wunderschönes Mädchen namens: Jacqueline. Die ungewöhnlichste aller hierzulande bekannten Schreibweisen hatte ihre Mutter übernommen von der Ehefrau des ermordeten Präsidenten der USA, John F. Kennedy. Freilich war und ist diese zeitlebens nur abgekürzt „Jacky" gerufen worden, weswegen diese Schreibweise noch unbekannter war und ist, als ohnehin durch die seltene Verwendung.
Die Kleine war ein Wildfang, eine auffällige, quirlige Person. Ich bin mir bis heute sicher, sie hat mich nie auch nur im Geringsten wahrgenommen. Ihr Augenmerk, seit sie fünfzehn war und sich ihre Welt allmählich deutlicher um Jungs drehte, galt den auffälligen Großmäulern, den Machos und Schlägertypen.
Nein, zu der Riege konnte ich mich zu jener Zeit nicht zählen. Noch nicht.
So schrieb ich damals, als ich siebzehn war und gut und gerne meine hundert-achtzig Pfund auf die Waage brachte, meinen ersten mir bekannten Satz in ein ausrangiertes Schulheft:
Es ist Montag. Noch...
In nicht einmal sieben Minuten wird Dienstag sein, und wieder ist ein ganzer Tag ereignisloser Trübsinnigkeit an mir vorübergezogen, wie ein Trauerzug auf dem Weg zum Friedhof.
Viel zu oft denke ich darüber nach wann ich wohl diese eine letzte Reise antreten werde, dabei bin ich noch nicht einmal volljährig.
Ich wünsche mir dafür einen weißen Sarg, einen mit silbernen Griffen. Die Sargträger müssen glänzend weiße Handschuhe tragen, aus Leder.
Dann eine leere Seite, so als habe ich schon damals, einer ungewissen Vorsehung folgend, meinem späteren „Ich" ein Signal setzen wollen, beim Lesen zu erkennen, dass hier eine Pause eingetreten war und der folgende Eintrag einige Stunden später verfasst wurde:
Die Uhr steht auf Null, Dienstag, Ferien.
Ich werde gleich Schlafen gehen. Natürlich werde ich nicht schlafen, wälze mich bloß blöd im Bett rum, wie letzte Nacht und denke über irgendeinen Scheiß nach den ich dann morgen doch wieder vergessen haben werde. Sinnlos!
So ist es immer. Ich habe ja auch gestern Abend lange wachgelegen und gegrübelt, aber Pustekuchen, ich habe keinen blassen Schimmer worüber.
Heute, also gestern, ich meine Montag, habe ich in einer Revue gelesen. Da hat so ein Esoterik Futzi in einer Rubrik, der er die dämliche wie Neugier erzeugende Überschrift gab: „Würde ich in Würde leben", Antworten an Leute verfasst die Probleme mit sich und dem Älter werden haben.
Bauernfängerei? Dann bin ich ein Bauer...
Eine Frau, Mitte Dreißig, schrieb sie würde so häufig als albern und kindisch bezeichnet und hoffe so sehr sie würde bald „erwachsen werden, um von der Gesellschaft bzw. ihrer direkten Umwelt bald „Akzeptiert
zu werden.
Die Antwort vom weiß-bärtigen Nickelbrillen-träger, der weiter oben abgebildet der Verfasser der Rubrik sein sollte, gefiel mir außerordentlich gut: „Du solltest deiner Natur folgen, die besagt du bist wie du bist. Du willst erwachsen sein?
Das ist eine erschreckende, wahre, und wohl auch die wohl am meisten deprimierende Sache die ich mir vorzustellen wagte. Aber ich gab ihm im Stilen Recht und dachte bei mir: „Du kannst dich davor schützen ohne viel tun."
Meine Version dazu: „Tu einfach nichts dagegen." Dieser Satz hätte die Aussage des Autors noch perfekt abgerundet, meiner Meinung nach.
Wissen sie, auch heute kann ich mich noch gut an diesen Tag, oder besser diese Nacht erinnern. Ich sehe mich noch auf meinem Bett hocken und in ein kleines Heft schreiben.
Ich halte es für wichtig zu erwähnen, dass mir in dem Geschäft, in dem ich an besagtem Montag Kugelschreiber und Bleistifte kaufen wollte, und dies auch tat, prompt Jacqueline über den Weg lief, was ich damals wohl, bewusst, oder unbewusst, als Auslöser empfand mit dem Tagebuch-schreiben zu beginnen.
