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Erheiternd bis wolkig: Der innere Schweinehund will nicht auf den Pilgerweg nach Santiago
Erheiternd bis wolkig: Der innere Schweinehund will nicht auf den Pilgerweg nach Santiago
Erheiternd bis wolkig: Der innere Schweinehund will nicht auf den Pilgerweg nach Santiago
eBook636 Seiten7 Stunden

Erheiternd bis wolkig: Der innere Schweinehund will nicht auf den Pilgerweg nach Santiago

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Über dieses E-Book

Es heißt, man soll einen Pilgerweg in Drittel einteilen können. Ganz besonders diesen, von St.-Jean-Pied-de-Port in Frankreich, zum Grab des Apostel Jakobus, im spanischen Santiago de Compostela. Der erste Abschnitt beansprucht vor allem den Körper und bringt dich nicht selten, an deine physischen Grenzen. Der mittlere Teil ist eine wirkliche Aufgabe für die Psyche und fordert vor allem mental, bevor das dritte Drittel mehr der Entspannung und Einkehr dienen soll, sozusagen als Vorbereitung zur Ankunft in Santiago de Compostela.
So beschwerlich er ist dieser Pilgerweg, so kaputt du bist am Abend und deine innere Stimme, will dich zum aufgeben bewegen. Du willst noch ein Stück weiter am Weg, wenigstens noch den morgigen Tag, solange es irgendwie geht.
Den Kampf mit deinem inneren Schweinehund willst du nicht einfach aufgeben, obwohl der Tag für Tag, keine schlechten Argumente vorbringt, die Strapazen zu beenden. Fast hat er dich soweit, doch noch am gleichen Abend überredest du dich fast mühelos, zu einem weiteren Tag. Von nun an, kann es doch eigentlich nur leichter werden.

Es wird gut gegessen und getrunken auf dem Weg, du lernst eine Menge Leute kennen und doch bist du viel und gerne allein, mit dir und deinen Gedanken. In diesen Stunden, kommen die ganz alten Geschichten wieder in den Kopf. Es gibt keine Möglichkeit dir zu entkommen und so stellst du dich dir.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum7. Feb. 2019
ISBN9783748223030
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    Buchvorschau

    Erheiternd bis wolkig - A. ALEXANDER

    Erheiternd bis wolkig!

    Der innere Schweinehund will nicht auf den Pilgerweg

    nach Santiago de Compostela.

    Mit Schweinehund kann ja wohl nur ich gemeint sein. Figuren unserer Zunft sind berüchtigt, oft verrufen und werden gerne als der „Innere Schweinehund" bezeichnet. Meist werden wir eher als gemeiner Kamerad dargestellt, wobei doch einige von uns sogar ein Stück Ehre im Leib haben. Viele meiner Kollegen möchte man vielleicht nicht mal zum Freund haben, doch mich darf man vertrauensvoll, zu den harmloseren Vertretern unserer Riege zählen.

    Natürlich liegt es ganz in unserer Natur, speziell und ausschließlich auf unser persönliches Wohl zu achten und unsere Herrschaft mit überzeugenden Argumenten dazu zu bringen, den angenehmeren Weg einzuschlagen. Streik allerdings ist in unserer Branche kein anerkanntes Mittel und bis auf wenige Ausnahmen sogar absolut verpönt.

    Mein Herr hat sich nun zu unser aller Leidwesen völlig übertrieben und wie ich meine total unüberlegt, eine Tortur der heftigeren Art ausgesucht.

    Unbedingt müssen wir uns auf einen Pilgerweg bis in die spanische Region Galizien begeben, meint er, mit der Endstation Santiago de Compostela.

    Gerade schiebt der Herr unser Rad aus der U-Bahn, in die Abflughalle des Münchner Flughafens. Weiß Gott hätte es auch spätere Flüge gegeben, wir aber mussten uns unter allen Umständen bereits im Morgengrauen aus dem Bett schälen. Gleich wird er uns vor dem massiven Folienpackgerät für unhandliche Gepäckstücke in die Reihe der Wartenden stellen. Anstellen zählt jetzt nicht gerade zu einer seiner Lieblingsbeschäftigungen und zu meinen schon gar nicht. Ich werde mich trotzdem nicht beschweren, Radfahren ist nicht nur mir lieber als Laufen, zum Glück.

    Wer hat schon eine Vorstellung, wie viel körperlichen Einsatz so eine schwere, gusseiserne Maschine seinem Benutzer abverlangt. Gerade quält sich der Profipacker, der sein Gesicht in einem graumelierten Gestrüpp von Bart versteckt, mit einer überdimensionalen Golftasche samt deren Schläger herum.

    Wir mit unserem Fahrrad haben beschlossen, einen besonders unterwürfigen Blick aufzusetzen, während wir mit dem strengen Packer Kontakt aufnehmen. Selbst ein bescheiden vorgetragenes freundliches Lächeln, kann die grantige Miene des Mannes kein bisschen verändern. Das verheißt nichts Gutes, den Gesichtsausdruck kenn´ ich.

    »So geht des fei net, des muas in an Karton! «, fährt er uns mit unverkennbar einheimischem Slang von der Seite her an. „Fei" ist dabei ein in der bayerischen Mundart häufig verwendetes Füllwort, weder besonders negativ, aber auch nicht in jedem Fall positiv. Im geschriebenen Satz wird es gar nicht verwendet und ist auch nicht zwingend von Bedeutung. Es betont, doch ansonsten füllt es eben nur!

    Sofort ist uns klar, wir sind gemeint. Der Meister der Verpackung will sich anscheinend weigern, unser Fortbewegungsmittel in seine dicke Folie zu rollen. Eine Kartonage wäre Pflicht meint er, der Herr Packer. Selbstverständlich in der Größe des Fahrrads.

    »Allein durch die Folie kann eine Beschädigung des Sportgerätes nicht ausgeschlossen werden. Plötzlich spricht er hochdeutsch und dazu noch so geschwollen.

    »So können wir keine Verantwortung übernehmen«, sagt er.

    „Worst case" nennt man das wohl. Der schlimmste aller anzunehmenden Fälle bahnt sich an! Die Gedanken meines Herrn überschlagen sich fast. So schnellen Überlegungen kann ich nicht folgen. Er wird doch nicht auf die Idee kommen, doch noch ohne Fahrzeug…?

    »Sehr intelligent, ich habe noch nie einen Radler gesehen, der mit einem derart riesigen Karton in der Hand durch die Stadt fährt«, höre ich ihn brummeln.

    »Wos? «, Der griesgrämige Packer hat unser vorlautes Nuscheln nicht verstanden.

    »Ich bin mit dem Rad hier angekommen«, schwindelt der Herr den Wickler an. »Wie bitte schön, soll man denn auf dem Fahrrad einen solch großen Karton mitbringen? «

    Der „Pack-man" wickelt in aller Seelenruhe weiter. Momentan schlingt er zig Lagen der starken Klarsichtfolie um einen piekfeinen Alukoffer. Der beleibte Besitzer desselbigen im bunten Hawaiihemd lächelt zufrieden. Wir bekommen nur einen leicht schrägen, vielleicht sogar hämischen Blick herüber geworfen. Mister Wickelmann hingegen hört uns offenbar gar nicht zu, unsere essentiellen Nöte interessieren den gar nicht!

