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Gelebte Gegen-Sätze: Es lebe der Unterschied
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Gelebte Gegen-Sätze: Es lebe der Unterschied
eBook499 Seiten7 Stunden

Gelebte Gegen-Sätze: Es lebe der Unterschied

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Über dieses E-Book

Gott hat Langeweile! Assistiert von seinem Erzengel Gabriel erschafft er - in zwei Anläufen - die Welt. Er stößt dabei auf ein Phänomen, das sich ihm erst so nach und nach erschließt: Den Unterschied. Um über die Vielfalt und Wirkung der Unterschiede, Gegensätze und Kontraste mehr zu erfahren, beauftragt er Gabriel mit der Auswahl und Beobachtung eines Menschen. Und ab hier beschreibt das Buch den Weg eines Geschöpfes, um den sich ein suchender Pfad Gottes windet. Man kann es auch so sagen: Der Mensch sucht in Gottes Schöpfung die Unterschiede zu begreifen, und Gott die Unterschiede in den Menschen. Natürlich steht Gott in seiner ganzen Souveränität über den Dingen. Aber da ist auch Gabriel in seiner Unbekümmertheit, mal naiv, mal ein wenig keck, aber trotz aller Anwandlungen immer loyal zu seinem Gott stehend. Wenn er auch hin und wieder penetrant das Ziel zu verfolgen scheint, Gott zu ein wenig mehr Hilfe für den Menschen herauszufordern. Im Gegensatz dazu der Mensch - eingebettet in Freud und Leid, eingeengt zwischen Leben und Tod - nicht ahnend, dass er den Stoff bietet für dieses »Himmlische Forschungsprojekt«. Und da ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass das Buch seine Wirkung aus der Gegensätzlichkeit von Humor und Ernsthaftigkeit, aus Freude und Leid, aus Sieg und Niederlage bezieht. Es will die Vergangenheit als Wurzelgrund erklären, ein wenig mehr Sinn, Zuversicht und Freude für die Gegenwart stiften und nachhaltig in die Zukunft ausdehnen. Ein lebendiger Brückenschlag zwischen Kunst und Realität.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum31. Mai 2018
ISBN9783746940069
Gelebte Gegen-Sätze: Es lebe der Unterschied
Autor

Johannes Ludwig

Johannes Ludwig, geb. 1996, studierte Internationale Beziehungen (B.A.), Internationale Sicherheitspolitik (M.A.), International Political Economy (M.Sc.) und kath. Theologie in Dresden, Boston, Paris und London. Mit einer Arbeit zur Menschenrechtspolitik des Heiligen Stuhls wurde er zum Dr. phil. promoviert. Seit 2022 arbeitet er als Referent für Globale Vernetzung und Solidarität im Bistum Limburg.

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    Buchvorschau

    Gelebte Gegen-Sätze - Johannes Ludwig

    Prolog

    Langeweile

    Er schien Kopfschmerzen zu haben.

    Eine gefühlte halbe Ewigkeit brütete er schon über einer Kritik, die ich ihm vorgetragen hatte. Behutsam, wie es meine Art ist, hatte ich von einer doch nun schon lang anhaltenden Ereignislosigkeit gesprochen. Zuerst hatte er aufbrausen wollen, denn, in einem Paradies leben und nörgeln wollen – das ging einfach nicht. Sein Reich mit Webfehlern? Das könne er nicht dulden. Dann aber, als er sehr wahrscheinlich daran dachte, dass ich mich schon oft als hervorragender Beobachter erwiesen hatte, beruhigte er sich und meinte, bei Gelegenheit einmal gründlich darüber nachdenken zu wollen.

    Früher oder später müsste wirklich wieder einmal etwas geschehen, denn so wie jetzt, konnte es tatsächlich nicht weitergehen. Aber, war ich nicht glücklich und froh gewesen, als er einst den Idealzustand für sich und die Seinen gefunden hatte? »Stillstand ist Rückschritt«, hätte ich ihm beinahe gesagt. Aber was, um Himmelswillen, sollte er ändern – und warum? Hatten wir nicht alles, was wir brauchten? Waren wir vielleicht durch die Gewohnheit, dass alles recht gut lief, zu träge geworden, zu anspruchslos? Aber, was heißt schon ›lief‹ – es lief eben gar nichts, es stand vielmehr alles still. ›totenstill‹, hatte ich sogar zu sagen gewagt, weshalb er mir einen Verweis hatte erteilen müssen.

    »Hier bei uns ist das Wort ›tot‹ tabu, es existiert einfach nicht« Und er hatte dazu eine wegwerfende Handbewegung gemacht.

    »Was bringt Dich eigentlich dazu, ein Wort zu benutzen, das ich ignoriere?!«

    »Entschuldige bitte, aber hast Du nicht selbst gesagt, ›Am Anfang war das Wort und das Wort war...‹«

    »Was hat das denn damit zu tun?«, war er mir erregt ins Wort gefallen. »Ist Dir überhaupt klar, was es heißt, ein neues Wort v o r mir zu benutzen?«

    »Ja, ja,« sagte ich beschwichtigend, »ich weiß, das gehört sich nicht, aber ich kenne auch Deine Vorliebe für neue Wörter. Jedoch war ich mit meinen Untersuchungen noch nicht ganz so weit, Dir Meldung zu machen. Das Ergebnis hätte ich Dir dann natürlich auf dem Silbertablett präsentiert.«

    »Mit welchen ›Untersuchungen‹?« Misstrauen und Neugier hielten sich in etwa die Waage und eine senkrechte Stirnfalte zeigte sich über seiner Nasenwurzel. »Also, Dir scheint doch ganz allgemein das ›Wort‹ sehr wichtig zu sein. Und so habe ich, obwohl ich eigentlich mit Organisationsfragen beauftragt bin, aber durch das immer gleichbleibende und langweilende Zeremoniell ...« mein Gegenüber zeigte eine deutliche Gebärde der Ungeduld »... und so habe ich nach einem Wort gesucht, das unsere Situation treffend beschreibt. Sieh Dir nur mal dieses Wort tot an. Am Anfang und am Ende jeweils ein Kreuz, und dazwischen eine in sich kreisende Linie – ein Zeichen für das Fehlen jeglicher Entwicklung – dafür pure Langeweile! Aber, zugegeben, irgend etwas stört mich noch. Um dieses Wort zu aktivieren, fehlt vielleicht der Bezug, eine Art Maßstab ...« Ich war kurz davor, in Gedanken zu versinken ... Und so bekam ich nur undeutlich mit, als Gott mit nachdenklich verhaltener Stimme anmerkte, dass er das Kreuz für zu schade halte, einen so negativen Sachverhalt zu kennzeichnen. Liegend zeige dieses Zeichen in alle Himmelsrichtungen und stehend schien es in dem Grund fest verwurzelt zu sein, während seine beiden ausgebreiteten Arme die Welt anscheinend umfangen wollten ... Für dieses Zeichen ließe sich vielleicht einmal eine bessere Verwendung finden ...

