Folge dem Kompass deines Herzens: Mein Weg aus der Essstörung
Von Nathalie Weber
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Buchvorschau
Folge dem Kompass deines Herzens - Nathalie Weber
Vorwort eines Experten
Eine Anorexia nervosa gehört zu den schwersten Erkrankungen, die im Jugendalter auftreten können. Die Sterblichkeit liegt bei bis zu zehn Prozent im Langzeitverlauf. Das ist höher als bei vielen Krebserkrankungen im Jugendalter. Auch die Krankheitsdauer, die zwischen sechs und zwölf Jahren angegeben wird, zeigt, dass die Erkrankung sehr hartnäckig ist und häufig viele Behandlungsanläufe und vielfach viele ambulante und stationäre Behandlungsepisoden benötigt.
Die Ursache für eine Anorexia nervosa ist immer noch nicht vollständig aufgeklärt. Es handelt sich um eine seelische Erkrankung, die starke, aber auch biologische zum Beispiel genetische Ursachen hat. Die Anorexia nervosa oder auch Magersucht führt jedoch sehr schnell zu körperlichen Veränderungen, die auch den seelischen Zustand beeinflussen, so dass sich die Erkrankung in einem Teufelskreis selber aufrechterhält. Die ernüchternden Fakten sind, dass derzeit nur zwei Drittel aller Betroffenen einer Anorexia nervosa geheilt werden. Bei einem Drittel kommt es zu einem sehr langen oder chronifizierten Krankheitsverlauf. In den letzten zehn Jahren hat sich in der Essstörungsbehandlung viel verändert. Die biologischen Faktoren geraten zunehmend in Blick und es werden auch viele neue psychologische Behandlungsansätze ausprobiert.
Neben dem Wissen über die Erkrankung Anorexia nervosa ist der Blick auf die individuelle Situation der Betroffenen wichtig. Jede Betroffene – es sind überwiegend Frauen – erlebt ihre eigene Erkrankung. Eine anorektische Essstörung verhält sich nicht nach Lehrbuch und bedeutet immer eine persönliche Katastrophe für die Betroffene und die Angehörigen. In dem vorliegenden eindrucksvoll geschilderten Bericht wird deutlich, wie karg das Leben mit einer anorektischen Essstörung ist und wie mühsam der Weg aus der Essstörung ist. Dieser Bericht zeigt allerdings auch, dass es Ziele geben muss, Ideen und Wünsche, wie ich ohne Essstörung leben kann, um sie zu überwinden und es bedarf eines sicheren Rahmens für das Wachstum von Heilungsprozessen. Ich wünsche der Autorin viel Glück in ihrem neuen Leben ohne Essstörung und ich wünsche allen betroffenen Leserinnen und Lesern den Mut, sich auf den Weg zu machen die Essstörung zu überwinden.
Bad Wildungen, den 18.11.2020
Dr. med. Hartmut Imgart
Chefarzt Parklandklinik Bad Wildungen-Reinhardshausen
Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Sozialmedizin, Ernährungsmedizin und Notfallmedizin
Kinder-, Jugend-, Erwachsenen- und Familientherapie
Spezielle Psychotraumatherapie
Vorwort der Autorin
Liebe Leserin, lieber Leser,
ich möchte Dir mit meinem Buch nichts vorspielen. Es erwartet Dich die ungeschönte Wahrheit meines Weges mit der Anorexie und meines Kampfes gegen sie. Um das wahre und komplette Ausmaß darzustellen, werde ich unter anderem das Gewicht, Portionsmengen und Zwänge nennen. Du wirst sehen, was es für mich bedeutet hat, mit der Anorexie zu (über)leben. Mir ist es jedoch wichtig, dass Du weißt, dass die Zahl auf der Waage keineswegs die Schwere der Krankheit anzeigt. Genauso wie im Untergewicht kann man im Normalgewicht oder Übergewicht anorektische Gedanken haben, die ernst zu nehmen sind. Meine Worte sollen Dich keineswegs dazu ermutigen, es mir nach zu tun. Fühlst Du Dich zu sehr von meinen Worten beeinflusst, leg das Buch für einige Minuten, Stunden, Tage, Wochen oder Monate zur Seite. Aber nimm es auch wieder zur Hand. Denn neben den schrecklichen Seiten der Anorexie und der heftigen Zeit, die ich mit ihr erlebt habe, wirst Du von meinem Kampf gegen diese Krankheit und von meinem Weg, gesund zu werden, erfahren. Ich möchte Dir mit diesem Buch Mut machen. Es ist möglich gesund zu werden und es lohnt sich dafür zu kämpfen.
