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Zwischen Baum und Borke
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eBook448 Seiten5 Stunden

Zwischen Baum und Borke

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Über dieses E-Book

Aus der Orgie religiöser Pluralität à la Hawaii und Washington wird nix. Hat das buddhistische Disneyland zuvor schon für reichlich Unmut gesorgt, ist mit dem Bau der Moschee die Kacke unstreitig am Dampfen. Halb Zug steigt auf die Barrikaden, macht entschieden und mit Nachdruck gegen den Stadtpräsidenten, einen glühenden Sozialdemokraten, Front. In Sonderheit Exbundespräsident im Ruhestand Wunderlich senior, der Ätti, wie er liebevoll vom Sohnemann, dem erfolgreichen Weinhändler, genannt wird. Einem überzeugten Christdemokraten und praktizierenden Katholiken wie ihm ist die dräuende Islamisierung der Schweiz durch und durch ein Dorn im Auge. Kaspar Krieg, dem Bundespräsidenten und Departementsleiter für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport, kommt die Islamophobie der Landsleute indes ungemein zupass. Für den von jeher kriegslüsternen Kerl, einen gnadenlosen Interventionisten, scheint nämlich nun die Zeit reif zu sein, die ausgetretenen Pfade zu verlassen und mit ferngesteuerten Robotern und Drohnen alle Welt das Fürchten zu lehren. Ruth Keller, Departementsleiterin für auswärtige Angelegenheiten und Konstruktivistin, vermag der Reorganisation des Schweizer Militärs freilich nichts abzugewinnen. Vielmehr versucht sie nach besten Kräften, dem Regierungskollegen Einhalt zu gebieten. Nicht zuletzt deshalb, weil der Knilch auf Rache sinnt, als ihn der türkische Premier ungeniert ein Schwein heißt. - Die Satire prangert die kulturelle Engstirnigkeit der Eidgenossen an, verurteilt ihre religiöse Intoleranz aufs Schärfste. Zwar ist die Ambivalenz der Religion nichts Neues, weil Ausdruck der menschlichen Natur, grade drum ist es aber unerlässlich, ihr auf den Zahn zu fühlen, zumal dann, wenn mit der unseligen Verbindung von Staat und Religion, mit Totalitarismus und Fundamentalismus Unheil ins Haus steht.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum18. Juni 2014
ISBN9783849580988
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    Buchvorschau

    Zwischen Baum und Borke - Collin Coel

    Kapitel 1 – Umbruch

    Bei Tage besehen war’s ja von jeher ein Mordsgfrett mit diesen Muslimen gewesen. Nun gleichwohl, da diese vermaledeiten Hundsfötter die Stirn hatten, mit ihrem jahrelang angekündigten Bauvorhaben Ernst zu machen und den Zugern mitten im Ort eine Moschee samt Minarett und Muezzin hinzuknallen, war die Kacke unstreitig am Dampfen, schrie ein jeder in der Stadt Zeter und Mordio, dass es nur so eine Art hatte. Urplötzlich kannten die Hiesigen keinen Pardon mehr, ging es der unliebsamen Kopftuchgemeinde an den Kragen.

    Lange genug hatten sie tatenlos zugesehen, wie sich diese unnütze Bagage der Ägypter, Araber und Tschuschen vermehrte, als gäb’s kein Morgen mehr, doch mit der geplanten Gebetsstube war das Maß voll, wollte niemand mehr mit seiner Meinung hinterm Berg halten.

    Den Exbundespräsidenten im Ruhestand und bekennenden Christdemokraten Wunderlich senior, einen alteingesessenen Zuger, überraschte der Sturm der Entrüstung, den das Ansinnen der Muslime entfachte, denn auch nicht weiter. Er hatte es seit Jahren kommen sehen, dass es mit der schlichten Duldung der Schurken nicht getan wäre, diesen Brüdern einer hätte schnurstracks die Hose ausklopfen müssen. Doch auf ihn hatte ja niemand hören wollen, nicht einmal zu der Zeit, als er Staats- und Regierungschef gewesen war.

    Die Folge dieser sträflichen Uneinsichtigkeit kriegte der kleine Moritz itzund zu spüren. Nicht von ungefähr hatte der Ärmste das Gefühl, dass von jetzt auf gleich alles zu Fall gebracht würde, was ihm je lieb und teuer gewesen war. Klar, dass sich ihm da das Gefieder sträubte, er nicht übel Lust hatte, Tabula rasa zu machen. Höchste Eisenbahn aber auch, das islamische Gesocks gründlich aufzumischen und in die Wüste zu schicken.

    Der Tag war bereits zur Rüste gegangen. Die Stadt lag unter einer dichten Nebelglocke, es regnete Bindfäden.

    Senior und Junior saßen bei Tisch, taten sich an einem deftigen Bratl und einem edlen Tropfen gütlich. Und wie der Olle sein Glas in einem Zug geleert hatte, bemerkte er leichthin: »Jetzt pfeift der Wind aus einem anderen Loch.« Er schmunzelte süffisant.

