Hahn oder Henne?
Von Michael Bratusa
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Über dieses E-Book
Mit der Schreibfeder erweckt sie ein Königspaar zum Leben, dem eine Heerschar Untertanen, die sogenannten Vor-Herren, scheinbar bedingungslos dienen. Für das Grundgerüst einer erfolgreichen Diktatur fehlen noch gigantische, hochgezüchtete Hühner, um den Krieg gegen die Mittelschicht ausfechten zu können. Aus verschiedenen Ich-Perspektiven erzählt, zwingt Lisa sich und ihre Leserschaft auf abgründiges Terrain und durch eindringliche Dialoge. Es erscheint einem die schwarze Erdoberfläche geradezu malerisch, wenn sie beschreibt, was sich im Untergrund des Welt-Zentraltheaters verbirgt. »Ein abscheulicher Ort. Es wäre vernünftig, diesen, zusammen mit den Gefangenen, zuzuschütten.«
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Buchvorschau
Hahn oder Henne? - Michael Bratusa
1
LEKTORATSERÖFFNUNG
»W arte noch«, sage ich leise zu mir und lausche an der Tür. Der Lektor unterhält sich mit jemandem. Sie sprechen über mich.
»Lisa betritt jeden Augenblick das Lektorat«, erkenne ich Alice´ Stimme. Wie schön, dass sie da ist. Ich mag ihre geheimnisvollen Blicke.
»Ich erwarte sie«, antwortet der Lektor und in meinem Innersten wächst die Nervosität. »Es wird sie große Überwindung kosten, meine konstruktive Kritik anzunehmen.«
»Sie hat es geschafft. Wirkungsvoll, dass sie nach dem Tod der Protagonisten keine Perspektivenwechsel vollzieht. Es legt über das Werk eine sagenhafte Aura.«
Alice, du hast die Geschichte gelesen? Ich freue mich über deine Worte.
»Ihren Leserinnen und Lesern anstelle eines Tohuwabohus Blumen zu überreichen ist eine tröstende Geste. Großzügig von ihr; viele Menschen verdienen keine Blumen.«
Überlegst du, was du antworten sollst? Ganz einfach!
»Blumen spiegeln das Leben wider. Sie dienen dieser finsteren Geschichte als Gegenpol. Lisas Sinne gelten dem Handwerk. Es ist geschickt.«
»Das zeichnet sie aus.«
»Sie klopft, Meister. Setzen Sie sich und machen es sich bequem.«
»Wie steht es eigentlich um dich und deine Geschichte? Nimmt sie Gestalt an?«
»Federleicht im Augenblick.«
»Dann munter weiter im Text. Die Lektorin meiner Wahl wird mich würdig vertreten, wenn ich nicht mehr bin.«
»Sie üben auf fiese Weise Druck aus, Meister.«
»Weil es mir schlaflose Nächte bereitet, ob der Vogel nun fliegt. Schreib schneller, damit ich endlich sterben kann.«
»Ich werde mich heute Nacht wieder an den Schreibtisch setzen; mein Wort darauf.«
»Mein Herz hört dir zu und beruhigt sich. Wegen eines Vogels meine Nerven auf die Folter zu spannen! Wie gelingt das der Literatur? Empfangen wir jetzt Lisa.«
»Schön, Sie bei so guter Laune zu sehen. Es ist länger her, dass …«
»Du kennst ihr Manuskript.«
»Ja – in dieser Frau steckt Kraft.«
2
DEN KOPF VOLL
Ich starre auf die Prunktür, die ins Essgemach der Königsfamilie führt. Sie verabscheuen Störungen beim Essen, reagieren gereizt und es kam öfter vor, dass sie mit Besteck und Tellern nach mir warfen. Allen voran ist die Tochter das Problem. Ihre Entbindung war die wahre Tragödie unserer Zeit. Krampfhaft nehme ich Haltung an und klopfe.
»Kommen Sie gefälligst morgen!«, schallt die erwartete Antwort.
»Eure Hoheit! Die außerordentlichen Umstände dulden bedauerlicherweise keinen Aufschub, Sie müssen mich vorlassen!«
Es kommt keine Rückmeldung und doch spüre ich den Unmut der Königsfamilie durch den Türspalt kriechen. Ich warte und fühle einen stechenden Schmerz in meinen Fingerknöcheln. Ich erkenne die Schrammen und – Blut. Das Biest kann kein Blut sehen! Hektisch spucke ich in die Hände, als die Tür aufgerissen wird und ich in die zornigen Augen der Königstochter blicke.
»Was willst du, Bastard?«, begrüßt mich das Biest und mir bleibt die Schmach, es anzulächeln.
