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Halbschatten des Mondes: Sonnen- und Lebenstänze
Halbschatten des Mondes: Sonnen- und Lebenstänze
Halbschatten des Mondes: Sonnen- und Lebenstänze
eBook428 Seiten2 Stunden

Halbschatten des Mondes: Sonnen- und Lebenstänze

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Über dieses E-Book

Gut 20 Jahre später hat angefangen, was ich von mir nie gedacht hätte. Ich habe meine BIO-grafie geschrieben und damit ist ein großer Prozess in Gang gekommen, unerwartet in mancherlei Hinsicht und wunderbar. Mein Leben und mehr - viel mehr - ist also hier in meinem Buch zu finden.
Ich mag Spielereien mit Worten und ich mag Zufälle. Durch einen solchen bin ich auf meine erste neutrale Leserin gestossen, eine Frau, die mich nicht schon lange kennt, sich aber dazu bereit erklärt hat, einmal in mein Manuskript zu gucken. Ich zitiere hier aus einer gleichentags an mich ergangene Mail:

«Heute morgen brachte mir der Postbote ein sehr gewichtiges Paket ins Haus. Herzlichen Dank. Ich habe mich sogleich ans Lesen begeben und finde die Lektüre höchst interessant. Warum? Der Autor ist verwurzelt in einer Vergangenheit, die heute wohl nur ganz wenigen Menschen noch bekannt ist. Die Familiengeschichte mit Vor- und Nachfahren ist darum schon für sich selbst lesenswert und macht nachdenklich. (Ich staune, mit welcher Übersicht er einen so umfangreichen Stoff in den Griff kriegen konnte.)
Das zweite Element des Buches sind die ganz persönlichen Erlebnisse, die dem Leser so nahe gebracht werden, dass er unmittelbar daran teilnehmen kann.
Dies beides, der sachliche Bericht und das persönlich Erlebte, macht die Lektüre für mich wertvoll.»
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum7. Aug. 2018
ISBN9783746928890
Halbschatten des Mondes: Sonnen- und Lebenstänze

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    Buchvorschau

    Halbschatten des Mondes - Hans Schweizer

    1

    Focus

    Ein Buch?

    «Antworten» waren beim Erwachen mein erster Gedanke.

    «Nein, bitte! Sicher werde ich kein Buch schreiben! Fehlte noch!»

    «Unsere Stadt ist gebaut», soll meine einstige Mitschülerin am Evangelischen Lehrerseminar gesagt haben, als sie zur sozialistischen Stadträtin von Zürich geworden, das Baudepartement inne- hatte. Allerdings bin ich ziemlich sicher, dass sie das niemals so undifferenziert gesagt haben kann. «FakeNews» hat es in der Politik schon damals gegeben, nur den Ausdruck dafür nicht.

    Analog dazu hätte ich jetzt gerade behaupten wollen, dass die Bücher längst alle geschrieben sind! Aber zugegeben, diese Behauptung ist nicht von mir und kann wahrscheinlich gut widerlegt werden, und in unsern Städten und Dörfern wird drauflosgebaut, als sollten künftige Generationen nie wieder die Chance bekommen, etwas Vernünftiges für ihre Mitmenschen zu tun.

    Ein Buch? Nein.

    Wie war das doch bei Wilhelm Busch? «Jedes legt noch schnell ein Ei und dann kommt der Tod herbei.»

    Und jetzt? «Jeder» hinterlässt vor seinem Abgang ein bescheidenes Denkmal. Ist doch so – oder? Vielleicht macht einer einen Pilgerweg, wie ich. Und häufig schreibt er dann erst das Buch. Mit selbstgefälligem Leistungsausweis jedenfalls – um einer irgendwann anstehenden Abdankungsrede zu angemessenem Schwung zu verhelfen? – Memoiren also? – So ehrgeizig bin ich doch nie gewesen. – Oder doch?

    Meine Kollegen am Seminar fanden damals, ich sollte schreiben. Aber die hatten doch keine Ahnung! Es ging für mich nicht um prestigereiche Zusatzentwürfe für mein Leben. Ich hoffte einzig und allein, die Zeit an diesem evangelischen Schulbetrieb unbeschadet zu überstehen; den Kopf so lange über Wasser halten zu können, bis alles vorbei war.