    Aber zurück zum Thema. Zum Problem, genauer gesagt. Gott saß da, in sich zusammengesunken. Er schloss die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Was hatte Gabriel mit der extremen Stille – er vermied das Wort ›tot‹, um nicht wieder in diese Verstimmung zurückzufallen – gemeint. Er liebte doch diesen Zustand, in dem er der Mittelpunkt des Seins und des Drumherums war; er war sogar das Sein selbst. Er ruhte in sich selbst – war das nicht das erstrebenswerte Ziel allen Seins? Dieses Fehlen jeglicher Einschränkung hatte doch ihr Gutes. Es gab einfach nichts Besseres. Ruhe und Zufriedenheit. Zudem hatte er seine himmlischen Heerscharen, die ihm jegliche Arbeit abnahmen. Zugegeben, diesen kleinen Unterschied musste er nun wirklich machen; er war nicht nur das Zentrum des Seins, sondern auch ein guter Arbeitgeber, da war diese Stufe doch wohl zu akzeptieren. Auch hatte sich noch nie jemand darüber beschwert. Das heißt, mit einer Ausnahme; seinerzeit hatte – wie war noch gleich sein Name? – ach ja, Lucifer – also, Lucifer hatte diesen Unterschied für sich nicht akzeptieren wollen. Er hätte von dieser Revolte vielleicht gar nichts bemerkt, wenn Gabriel nicht mit dieser trompetenhaften Stimme dem Aufmüpfigen die Worte »Wer ist wie Gott?!« entgegengeschmettert hätte. Damit war Lucifer eliminiert und die Arbeit der Heerscharen nahm wieder einen normalen Verlauf. Aber was heißt schon Arbeit – eigentlich konnte man das Jubilieren und Lobsingen auch nicht Arbeit nennen. Die einmal erlernten Lieder galten für immer, das Lernen neuer entfiel also. Und für die allgegenwärtigen Harfenspieler hatte er den erleichternden Schichtdienst eingeführt. Was wollte man mehr? Gut, die Langeweile war ein Problem. Und wenn einmal einer der Engel ein Nickerchen während der Dienstzeit machte, hatte er schon mehrfach ein Auge zugedrückt. Er musste ja schließlich selbst mit einer gewissen Antriebsschwäche kämpfen, wenn er sich gegen die Eintönigkeit zu wehren hatte. Die Langeweile schien sich immer mehr als die eigentliche Ursache für diese unbefriedigende Situation herauszuschälen. Er musste noch einmal mit Gabriel darüber sprechen, also wandte er sich an ihn. »Mein lieber Gabriel, was hast Du mit dieser tot..., ich meine, enormen Stille eigentlich gemeint? Freust Du Dich denn nicht über die wohltuende Ruhe, in der wir sind? Ist diese friedvolle Existenz nicht voller erbaulicher Harmonie? Ist es nicht ein wenig undankbar, sich über einen so gnadenreichen Zustand zu beklagen?« Ich rieb und knetete meine Nasenwurzel. War das echtes Interesse oder wieder einmal die Einleitung zu einer Strafpredigt? Fehlende Dankbarkeit? Hatte ich mich mit meiner Kritik zu weit vorgewagt?

    Ich hatte ja gleich ein ungutes Gefühl gehabt. Was nun, sollte ich einen Rückzieher machen oder einen Anraunzer riskieren?

    »Nun?«

    »Hm, es ist so ...«, begann ich stotternd, »ich stehe mit meiner Kritik nicht allein da ... .« Entsetzt nahm ich wahr, wie Gott seine Brauen hob und sich etwas vorbeugte, »ich war neulich zu einer Versammlung der Cherubinen und Seraphinen eingeladen ...«, mein Gott, was mache ich da, jetzt ziehe ich die Ärmsten auch noch mit hinein – »und dort wurden Stimmen laut, die ein Ende der ewigen Langeweile forderten, oder, wenn das nicht möglich sei, ein Ende der jetzigen Ewigkeit.«

    »Bist Du nicht ganz bei Trost?«, herrschte Gott mich an. »Weißt Du denn nicht, dass es nur e i n e Ewigkeit gibt?«

    »Nun ja, aber es heißt doch in dem einen Gebet: ›Von Ewigkeit zu Ewigkeit‹. Also gibt es mindestens zwei!«

    »Was soll man nur dazu sagen!« Gott unterdrückte ein Schmunzeln und betont pädagogisch führte er aus: »Gabriel, natürlich gibt es nur eine Ewigkeit. Wenn es heißt ›von Ewigkeit zu Ewigkeit‹ will man doch nur die unermessliche Ausdehnung derselben unterstreichen. Als würde eine ausgesprochene ›Ewigkeit‹ nicht ausreichen, die Länge der Dauer zu beschreiben. Verstehst Du?«

    »Ah ja, so wie ›weißer Schimmel.‹«

    »Was ist jetzt wieder ›Schimmel‹?«

    »Ach, nichts. Du weißt doch – ich spiele so gern mit Wörtern. Es ist quasi mein Steckenpferd.«

    »Steckenpferd ...?« Sichtlich irritiert, machte Gott eine unwillige Geste, fuhr dann aber fort: »Schluss mit der Spielerei! Ich wollte mit Dir noch einmal – ernsthaft – «, und dabei schaute er mich streng an »über Deine Kritik an unserem Zustand sprechen. Seid Ihr alle wirklich so unzufrieden mit den Verhältnissen?«

    »Es geht uns weniger um uns, sondern um Dich, um Dein Wohlbefinden.« Gott schaute überrascht auf. »Wir merken doch alle, dass Dir etwas fehlt. So wie es jetzt ist, so ist es schon seit Ewigkeiten...« Erschrocken hielt ich inne, doch Gott schien sich nicht an die ›zweiEwigkeiten zu erinnern, »und es muss doch schließlich eine Möglichkeit geben, Dich aufzumuntern.« Gott schien gerührt.

