Birnengrün: Jugendzeit in Tübingen 1924 - 1933
Von Lotte Rosenbusch
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Über dieses E-Book
Sie beschreibt in diesen autobiografischen Aufzeichnungen ihre frühen Jugendjahre in der alten Universitätsstadt Tübingen. Darin wird diese vergangene Zeit in all ihrem Reiz und ihrer Besonderheit liebevoll aus der Sicht des Kindes wachgerufen. Ergänzt durch Aquarelle und Zeichnungen aus eigener Hand sowie historische Fotografien entsteht so die Welt der kleinen Lotte voller Wunder, Begegnungen mit Menschen und kleiner Sensationen.
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Buchvorschau
Birnengrün - Lotte Rosenbusch
Vorwort von Fabian Rosenbusch
Liebe Leserin, lieber Leser,
der zehnte Todestag meiner lieben Mutter Lotte im November 2020 war als idealer Zeitpunkt vorgesehen, ihr letztes Werk einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Bedingt durch die Corona-Umstände ist es etwas später geworden. Das tut dem Anliegen aber keinen Abbruch.
Lottes Kindheit in Tübingen in den Jahren 1924 bis 1934 war immer ihre Traumzeit, von der sie bis zuletzt mit großer Freude und Rührung berichten konnte. Der vorliegende Text ist über Jahre hinweg in kleinen Abschnitten entstanden. Bis kurz vor ihrem Tod hat sie daran gearbeitet. Immer wieder kamen Details hinzu, und im ganzen Haus fanden sich nach ihrem Tod kleinere Papiere mit originell verfassten Episoden aus ihrer Erinnerung. So individuell, wie sie war und wie sie von allen geschätzt wurde.
Das Buch entführt in die vergangene kleine Welt einer alten württembergischen Stadt aus der Sicht des Kindes Lotte in den 1920er Jahren mit all den Merkmalen dieser Zeit. In der Auswahl von Aquarellen von Lottes eigener Hand und historischen Fotografien aus dem alten Tübingen entsteht ihre so geliebte Welt für uns alle neu. Der Begriff „Birnengrün", der im Text nicht vorkommt, bezeichnet dabei einen von ihr mit dem geliebten Tübingen zusammenhängenden Gemütszustand, wie sie mir erzählte.
Mein Dank gilt Ulrike Petry (Ernen, Schweiz) für das Lektorat und Susanne Junge (Mörel, Holstein) für die Verwirklichung des Buchprojekts ebenso wie Manfred Poh (Ulm) für die redaktionelle Arbeit.
Viel Freude bei der Lektüre.
Stuttgart, im August 2021
Fabian Rosenbusch
Kleines Vorwort von Lotte Rosenbusch
Nun ist das Büchlein doch fertig geworden, obwohl die Menschen, Freunde und Bekannten in Lottes Umgebung nicht mehr so recht daran glaubten. Sie hat von vielem berichtet, was sie selbst sah oder in der Hand hatte, dachte oder sich erträumte. Manches, was vor ihrer Zeit war, hat sie sich erzählen lassen und hinzugefügt, was ihr später und den Begleitern ihrer besonderen Kindheit widerfuhr.
Freilich hätte sie die Geschichten auch ganz anders schreiben können, märchenhafter vielleicht, und wird dies womöglich noch tun.
Ob der Buchtext den Lesern gefällt, ist nicht sicher, es kann auch sein, sie überblättern ihn und schauen nur die Bilder an. Lotte könnte das verstehen. Sie wünscht dem Büchlein gute Reise, geneigte Leser oder Betrachter der Bilder.
Im Übrigen ist längst noch nicht alles erzählt …
Lotte Rosenbusch
(Das „Kleine Vorwort" wurde von Lotte Rosenbusch schon einige Zeit vor Abschluss des Manuskripts verfasst.)