    Wunderlich junior blickte auf, sagte schlicht: »Mhm.«

    Der Regen trommelte unaufhörlich gegen die Scheiben der feudalen Zuger Villa. Ein Blitz zuckte, der Donner grollte. Unbewusst gab sich Wunderlich senior dem Zauber der Natur hin. Und wie er da so zum Fenster hinausstarrte, fragte er sich: »Ob unsere Strizzis wohl wieder von der Palme herunterkommen?«

    »Bleibt abzuwarten«, würgte Wunderlich junior mit vollem Mund hervor. Er schluckte und meinte: »Ein jeder hat sein Päckchen zu tragen, obgleich ich die Sorgen des gemeinen Mannes teile, unbedarft und unwissend wie er nun mal ist.«

    »Gewiss«, nickte Wunderlich senior. Er überlegte kurz. Und mit einem Mal überkam ihn die beklemmende Furcht: »Der wird wohl nicht in aller Herrgottsfrühe schreien, oder?«

    »Wer denn, Ätti?«

    »Dieser Muezzin«, knurrte der Alte.

    »Frag mich was Leichteres!«, zuckte der Sohnemann mit den Achseln. Er hatte ja null Ahnung, was diese Gfraster und ihren Islam betraf. Ungeachtet der Tatsache, dass mit Onur Acar seit etlichen Jahren eine Muslimin aus der Türkei das Haus in Schuss hielt. Die Frau kochte, putzte, wusch und bügelte gar, als hätte sie nicht zwei gnädigen Herren, sondern regelrecht der ganzen Gemeinde zu dienen.

    »Möglicherweise lassen sie ja wenigstens in diesem Punkt mit sich reden«, mutmaßte der Alte.

    »Sag bloß, du willst dich mit den Schurken ins Benehmen setzen und die Öffnungszeiten der Klappe ausschnapsen!«, lachte sich der Sohnemann scheckig.

    »Ich nicht.«

    »Sondern?«

    »Na, der Kaspar halt! Immerhin ist er Interventionist. Und eine bessere Gelegenheit bietet sich seiner Fraktion nicht, dem Pack zu zeigen, was eine Harke ist.«

    »Wenn du meinst, nur zu! Klopf bei ihm ruhig auf den Busch! Zu viele Hoffnungen würde ich mir an deiner Stelle gleichwohl nicht machen. Gehe jede Wette ein, dass er dir die kalte Schulter zeigt. Wieso aber auch nicht? Schon vergessen? Der Mann ist Agnostiker. Dem geht doch naturgemäß der ganze religiöse Scheiß am Arsch vorbei. Und korrupt ist der Heini obendrein. Bis dorthinaus, wenn ich’s recht bedenke. Füll dem Ungustl den Säckel und er ebnet gleich halb Zug ein, damit diese muslimische Bagage ihre Gebetshütten hat«, belehrte der Junior den Senior, der Weinhändler den Exbundespräsidenten.

    »Der gute Kaspar könnte ja Anleihen beim Tennisverband machen«, überlegte der Alte.

    »Inwiefern?«

    »Dem Mordsgeschrei der Weiber rücken die Funktionäre mit Antistöhnkursen zu Leibe«, erklärte Wunderlich senior. Der Zorn stand ihm im Gesicht geschrieben.

    »Soso«, hörte der Olle den Sohnemann bloß sagen.

    »Was heißt hier ›soso‹, hä?«, fuhr Wunderlich senior auf.

    »Der Tennisplatz liegt am andern Ende der Stadt, Ätti.«

    »Beschrei es nur nicht! Wer weiß, welche Pläne der Zwiderwurzn im Stadthaus noch ausheckt. Womöglich haben wir nebst dieser religiösen Lärmquelle dann auch das ewige Gekreische der Sportskanonen vor der Haustür«, zeterte der Alte.

    »Mit Zwiderwurzn meinst du …?«

    »Den Stadtpräsidenten selbstverständlich! Wen sonst? Einem gestandenen Sozi wie ihm ist nicht übern Weg zu trauen«, betonte Wunderlich senior.

    »Schon wahr«, pflichtete Wunderlich junior seinem Alten Herrn bei. Er goss sich noch ein Gläschen ein. »Nichtsdestotrotz sollten wir die Kirche im Dorf lassen«, stellte er nüchtern fest.

    »Bei einem Frauenzimmer mit 100 Dezibel?«

    »Soweit ich informiert bin, waren es letzthin lediglich 92.«

    »92, 100 – das ist g’hupft wie g’hatscht«, entrüstete sich der Olle.

    »Mit festen Gewohnheiten zu brechen ist auch so eine Sache … «

    »Na und? Dann hat der Kaspar eben mit eisernem Besen zu kehren. Er vergibt sich nichts, wenn er auf den Tisch haut und prophylaktisch gleich dem Muezzin den Garaus macht, ehe der das Maul aufreißt. Dann werden sich’s die Weiber zweimal überlegen, noch länger zu stöhnen, dass Gott erbarm«, polterte Wunderlich senior. Er räusperte sich und hielt kurz inne. »Das Mensch schon in der Heia?«, fragte er plötzlich.

    »Die Onur hat seit alters einen guten Schlaf, Ätti«, antwortete der Sohnemann lapidar.

    »So schaut die Krätzn auch aus. Bloß nicht überarbeiten. Typisch Balkan!«, ärgerte sich der Alte.

    Seine Stimmung hatte sich kaum gebessert, wie er anderntags aus den Federn kroch. Längst war Onur Acar, die Haushälterin aus Istanbul, auf den Beinen, als er in der Küche aufkreuzte.

    »Morgen!«, rief sie.

    In ihrem Ton lag verhaltener Spott, seine Miene verriet offene Feindseligkeit. Dennoch erwiderte er ihren Gruß, wahrte er den Anstand.

    Sie warf dem miesepetrigen Ollen einen flüchtigen Blick zu. Provozierte ihn, indem sie ungeniert sagte: »Gott im Himmel, Sie sehen aber auch beschissen aus! Kein Auge zugekriegt vergangene Nacht?«

    »Das haben Sorgen nun mal so an sich«, erwiderte er kurz und bündig. Er goss sich einen Kaffee ein.

