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eBook286 Seiten3 Stunden

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Über dieses E-Book

Der klimatische und ökologische Kollaps der Erde steht bevor.
Eine Geheimorganisation IOWP, die absoluten Eliten der Superreichen, Supermächtigen und die Intelligentia verfolgen im Hintergrund des politischen und wirtschaftlichen Geschehens einen perfiden Rettungsplan für unseren Planeten.
Sie streben die Errichtung einer neuen gewaltfreien, wohlhabenden, die Natur schützenden und friedlichen Weltordnung an. So weit, so gut. Doch dieses Ziel ist nur mit der Reduzierung der Weltbevölkerung auf ein Minimum zu erreichen.
Drei Wissenschaftler, jeder eine Koryphäe seines Faches, sind angeworben, ein todbringendes Virus zu kreieren, vor dem sich die Eliten in riesigen, unterirdischen Bunkerstädten geimpft in Sicherheit bringen wollen an Tag X.
Fast die gesamte Menschheit ist in Gefahr!
Ein Gefüge von Macht, Intrige, Gier und Rücksichtslosigkeit begegnet an sehr verschiedenen Orten der Welt magischem Realismus und einem Geflecht der spirituellen Einflussnahme und verknüpft die Schicksale sehr unterschiedlicher Menschen gegen die Machenschaften der Eliten.

Sina Jumi beschreibt eine Fiktion, die sowohl in ihrem Scheitern, als auch im Gelingen immer problematisch und interessant bleibt.
Evtl. Ähnlichkeiten mit Namen, Orten oder Produkten sind rein zufällig und nicht real.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum3. Feb. 2020
ISBN9783749794331
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    Buchvorschau

    AUS - Sina Jumi

    1.

    Frankfurt am Main

    Verflixt, er war spät dran heute und hechtete die letzten Stufen hinauf zu seiner Garderobe im Schauspielhaus Frankfurt. Nur knapp dreißig Minuten vor Spielbeginn und er musste sich noch umziehen und in die Maske, das würde kaum zu schaffen sein.

    Na endlich, Art, wir haben uns schon gewundert, wo du bleibst, begrüßte ihn Nelly, die gerade den letzten Schliff an ihr Make-up legte, um die Rolle der Nastassja Filippowna in ihrem derzeitigen Stück, der Theaterinszenierung von Dostojewskijs Roman „Der Idiot, zu mimen. Art spielte Fürst Myschkin, die kindlich-naive Figur, die sich zu Nastassja Filippowna, einer schrillen Lebefrau mit tragischer Vorgeschichte, hingezogen fühlt. Im Verlauf des Stückes kompliziert sich deren Beziehung immer weiter bis hin zu einem tragischen Mord, der teilweise Fürst Myschkin anzulasten ist. Art Meise liebte das Theater, doch es verzieh ihm seinen Hang zur Unpünktlichkeit weniger als seine übliche Arbeit am Set irgendeines Drehortes, an dem man eher gewillt war, auf ihn zu warten. Seit seinen filmischen Erfolgen in den letzten zehn, fünfzehn Jahren hatte er einige Marotten ausleben können und aufgrund seines Bekanntheits- und Beliebtheitsgrades einige Annehmlichkeiten genießen können. Hier am Theater war das anders. Obwohl ihm seine Schauspielkollegen zu Beginn ein wenig ehrfürchtig begegnet waren, ging es doch eher gleichberechtigt und kollegial auf der Bühne zu. Er murmelte ein rasches Ja, ich weiß" und wand sich aus Jacke und Schuhen. Manchmal fragte er sich, warum er immer wieder ein Gastspiel am Theater einlegte. Ursprünglich wollte er seine Präsenz und den direkten, intensiven Austausch mit dem Publikum schärfen, das live Spiel hatte immer noch einen gewissen emotional erregenden Kick für ihn.Im Moment aber war er eher fahrig und unkonzentriert, der Nervenkitzel schien ihm schal und abgeschmackt, er war einfach nicht bei der Sache.

