Auf Befehl des Reichsführers-SS erhängt: Boleslaw Wernicki -Geschichte - verdrängt, aber unvergessen: Wahrnehmungsverweigerung und Aufklärungsboykott der Nachkriegsgesellschaft
Von Anton Wiechmann
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Über dieses E-Book
Dieses Prädikat kann man der Gesellschaft anhängen, die auf dem Nationalsozialismus folgte. Statt sich um die Gerechtigkeit für die Opfer des Terrors zu kümmern, sah sie die Opfer in den Tätern und ihren Mitläufern, und zwar als Opfer des Verführungsdrucks nationalsozialistischer Propaganda und des NS-Zeitgeistes. Großzügig und mit kumpelhafter Güte wurden ihnen Entlastungsbescheinigungen ("Persilscheine") ausgestellt, damit sie vor der alliierten Entnazifizierungskommission bestehen konnten. Die tatsächlichen Opfer, die Opfer des Terrors nämlich, auch die aus der nahen Nachbarschaft wurden dagegen schlichtweg verschwiegen, ignoriert und dem Vergessen preisgegeben.
Die Staatsanwaltschaften, die zu nahezu 100% noch aus derselben Nomenklatur bestand wie die zur NS-Zeit, klagte nicht an, die Lokalpresse ermittelte und publizierte nicht, die Zeitzeugen sagten nicht aus. Auch die hervorgehobenen Persönlichkeiten der Gesellschaft, Bürgermeister, Politiker; Kleriker übten sich im Duckmausertum. Denn die wirklichen Opfer des nationalsozialistischen Terrors waren ja in der Minderzahl, sie waren emigriert, verschollen, oder sie waren schlichtweg der Vernichtung anheimgefallen. Sie meldeten sich nicht zu Wort und machten keinen Druck.
Diese Broschüre befasst sich mit dem ganz konkreten Fall des polnischen Zwangsarbeiters Boleslaw Wernicki, der hingerichtet wurde unter der Beschuldigung, sexuellen Kontakt mit einer deutschen Frau unterhalten zu haben. Ein Fall, dessen Nichtaufklärung und Vertuschung sich bis in die Gegenwart erstreckt.
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Buchvorschau
Auf Befehl des Reichsführers-SS erhängt - Anton Wiechmann
Vorwort
Von Dr. Friedhelm Wolski-Prenger
Anton Wiechmann hat ein oft vergessenes Thema aufgegriffen: Die Morde an osteuropäischen Zwangsarbeitern durch die Nazis und ihre Helfer. Solche Verbrechen wurden auch im Emsland verübt.
Wiechmann berichtet über den Mord an Boleslaw Wernicki in Andervenne, heute Mitgliedsgemeinde der Samtgemeinde Freren. Die irrsinnige Rassenideologie der Nazis, durchgesetzt vor allem durch die Verbrecherorganisation SS, unterschied bekanntlich zwischen „arischen" Menschen und Juden, die dem deutschen „Herrenvolk" gefährlich werden würden.
Gefährlich für die „Reinheit deutschen Blutes" waren den Rassenideologen zufolge jedoch auch „slawische Untermenschen". Ihnen wurde mit dem Tode gedroht, sollten sie Geschlechtsverkehr mit „deutschen" Frauen haben. Eben dies wurde Wernicki aufgrund einer Denunziation vorgeworfen.
Wie der Mord in Andervenne geschah, wer der Denunziant war, ob und wie das Mordopfer beigesetzt wurde und wie die Täter von einer äußerst nachgiebigen Nachkriegsjustiz behandelt wurden, beschreibt Wiechmann plastisch und mit einem klaren Standpunkt gegen das Vergessen.
Es geschah auch im Emsland – was für die Verbrechen gegen Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten gilt, gilt auch für die Verbrechen an Osteuropäern, die ins Emsland verschleppt wurden.
Ich wünsche dem Buch viele Leserinnen und Leser.
Dr. Friedhelm Wolski-Prenger
Schriftführer im Vorstand des Forum Juden-Christen
Altkreis Lingen e.V
Zur Einleitung:
Persönliches Vorwort des Verfassers
Zum 80. Mal jährt sich am 10. Juli 2022 der Todestag des polnischen Zwangsarbeiters Boleslaw Wernicki. Nicht eines natürlichen Todes ist er gestorben. Während des Zweiten Weltkrieges wurde er im Alter von 28 Jahren auf dem Gallenberg in Freren-Andervenne hingerichtet durch den Strang. Sein Vergehen: Er hatte geschlechtlichen Kontakt unterhalten mit einer deutschen Frau, so der Vorwurf. In einem amtlichen Merkblatt, verfasst vom Reichssicherheitshauptamt-SS speziell für „Zivilarbeiter und -arbeiterinnen polnischen Volkstums", hieß es dazu: „Wer mit einer deutschen Frau oder mit einem deutschen Mann geschlechtlich verkehrt oder sich ihnen unsittlich nähert, wird mit dem Tode bestraft."