    »Auweh!«, heuchelte die Türkin Mitgefühl. »Eine Buddel Wein und Sie schlafen wie ein Baby, glauben Sie mir.«

    »Nanu, ich dachte, euch Muslimen sei der Alkohol untersagt.«

    »Och, mir ist Morpheus auch so gewogen. Mich muss keine Sau in den Schlaf singen.« Sie rückte näher, sah dem alten Krauter tief in die Augen. »Ziehen Sie die Möglichkeit erst gar nicht in Erwägung, Senior!«, warnte sie ihn eindringlich. »Selbst wenn ich mehr kann als Brot essen«, ergänzte sie.

    »Das bezweifelt niemand«, log er.

    Ein Schweigen trat ein.

    Nach einer Weile wagte er, sie zu fragen: »Dann ähm … haben Sie es nicht allzu sehr mit dem Glauben, was?«

    »So wenig wie mit dem Kopftuch«, entgegnete sie schroff.

    »Oder haben Sie mich je beim Beten erwischt?«

    »Nicht dass ich wüsste«, gestand der Alte. »Wie oft wäre ich denn da allenfalls Zeuge der Begebenheit gewesen?«, forschte er.

    »Fünfmal täglich hier vor Ort. Außer Freitag. Da dann ausschließlich am Nachmittag in der Moschee, heißt in jener Bruchbude, die sich bis dato eine solche schimpft«, erläuterte Onur Acar.

    »Ei ja, ein solcher Feuereifer wäre selbst mir nicht verborgen geblieben«, schloss Wunderlich senior haarscharf.

    »Sehen Sie!«, frohlockte Onur Acar. Sie strahlte über beide Backen und biss herzhaft ins Marmeladebrot.

    »Des ungeachtet sind Sie aber über die Gepflogenheiten des Islam im Bilde, gell?«

    »Darauf können Sie Gift nehmen. Es muss einer kein Pantscherl mit den Brüdern haben, um zu wissen, was die Glocke geschlagen hat. Also – wo drückt der Schuh?« Onur Acar blickte Wunderlich senior erwartungsvoll an.

    Just in diesem Moment tauchte der Junior auf. Er schnappte sich kurzerhand ein Croissant und war auch schon wieder weg mit den Worten: »Lasst euch durch mich nicht stören!« Er grinste hämisch.

    »Wo waren wir stehen geblieben?«, fragte Wunderlich senior unschuldig.

    »Bei den Problemen eines Exbundespräsidenten im Ruhestand«, half die Türkin dem Schweizer flugs auf die Sprünge.

    »Ah ja, richtig«, nickte der Alte. »Verraten Sie mir geschwind: Entgleist er etwa leicht?«

    Onur Acar verstand Bahnhof. Klar. Drum guckte sie erst mal dumm aus der Wäsche, ehe sie fragte: »Wer denn?«

    »Der Muezzin«, sagte Wunderlich senior kleinlaut.

    Die Haushälterin lachte von einem Ohr zum anderen. Murmelte so was wie: »Ach, daher pfeift der Wind also.«

    Der Exspitzenpolitiker erhob flammenden Protest. »Da gibt es nichts zu lachen!«, zürnte er.

    »Oh doch!«, beharrte die nicht praktizierende Muslimin auf ihrem Standpunkt.

    »Also?«

    »Also was?«

    »Wie verhält sich das mit dem Knilch?«, blieb Wunderlich senior hartnäckig.

    »Nun ja, Diskretion übt ein Muezzin nicht gerade«, versicherte die Haushälterin. Noch immer lachte sie schallend.

    »Heißt konkret?«

    »Er hat eine gute Lunge. Arabisch müssen Sie nicht lernen, um ihn zu hören«, witzelte sie.

    »So laut also – hm«, seufzte der Alte.

    »Bei gut zwanzig oder mehr Moscheen auf einem Fleck, wie es für die Städte in muslimischen Ländern üblich ist, allemal«, bestätigte die Haushälterin.

    »Gütiger Himmel! Gleich zwanzig?«

    »Oder mehr. Da schallt’s einem dann von allen Seiten richtig entgegen. Touris geht das Geschrei ja nicht selten durch Mark und Bein, Muslime indes sind es gewohnt.«

    »Verstehe. Ein Rundumschlag mithin.«

    »Hihi, meine Rede! Halbe Sachen macht ein Muezzin definitiv nicht, ganz recht. Der Kerl ist schon mit ganzem Herzen bei der Arbeit. Genau genommen brennt er regelrecht darauf, sich in Szene zu setzen. Immerhin liest er bei festlichen Anlässen nicht anders als im Todesfall auch artig den Koran. Öffentlich natürlich. So, dass ihn ein jeder im Umfeld schwerlich überhören kann«, schulmeisterte Onur Acar.

    »Herrje!«, platzte Wunderlich senior heraus. Selbst wenn er sonst mit tausend Zungen redete, so verschlug es ihm nun die Sprache. Für Sekunden brachte er keinen Ton heraus. Und wie er wieder zu Atem kam, fragte er rundheraus: »Wann ist damit zu rechnen?«

    »Mit dem Ruf oder der Lesung?«

    »Mit beidem«, erwiderte er.

    »Schwer zu sagen«, gab sie zurück.