    »Es muss eine Lösung geben«, versucht der Herr sich Mut zu machen. Auf jeden Fall erstmal Ruhe bewahren. Ich für meinen Teil halte mich da komplett heraus, ich fahre auch gern wieder nach Hause.

    »Was kann ich denn bitte jetzt machen? «, höre ich die Stimme aus unserem Mund, fast noch freundlicher als die italienischen Kellner, über die sich der Herr immer so aufregt.

    Nun folgt eine scheinbar unendlich lange Pause, der Packer atmet schwer.

    In vier Stunden geht der Flug, das könnte knapp werden.

    Unser Einpacker streitet lautstark mit der Folie, die sich an einer Rolle des silbernen Koffers verklemmt hat. Das Schimpfwort ist nur grob und nicht jugendfrei. So ein Wort findet in unserem Sprachgebrauch sicher keine Verwendung.

    Ungefragt hält mein Herr das fremde Gepäckstück mit beiden Händen fest, sodass der Wickler die Folie herausziehen und seinen Job vollenden kann.

    »Bitte geben`s mir doch einen Tipp, was ich machen kann? «, startet er einen erneuten Versuch. Die Pause dauert an.

    »Den Lenker quer und die Luft aus den Reifen, dann probier´ ma´s«, sagt der Mann in seinem blauen Overall völlig ruhig und ohne den Kopf zu heben. Ist es ein Hauch von Mitleid, was der Meister der Folien da zeigt? Der erneute Versuch zu lächeln, kann nicht glaubhaft wirken.

    Nun zieht der Bärtige in seinem Blaumann die Folie mit einer ruckartigen Bewegung aus der Maschine und über die glänzende Stahlrolle. Scheinbar mühelos hebt er unser schweres Fahrzeug auf die Spindel. Mit einem Arm! Den Hinterreifen nach unten beginnt er, unseren Begleiter aus amerikanischem Stahl einzuwickeln.

    »Geh weida, pack mit an! «, knurrt er den Herrn an und wechselt dabei dialektisch wieder in feinstes Münchnerisch.

    Sowas hört man doch gern! Da vergibt man ganz freiwillig, einen zusätzlichen Sympathiepunkt.

    Senkrecht halten wir unser sperriges Fahrzeug auf dem platten Reifen, selbstverständlich möglichst ohne dem Grantler im Weg zu sein. Der Profi wickelt, nicht ohne dabei weiter mürrisch vor sich hin zu stammeln. Obwohl wir des Bayerischen sehr wohl mächtig sind, will seine gemurmelte Ansprache niemand verstehen. Vom Abmontieren der Pedale ist jedenfalls keine Rede mehr, die werden einfach mit eingerollt.

    Jetzt müsst´ es passen! Also zumindest wir wären bereit!

    Aufraffen soll angesagt sein und dabei wieder richtig aktiv werden, hat man mir versucht klarzumachen. Dazu wurde ich höflich gebeten, meine ganz persönliche, schon länger in Ruhestellung verharrende Tatkraft zu überreden, ihre Pause zu beenden. Schon aus standesgemäßen Gründen muss ich natürlich den Sinn einer solchen Pilgerreise anzweifeln. Man verteidigt schließlich seinen Ruf als einflussreiche, berüchtigte innere Stimme. Sobald etwas Unbequemes ansteht oder es danach aussieht, sucht man als innerer Dämon, der wirklich etwas auf sich hält, sofort nach überzeugenden Argumenten dagegen.

    Der Herr würde mich nur zu gern zu Hause lassen, das kann ich spüren, doch da habe ich mitzureden und meinem Einfluss hat er oft nicht viel entgegenzusetzen. Viel zu bequem, der Herr. Auf diesen Ringkampf den ich sowieso gewinne, freut er sich bestimmt nicht.

    In der Vorbereitung auf diese Pilgerreise wurden Listen über Listen verfasst. Anfangs in der Version ohne, später dann mit Fahrrad. Zum allerfeinsten, reinen Selbstzweck natürlich. Eines will der Herr auf diesem Trip in keiner Situation, wie er betont – nämlich, sich ärgern! Das machen wir gleich zu unserem zentralen Grundsatz für diese Reise und da sind wir auch uneingeschränkt derselben Meinung. Nur nicht aufregen lassen, durch nichts und niemanden!

    Ohne Übertreibung benötigt so ein Pilgeranfänger, für seine erste Tour erst einmal alles. Und dieses Alles möchte er dann auch einpacken und mitnehmen. Jede Eventualität und vor allem die unvorhersehbaren Dinge wollen bedacht sein. Alle möglicherweise benötigten Utensilien werden zusammengesucht, geputzt oder, falls abgängig, auch in der aktuellen Version neu besorgt. Ein Wanderer überlegt sich sehr genau, was er unverzichtbar durch die Gegend schleppen will. Radpilger hingegen brauchen ihr Gepäck ja nicht zu tragen. Diese Tatsache verführt zur Großzügigkeit. Ein Kilo hier, ein Kilo da, das summiert sich recht fix. Dazu kommen noch einige tausend Gramm an unerlässlichem Werkzeug, für das bereits etwas in die Jahre gekommene Mountainbike. Was man dann neben den vollen Packtaschen keinesfalls unberücksichtigt lassen darf, ist der Ü50-Pilgerkörper. Selbiger kann nicht mehr wirklich mit Adonis konkurrieren, steigert dafür unverhältnismäßig das Gesamtgewicht. Für uns bedeutet das, die Beinmuskulatur sollte sich darauf einstellen, mit Fahrzeug und allem Gepäck, an die 130 Kilo über die Berge treten zu dürfen.

    Nun, zu den faulen – Verzeihung – Sesselpupsern brauchten wir uns nie wirklich zu zählen, allerdings kommt der Herr langsam in ein Alter, in dem Piloten bereits den Ruhestand anvisieren und den aktuellen Fitnesslevel wird er sich nicht schönreden können.

    Und trotzdem wurde die Gepäckliste länger und länger, wie von Geisterhand.

    Den objektiven Betrachter hätte das durchaus auf die Idee bringen können, es handle sich hier um die Recherche zu einer Doktorarbeit und nicht um die Planung einer Pilgertour.

    Mir schwant, wir werden jedes Kilo mit mehr als nur Schweiß bezahlen, spätestens wenn es bergauf geht. Freilich so übertrieben penibel und gründlich ist der Herr dann doch nicht, dass man ihn dabei erwischen könnte, wie er aus Gewichtsgründen die Blätter des Toilettenpapiers abzählt, den Stiel der Zahnbürste kürzt oder 3,7 Gramm einsparen will, indem er die Waschanleitungen aus den T-Shirts trennt. Als Neupilger ist er eben noch unerfahren und zeitweise doch recht leichtfertig.