Was heute „Kriegsverbrechen" oder auch „Verbrechen gegen die Menschlichkeit" genannt wird, kam 1945, nach dem Ende des Terrorstaates nur sehr zögerlich auf die Tagesordnung der rechtsstaatlichen Justiz. In solidarischer Einigkeit stellte sich das „Tätervolk" quer bei der Aufklärung seiner Untaten der vergangenen zwölf Jahre. Speziell im Fall des hingerichteten Boleslaw Wernicki gibt es noch heute Bestrebungen, dieses Ereignis möglichst unbeachtet zu lassen und nicht an seiner historischen Aufklärung zu rühren. Es gebe Personen, die unangenehm davon betroffen sein könnten, heißt es Bewusst und vorsätzlich will ich mit der vorliegenden Schrift dieses Tabu brechen und mich solcher Geisteshaltung widersetzen. Denn genauso wie die rühmlichen Taten der örtlichen Geschichte gehören ihre Untaten aufgedeckt und für jedermann sichtbar gemacht. Der Rechtsstaat verlangt das ebenso, wie grundsätzlich alles politische Handeln vor der Geschichte zu verantworten ist.
Es kann von niemandem verlangt werden, über alle Einzelheiten der vergangenen Jahrzehnte und Jahrhunderte im Bilde zu sein. Geschichtliche Fakten aber zu vertuschen und deren Aufklärung zu verhindern, verstößt gegen den Grundkonsens zivilisierten und demokratischen Handelns. Wer die Fakten nicht wahrhaben und sie vorsätzlich nicht zur Kenntnis nehmen will, oder wer die Einzelheiten der Geschichte vertuschen und sie somit auch anderen vorenthalten will, der disqualifiziert sich für die demokratische Entscheidungsfindung in rechtsstaatlichen Instanzen.
Meine Recherchen müssen unvollständig bleiben, denn nicht alle Akten sind erreichbar, die relevante Auskünfte enthalten könnten. Hinzu kommt, dass in den vergangenen 80 Jahren die Zahl der erreichbaren Zeitzeugen sich natürlicherweise reduziert hat. Dagegen ist der Hang zum Schweigen, wie er in der Nachkriegsgesellschaft so häufig anzutreffen war, nach wie vor ungebrochen, auch noch in den nachgeborenen Generationen.
Für mich bleibt aber durchaus der Raum, die Beweglichkeit und vor allem die Bereitschaft, zusätzliche Informationen aufzunehmen, zusätzliche Quellen, auch Gemeinde- und kirchliche Archive zu erschließen und nötige Korrekturen an meiner Arbeit vorzunehmen. Es bleibt die Bereitschaft, Gespräche zu führen mit allen, die positiv und produktiv zur weiteren sachgerechten Aufklärung dieses so gravierenden geschichtlichen Ereignisses beitragen können und wollen.
Und es bleibt die Bereitschaft zur Überarbeitung dieser Schrift, wenn nötig und nützlich auch zu einer Neuauflage der gesamten Arbeit.
Anton Wiechmann
Ein mutiges Bekenntnis zur Geschichte!
-Das Kriegerdenkmal in Andervenne-
In jedem Dorf und in jeder Stadt gibt es ein „Kriegerdenkmal" oder mehrere. Immer sind sie ein wenig individuell gestaltet, in der Regel mit künstlerischem Einschlag, so dass man länger hinschauen muss und sich Gedanken machen kann. Wie hier in Andervenne. Aber letztlich gleichen sich diese Ehrenmale, wie sie auch genannt werden, doch alle ein wenig.
Das Denkmal in Andervenne trägt u.a. die Aufschrift:
„Den tapferen Kriegern,
die dankbare Gemeinde
Andervenne"
Täter oder Opfer? - Aus dem Blickwinkel gegenwärtiger Verhältnisse, bedarf es der Nachfrage: Was für Personen sind das, die da im Fokus der Erinnerungskultur stehen? Und um welche ihrer Leistungen geht es? Der eine Betrachter mag sich kopfschüttelnd abwenden. Der andere reagiert anders und stellt mit oder ohne Denkpause fest: Ein mutiges Bekenntnis zur Geschichte zweier Weltkriege!
In krassem Gegensatz zu dieser so intensiven Erinnerungskultur steht die Sache mit dem polnischen Zwangsarbeiter Boleslaw Wernicki. Nicht zu den als „tapfer" Verehrten gehört er, sondern zu den Opfern von Faschismus, Krieg und Rassismus, so wie er sich vor der eigenen Haustür entfalten konnte. Keine fünf Kilometer von diesem Denkmal entfernt fand seine Hinrichtung statt. In den Erinnerungsritualen der Gemeinde kommt er nicht vor. Sein Name ist gelöscht aus dem kollektiven Gedächtnis. Aller Erinnerungskultur entzogen ist die Person Boleslaw Wernicki, ebenso, wie die Umstände, die zu seiner Ermordung geführt haben.
„Auf keinen Fall! Sie können da nicht einfach klingeln und nach den Polen fragen. Was glauben Sie, was Sie da aufrühren ?"
Kolja Mensing hat seinen Großvater nie kennengelernt. Wenn am sonntäglichen Kaffeetisch das Gespräch auf die Nachkriegszeit kam in dem kleinen Städtchen Fürstenau am Rande des Emslandes, wurde von dem Vater seines Vaters nie gesprochen. Nur von den „Engländern" war dann und wann die