Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Reiner Zanten ... eine Lebensgeschichte
Reiner Zanten ... eine Lebensgeschichte
Reiner Zanten ... eine Lebensgeschichte
eBook188 Seiten2 Stunden

Reiner Zanten ... eine Lebensgeschichte

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Unspektakuläre, aber einzigartige Geschichten gibt es aus dem Leben von Reiner Zanten zu erzählen. Mehrmals dem Tod gerade noch von der Schippe gesprungen, machte er immer gleich darauf weiter, als ob nichts geschehen wäre.
Zunächst am Niederrhein, wo er seine Kindheit in dörflicher Umgebung mit viel Natur in bester elterlicher Obhut mit mehreren Geschwistern erleben durfte. Da konnte aus ihm kein aufmüpfiger Schüler oder Student werden. Kleine Ausreißer in der Pubertät sind als das Ausloten der freiwillig anerkannten Grenzen anzusehen.
Später als Student in München zog er seine Ausbildung zum Tierarzt trotz Schwabinger Versuchungen auf schnellstem Wege durch.
Durch die Berufsjahre in einer Kreisstadt bei München erlebt der Leser sowohl ein Sittenbild vom Niederrhein als auch von Oberbayern.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum19. März 2021
ISBN9783347278943
Reiner Zanten ... eine Lebensgeschichte

Ähnlich wie Reiner Zanten ... eine Lebensgeschichte

Ähnliche E-Books

Biografie & Memoiren für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Reiner Zanten ... eine Lebensgeschichte

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Reiner Zanten ... eine Lebensgeschichte - Edgar Dahmen

    Mit Kartoffelkäfern fing es an

    Als Reiner mit seinen Eltern und Geschwistern nach der Flucht aus Oberschlesien auf den Bauernhof seiner Tante kam, hatte er seinen ersten Geburtstag noch vor sich. Vermutlich hat er kurz danach seine ersten Gehversuche gestartet, erinnern kann er sich verständlicherweise nicht. Wahrscheinlich hat es aber nicht lange gedauert, bis Vater, Mutter, Tante und andere Verwandte an ihm etwas entdeckten, womit er für sie auch von Nutzen sein konnte. Denn, seien wir ehrlich, so ein Hosenscheißer macht doch nur Arbeit, kostet mit seinem Geschrei den letzten Nerv und ist nur in sehr beschränktem Maße durch seine Niedlichkeit zu ertragen. Kein Wunder, dass sich jeder Ältere nach dem Zeitpunkt sehnt, an dem man dem Balg auch mal etwas auftragen kann, damit dieser sich nützlich macht.

    Das fängt an mit „wo ist meine Brille?, „bring mir mal….!, „mach das Licht aus!, „mach die Tür zu!, und anderen Aufträgen, die dem kleinen Knirps auch noch gefallen und ihn sogar stolz machen, wenn er sie erledigt hat. Am besten gefällt es ihm natürlich, wenn er dafür auch noch überschwänglich gelobt wird, weil er es besser als die Mutti wusste, wo die Brille lag. Auf diese Weise zieht man sich Kinder heran, die Bitten gerne erfüllen und sie nicht als Anordnung oder sogar Befehl empfinden. Bei manchen bleibt diese Einstellung ein Leben lang erhalten, bei anderen nicht oder weniger.

    Verstärkt werden kann kindliches Engagement noch durch pekuniäre Belohnung, sobald die Vergeltung als Wert erkannt wird. Kinder, die in Armut aufwachsen, kapieren die Nützlichkeit von Geld schneller als solche, die schon immer genug davon hatten. Vermutlich ist es wie mit den Süßigkeiten. Der immer gefüllte Teller mit Bonbons und Schokolade verführt weniger zur Gier nach Schleckereien als ein andauernder Mangel derselben.

