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eBook229 Seiten3 Stunden

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Über dieses E-Book

»Bei Herzschmerz weitervögeln!«, lautet das Credo von Rubina, Erotikkolumnistin und um kein Thema verlegen, wenn es um die schönste Sache der Welt geht. Rubina aber heißt im wahren Leben Suse, ist beinahe Mitte dreißig und soeben frisch getrennt. Um diesmal nicht ihrer üblichen Trennungsroutine zu erliegen, bucht sie Hals über Kopf einen Flug ans andere Ende der Welt. Auf Bali will sie ihrem eigenen Rat folgen und den Ex aus ihrem Herzen drängen, dafür ist ihr erst mal (fast) jedes Mittel recht. Was folgt, ist nicht nur Material für neue Kolumnen, denn Suse – fest entschlossen, jeglicher Romantik zu entsagen – bleibt nicht lange allein. Einige sexuelle Eskapaden, urkomische Begegnungen und den ein oder anderen Bruch mit ihren eigenen Vorsätzen später erkennt Suse auf dieser Reise zu sich selbst doch noch, was wirklich hilft bei gebrochenem Herzen. Mit viel Gespür für Situationskomik hat Josephine Ehlert einen Roman geschrieben, der sinnliches Abenteuer und Romanze, Lebenslust und Selbsterkenntnis mit Leichtigkeit so verbindet, dass den Leser*innen alles wird, nur nicht langweilig.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum10. Nov. 2020
ISBN9783347160132
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Autor

Josephine Ehlert

Josephine Ehlert, geboren und aufgewachsen in Ostberlin, studierte Schauspiel in Wien. Sie lebt in Hamburg und arbeitet als Schauspielerin in TV und Theater sowie als Autorin und Filmemacherin. Als Kind schon fängt sie an, Geschichten zu verfassen. Als sie vierzehn ist, entsteht ihr erstes Theaterstück. 2011 beginnt sie, Drehbücher zu schreiben, und produziert ihren ersten Kurzfilm. Weitere Filme und Theaterstücke folgen und werden mehrfach ausgezeichnet. In der erfolgreichen Miniserie »Servus Baby« spielt sie seit 2015 eine der vier Hauptrollen. »Abtauchen« ist ihr erster Roman.

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    Buchvorschau

    Abtauchen - Josephine Ehlert

    1

    ›Ich würde meinen Rock hochraffen, das Höschen beiseiteschieben und mich dann nach vorn beugen, damit seine Finger mich da unten kitzeln, bis ich feucht bin, und sein harter Schwanz leicht in mich eindringen kann.‹ Es war gerade mal 11:34 Uhr, und Suses Gedanken kreisten schon wieder um die schönste Sache der Welt. Ihr wurde ganz warm im Schritt. Hmmm, was für eine schöne und heilsame Vorstellung: eine kleine Nummer auf der Flugzeugtoilette mit dem gut aussehenden Steward aus der ersten Klasse. Das wäre jetzt genau der richtige Start für ihre »Reise zurück zum Glück«.

    Jedenfalls, wenn das hier der spielerisch humorvolle Softporno wäre, den sich Suse manchmal anstelle ihres eigenen Lebens wünschte. Mit ganz einfachen Zutaten: zusätzlich zu ihrem beruflichen Erfolg nämlich mit einem tollen Mann und einer liebevollen Beziehung, die den Alltag angenehm machte und trotzdem aufregend blieb. Weil man zu zweit immer wieder neue Abenteuer erlebte und das auch in erotischer Hinsicht. Wieso bitte konnte das Leben nicht so sein? Wieso war Suse mit beinahe Mitte dreißig gerade mal wieder voll auf die Fresse gefallen? Und wieso tat das auch dieses Mal wieder so weh? Suse stoppte das Gedankenkarussell. Diese Fragen brachten sie nicht weiter. Ein kleiner Drink hingegen könnte zumindest für ein wenig Prickeln auf der Zunge und ein bisschen Ruhe im Kopf sorgen. Sie stand auf, zuppelte ihr Minikleidchen zurecht und trat betont lässig durch den Vorhang, der die Reisenden der Business Class vor Blicken der Normalsterblichen schützen sollte. Wenn schon kein Sex auf der Flugzeugtoilette, dann konnte doch zumindest ein kleiner Flirt nicht schaden. Suse hatte ein Credo für diese Reise: Nichts bereuen, alles probieren. Also los!

