Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Das Regime - Covid 2050: Episode 1
Das Regime - Covid 2050: Episode 1
Das Regime - Covid 2050: Episode 1
eBook332 Seiten4 Stunden

Das Regime - Covid 2050: Episode 1

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Im Jahre 2050 ist es bereits 30 Jahre her, seit der Virus große Teile der Menschheit ausgerottet hat. Länder und Nationen existieren nicht mehr. Eine allmächtige Weltregierung hat die Macht an sich gerissen und herrscht mit brutaler Gewalt über einen entvölkerten Planeten. In Europa vegetieren die Menschen in völlig überfüllten Städten dahin, die sie nicht mehr verlassen dürfen. Der Rest des Kontinents hat sich in eine unbewohnte Ruinenlandschaft verwandelt und wird von allen nur das Niemandsland genannt. Während die geimpfte Elite, in sogenannten Enklaven, ein zufriedenes und glückliches Leben führt, kämpfen die umgeimpften Menschen ohne jede Perspektive um das tägliche Überleben.

Ein alternder Polizist und eine neugierige Studentin ziehen durch das zerstörte ehemalige Deutschland und kommen dabei nach und nach einer gigantischen Verschwörung auf die Spur.

Brandaktueller Thriller. Mit Witz und einer großen Portion Action beschreibt der Autor das Leben in einer Welt, in der die Folgen einer Pandemie, die Menschheit an den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Abgrund geführt haben.

"Das Regime - Covid 2050" ist der erste Teil einer spannenden Endzeit-Trilogie.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum26. Jan. 2021
ISBN9783347240742
Das Regime - Covid 2050: Episode 1

Mehr von Binga Hydman lesen

Ähnlich wie Das Regime - Covid 2050

Ähnliche E-Books

Fantasy für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Das Regime - Covid 2050

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Das Regime - Covid 2050 - Binga Hydman

    Die Neue Welt

    1. Kapitel

    Die Vorlesung war zu Ende. Das jetzt einsetze Stimmengewirr der Studenten schwoll zu einem akustischen Brei an, der sich an den hohen Wänden des Hörsaals brach. Die meisten Studenten hatten sich erhoben und drängten auf die Ausgänge zu. Anna klappte das Buch zu und beobachte das sie umgebene Treiben. Wie immer blieb sie sitzen. Sie hatte es sich zur Angewohnheit gemacht darauf zu warten, bis die meisten ihrer Mitstudenten den Hörsaal verlassen hatten. Sie hasste das dichte Gedränge, das nach jeder Vorlesung entstand. Der Professor wischte die beiden großen Tafeln sauber und sammelte seine Notizen zusammen. Anna mochte den alten Mann mit dem langen weißen Bart und der kreisrunden Nickelbrille. Sie schob das dicke Buch in ihre abgewetzte Umhängetasche. Dann erhob sie sich und stieg die Stufen des Hörsaals hinab, bis sie nur noch wenige Meter von dem Professor trennten. Er blickte sie fragend an, während er dabei seine Unterlagen auf dem Pult zu einem Stapel aus losem Papier aufstapelte. „Anna, meine Liebe. Sie sehen so aus, als ob Ihnen noch etwas auf dem Herzen liegen würde? „Entschuldigen Sie Professor. Ich würde Sie gern etwas fragen. Der Professor hob die linke Augenbraue und lächelte schelmisch. „Sie wollen mich zum Essen einladen? Anna lachte und schüttelte den Kopf. „Nein. Obwohl ich ein gutes Dinner mit Ihnen sicher genießen würde. „Sie wissen nicht was Sie sich entgehen lassen. Ich bin ein ausgezeichneter Tischgeselle. Der alte Mann fuhr sich mit der Hand durch den dichten Bart. „Also, meine Liebe. Was kann ich für Sie tun? Anna stellte ihre Tasche auf den Boden und räusperte sich. Ihr langes, dunkelblondes Haar glänzte seidig und umrahmte ihr hübsches Gesicht. Ihre Vorfahren waren vor vielen Jahren nach Deutschland ausgewandert, aber ihre slawische Herkunft war immer noch unverkennbar. Die hohen Wangenknochen, die vollen Lippen und ihre mandelbraunen Augen gaben ihrer Erscheinung das typische Aussehen einer Frau aus dem Osten. Anna war nur 162 cm groß und wog etwa 53 kg. Sie war schlank und ausgesprochen gut proportioniert, allerdings versteckte sie ihre körperlichen Reize zumeist unter dicken, viel zu großen Pullovern und schlabberigen Jeanshosen. „Ich habe Ihre letzte Abhandlung über das Versagen der demokratischen Staaten des 20. Jahrhunderts gelesen. Der Professor nahm seine Brille ab und begann damit sie ausgiebig zu putzen. Der Hörsaal war nun menschenleer. „Das freut mich. Ich hoffe sie konnten meinen Ausführungen etwas abgewinnen. Anna nickte lächelnd. „Ja. Der Text hat mir sehr gefallen. Besonders der Teil, in dem sie vor einer Rückkehr zu einzelnen Nationalstaaten warnen, hat mich beeindruckt. Der alte Mann lächelte. Dann klemmte er sich seine alte Aktentasche unter den rechten Arm und warf einen Blick auf die große Uhr an der Wand. „Ich muss Sie leider versetzen Anna, die nächste Vorlesung wartet auf mich. Es war schön Sie zu treffen.