    In Reiners Fall war es in jedem Fall so, dass er von klein auf an gerne Arbeiten angenommen und erledigt hat, wenn sie mit Geld belohnt wurden. Die erste bezahlte Arbeit, an die er sich erinnern kann, war, dass er und seine um ein Jahr ältere Schwester im Auftrag der Tante, der der Bauernhof gehörte, für ein paar Pfennige Kartoffelkäfer von dem Kartoffellaub absammelten und sie der Tante zur Vernichtung übergaben. Die Tante war – was sie später als besser Mitdenkende feststellen konnten – extrem hinter dem Geld her und hatte mit Sicherheit durch die abgetöteten Kartoffelkäfer einen größeren Nutzen als die Kinder mit den Pfennigen, die sie von ihr bekamen. Dennoch waren sie aus ihrer Sicht ausreichend belohnt worden, zeigten jedem ihr verdientes Geld und taten es in ihr Sparschwein. Ihre Anstrengung war belohnt worden, die Wirksamkeit ihres Tuns interessierte sie weniger. Die Tante hatte die Erfahrung und die Weitsicht, dass ihre Investition sich lohnen würde.

    Das war Kapitalismus im Kleinen.

    Im Gegensatz zu den Kindern hatte sie es nämlich schon erlebt, wie eine Kartoffelkäfer-Plage die ganze Ernte vernichten kann.

    Der Käfer legt an die Unterseite der Blätter der Kartoffelpflanze eine riesige Menge an Eiern ab, aus denen die Larven schlüpfen, die nach mehreren Häutungen in den Erdboden wandern, sich dort verpuppen und nach ein paar Wochen als Käfer wieder ins Freie kommen. Die jungen, gefräßigen Käfer können in entsprechender Menge das Laub eines ganzen Kartoffelfeldes abfressen und dadurch die Entwicklung von neuen Kartoffeln im Boden verhindern.

    Später, als es mit chemischen Mitteln gelang, den Käfer unter Kontrolle zu bringen, brauchte man die Kinder nicht mehr. Dafür benötigte man sie umso dringender bei der Kartoffelernte. Wenn im Herbst ihr Laub vertrocknet war, konnten die Knollen nicht mehr weiter wachsen, und es kam die Erntezeit. Automatische Kartoffelerntemaschinen gab es Anfang der 50er-Jahre noch nicht. Die mit Hilfe eines Pflugs aus dem Boden ausgegrabenen Erdäpfel mussten von Hand aufgelesen werden. Das kann jedes Kind, sobald es laufen gelernt hat. Reiners Tante engagierte dann auch alle verfügbaren Kinder samt Müttern aus der weiteren Nachbarschaft. Es gab eine kinderreiche Familie, deren Mutter mitsamt ihrer vielköpfigen Brut bei der Ernte mithalf. Die Kleinsten waren zwar noch nicht richtig hilfreich, aber sie waren für die Zeit auf dem Feld zumindest beaufsichtigt.

    Gebückt stehend oder auf den Knien rutschend nahm man die Knollen mit der Hand und warf oder legte sie in einen großen Korb. Sobald dieser voll war, nahm ihn der Knecht, trug ihn zur Pferdekarre und schüttete den Inhalt auf den Wagen. Von dort wurden sie zum Hof transportiert.

    Am schönsten bei der Arbeit – das empfanden Reiner und die übrigen Kinder damals schon – waren die Pausen.

    Da kam nämlich die Bäuerin mit dem Fahrrad zum Feld gefahren. Rechts und links an ihrem Lenker hingen je eine große Tasche mit Getränken und geschmierten Broten. Aus großen Kannen gab es Muckefuck-Milch-Kaffee und die Brote waren meist mit Käse und Rübenkraut geschmiert. Manche auch mit Zucker auf der Margarine bestreut. In kürzester Zeit war alles verputzt und die Tante beeilte sich, die Zeitungspapierreste und die leeren Becher einzusammeln und nach Hause zu bringen. Gleich darauf ging es mit der Arbeit weiter.

    Reiner erinnert sich noch besonders an die Mutter der Großfamilie. Sie hatte nämlich im Oberkiefer nur noch zwei Zähne, war aber mit dem Mund erstaunlich gut zu Fuß. Den Namen eines Jungen, der Edgar hieß, konnte sie sich nicht merken. Sie nannte ihn immer Dr. Oetker. Diesen Namen kannte sie aus ihrer Küche, vom Backpulver her.

    Wie die Tante die vielen Helfenden bezahlte, das blieb ihr Geheimnis. Auf alle Fälle wurde mehr in Naturalien vom Bauernhof als in Bargeld bezahlt. Für Reiner gab es eine Zeitlang 20 Pfennige in der Stunde.