Damals hatten, wie ja im Text erwähnt, gerade die Osterferien begonnen. Ich verbrachte jeden Tag alleine Zuhause, fraß mir die Wampe voll und zeichnete wirres Zeug, das leider heute nicht mehr existent ist. Ich war wohl ein sehr introvertierter Teenager und trotz ausreichender Intelligenz nicht zu höherer Konversation fähig, als die mit mir selbst.
Doch das Erstaunliche ist, ich schrieb jene Zeilen auf.
Mein nächster Eintrag entstand leider erst ganze vier Monate später, als ich wieder Ferien hatte:
Sommerferien! Mein vorletztes Zeugnis, bevor ich mir ernsthafte Gedanken machen muss, wie es wohl nach Ende der Schulzeit weitergehen soll. Das hab ich nämlich bisher nicht in Angriff genommen. Ich will es eigentlich auch nicht. Zum Komikzeichner tauge ich ja anscheinend auch nicht, keiner mag meine Figuren. Die paar die sie kennen, meinen ich hätte ne Meise und warum ich mir bloß so aggressiven Müll ausdenken würde. Aber Batman oder Spiderman sind auch brutal, nur auf ihre Weise. Oder? In jedem der Comics von Marvel werden reihenweise Leute getötet, verletzt oder in ominöse Dimensionen vertrieben. Die Zeichner haben doch auch Erfolg? Warum sollten meine Helden unerkannt bleiben? Ich werde nie wieder zeichnen, ich schmeiße noch heute alle Comics weg, ich bin ein Versager.
P.S: Ich bin ein fetter Versager.
Wer von ihnen sich nun einen Dickbäuchigen pickeligen Buben vorstellt, der irrt sich gewaltig. Man könnte mit Fug und Recht behaupten, dass ich eigentlich ein hübscher Bursche war. Aber mit einem weinenden und einem lachenden Auge gebe ich zu bedenken, dass besonders Jugendliche und Spät-pubertäre männliche Wesen nicht anders als Mädchen in diesem Alter, häufig ein immens verzerrtes Selbstbild aufweisen.
Ich bin heute und war damals etwa einen Meter und zweiundachtzig groß, da sind neunzig Kilo gar nicht so schlecht verteilt, wenn auch durchaus übergewichtig. Aber Terry fand sich derzeit so richtig hässlich und mochte sich kaum leiden. Er schrieb noch am selben Tag:
Toll. Jetzt hab ich wiedermal Nix was ich in den blöden Ferien veranstalten kann. Die tollen Mädchen gehen Schwimmen mit allen Fußballern und den blöden Rockertypen wie Danny Kowolsky.
Der Kerl sieht beinahe aus wie Nicholas Cage, hat Jenny heute gesagt, sie hat mich dabei so blöde angegrinst, dass ich ihr gerne die Brille ins Gehirn geschlagen hätte. Aber ich bin nicht nur fett sondern auch feige. Ich stand bloß da und habe genickt. Dann ist sie weggegangen. Keine Ahnung warum die Schlampe überhaupt zu mir kam. Nur um mir mitzuteilen wem Danny ähnlich sieht?
Ich muss anmerken, dass hier zum allgemeinen Verständnis eine entscheidende Information fehlt, denn als ich damals schrieb war natürlich niemals in Planung, dass eine dritte Person meine intimen Aufzeichnungen jemals lesen würde. Ich an ihrer Stelle hätte mich jedenfalls auch gerade gefragt, warum diese Jenny überhaupt in ein Gespräch über andere Jungen mit mir verwickelt war. Dass die Antwort darauf nicht im Text meines Tagebuchs steht ist klar, denn damals war mir das ja bewusst und ich brauchte es für mich selbst als einzigen Leser nicht groß erwähnen.
Ich würde ihnen hier gerne ein nett gemeintes Zwinkern beifügen, da ich mir gerade ein Nicken ihrerseits vorstelle. Jenny jedenfalls war eines der Mädchen die eigentlich keiner mochte, sie war nicht mit Jacqueline befreundet, oder mit sonst einem der anderen Mädchen. Das bebrillte Mädchen war wohl die einzige, die sogar ich weniger leiden konnte als mich selbst, aber ich feindete sie nie an, wie die Großmäuler und Angeber es taten, denn sie hatte mir nie etwas getan.
Jedenfalls bis zu jenem Tag.
Sie sprach mich eigentlich bloß an, weil sie in Erfahrung zu bringen versuchte ob Danny und die anderen sie wohl am See in Ruhe lassen würden, da sie vorhatte auch dorthin zu gehen.