    »Du denkst also, wir sollten uns etwas einfallen lassen, das unsere Existenz interessanter macht?«

    Ich nickte.

    »Mehr, als nur geänderte Musizierzeiten?«

    Ich nickte.

    »Mehr, als nur einen Tapetenwechsel, wie man so sagt?«

    Ich nickte

    »Mehr, als ein paar Engel zusätzlich?«

    Ich nickte.

    Gott lehnte sich zurück, schloss die Augen und dachte eine Weile nach. Dann blinzelte er zu mir herüber und sagte: »Und so, wie ich Dich kenne, hast Du auch schon die eine oder andere Idee, stimmt’s?« Diesmal zögerte ich mit dem Nicken – schon zu oft hatte ich erleben müssen, dass ich zu spontan war und ausgebremst wurde – ich gab mir also den Anschein, intensiv nachzudenken und sagte dann vorsichtig: »Ich weiß ja nicht, wie viel Du zu investieren gedenkst ... wie tiefgreifend die Änderungen sein dürfen ...«

    »Mir ist schon klar, dass es mit einem make up nicht getan ist. Und der Friede im Haus ist mir einiges wert. Du kannst also frei von der Leber weg reden. Was schlägst Du vor?« Befreit atmete ich auf, zog ein paar Notizzettel hervor und begann: »Also, ich habe mir gedacht, dass man etwas machen sollte, was in einem deutlichen Unterschied zu uns steht. Denn, sieh mal, das Einzige, das bei uns aus dem Einerlei ein wenig herausragt, ist der Unterschied zwischen Dir und uns.«

    »Du meinst also«, und dabei beugte Gott sich etwas vor und sprach mit leicht verschwörerischer Stimme, »wir sollten eine weitere, eine tiefere Stufe unter uns ansiedeln – mit anderen Wesen, mit ... Unterengeln oder etwas Ähnlichem?« Ich jubelte innerlich. Genau so hatte ich mir die Einstellung Gottes zu meinem Projekt gewünscht. Jetzt konnte ich den nächsten Schritt wagen. »Ja, genau, das ist eine gute Idee, und man könnte ...«, heiß fiel mir ein, dass ich nicht einerseits Gott meine als seine eigene Idee unterschieben und dann andererseits – welch ein Zufall aber auch – spontan den Namen parat haben kann. »Man könnte dann auch in aller Ruhe sich über den Namen dieser neuen Spezies Gedanken machen.« nahm ich gerade noch rechtzeitig die Kurve. »Hm, die Idee ist nicht schlecht, obwohl ... da kommt eine Menge Arbeit auf uns zu. Diese neuen Wesen müssen aus dem Nichts erschaffen werden. Und nicht nur sie selbst, sondern ein spezifisches Umfeld, das ganz auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist.«

    »Da helfe ich mit Freuden mit ... wenn es Dir recht ist.«

    »Und ob es mir recht ist; ohne Dich wäre ich ja völlig aufgeschmissen. Wenn ich allein an die Erschaffung dieses neuen Wesens denke.« Gott dachte angestrengt nach. »Wo soll es überhaupt wohnen? Etwa bei uns? Kommt überhaupt nicht in Frage!« Betretene Stille. In mir machte sich Panik breit. Sollte meine Idee an einer fehlenden Wohnung scheitern? Gott in Gedanken – und mir fiel nichts ein. So ähnlich war es auch damals gewesen, als die Eliminierung Luzifers beinahe an der Beseitigung seiner Hülle gescheitert wäre. Gott hatte seinerzeit darauf bestanden, dass er die Genehmigung zur Auslöschung Luzifers von der Beseitigung sämtlicher Reste seiner Gestalt abhängig machen müsse. Aber, ohne zu sagen – wie. Wohin mit der Hinterlassenschaft Luzifers? Es gab keine himmlischen Mülldeponien und keinen Boden, in dem er hätte begraben werden können. Und dann, nach langem, langem Nachdenken präsentierte ich eine Idee, an der auch Gott letzten Endes Gefallen gefunden hatte. Wir vermengten die schwärzlichen Reste Lucifers mit Sesam-Öl, schrieben damit Luzifers Namen – so oft die Farbe reichte – auf ein Blatt Papier, zündeten es an und verglühten es rückstandslos. Aber jetzt hatten wir eine viel härtere Nuss zu knacken. Und möglichst bald. Wenn mir nicht bald etwas einfiel ... »Heureka!«, rief Gott, »ich hab’s.«

    ›Heureka‹ dachte ich, wie kam Gott denn nur zu diesem neuen Namen? Verbale Kreativität, dazu noch auf völligem Neuland, war doch noch nie seine Stärke. Klang irgendwie modern und ... »Gabriel, ich hab’s! Ich weite einfach mein Sein aus – besonders nach unten natürlich, von wo uns niemand stört. Man weiß ja nicht, was aus so einem neuen Wesen wird. Womöglich ein Krakeler, ein Wichtigtuer, ein ... was weiß ich? Außerdem können wir es von hier gut beobachten. Was meinst Du?«

    Gott schaute mich erwartungsvoll an. Und ich war begeistert. »Super Idee, Du könntest ihm beispielsweise eine kleine Kopie unseres Paradieses einrichten und ...«

    »Moooment!« rief Gott, »wir wollen nichts überstürzen. Was wir allerdings schon beginnen können, das ist die Ausweitung des Seins, denn wie auch immer wir das Wesen und seine Umwelt gestalten – wir brauchen Platz, viel Platz!«

    Das Projekt »Mensch«

    Während sich der Raum rasend schnell erweiterte, bemerkte Gott, dass dieses Gefühl der Enge, ja, der Einschnürung, welches er, als es noch da war, gar nicht so deutlich gespürt hatte, jetzt aber, wo es zunehmend verschwand, im Nachhinein als bedrückend empfand. Er stufte diesen befreienden Vorgang als gutes Omen ein. Ein hervorragender Beginn, dachte Gott und überlegte sich das weitere Vorgehen. Eigentlich müsste er jetzt an die Schaffung des neuen Wesens herangehen. Wie sollte es aussehen, welche Eigenschaften sollte es haben, welches Umfeld sollte er ihm zur Verfügung stellen, dass es sich darin wohlfühlen könnte. Was die ersten beiden Punkte betraf, könnte er sich durchaus vorstellen, ihn nach seinem Bilde zu gestalten. Aber nicht zu sehr, denn auch Gabriel hatte ja richtigerweise auf den Zusammenhang zwischen Unterschied und Seinsqualität hingewiesen. Folglich sollte der Unterschied nicht zu klein ausfallen.