    Anna nickte stumm und verabschiedete sich. Als sie auf den Innenhof der Universität hinaustrat, dämmerte es bereits. Es war Anfang Oktober und die Luft roch nach Herbst. Die Blätter der großen Buchen, die die altehrwürdige Universität umgaben, hatten sich bereits gelbrot gefärbt. In den letzten Tagen waren die Temperaturen merklich gesunken und kündigten den nahenden Winter an. Anna schlug den Kragen ihrer alten Armeejacke hoch und machte sich auf den Weg zur nächsten U-Bahnstation. Auf den Straßen der Stadt herrschte der übliche Feierabend Verkehr. Dicht an dicht stauten sich die kleinen Elektroautos, die nur noch schrittweise vorwärts rollten. Auf den Fußwegen hetzten die Menschen scheinbar ziellos umher, verschwanden in einem der wenigen Geschäfte oder stiegen eilig die Treppen zu einer U-Bahnstation hinab. Anna griff in die Tasche ihrer viel zu großen Jacke und zog ihren Kommunikator heraus. Ein leises Piepen kündigte den Empfang einer Textnachricht an. „Wollen wir heute ins Kino gehen?, las sie und seufzte. Ihre flinken Finger huschten über die digitale Tastatur und formulierten eine knappe Antwort. „Nein. Ich bin zu müde. Sie hatte die Nachricht kaum abgeschickt, da piepste das Gerät erneut. „Na komm schon. Es läuft der Film „In die neue Zeit. Den muss man doch gesehen haben. Anna lächelte und gab sich innerlich geschlagen. „Also gut. Um 1900 Uhr am Kino" Sie steckte den Kommunikator in die Tasche zurück und stieg die Treppen zur U-Bahnstation hinunter.

    Vor dem Kino herrschte bereits dichtes Gedränge. Die Filmvorstellung war auch an diesem Abend gut besucht. Der Film „In die neue Zeit führte seit Wochen die Liste der erfolgreichsten Filme an und war wie jeden Abend ausverkauft. Bei den Zuschauern und Filmkritikern gingen die Meinungen über dieses Machwerk weit auseinander. „Da bist Du ja! Anna fuhr erschrocken herum. Ingo hatte sein breitestes Grinsen aufgesetzt und blickte vergnügt auf Anna herunter. Der zwei Meter große und eher schlaksige Computerfreak trug eine neongrüne Steppjacke und eine feuerrote Pudelmütze. Ingo gehörte zu Annas besten Freunden. „Hallo Anna, sagte er und reichte ihr die Hand. Als vor 30 Jahren ein bis dahin unbekannter Virus die Menschheit heimsuchte, waren öffentliche Umarmungen in den Städten verboten worden. In den ersten Monaten dieser Pandemie im Jahre 2020 waren weltweit Millionen Menschen an einem bis dahin unbekannten Virus erkrankt. Obwohl die Pharmaindustrie sofort nach dem weltweiten Ausbruch der Seuche damit begonnen hatte, ihre Forschungen nach einem Gegenmittel zu intensivieren, war es ihr bis heute nicht gelungen, dem Virus endgültig Herr zu werden. „Hallo Ingo. Wie geht es Dir? Anna schaute zu ihrem Freund herauf und bemerkte einmal mehr, dass er deutlich älter aussah, als er in Wirklichkeit war. „Mir geht es gut. Stell Dir vor, ich habe heute einen Brief in der Post gehabt, in dem man mit mitteilt, dass ich in der Lotterie gewonnen habe. Verrückt oder? Schon morgen fahre ich nach Frankfurt." Er zog ein Stück Papier aus der Tasche und hielt es ihr aufgeregt hin. Es war eine Gewinnmitteilung der staatlichen Lotteriegesellschaft, in der Ingo darüber informiert wurde, dass er gewonnen hatte.

