KIRGISTAN: Notizen zu einer Reise im Frühjahr 2017
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Über dieses E-Book
Katharina Füllenbach
Geboren 1959 in Bonn. Nach dem Abitur endete ein Studium der Politikwissenschaften, Philosophie und osteuropäischen Geschichte in Bonn und Genf mit einem MA-Abschluß und es begann ein bunter beruflicher Lebenslauf zwischen Politik und Kultur. Nach erfolgreichen Jahren als Unternehmerin ist Katharina Füllenbach mittlerweile im Ruhestand und mehrere Monate im Jahr als alleinreisende Frau in der Welt unterwegs. Die von Katharina Füllenbach herausgegebene Buchreihe REISEPOSTILLEN umfasst inzwischen zwölf Bände. Bisher erschienen sind Reiseberichte zu: OSTTÜRKEI - Frühjahr 2016, IRAN - Herbst 2016, TOGO - Winter 2016, KIRGISTAN - Frühjahr 2017, die KRIM - Herbst 2017. RUSSLAND - Herbst 2018, UGANDA - Winter 2018, USBEKISTAN - Herbst 2019, KATAR - Winter 2019, ERITREA - Winter 2020, Finnland - Herbst 2020 und Dubai - Frühjahr 2022. Für die zweite Jahreshälfte 2022 ist neuerlich eine Reise in ein afrikanisches Land geplant.
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Buchvorschau
KIRGISTAN - Katharina Füllenbach
Vorwort
Kirgistan, zwischen Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan und China gelegen, gehört zu den kleinsten Stan-Ländern Zentralasiens und zugleich, jenseits aller historischen und politischen Wechselfälle, maßgeblich zum Territorium des weitverzweigten, mehr als tausend Jahre alten Karawanennetzes, welches seit dem 19. Jahrhundert im Westen als Seidenstraße bekannt ist. Bis in die Gegenwart hinein hat sich an dieser Schlüsselstellung nichts geändert und wesentliche Routen für Reise-und Transportbewegungen von Nord nach Süd, Ost und West und umgekehrt führen, ungeachtet der schwierigen landschaftlichen und klimatischen Grundbedingungen, durch das Land.
Nicht zuletzt die historischen und geographischen Umstände machen Kirgistan für den zeitgenössischen Reisenden zu einem interessanten Reiseziel. Seine Attraktivität wird dabei weniger durch spektakuläre touristische highlights erzeugt, als durch eine sehr eigene, traditionsbewußte, nomadische und mittlerweile postsozialistische Gegenwart, die dem aufmerksamen Besucher auf Schritt und Tritt und häufig genug in allen Facetten gleichzeitig begegnet.
Die sich aus dieser Gemengelage ergebenden Strömungen und Stimmungen einzufangen, bemüht sich der vorliegende Reisebericht und wenn sich der ein oder andere Eindruck für den Leser dabei nachvollziehbar vermittelt, erfreut das die Verfasserin.
KF
Bischkek 5. April 2017
Die Spuren der Vergangenheit Kirgistans im real existierenden Sozialismus begegnen mir das erste Mal morgens um vier bei der Einreise am Flughafen.
Uniformierte in großer Zahl bevölkern die Kontrollpunkte, an denen die Reisenden für die Einreise ins Land vorbeimüssen und es scheint, als würden die Insassen der nachts ankommenden Flugzeuge zu Trainingszwecken für neue Mitarbeiter verwendet. Die jungen Polizisten wirken allesamt sehr unsicher, starren minutenlang gebannt auf ihre Bildschirme und die vorgelegten Ausweisdokumente, blicken zuweilen hektisch zwischen beidem hin und her, springen dann auf und laufen durch das Ankunftsgebäude, um ihren entfernt stehenden Vorgesetzten zu einem Detail zu befragen. Die auf diese Weise erreichte durchschnittliche Bearbeitungszeit pro Person und Einreisestempel beträgt rund sieben Minuten. Zur Vermeidung eventuell drohender Beschleunigung oder gar Effizienz werden heute Nacht, im laufenden Verfahren, ein paar Mal Einreiseschalter, ohne erkennbaren Grund, geschlossen und deren Warteschlangen von jeweils 15-20 Leuten angewiesen, sich auf die Reihen vor den übrigen Schaltern zu verteilen.
Straßenszene, irgendwo in Kirgistan
Nur die Handvoll Ausländer aus der vollbesetzten Maschine Istanbul-Bischkek murrt über dieses insgesamt extrem langsame procedere. Die heimkehrenden Kirgisen nehmen das Ganze gelassen und widerspruchslos hin.