    Auch Engel wollte er ihm keinesfalls an die Seite stellen. Im Gegenteil; im Schweiße seines Angesichtes sollte es seine Existenz sichern. ›Existenz sichern‹ , dachte er – was heißt denn das eigentlich? Schwitzen heißt arbeiten, aber wozu? – ja, jetzt hatte er es: Das Wesen musste essen, um zu überleben. Und das Essen müsste es sich beschaffen, also erarbeiten. Und die Nahrungssuche würde es dazu bringen, immer bessere Strategien zu entwickeln, zu lernen, auszuprobieren ... Und das zu beobachten, freute er sich schon jetzt, und ein Schmunzeln überflog sein Gesicht.

    Essen – das war ja schon wieder ein neues Problem! Sollte das Wesen eine Art Brei aus der himmlischen Küche beziehen?

    ›Essen auf Rädern‹ musste Gott unwillkürlich denken, aber da fiel ihm ein, dass das Rad ja noch nicht erfunden worden war. Gut, statt der Räder konnte man auch Flügel einsetzen, denn ... Gott schlug sich mit dem Handballen an die Stirn ... das musste ja sowieso sein, denn wie wollte man den Abstand zwischen Himmel und Erde ... oder mit dem Fallschirm? Aber wie wollte man sicherstellen, dass der Fallschirm mit dem Essen nach unten sank, dazu zielgerichtet auf das neue Wesen? Selbst wenn das glückte – war es bis dahin nicht längst kalt geworden? Die Sache schien ihm über den Kopf zu wachsen und er beschloss, eine Liste mit allen offenen Problemen anzulegen. Er musste schließlich den Überblick und einen kühlen Kopf behalten. Außerdem, wie sollte das neue Wesen – bei diesem komfortablen Service – ins Schwitzen kommen, beim Essen vielleicht? Es fiel ihm die Redensart ein: ›Das sind die Richtigen, die beim Arbeiten frieren und beim Essen schwitzen!‹ Bis jetzt sah er nur einen schwitzen – sich selbst. Denn, er musste nicht nur das neue Wesen erschaffen, sondern jetzt auch noch seine Nahrung. Und wer wusste schon, wie viel das sein würde. Nein, da musste noch eine bessere Lösung gefunden werden. Er riss sich los von der Vorstellung, was dieses neue Wesen alles an Überraschungen und Neuigkeiten mit sich bringen würde. Statt dessen überlegte er, wie er dieses Geschöpf herstellen könnte. Vielen Anforderungen musste es gerecht werden. Eines stand fest, Sein Wesen durfte nichts mit seiner und der Engel transzendenter Geistigkeit zu tun haben, sondern es musste ein völlig neuer Aggregatzustand sein, vielleicht eine feste Substanz. Die ließe sich auch besser kontrollieren. Eine Weile dachte er darüber nach, ob sich nicht die Erschaffung eines Un-Wesens anbieten würde. Aber das wäre dann nicht mehr ein Unterschied, es wäre sogar ein Gegensatz zu ihm selbst. Und ein Gegensatz war ihm einfach zu riskant. Da könnte die Harmonie zu Schaden kommen. Schon seit Langem hatte er damit geliebäugelt, zu seinem Sein eine Alternative zu entwickeln – und da bot es sich nun wirklich an, diesen Schritt jetzt zu wagen und endlich die ›Materie‹ zu schaffen. Ja, das war gut, so hatte er endlich einen Grund für diese Neuerung, anstatt lediglich ins Blaue hinein zu experimentieren. Außerdem war hiermit ein weiteres Problem gelöst, das der Unterscheidung. Hatten sie nicht selbst erlebt, dass ein Unterschied das Sein interessanter macht? Er nahm sich vor, bei dieser ganzen Schöpfungsgeschichte immer daran zu denken: Der Unterschied macht das Sein interessanter, bei Gleichheit droht Langeweile. Und dieser große Unterschied, der zwischen ›nichtmateriell‹ und ›materiell‹ besteht, war gewissermaßen der Garant dafür, dass das Sein ›seins-werter‹ werden würde. Das berechtigte doch zu den größten Hoffnungen, und Gott rieb sich erwartungsfroh und vergnügt die Hände. Er würde zunächst einmal eine Art Grundsubstanz brauchen, und zwar ziemlich viel davon. Aus diesem Stoff könnte er auch das neue Wesen formen, obwohl ihm das Manschen mit Erde und Wasser eigentlich zutiefst zuwider war ... Er fuhr in freudigem Schreck zusammen — hatte er nicht gerade zwei neue Namen entdeckt, einen für das Wesen und einen für sein Umfeld? Aus ›Manschen‹ könnte man ›Mensch‹ ableiten und aus dem Material Erde den Namen ›Erde›, und zwar für den Haufen, auf dem der Mensch hausen sollte. Und diese Erde könnte in dem geschaffenen Raum ... »Um Himmelswillen, Gabriel ... Gabrieeel!« Sofort war ich zur Stelle. »Wir müssen sofort die Ausweitung des Raumes stoppen!!! Wie weit hat er sich überhaupt schon ausgedehnt?«

    »Ich weiß es nicht – Mathias, der Engel mit den mathematischen Kenntnissen, versucht es gerade auszurechnen. Aber es geht rasend schnell, und wir alle haben schließlich keine Ahnung von dieser ganz neuen Dimension. Aber er tut, was er kann.« Inzwischen hatte sich Gott wieder beruhigt. »Wenn er fertig ist, soll er sich sofort bei mir melden.«

    »Übrigens,« sagte er, »ich weiß, wie wir das neue Wesen nennen werden: ›Mensch‹.« Kurz erklärte er, wie er darauf gekommen war. Ich war enttäuscht, zumindest hätte ich mir einen würdigeren, zum Beispiel einen englischen Namen gewünscht. Gott schien meine Gedanken erraten zu haben »Komme mir jetzt bitte nicht mit ›People‹« Mir fiel die Kinnlade herunter – sollte das ein Witz sein? Aber, ungerührt und ohne mit der Wimper zu zucken, sprach Gott weiter: »Und der Name des Bodens, auf dem der Mensch lebt, heißt so wie der Stoff, aus dem er gemacht ist: ›Erde‹.« Damit hingegen war ich zufrieden.