    Nach dem Ausbruch der Seuche vor dreißig Jahren hatten die meisten der damaligen europäischen Staaten versucht einer weiteren Ausbreitung des tödlichen Virus durch strikte Reisebeschränkungen entgegenzuwirken. Das Virus raffte auch in Deutschland fast 18 Millionen Menschen hinweg, so dass die Politik mit einer sogenannten Residenzpflicht reagierte, die bis heute Bestand hatte. Niemandem war es seitdem erlaubt seinen Wohnort, ohne eine entsprechende Genehmigung zu verlassen. „Das ist doch toll. Du wirst geimpft werden und kannst in Zukunft in einer der Enklaven leben. Ingo grinste. „Ich stelle es mir toll vor geimpft zu sein und das Leben in einer Enklave dürfte mir gefallen. Alles ist besser als weiterhin in dieser Stadt zu wohnen."

    An der Kinokasse reichte ihnen die Kassiererin zwei Eintrittskarten. Im Kinosaal setzten sie sich auf ihre zugewiesenen Plätze. Anna sah sich um. Etwa sechzig Besucher warteten wie sie selbst auf den Beginn des Films. Es wurde dunkel und auf der Leinwand erschien der übliche Warnhinweis, sich während der Vorstellung nicht von seinem Platz zu entfernen oder andere Kinobesucher zu berühren.

    Anschließend folgten einige Werbeclips, in denen für modische Schutzanzüge und die staatliche Lotterie geworben wurde. Dann begann endlich der Hauptfilm.