1. Schwieriger Anfang
Ernst Walz ist beunruhigt. Sein Kind hätte gestern, am Sonntag, 31. August 1924, zur Welt kommen sollen und seine Freude, dass es ein Sonntagskind sei, war groß. Die Anrufe in die Frauenklinik sind unbeantwortet geblieben, und als er endlich, endlich die ihm bekannte Oberschwester Olga erwischt, sagt sie, es habe bei der Geburt leider Turbulenzen gegeben. Die Kleine sei am Montagabend um 19.20 geboren, Mutter und Kind gehe es den Umständen entsprechend gut.
Die Freude, dass es ein von ihm so sehr gewünschtes Mädchen ist, wird gedämpft von der Sorge, was denn geschehen ist. Turbulenzen? Und der Zusatz, er solle den ersten Besuch auf Mittwoch verlegen, verstärkt seine Angst! Der Laden bleibt geschlossen, ein Schild hängt dran: „Wegen Familienangelegenheiten zu".
Der Gang zum Standesamt, um Lotte anzumelden, wird ihn ablenken. Elisabeth und er hatten diesen Namen gewählt, weil mit ihm keine Veränderungen möglich sind, höchstens Lottele, oder Lottchen.
Der schwarze Zylinder passt zu der feierlichen Handlung. Würdig schreitet er dahin und als ihm auf dem Holzmarkt sein Schulfreund Gustav begegnet, ruft der: „Guta Morga, Ernstle, wo gosch au du na mit deim Zylinder? und auf dessen Antwort, er wolle seine Tochter Lotte anmelden, kommt die Entgegnung: „Zu ama Mädle brauchts koin Zylinder, a Kapp tuats au!
Beide lachen, Ernst nimmt es Gustav nicht übel.
Elisabeth Kiedaisch und Ernst Walz, Verlobungsbild 1916
Dann trinkt er in der Konditorei bei seinem Bruder Rudolf einen Kaffee und isst dazu ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte, verschweigt jedoch die schlechten Nachrichten aus der Klinik. Gratulationen von allen Seiten, von Kunden im Laden, nur seine Mutter Emma fragt leise: „Ernst, ist wirklich alles in Ordnung?" und er beruhigt sie, aber so recht scheint sie es nicht zu glauben. Mütter ahnen vieles.
Die Anzeige bei der Tübinger Chronik wird aufgegeben: „Die Geburt ihrer Tochter Lotte beehren sich anzuzeigen Elisabeth und Ernst Walz usw."
Dann fällt ihm ein, er könnte nach Bebenhausen wandern, durch den Schönbuch. Den Schönbuchträppler nannte man ihn als jungen Burschen, denn diese hohen Bäume hörten geduldig zu, wenn er ihnen von frühen Lieben, Schulsorgen, Differenzen mit dem Bruder Rudolf und dem Vater berichtete. Ihr Rauschen gab ihm tröstliche Antwort …
Wie so oft läuft er über die Alb, statt daheim zu helfen. Seine Mutter nimmt ihn in Schutz, wenn der Vater verärgert ist. Wie gerne würde sie mit ihm wandern, aber Tag für Tag nur das Geschäft! Sie kommt aus Reutlingen, und die Achalm ist ihr Berg, auf den Sorgen und Nöte getragen wurden. Schon als Kind verschwindet sie dort hinauf, aber die Eltern wissen, wo ihre Tochter zu finden ist.
Und später: alles wird in der Höhe, im frischen Albwind leicht, der Blick geht beinahe ins Unendliche, die Wolken ziehen dahin und nehmen alle Kümmernisse mit fort. Das Bild der Achalm eines bekannten Stuttgarter Malers ist ein Geschenk ihrer Eltern zum 17. Geburtstag. Wenn sie im Geschäft später große Sehnsucht nach dem Berg hat, geht sie hinauf ins Wohnzimmer, setzt sich eine Weile vor das Bild und danach ist der Dienst in der Konditorei nicht mehr so schwer.
Nun wandert Ernst langsam durch die Wilhelmstraße, vorbei am Gutleuthaus und auf der rechten Seite der Straße den Waldweg entlang, bleibt oft stehen und genießt alles, den Tannenduft, den kräftigen Wind, welcher die Wärme des Tages erträglich macht.