    »Ei ja?«

    »Schauen Sie, ich will ja nicht unhöflich erscheinen, doch wann einer ins Gras beißt, das wissen die Götter.«

    »Da ist was dran«, räumte der Exbundespräsident ein. Verlegen blickte er zur Seite.

    »Nicht mal für den Gebetsruf gibt’s fixe Zeiten, zumal sich der am Stand der Sonne orientiert. So ist es nicht unüblich, im Sommer etwa noch vor Tau und Tag auf den Knien zu rutschen und zu nachtschlafender Stunde ein allerletztes Mal mit Allah Zwiesprache zu führen«, sagte die Türkin und schwieg. Schließlich fuhr sie fort, fragte sie sich ernstlich: »Und ähm … die allfällige Zukunft mit einem Muezzin ist die einzige Sorge, die Sie zurzeit umtreibt?«

    Wunderlich senior nickte. »Mein Leben verläuft ziemlich einförmig, ich weiß«, gab er offen zu.

    »Dann sollten Sie den Schreihals nachgerade in die Arme schließen«, folgerte die Haushälterin. »War bloß ein Scherz«, beeilte sie sich, hinzuzufügen.

    Voll Dankbarkeit sah der Schweizer zur Türkin auf.

    »Des ungeachtet würde ich mir an Ihrer Stelle um den Lauser keinen Kopf machen. Bei der Wiedereinbürgerung des Tyrannosaurus bekäme ich Aftersausen, zugegeben, ansonsten aber fiele mir auf die Schnelle kein Grund ein, dessenthalben ich mich betrüben würde.«

    »So?«

    »Aber hallo! Wie ich euch Eidgenossen kenne, schüttelt ihr zack, zack auch noch ein Gesetz aus dem Ärmel, das den Schreihals in die vier Wände verbannt. Und niemand kann’s euch verdenken. Schließlich leben uns die Piefkes vor, wie es ohne öffentliches Gebrüll geht«, beruhigte die Haushälterin den Alten.

    »Puh!«, atmete Wunderlich senior erleichtert auf. Doch plötzlich schien ihm noch etwas auf dem Herzen zu liegen. So bemerkte er wie beiläufig: »War der Tyrannosaurus nicht in Nordamerika heimisch?«

    »Worauf wollen Sie hinaus?!«, herrschte Onur Acar den Alten an. Augenblicklich war sie auf achtzig. Nichts könne man dem verwöhnten Scheißkerl recht machen, dachte sie, sagte stattdessen aber: »Hatten wir etwa eben eine flache Unterhaltung?«

    Wunderlich senior schüttelte den Kopf.

    »Danke! Mein Portemonnaie weiß es zu schätzen. Da sieht es flau aus zur Stunde.«

    Geflissentlich überhörte der spinnerte Olle ihre Anspielung, hakte dafür nach: »Demnach nicht in Nordamerika?«

    »Anno Tobak vielleicht«, versetzte Onur Acar barsch. »Diese Amis sind doch keine Hosenkacker. Die zeigen dem Vieh glatt den Stinkefinger, wenn’s ihnen in die Quere kommt. Ergo steht zu vermuten, dass das Vieh den Wink befolgt, die Flagge streicht und dort die Zelte aufschlägt, wo der Toleranz das Wort geredet wird.«

    »Bei uns?«

    »Etwa nicht?«, entgegnete die Frau. »Na gut«, lenkte sie ein, »wir Muslime sind bei Bedarf unerbittlich. Eine ernsthafte Gefahr aber? Pah, da lacht die Koralle!«

    Noch war das Wetter wenig einladend. Dass es nicht mehr in Strömen goss, sah der Stadtpräsident allerdings als ein günstiges Vorzeichen an. Obendrein hegte er von jeher großes Vertrauen zu den Meteorologen und ebendie hatten für diesen Tag prächtigen Sonnenschein angekündigt.

    Ganz seiner Natur gemäß hatte der Mann einen guten Schritt am Leibe, als er sich anschickte, das Stadthaus zu betreten. Und wie es der Zufall wollte, lief ihm dabei Lama Yeshi über den Weg.

    »Lama Yeshi!«, rief der Stadtpräsident aus voller Kehle. Sein Herz strömte vor Seligkeit über.

    »Stadtpräsident, schön, auch Sie zu sehen«, grüßte der buddhistische Mönch den alten Bekannten auf seine Weise. Im Unterschied zum Politiker wirkte der Tibeter ruhig und zurückhaltend, dürfte er wohl kaum je in Versuchung geraten, sich die Lunge aus dem Leib zu schreien. Endlich aber egal. Das, was ihm an Organ fehlte, machte der Schweizer allemal wett.

    »Sie kommen mir wie gerufen«, ging’s denn in der Tat in unveränderter Lautstärke artig weiter.

    »Ach ja?« Der Mönch hatte es mit Fleiß unterlassen, näher aufzurücken. Aus Erfahrung wusste er, dass ihm ohne die nötige Distanz längstens nach fünf Minuten vom Lärm die Ohren gellen würden.

    »Sie sind in Eile?«

    »Durchaus nicht! Für Sie habe ich alle Zeit der Welt«, behauptete der Mönch, obzwar er am liebsten stante pede Reißaus genommen hätte. Irgendwie hatte er das dumpfe Gefühl, dass ihn sein Gehör eines schönen Tages noch eines Besseren belehren und er beim örtlichen Arzt mit einem veritablen Schaden vorstellig werden würde. Noch freilich saßen seine beiden Ohrwascheln nachweislich am gewohnten Platz und schien ihm zudem niemand einen bösen Streich spielen zu wollen.