    „In die neue Zeit war ein Film, der nur wenig mit den Filmen gemein hatte, die vor dreißig Jahren in den Kinos liefen. Damals waren die allermeisten Filme einem Genre zugeordnet. Es gab Komödien, Actionfilme oder Dramen und ab und zu eine Dokumentation. Die heutigen Machwerke erinnerten eher an ideologisch aufgefüllte Propagandafilme der großen Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Immer stand der Kampf gegen das Virus im Mittelpunkt und stets wurden die restriktiven Maßnahmen der Regierung es zu bekämpfen als absolut notwendig vermittelt. Die eigentliche Handlung war meist banal und stets politisch korrekt. „In die neue Zeit stellte da keine Ausnahme dar. Zwei am Virus erkrankte Männer, die versuchen mit gefälschten Papieren die Stadt zu verlassen, um die Krankheit weiterzuverbreiten, mordeten sich in einer scheinbaren Endlosschleife von Szene zu Szene. Die beabsichtigte Vernichtung der Menschheit blieb dann aber doch aus. Eine heldenhafte kleine Gruppe von mutigen Regierungssoldaten verhinderte in heroischer Selbstaufgabe das weitere Verbreiten der Seuche, in dem sie die Bösewichte rechtzeitig stoppten. Am Ende wurden die beiden Flüchtigen erschossen und anschließend in einem Hochofen verbrannt. Die Polizisten triumphierten, nicht ohne das Publikum darüber zu belehren, dass es jedem so ergehen könnte, der versuchen würde, seine Stadt in derart böser Absicht zu verlassen. „Bleibt wo Ihr seid. Unsere Regierung sorgt für Euch! Es folgte der Abspann und die Lichter im Kinosaal verkündeten das Ende des Films. Anna und Ingo sahen sich an. Um sie herum erhoben sich die Kinobesucher von ihren Plätzen und strömten den Ausgängen entgegen. „Ich glaube ich habe noch nie so einen schlechten Film gesehen, murmelte Ingo. Anna nickte stumm. Auch ihr war der Unmut über das Propagandamachwerk deutlich anzusehen. „Lass uns irgendwo etwas trinken gehen. Sie erhoben sich und verließen das Kino. Ein paar Straßen weiter entdeckten sie eine der jetzt üblichen „Outdoor-Bars. Überall in der Stadt waren diese Treffpunkte, in denen man zwar stehen aber nicht sitzen konnte, wie Pilze aus dem Boden geschossen. Nachdem die Regierung Restaurants und Lokale gänzlich verboten hatte, um dadurch die Ansteckungsgefahr zu minimieren, trafen sich die meisten Menschen auf ein schnelles Bier in einer dieser Bars. Das Konzept war denkbar einfach. Im Innenhof eines alten Mietshauses baute jemand ein paar Stehtische auf und servierte dem vorbei strömenden Publikum alkoholische Getränke aus der Flasche. Mixgetränke waren dabei genauso verboten wie offene Speisen. „Möchtest du etwas essen? Ingo sah Anna fragend an. „Nein danke. Tütenfraß hatte ich heute schon zu genüge. Ingo bestellte zwei Bier und reichte Anna eine der beiden Flaschen. Die Bar war eher mäßig besetzt. Nur eine Handvoll Menschen tummelte sich in dem schummrigen Licht des verdreckten Innenhofs. Die beiden Freunde prosteten sich zu. Plötzlich verstummten die wenigen Gespräche und die anwesenden Gäste blickten in die Richtung des Eingangs. Mehrere angeheiterte junge Männer in gelben Hemden betraten den Innenhof. „Na toll. Eine Horde Gelbhemden", zischte Ingo und rollte dabei mit den Augen. Die Gelbhemden waren Mitglieder der offiziellen Streitkräfte, die die Regierung vor langer Zeit aufgestellt hatte. Seit dem waren viele dieser Männer und Frauen in den Städten stationiert worden, um dort für die Sicherheit und Einhaltung der Pandemiebestimmungen zu sorgen. Kurz nach dem Ausbruch der Seuche hatten sich einige Pharmakonzerne darangemacht einen Impfstoff zu entwickeln. Jedes Land, das über die finanziellen und industriellen Möglichkeiten verfügte, beteiligte sich damals an dieser Suche nach einem Heilmittel. Die Kosten für das Serum explodierten, weil die Pharmaindustrie die Preise und damit ihre eigenen Gewinne zu maximieren versuchte. Schon bald war der Erwerb des Serums nur noch den reichsten Menschen vorbehalten. Dem allergrößten Teil der Weltbevölkerung aber blieb eine Impfung verwehrt. Die Regierung hatte auf diese Tatsache reagiert, in dem sie die staatliche Lotterie ins Leben rief. So sollte es zumindest einigen der weniger betuchten Menschen möglich gemacht werden, dem trostlosen Leben in einer der völlig überfüllten Städte den Rücken kehren zu können. Die Gewinner dieser sogar im Stadtfernsehen gezeigten Verlosungen, lebten zukünftig in einer extra für sie gebauten Enklave, erhielten dort ein eigenes großes Haus, einen gut bezahlten Job und sogar eines dieser kleinen Elektroautos. Ingo hatte also sprichwörtlich das große Los gezogen.

    Anna beobachtete die Gruppe von Gelbhemden. Einige von ihnen waren sicher nicht älter als zwanzig, stellte Anna fest. Wie in jeder anderen deutschen Stadt gab es auch in Berlin eine Enklave, die den Geimpften vorbehalten war. Vor ein paar Jahren erließ die Regierung ein Gesetz, das diesen Personen einen Sonderstatus gewährte, der sie unter den besonderen Schutz des Staates stellte und ihnen das Recht gab, die ungeimpften Bürger einer Stadt zu jeder Zeit als ihre Arbeitskräfte zu verpflichten. Wenig später durften wichtige Führungspositionen innerhalb des Staatsapparates nur noch an Enklavenbewohner vergeben werden. Das gelbe Hemd wurde schnell zum Statussymbol der besser gestellten Oberschicht und derer die das Sagen hatten.