Bist Du ein Angehöriger oder eine Angehörige, ein Freund oder eine Freundin, ein Lehrer oder eine Lehrerin einer Betroffenen oder eines Betroffenen, möchte ich Dir mit meinem Buch einen Einblick geben, was es bedeutet mit der Anorexie zu (über)leben. Denn ich selbst habe erfahren, dass es für Außenstehende nur schwer vorstellbar ist, in welchem Ausmaß die Anorexie sich zeigt. Ich habe erlebt, dass viele dachten, es ginge nur um ein Schönheitsideal und darum, diesem immer ähnlicher zu werden. Wie viel mehr hinter dieser Krankheit steckt, welche Wurzeln sie hat und dass es in den seltensten Fällen darum geht, einem Schönheitsideal nachzueifern, möchte ich Dir mit diesem Buch näher bringen. Außerdem – und das ist mir besonders wichtig – möchte ich Dir zeigen, dass es einen Weg heraus aus der Krankheit gibt.
Auf meinem Weg mit der Anorexie und meinem Kampf gegen sie habe ich regelmäßig Tagebuch geschrieben und Texte mit meinen Gedanken verfasst. Einige meiner Tagebucheintrage und Texte habe ich in diesem Buch eingebaut.
Hast Du noch Fragen, nachdem Du dieses Buch gelesen hast oder möchtest Du Deine Gedanken mit mir teilen, dann schreib mir sehr gerne an folgende Emailadresse:
KompassdeinesHerzens@gmx.de
Gundelfingen, 10.11.2020
Nathalie Weber
„Das Leben ist wie eine Wanderung. Es ist kein geradliniger Weg. Der Lebensweg besteht aus Kurven, Höhen, Tiefen und Kreuzungen. An Kreuzungen müssen wir uns entscheiden, gehen wir nach rechts, nach links oder gerade aus. Wir wissen nicht, ob es die richtige Richtung ist. Doch das sehen wir erst, wenn wir sie gegangen sind. Schlagen wir die falsche Richtung ein, ist unser Leben damit aber nicht beendet. Wir können umkehren oder an der nächsten Kreuzung eine andere Richtung einschlagen. Das Wichtigste dabei ist, dass wir unserem Herzen folgen und eines im Kopf behalten: Der Weg ist das Ziel." (geschrieben 2018)
KAPITEL 1 ES GESCHAH FAST UNBEMERKT
„Ich war eigentlich immer ein glückliches Kind. Ich liebte es, draußen zu sein und mit Freunden zu spielen. Ich fand es nicht gut, wenn an einem Nachmittag einmal niemand zu mir kommen oder ich zu niemandem gehen konnte. Ich brauchte Gesellschaft. In der Grundschule fühlte ich mich wohl. Ohne Probleme schrieb ich gute Noten, ich musste eigentlich überhaupt nichts lernen. Ich hatte sehr viel Zeit für andere Dinge. Ich lernte Flöte spielen, ging eine Zeit lang ins Badminton und in die Leichtathletik. Mein Wunsch war es schon sehr früh in der Grundschule, auf das Gymnasium zu gehen. Dort ging ich auch hin. Auf dem Gymnasium musste ich dann doch auf Arbeiten lernen. Aber mir blieb noch genug Freizeit. Mittlerweile hatte ich angefangen, Saxophon-Unterricht zu nehmen. Ich bin im Musikverein. Auch lernte ich noch Klarinette zu spielen. Das macht mir Spaß. Die ersten Jahre auf dem Gymnasium verbrachte ich gut. Ich hatte immer Freunde, die ich manchmal mittags besuchen konnte oder die zu mir kommen konnten. Ich brauchte Gesellschaft. Ich mochte es unter Leuten zu sein. Aber im Mittelpunkt stand ich nie und das wollte ich auch nicht." (geschrieben 2010)
Gemeinsam mit meiner Familie – meinen Eltern und meinem Bruder – lebte ich in einem kleinen Dorf. Dort bin ich aufgewachsen, ging in den Kindergarten und in die Grundschule. Nachmittags verbrachte ich die Zeit mit meinen Freunden oder spielte mit meinem Bruder. Wir waren viel in der Natur, fuhren Rad, gingen auf einen Spielplatz oder kuschelten mit unseren Haustieren, einem Hasen und einer Katze. Natürlich kam es zu kleinen Streitereien mit meinen Freunden oder meiner Familie, aber ich kann sagen, dass ich eine schöne Kindheit hatte und wohlbehütet aufwachsen durfte.