    Die erste Klasse war halb leer. Sie guckte auf angegraute Halbglatzen und aufgeschlagene Finanzzeitungen, zwei brünett gefärbte Turmfrisuren und einen weißblonden Hinterkopf, auf dem rosafarbene Riesenkopfhörer klemmten. Suse ging zielstrebig in Richtung des Cockpits und spürte die Blicke, die von den Laptops oder Zeitungen hinunter auf ihren Hintern glitten und dort kleben blieben. Das Kleid war neu. Sie hatte es sich vor zwei Tagen gekauft, zusammen mit einer Sonnenbrille, drei Bikinis und dem Flugticket. Das war alles zusammen ziemlich teuer gewesen und überhaupt nicht gut überlegt. Aber keine zwei Stunden vorher hatte Tom ihr mitgeteilt, dass er ausziehen würde. Bumm! Er trennte sich von ihr nach gut drei Jahren, und zwar ohne jede Vorwarnung.

    Es war Suses Art, so zu reagieren. Das war ihre Strategie, die Kontrolle zurückzugewinnen. In dem Moment selbst hatte sie stumm dagesessen, Tom angestarrt und irgendwann gefragt: Wieso? Als er angefangen hatte, von seiner neuen Kollegin zu sprechen, hatte sie augenblicklich die Hand gehoben und ihm damit zu verstehen gegeben, er solle die Klappe halten. Dann hatte sie ihm zwei Stunden Zeit gelassen, seine wichtigsten Sachen zusammenzupacken, und sich selbst in ihr Büro verzogen, wo sie die Zeit damit verbrachte, ihre endlose Enttäuschung online wegzushoppen.

    Bali war lange ihr Traum gewesen. Ihr gemeinsamer Traum eigentlich. Doch nun würde sie allein fliegen. Sie würde am Strand ein paar Tränen vergießen, und dann würde sie sich trösten und dabei richtig verwöhnen lassen. Immer und immer wieder. Bis es ihr wieder gut ginge. So weit der Plan. Und jetzt war Suse unterwegs in diesen Urlaub, und das teure, neue Kleidchen stand ihr verdammt gut.

    »Was kann ich für Sie tun?«

    Suse zuckte unwillkürlich zusammen. Der attraktive Steward sah aus der Nähe noch besser aus. Tiefdunkle braune Rehaugen und ein Grübchen im Kinn, das trotz seines sexy Dreitagebarts gut zu sehen war.

    »Oh, wahrscheinlich einiges«, hauchte Suse und lächelte unschuldig. Sie sah auf seine breite Brust und las sein Namensschild: »Heiko?«

    »Ja, Heiko. Sie befinden sich hier in der Business Class. Ich glaube, Ihr Platz ist in Reihe 23?«

    Suse lächelte frech: »Ach, das haben Sie sich gemerkt, Heiko?«

    »Darf ich Sie zurück auf Ihren Platz bitten? Wir rechnen demnächst mit Turbulenzen.« Heiko verzog keine Miene.

    »Ich wollte zur … ›Toilette‹«, erklärte Suse und merkte selbst, dass es klang, als spräche sie vom angesagtesten Swingerclub der Stadt. Upsi, das war eine Nummer zu dick gewesen.

    »Es befinden sich mehrere ›Toiletten‹ im hinteren Bereich des Flugzeugs«, Heiko machte einen Schritt auf sie zu, um seiner Ansage Nachdruck zu verleihen. Suse aber blieb einfach stehen, und so standen sie einander auf einmal sehr nah gegenüber.