    Als 2020 die Seuche ihren Siegeszug über den Planeten angetreten hatte, wurden in vielen demokratisch geführten Ländern zunächst zaghafte Versuche unternommen, die Rechte der verängstigten Bevölkerung einzuschränken. Nur Monate später wurden jedoch härtere Maßnahmen notwendig, um eine weitere Ausbreitung der Seuche zu verhindern. Unzählige bis dahin unantastbare Grundrechte wurden eingeschränkt und strengere Gesetze erlassen. Es war der Anfang vom Ende des Rechtsstaates. In kürzester Zeit folgten umfängliche Versammlungsverbote, man schränkte die allgemeine Pressefreiheit und den Zugang zum Internet ein, setzte alle Wahlen sowie parlamentarische Abstimmungen aus und verbot jedwede Reisetätigkeit.

    Lediglich die Gelbhemden durften seitdem noch ein weitestgehend freies und normales Leben führen.

    „Hey Süße, komm doch mal her zu mir! Etwa vier Meter von Anna und Ingo entfernt hatte sich einer der Gelbhemden aufgebaut. Beide Hände zu Fäusten geballt und in die Hüften gestemmt, stand er breitbeinig in der Mitte des Innenhofs und starrte zu ihnen herüber. Der Junge war sichtlich angetrunken und schwankte leicht. Seine glasigen Augen fixierten Anna und aus seinem halbgeöffneten Mund tropfte an einer Seite der Speichel herunter. „Was für ein widerlicher Typ, murmelte Anna und sie spürte, wie sie der Ekel überkam. Das Gelbhemd machte ein paar schwankende Schritte auf die beiden Freunde zu. Nur wenige Zentimeter vor Anna blieb er schließlich stehen. Er schwitze und stank nach Bier und altem Schweiß. „Du bist hübsch. Ich lade dich auf ein Bier ein! Ingo schob sich zwischen das Gelbhemd und Anna. Er überragte den Betrunkenen um mindestens einen Kopf. „Meine Freundin dankt für die Einladung. Sie ist allerdings nicht interessiert. Für einen Moment schien das Gelbhemd ehrlich perplex zu sein. Er machte einen kleinen Schritt zur Seite und grunzte. Dann warf er den Kopf in den Nacken und stierte Ingo mit ausdruckslosen Augen an. „Wer bist Du denn?, lallte er und deutete mit dem rechten Zeigefinger auf Ingos Nase. Der Angesprochene setzte zu einer Antwort an, da traf ihn schon die Faust seines Gegenübers. Durch die Wucht des eigenen Schlages nach vorne geworfen, taumelte das Gelbhemd vorwärts. Intuitiv trat Anna einen Schritt zur Seite, so dass der Angreifer an ihr vorbei torkelte. Ingo lag nach Luft schnappend auf dem Boden und hielt sich den Bauch. Anna beugte sich zu ihm herunter und versuchte ihm aufzuhelfen. „Wir sind hier noch nicht fertig, zischte das Gelbhemd hinter ihr. Anna ließ den Blick über den Innenhof gleiten. Bis auf einige Saufkumpane des Gelbhemdes hatten sich die anderen Gäste verzogen. Alle Augenpaare waren jetzt auf Anna gerichtet, die immer noch neben Ingo hockte und ihn stützte. Dann spürte sie einen unsanften Stoß in den Rücken. Sie fiel nach vorne und landete auf dem sich immer noch vor Schmerz krümmenden Ingo. „Los, steh auf Du Schlampe!" Das Gelbhemd grinste anzüglich und blickte triumphierend zu seinen Kumpels herüber.