    Als dann der Abreisetag näher rückt, streicht der angehende Tourenradler in gelegentlichen Anflügen von Vernunft, doch mit wachsender Begeisterung, die Auflistung wieder zusammen. Es wird phantasievoll verringert, abgerundet und freudig reduziert. Wirklich notwendig braucht so ein Pilger nämlich gewissermaßen fast gar nichts. Und dieses Nichts hat immer noch genug Gewicht! Das Wenige, was endlich unentbehrlich scheint, schaffen wir trotzdem nicht unter die Marke von fünfzehn Kilo zu drücken. Wenigstens werden die Schultern von dieser Übung freigestellt. Letztlich wird alles in die beiden wasserdichten Packtaschen verstaut und stabil auf dem funkelnagelneuen Gepäckträger verankert. Eine echte Herausforderung. Das sieht doch ganz professionell aus, denkt sich der Amateur beim Betrachten des Gesamtpaketes. Zumindest ist der richtig zufrieden mit sich.

    Zufrieden können wir tatsächlich mit dem Ergebnis des unverantwortlich lang hinausgeschobenen, hausärztlichen Checks sein. Sogar Bruder Gewissen hatte immer wieder versucht seinen Einfluss geltend zu machen. Ohne Erfolg. Wer will schon mit einer womöglich überstürzten Diagnose, schlummernde Hunde aus dem Tiefschlaf holen. Es tut ja nichts weh!

    Die Diagnose: Alle Werte, selbst Raucherlunge, Leber, Herz bis Cholesterin, sind durchwegs normal gesund. Da treibt es dem Herrn einen Smiley ins Gesicht. Mit dem Thema Gesundheit will er in Zukunft weniger fahrlässig umgehen.

    Ja, ja, wir haben ziemlich gelacht.

    Wenn die persönlich zu erwartende Zukunft kürzer ist als die gelebte Vergangenheit und die sommerlichen Glutphasen des Körpers allmählich in einen Altweibersommer übergehen, kurieren sich des Leibes Verschleißerscheinungen leider nicht mehr in jedem Fall selber.

    Das dunkelrote Mountainbike das uns bereits über zwanzig Jahre begleitet, soll das nun auch auf dem Jakobsweg tun. Dafür wurde es ebenfalls vom Fachmann überprüft und vom Herrn sogar eigenhändig gereinigt. Mehr noch, minuziös geputzt hat er es. Der Bike-Doktor war vom antiken Gefährt absolut begeistert, auch wenn er einige Argumente parat hatte, die für ein aktuelleres Modell sprechen würden. Die Bremsen viel griffiger, die Schaltung genauer, vom Gewicht ganz zu schweigen. Zufällig wären einige günstige Modelle der neuesten Generation am Lager.

    Ich kann mich der Meinung des Händlers nur anschließen, der Herr sieht das anders.

    Der widerspricht mir vehement. Wir haben es bei unserem Fahrrad mit einem soliden, geländegängigem Mountainbike zu tun. Es hat keine komplizierte Bremsanlage, ist nicht mit einer empfindlichen Schaltung aus der Zukunft versehen und hat auch sonst keine hypermoderne Ausstattung. Dafür kennen wir es aus dem Effeff und selbst der technisch Untalentierte kann im Notfall etwaige Reparaturen ausführen. Es hat nicht viele Kilometer auf dem Buckel und ein neues Rad erspart uns das Treten auch nicht. Was uns tatsächlich auf der Reise erwartet und was man als Pilger unbedingt benötigt oder nicht, ist vorab in der Theorie sowieso nicht endgültig zu klären.

    Wer lesen kann, ist klar im Vorteil, heißt es. Wenn das stimmt, kann ich HaPe Kerkeling die Schuld geben, dass wir bald irgendwo durch die französische und spanische Prärie rumpeln. Der humoristische Autor hat den Herrn erst durch sein Buch auf diese Pilgerweg-Idee gebracht. Die Geschichte war ja recht nett, doch so spannend, dass einem dieses Abenteuer nicht mehr aus dem Kopf geht, war sie jetzt auch nicht.

    Leider mussten wir nach dessen Lektüre aber schier alles aufsaugen, was der Herr zum Thema Jakobsweg in die Finger bekam, und plötzlich stößt man bei jeder Gelegenheit darauf. Permanent lernten wir Leute kennen, die den Weg nach Santiago selbst gemeistert hatten und meist sogar überaus euphorisch über ihre Erfahrungen auf dem Camino Francés berichteten.

    In einem Café setzten wir uns ganz zufällig zu Bernd dem Extremen mit an den Tisch. Der sah die Packlisten und war sofort nicht mehr zu bremsen in seiner Begeisterung. Vor zehn Jahren hatte er sich zum ersten Mal, auf den Weg zum Grab des Apostels begeben. Seither ist er infiziert, wie er sagt, vom Pilgern, vom Radfahren und am allermeisten vom Alleinreisen. Letztes Jahr hatte er es gewagt, mit seinem Bike mehr als tausend Kilometer der Chinesischen Mauer abzufahren, ganz allein.

    Der Herr hörte aufmerksam zu, wobei mir so einiges eingefallen wäre, die Begeisterung zu relativieren, der Herr aber war gefangen.

    Das darfst du nicht tun, sagte ich mir. Wenn ich jetzt nicht Diplomatie walten lasse, wird er den Wahnsinn tatsächlich durchziehen. Es bringt nichts, grundsätzlich alles gleich schlechtzureden. Mir ging allein vom Zuhören schon die Kraft aus.

    Erstmal alle Argumente sammeln, die dagegen sprechen könnten. Im passenden Moment kann ich dann schon mit der Beweisführung beginnen, war ich überzeugt.

    Bei einer Sache brauchte ich wenigstens keine Überzeugungsarbeit zu leisten. Sollte ich den Herrn auf diesem Weg tatsächlich begleiten müssen, dann nicht zu Fuß, dann wenigstens im Sattel des Fahrrads.

    Alle Reiseberichte und Erzählungen, die wir über den Pilgerweg verschlingen, erlauben doch das gleiche und einzige Fazit: Es muss jeder selbst und für sich allein erleben, was ihm diese Reise geben kann.

    Sie quälen sich tagtäglich, die Damen und Herren Pilger. Sie jammern jeden Abend und verstehen oft lange nicht, was sie da überhaupt machen, auf diesem Weg. Am nächsten Morgen aber erzählt dir kein einziger, er würde es bereuen, die Strapazen auf sich genommen zu haben.

    Im Winter hatte ich ja noch Hoffnung, der Herr würde zur Vernunft kommen. Weder ist er ein begeisterter Wanderer, noch hat er Ahnung vom Pilgern.

    Dieser Weg wird ohne Zweifel strapaziös, dabei vermutlich schnell langweilig, ist sicher nicht billig und Urlaub ist so ein Pilgerweg schon gar nicht!