    »Das ist ein sehr guter Duft, Heiko. Gefällt mir. Tut mir leid, dass ich mich verlaufen habe«, Suse streckte ihm ihre Nase und Lippen fast unmerklich noch ein Stückchen weiter entgegen, dann drehte sie sich um und warf ihm einen Blick über die Schulter zu. Ha! Sexy Heiko schaute augenblicklich auf ihren Allerwertesten. Das Kleid war wirklich ein guter Kauf gewesen, scheiß’ auf den Preis!

    Als Heiko ihren Blick auffing, wurde er für den Bruchteil einer Sekunde rot – erwischt! Dann aber trat er mit bierernster Miene an ihr vorbei und ging vor, in Richtung ihres Platzes. Er hielt ihr den Vorhang auf: »Bitte sehr.«

    Suse hatte auf ein Lächeln gehofft, vielleicht wenigstens auf die Andeutung eines Augenzwinkerns. Doch Heiko, der große Dunkelblonde mit der schicken Uniform, würdigte sie keines Blickes mehr. Zerknirscht ließ sich Suse wieder auf ihren Platz fallen. Nun musste sie doch die schwarz gefärbte Babydoll-Stewardess rufen, um sich ihren ersten Longdrink zu bestellen. Diese Ich-vergesse-meinen-Exfreund-Reise sollte wenigstens mit einem gehörigen Rausch beginnen.

    Wenn Tom jetzt hier wäre, hätten sie Bloody Mary getrunken, wie immer auf einem Flug. Wieso hatten sie zusammen eigentlich nie Sex im Flugzeug in Erwägung gezogen? War ihr Sexleben einfach zu langweilig geworden? Hatte er sich deshalb getrennt? Bis auf die Tatsache, dass Tom sie nicht oral beglücken wollte, waren sie doch beide immer gut auf ihre Kosten gekommen. Suse wurde sauer. Wieso saß sie jetzt hier und überlegte, ob sie ihrem verdammten Ex vielleicht sexmäßig nicht genug geboten hatte? War das ihr Ernst? Jedenfalls war sie nun erst mal durch mit angenehmen erotischen Träumen von harten Fremdschwänzen und gekonnten Fingerspielen unter ihrem Kleid. Sie klappte ihren Laptop auf und machte den ersten Eintrag in ihr Urlaubstagebuch:

    Ziele für meine Suse-wird-wieder-glücklich-Reise: Ich will geleckt werden. Bis ich komme. Danach soll er mich streicheln. Und wenn ich dann wieder Lust bekomme, darf er langsam in mich eindringen.

    So einfach war das. Das erste Urlaubsziel war formuliert. Tom aus ihrem Kopf zu bekommen, sollte nur eine Frage der Zeit sein. Dann öffnete sie den Ordner »Work«, begann ein neues Dokument und tippte:

    Wolke Sex: Der Mile High Club

    Umfragen zeigen, dass sich wahnsinnig viele Menschen Sex im Flugzeug wünschen. Wem das gelingt, der wird Mitglied im inoffiziellen Mile High Club. Ich frage mich gerade, was an Sex in einer verdammt kleinen Kabine eigentlich so aufregend sein soll – außer der Möglichkeit, sich hinterher ein Leben lang mit der Mitgliedschaft in diesem angeblich bestehenden Club brüsten zu können. Seien wir mal ehrlich, atmosphärisch ist das Ganze doch eine Katastrophe. Und so ganz unwichtig ist das Ambiente nun auch nicht für die schönste Nebensache der Welt. Wie hoch ist wohl die Wahrscheinlichkeit, auf fremden Pipitröpfchen herumzurutschen oder: dass es stinkt? Hinzu kommt der Stressfaktor. Für viele Menschen ist es angeblich erregend, wenn sie wissen, dass Fremde ihr erotisches Treiben – zumindest theoretisch – sehen oder akustisch mitverfolgen können. Für genauso viele Menschen aber bedeutet diese Möglichkeit Stress, und dann geht untenrum gar nix mehr, das ist mal klar. Und sicherlich findet nur noch eine verschwindend kleine Gruppe an Männlein und Weiblein es eine sehr verführerische Idee, beim Versuch, Mitglied im Club zu werden, von der Stewardess erwischt und mit Standpauke und eventuell sogar mit Strafanzeige unter Gejohle der Mitreisenden zum eigenen Platz eskortiert zu werden.

