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Schlüssel zum Gestern
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eBook168 Seiten1 Stunde

Schlüssel zum Gestern

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Über dieses E-Book

Der 55 jährige Protagonist fällt durch unerklärliche Umstände in sein Leben mit 25 zurück. Obwohl die dadurch entstandenen Chancen und die gewonnenen 30 Jahre außerordentlich reizvoll sind, sehnt er sich zurück in die Zeit, die nunmehr seine Zukunft ist.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum14. Aug. 2020
ISBN9783347072442
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    Buchvorschau

    Schlüssel zum Gestern - Erwin Böning

    Teil 1

    Kapitel 1          Die Schlüssel

    Ich weiß, dass ich den Schlüssel irgendwoher kenne. Woher nur?

    Eigentlich ist es ein Schlüsselbund. Alt, viel benutzt, abgewetzt und leicht verbogen.

    Der eine von den dreien ist ein Steckschlüssel. Die benutzte man früher, um aus einfachen Schlössern mit Bartschlüssel Sicherheitsschlösser zu machen, indem man ein kleines Metallteil im Schüsselloch verankerte, das man nur mit einem Sicherheitsschlüssel wieder entfernen konnte.

    Hatte ich auch einmal. Ist aber lange her.

    Die anderen beiden könnten ein normaler Haustürschlüssel und einer für ein Vorhängeschloss sein.

    Ich weiß, dass ich sie kenne.

    Witzig fand ich, dass genau in dem Moment, in dem mir die Schlüssel in den Schoß fielen, im Radio von einer „Schlüsselkonstellation" berichtet wurde. Irgend etwas Astrologisches. Merkur im so-und-so-vielten Haus oder vielleicht auch in Konjunktion zu irgend einem anderen Planeten. Vielleicht war es auch gar nicht Merkur. Haften geblieben ist bei mir nur, dass eine derartige Konstellation nur alle dreißig Jahre vorkommt. Die Astrologen verbinden alle möglichen mystischen und bizarren Ereignisse damit. Und das Ganze fände quasi in diesem Moment statt.

    Es sei eben eine „Schlüsselkonstellation" – und in dem Moment fällt mir das Schlüsselbund in den Schoß. Zufall, aber irgendwie witzig.

    Von unten höre ich die Bässe. Livemusik, was sonst. Da lässt Verena sich nicht lumpen. Wenn schon, denn schon. Vermutlich wieder die Drei-Mann-Combo vom letzten Jahr. Zuerst ein bisschen jazzig, später romantisch-kitschig.

    Hoffentlich reicht mir der Whisky, den ich aus dem Wohnzimmer mitgenommen habe.

    Einmal im Jahr veranstaltet meine Frau ein großes Fest. Sie nennt es Sommerfest. Eigentlich würde sie gerne ihren Geburtstag zum Anlass nehmen, aber der ist im November. Da kann man nicht mit unserem – zugegeben – wunderschönen Anwesen angeben. Dann ist alles braun und grau und man kann die Nachbarhäuser sehen.

    Jetzt im Juli kann man angeben: Alles ist grün. Die gewaltige kurzgemähte Rasenfläche gibt dem Ganzen einen parkähnlichen Charakter und der Zugang zum See verleiht ihm einen ganz besonderen Charme. Die alten Bäume lassen das Anwesen beinahe herrschaftlich, ja adelig erscheinen. Der Steg ist auf alt gemacht. Man nennt es wohl „vintage".

    Der Gärtner hat geschlagene drei Tage gebraucht, um wirklich alles auf Vordermann zu bringen. Da ist nichts dem Zufall überlassen. Gerade, dass den Vögeln ihr Alltags-Federkleid gestattet bleibt.

    Wenn Verena dann noch, wie heute, das Glück hat, dass sich die Wärme des Tages bis in den Abend hält und es windstill ist, so dass man die Autobahn nicht hört, dann hat sie alles, was sie für ihr Megaevent braucht.

    Geladen sind vierzig bis fünfzig Kollegen, Geschäftspartner, Wegbegleiter. Freund wie Feind. Die einen sollen bewundernd zu ihr aufschauen, die anderen innerlich vor Neid zerplatzen. Bis auf ganz wenige Ausnahmen kommen nur erfolgreiche Männer mit ihren Gattinnen und – Verena.