    Wer sich auf den Jakobsweg begeben möchte, braucht keine Genehmigung, muss keine Gebühr entrichten oder Eintritt bezahlen. Die Motivation, welche immer mehr zivilisierte Leute dazu bringt, sich eine derart beschwerliche Tortur anzutun, ist dabei genauso unterschiedlich wie die sozialen Schichten, aus denen sie stammen. Manch einer ist aus religiösen Gründen veranlasst zu pilgern, möchte eine andere Nähe zu Gott erfahren als in der heimischen Gemeindekirche. Andere sehnen sich einen traurigen Verlust zu verarbeiten, erleben gerade einen erheblichen Umbruch in ihrem Leben oder möchten einen solchen herbeiführen. Ein Wanderer aus Niederbayern legte, als er die Diagnose Hodenkrebs erhielt, ein Gelübde ab: Ganz für sich schwor er, zu Fuß zum Grab des Apostels zu gehen, sollte ihn die Krankheit nicht umbringen. Nach der glücklichen Genesung konnte er bei seinem vollen Terminkalender, keinen passenden Zeitraum für die Pilgertour finden. Seinen Krebs musste er ein zweites Mal besiegen. Jetzt hätte ihn absolut nichts mehr davon abhalten können, sein Versprechen einzulösen. Nicht jeder bekommt mehrmals eine Chance.

    Auch Kulturreisende sind gar nicht selten auf dem Weg vom Baskenland über die Rioja und Kastilien, ins galizische Santiago de Compostela. Eine günstigere Möglichkeit, in solch wundervoller Landschaft, eine dermaßen hohe Dichte an Kulturschätzen zu besuchen, findet man nicht so oft auf unserem Planeten. Seit geraumer Zeit ist dieser Pilgerweg auch für die Jugend der Welt trendy, hip oder wie man früher sagte in Mode. Ein Abenteuer mit Freunden, fernab der Aufsicht der Eltern und, einmal abgesehen von der Anreise, es muss nicht unbedingt teuer werden. Von jeher üben extreme Erlebnisse einen ganz besonderen Reiz auf uns Erdenbürger aus. Selbst der erfahrenste innere Schweinehund wird das kaum nachvollziehen können.

    Je komfortabler und bequemer unsere Welt wird, desto mehr Wohlstandsbürger begeben sich auf die Suche nach dem außergewöhnlichen Kick.

    Der Pilger im Mittelalter benötigte für den weiten und damals doch äußerst gefährlichen Weg nach Santiago vor allem religiöse Begeisterung, verbunden mit einem gehörigen Maß an Todesverachtung.

    Ganz so extrem muss man den Camino de Santiago in Zeiten von Telekommunikation und digitaler Navigation nicht mehr bewerten. Bloß würde man gewaltig irren, ihn sich als netten, entspannten Familienausflug vorzustellen.

    Der Herr, und somit auch ich, steckten wir in den letzten Jahren doch ebenfalls im ganz persönlichen Umbruch, der besonders für den Herrn noch keinen akzeptablen Schluss gefunden hat. Wenn es um existenzielle Dinge geht, hat man als innere Stimme kein leichtes Leben und kaum Chancen, den Anstrengungen aus dem Weg zu gehen.

    Ob ein Pilgerweg aber wirklich etwas ist für jemanden wie uns, muss sich erst zeigen.

    Dass wir den Weg wirklich angehen, war bis jetzt ja keinesfalls sicher.

    An einem sonnigen, unschuldigen Samstagvormittag im Januar wollte ich erst nicht glauben, was ich da hörte. Erzählte mein Herr dieser Eventuell-Pilger, seinem jüngeren Bruder total voreilig und äußerst fahrlässig von seinem Gedankenspiel, diesen Jakobsweg zu gehen oder auch mit dem Fahrrad zu fahren. Neunhundert Kilometer oder mehr, für mehrere Wochen, ganz allein. Eigentlich handelte es sich hierbei nur um die Mitteilung der nüchternen Überlegung, sich vielleicht auf eine Pilgerreise zu begeben.

    Absoluter Konjunktiv! – Möglicherweise!

    Noch am gleichen Abend saßen wir mit Freunden zum Essen, beim Italiener um die Ecke. Sah sich dieser Mann aus unserer engsten Verwandtschaft, dem selbst ich wenig Arglistiges zugetraut hätte, prompt dazu veranlasst, kund zu tun, sein Bruder werde sich im Sommer auf den Jakobsweg begeben. Nix Konjunktiv, nix vielleicht, nix möglicherweise. Absolut Futur!

    Bekommt der Herr die Möglichkeit zur Relativierung dieser Aussage, eine faire Chance zum Einspruch? Ganz sicher nicht! Sofort prasseln von allen Seiten, Lob und Bewunderung auf ihn ein.

    Mir war sofort klar: Aus dieser Nummer kommt er nicht mehr heraus, ohne als Sprücheklopfer zu gelten. Und mich reißt es gleich mit hinein.

    Pilgern? Eine Wallfahrt? Na besten Dank.

    Offizieller Startpunkt dieses berühmtesten aller Jakobswege, dem Camino Francés, ist das malerische Städtchen St. Jean-Piedde-Port auf der französischen Seite der Pyrenäen. Nicht jeder hat die Zeit, kann oder will sie sich nehmen, den gesamten Camino in einem Stück zu bewältigen. Zu Fuß darf man dafür gut und gerne fünf bis acht Wochen einplanen, je nach persönlicher Fitness und Witterung natürlich. Der geübte Speedwanderer wird die Strecke sicherlich schneller bewältigen. Ein Normalo aber, der gesund und mit Freude seine Etappen schaffen will, eventuell sogar bis Santiago, wird sich durchschnittlich nicht mehr als zwanzig, vielleicht fünfundzwanzig Kilometer pro Tag aufhalsen.

    Der Neuling unter den Streckengehern wird sich selbst und seine Tagesleistungen unmöglich einschätzen können, zumindest nicht realistisch. So gibt es viele, die den Weg in Teilabschnitten von zwei, drei oder auch vier Wochen, während mehrerer Urlaube, absolvieren.

    Dabei üben für die meisten die letzten einhundert Kilometer mit der Ankunft in Santiago, erfahrungsgemäß die größte Anziehungskraft aus, inklusive des urkundlichen Sündenerlasses als Beweis.

    Doch nicht allein die religiös motivierten Wallfahrer möchten nach der erfolgreichen Ankunft ihre Compostela ausgehändigt bekommen. Nur sehr wenige holen sich das Dokument nicht ab, pfeifen auf Spiritualität und Kraft, beziehungsweise das mögliche Wirkungsvermögen der Urkunde.

    Um diese in Händen halten zu können, muss der Wanderer eben mindestens die letzten 100 Kilometer bis an die Kathedrale durchgehend auf eigenen Füßen und ohne motorisierte Hilfsmittel geschafft haben. Zum lückenlosen Nachweis lässt er seinen Pilgerausweis, den Credencial, in den Herbergen auf dem Weg oder in anderen offiziellen Einrichtungen abstempeln.