    Einer meiner Lehrer äusserte sich einmal so: «Schweizer, entweder sind Sie ein Idiot oder ein Genie!» Manchmal hege ich den Verdacht, seine Aussage sei mir zu einer Art Tarnkappe geworden, unter welcher ich glaubte, mich verstecken und schützen zu können. Antworten also zuerst?

    Da hat wohl eine innere Instanz nicht so gut geschlafen wie ich. Wie ein Myzel den Waldboden hatten offenbar Fragen meinen Schlaf durchwühlt.

    Aber was zum Teufel will mich dazu bringen, mein Innerstes auf Papier und zwischen Kartondeckel zu bannen?

    Gehts um mein Sein, um meine ureigene Wahrheit, ums Altwerden? Was habe ich mit meinem Potenzial, mit meinen Talenten gemacht?

    Geht es um die Klangfarbe des Selbstmitleids, um meine persönliche Gerechtigkeit? Oder um die Struktur und Einordnung in meiner Ahnenkette? Warum liegen meine Söhne, meine Enkel und ihre «Geschichten» mir stets im Sinn?

    Ich nehme mir vor, darauf einige Antworten zu finden. Kürzlich hat jemand mein Tun «Schreibprojekt» genannt. Unter Kapitel 12 soll es nochmals zum Thema werden.

    2

    Substanz

    3

    In Form gebracht bei Eva Ehrismann

    Die Ausgangspunkte

    Sie liegen gut drei Viertel eines Jahrhunderts zurück und gehen zu den Anfängen deiner jungen Familie, Vater, und zu meinem Ursprung. Es war während des Zweiten Weltkriegs.

    Da ist er nämlich unversehens zur Welt gekommen, der von euch erwartete «Hansueli». Später wurde auch von den «Hansuelenen» gesprochen. Niemand hat ja damals gemerkt oder geahnt, dass es zwei sein würden, die in diesen düsteren Tagen durch einen im örtlichen Spital erstmals praktizierten Kaiserschnitt das Licht der Welt erblicken durften: Ich nämlich, den du, Vater, dann als Hans (Hans Hermann) pflichtbewusst auf der Gemeinde gemeldet hast, genauso wie auch deinen Erstgeborenen, den Ueli (Ulrich Jakob). Als Mutter mit Nierenkomplikationen im Spital lag, konnte sie die Ärzte bei halbgeschlossener Türe belauschen und bekam auf diese Weise mit, dass ihr Kind jetzt – etwa sechs Wochen zu früh – geholt werden müsse und dass man sie, die bestürzt lauschende Mutter, nur mit diesem am Ort bisher noch nie praktizierten Eingriff am Leben erhalten könne.

    Mutter mit Hans und Ueli

    Währenddessen hast du, Vater, im Schützengraben gestanden. Und als dort die Meldung von eurem Zwillingsglück eintraf, wurde dir erlaubt, diesen Graben und den Ort, den man niemandem preisgeben durfte, mit dem Militärvelo zu verlassen, um die nächste Bahnstation zu erreichen. Von dort brachte dich der Zug zum Spital am See, und du konntest deine Buben sehen und deine junge Frau. Es sei das einzige Mal gewesen, dass du dir in der Folge beinahe militärischen Ungehorsam geleistet hättest: am darauffolgenden Tag nämlich, als der Urlaub vorbei war und du schon wieder vereinnahmt werden solltest.

    Einer der Zwillinge mit dem stolzen Vater

    So also mein Ausgangspunkt, unser Ursprung, die Anfänge deiner eigenen Familie, die du zwar immer wieder verlassen musstest, weil das von dir so verlangt wurde. «Rufst du mein Vaterland!» Das war ja schliesslich unsere Landeshymne!

    Später hast du diese mit uns Schülern – wie alle vaterländischen Lieder – mit viel Feuer gesungen, als Ueli und ich von der vierten bis zur sechsten Klasse deine Schule besuchten auf «Langrüti» einer der «Aussenwachten» der stolzen Seegemeinde. Ich mochte deine Singstunden und deinen Heimatkundeunterricht.