    Irren ist auch göttlich

    Staunend hörte ich Gottes Instruktionen. Hatte er wirklich an alles gedacht? Steckte nicht der ›Unaussprechliche‹ – sein wahrer Name durfte nicht genannt werden – im Detail? Als ich nachfragte und einige Unklarheiten gezielt ansprach, bekam ich Antworten. »Sieh mal, Gabriel, es ist doch so: Die Welt kann nicht an einem Tag erbaut werden; dazu brauchen wir einen langen Atem – und einen Plan. Ich habe mir gedacht, dass wir das ganze Projekt in Stufen anlegen. Und, damit wir nicht vorzeitig in einer Sackgasse landen, werden wir zunächst einen, na, sagen wir – Laborversuch machen. In einem bestimmten Maßstab, verstehst Du?«

    »Mein Gott, ich bin beeindruckt« Das war ich wirklich. Er schien an alles gedacht zu haben. »Und wo soll dieses Labor sein?«

    »In unserem Koordinatensystem ist es der etwas abgelegene Ort B36/H9/T214.«

    »Hast Du Dir das gut überlegt? So viel ich weiß, sind H8 bis H10 für Engel gesperrt. Und die sollen doch sicher helfen?!«

    »Ja, aber doch erst bei der Ausführung dieses Entwurfs. Das Modell bauen allein wir beide. Und ich will keine Zuschauer, die sich womöglich noch zu Verbesserungsvorschlägen hinreißen lassen; das hätte mir noch gefehlt!« Ich war zutiefst angerührt von dieser Entscheidung Gottes. Ich, nur ich, war in die Pläne Gottes eingeweiht – »Komm«, sagte Gott und führte mich zu dem etwas abseits gelegenen Standort B36/H9/T214. »Ziemlich düster hier«, gab ich zu bedenken.

    »Das wird sich gleich ändern«, meinte Gott, streckte seinen Körper, so dass er in makelloser Symmetrie aufrecht stand, breitete die Arme aus ...« – übrigens ziemlich theatralisch, wie ich fand – ... und sprach: »Es werde Licht!«

    Sofort knisterte es, zum Knistern gesellte sich ein Flackern und, siehe da – es ward Licht. Auch Gott strahlte, und ich nahm das alles verblüfft zur Kenntnis. »So«, sagte Gott, eigentlich war das schon die erste Stufe. Ich muss mir nur noch überlegen, ob ich unserem Menschen das Licht nicht auch zur Zeiteinteilung gebe ...«

    »Das mit dem Licht war super!« sagte ich noch immer staunend. »Aber was meinst Du mit ›Zeiteinteilung‹? Er kann doch mit seiner Zeit machen, was er will. Und ist es nicht außerdem gleichgültig, wann er was macht?«

    »Ja, schon, aber erstens wird ein Mensch, wenn er viel Materie mit sich herumschleppt oder auch bewegen muss, einmal müde – und dann muss er sich ausruhen und schlafen. Zweitens braucht jedes Lebewesen immer wiederkehrende Rituale, die sein Leben strukturieren. Drittens – und er schien meinen drohenden Einwand wegwischen zu wollen – und drittens haben wir doch beide festgestellt, das Unterschiede interessant und gut sind. Und was sind Tag und Nacht? »Unterschiedlich?«

    »Genau! Und warum sind sie das?«

    »Bestimmt, weil es einmal hell ist und einmal dunkel.«

    Siedend heiß fiel mir ein Gegenargument ein: »Wenn das mal kein Fehler ist!« Gott, der mein Erschrecken bemerkt hatte, schaute mich fragend an, aber ich ließ mich nicht beirren. »Nachts ist es finster und da könnte der Mensch, das unbekannte Wesen, auf schlechte Gedanken kommen.«

    »Mein lieber Gabriel, sei nicht so pessimistisch, so kenne ich Dich ja gar nicht! Außerdem, wem kann er denn schaden? Höchstens sich selbst. Nun, er könnte seine Umwelt vernachlässigen, beschädigen oder gar zerstören, aber tut ein vernünftiger Mensch denn so etwas. Also, ein Mensch kann nur gut sein – von Natur aus!« Als er in meinem Gesicht noch eine gewisse Skepsis sah, fügte er beruhigend hinzu: »Für mich ist Dunkelheit keine Sehbehinderung.

    Deshalb bemerke ich ja alles, was er macht und bin daher immer im Bilde. Du kannst also ganz beruhigt sein.«

    Mir ging ein Satz durch den Kopf, den ich einmal irgendwo vernommen hatte. ›Der liebe Gott sieht alles, außer ...‹ Und genau da ließ mich meine Erinnerung im Stich. Außer was – was war es nochmal – es hatte sich so schön gereimt. Was reimt sich auf ›alles‹? Ich gab den Gedanken auf und konzentrierte mich auf die Sache. »Und wie willst Du Tag und Nacht längenmäßig einteilen?«

    »Noch habe ich den Menschen nicht erschaffen; ich stelle mir vor, dass das ganz am Ende geschehen sollte, gewissermaßen als Krönung der Schöpfung. Bevor es Tag und Nacht gibt, muss er ja sofort seinen Lebensraum zur Verfügung haben. Es kann also noch ein paar Tage dauern, bis dahin habe ich Zeit, mir die Einteilung zu überlegen. Morgen ist ein neuer Tag, und da kommt das Firmament dran.« Was ist das nun wieder? – Firmament! Aber es hörte sich spannend an.