    Als Nelly nach draußen verschwunden war, fischte Arthur geistesabwesend ein kleines Plastiktütchen aus seiner grauen Lederhüfttasche. Er hatte sich schon seit ein paar Wochen auf diese Lösung seiner emotionalen Abgestumpftheit verlegt und er würde es heute gewiss wieder tun: Arrows oder schlicht und einfach nur Rows hieß seine Wunderwaffe gegen die Gleichgültigkeit, eine relativ neue und wie er bemerken musste sehr teure Designerdroge.

    Er betrachtete kurz das Emblem auf der großen, blauen Pille: zwei untereinander stehende und in entgegengesetzte Richtungen weisende Pfeile. Seine Bezugsquelle des Präparates hatte ihm erklärt, dass die kurzfristige Wirkung zwar geistige Konzentriertheit und Zielgerichtetheit, eine gewisse Wachheit beinhalte, dass das eigentlich Faszinierende der Droge allerdings die erst später einsetzenden, intensiven, archetypischen Träume seien; daher auch das Symbol der Pfeile, die die Wechselwirkung der Reise ins Unterbewusste, sowie die gegenläufige luzide Antwort aus dem Unterbewussten symbolisieren sollten. In seinem augenblicklichen Zustand schätzte er die Träume besonders. Sonst würde er komplett in Trauer versinken seit Sta, wie er liebevoll seine jüngere Schwester Augusta genannt hatte, vor fünf Wochen verstorben war. Er legte Arrows auf seine Zungenspitze und spülte sie hastig mit einem Schluck Wasser hinunter. Bis zu seiner Eröffnungsszene als Fürst Myschkin würde er sich geordnet und der ausgesprochenen Naivität und emotionalen Abgesondertheit des Charakters gewachsen fühlen.

    Schon die Tatsache dass seine Eltern ihre Kinder Arthur und Augusta tauften, zeigt die verstaubte, starre Haltung des Beamtenhaushalts, eine Kindheit ohne gezeigte Gefühlsregungen, aber alles bestens organisiert und nach außen wunderbar, geradezu beneidenswert, nach innen hart, kalt, geregelt. Vater ist das Gesetz. Mutter darf nicht aufbegehren, bis sie schließlich, als Arthur siebzehn und Augusta zehn Jahre alt waren, von einem auf den anderen Tag verschwand, durchgebrannt mit einem Amerikaner. Erst kamen noch einige Postkarten mit sentimentalen Worten wie „ihr fehlt mir und „auf bald, dann verlief sich die Spur, keine der angegebenen Adressen stimmte, an die die Kinder ihre sehnsuchtsvollen Briefe sandten.

    Der Vater reagiert mit noch strengeren Regeln auf das Verschwinden der Ehefrau, auch gegen sich selbst, versucht aber den Haushalt am Funktionieren zu halten. Die untreue Mutter wurde nicht mehr erwähnt, eine Zugehfrau versorgt das Haus, selten blieb sie auch bis spät in die Nacht und die Kinder vernahmen seltsame, irgendwie grunzende Geräusche aus dem Zimmer des Vaters, aber sie wagten es nie, danach zu fragen. Nach außen war wieder alles in Ordnung. Arthur und Augusta, die bereits als Mutter noch da war, eine enge Gemeinschaft, fast eine Insel innerhalb der Familie waren, rückten noch dichter zusammen. Sie hatten jetzt nur noch sich, verstanden sich ohne Worte und vertrauten sich blind. Das war eigentlich schon immer so.