    Also, mir persönlich ist die Lust auf Sex im Flugzeug schnell vergangen. Wer unbedingt unter diesen Bedingungen eine Nummer schieben will, sollte bei einem Nachtflug auf wenige Mitreisende hoffen. Dann lässt sich das vielleicht sogar unauffällig in der eigenen Sitzreihe erledigen. Ganz wichtig: bequeme Klamotten, die sich schnell und unauffällig hoch- und wieder runterziehen lassen.

    Übrigens: Erst vor Kurzem hat sich ein Paar dabei erwischen und sogar filmen lassen – tagsüber, auf einem Flug nach Mexiko. Das Video ging natürlich ordentlich ab in den sozialen Netzwerken. Wer es darauf anlegt, ist einfach nur an vielen Klicks interessiert und kein bisschen an Erotik im Alltag. Meine Meinung. Jetzt Ihr!

    Eure Rubina

    Suse las den Text noch einmal durch. Noch zwei Stunden bis zur Zwischenlandung. Ihre erotische Kolumne war auch schon mal fluffiger gewesen. Sie konnte die Feedbackmail ihrer Chefredakteurin schon vor sich sehen: »Ist okay. Für übermorgen sexyer bitte. Und den Humor nicht vergessen.« Bla, bla, bla … Sie hatte noch ein paar bessere Texte in Reserve, das war gut, aber ganz ohne Arbeit würde es nicht gehen in den nächsten zwei Wochen.

    Suse dachte an Tom. An ihre Abende in der Küche beim gemeinsamen Kochen und Weintrinken. An sein echt bemühtes Feedback zu ihrer Arbeit. An ihren letzten Urlaub auf den griechischen Inseln und schließlich an seine Hände auf ihrem Hintern und zwischen ihren Beinen. Und dann sah sie ihn wieder vor sich sitzen, wie er zusammengesunken in sein Glas starrte. Jetzt würde er wahrscheinlich gerade in ihrer Wohnung seine Sachen zusammenpacken. Scheiße!

    2

    Die Landung war unsanft. Suse schreckte hoch. Nach dem dritten Cuba Libre war sie offenbar doch noch eingeschlafen. Sie glaubte, sich an einen Traum mit Tom zu erinnern. Tom, der mit Steward Heiko vor der Flugzeugtoilette stand und sich über Suse lustig machte, die in der Toilette feststeckte und die Tür nicht aufbekam. Was für ein Quatsch.

    Noch ziemlich angetrunken sammelte Suse ihren Kram zusammen und wartete darauf, dass die Business Class ihre Luxusärsche aus dem Flugzeug schob. Sie wankte ein bisschen. Oder vielleicht stand ja das Flugzeug doch noch nicht still? Jetzt wäre es toll gewesen, Tom hier zu haben. Er hätte ihr seine Hand entgegengestreckt und sie sicher aus dem Flugzeug geleitet.

    »Hoppla!«

    Suse war Heiko direkt in die Arme gestolpert. »Ohgottverseihung«, nuschelte sie.

    »Diese Stufe ist gefährlich«, Heikos Stimme klang ganz warm und verständnisvoll. Er sah ihr tief in die Augen. Huch! Und er ließ sie gar nicht los? Offenbar hatte er seine Meinung über einen Flirt mit einer Passagierin spontan geändert. Oder hatte er am Ende in der Zwischenzeit auch ein paar Drinks gebechert? Suse rappelte sich hoch. Heiko hielt sie unnötigerweise immer noch an den Armen fest.