    Der Geifer lief ihm jetzt aus dem Mund und er hatte sichtlich Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Erneut holte er zu einem Tritt aus, doch mitten in dieser Bewegung verharrte er plötzlich. Anna hatte sich blitzschnell herumgedreht und ihr rechtes ausgestrecktes Bein wie eine Dampframme in seine Genitalien gestoßen. Der Kerl schnappte japsend nach Luft und klappte dann wie ein Taschenmesser in sich zusammen. Seine Gesichtsfarbe wechselte von Rot in ein makelloses Weiß. Noch bevor er mit dem Gesicht auf den kalten Steinboden krachte, übergab er sich. Anna holte zu einem blitzschnellen Kantenschlag aus, der dem fallenden Mann das Nasenbein brach. Blut spritze und verteilte sich auf dem Boden. Anna sprang auf und sah sich um. Ihre geschmeidige Körperhaltung war die einer trainierten Karatekämpferin. Die Kameraden des am bodenliegenden Gelbhemdes starrten erst sie und dann ihren ausgeknockten Mitstreiter an. „Wer ist der Nächste?, sagte Anna mit gefährlich leiser Stimme, doch niemand der Männer machte einen Versuch, sich auf einen Kampf mit ihr einzulassen. „Nehmt dieses Stück Scheiße mit und verschwindet. Der drohende Unterton in ihrer Stimme war nun unüberhörbar. Die Gelbhemden sahen sich für einen kurzen Moment ratlos an, dann eilten sie zu dem wimmernden Kameraden herüber, hoben ihn hoch und schleppten ihn davon. Anna beugte sich erneut zu Ingo hinunter und half ihm wieder auf die Beine. „Verdammt Anna. Du bist ja eine echte Killerin. „Du weißt doch, dass ich seit meiner Kindheit Kampfsport betreibe, antwortete sie lächelnd. Er grinste und nickte. „Was bin ich doch für ein Weichei. Ich kann nicht mal eine Frau beschützen." Als er sich hochgerappelt hatte, ergriff sie seinen Arm und gemeinsam verließen sie die Outdoor-Bar.

    ******

    In dem kleinen, schäbigen Zimmer im 21. Stockwerk des heruntergekommenen Hochhauses war es kalt. Die Zentralheizung funktionierte mal wieder nicht, weil die Regierung die allgemeinen Energiekosten senken wollte. Strom und Wasser gab es ebenfalls nur von morgens um sechs bis abends um neun. In den Nächten wirkten die unzähligen, schnell hochgezogenen Plattenbauten aus dem letzten Jahrhundert, dadurch wie eine unbewohnte dunkle Geisterstadt. Selbst die Straßenbeleuchtungen wurde in der Nacht auf ein absolutes Minimum reduziert. Lediglich in den abgeschotteten Enklaven der Gelbhemden schien die Stromversorgung stets gesichert zu sein. Taghell erstrahlte das Wohnviertel der Geimpften in der Nacht wie eine Insel inmitten eines Meeres der völligen Finsternis. Anna erhob sich von ihrem schmalen Bett und öffnete eines der maroden Fenster. Die kalte Luft tat gut und sie liebte es in der Nacht über die fast völlig dunkle Stadt zu blicken. Die alte Uhr an der Wand ließ sie wissen, dass es drei Uhr früh war. In ein paar Stunden würde die Sonne aufgehen und einen neuen Tag einläuten. Anna reckte sich und lauschte in die Stille der Nacht. Kein Laut war zu hören. Sie schloss für einen Moment die Augen und dachte an die Tage ihrer Kindheit zurück. Damals war Berlin eine pulsierende und nie schlafende Metropole gewesen, in der das Nachtleben nie zu enden schien. Durch die hellerleuchteten Straßen waren tausende Autos gefahren und vergnügungssüchtige Menschen von einem Nachtclub in den nächsten gezogen. Bis in den Morgen war damals gefeiert und gelacht worden, während andere Menschen aus ihren Betten sprangen und sich daranmachten zur Arbeit zu fahren. Von diesem bunten Treiben und Leben war man in Berlin heute weit entfernt. Eine gesetzlich eingeführte Ausgangssperre verbot den Bewohnern der Stadt ihre Unterkünfte und Wohnungen zwischen 2200 Uhr und 6 Uhr in der Früh zu verlassen. Nur die Gelbhemden konnten in ihrem abgeriegelten Stadtteil ein weiterhin ausgelassenes Leben führen.