    Hm – vielleicht ja doch, denn dem Wunsch des Stadtpräsidenten willfahrte der Mönch nur ungern. Wer konnte aber auch ahnen, was der Politiker im Schilde führte? So fragte der Stadtpräsident den Tibeter rundheraus: »Wären Sie so freundlich, Lama Yeshi, heute Nachmittag im Stadtratssaal eine Brandrede zu halten?«

    Der Mönch zögerte mit der Antwort.

    »Schon gut, mir ist durchaus bewusst«, ließ sich der Politiker nicht beirren, »dass die Einladung ein wenig überraschend kommt, doch es pressiert im Lichte der Verschwörung, die das Baudepartement mit dem werten Herrn Stadtrat gegen mich angezettelt hat.«

    »Es ist nicht ungewöhnlich, dass Christdemokraten gegen einen Sozialdemokraten Front machen«, bemerkte Lama Yeshi.

    »Eh! Das ist kalter Kaffee. Unsere politischen Fehden haben wir auch seit alters ausgefochten. Die Feindseligkeiten gleichwohl, die der geplante Bau der Moschee jüngst eröffnet hat, sind von völlig anderer Qualität. Das Barometer steht auf Sturm, Lama Yeshi. Eine offene Drohung hat der Herr Stadtrat zwar nicht ausgestoßen, doch ließ er unlängst einfließen, dass mir meine religiöse Spintisiererei noch teuer zu stehen komme. Diese Hinterwäldler der Opposition wollen einfach nicht zugeben, dass Religion zu was nütze ist«, versuchte der Politiker mit List und Tücke, seinen Mönch aus der Reserve zu locken. Und siehe da, er hatte damit auf der ganzen Linie Erfolg.

    Wie auf Kommando umwölkte sich die Stirn des Buddhisten. Den Vorwurf der Belanglosigkeit vermochte er schwerlich auf sich sitzen zu lassen. Drum kratzte er sich am Ohr und machte erst eine bedeutungsschwangere Pause, ehe er anhob mit den Worten: »Soso, der Kerl ist allen Vergnügungen feind.«

    »Nicht allen, Lama Yeshi«, widersprach der Stadtpräsident.

    »Ach nein?«

    »Nein. Bei den Weibern steht er in hohen Gnaden. Die hetscherln ihn.«

    »Wieso das?«

    »Was weiß ich. Möglicherweise geben die Gugascheckn den Ausschlag«, überlegte der Politiker.

    »Demzufolge müssten Ihnen ebenso die Groupies auf den Hacken sitzen«, schlussfolgerte Lama Yeshi.

    »Haha, erwischt! Eins zu null für Sie. Obzwar: Beim Stadtrat schießen die Dinger ins Kraut, bei mir ist die Zahl leidlich überschaubar«, verteidigte sich der Stadtpräsident.

    »Auch wahr«, stimmte ihm Lama Yeshi vorbehaltlos zu. »Um aber nicht aus dem Text zu kommen: Sie kämpfen für die Reform, wie?«

    »Geradezu fanatisch«, präzisierte der Politiker.

    »Sehr löblich. Immerhin, schauen Sie, steht völlig außer Frage, dass die Religion zu was taugt. Wem unausgesetzt das Fell gegerbt wird, dürfte es an Empathie und Mitgefühl für Leidensgenossen kaum gebrechen. Steht drum auch zu vermuten, dass Tina Turner, die alle naselang eins von ihrem Gespons auf die Rübe gekriegt hat und darob von den Torturen der angedeuteten Art ein Lied zu singen weiß, mit den Gesetzen der Verdrängung bestens vertraut ist. Dabei kann man scheint’s von Glück sagen, dass es der menschliche Körper so eingerichtet hat, schreckliche Erfahrungen und unliebsame Erinnerungen rundweg aus dem Gedächtnis zu verbannen. Devise: aus den Augen, aus dem Sinn. Kaum will also das Unbewusste aus der Versenkung auftauchen, regt sich innerer Widerstand, fällt quasi die Klappe, noch ehe die Szene im Kasten ist. Gegen die Reflexionen über die andere Person, den Übeltäter, sperrt sich die eigene Person nach besten Kräften. Das ist einesteils gut, andernteils schlecht. Kurzfristig gut, da die vorübergehende innere Ruhe hilft, mit der möglichen Kreativität über die unliebsame Destruktivität hinwegzusehen. Langfristig gleichwohl schlecht, weil die quälende Angst bei Hoffnungslosigkeit der Situation respektive die unaufhaltsame Aggression bei berechtigter Aussicht auf eine Korrektur der Situation zwingend die Klärung des Problems durch Beseitigung der Ursache erheischt. Andernfalls ist die nachhaltige Regression unausweichlich. Und mit ihr ist an die Kompensation der Destruktivität durch Kreativität selbstredend nicht länger zu denken. Die Person zerbricht an den Folgen des unbefriedigenden Motivs.

    Gott sei Dank gibt es ihn aber: den Ausweg. Heißt, um einmal mehr mit Tina Turner zu sprechen: 1) als Verzicht auf das unbefriedigende Motiv dem Brutalo von einem Ehemann unwiderruflich den Laufpass zu geben, 2) als Ersatz mit dem Bewusstsein des Unterbewussten, den befriedigenden Motiven zu kokettieren. Gebot der Stunde ist sohin, bei sich Einkehr zu halten und sich auf seine inneren Stärken und festen Absichten zu besinnen, kurzum mit beflügelnden Gedanken und Vorstellungen fortan durchs Leben zu gehen. Mit dieser simplen Religion wird im Handumdrehen aus dem Fluch der Segen, aus der Dialogunfähigkeit die Dialogfähigkeit, in anderen Worten Otto Normalverbraucher zum Buddhisten«, ereiferte sich der tibetische Mönch.