    »Hatten Sie denn einen angenehmen Flug?«, fragte er und sah einmal an ihr herunter. »Fliegen Sie bald wieder mit uns?«

    »Jaja«, sagte Suse und wusste gar nicht, wohin mit sich. Jetzt, da sie müde und angetrunken war, fühlte es sich gar nicht gut an, so hemmungslos angemacht zu werden. Sie spürte, dass das verflixte neue Minikleid gerade eher auf der Position eines breiten Gürtels hing. Peinlich berührt versuchte sie erfolglos, es ein Stück nach unten zu schieben, als sie von hinten einen unsanften Schubs bekam. Der fette Dauerpupser aus der Reihe vor ihr wollte offenbar schnellstmöglich in den Duty-free einfallen. Suse konnte sich gerade noch abstützen, um nicht noch einmal in den muskulösen Steward hineinzufallen, und stiefelte dann nervös lächelnd, so schnell es ging, über die Gangway hinaus.

    ***

    Fünf Stunden Aufenthalt in Doha lagen vor ihr. Was für eine beschissene Idee, diese Verbindung zu wählen, weil sie zweihundert Euro günstiger war! Beschwipst zuckte Suse mit den Schultern, als wollte sie ihrer inneren Stimme eine Antwort geben. Hinterher ist man eben immer schlauer. Auch in Bezug auf Männer und Arschlöcher. Pfff!

    Das kurze Stück zu Fuß vom Bus ins Flughafengebäude verhieß Temperaturen um die fünfundvierzig Grad. Das Gebäude selbst war auf gefühlte fünfzehn Grad heruntergekühlt, warum auch immer. Suse reihte sich in die endlos lange Schlange vor der Passkontrolle ein. Trotz der Klimaanlage war die Luft stickig. Sie war nicht die Einzige, die müde war.

    Überall schaute Suse in schlecht gelaunte Gesichter. Das fahlgelbe Licht tat das Seine dazu. Auf einer kleinen Bank, zwischen zwei schlafenden Männern im Kaftan fand sie schließlich ein Stückchen Platz, um ihren Rucksack abzustellen, sich kurz zu ordnen und endlich ihr Minikleid wieder in seine richtige Position zu ziehen. Dann zog sie ihren Kuschelpulli aus dem Rucksack. Die vielen fremden Blicke auf ihrem Dekolleté zwischen Passkontrolle und McDonald’s genügten bereits für die nächsten Tage.

    Noch dreieinhalb Stunden Aufenthalt. Suse schaltete ihr Handy ein. Drei Nachrichten von Tom erschienen auf dem Display. Mit einem leisen Sausen in den Ohren und ziemlich flachem Atem las sie: Hey. Sag mal, die Tassen mit den blauen Fischen, deine oder meine? Siebzehn Minuten später hatte er geschrieben: Ich lass sie hier. Bin bald durch. Sehen wir uns heute noch? Und noch mal dreiundzwanzig Minuten später: Hey, wo bist du eigentlich? In der Redaktion sagen sie, du bist im Urlaub? Die wissen jetzt wahrscheinlich, dass wir getrennt sind … Fühlt sich komisch an. Wie geht’s dir? Meld dich mal, okay?

    Suse stockte das Herz. Sie ließ sich auf den Sitz, mitten zwischen die Schlafenden fallen und las wieder und wieder Toms Nachrichten. Fühlt sich komisch an? Vollidiot! Ja, verdammt, jetzt ahnst du vielleicht langsam, was du verloren hast. Tränen stiegen in ihre Augen und kullerten ungeniert ihre Wangen hinunter. Wo bekam sie jetzt nur den nächsten Drink her? Gerade wollte sie alles lieber als sie selbst sein. Kein Stück von dieser ganzen scheißteuren Reise wollte sie erleben. Ihr ganzer Tatendrang fühlte sich schal und heuchlerisch an. Sie wollte zurück nach Hause und sofort in ihre Wohnung eilen, um Tom zu sagen, dass sie ihm alles verzeihen würde. Sie wollte Tom zurückhaben. Sie wollte, dass alles so blieb, wie es war. Fast alles.