    Am nächsten Tag trafen wir uns wieder im Labor.

    »Dann wollen wir mal sehen«, murmelte Gott, »ob unsere Versuchsanordnung die Nacht schadlos überstanden hat.« Er bewegte den Lichtschalter ein paar mal hin und her und war offensichtlich mit dem Ergebnis zufrieden. »Nun werden wir das Firmament machen.«

    »Das Firmament ...« wiederholte ich unsicher. »Ja, und was ist das?«

    »Gabriel, das ist ganz einfach der Abschluss der Versuchsanordnung nach oben. Das Dach gewissermaßen.« Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen. »Aber jedermann würde doch zunächst das Fundament schaffen und alles andere darauf aufbauen, das Dach ganz zum Schluss.«

    »Wir machen es eben anders. Wir erstellen zunächst das, was uns am nächsten liegt. Und sind Himmel und Firmament sich nicht sehr nahe? Und das andere, zumindest das Material dazu, ist ja eigentlich auch schon da.« So nahe, dachte ich bei mir, dass vielen der Unterschied nicht einmal klar ist. Sagen tat ich aber etwas anderes:

    »Es ist zwar schon da, aber ich erkenne nur ein heilloses Durcheinander, ein komplettes Chaos, eine ... Ur-Suppe sozusagen. Du willst den Menschen doch nicht etwa da hineinwerfen?!«

    »Gabriel, Gabriel, sei doch nicht so ungeduldig. Vertraue mir, und Du wirst sehen, es wird alles gut.«

    »O Gott, ich glaube Dir«, ›noch nicht so ganz‹, ergänzte ich in Gedanken, und hinter meinem Rücken kreuzte ich Zeige- und Mittelfinger. Gott warf mir einen traurigen Blick zu. Dann hellte sich seine Mine merklich auf und er wandte sich wieder seinem Experiment zu. »Übrigens hast Du nicht jetzt Deinen Termin beim großen Singkreis. Ich selbst werde noch einige Feinjustierungen am Firmament vornehmen und dann auch Feierabend machen. Du solltest Dich gut ausruhen, denn morgen haben wir einen schweren Tag vor uns.« Ich war enttäuscht, denn viel lieber hätte ich Gott noch ein wenig über die Schulter gesehen, als im Chor strammzustehen.

    Nun war schon der dritte Tag und das Modell harrte seiner weiteren Bearbeitung. Als ich ins Labor kam, hatte Gott bereits einige Haufen verschiedenen Materials in unterschiedlichen Farben und Mengen aus dem Chaos heraussortiert und daneben abgelagert. »Gut, dass Du kommst, Du kannst mir dabei helfen, die ›Ur-Suppe‹, wie Du sie genannt hast, in Land und Wasser zu trennen. Und so schoben wir Erde zusammen und beobachteten, wie in den Vertiefungen sich das Wasser sammelte. Es rauschte und gurgelte gewaltig und die zusammenströmenden Wasser wollten kein Ende nehmen. Ich sah, dass Gott die Lippen bewegte, aber ich konnte ihn bei diesem Geräuschpegel unmöglich verstehen. Ich rief nur: »Das Wasser wird immer mehr!« Nach einer Weile, als der Wasserstrom allmählich nachließ, klopfte er mir auf die Schulter und meinte: »Das war eine gute Idee!« Ich schaute ihn verständnislos an.

    »Na, das mit dem ›Meer‹! Das war doch Dein Vorschlag!

    Ich sah keinerlei Anlass, meinen Gesichtsausdruck zu verändern. Also, manchmal waren Gottes Gedanken wirklich unergründbar. Jedenfalls konnte sich das Ergebnis inzwischen durchaus sehen lassen. Es kam mir so vor wie ein übergroßer Teller mit Kartoffelpüree – das war das Land – und die Soße – das Wasser. Nur der Hauptbestandteil, beispielsweise Gemüse, fehlte noch. Als könne er Gedanken lesen, sagte Gott mit nachdenklichem Gesichtsausdruck: »Nur der große und wichtige Unterschied zu dieser ansonsten noch anorganischen Welt, z.B. Grünzeug, fehlt noch.«

    »Komisch,«, bemerkte ich. »Ich hatte auch gerade an Gemüse gedacht.«

    »Sei nicht albern!«, wurde ich getadelt. »Gib mir bitte einmal eine Handvoll von dem blattgrünen Material – da, genau vor Dir!« Ich tat es und sah voller Staunen, wie Gott in virtuoser Geschicklichkeit einen – ja, was war es eigentlich. Es bestand aus einem Stiel, an dessen unterem Ende fadenartige Ausläufer und an seinem oberen Teil grüne Blätter saßen. Gut, die Blätter kannte ich von unseren Lorbeerkränzen, die wir zu Ehrungen und zu sonstigen besonderen Anlässen zu tragen hatten. Aber das ganze Gebilde? – ich konnte mir einfach keinen Reim darauf machen. »Hier«, sagte Gott in meine Überlegungen hinein, »versuche, möglichst viele Bäume nach diesem Entwurf zu bauen.« ›Bäume‹ hießen sie also, diese Gebilde. »Ja«, sagte ich eilfertig, »natürlich gern. Jede Menge.«

    »Ob sie ›natürlich‹ gelingen, werden wir dann sehen«, erwiderte Gott lächelnd. Dann widmete er sich einigen Spezialaufgaben, jedenfalls hielt ich sie dafür. Kugelige Formen spickte er mit Stacheln, fadengleiche Bänder entstanden, rundlich abgeflachte Körper versah er teilweise mit einem roten Hut mit weißen Punkten – ich bewunderte seine Fantasie und Fingerfertigkeit und war froh, dass er mir eine einfachere Arbeit gegeben hatte. Apropos ›einfachere Arbeit‹. So sehr ich mich auch abmühte; es gelang mir kaum einmal, das Muster, das Gott mir übergeben hatte, genau zu kopieren. Mal wurde der Stamm zu dick, mal sah er aus, als ob er lieber eine Spirale sein wollte – von den unterschiedlichen Längen ganz zu schweigen. Und erst die Blätter! Mal wurden sie rund, mal gerieten sie oval oder ganz schmal und dünn. Mal hatten sie eine geschlossene Form, mal eine fingerartige. Mal drei-, mal 5-, mal 7-gliedrig. Es war zum Verzweifeln. Inzwischen war ich dazu übergegangen, die Bäume nicht einzeln nacheinander fertigzumachen, sondern erst nur die Blätter. Und diese sortierte ich gleich nach Größe, Farbe und Form. Letzteres hat sich als besonders gut erwiesen, denn so musste ich nicht bei jedem Blatt die unbedingt gleiche Form treffen. Ein wenig stolz darauf war ich schon, dass mir dieser Trick gelungen war. Ich verwandte für jeden einzelnen Baum immer die gleiche Blattart; damit erreichte ich zumindest, dass ein Baum für sich gesehen eine Einheit wurde, doch was würde Gott zu den vielen unterschiedlichen Bäumen sagen? ›Ich bin ein elender Stümper‹, dachte ich bei mir. »Was hast Du gesagt?« fragte Gott prompt.