    Schon als Arthur zum ersten Mal das runzlige Baby auf dem Arm halten durfte und sie ihn mit einem langen intensiven Blick direkt in seine Augen ansah, fühlte er, dass sie zusammen gehören und er sie immer beschützen würde. Und so wurde sie seine Prinzessin und er ihr getreuer Ritter, und später als sie dann fünf war und er seine Karl May Indianergeschichten verschlang, war er Winnetou und Augusta, die sich mit zwei Jahren, wenn sie gefragt wurde, wie heißt denn du?, immer nur Sta hervorbrachte, wurde in der Familie nun Sta gerufen. Für Winnetou war sie natürlich Ntscho-tschi.

    Klar, dass sie auch mal stritten und sich aus dem Weg gingen, aber spätestens zur Schlafenszeit schlich sich Sta aus ihrem Bett, hinüber zu Arthur. Er stellt sich grundsätzlich schlafend und hält seine Bettdecke zu. Da krabbelt die Kleine an sein Fussende unter die Decke und kitzelt seine Füße. Manchmal furzt er dann, um sie zu erschrecken und sie quiekt entsetzt und antwortete mit einem noch lauteren Pups. So geht der Wettbewerb noch eine Weile hin und her, bis vor Lachen ihre Bäuche wehtun und sie merken, wie schrecklich müde sie sind. Jetzt muss Winnetou das Pferd sein und Ntscho-tschi darf auf seinem Rücken in ihr Zimmer reiten. Arthurs Ohren sind die Zügel. Er kippt sie in ihr Bett, deckt sie zu und bevor er an der Tür das Licht ausknipst, zeigt er ihr Zeichen, zwei Finger auf seinen Mund gelegt, die linke Hand geht zum Herzen. Ntscho-tschi erwidert mit einem Kreis aus Daumen und Zeigefinger, die linke Hand auf dem Herz. Sie blickten sich einen Augenblick an, zwei, die sich immer vertrauen konnten.

    Später, als Sta ein fescher Teenie geworden war, hatte er im Hintergrund die Jungs gecheckt mit seiner Clique, Jungs die sich an Sta heranmachen wollten. Nur, als sie dann Tom kennenlernte und heiratete, war er nicht da. Es war seine Zeit auf der Schauspielschule und er war sehr mit sich, mit vielen Frauen und dem Beginn seiner Karriere beschäftigt.

    Tom war leider ebenfalls mit vielen Frauen beschäftigt, nicht nur mit Sta, die im Krankenhaus oft Nachtdienst schieben musste, und so ging die Ehe von Sta und Tom in die Brüche und Sta arbeitete noch mehr. Sie machte eine Zusatzausbildung, um in der Onkologie als Krankenschwester zu arbeiten. Hier erfährt sie, wie gegebene Liebe und Fürsorge gleichermaßen quittiert wurde und auch den Empfang von Liebe und Dankbarkeit erzeugt, ein sich scheinbar bedingender Kreis. Ihre Patienten, die häufig sehr belastet waren, bedeuten ihr einfach alles; ihr Wohl geht vor, und sie kümmert sich rührend um sie. Wofür man Sta auch mit großer Dankbarkeit begegnet. Eine so fürsorgliche Pflege ist keine Selbstverständlichkeit. Augusta ist mit ihrer Aufgabe sehr zufrieden. So erfüllend hatte sie sich ihr Wirken vorgestellt. Sie findet ihren Frieden mit sich und der Welt.

    Dann kommt der Tag, an dem sie plötzlich nichts mehr sehen kann, sie sieht Schleier, dann Nebel, dann wird es schwarz.

    Die Blindheit hält genau einen Tag an, dann kommt der Nebel vor ihre Augen, dann die Schleier und dann kann sie wieder sehen wie zuvor.

    Der Arzt konstatiert eine funktionale Störung aufgrund der Belastung am Arbeitsplatz und schreibt sie erst mal zwei Wochen krank. Kurz darauf kam die Diagnose: Leber- und Nierenkarzinom. Beides im Endstadium. Es gibt keine Hoffnung mehr für sie. Wochen später – Exitus.