»Sprich nicht so grausig mit dem Boten«, tadelt der König sein Töchterchen und erlebt, wie es sich zu ihm umdreht und meint, er sei ebenso ein Bastard. »Von mir hat sie das nicht«, rechtfertigt er sich vor der Königin und erachtet es als unnötig, hinunterzuschlucken, bevor er spricht.
»Eure Hoheit«, setze ich mich über das Biest hinweg und konzentriere mich auf das Königspaar. »Es ist dringend.«
»Dringend, dringend, ich hasse dieses Wort!«, flucht die Königin und schleudert ihren angebissenen Hühnerhaxen in meine Richtung. »Ständig ist alles dringend, was Sie vorzutragen haben. Das Allermeiste, das Sie von sich geben, ist Unsinn. Schatz«, sagt sie und meint das Biest, das sich auf meine Kosten amüsiert, »schließ die Tür, der Bote verlässt uns.«
»Eure Ho – «
»Schatz – Tür zu!«
Und sie ist zu. Perplex starre ich darauf. Klopfe ich erneut, riskiere ich mein Leben. Tu ich es nicht und die Gefangenen brüten mit der Frau etwas aus, geht es mir genauso an den Kragen.
Ich mache kehrt.
Vor den Palastmauern empfängt mich die schwarze, kahle Wüstenlandschaft. Gehetzt besteige ich mein Rennhuhn Karmonon. »Ab zum Theater, ich muss zum Oberkommandoführer!«
Sofort fegt mir Staub ins Gesicht, den Karmonon mit seinen Halsfedern abschwächt. »Du bist mein Held.« Es ist das schnellste Huhn, das existiert, und mein Mobilitätsgarant in dieser Ödnis. Karmonon soll ewig leben.
Das Abschiednehmen von ihm wird grausam.
In den Monaten nach der Machtübernahme scheute sich das Königspaar, oder hielt sich vorsätzlich bedeckt, Informationen zur Umfangreichen Hühnerzucht herauszurücken. Bis dahin kannte die Vor-Herrschaft das Huhn ausschließlich als Delikatesse. Dass wir bald die ersten, erfolgversprechenden Zuchterfolge reiten konnten, als Spür-, Bück- und Schlagbohrhühner gebrauchten, oder uns die Freizeit mit Hühnerpolo vertrieben, hätte niemand zu träumen gewagt.
Dieser Entwicklungsverlauf steigerte unbeachtet unseren Größenwahn.
Karmonon gehört zur Gattung der Raritätenhühner, die noch leibhaftigen Kontakt zum Mutterhuhn hatten. Seine Gefühle könnten ihn überwältigen. Wird er mir überhaupt eine Träne nachweinen, wenn er seine Mutter sieht? Fraglich ist zudem, wie sich das Mutterhuhn verhalten wird, wenn es die Zuchtstation entdeckt.
Es ist fast tiefenentspannend, auf Karmonon zu reiten und den Wind zu fühlen. Das Biest bringt mich um den Verstand. Seit es lebt. Nie habe ich mich hinreißen lassen. Aber heute, wo es keine Mittelschicht mehr gibt, die wir vernichten können, fehlt mir die Gelassenheit, seine Art zu ertragen. In den zurückliegenden Monaten habe ich kaum noch fremdes Leben quälen und beenden dürfen und darum auch Teile meiner leidenden Seele nicht mehr abgetötet. Der Oberkommandoführer wird bestimmt sagen, ich hätte das Königspaar nicht belästigen sollen. Ich ärgere mich über meinen vorschnellen Entschluss. Die Gefangenen brüten inzwischen sicher über den irrwitzigsten Ausbruchsplänen. Könnte ihnen die Flucht gelingen? Wenn ich die Frau töte, ist dann alles wieder beim Alten?
»Alles ist scheiße.«
Karmonon reagiert nicht auf mein Leid. Er gibt mir damit Zeit, nachzudenken und auf so manches allein draufzukommen.
»Ich muss dir etwas beichten.« Ein wenig verkrampft sich seine Rückenmuskulatur. »Heute zelebriert die Königsfamilie das Ende der Welt. Wir werden uns nie wiedersehen. Mich trifft das ebenso, aber dich ins Raumschiff zu schmuggeln, ist ausgeschlossen. Das Mitnehmen von Hühnern ist strengstens untersagt.«
Karmonon hält an, wirft mich ab und verschwindet, ohne sich einmal umzudrehen.