    »Ach, ich dachte nur gerade, dass meine Bäume längst nicht so gut geraten sind, wie Dein Muster.«

    »Nun, sei beruhigt, das wächst sich mit der Zeit aus.«

    Als er sich dann aber zu mir wandte und die grünen Bommel mit den braungrauen Stielen sah, lachte er aus vollem Halse. Er schlug sich auf die Schenkel und rief ein übers andere Mal: »Nein, was für ein Gruselkabinett – was für ein Gruselkabinett!« Ich wurde immer kleiner. Als ich meinte, die Größe, bzw. die Kleinheit eines der von mir hergestellten Gewächse erreicht zu haben, erstarb das Gelächter. Kam jetzt die große Maßregelung? Und ob. Als ich als erstes die gewaltige Lautstärke vernahm, duckte ich mich, soweit das überhaupt bei meiner inzwischen erreichten Winzigkeit noch möglich war. Als das erste Wort, mein Name, heraus war, versuchte ich im Boden zu versinken. »Gabriel, bist Du wahnsinnig geworden? Du hast das ganze Grünzeug versaut! Wozu bist Du eigentlich zu gebrauchen? Der Tag ist vorbei und die Bäume fehlen!« Ich wusste ja, wie das hier lief – jetzt kam bestimmt noch eine empfindliche Strafe. Und richtig, grollend ließ Gott sich vernehmen: »Du setzt Dich jetzt ganz still in die Ecke und ...«, – suchend blickte er umher, bis er gefunden hatte, was er brauchte – »nimmst dieses Silberpapier und schneidest mit einer Schere Formen aus – von mir aus was Du willst. Zu was anderem bist Du ja nicht zu gebrauchen. Es ist Strafe und Übung zugleich. Das Projekt ist jedenfalls nicht mehr Dein Bier!« Ich wusste zwar nicht, was Bier war, wir tranken immer nur Nektar, aber ich hatte verstanden, dass ich irgendwas Unnützes machen sollte. Eine reine Strafarbeit. Meine Laune war zerrissen, explosiv, voll stacheliger Abwehr – also schnitt ich in verzweifelter Inbrunst stachelige Formen – Sterne. Und ich machte es verbissen und trotzig – bis zum Feierabend. Während dessen pflanzte Gott das von ihm so herrlich makellos geformte Grünzeug ein und erfreute sich an der immer schöner werdenden Landschaft.

    Am nächsten Morgen, es war schon der vierte Tag, war ich vor Gott im Labor. In einer Nacht voller innerer Unruhe hatte ich immer wieder an meine schludrig gemachten Bäume und Gottes entsprechende Enttäuschung denken müssen. Nun stand ich vor dem Haufen chaotischer Gewächse und überlegte, ob und wie ich meine fehlerhafte Arbeit auf irgend eine Weise wieder gutmachen könnte. Die grünen Geschöpfe Gottes waren ob ihrer Makellosigkeit ein großer Gegensatz dazu. Und was hatte er nicht alles geschaffen. Struppiges Buschwerk neben eleganten Schlingpflanzen, Algen, Plankton und Korallen waren zu sehen, Weißkohl und Blumen, Sträucher der verschiedensten Arten ... ›der verschiedensten Arten?‹ Moment mal – warum sollte es denn nur die Sträucher und Stauden in verschiedenen Arten geben – und nicht auch die Bäume? Ich wurde in meinen Gedanken unterbrochen vom Eintreten Gottes. »Tag«, brummte er übellaunig. »Tag vier«, gab ich gespielt witzig zurück. Also, manchmal konnte ich richtig frech sein. Jäh hielt er in der Wegbewegung inne, drehte sich betont langsam wieder zu mir um und sagte, an mich gewandt: »Also, manchmal kannst Du richtig frech sein.« Musste ich jetzt mit einer größeren Standpauke rechnen?

    Statt dessen wurden seine Gesichtszüge entspannter und ein Leuchten zog über sein Antlitz. Ich staunte nicht schlecht, als er sagte: »Gabriel, ich habe mir gestern noch Deine ausgeschnittenen Silbersterne angeschaut.« Hatte er jetzt auch noch vor, eine unnütze Arbeit zu begutachten? Wenn er Sterne einer bestimmten Art hätte sehen wollen, dann hätte er es auch sagen müssen. Gerade, als ich ihm in diesem Sinne antworten wollte, sprach er weiter:

    »Und da ist mir eingefallen, dass sie sich in ihrer Vielfalt ganz gut an unserem Firmament machen würden. Das belebt und gibt dem Ganzen eine gewisse Feierlichkeit und Würde.«

    »Mein Gott, ich bin nicht würdig«, sagte ich wie aus einem Reflex heraus. »Ich will damit sagen,« stammelte ich, »dass meine Sterne doch so krumm und ungleich sind, dass man sich nur dafür schämen kann.«

    »Aber, Gabriel, dass ist es doch gerade. Stell Dir ein Firmament vor, in dem alle Sterne gleich groß sind; wäre das nicht langweilig? Erst durch unterschiedliche Größen wird ein Firmament interessant, nämlich tiefenräumlich, unendlich ...« Dazu machte er eine expandierende Bewegung mit seinen Händen nach schräg oben. »Und dazu passend werde ich noch je ein größeres Gestirn für den Tagbzw. Nachthimmel machen. Der Mensch soll ja was sehen können auf seiner Erde. Die Sterne sind nur Zierrat.«