    »Wow!«, lobte der Stadtpräsident seinen Redner in spe. »Bin tief beeindruckt. Mit solch rhetorischem Geschick fegen Sie meine Gegner in null Komma nichts vom Platz, Lama Yeshi.«

    »Sie Schmeichler!«

    »Keine Spur! Es ist mir vollkommen ernst damit. Ihre Gedanken faszinieren mich stets aufs Neue. Erst dieser Tage habe ich einmal mehr für Sie in meiner Fraktion die Trommel gerührt.«

    »Mit Erfolg?«

    »Das will ich hoffen. Alles andere als ein Sieg bei einem Heimspiel wäre eine Blamage ohne Beispiel.«

    »Es löckt niemand wider den Stachel?«, hakte der Mönch nach.

    »Nicht ohne Rausschmiss. Wie stünde ich auch da, wenn wir nicht mal als Partei geschlossen aufträten, Einigkeit in allen Belangen mit Nachdruck demonstrieren würden, hä?«

    »Irgendwo muss sich der Mensch in seinem Element fühlen«, versetzte Lama Yeshi.

    »Eben!«, rief der Politiker.

    »Derlei Taten befestigen immerhin den eigenen Ruhm«, hieß es weiter.

    »Allemal!«, bestätigte der Stadtpräsident. Und nach so viel Zuspruch gönnte er sich erst mal eine Verschnaufpause. Gern hätte er sich ja auf die Schulter geklopft, mit geschwellter Brust ließ sich die alles entscheidende Frage aber auch stellen. »Dann darf ich mit Ihrer Aufwartung so um 15 Uhr herum rechnen?«, bedrängte er den Mönch.

    »Mhm«, antwortete ebendieser. Er lächelte gezwungen.

    »Tausend Dank!«, freute sich der Stadtpräsident. »Im Anschluss könnten wir ein Fass aufmachen«, regte er taktvoll an. »Ich habe da ein nettes Lokal aufgetan.«

    »Klingt verlockend«, begrüßte Lama Yeshi diesen Vorschlag des Politikers in der Tat. »Würde der Knilch bloß mehr Ansinnen solcher Art an mich stellen!«, dachte er unverzüglich. Bacchus huldigte ein Tibeter schließlich seit alters. Den Guten kannte er wie seine Westentasche.

    Gerade traf Lama Yeshi Anstalten, abzuzischen, als ihn doch glatt eine weitere Frage des Stadtpräsidenten ereilte. »Sagen Sie, hat er oder hat er nicht?«, platzte der lästige Knilch von einem Politiker heraus, wie er den Fuß über die Schwelle des Hauses setzte.

    Lama Yeshi blieb augenblicklich stehen, drehte sich um und fragte seinerseits: »Was meinen Sie?«

    »Hat denn der sechste Dalai Lama in der Tat vom Dach des Potalas gebrunzt und die Pisse ruck, zuck wieder in den Pimmel zurückbefördert?«

    »Also nichts für ungut, Stadtpräsident, doch das war lange vor meiner Zeit. Ende 17., Anfang 18. Jahrhundert, um genau zu sein. Zwar bin ich Statthalter Seiner Heiligkeit in der Schweiz, über alle Begebenheiten der Vergangenheit bin ich darob aber beileibe nicht im Bilde«, stellte der Mönch unmissverständlich klar.

    »Denkbar wäre es aber, gell?«

    »Wie gesagt, Stadtpräsident, für Geschehnisse anno dazumal vermag ich mich schwerlich zu verbürgen. In dem einen Punkt haben Sie gleichwohl Recht: Für Überraschungen ist im Tantrismus allemal gesorgt. Falls Sie freilich auf Nummer sicher gehen wollen, empfehle ich das praktische Experiment am eigenen Leib.« Lama Yeshi nahm das Stadthaus kurz in Augenschein und folgerte umgehend: »Schätze, Ihre Hütte reicht nicht annähernd an die Größe des Potalas heran, besagtem Feldversuch tut ein geänderter Parameter aber keinen Abbruch. Also toi, toi, toi! Und ähm … berichten Sie mir gegebenenfalls davon!« Mit einem herzhaften Lachen eilte der Mönch von dannen.

    Ungleich gemächlicher ging ja Onur Acar diesen Tag an. Dabei war es so überhaupt nicht ihre Art, eine ruhige Kugel zu schieben. Gut möglich, dass es am Sauwetter lag. Allen Beteuerungen zum Trotz hatte sich die Sonne nämlich noch nicht blicken lassen. Jedenfalls hatte sich die Haushälterin eben eine Zigarette angesteckt, das von Zeit zu Zeit, wiewohl im Moment nicht schmerzende, linke Bein hoch gelagert, sich obendrein einen Wein eingeschenkt. Und just da hängte sie sich an die Strippe.

    »Pinar, wie stehen die Aktien?«, legte sie auch schon los, sowie sich ihre Schwester, gleich ihr eine Haushälterin, meldete.

    »Onur, hallo! Ich hab’ gerade viel um die Ohren«, hieß es aus Zürich prompt. Berge von Geschirr warteten auf die Ärmste im Penthouse.