Nun, auch bis hierher kann ihnen nicht klar sein, was ich eigentlich damit zu tun hatte, denn ich war, wie sie sich denken mögen nicht willens meinerseits dort aufzukreuzen. Viel zu sehr überwog meine Angst, alle würden mich anstarren und sich das Maul zerreißen. Jenny jedenfalls hatte die gleiche Sorge und trat deswegen todesmutig an mich heran, um auszuloten, ob sie in meiner Person eventuell einen Verbündeten finden könne.
Aus heutiger Sicht begann in diesem Augenblick wohl mein totaler Abstieg in die Realitätsflucht, denn trotz unmissverständlicher Formulierung der armen Jenny, die immer zu schnell und zu viel redete, hörte ich doch nur was ich hören wollte, und das war grundsätzlich negativ.
Sie meinte es eigentlich scherzhaft, wenn sie den Jungs, die sie mit Bananenschalen bewarfen und fette Kuh schimpften die Namen großer Filmstars gab. Nur um sie in ihrer kleinen eigenen Welt in Filmen, deren Drehbücher sie verfasste, bei denen sie Regie führte, mit Sterberollen zu besetzen.
Woher ich das nun wieder wissen kann? Geduld, ich kläre später so Einiges auf, was im Verlauf des gelebten Lebens bislang noch mehr am Rande Bemerkung findet.Für den Fall, dass ich es nicht vergesse. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich meine Ausführungen selbst ein weiteres mal lesen werde. Wohl aus Sorge darum, dass mir dahingehend dann etliche Änderungen einfallen. Doch dadurch kann die Authentizität leiden, das gilt es zu vermeiden.
Als Jenny also von Danny in Form von Nicholas Cage sprach, blendete der Junge Terry einfach das Drumherum des Gesagten aus und in seiner Erinnerung blieb nur erhalten was er in sein Tagebuch schrieb. Dass er an diesem Tag die Chance vertan hatte eine echte Freundin gewinnen zu können, ging ihm in seinem Leben nie auf.
In meinem heutigen Leben, in der Zeit, die mir bisher gegeben, geschenkt wurde, ist mir dies und vieles Mehr endlich ins Bewusstsein gedrungen und ich werde Mittel und Wege finden meine Schandtaten zu bereinigen. Es ist mein Bestreben in der kommenden Zeit, wie auch im vergangenen Jahr bereits geschehen, eine Menge Menschen aufzusuchen, ihnen wichtige Dinge mitzuteilen oder den Personen zu geben was ihnen zusteht, jedem auf seine Weise.
Vor nunmehr zwanzig Jahren schrieb ich in der selben Woche, an einem Freitag:
John Travolta ist ertrunken. Nicht der echte!
Jenny hat Richard Harlond immer so genannt. Ich fand ja immer der brauchte gar keinen Künstlernamen, Richard Harlond klingt doch schon so wie ein Schauspieler oder Musiker. Und so ausgesehen wie Travolta hat der auch nicht, wie kommt dieses doofe Huhn nur auf diese ungleichen Vergleiche? Jetzt jedenfalls wird’s wohl nur noch den Leuten auffallen, die es auf seinem Grabstein lesen.
Ob der Name Terry eine besondere Inschrift sein wird? Ob sich jemand für mich die Mühe macht einen kleinen kreativen Satz mit auf den Grabstein zu meißeln?
Ich glaube nicht, wenn ich mich morgen um-brächte und neben Richard Harlond beerdigt würde, sicher lägen dann bei ihm doppelt so viele und viel hübschere Blumen, als auf meinem Grab. Meinen Namen wird sich wohl eh keiner merken. Wozu auch? Aber das Richard tot ist wundert mich nicht, er musste immer ne Extranummer abziehen, hat ja auch als einziger hier diese protzige Crossmaschine gefahren. Hat die Möhre immer als Motorrad deklariert, dabei war’s ne Achtziger, ein Leichtkraftrad. Aber war ja klar, die Weiber stehen auf „Motorrad". Jetzt kann ja Nicholas Cage die Kiste erben.
Der ist ja seit gestern mit Jacqueline zusammen. Sollen die beiden ruhig gegen den nächstbesten Baum brettern, deren Namen ,neben Richards Grab, auf deren Steinen, passen viel besser als meiner.
Spätestens an dieser Stelle sollte ihnen aufgefallen sein, dass es eine ganze Reihe aggressiver Untertöne in meinen Dokumenten gibt. dieser Hass, entsprungen aus Selbsthass führte, wie sich vermuten lässt,