    * * *

    Seit sieben Uhr kreuzen Edellimousinen verschiedenster Marken am Ende der Kiesauffahrt auf, knirschen langsam auf das Gebäude zu und halten dann im Rondell vor dem Eingang mit den kitschigen Säulen. Das näherkommende Geräusch ihrer Reifen im Kies hat etwas Aggressives. Sie verweilen nur kurz, spucken die Creme-de-la-Creme der regionalen Wirtschaft, nebst Gattin, aus und verschwinden wieder.

    Der leichte Duft von Sommerblumen, der gerade noch in der Luft lag – vielleicht Goldlack? – wird schnell von teuersten Parfümdüften überlagert, obwohl das Gesamtsetting die kleine natürliche Duftnuance gut hätte gebrauchen können.

    Alle sind leger gekleidet, locker und sommerlich und doch ist hier allen klar, dass jedes einzelne Kleidungsstück etwa soviel kostet, wie ein Hartz IV-Empfänger im Monat zur Verfügung hat.

    Eine hübsche junge Frau mit einem lächerlichen Häubchen und einer Minischürze steht mit ihrem Champagner-Tablett zwischen den Säulen. Sie ist von einer Agentur eingekauft. Das Lächeln ist im Preis inbegriffen und tausendfach geübt. Keiner spricht mit ihr; ein hübscher Garderobenständer hätte es auch getan.

    Gleich vornean im Wohnzimmer empfängt Verena ihre Gäste. Gut sieht sie aus, längst nicht wie fünfundfünfzig. Schlank, groß, langes, welliges, dunkelbraunes Haar. Sie trägt ein kurzes Sommerkleid mit kunterbuntem Blumenmuster. Das Abendlicht, das durch die offene Terrassentür ins Wohnzimmer fällt, lässt ihre sportliche Figur unter dem dünnen Stoff erahnen.

    Der Raum ist groß und luftig. Die Terrassentüren sind weit geöffnet und alle überflüssigen Möbel beiseite geräumt, so dass beinahe der Eindruck eines Tanzsaals entsteht. Das eigentliche Wohnzimmer unserer Kleinstfamilie ist nicht mehr zu erkennen.

    Verenas Gesicht wirkt angespannt. Das sieht aber nur, wer sie genau kennt. Perfekt beherrscht sie das Managerlachen: Beide Wangen hochziehen, so weit es geht, und dabei die Zähne auf ganzer Breite zeigen. Nur den Augen kann man nicht befehlen zu strahlen. Das kann auch das beste Makeup nicht leisten.

    Eine dezente Perlenkette schmückt ihr Dekolleté, um auch den reichlich anwesenden Juristen zu gefallen. Das hat sie mir einmal selbst gestanden.

    Gerader Rücken, lange hübsche Beine, sonnengebräunte Arme, Hände mit langen schlanken Fingern.

    Man sieht ihr an, dass sie den Moment trotz der Angespanntheit genießt. Sie ist stolz auf das, was sie erreicht hat. In einer Domäne, die immer noch fast ausschließlich von Männern beherrscht wird, hat sie sich einen beachtlichen Platz erkämpft.

    Weniger stolz ist sie auf mich.

    Als wir uns vor dreißig Jahren kennenlernten, war der gesellschaftliche Unterschied zwischen uns noch nicht so groß wie heute. Sie war seit zwei Jahren mit ihrem Wirtschaftsstudium fertig und hatte einen Einstiegsjob bei einer Unternehmensberatung. Ich studierte noch Psychologie in der Endphase, mit der Aussicht, in absehbarer Zeit auch das große Geld in der Wirtschaft verdienen zu können.

    Unsere Herkunft dagegen hätte unterschiedlicher nicht sein können. Verenas Vater war Jurist und Inhaber einer großen Kanzlei im Bergischen Land. Ihre Mutter war Gattin und Mutter der einzigen Tochter. Den überwiegenden Teil ihrer Tage verbrachte sie mit „Charity". Irgend etwas gab es immer zu sammeln und zu unterstützen. Mal musste Nusskuchen zur Unterstützung der chilenischen Frauen gebacken werden. Mal galt es, eine feurige Rede für den Erhalt einer sozialen Einrichtung oder eines historischen Gebäudes zu halten.

    Immer musste Eberhard, ihr Mann, zu gegebener Zeit und vor möglichst großem Publikum seine überdimensionierte Brieftasche zücken, um generös einen nicht zu kleinen Schein zu entnehmen. Diesen drückte er dann mit nicht zu überbietender, schlecht gespielter Bescheidenheit in Margrets selbstgebastelte Sammelbox. Sie bedankte sich überschwenglich und gab ihm je ein Küsschen rechts und links. Man glaubte kaum, dass es sich um das gleiche Paar handelte, das sich noch am Abend vorher ohne Publikum wie die Kesselflicker gestritten hatte.