    Eine andere Feldarbeit, für die die Kinder aber schon etwas größer sein mussten, war das Rüben-Verdünnen, auch Rüben-Vereinzeln genannt. Das war nötig, weil die Rüben in langen Reihen ausgesät wurden, wodurch sie sich gegenseitig den Platz für die Weiterentwicklung nahmen. Auf den Knien kroch man über das Feld und entfernte von Hand die überschüssigen Jungpflanzen. Es sollten nur die stärksten Gewächse im richtigen Abstand zueinander stehen bleiben. Heute werden sie einzeln von einer Maschine gepflanzt und zwar so, dass jede Pflanze für ihre optimale Entwicklung genügend Platz hat.

    Bevor sich die Rüben richtig ausgedehnt hatten, wuchs zwischen den Pflanzen schon wieder Unkraut, das dem Boden wichtige Nährstoffe entzog. Dieses Unkraut musste von Hand mit sogenannten Schuffeln, einer kleinen, scharfen Schaufel an langem Holzstiel, entfernt werden. Dazu konnte man kleine Kinder nicht gebrauchen, weil die Arbeit anstrengend war und man sich außerdem konzentrieren musste, um nur zwischen den Rübenpflanzen zu schuffeln.

    Im Herbst dann, bei der Rübenernte, durften die großen Kinder die aus dem Boden gezogenen Rüben akkurat in lange Reihen legen, damit der Knecht oder der Bauer das Rübenlaub mit einem Spaten Stück für Stück mit einem Stich abtrennen konnte.

    Auch beim Anbau und bei der Ernte von Getreide konnte man als Kind nur helfen, wenn man schon etwas größer war. Für das Pflügen und Eggen der Felder mit Hilfe von Pferden musste man schon ausgewachsen sein, das Walzen wiederum, das durfte Reiner schon bald. Dafür spannte ihm der Bauer das bravste Pferd vor die Walze und er leitete es über die damals kaum befahrene Straße zu dem Feld, das geglättet werden musste. Reihe für Reihe wurde so bearbeitet. Ansonsten war die Arbeit mit Pferden, wie später die mit dem Traktor, dem Bauern vorbehalten.

    Ein folgsames Pferd zum Beschlagen der Hufe zur Schmiede und wieder nach Hause zu bringen, das traute man ihm schon bald zu.

    Reiners einige Jahre älterer Bruder durfte regelmäßig mit einem Pferd und einer Karre voll Getreide zum Müller des Dorfes fahren, um Weizen, Roggen und Gerste mahlen zu lassen. Das Mehl brauchte man zum Backen von Brot, aber auch als Futter für Geflügel und Schweine. Während des Mahlvorgangs besuchte er den alten, nicht mehr arbeitenden Müller im Nebenhaus. Der interessierte sich nämlich sehr für die moderne schulische Ausbildung. Die zwei Generationen verstanden sich gut und die Unterhaltung der beiden muss wohl so spannend gewesen sein, dass sie nicht merkten, dass das Korn längst gemahlen und das Mehl in Säcken auf der Karre verladen war. Nur das Pferd hatte es längst mitbekommen und hatte sich alleine auf den Heimweg gemacht. Zu Fuß eilte sein Bruder hinterher, schaffte es aber nicht mehr, das Pferd einzuholen. Es könnte das letzte Mal gewesen sein, dass er zur Mithilfe auf dem Bauernhof eingespannt wurde.

    Eine wesentlich bessere Bezahlung als bei der Tante lockte Reiner vom Bauernhof in die Zementfabrik in der Mitte des Dorfes. Diese gehörte zu einem Bauunternehmen und dort wurden Baufertigteile wie Fensterstürze, Betonstufen und Bodenplatten hergestellt. Er war zwar noch nicht einmal 14 Jahre alt, wurde aber mit Erlaubnis seiner Eltern und des verantwortlichen Unternehmers auch zu körperlich anstrengenden Arbeiten herangezogen. Das häufige Verladen von Betonteilen ohne Schutzhandschuhe, von denen die festangestellten Arbeitnehmer auch nur ein einziges Paar besaßen, führte dazu, dass alle seine Fingerkuppen wund wurden. Man konnte sozusagen das blanke Fleisch sehen. Um weiterarbeiten zu können, wurden die Fingerspitzen einfach mit Hansaplast-Pflaster versorgt.