    Suse ließ kopfschüttelnd ihr Telefon sinken. Nein, das wollte sie nicht. Nichts von dem. Zurück nicht und auf keinen Fall zurück zu Tom, dem Betrüger, dem Feigling, dem Verräter, dem Herzensbrecher. Suse wollte sich verkriechen. Abtauchen. Möglichst schnell durch den Schmerz hindurchtauchen, um auf der anderen Seite des Kummers zurück zu sich selbst zu finden. Das würde schon alles wieder gut werden. Irgendwann …

    Suse probierte, tief durchzuatmen. Es klang wie ein jammervolles Grunzen. Das weckte Lebensgeister in dem Mann zu ihrer Rechten, der auf einmal kurz aufschnarchte und sich mit einem Ruck in seinem Tiefschlaf umsetzte. Seine Hand fiel dabei in Suses Schoß. Sie erstarrte. Das kam völlig unerwartet und war auf einmal recht viel Körperkontakt mit dem Unbekannten. Sie sah von der Hand auf ihrem Schenkel hoch und guckte sich den Schlafenden genauer an.

    Er war vielleicht ein paar Jahre jünger als sie selbst, hatte ein schönes Gesicht mit feinen Zügen und auffällig gut gezupfte Augenbrauen. Suse dachte kurz an ihre eigenen. Es wurde wirklich Zeit, dass sie sich endlich mal wieder nur um sich selbst kümmerte. Auch die Hand in ihrem Schoß war sehr gepflegt: groß und kräftig, die Fingernägel waren schön manikürt. Vielleicht ein Scheich, dachte Suse. Sicher ein Multimillionär, der jeden Tag in seinen eigenen Beautytempel geht, bevor er drei Stunden arbeitet und dann in seinen Pool mitten in der Wüste springt. Kurz war Suse von Neid erfüllt. Im nächsten Moment gab sie sich innerlich eine Backpfeife. Sie war auf dem Weg nach Bali! Ja, sie hatte dafür ihre ganzen bescheidenen Ersparnisse auf den Kopf gehauen, aber wirklich schwer hatte sie es als Freiberuflerin nun wirklich nicht. Auch wenn der stechende Schmerz in ihrer Brust und der riesige Klumpen in ihrem Hals ihr etwas anderes sagten. Liebeskummer ist auch Kummer. Suses Kinn bebte. Sie tat sich ordentlich selber leid. Völlig zu Recht, wie sie fand. Mit dem Ärmel ihres Lieblingspullis wischte sie sich den Schnodder von der Nase.

    Suse war freie Journalistin. Sie hatte zwei feste Kolumnen, eine in einem Frauenmagazin und eine in einem Fitnessmagazin für Männer. Dazu verfasste sie für eine monatlich erscheinende Illustrierte unter dem Pseudonym Dr. Martin Engelbrecht Beziehungsratschläge und beantwortete Leserbriefe. Immer wieder mal konnte sie ihre Reiseberichte und längeren Reportagen auch an andere Abnehmer verkaufen. Davon ließ es sich ganz gut leben. Ihre Hauptthemen waren Frauen und Beziehungen. So gesehen war eine frische Trennung gar nicht das Schlechteste. Nun konnte sie frei von der Leber weg mal wieder richtig authentisch über Herzschmerz und Liebeskummer schreiben. Schönen Dank auch!

    Neben ihr schmatzte es. Ihr Scheich öffnete die Augen und zog augenblicklich mit einem Ruck seinen Arm so heftig zu sich heran, dass seine schöne Hand sehr unsanft mit Suses Ellenbogen zusammenschlug.

    »Autsch!«, rief Suse im Affekt.

    Der Mann sah sie erschrocken und ärgerlich zugleich an. Er schnauzte etwas auf Arabisch. Oh Mann, was war denn mit dem los? Schon war er aufgesprungen und hastete davon. In ihrer Hand vibrierte ihr Handy. Schon wieder eine neue Nachricht von Tom. Was sollte das denn? Empört, aber viel zu neugierig lud Suse das gesendete Bild herunter: Auf einem nicht zu identifizierenden Stapel lag obenauf ein Foto von Suse und Tom. Glücklich und braun gebrannt lachten sie in die Kamera. Das Foto war vom Kroatientrip vor zwei Jahren. Tom hatte

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