    Den Pilgerpass, der alle persönlichen Daten enthält und auch den Startpunkt der Reise dokumentiert, hat sich der Herr für einige wenige Euros, schon in Deutschland schicken lassen. Genauso problemlos kann man so einen Pilgerpass entlang des Camino erwerben, jedenfalls in allen größeren Städten. Ohne diesen beglaubigten Ausweis wird der müde Wallfahrer keine Chance auf einen Schlafplatz in einem sogenannten Refugio haben, der Pilgerherberge.

    Ich möchte mir gar nicht vorstellen, so ein zugegeben günstiges Angebot nutzen zu müssen, mit Dutzenden von hustenden, röchelnden, schnarchenden Menschen in einem Raum zu nächtigen. Dann auch noch für jeden Toilettengang anstehen zu dürfen, wie auf dem Oktoberfest. Einige der wenigen Dinge, die ich mit aller Überzeugungskraft durchsetzen muss. Und doch ist es nicht ganz ausgeschlossen, dass der Herr eine der kleineren, angeblich doch etwas persönlicheren Herbergen ausprobieren will, und ich komm nicht aus.

    Ein einigermaßen trainierter Radfahrer müsste in der Lage sein, die meisten Streckenabschnitte vergleichsweise in nicht mal der Hälfte der Zeit zu fahren, die ein Fußgänger dafür benötigt.

    Um sich als Radpilger ebenfalls per Compostela von den Sünden befreit fühlen zu dürfen, muss man aber mindestens die letzten 200 Kilometer durchgehend bewältigen.

    Wie mir glaubhaft erklärt wurde, werden wir uns keinesfalls durch einen trotzigen Tagesplan unter Druck setzten. Der Herr meint, die Zeit wäre unser großes Plus, von der wir, solo wie wir sind, etwas mehr mitnehmen können. Deswegen werden wir noch etwas mehr Strecke draufpacken und schon im Departement Gironde, an der französischen Atlantikküste, starten. Mir graut jetzt schon!

    Wenn der eigentliche Jakobsweg losgeht, wird der Tacho bereits fünfhundert Kilometer anzeigen. Dabei kann mich die Vorstellung, jeden Morgen ohne festen Zielort in den Tag zu starten, durchaus begeistern. Allein die Richtung ist vorgegeben. Sobald sich dann irgendwann das Gefühl manifestiert, es sei genug für heute, wird ein Quartier gesucht. Egal wo wir gerade sind oder wie viel Strecke wir an diesem Tag bereits hinter uns haben. Das wäre tatsächlich richtige Freiheit. Mit Gefühl muss er ja wohl mich meinen.

    Ziemlich lange haben wir darüber debattiert, ob wir an den Sündenerlass glauben sollen oder nicht. Fragen Sie nochmal nach, falls wir Santiago tatsächlich erreichen. Vielleicht gibt es dann zumindest darauf eine Antwort.

    1) Katalonien über alles

    Unsere letzte längere Alleinreise ist bereits eine Weile her. Freilich wirkte der Herr vor Jahren in der Verantwortung für seine kleine Familie, weitaus souveräner und selbstbewusster als heute vor diesem Pilgertrip, ganz allein mit mir.

    So wie um mich herum der Adrenalinspiegel ansteigt lässt sich vermuten, der hat nicht vor, sich an irgendwelchen unserer Wünsche zu orientieren. Es ist nur schwer zu erkennen ob die Unruhe aus der Abteilung Vorfreude kommt, oder zum Departement Schiss gehört?

    Die Flugtickets von München über Barcelona nach Bordeaux haben wir zum allerersten Mal, ganz eigenständig übers Internet gebucht. Nix war´s diesmal mit der gewohnt freundlichen Beratung, im Reisebüro unseres Vertrauens. Daher gab´s auch nur eine Buchungsbestätigung und keine Flugtickets. Ich will ja nicht unken, aber ob das alles seine Richtigkeit hat?

    Ein Abend mit Übernachtung in der katalonischen Hauptstadt, klingt zumindest schon mal genial! Am nächsten Morgen geht der Flug dann ganz früh nach Bordeaux, in den Südwesten Frankreichs, nahe der Atlantikküste. Das hört sich nicht weniger perfekt an. Was war das für eine Fieselarbeit, alle Angebote zu prüfen und zu beurteilen. Dabei erwiesen sich die Einzelbuchungen der beiden Flüge, überraschenderweise um einiges günstiger als ein Direktflug nach Bordeaux. Und das, obwohl beide Flüge den Aufenthalt in Barcelona haben und sogar die Flugnummern identisch sind.

    Fast hätte ich den Herrn soweit gehabt, die ganze Unternehmung aus nervlichen Gründen abzublasen. In jede mir bekannte Kerbe habe ich gehauen, jedes Klischee eventueller Pannen und Missgeschicke bemüht. Eine passende Ausrede wäre sicher zu finden gewesen. Mein Herr wollte dieses Mal partout nicht auf mich hören!

    Dabei meine ich es doch nur gut mit ihm!

    Es wird behauptet, der Transport von Sperrgut soll ganz einfach und kostengünstig sein. Online stellt sich dann so eine Beschreibung zur Beförderung von Fahrrädern in Flugzeugen, alles andere als einheitlich dar und die Angaben der Airlines, erscheinen mehr als fragwürdig. Deshalb waren wir ja auch bereits Wochen vorher, schon einmal am Airport.

    Information ist alles, hab ich mir permanent anhören dürfen. Regelungen zum Transport eines Fahrrads erscheinen dabei nur für langjährige Mitarbeiter verständlich und wirken zumindest verschlüsselt. Zu meiner Beruhigung können die Auskünfte nicht direkt beitragen, doch der Herr als der geübte Optimist schlechthin versteht es, sich meinen negativen Schwingungen erwehren zu können. Ich glaube er zwingt sich positiv zu denken. In dieser Beziehung bin ich schwer enttäuscht von mir.

    Nur noch 4 Stunden bis zum Abflug!

    Der Check-In Schalter der Airline ist freilich so früh noch geschlossen. Wir haben erstmal eine Menge Zeit. Warten, – Geduld haben, – das wird wohl auf dem Pilgerweg zur Normalität gehören. Zeit haben, Zeit zum Nachdenken, Zeit zum Reflektieren, Zeit für….

    Klingt ganz schön langweilig.

    Ich konnte nicht erfahren was gegen Entspannung, Wellness und Liegestuhl sprechen würde? Zu einem Urlaub mit Sonne und Meer, könnte man doch auch das Fahrrad mitnehmen? Innere Schweinehunde sollen eigentlich von Nichts wirklich Ahnung haben wird behauptet, reden nur grundsätzlich bei jedem Thema mit. Dabei möchten wir doch nur vorbeugend, eventuell unnötiger Anstrengung aus dem Weg gehen. Weshalb es trotzdem so schwierig ist uns zu besiegen, hat wohl mit den überzeugenden Argumenten zu tun, die meist dem einfachsten aller Wege sehr nahe sind.