    »Geht mir genauso, Schwesterherz«, sagte die Frau in Zug. Der Rauch der Zigarette quoll aus ihrem Mund und stieg in die Höhe. »Hat dein Schlawiner wieder mal die Puppen tanzen lassen?«, fragte sie ungezwungen.

    »Mhm. Ist zuweilen das reinste Sodom und Gomorrha hier. Und diese Mannsbilder haben ja absolut keine Manieren, benehmen sich regelrecht wie die Ferkel«, schimpfte Pinar Acar. »Von den leichtlebigen Mädchen sonder Zahl will ich erst gar nicht reden. Ohne Genierer hupfen die mit jedem x-beliebigen Schweinigel in die Kiste.«

    »Drum heißt sie alle Welt auch leichtlebige Mädchen, Schwesterherz«, gab Onur Acar zu bedenken.

    »Gewiss«, nickte Pinar Acar. »Und?«

    »Und was?«

    »Sind deine zwei Krauter ausgeflogen?«

    »Der Junior steht seit zwei Stunden hinter der Budel und der Senior hat sich vor gut zwanzig Minuten aus dem Staub gemacht«, verriet Onur Acar. Kurz hielt sie inne. Meinte sodann: »Ist vermutlich einmal mehr Richtung Bern unterwegs. Der alte Zausel gibt sich halt gern geschäftig, selbst wenn er realiter Krethi und Plethi am Arsch vorbeigeht.«

    »Sturmfreie Bude mithin?«

    »Könnte man so sagen«, lachte Onur Acar. Sie zog an der Zigarette, nippte am Glas.

    »Nicht anders als bei mir«, entgegnete Pinar Acar.

    »Der nächste Waffendeal gar vor dem Abschluss?«

    »Da bin ich überfragt. Der gnädige Herr ist halt wie immer auf Achse. Weiß der Himmel, wo und mit wem. Hat mich aber auch nicht weiter zu bekümmern. Solange ich am Monatsletzten meinen Zaster kriege, soll der Heini von mir aus machen, wonach ihm der Sinn steht. Abgesehen davon gebraucht hier im Haus niemand das Unwort«, korrigierte die Frau in Zürich die Frau in Zug.

    »Ach ja, das hatte ich gänzlich vergessen. Die Dinger beim Namen zu nennen fällt offenbar heutzutage Hinz und Kunz schwer. Dann war das gestern Abend also eine Sause fürs Im- und Exportgeschäft?«

    »Das nehme ich stark an, Onur. Ich halte mich allerdings von diesen Veranstaltungen regelmäßig fern. Reicht vollauf, dass mir der Höllenlärm eine schlaflose Nacht beschert«, ärgerte sich die Frau.

    »Aus diesem kühlen Grunde bevorzuge ich auch Arbeitgeber mit ansehnlichen Häusern«, warf Onur Acar ein.

    »Kann ich verstehen, wiewohl 500 Quadratmeter beileibe kein Lercherlschaas sind. Es wäre vermessen, in Anbetracht solcher Größenordnungen von beengten Wohnverhältnissen zu sprechen«, stellte Pinar Acar umgehend richtig. »Werden dich unsere beiden Hübschen noch mit ihrem Besuch beehren?«, wechselte sie plötzlich das Thema. Sie konnte ihre Neugier kaum bezwingen.

    »Ahu und Ülkü?«

    »Ebendie.«

    »Die zwei Trutscherln können ehestens in sechs Stunden hier sein«, schätzte Onur Acar. »Erst dann dürften sämtliche Läden der Stadt restlos geplündert sein.«

    »Die Nichten sind wieder beim Shoppen?«

    »Nach den verschiedenen Berichten zu urteilen, machen sie sich just in diesem Moment mit Eifer ans Werk und decken sich für die kalte Jahreszeit mit dem neuesten Schrei ein.«

    »Im September?«

    »Da stehen die Chancen naturgemäß am besten, dass die Regale noch gefüllt sind.«

    »Am helllichten Tag?«

    »In Sorge wäre ich allenfalls dann, wenn sie sich bei Nacht und Nebel einschleichen würden … «

    »Gott im Himmel!«, entfuhr es Pinar Acar mit einem Aufschrei.

    »Wozu die Aufregung, Schwesterherz?«, herrschte die Frau in Zug die Frau in Zürich an. »Deswegen geht die Welt nicht unter. Die Zwillinge sind nun mal Kinder einer anderen Generation. Es ist nicht an uns, für Disziplin zu sorgen und die Atmosphäre zu vergiften. Mal ganz abgesehen davon, dass sich durch und durch verwöhnte Fratzen von Haus aus niemandem beugen. Drum habe ich mich für mein Teil längst damit abgefunden, dass ich mir mit meinen paar Kröten bloß alle Jubeljahre einen schäbigen Fetzen leisten kann.«

    »Mich frisst nicht der Neid«, beteuerte Pinar Acar.

    »Umso unverständlicher ist der Unmut. Schau, seien wir doch froh, dass zumindest eine von uns dreien unter der Haube ist und aller Geldsorgen ledig ist. Unsere gute Schwester wäre schön blöde, wenn sie herginge und sich wie den Zwillingen Beschränkungen auferlegen würde. Ich an ihrer Stelle hätte jedenfalls keine Skrupel, den Gespons sakrisch zur Ader zu lassen und die Knete mit vollen Händen auszugeben«, erklärte Onur Acar kategorisch.