Hinter der Passkontrolle haben die Behörden ein zweites Hindernis im Einreiseparcours aufgebaut: Eine neuerliche Sicherheitskontrolle des mitgebrachten Gepäcks. Alle Koffer werden noch einmal gescannt und vermeintliche Auffälligkeiten mit einer Detailkontrolle am offenen Gepäckstück geahndet.
Mit meinen zehn Dosen Cappuccinopulver im Koffer bin ich unter den Auserwählten. Immerhin muß aber keine Dose mehr geöffnet werden, denn das haben die Türken früher am Abend in Istanbul schon erledigt. Die so ermöglichte Schweinerei hält sich jedoch in Grenzen, denn zumindest wurde die geöffnete Dose säuberlich wieder in die Plastiktüte zurückgepackt, aus der man sie herausgeholt hatte. Das hatten wir auch schon anders.
Die kirgisischen Sicherheitskräfte finden meine Selbstverpflegungszwänge wahrscheinlich genauso meschugge wie die türkischen. Verboten sind sie aber nicht und so sind wir ( die Dosen und ich ) mittlerweile wohlbehalten im Hotel angekommen.
Bischkek 6. April 2017
Der heutige Gang durch die Stadt führt vorbei am Bischkeker Hochzeitspalast. Vor dem Gebäude warten die Fahrer mehrerer HummerStretchlimousinen auf den Abtransport ganzer Großfamilien, im ersten Stock blättern angehende Ehepaare die Alben von Ausstattungsanbietern auf der Suche nach der ultimativen Traumdekoration für den schönsten Tag im Leben. Mit Hilfe von USAid wurde der Hochzeitspalast in den letzten Jahren aufwendig restauriert und dient nun wieder als prachtvoller äußerer Rahmen für freiwillige Eheschließungen kirgisischer Brautpaare.
Ganz und gar nicht freiwillig ist die Mehrzahl der geschätzt 15.000 Ehen jährlich, die durch Brautraub zustande kommen. Mädchen und junge Frauen werden hierbei ohne ihre Zustimmung in das elterliche Haus eines Mannes gebracht und dort zu einer Verheiratung gezwungen, die zumeist schon vorbereitet ist und folglich sofort durchgeführt werden kann. Allein ihre stundenlange Anwesenheit in dem Haus läßt sie in den Augen der Gesellschaft die Ehre verlieren und ihre Chancen auf einen selbstgewählten Ehemann zu nichts gerinnen. Aus diesem Grund wehren sich offenbar viele der Entführten letztlich nicht und ergeben sich in das nicht gewählte Schicksal, egal wie wenig der plötzlich aufgetauchte Bräutigam emotional, sozial oder von seinem Bildungsniveau her passen mag.
Aufgang Hochzeitspalast, Bischkek
Brautraub wird in der kirgisischen Gesellschaft als selbstverständlicher Teil der männlich dominierten Tradition angesehen. Deswegen hat die Familie des Mannes, trotz der rechtswidrigen Umstände, auch keine moralischen Probleme, mit der Familie der Frau anschließend in Verhandlungen zur Brautpreishöhe zu treten.
Menschenrechtsorganisationen berichten, daß die Zahl der Fälle nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Sowjetrepublik drastisch gestiegen ist. Untersuchungen des amerikanischen Soziologen Russ Kleinbach legen in diesem Zusammenhang die Vermutung nahe, daß schon immer rund ein Drittel aller verheirateten Frauen betroffen war. Bei seinen neueren Forschungen hat er darüber hinaus festgestellt, daß in manchen Dörfern zwanzig Prozent der Frauen über siebzig auf diese Weise verheiratet wurden und achtzig Prozent der Frauen unter dreißig.
Über die Gründe für diesen massiven Anstieg wird viel gemutmaßt. Sicherlich wurde er nach dem Zusammenbruch des Sowjetsystems befördert in dem Maße, wie die staatlichen
Traualtar im Hochzeitspalast, Bischkek
Strukturen zerfielen und das Recht des Stärkeren, unter dem Deckmäntelchen der Tradition, wieder Oberhand gewann. Auch mag die Zahl der verabredeten Entführungen gestiegen sein, mit denen junge Liebespaare eine Ehe von Eltern erpressen, denen die wirtschaftlichen Mittel für die extrem teuren Feierlichkeiten fehlen.
Das Phänomen ist gesamtgesellschaftlich aber immerhin so drängend geworden, daß die kirgisische Republik 2013 ein Gesetz erließ, welches die Entführer seitdem mit langjährigen Haftstrafen bedroht. Ob durch