Wie ist das Kloster Bebenhausen wundervoll! Schon das Eingangstor, in dem die Schreiber saßen. Er kennt jedes Wegstück und sieht es doch ganz neu, weil einige Jahre vorüber sind, seit er zum letzten Mal hier war.
Was ist das Leben, wiederholt sich alles oder sind Geschehnisse neu, zwar gleicher Art, aber verschieden zusammengesetzt? Wie rätselhaft und verborgen ist alles!
Ernst hat im Sinn, in Bebenhausen zu übernachten, aber es bietet sich keine Gelegenheit. Sehr spät wandert er heim in die Mühlstraße und schläft unruhig.
Am nächsten Tag fährt er nach Reutlingen, macht Verwandtenbesuche, sitzt lange in der Marienkirche, bittet den Himmel, es möge mit Mutter und Kind gut enden.
Die letzte Nacht vor Mittwoch verbringt er ruhig, kauft bei Frau Reibold gegenüber 25 rote Rosen und bekommt von ihr einen Strauß weiße Rosen geschenkt, weil sie sich so mit ihm freut. Dann der Weg in die Klinik, rasch, rasch, um endlich zu erfahren, welche Turbulenzen stattfanden!
Schwester Olga sagt, der Professor sei am Sonntag zu einer Konferenz nach Heidelberg gefahren, obwohl er versprochen habe, bei seiner langjährigen Patientin Elisabeth Walz während der Geburt anwesend zu sein. Olga sagt, ihr sei das völlig unverständlich. Vielleicht kommt der Professor doch noch, deshalb bekommt Elisabeth wehenhemmende Mittel. Aber am Montag hilft gar nichts mehr! Das Kind muss mit der Zange geholt werden, wie immer ein gewagtes Unternehmen, gefährlich für Kind und Mutter. Ziemlich verletzt gehen beide daraus hervor. Elisabeth musste operiert werden, aber nun geht es beiden ganz gut. Die Mutter hat viel Milch und kann auch noch ein anderes Kind damit versorgen, dessen Mutter verstorben ist.
Elisabeth Walz mit Tochter Lotte
Bald stellt sich heraus, dass Lotte ein sehr fröhliches Kind ist. Sie liegt im Bettchen, formt seltsame Laute und lacht glucksend über alles, seine eigenen Fingerchen, den winzigen Bären, der von oben herabhängt, und über alle, die mit ihr reden, am meisten über Uffbaff (Gustav) und über das Ladenfräulein Agnes (Lotte nennt sie Aisle) und hört besonders gerne Musik. Wie glücklich sind die Eltern, dass noch alles zu einem guten Ende gekommen ist.
2. Tierliebe
Ihre Tierliebe bringt Lotte ihr Leben lang in oft schwierige Situationen.
Mutter hängt mit Haushaltshilfe Caroline auf der Terrasse Wäsche auf. Da hören sie plötzlich drüben bei der Nymphe, vor der ein Wasserbecken liegt, Geschrei und lautes Weinen. Ein Menschenauflauf hat sich gebildet und Mutter ruft: „Das kann nur Lotte sein! Eilt rasch hinunter, über die Straße und sieht eine schlimme Szene. Lotte ist auf den Rücken eines viel größeren Buben gesprungen, der sich der kleinen Hexe nicht erwehren kann. Sie taucht seinen Kopf dauernd unter Wasser und schreit: „Lescht du des arme Hondle en Ruh!
Der kleine Hund steht tropfnass und zitternd dabei … Die herumstehenden Leute wollen oder können nicht eingreifen. Der Bub hat sich offenbar einen Spaß gemacht, den jungen Hund dauernd ins Wasser zu tunken und Lotte kommt dazu, als kleine Rachegöttin. Es ist noch mal gut ausgegangen und der Bub wird so etwas bestimmt nie wieder tun!
Als Lotte später