    Der Herr hat uns ein Mineralwasser am Kiosk geholt. Jetzt sitzen wir auf der Bank gegenüber dem „Check in" Schalter, der spanischen Vueling Fluggesellschaft. Das in jede Menge dicker Folie versteckte Gepäck, möchten wir schnellstens loswerden, sobald der Counter öffnet. Dann sollte auch das seltsame Grummeln in der Bauchregion leichter werden.

    Nein, Hunger haben wir keinen!

    Nebenan auf der Sitzbank hat es noch einige bis viele freie Plätze, dennoch lässt dieses wirklich süße Mädchen, nur einen leeren Sitz zwischen sich und dem Herrn.

    Das kenne ich schon! Sofort schränkt sich sein Blickfeld auf ihre langen, dunklen Haare ein und ihr gehören sehr lange Haare. Nicht gerade bis in die Kniekehlen, doch bis weit über die Hüften. Dazu steckt die Hübsche in einer Figur betonenden, schwarzen Lurex Hose.

    Dem Mann in uns fallen sogleich diese wundervollen Haare auf, der Künstler sieht durchaus das Gesamtbild.

    Osteuropäisch darf man annehmen, aus Rumänien oder Bulgarien könnte sie stammen. Wer will sich da heute noch sicher sein, wo sich die Gene immer mehr mischen. Ihre könnten womöglich noch von der Urgroßmutter stammen und mit Nachnamen heißt sie dennoch nichts mit „vic, „nowa oder „pescu" sondern vielleicht Müller oder sogar Sonnbichler.

    Unruhig kramt sie in ihren Papieren, den alten Mann neben sich, beachtet sie gar nicht.

    Ganz Subjektiv und voller Vorurteile ist festzustellen: Dieses attraktive weibliche Wesen, ist definitiv zu jung für uns. Maximal dreißig Jahre ist sie, wenn überhaupt.

    Zwar wären wir auf dem Beziehungsmarkt neuerdings wieder zu haben, solche Jahrgänge aber sind nix für den Herrn. Nur diese Haare, die sind einfach sensationell!

    Keine drei Stunden mehr, bis zum Abflug.

    Als der Schalter der Fluggesellschaft endlich öffnet, sind wir plötzlich nur noch Vierter, in der Reihe der Wartenden. Zwei Familien, deren hyperaktive Kinder ungeniert Fangen spielen und ein Schwabe mit Aktentasche und auffällig kleiner Fliege um den Hals, haben sich forsch vor uns geschoben.

    Das kommt davon, wenn man in der Gegend herumträumt. »Woisch, i bin au mit na Rad gfloge letschtes Jahr! Desch is koi Problem mehr heutsdag«, versucht uns der Allgäuer ein Gespräch aufzudrängen.

    Schwaben können mit dem Rad fliegen? Bewundernswert!

    Ganz groß macht der Herr seine braunen Augen, sagt aber kein Wort, schaut den Mann aus dem bayerischen Südwesten nur an, so verständnislos wie irgend möglich. Gleichzeitig lässt er seinen nagelneuen Ausweis, unauffällig in der Hosentasche verschwinden.

    »Nix verstehen oder? Bischd ein Spanischer, oder? «, versucht der schwäbelnde Mitreisende eine Reaktion zu bekommen.

    Bevor er den nächsten Konversationsversuch beim vollkommen überforderten Familienvater startet, schenkt uns der beleidigte Business Allgäuer noch einen verächtlichen Blick über die Schulter. Kindererziehung ist ein ergiebiges Thema und so ein Schwabe, kann sowieso über alles reden.

    Die hübsche Langhaarige vom Balkan gibt derweil ihr spärliches Gepäck auf, allerdings am Schalter nebenan. Sie hat beschlossen heute ohne uns zu reisen und lieber nach London.

    Noch eine Stunde bis zum Boarding!

    Jetzt kurz vor dem Start wäre die letzte Gelegenheit, dem Herrn nochmal all die Dinge ins Gedächtnis zu rufen, die auf so einer Reise kaputt oder schiefgehen könnten. Mit so viel Gegenwehr hatte ich wirklich nicht gerechnet.

    Es wird einiges passieren, davon kann man ausgehen und dies wollen wir doch auch hoffen, musste ich mir anhören.

    Offenbar sind negative Gedanken absolut unerwünscht. Optimismus wird verlangt, Vorfreude ist gefragt! Zumindest ist das innere Zittern weg und der Blutdruck scheint sich jetzt weitgehend zu normalisieren.

    Bald darauf haben wir unseren leidlich schmalen Sitz eingenommen und genießen das Wenige an Beinfreiheit, was einem für diesen Flugpreis zugestanden wird. Flugangst habe ich als diabolischer Begleiter dem Herrn nie einreden können, da wird ihm heute eher auf dem Volksfest, in jeglicher Art von Karussell mulmig. Dennoch lässt sich in der Kabinenluft nicht viel von entspannter Atmosphäre spüren. Es darf nun gerne losgehen.

    Vor uns in der ersten Reihe versucht ein Schrank von einem Mann, sich in seinen engen Sitz zu quetschen. Eben wurde er von besonders geschultem Personal des Airports, in einem speziellen Rollstuhl in die Maschine gebracht. Mit vereinten Kräften hievten sie den schwerbehinderten Spanier auf seinen Sitz, am etwas breiteren Durchgang. Das Bodenpersonal ist aber unbedingt angewiesen, die Maschine sogleich wieder zu verlassen. Nun versucht der schwere Mann allein mit Kraft seiner Oberarme, eine gerade Sitzposition einzunehmen. Seine beiden weiblichen Begleiterinnen wirken mit dem schwergewichtigen ja massigen Problem, schlichtweg überfordert. Ohne kräftige Hilfestellung wird das nichts werden! Alle schauen zu, obwohl eindeutig zu erkennen ist wie unbehaglich der Mann sich fühlt und wie sehr sich die Mädels abmühen, das zu ändern.

    »Do you need help? «, höre ich den Herrn fragen. – Brauchen Sie Hilfe?

    Welch dämliche Frage denke ich noch, im selben Moment stehen wir schon auf. Die Gefährtin des gelähmten Spaniers legt ihren Kopf schief und sieht uns aus ihren schwarzblauen Augen heraus, mit skeptisch strengem Blick an.

    Schaut sie doch in unser liebenswürdigstes Lächeln, das wir spontan finden konnten.

    »Ist Okay, muchas gracias Señor«, antwortet sie in unserer Sprache, aber mit dem typischen, deutlich spanisch rollendem r, zischendem „s" und mit leichtem Anschlag der Zunge. »Gracias, das ist eine kleineres Flugzeug, das kennt er schon manchmal oft! Vielen danke. «

    Wenn auch sehr sympathisch, bekommen wir gleich heute unsere erste Lektion verpasst.

    Unser persönlicher Jakobsweg hat also bereits begonnen.

    Ja sicher, wir sind sehr froh gesund zu sein!