    Schweißgebadet wacht Art fast jede Nacht aus dem immer wiederkehrenden Alptraum auf und hört die verzweifelte Stimme seiner Schwester, die ihn anrief und schluchzte, dass sie nichts mehr sehen konnte ganz plötzlich und dass sie wahnsinnige Angst in dieser Schwärze spürte, die sie so unvermittelt umgab. „Bitte, bitte hilf mir, Arthur, was passiert denn mit mir? Ich weiß mir nicht mehr zu helfen, bitte, bitte komm!"

    Leider fand er in diesem überraschenden Moment kurz vor seiner Generalprobe wohl nicht die richtigen Worte, so überrumpelt war er von der schrecklichen Nachricht. Er konnte nur tröstend sagen, dass Sta mit ihrer Nachbarin sofort in die Klinik fahren sollte zur Abklärung und versprach, sogleich nach der Aufführung nach Heidelberg zu ihr zu kommen.

    „Bitte, bewahre Ruhe, Sta, die Ärzte werden dir sicher helfen können. Ich werde heute Nacht noch zu dir kommen. Deine Nachbarin soll mich nach der Vorstellung informieren."

    In der Nacht noch raste Art zur Uniklinik Heidelberg, in der Sta auch arbeitete, in der Hoffnung auf gute Nachricht und um sich jetzt voll und ganz seiner kleinen Schwester zu widmen. In der Notaufnahme wartete noch Stas Nachbarin auf ihn und berichtete, dass man keine klare Diagnose stellen konnte und Sta vorübergehend zur Beobachtung aufgenommen sei.

    Art bedankte sich für die freundliche Unterstützung und wollte sie schon zum Ausgang geleiten, als ein Arzt erschien und Art informierte, dass auch ihm heute keine Besuchserlaubnis mehr erteilt werden könne, der Patientin müsse absolute Ruhe gegönnt werden. Über die Diagnose ließe sich immer noch nichts genaues sagen. So begleitete Art die Nachbarin nach Hause und fuhr dann zurück nach Frankfurt, morgen früh würde er wieder hier sein, hartnäckiger.

    Kaum fiel der erste Sonnenstrahl auf Arts riesiges Prachtbett aus nachtblauem Samt, schrillte auch schon das Telefon und beendete den kurzen Tiefschlaf. Das Handy lag auf dem Barschrank, er musste sich wohl oder übel aus der Decke schälen. Nach der Rückkehr in der Nacht genehmigte er sich noch einen oder zwei Gin, um seine Gedanken ein wenig zu beruhigen. Wirklich geholfen hat es nicht.

    „Arthur, klang Stas Stimme schon viel fester als gestern, „meine Sehkraft kommt wieder, ich sehe zwar noch ein bisschen verschwommen, aber ich sehe wieder. Ich bin ja so froh, du kannst dir meine Angst nicht vorstellen, ich darf jetzt nach Hause und bin für zwei Wochen krankgeschrieben. Der Arzt meinte, es sei eine durch Überarbeitung ausgelöste funktionelle Störung gewesen. Du brauchst heute nicht herkommen, ich werde mich erholen. Du hast momentan genug um die Ohren. Ich bin wieder okay.

    „Mir fällt ein Riesenstein vom Herzen, so ein Schreck braucht kein Mensch. „Ich habe mitgelitten, du kleine Krabbe.

    Art hat in der Tat mitgelitten, denn er hat sich gestern Abend an sein Blindentraining erinnert, das er für die überzeugende Darstellung eines geblendeten Kriegerkönigs in einem historischen Film absolviert hatte. Jeden Tag hat er drei Stunden seine Augen verbunden und versucht, sich zu orientieren und möglichst authentisch und unfallfrei zu bewegen. Es war furchtbar schwierig, die Aussicht, dass dies Stas Schicksal sein sollte, hatte ihn ganz niedergedrückt. Jetzt atmete er hörbar aus, alles wird gut.