»Ka – Karmonon??? Komm zurück! Du kannst mich nicht dalassen! Sieh dich um – hier ist nichts!«
Er läuft geradewegs in Richtung Zuchtstation. Karmonon kennt dort kein Huhn. Sie werden sofort bemerken, dass er versnobt ist und entsprechend reagieren. Und kein Vor-Herr wird anwesend sein, um die Lage zu kontrollieren. Alle bereiten das Abschlussfest vor. »Pass auf dich auf, wenn du hoffst, da Anschluss zu finden. Sie könnten dich töten.« Ich blicke mich um und sehe überall dieselbe öde Landschaft. Am Horizont erscheint das Morgenlicht der Sonne. Ob sie morgen wieder aufgeht? Wozu?
Wann habe ich zuletzt eine so weite Strecke zu Fuß absolviert? Mir fällt das Atmen schwer. Mein Körper hat sich an das Chauffiert werden gewöhnt und ist überfordert. Wie hat man das früher gemacht? Ich lasse mich in den Wüstensand fallen und erblicke Karmonon direkt vor mir. Er ist zurückgekehrt! Den Kopf geneigt, sieht er mich vertrauensvoll an, bevor sein Kopf kleiner wird, noch kleiner und – Komme mir? I komme mir. Komme mir zu ich? Kopf dröhnt – völl benomm – kann nich – nmöglich – Durcheinander laut – aufhören – bitt aufhören – bin ich? – Wo? – Ich spüre, dass ich erwache; erinnere mich an nichts. Wo bin ich? Ich kann meine Augen nicht öffnen. Ein Adrenalinstoß weckt mich endgültig auf, als ich ertaste, dass meine Lider zugeklebt sind!
Ruhigbleiben.
Woran erinnerst du dich?
Streng dich an.
Das letzte Bild?
Das letzte Bild?!
Kann es schaden, um Hilfe zu rufen?
In meinem Innersten brodelt die Angst vor der Geburt des Kindes. Aus dem Entbindungsgemach dringt das Geschrei der Königin. Spezialisierte Vor-Herren dienen als Hebammen. Die vereinten Gene des Königspaars werden ein Biest erwecken. Ob männlich oder weiblich; sie können nur mutieren. Angespannt laufe ich den Korridor auf und ab und fühle mich zusätzlich erdrückt von der Aura der Skelette an den Wänden und Decken. Fortan also beherbergen die Gemächer dazu ein Biest. Wie viel lieber würde ich die Welt sofort verlassen!
Plötzlich wird es still. Das Biest ist geboren und als würde es auf meine Gedanken antworten, beginnt es zu plärren.
Ich nehme Haltung an, weil mich jeden Moment ein Vor-Herr vom geglückten Geburtsvorgang unterrichten wird. Ich sollte ihn mit Kugeln durchsieben.
Die Tür geht auf und ein blutüberströmter Vor-Herr verlässt das Entbindungsgemach. »Unser letztes Stündlein hat geschlagen!«, sagt er, nachdem er seinen Blick von den Skelettverzierungen nimmt. »Schon sehr bald, werter Bote, hängen wir alle da. Das Mädchen wird zu einem Drachen werden. Die Königin wird davonkommen, allerdings in den nächsten Wochen Ruhe brauchen. Der König liegt in einer Ecke und schläft. Lassen Sie ihn da, er wird wieder aufwachen. Ohne Übertreibung: Hätte er gewusst, was er erschaffen wird, hätte er ihn sich abgehackt. Fürs Erste wird der Drache nur Feuer speien und Insekten erlegen. Aber wehe, wenn er gelernt hat, Knöpfe zu bedienen – Stellen Sie sicher, dass sich die Königin erholt. Zur Not kümmern Sie sich um den Drachen. Ich werde ein Bad nehmen und versuchen, damit die Bilder aus meinem Kopf zu waschen. Dennoch fürchte ich, sie werden bleiben.« Der Vor-Herr empfiehlt sich und lässt die Tür ins Entbindungsgemach einen Spalt offen.
Nervös trete ich auf die Tür zu, öffne sie weiter und erblicke mein Schicksal. In einer Ecke schläft der König in einer Lache. Sein tiefes Schnarchen verrät jedoch, dass alles halb so schlimm ist. Um den Entbindungstisch steht die Vor-Herrschaft und reicht, ein Vor-Herr dem nächsten, das brüllende Biest weiter. Niemand sagt ein Wort. Jeder will die Verantwortung von sich weisen. Plötzlich kreuzen sich unsere Blicke. Die Vor-Herren sind überrascht, wie abrupt es das Gebrüll einstellt. Es verengt seine Augen zu Schlitzen. Es wittert in mir sein wahres Opfer. Ich sehe keine gespaltene