    Es ist bereits 23:30 Uhr. Sperrgepäck würde als besonders eilig und bevorzugt eingestuft, kann hier nicht unterstellt werden. Erst neunzig Minuten nach der Landung in Barcelona dürfen wir am Schalter für unhandliche Fracht, endlich unser aufwendig plastifiziertes Gefährt entgegennehmen. Ganz schön zerfleddert das Ding, als hätte es Gefrierbrand.

    Dummerweise passt die Gepäckaufbewahrung ihre Öffnungszeiten, nicht an solche Situationen an. Am Flughafen Barcelona gibt es so spät keine Möglichkeit mehr, größere Gepäckstücke abzugeben. Da unser Reisebegleiter nicht zur Familie der Klappräder gehört, kann selbst ein riesiges Schließfach nicht helfen. Es wird nichts bleiben als das verpackte Rad so wie es ist, mit einem Taxi ins Hotel buxieren zu lassen, um es morgen früh ohne große Umstände, wieder in den Flieger zu bekommen.

    Das Fahrrad auszupacken um mit ihm zum Hotel zu radeln wäre eine schöne Idee gewesen, aber völliger Unsinn.

    Keinesfalls werden wir uns morgen früh wieder mit einem „Packmann" anlegen müssen. Viel zu viel Risiko!

    Woher sollte man mitten in der Nacht das passende Taxi nehmen, welches ein ausgewachsenes Fahrrad in seinem Kofferraum transportieren kann?

    Innere Schweinehunde schlafen nie, sind grundsätzlich faul und negativ und haben selten einen konstruktiven Beitrag parat! sagt der Herr.

    Den festen Vorsatz sich auf dieser Reise weder zu ärgern noch ungeduldig zu werden, will er in jeden Fall beherzigen.

    Sämtliche meiner Einwände werden von ihm arrogant ausgeblendet. Nach meinem Geschmack versucht er direkt übertrieben entspannt, mitten in der Nacht noch so ein Transporttaxi herzuzaubern.

    Anscheinend ist außer mir niemand überrascht. Stellt so ein mittelgroßes, sperriges Paket, die katalanischen Taxler selbst kurz vor Mitternacht, vor keine unlösbare Aufgabe. Moderne Smartphones haben trotz aller Zusatzoptionen, noch immer auch die ganz ursprüngliche Funktion des Telefonierens. Ein Taxi-Kollege mit dem nötigen Stauraum, ist ganz in der Nähe.

    Positives Denken hilft eben doch, bekomme ich mitgeteilt.

    Gleich darauf rollen wir über die Stadtautobahn, auf dem Weg zum Hotel.

    Der liebenswürdige Chauffeur outet sich als besonders patriotischer Einheimischer und gleichzeitig als richtige Plaudertasche. Im Schnellkurs lernen wir: Katalonien über Alles und im Speziellen – Barcelona! Gerade, dass er den Namen nicht singt.

    In weniger als zwanzig Minuten meistert der Taxler die Strecke bis zu unserem Quartier, welches wir mit Weitblick auch online gebucht haben. In Kurzform weiht uns der Fahrer in die stolzen, heimatverbundenen Grundsätze der Katalanen ein. Als er dann erfährt welches Reiseziel wir anvisiert haben, wird der Gute schwärmerisch. In seinem lispelnden Englisch erzählt er euphorisch, wie er selbst jedes Jahr, für eine Woche auf dem Jakobsweg wandert. Jeden Sommer eine andere Teilstrecke. »„Maravillosa", wunderbare Frauen auf dem Camino. Hollanderinnen, Französische und sogar Señoras aus New York. Deutsche Frauen sind viel schön und viel streng «, erklärt er verzückt. Wir müssen ihn sehr erstaunt angesehen haben.

    »Si si, no problemas «, beteuert er mit Nachdruck. »Alle lieben spanische Hombres! « Er macht eine Pause und beobachtet den Herrn aus dem Augenwinkel. »Si si, all women! Latin Lover, Matador, Torero, Enrique Iglesias, Antonio Banderas, you know.«

    Mit beiden Händen fuchtelt er in der Luft und schäumt fast über vor Begeisterung. Für einen kurzen Moment verlassen seine Hände das Lenkrad, währenddessen der VW Touran, unkontrolliert über die mittlere Fahrspur nach links in Richtung Mittelleitplanke schlingert. »Si si si«, brüllt der Herr. »Ich glaub dir ja. Der Taxler hat alles im Griff, fängt den Wagen mit einer kurzen Lenkbewegung wieder ein.

    Keine Aufregung notwendig.

    Sein freundliches Angebot uns am Morgen wieder vom Hotel abzuholen, wird sofort und ohne überlegen angenommen. Wenn er wirklich wie verabredet um 9 Uhr kommt, sollte der Rücktransport zum Flughafen, genauso reibungslos klappen.

    Wenn nicht…? Aah…? Hmm…?

    »My name is José«, sagt er noch, »das ist meine número de teléfono«, und überreicht uns eine wie von Kinderhand gemalte Visitenkarte. »Wenn sie meine Taxi nix brauchen, „teléfono por favor"! «

    Das digitale Thermometer am Eingang des Hotels zeigt 23° C. Einige Grade mehr, hätte auch niemand angezweifelt.

    Subjektiv fühlt es sich immer noch heiß und tropisch an. Bei diesen Temperaturen könnte sich das einschlafen etwas hinziehen. Für den Nachtmenschen ist ein Uhr nachts, praktisch später Nachmittag.

    Wir nehmen den Zimmerschlüssel und noch ein kleines Bier als Schlummertrunk mit, dann sollte es gelingen, die Augen geschlossen zu halten. Bier soll ja müde machen!

    Seit wann trinken wir denn Bier?

    Vom jungen Katalanen an der Rezeption, gibt es noch kostenlos den Tipp des Tages. Spanien sei gefährlich, meint er! »Espania is dangerous Señor, mui dangerous «.

    Sicher ist sicher denkt sich der Herr, schon nehmen wir nicht den winzigen Aufzug, sondern schleppen lieber das verpackte Fahrrad über die Treppe, in den zweiten Stock, in unser habitación.

    Den Verlust des Fahrzeugs dürfen wir nicht riskieren.

    Spanien ist gefährlich?

    Von mir war die Idee nicht. Jakobsweg und dazu noch allein, das kann ja heiter werden!

    Keinen einzigen Schluck haben wir mehr getrunken. Sofort ist er eingeschlafen.

    Die Lektion des ersten Tages,

    gilt eigentlich immer:

    Ja, wir sind dankbar gesund zu sein!

    2) Was für Schlawiner

    - von Barcelona nach Bordeaux

    Höchstwahrscheinlich hat die Weckfunktion des Mobiltelefons sogar versucht, ihrer begrenzten Bestimmung nachzukommen. Nur ist auch durchaus denkbar, dass niemand dem befremdlichen Klang große Beachtung geschenkt hatte. Eventuell wurde das Geräusch sogar von einer Person abgewürgt, ohne dass diese das volle Bewusstsein erlangt hat. Wecker durften sich noch nie zu unseren engeren Freunden zählen. In solchen Momenten muss man als Genosse des Inneren natürlich stillhalten. Unsereiner freut sich über jede zusätzliche Minute. Es gibt einfach nichts Gesünderes als morgens ohne derartigen Schock aufwachen zu dürfen. Nicht ohne Grund heißt unsere Lieblingslebensweisheit:

    „Genieße es an jedem Tag, aufzuwachen weil du ausgeschlafen hast."