    Dies lag alles erst Wochen zurück und die Umstände, wie schnell Sta so schwer erkrankte und sie plötzlich in Quarantäne lag und er sie nicht besuchen durfte und außer anfangs auch kein Telefonkontakt möglich war, hatten Art aus der Bahn geworfen. Der Vater litt mittlerweile an einer mittelschweren Demenz, Art wusste nicht genau festzustellen, ob die Nachricht der Krankheit und schließlich auch der Tod der Tochter wirklich zum gleichgültig reagierenden Vater durchdrang. Er lebte nurmehr in seiner eigenen eng begrenzten, kleinkarierten Welt ohne Bezug zur restlichen Familie. Art hatte versucht, seine Mutter in Amerika ausfindig zu machen. Vergeblich bis jetzt.

    Er, Art, war der einzige Mensch, der Sta wirklich schmerzlich vermisste, seine Ntscho-tschi, seine kleine Krabbe, seine verschmitzte und lebenslustige und kluge und mitfühlende Augusta. Jetzt, wo sie nicht mehr da war, war seine Kindheit und Jugend zu Ende. Sta fehlte ihm. Er war gänzlich verlassen und allein. Womöglich konnte es nur durch diesen hilflosen Zustand geschehen sein, dass er zunächst aus Verantwortungsgefühl für sein Schauspiel vier Abende in der Woche die Unterstützung der neuartigen Droge gesucht hatte. Ein in diesem Metier erfahrener Kollege hatte den Kontakt in einer Bar im Bahnhofsviertel hergestellt und für die Sicherheit der Droge garantiert. Das erste Mal schmiss er sie ein an einem spielfreien Tag, um die Wirkung auf seinen Körper, bzw. Kopf zu beobachten.

    Schon innerhalb von fünfzehn Minuten schien er energiegeladen, mit einer unglaublichen Konzentriertheit und Wachheit ausgerüstet zu sein, die ihn in die Lage versetzten, die soeben gelernten Texte mühelos zu behalten und Gefühl für Gestik und Mimik in sehr feinsinniger Abstimmung verliehen.

    Nach circa drei Stunden ebbte der Zustand des klaren Kopfes ab, vernebelte sich und schwang über in eine Traumphase, die er nicht kontrollieren konnte, die ihm aber aus seinem Unterbewusstsein eher angenehme Zustände bescherte.

    Arrows, diese Droge war großartig in Arts Situation, weder seine Arbeit noch die privaten Sorgen tangierten ihn mehr. Er war gefühlsmäßig betäubt. Er fühlte sich irgendwie tot, irgendwie funktionierte er aber auch noch wie ein Roboter.

    Zuerst kam er noch mit einer Arrow vor dem Auftritt aus, mittlerweile waren es zwei oder drei am Tag. Er war am Limit, irgendwie fühlte er das selbst.

    Sta kehrte erst in seine Gedanken zurück als er im verhallenden Applaus von der Bühne wankte. Vielleicht war es nur die Anstrengung einer dreieinhalb Stunden Vorstellung, in der er die Hauptrolle gespielt hatte, vielleicht die traurige Erschöpfung, die ihn schon seit einer Weile begleitete. Von einer Sekunde zur anderen schränkte sich Arthurs Sichtfeld zu einem dunklen Tunnel ein, sein Herz raste, Schweißperlen standen auf seiner Stirn, er fühlte sich absolut elend, schwach und der Ohnmacht nahe. Mit den Händen tastend erreichte er die Wand, im Kopf schmolz sein Gehirn zu einem Wattebausch, kleine Lichtblitze erschienen vor seinen Augen. Vielleicht hatte er auch Arrows einfach schon zu lange eingenommen. Er schaffe es gerade noch bis zur Türe seiner Garderobe, bevor er mit einem gepresst-seufzenden hfff kollabierte. Er verlor das Bewusstsein und schlug hart mit dem Kopf zu Boden.