    Hans links – Ueli rechts

    Vater mit Hans – Mutter mit Ueli

    Schweizer Geschichte konnte man als Viertklässler schon bei den Sechstklässlern mithören. In der Dreiklassenschule, die du über Jahrzehnte geführt hast, war das möglich, denn oft waren alle drei Klassen gleichzeitig anwesend. Auch Schulweihnachten mit Christbaum, Musik und Liedern, mit Geschenkpaketen und Theater oder gar mit einem Krippenspiel, das wir aufführen durften: Das war dein Ding! Das gab es bei uns auf Langrüti und alles war ganz einmalig, machte sie aus, die kleine, idyllische Welt im Schulhäuschen. Die Erinnerungen reichen aber viel weiter zurück.

    Sommer wars und hinten im Garten wurde ein schön geformtes Badewännchen aufgestellt aus galvanisiertem Blech. Ueli und ich planschten im sonnenwarmen Wasser zwischen den Johannisbeersträuchern. Zwei oder drei von Vaters Schülerinnen entdeckten uns dort, kletterten über den Hag zu den nackten Buben, lachten und streuten duftende Kräutlein ins Wännchen. Nein, niemand hat die Mädchen gescholten. Aber mit Baden im Freien war es für uns vorbei. Ein für alle Mal! Schade, sehr schade. Es gab in Gottes Namen Dinge, die in einem Schulhaus nach Meinung der Eltern nicht gingen. Da achteten sie strikte darauf.

    Da war auch ein halberwachsenes Mädchen, das Mutter mit ihren Zwillingen gegen ein kleines Entgelt zur Hand gehen sollte: die «Idibischbild». Diesen Namen hatten wir von Mutter übernommen, denn sie pflegte beim Verlassen des Hauses «Idi» jeweils zu fragen, ob sie über alles Notwendige «im Bild» sei. «Idi» war eine Bauerntochter und ziemlich tüchtig. Sie konnte anpacken und lachte viel. Wir mochten sie sehr und wenn Ueli und ich nebeneinander auf unserer Kommode sitzend angezogen werden sollten, konnte sie durchaus einmal am einen oder dem andern «Schnäbelchen» etwas zupfen – sichtlich belustigt über die relative Winzigkeit, die sie zwischen unsern Beinen vorfand. Den «Bitzen» (das Bisschen) nannte sie es. Wir mochten das harmlose Spielchen. Aber Mutter stellte das Mädchen ungewöhnlich schroff in den Senkel. Es nützte nichts, dass wir sofort erklärten, das sei doch lustig gewesen und tue überhaupt nicht weh.

    Wir erlebten unsere Kindheit also im kleinen Schulhaus auf «Langrüti». Das war ein schöner und sonnendurchfluteter Ort. Draussen befand sich der kiesbedeckte Pausenplatz für Vaters Schüler. Da gab es die flache Auffanggrube als Teil der Hoch- und Weitsprunganlage. Die enthielt eine beträchtliche Schicht «Rollgerste», womit die ganz kleinen Kieselsteinchen gemeint waren. In dieser Grube standen, etwas entfernter, zwei verstellbare Reckstangen und luden mich unablässig dazu ein, mir Kunststücklein anzueignen, die ich den grossen Schülern abgeschaut hatte. Waren diese aber wieder an ihrer Arbeit bei Vater im Schulzimmer, gehörte der Platz mir. Ich setzte mich an den Rand der Grube und stopfte eine geballte Ladung Rollgerste in meine Turnhose. Es gab nichts Behaglicheres, denn die Steinchen waren in der obersten Schicht an der warmen Sonne schön trocken geworden und jetzt voll herrlicher Sonnenenergie. Aufstehen, auslaufen lassen und wieder füllen – das war vielleicht was!