    »Aber ein sehr schöner.« fügte ich überglücklich an, wie ein abschließendes Amen. Das heißt, abschließen wollte ich das Thema keineswegs. Mir war nämlich ganz plötzlich eine Idee gekommen. Gott schien gedanklich noch in den sterndurchsetzten Sphären zu schweben und seine offensichtlich gute Stimmung musste ich unbedingt nutzen. »Ich hätte da noch eine Frage«, begann ich vorsichtig. Gott schaute mich aufmunternd an. »wir haben ja festgestellt, dass Unterschiede grundsätzlich gut sind – wie jetzt bei den Sternen. Wäre es dann nicht auch gut ...«, sollte ich, oder sollte ich nicht? Was ist, wenn er wieder so ungehalten wie gestern wird?... »Wäre es dann nicht auch gut, unterschiedliche Bäume zu haben? Große und kleine, breite und schmale, formal geschlossene und gegliederte, hellgrüne und dunkelgrüne?« Gott saß da und schaute mit weit geöffneten Augen, als habe er eine Vision. Vielleicht versuchte er, das gerade Gehörte sich vorzustellen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er mit leiser, eindringlicher Stimme zu sprechen begann: »Gabriel«, und dabei wandte er sich mir zu, »Gabriel, wenn ich nicht Gott wäre und es sich nicht allein deshalb verbieten würde, könnte ich jetzt auf Deine Kreativität neidisch werden. Die Idee hätte glatt von mir sein können!« Und je länger er sprach, desto lauter wurde seine Stimme: »Wenn Du es nicht schon wärest, dann würde ich Dich jetzt auf der Stelle zum Erz-engel machen.« Ich verbeugte mich und sagte: »Wenn ich nur wieder mitmachen darf, bin ich schon zufrieden.«

    »Na klar, Du hast uns mit Deiner Baumvielfalt ein gutes Stück weitergebracht. In der Richtung könnte ich auch bei den Blumen noch etwas nachbessern. Überhaupt sollten wir künftig noch mehr auf den Unterschied achten; er scheint mir ein großes und interessantes Potenzial zu haben, das wir gezielt einsetzen sollten, wenn es um Interessantheit geht. Also, an die Arbeit, es gibt viel zu tun. Du kannst schon mal die Sterne befestigen, während ich Sonne und Mond übernehme.« Das war mir sehr recht, und ich konnte dabei auch gleich einmal die neue Idee mit dem ›Unterschied‹ ausprobieren. Eigentlich hatte ich vorgehabt, nach einem strengen Rastersystem die Sterne aufzuhängen, weshalb ich auch Lineal und Meterstab mitgebracht hatte. Nun aber hatte ich, eigentlich schon bei Gottes letzten Worten, die Vorstellung einer besseren Verteilung: In willkürlicher und zufällig anmutender Anordnung versuchte ich die großen und kleinen Sterne auf der Fläche – nein, im Raum, zu platzieren, wodurch sich zweifellos eine chaotische Streuung ergab. Allerding war dieses Chaos so gleichmäßig über das Firmament verteilt, dass es – auf völlig ungezwungene Weise – beruhigend wirkte. Nachdem Gott Sonne und Mond installiert hatte, schauten wir uns das Ergebnis an. Und ich muss sagen, dass da etwas Begeisterndes zu sehen war. Ich dachte mir, dass der Mensch zu beneiden war, der bald diesen Blick zum Himmel haben würde. »Hm«, ließ sich Gott vernehmen, »bei der Nachtschaltung bilden die Sterne eine gute Unterstützung des Mondes bei der Welterhellung. Aber bei Tage sind sie eigentlich überflüssig.« ›Ja, ja, typisch‹, dachte ich leicht verstimmt, ›seine Erfindungen – Sonne und Mond – waren mal wieder super, dagegen waren meine Sterne soo überflüssig!‹ »Weißt Du was, den Mond lassen wir am Tage auch weg!«

    »Das ist ein guter Kompromiss,« sagte ich und wunderte mich, dass Gott meine Bemerkung gar nicht so recht einordnen zu können schien. Das musste man ihm lassen: Eigennützig war er nicht. Fair und nur auf die gute Sache war sein Denken und Tun ausgerichtet. Ich nahm mir im Stillen vor, es ihm in Zukunft gleichzutun – zumindest ein wenig. Nach einer Weile sagte er: »Mich beschäftigt ein hartnäckiges Problem, über das ich nachdenken muss. Ich habe mir nämlich gedacht, dass ich die Erde, anstatt sie wie einen Pfannkuchen durchs All schweben zu lassen, als Kugel formen könnte.«

    »Warum das denn?«

    »Ja, weißt Du, der Mensch könnte, wenn er sich zu nah an den Rand wagt, herunterfallen. Außerdem kann das Wasser von dieser Scheibe ungehindert ablaufen, die Kante bröckelt mit der Zeit ...«

    »So könntest Du die andere Seite – praktisch die Rückseite – auch noch nutzen!«, beeilte ich mich, zu sagen. Denn hier spürte ich die Möglichkeit, ein paar Pluspunkte bei Gott zu sammeln. »Aber leider würde er von dieser Rückseite genau so herunterfallen ...« Ich überlegte fieberhaft. »Und wenn Du die Scheibe kreiseln lässt?« versuchte ich mein Glück? Gott brauchte nicht lang für die Antwort. »Hab ich auch schon gedacht, aber dann fiel mir ein, was wir bei unserem beliebten Kreiseltanz, wo sich zwei Engel vor einander aufstellen, sich an den Händen halten und versuchen, immer schneller im Kreis zu tanzen, dann erleben: Sie werden von einer Kraft auseinander gezogen. Und wir hatten uns auch schon überlegt, wie wir diese Kraft nenn...«

    »Zentrifugalkraft«, rief ich wie ein übereifriger Schüler dazwischen. Gott nickte. »Also würde der ganze Mensch die Bodenhaftung verlieren und von der Erde geradezu weggeschleudert.«

    »Bodenhaftung? Warte mal ... und wenn der Mensch klebende Fußsohlen bekommen würde?«

    »Und wenn dem Menschen dann alles aus der Hand fällt? Und alles, was auf der Erde

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