    Der Schmerz erreichte Art jedoch nicht mehr. Sta winkte ihm zur Begrüßung zu. Sie trug ein langes, weißes Kleid, das ihn an den Empirestil des neunzehnten Jahrhunderts erinnerte und zugleich auch an Stas weiße Arbeitskluft der Schwesternschaft; Sta war Krankenschwester auf der onkologischen Abteilung gewesen und war ironischer Weise selbst einem aggressiv verlaufenden Krebsleiden zum Opfer gefallen. Sie führte ihn zu einem jungen schwarzen Afrikaner in die Savanne, der in einem Ritual sein Schild mit weißer Lehmfarbe bemalte. Arthur beobachtete das Design, das sich zu einem getüpfelten Bild eines Krokodils formte, umrandet mit einem geometrischen Muster von dreieckigen Spitzen und Kanten, wahrscheinlich sein Totemtier. Arthur erkannte den jungen Mann als einen Krieger und als Vermittler oder Seelenführer. Der afrikanische Krieger fischte ein winziges Krokodil aus einem Fluss und legte es ehrfürchtig Arthur in die hohle Hand und begann ihn spielerisch mit Wasser aus dem Fluss zu bespritzen …. bis der Schmerz im Kopf einsetzte und Arthur jäh in die andere Welt zurück katapultiert wurde. Er blinzelte langsam in das schummrige Licht des Flures vor seiner Garderobe, wo Nelly ihm besorgt die Stirn mit einem feuchten Tuch betupfte.

    Wo bin ich … was ist passiert? brachte Arthur undeutlich hervor.

    Du bist ohnmächtig geworden nach der Vorstellung sagte Nelly ihm. Eine kleine Traube von Menschen umringte sie beide.

    Welche Vorstellung? Wer sind Sie?

    Arthur fühlte sich völlig in der Fremde und konnte sich an nichts mehr erinnern außer dem kürzlichen Traumbild und gleichzeitig einer ganz sachten, vagen Erinnerung an die Schlussszene des Theaterstückes als Dostojewskijs „Idiot" in der Schweizer Nervenanstalt unter der Führung von Dr. Schneider. Nelly sah ihn irritiert an.

    Art, was ist los mit dir? Wir sind noch am Theater, haben gerade unser Bühnenstück bravourös zu Ende gespielt, bevor du dich hier unsachte hingelegt hast.

    Am besten, wir kontaktieren Dr. Schneider intonierte Arthur allen Ernstes.

    Witzbold. Ich denke, du hast recht, wir sollten dich tatsächlich zum Arzt bringen mit der Platzwunde am Kopf pflichtete Nelly ihm bei.

    Wenige Minuten später hatte Nelly ihren Kollegen Art, wie er sich seit den frühen Tagen seiner Künstlerkarriere nannte, in die Notaufnahme der Rotkreuzklinik gefahren. Seine Platzwunde würde versorgt werden. Wesentlich beunruhigender kam Nelly die völlige Desorientierung Arts vor, der die Zusammenhänge bezüglich seiner eigenen Person nicht mehr annähernd zusammenbrachte.

    „Das kann schon mal vorkommen bei einer schweren Commotio. Er scheint sich ja gehörig den Kopf angeschlagen zu haben, meinte der diensthabende Arzt des Krankenhauses. „Eine retrograde Amnesie und deutliche Wahnvorstellungen. Wir werden Herrn Meise (er hatte seinen Geburtsnamen Fink in den Künstlernamen Meise geändert und seinen altmodischen Vornamen Arthur in Art verkürzt, was ihm interessanter und einprägsamer erschien) über Nacht hierbehalten und empfehlen anschließend noch einen Aufenthalt in der psychiatrischen.

    Arthur brummte seine halbherzige Zustimmung. Es schien Art stimmig, schließlich war er auf der Bühne auch gerade noch bei Dr. Schneider im Sanatorium gelandet.