    Da waren auch zwei Barren und ganz in der Ecke die hohen Kletterstangen, die als Wahrzeichen bei jedem Schulhaus zu stehen hatten und der militärischen Ertüchtigung der Jugend galten. Unermüdlich habe ich auch da geübt und konnte etwas zeigen. Ich weiss nicht, ob Mutter oder ich stolzer waren bei Vorführungen vor ihren Freundinnen. Eines hat mir aber mit Sicherheit den grössten Spass gebracht: Auf allen vieren konnte ich behände wie ein Äffchen die schräg stehenden Kletterstangen hochklettern, und zuoberst, da, wo Mutter nie hingekommen wäre, drehte ich mich um, den Kopf nach unten, genoss Mutters entsetztes Aufbegehren, hängte mich in den Kniekehlen so an die schräg abfallenden Stangen, dass ich auch die Hände loslassen und dazu johlen konnte. Erst wenn es mir gefiel, rutschte ich langsam, freihändig und immer noch kopfüber zu Boden.

    Ueli und ich sassen später, von der vierten bis zur sechsten Klasse, mit unseren Mitschülern unten im einzigen Schulzimmer. Vater amtete als Schulmeister und oben, in der Lehrerwohnung, pflegte die Mutter unseren Haushalt. Man konnte es im Schulzimmer hören, wenn sie dort mit dem Staubwischer über die Klaviertasten fuhr. Gespielt hat sie selten, und wenn doch, dann fast nur auf den schwarzen Tasten. Ich habe keine Ahnung, wie sie sich das so beigebracht hat. Aber auf Schulreisen oder in Ferienlagern konnte sie mit dieser Technik jedes gängige Lied begleiten, das sie angestimmt hatte.

    Grosseltern Zollinger mit Ueli, Christoph W., Hans

    Grosseltern Schweizer

    Schulweihnacht

    Schulhäuser Langrüti

    Die Schulhausfenster boten Aussicht auf die Berge und auf den See. Ein schöner Ort. Aus der Lehrerwohnung tretend, konnte ich mich oben auf das Treppengeländer setzen und dann in zwei Etappen rutschen, mit Zwischenhalt auf dem «Bödeli», und schon stand ich vor dem Schulzimmer. Eigentlich war dies mein Schulweg. In der Regel hat Vater am untern Ende der Treppe seine Schüler empfangen, wo sie mit roten Backen oder nassen Lodenpelerinen zum Schulzimmer drängten. Und er hat mich – egal, wie kurz die Zeit noch dauerte bis Unterrichtsbeginn – auf meinen Weg geschickt: Mit dem «Thek» am Rücken, falls er genau aufgepasst hat, sonst ohne, hatte ich zur hundert Meter entfernten Telefonstange hinunterzurennen, musste diese umrunden und aufwärts ging es wieder zurück. Ueli war in der Regel schon auf dem Rückweg, wenn ich hinunterstürmte.

    «Oben in der Wohnung bin ich euer Vater», hat es geheissen, «und unten der Lehrer.» Heute denke ich, dass ich mit diesem Spagat Mühe hatte. Ich habe Vater jetzt viel eher als Lehrer empfunden. Mit den «Gspänli» in der Schule hatten wir es eigentlich gut, ganz zu ihnen gehörten die «wohlbehüteten Lehrersdubeli» aber nicht. Diesen Ausdruck hat Luc für uns beide später einmal geprägt. Wenn es um massiven Klatsch ging, wenn Streiche ausgeheckt oder «Kriege» angezettelt wurden – «Reformierte gegen Katholiken» etwa –, dann gehörten wir nicht dazu oder höchstens nach strengsten Verhaltensregeln, die strikte einzuhalten waren, wie wir versprechen mussten. Natürlich wollten wir dabei sein. Das hätten wir auch dann gewollt, wenn geheimes Aufklärungswissen ausgetauscht wurde. «Ihr sagt ja doch alles dem Vater», hiess es dann jeweils und es trug dazu bei, dass wir in grosser Naivität und Arglosigkeit aufwachsen «durften» oder mussten. Denn genau das brachte uns Schwierigkeiten. Es entstanden feine Risse in der kleinen, heilen Welt, und der Nebel der Verunsicherung drang durch, trübte die Wahrnehmung.