Als ich dreizehn Jahre alt war, im Jahr 2007, ging es mir gut. Damals ging ich in die 7. Klasse eines Gymnasiums und war eine gute Schülerin. Wahrscheinlich auch deshalb, weil mich die meisten Fächer interessiert haben. Lernen war für mich nichts, das ich mit Zwang oder Druck tun musste. In meiner Klasse, aber auch außerhalb, hatte ich einige Freunde. In meinem Freundeskreis fühlte ich mich wohl. Natürlich war nicht immer alles harmonisch. Neben pubertären Streits gab es auch die ein oder andere kleine Hürde, die es zu bewältigen galt. All das gehörte, meiner Meinung nach, zu einem Alltag eines Teenagers. Es belastete mich nicht in dem Ausmaß, in dem es mich später noch belasten würde, und ich konnte gut damit umgehen.
Juni/Juli 2007 – Schullandheim auf Föhr
Diese beiden Bilder entstanden im Schullandheim auf Föhr. Zu dieser Zeit fühlte ich mich wohl in meinem Körper, auch wenn ich etwas pummeliger war als manche meiner Klassenkameraden. Damals wog ich bei einer Größe von 1,63 Metern zwischen 60 und 62 Kilogramm.
Irgendwann, ungefähr Ende 2007, fing ich an, meinen Körper mit dem der anderen zu vergleichen. Der Großteil der anderen Mädchen aus meiner Klasse war schlank. Sie trugen gefühlt alle diese engen Röhrenjeans von H&M. Ich wollte diese Hosen auch tragen, aber sie passten mir nicht. Hinzu kam der Kommentar eines Klassenkameraden über meine Figur: „Schau dich mal an, du bist ganz schön dick." Da ich mich zu diesem Zeitpunkt in meinem Körper nicht mehr wohl fühlte, nahm ich mir seine Aussage sehr zu Herzen. Bestätigte er doch meine Einschätzung, dass ich fülliger war als meine Klassenkameraden. Ich fing an, an meinem Aussehen und meinem Körpergewicht zu zweifeln. Meine Zweifel führten dazu, dass ich mich in meinem Körper überhaupt nicht mehr wohl fühlte und mir vornahm, abzunehmen. Mein ursprüngliches Ziel war, so viel abzunehmen, bis ich in diese Hosen passe. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir nie Gedanken über meine Ernährung gemacht. Ich würde sagen, dass ich mit einer ausgewogenen Ernährung aufgewachsen bin. Im Alltag kochte meine Mama einmal am Tag immer frisch, die Gerichte variierten von Tag zu Tag, die Brotdosen für die Schule wurden in den ersten Schuljahren von meiner Mama, später von mir selbst frisch zubereitet, es gab jeden Tag Obst und Gemüse, aber auch immer eine kleine Süßigkeit. Selten aßen wir Fast Food. Generell gab es aber keine Verbote in der Ernährung.
Die Süßigkeiten zu reduzieren beziehungsweise komplett aus meiner Ernährung zu streichen, war der Beginn meiner „Diät". In den folgenden Wochen verzichtete ich außerdem auf manch andere Lebensmittel mit einer hohen Kaloriendichte, zum Beispiel Pommes oder Nudeln, oder aß davon nur eine geringe Menge. Auch ließ ich hin und wieder eine Mahlzeit ausfallen und aß viel Obst und Gemüse. Diese Einschränkungen einzuhalten, fiel