    Krankenhäuser waren Art generell sehr suspekt, insbesondere der antiseptische Geruch verursachte fast schon Übelkeit. Er hatte die Berufswahl seiner Schwester nie ganz nachvollziehen können. Und das war nun schon die zweite solche Institution in Folge. Art war tags darauf auf seinem Weg in die renommierte private Nervenklinik Dr. Rogats in Kronberg im Taunus. Der Fahrer seines Taxis hatte die Angewohnheit das eh schon laute Radio zu den Nachrichten noch lauter zu stellen: „… meldet die örtliche Polizeibehörde den Fund einer bisher nicht identifizierten männlichen Leiche im Stadtteil Mörfelden-Walldorf, in der Kleingartenanlage „Am Schlichterfeld des Stadtteils Walldorf. Der ca. fünfunddreißig-jährige Tote war am Freitag vor einer Woche von einem Rentnerehepaar aufgefunden worden; er erlag vermutlich mehreren Stichverletzungen im Brustraum. Das einzige Hinweiszeichen auf seine Identität ist ein Abschnitt eines Boardingpasses aus Phoenix, Arizona. Die Polizeidienststelle Frankfurt Süd erbittet jegliche Hinweise bezüglich verdächtiger Personen und Handlungen im Umfeld Mörfelden…

    „Schon wieder einer abgestochen, diese Gewalttätigkeit heutzutage, es ist einfach nicht zu fassen meinte der Taxifahrer resigniert. „Bloß diesmal scheint es ja nicht ein lokales Bandengemetzel gewesen zu sein mit den üblichen Verdächtigen, Arizona, das ist ja Amerika, also internationale Gangster, davon haben wir in Frankfurt grad schon genug.

    Art hatte nur mit halben Ohr zugehört und war mit der Nachricht eines brutalen Mordes wieder sofort in sein Rollenspiel versetzt. Er war in Gedanken bei den letzten vertraulichen Szenen mit Rogoshin, seinem verbrüderten Ich in Dostojewskijs „Idioten. Letzterer hatte ihm gerade den heimtückischen Mord an Nastassia Filippowna gestanden. Im Original waren eigentlich die Ordnungshüter im Anmarsch, der Intendant hatte jedoch die Szene so abgewandelt, dass nicht eindeutig war, ob nicht eventuell er, Art, in den Mord mit verwickelt war, was seine Einweisung oder eher Wiedereinweisung im Schweizer Sanatorium zur Folge hatte. Art fühlte sich unbestimmbar schuldig und ein „ich war es nicht lag ihm eindeutig auf den Lippen. Dennoch, ein Schatten einer Diskrepanz regte sich, und Arthur ahnte, dass dies lediglich seine letzte Rolle war, die er im Schauspiel darstellte. In seiner Unsicherheit, seiner vagen Identität, beschloss er, sich auf seine schauspielerischen Fähigkeiten zu verlassen. Er würde sich nicht als Art Meise, sondern inkognito als Arthur Fink, d.h. unter seinem Geburtsnamen, einweisen, sicher ist sicher.

    Vor ihm tauchte ein herrschaftlich anmutendes Gebäude aus dem beginnenden neunzehnten Jahrhundert auf, das von einem weitläufigen Park umgeben war. In östlicher Richtung grenzte ein Waldstück an. Wäre er nicht auf dem Weg in die Klapse, er hätte sich an der Architektur und Landschaft erfreuen können. Beides war im licht und modern eingerichteten Innern der Klinik reflektiert. Jedoch lockte der nicht zu ignorierende antiseptische Geruch Arts Misstrauen und Abneigung. Es war seltsam, wie dieses Hotel sich anmutete. Er war doch endlich im Schweizer Hotel angekommen? Verdammt, diese ewigen Filmrisse. Die Dame an der seltsam anmutenden Rezeption – es lagen

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