    Die Umgebung aber, besonders der Bauernhof der Nachbarn, brachte trotz elterlichen Bewahrungstendenzen mit sich, dass wir ausser Haus zu neuen, erweiternden Erfahrungen kamen. Der Hof war ein Dorado. Da war Vetter Ernst. Wir sprachen uns nämlich gegenseitig so an: Vetter Ernst, Vetter Ulrich, Vetter Hans, kurz: einfach Vetter. «Ernstli» war ein Jahr jünger. Wir waren oft auf dem Hof und ziemlich unzertrennlich. Ernstli hatte jüngere Schwestern. Judith, aus der Reihe der Geschwister, war jünger als Ernstli und setzte sich mit allen Mitteln dafür ein, bei unserem Tun dabei sein zu können, auch wenn uns das gar nicht passte. So blieb nichts anderes übrig, als uns mit Hilfe einer Leiter auf das Dach des «Zigerligestells» abzusetzen und die benutzte Leiter dann schnell heraufzuziehen. Einmal gelang es Judith nämlich, die Leiter noch vorher umzuwerfen und uns oben sitzen zu lassen.

    Während des Kriegs war im nahen Moor Torf gestochen worden und daraus wurden «Zigerli» geformt. Einmal luftgetrocknet in diesem hohen Gestell, konnten diese während der Kriegszeiten im Winter verheizt werden. Jetzt war nur noch die stattliche Anzahl Querstecken im Gestell. Damit konnten wir immer wieder andere, höher oder tiefer liegende luftige Stübchen mit Tischen und Bänken einrichten und nannten diese «Wirtschaften». Keine heutige Einrichtung für Kinderspielplätze ist ebenbürtig.

    Ernstli hatte einen Grossvater, und dieser verfügte hinter der Malzgrube über eine Werkstatt, die «Butik». Wir waren schlank genug, um sie durch die breitesten Ritzen der Bretterwand zu erreichen, sogar dann, wenn die Türe verschlossen war. Da gab es einen Stapel mit morschen Brettern, einen Schraubstock und andere Gerätschaften, die unser Interesse geweckt hatten, und da war auch die Werkbank, mit Werkzeug und Nägeln und mit gelblicher Karrensalbe in einer rostenden Büchse. Dieser Dinge bedienten wir uns vorzugsweise, wenn Grossvater Bollier nicht zugegen, sondern am Mittagsschläfchen war. Oder auch dann, wenn er zu hören war. Er schimpfte und fluchte oft mit hoher Stimme auf dem ganzen Hof herum. Auch so konnten wir uns rechtzeitig in Sicherheit bringen. Eigentlich war ich sicher, dass, wer so flucht, in die Hölle kommen wird. Anderseits wusste ich, dass dieser Grossvater einmal Mitglied des Gemeinderats gewesen war, und dass er es war, der Ernstli immer so schöne Geschenke machte wie das Dreiradvelo und später ein «regelrechtes», auf Knabenverhältnisse verkleinertes Herrenvelo. Solch begehrenswerte Erwerbungen hatte dieser Grossvater für seinen Enkel getätigt. Auch unseren Wünschen hätten ähnliche Präsente sehr entsprochen. Aber es war Vater wichtig, dass seine Zwillinge sich niemals wichtiger oder gar vornehmer fühlen sollten als seine Schüler. Nein, überheblich sollten die nie werden.

    Da schleppten wir drei «Vettern» dann eines Tages die morschen Bretter aus Grossvaters Butik ins Freie und legten damit vor dem Hühnerhof einen Boden aus. Darüber wollten wir mit den Nägeln eine Hütte bauen, um darin übernachten zu können. Ernstli war häufig der Anführer und behauptete, er wisse schon, wie das geht. Wir waren Feuer und Flamme. Und als Judith plötzlich dastand und auch mittun wollte, wurde vorgeschlagen, sie zu messen, um herauszufinden, ob sie in der Hütte auch noch Platz finden könnte. Sie ging auf den Handel ein, und einer nach dem andern nahmen wir Mass, indem wir mit beiden Händen von unten her je an der Aussenseite ihrer Beine nach oben fuhren, bis zur breitesten Stelle an ihren Hüften. Die Distanz genau zwischen den Handflächen haltend, zogen wir die Arme wieder unter ihrem Rock hervor und übertrugen dieses Mass auf den Bretterboden. Ich war wohl der Letzte in

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