    Die gleiche große Brieftasche zückte Vater Eberhard auch jedesmal, wenn sich die kleine Verena mal wieder verkalkuliert hatte. Die ohnehin reichlich bemessene Apanage während des Studiums musste zeitweise aufgebessert werden, wenn Verena ihrem speziellen Geschmack in Bezug auf Kleidung, Möbel und Männer wieder einmal nicht hatte widerstehen können.

    Mein Lebensstil während des Studiums wurde vom Bafög diktiert. Drei bis viermal die Woche Nachhilfe für Haupt- und Realschüler. Hauptsächlich Mathematik, aber auch alles andere, was Geld einbrachte.

    Einmal im Monat durfte ich für kleines Geld die Zähler im ganzen Haus ablesen. Die Vermieterin war alt und gebrechlich und traute sich nicht mehr auf die Trittleiter. Auch im Ausrechnen der einzelnen Zahlbeträge traute sie mir mehr zu als ihrem eigenen vergesslich gewordenen Oberstübchen.

    Mein Vater war Tiefbauarbeiter, meine Mutter Hausfrau. Große Brieftaschen, aus denen man bei Bedarf größere Scheine entnehmen konnte, gab es bei uns nicht.

    * * *

    Auf das Haus – besser gesagt Anwesen – ist Verena besonders stolz.

    Mit tatkräftiger Unterstützung eines professionellen Architekten hat sie es selbst entworfen und gebaut. Vater Eberhard wird auf seine unnachahmliche Weise auch mitgeholfen haben.

    Es muss außerordentlich schwierig gewesen sein, hier überhaupt zu bauen. Ich weiß das nur aus Erzählungen. Das alles passierte lange vor meiner Zeit.

    Aber so viel ich vom Hörensagen mitbekommen habe, muss das gesamte Gebiet, bevor es bebaut wurde, unter besonderem Schutz gestanden haben. Der Zugang zum See war verboten. Die Kinder der benachbarten Häusergruppen und der Dörfer ringsum, durften selbst im heißesten Sommer hier nicht baden. Angeblich nutzten die scheuen Rehe des Waldes das Gewässer als Tränke. Badende, johlende und aufgeregt hin und her tobende Kinder hätten die Tiere angeblich für immer vertrieben oder gnadenlos verdursten lassen.

    Die Kinder mussten im Sommer daher schon immer mit dem Fahrrad in das beinahe acht Kilometer entfernte Freibad fahren, um – wie es üblich war – Freischwimmer, Jugendschwimmer, Arschbombe und Köpper vom Dreier zu absolvieren. Nicht zu vergessen der allgegenwärtige Kicker, an dem man erste zarte Kontakte zum anderen Geschlecht ausprobierte. Die besten Chancen hatte der, der mit gnadenlosen „Rundschlägen" die Gegner von der Platte putzte. Das Ganze wurde abgerundet mit einer Lakritzschnecke und einem Wassereis.

    Alles schön, wichtig und jugendprägend, aber beinahe acht Kilometer entfernt. In gleißender Sonne mit nackten Füßen hin – und zurück in nasser Badehose.

    Da wäre ein einfacher Sprung in den See direkt vor der eigenen Haustür schon dreimal wünschenswerter gewesen. Zarte Kontakte hin, Lakritzschnecke her.

    Ging aber nicht. War streng verboten und mit einem Zaun abgesichert.

    Die Rehe waren so scheu, dass sie wohl nur nachts zum Trinken kamen; gesehen hat sie jedenfalls nie jemand.

    Groß war die Entrüstung bei den einfachen Leuten, die hier wohnten, als der Eigentümer des Sees plötzlich auf die Idee kam, das gesamte Ufer als Bauland zu verkaufen.

    So einfach ging das natürlich nicht. Etliche Klagen bei Verwaltungsgerichten, unzählige Artikel in den regionalen Zeitungen, Interviews im lokalen Fernsehen, Protestaktionen vor dem Zaun und bitterböse Leserbriefe im lokalen Blatt waren die Folge. Sogar die Landtagsabgeordneten aller Parteien wurden zu einer Ortsbesichtigung eingeladen. Da aber gerade nicht Wahlkampf war, kam nur einer, der in der Nähe wohnte und wohl auch sonst nicht gerade überbeschäftigt war.

    Aber es half alles nichts. Jeder im Umkreis von fünf Kilometern kannte inzwischen das Naturschutzgebiet „Stiller Forst" mit

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