    Ihr Kommunikator auf dem Nachtisch vibrierte. Ein kleines Fenster erschein auf dem Bildschirm. Müde griff sie nach dem Gerät „Kannst du auch nicht schlafen?, stand da geschrieben. Anna lächelte und ließ ihre flinken Finger über die digitale Tastatur gleiten. „Nein. Ich bewundere die Dunkelheit der Stadt. Sie hatte die Nachricht gerade abgeschickt, da vibrierte das Gerät erneut. „Ich melde mich sobald ich in Frankfurt angekommen bin. „Ok, textete sie knapp und legte den Kommunikator zurück auf den kleinen Nachtisch. Ingo würde schon morgen abreisen. Sie verspürte tatsächlich so etwas wie Neid in sich aufsteigen. Ihr Freund würde schon bald das Leben eines Privilegierten führen, während sie sich weiter hin an ihrem Geschichtsstudium abrackern würde, ohne zu wissen, was sie in dieser Stadt mit einem Universitätsabschluss eigentlich anfangen sollte. Die Welt war wirklich ungerecht, dachte sie.

    Pünktlich um sechs Uhr wurde der Strom angestellt. Anna legte den Schalter ihrer Kaffeemaschine um und sprang unter die Dusche. Das lauwarme Wasser belebte sie. Aus dem Radio schepperte die gewohnt blecherne Stimme des Nachrichtensprechers. Seit vielen Jahren konnten die Bewohner einer Großstadt nur noch den eigenen Stadt-Radiosender hören. Andere Sender von außerhalb oder aus dem Ausland waren streng verboten worden bzw. gar nicht erst zu empfangen. Die Regierung hatte diese Maßnahme mit einer durch die Pandemie bedingten kommunalen Selbstkontrolle der öffentlichen Medien begründet. Jede Stadt sollte, solange die Pandemie andauern würde, nicht durch etwaige schlechte Nachrichten von außerhalb verunsichert werden. Im zentralen Mittelpunkt der jeweiligen Berichterstattung sollte zukünftig nur noch der eigene Kampf gegen die Seuche stehen. Das gleiche traf auf das Fernsehprogramm zu. Der Druck von Tageszeitungen war auf Grund des allgemeinen Papiermangels vor einigen Jahren ebenfalls eingestellt worden. Lediglich eine einzige Stadt-Zeitung gab es in Berlin noch zu kaufen. Dieses staatliche Informationsblatt beinhaltete zumeist behördliche Anordnungen und die neusten Nachrichten über den stets erfolgreichen Kampf gegen das Virus. Anna nippte an der bis zum Rand gefüllten Tasse. In Berlin gab es schon seit Jahren nur noch Ersatzkaffee zu kaufen, dessen Geschmack eher entfernt an echten Bohnenkaffee erinnerte. Kurz nach dem Ausbruch des Virus waren alle Warengeschäfte mit Ländern außerhalb Europas eingestellt worden. Echte Kaffeebohnen aus Brasilien gab es seitdem nur noch auf dem Schwarzmarkt. Der Kommunikator auf dem Nachtisch vibrierte. „Kommst Du? Anna stellte die Tasse zurück auf den Tisch und griff nach ihrer Jacke. Der Fahrstuhl war mal wieder defekt, also musste sie die 21. Stockwerke über das Treppenhaus nach unten steigen. Vor dem Haus wartete Larisa. Sie war seit Jahren Annas beste Freundin und sie besuchten einige Vorlesungen gemeinsam. „Guten Morgen Larisa. Die beiden Frauen gaben sich die Hand und machten sich auf den Weg zur U-Bahnstation. „Hast Du schon das Neuste gehört? Anna schüttelte mit dem Kopf und Larisa fuhr, ohne eine Antwort abzuwarten, fort. „Ab morgen werden die Lebensmittelrationen schon wieder gekürzt. „Das war zu erwarten, antwortete Anna. „In den meisten der Läden gibt es ja jetzt schon kaum noch etwas zu kaufen. Kleidung bekommst Du heute doch auch nur noch auf dem Schwarzmarkt.