    In der Tat waren Ahu und Ülkü ein Kapitel für sich. Und dies wahrlich nicht bloß, weil sie als trendbewusste Religionskomponistinnen mit allen Erwartungen brachen. Ohne ihre regelmäßigen Einkaufstouren würden sich die beiden Fashionfreaks nicht nur grässlich langweilen, sondern sich vor allem in ihrer Haut gänzlich unwohl fühlen. Auch logo, waren doch nun mal steile Klamotten und kesse Schuhe die Götzen ihrer Zeit. Und ein Gutes hatten gemeinsame Unternehmungen wie diese ohnehin: Sie schweißten die zwei Tussen fest zusammen. Echt keine Selbstverständlichkeit zwischen rivalisierenden Geschwistern, aber, wie Figura zeigt, eben auch kein Ding der Unmöglichkeit. Die zwei aufgeweckten, unausgesetzt giggelnden Weiber verstanden sich glänzend. Und eine letzte Hoffnung glomm obendrein in ihnen, wieder im Sinne der Altvordern und namentlich der nervigen Tante in Zürich ins rechte Gleis zu kommen: Aus unerfindlichen Gründen hatten sie an diesem Tag die Gnade, doch glatt eine Boutique auf ihrer ellenlangen Liste zu streichen und also bei der nicht minder nervigen Tante im Ort aufzukreuzen, ehe die Nacht heraufzog.

    Von dieser leidlich naiven wie gleichermaßen herzerfrischenden Unbekümmertheit war in Bern nicht viel zu spüren. Ungefähr zu der Zeit, als sich die Zwillinge mit der haushaltspolitischen Maßnahme zur einschneidenden Veränderung in ihrem Leben durchrangen, betrat Ruth Keller, ihres Zeichens Departementsleiterin für auswärtige Angelegenheiten, die Verwaltungszentrale der religiösen Neuerer, anders ausgedrückt den Ort der Befriedigung. Zwar war die Politikerin eine Linke, als überzeugte Konstruktivistin allerdings auch eine, die dem Fortschritt entschieden und mit Nachdruck das Wort redete.

    Die Konstruktivisten eine Sekte zu heißen, wäre eine Chuzpe ohnegleichen. Im Unterschied zu den Religionskomponisten mit ihrem Patchwork verwässerten sie die herkömmlichen Konfessionen nämlich nicht, sondern waren bloß um deren Anpassung an die Erfordernisse der Zeit bemüht. So hingen Erleben, Überleben und Ableben seit alters vom Bewusstsein der Pluralisierung, Aktualisierung, Individualisierung, Aufopferung, Erziehung und Ausübung ab, mithin von der Dialogfähigkeit als dem Ergebnis einer kritischen Hinterfragung des Gebarens und damit der Wünsche der Gläubigen, wie Ruth Keller stets zu sagen geruhte.

    Die Hillary Clinton der Schweiz hatte augenblicklich die ungeteilte Aufmerksamkeit der gesamten Belegschaft. Mit den Computern sonder Zahl und den Eiferern an den Tasten glich die ganze Szene unstreitig mehr einem Finanzschauplatz als wirklich einem Thinktank. Des ungeachtet wechselten hier keine Gelder die Hände, sondern galt das Interesse jedes Einzelnen einzig der religiösen Reform.

    »Ministerin, gerben wir heute dem unverbesserlichen Ketzer das Fell?«, drängte sich ihr einer der Eiferer sofort auf.

    »Kaspar Krieg?«, vergewisserte sich Ruth Keller.

    »Ebendem«, nickte der Eiferer.

    »Mal schauen …«, dämpfte Ruth Keller erst den Überschwang ihres Getreuen. Konnte aber nicht umhin, schnurstracks zu ergänzen: »Zugegeben, ich hätte nicht übel Lust, dem unverschämten Kerl eins auszuwischen.«

    Die Miene des Eiferers erhellte sich schlagartig. »Den Burschen gründlich zu ducken?«, griff er den Gedanken seiner Chefin auf.

    »Allemal! Auch wenn es auf wenig Gegenliebe stoßen mag: Das Was einer Religion ist nur bedingt hinterfragbar, dann nämlich, wenn die Praxis, das Wie, mit Recht und Moral unvereinbar ist. Immerhin ist Glaube weder Wissen noch Zwang, vielmehr die Entscheidung, aus freien Stücken mit einem definitiven Inhalt zu kokettieren.« Sie hielt kurz inne. »Es ist einem geradezu ein Leichtes, seinen Spott mit dem Glauben zu treiben«, schäumte sie schließlich. »Echt keine Hexerei, an den Absurditäten sonder Zahl Anstand zu nehmen und damit ein Bekenntnis in null Komma nichts zu Schanden zu machen. Das wäre freilich jammerschade, denn Religion verbindet, ist Herkunft und Tradition, ein, wenn nicht der Anker im Leben des Einzelnen. Kritik ist darob aber nicht verboten, im Gegenteil. Falls berechtigt, notwendig gar und erwünscht. Mit der Zugehörigkeit ist es immerhin beileibe nicht getan. Gefordert ist die richtige Einstellung, das rechte Bewusstsein.

    Na sicher, schon verständlich, dass den orthodoxen Brüdern die spirituelle Reife wider den Strich geht. Und nicht wenige dieser Ewiggestrigen sind versucht, dem aufgeschlossenen Mitstreiter den Rücken zu beugen. Denn eins ist klar wie Kloßbrühe: Die Spiritualität liefert neue Erkenntnisse, verändert den Blick auf die Welt und die Menschen und liebäugelt von daher auch zwangsläufig mit Reformen der Kirche.

    Letztere täte gut daran, die Zeichen der Zeit zu erkennen und den

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