    Der vernünftige Bereich im Unterbewusstsein hatte früh genug einen lichten Moment und machte klar: Der Taxifahrer würde vermutlich warten, der Pilot im Flieger nach Bordeaux, dagegen eher nicht. Jetzt sitzen wir hier auf der ins morgendliche Sonnenlicht getauchten Terrasse und trinken unseren geliebten Kaffee, eben etwas weniger relaxt als vorgesehen. Durch die Verlängerung in der Horizontalen, ist der zeitliche Spielraum ein bisschen eingeschränkt.

    Zeitdruck auf einer Pilgerreise ist überhaupt nicht akzeptabel.

    José Luiz wie unser Chauffeur laut seiner Visitenkarte heißt, müsste gleich erscheinen, sagt der Herr. Schon brettert der blaue Touran mit dem Taxischild auf dem Dach, schwungvoll in die Einfahrt des Hotels. Ziemlich gewagt und mutig eng, wie er die Kurve schneidet. Die harte Bordsteinkante rächt sich sofort mit einem laut vernehmbaren, kräftigen „Rumms" an der Hinterachse. Den Fahrer irritiert das nicht weiter. Ohne die Geschwindigkeit zu reduzieren, passiert der Minivan die offene Schranke des Parkplatzes und kommt mit einem schrill quiekenden Bremsgeräusch, direkt neben dem Gepäck zum Stehen.

    Indes sitzt nicht José der Matador des Jakobswegs hinterm Steuer, sondern eine dunkelblonde Mittdreißigerin, die uns laut zuwinkt.

    ,»Hola buenas dias, I am Jovana«, grüßt sie gutgelaunt. »José meine Mann sagt, I bring you zum Aeropuerto.« Sie spricht ein Englisch-Spanisch mit leichtem Tschechisch im Abgang.

    Mit so viel Dreistigkeit war keinesfalls zu rechnen gewesen. Schickt uns dieser Latino-Gigolo seelenruhig die eigene Frau, nachdem er uns gestern ganz hemmungslos, seine alljährlichen Jakobsweg-Schandtaten gebeichtet hat. Seine langjährige Vorliebe fürs Pilgern hat er seiner Liebsten, mutmaßlich anders erklärt. Wer soll sich da noch beherrschen können?

    Nur durch eine schnell und immerhin gekonnt vorgetragene Hustenattacke, bleibt der Lachanfall für unsere Fahrerin unbemerkt. Die gesamten acht Kilometer allerdings bis zum Airport, ist der Herr nicht in der Lage mit ihr zu sprechen. Spätestens jetzt hält sie die Deutschen für unhöfliche Flegel. Diese These werden wir bis zum Flughafen, nicht mehr entkräften können. Schlawiner sind´s schon, die Katalanen.

    Die Gepäckstücke inklusive Rad schnellstens wieder in den Flieger zu bekommen, muss jetzt unsere erste und wichtigste Aufgabe sein. Am Flughafen Barcelona „El Prat" ankommen, begrüßt uns Raphael der Supervisor der Airline per Handschlag, noch bevor wir den Counter erreichen. Auf seine Anweisung hin dürfen wir unser Paket aus Stahl und Folie, unkonventionell hinter dem Schalter parken. Das Rad ist zum Glück immer noch verpackt. Mitarbeiter Ramos wie sein auffälliges Namensschild verrät der Sperrgutexperte, bringt es sogleich an die Maschine. Nach der gestenreichen Ansprache von besagtem Raphael an Kollege Ramos, in besonders nuschligem Dialekt, können wir uns den Sinn selbst mit sehr begrenztem Sprachschatz, notdürftig zusammenkombinieren.

    So schnell konnten wir noch nie einchecken. Die ganze Aktion dauert keine fünf Minuten. Trotzdem ist nun erstmal wieder Geduld gefragt und das allerseits unpopuläre „in der Reihe anstellen" angesagt.

    In der Warteschlange zur Personenkontrolle steht direkt vor uns ein auffällig großer überaus kräftig gebauter Typ, mit seiner schlanken und braun gebräunten Begleiterin. Der schwergewichtige Bulle ist locker eineinhalb Köpfe größer als der Herr. Sie die Zarte hingegen, reicht uns nur knapp bis an die Schulter. Nun sind wir nicht gerade ein Zwerg, neben diesem Hünen aber, kommt der Herr doch eher schwächlich rüber. Wie ihr mächtiger Bodyguard steht er da, bereit seinen Körper auf Alles und Jeden zu werfen, um mögliche Gefahren schon im Keim zu ersticken. Unsere Lenkertasche zählt zum Handgepäck. Auch Regenjacke, Geldbeutel und Kleingeld müssen in die weiße Box. Erst dann dürfen wir dem Pärchen durch den Metalldetektor folgen. Noch gar nicht richtig unter dem Apparat, schlägt der lautstark piepend Alarm. Wortlos und äußerst gelassen schickt uns der diensthabende Security, mit einer lässigen Handbewegung wieder retour. Der nächste Versuch diesmal ohne Feuerzeug in der Hosentasche, bringt kein anderes Ergebnis. – Es piept!

    Noch schaut er freundlich, der Mann von der Sicherheitsfirma, runzelt seine hohe Stirn und schiebt uns behutsam aber bestimmt zur Seite. Der Neupilger wird nun haarklein und ganz genau begutachtet.

    Vor dreißig Jahren reichte die Haarpracht noch über den halben Rücken, da entwickelte sich jeder Grenzübertritt zu einer lästig langen Prüfung. Heute sind etwas mehr als die Spitzen geschnitten, da sind wir so penible Kontrollen gar nicht mehr gewohnt. Die Geste des Sicherheitsmannes zeigt unmissverständlich, der Gürtel soll aus der Hose und die Schuhe müssen runter vom Fuß.

    Zum Glück für alle Anwesenden war Fußschweiß nie ein Problem, dafür wird es abartig schwer sich zu beherrschen als der katalanische Beamte mehr oder minder zärtlich, uns nach Waffen durchsucht. Wie ein Wurm windet sich der Herr unter seinen Händen.

    Die légère Hose ist, so ganz ohne Gürtel, nicht länger auf der Hüfte zu halten. Die rutscht mit dem ersten Ausatmen bis auf die Oberschenkel.

    Verzeihung, wir sind kitzlig.

    Eine komplette Entblößung ist mit einem passablen Spreizschritt, gerade noch zu verhindern. Auf dem glatten Fliesenboden hätte der sich auch leicht zu einem Spagat ausweiten können, mit schmerzhaftem Bänderriss in der Leiste.

    Das ungleiche Pärchen vor uns kann sich ein lautes Lachen nicht verkneifen. Mitlachen

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