    In der Tat waren die Versorgungsschwierigkeiten in den letzten Monaten immer schlimmer geworden. Die Regierung hatte nach und nach damit begonnen, den freien Handel zu beschränken und die Geschäfte und Firmen unter staatliche Obhut gestellt, was einer rigorosen Verstaatlichung gleichkam. Überhaupt war das Leben in den abgeriegelten Großstädten durch den Mangel bestimmt. Während es in den vollständig abgeriegelten Enklaven der Gelbhemden keinerlei Versorgungsengpässe gab, hatte die Verarmung der Stadtbevölkerung beständig zu genommen. Das Warenangebot war mit den Jahren immer kleiner geworden und die Qualität der Dinge hatte sich sichtbar verschlechtert.

    Die Regierung machte für diese Entwicklung stets die bestehenden Lieferengpässe und den Ressourcenmangel verantwortlich. Nach dem Zusammenbruch der europäischen Ordnung im Jahr 2025 war der Handel mit Amerika, Asien und Afrika vollständig zum Erliegen gekommen. Es gab kaum noch genügend Rohstoffe. Öl und Gas waren seitdem Mangelware. Frisches Obst, echter Kaffee oder Tabakwaren gehörten mittlerweile zu einer immer länger werden Liste von unerschwinglichen Luxusartikeln. Die Regierung reagierte, wie immer rigoros und stellte den Schwarzhandel unter schwere Strafe. Razzien der Sonderpolizei gehörten heute zum täglichen Bild in Berlin. „Hast Du schon was von Ingo gehört? Anna schüttelte erneut den Kopf. „Bisher noch nicht. Er hat sich in der letzten Nacht bei mir verabschiedet. „Er hat wirklich Glück gehabt. Ich beneide ihn", seufzte Larisa und schlug dabei den Kragen ihrer abgetragenen Jacke hoch. Anna schwieg und die letzten zehn Minuten der Fahrt starrten die beiden jungen Frauen gedankenverloren in die vorbei rasende Schwärze des U-Bahnschachts.

    ******

    2. Kapitel

    Das schwere Eisentor schloss sich hinter ihm. Die Einfahrt in die Enklave wurde schwerbewacht. Links und rechts neben dem etwa vier Meter hohen Eingangstor hatten sich vier schwer bewaffnete Polizisten positioniert. In schwarzen Kampfanzügen trat einer der Männer an das Auto heran. „Ihre Papiere! Der Mann hinter dem Lenkrad lächelte freundlich, während er dem Beamten seinen Dienstausweis unter die Nase hielt. Der Wachhabende warf einen prüfenden Blick auf die kleine Plastikkarte, die den Fahrer als ein Mitglied der Berliner Sonderpolizei auswies. „Guten Morgen Herr Hauptkommissar, sagte er jetzt eine Nuance freundlicher und reichte dem Fahrer die ID-Karte zurück. Felix Sturm nickte und erwiderte den Gruß. „Guten Morgen. Wo befindet sich das Wohngebäude des Informationsministers? Der Wachhabende beugte sich zu dem geöffneten Seitenfenster des BMW`s herunter und deutete auf den Bildschirm des Navigationssystems. „Fahren Sie die Straße hinunter und dann biegen sie an der zweiten Kreuzung nach rechts ab. Nach etwa dreihundert Metern liegt das Haus des Ministers auf der linken Seite. Sie können es nicht verfehlen. Es ist das größte Wohngebäude in dieser Straße. Felix Sturm dankte dem Mann und gab Gas. Es war nicht das erste Mal, dass seine Vorgesetzten ihn für einen Auftrag in die Enklave schickten, aber trotzdem empfand er den Unterschied zwischen dem schlichten Leben außerhalb und dem ausgesprochen wohlhabenden Dasein innerhalb des abgesperrten Stadtteils, stets als befremdlich. Der krasse Gegensatz dieser beiden, nur durch eine Mauer getrennten, Welten überraschte ihn immer wieder aufs Neue. „Sturm. Der Informationsminister hat uns gebeten ihm bei einer delikaten Angelegenheit zu helfen. Er hat ausdrücklich nach Ihnen

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1