    Die normale Arbeitszeit war von 7 Uhr bis 12 Uhr, unterbrochen von einer viertelstündigen Kaffeepause um 9 Uhr und von 12.30 Uhr bis 17 Uhr mit 15 Minuten Kaffeepause um 15 Uhr. Das ergab pro Tag 9 1/2 Stunden bei einem Stundenlohn von 1 DM.

    In seinem Tagebuch von 1958 fand er den Eintrag, am 16. April für 6 Tage Arbeit in den Osterferien 56,50 DM in bar in einer Lohntüte bekommen zu haben. Im Jahr 1959 war er sowohl in den Osterferien vom 1.4.–8.4. für 62,5 Stunden bei 1,40 DM Stundenlohn, als auch in den Sommerferien – laut noch erhaltener Lohntüte – vom 1.7.–31.7. bei 1,30 DM Stundenlohn 216,5 Stunden beschäftigt.

    Eine Arbeitszeit, die sich heute kaum noch einer vorstellen kann und die auch kaum noch einer bereit ist zu arbeiten. Es sei denn, es werden Überstunden mit Aufschlag vergütet.

    Für die Kaffeepausen hatte er Brote dabei, für die Mittagszeit gab seine Mutter ihm einen sogenannten Henkelmann mit. Dieses war ein zweistöckiges mit Essen gefülltes, verschlossenes Aluminiumgefäß. Im oberen Teil war der Nachtisch, der untere Teil wurde in einem Wasserbad erhitzt, sodass man nicht auf eine warme Mittagsmahlzeit verzichten musste.

    Der Umgangston der gelernten Maurer und angelernten Arbeiter zu Reiner war rau aber herzlich. Natürlich machten sie sich über einen schwachen Schüler wie ihn immer wieder lustig und an einem Tag wurde er von allen ganz schön veräppelt. Man schickte ihn zu einer anderen Baustelle, um dort einen Betonhobel abzuholen. Von dort war das gewünschte Teil aber schon an eine andere Baustelle verbracht worden und man schickte ihn weiter. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, das gesuchte Werkzeug zu bekommen, landete er wieder am Ausgangspunkt der Odyssee, wo er mit großem Helau empfangen wurde. Es war der 1. April.

    Nachdem er sich in der Zementfabrik wohl genügend bewährt hatte, wurden ihm auch Arbeiten auf verschiedenen Baustellen übertragen. Bei Hausbauten durfte er den Speis in der Betonmischmaschine herstellen und in einem länglichen, viereckigen Kübel (dem Speiskübel) auf der rechten Schulter zu den Maurern tragen. Wenn diese gerade im ersten oder im zweiten Stockwerk mauerten, war es besonders anstrengend, weil es keinen Aufzug gab.

    Interessant und bis heute in seinem Gedächtnis haftend, war ein Brückenbau über einen Bach, am Niederrhein Ley genannt. Dabei sah er zum ersten Mal, dass vor dem Betonieren eine Verschalung gezimmert, und in diese ein Geflecht aus Stahl zur Stabilisierung der späteren Brücke eingebracht werden musste. Zu dieser Baustelle musste er morgens etwa 4 Kilometer mit dem Rad fahren und am Abend wieder zurück nach Hause.

    Einmal wurde er auch einem kurz vor dem Ruhestand stehenden Fliesenleger als Handlanger zugeteilt. Dieser war ein ganz besonderer Typ. Klein, zwergenhaft und aufbrausend wie Rumpelstilzchen. Schon bald merkte Reiner, warum ausgerechnet er seine rechte Hand sein sollte. Es wollte nämlich kein anderer mit ihm zusammenarbeiten. Der Mann hielt sich für den besten Fliesenleger weit und breit, und wenn einmal etwas nicht so gut geworden war, wie er sich das vorgestellt hatte, dann beschimpfte er seinen Helfer. Reiner gewöhnte sich schon bald an seine beständig schlechte Laune.

    Er stellte sich einfach vor, dass der Mann zu Hause von seiner Frau genauso behandelt wurde, wie er ihn behandelte.

    Neben der Arbeit in der Zementfabrik und auf dem Bau half er auch manchmal an Sonntagen in der Vereinsgaststätte seiner Kusine aus. Sein Fußballverein Rheingold Vynen trug die

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1