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die powerhousefrau: Zwischen Magen, Darm und Streptokokken
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eBook259 Seiten3 Stunden

die powerhousefrau: Zwischen Magen, Darm und Streptokokken

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Über dieses E-Book

Gretchen von Rindt, hochbegabt und trotzdem blöd, hat als Einzige ihres Jahrgangs ein Einser-Abi hingelegt. Ihr Traum, Medizinerin zu werden, scheitert an ihrer Faulheit und so landet sie als Kassiererin bei "Prengelmann". Damit das inventurbedingte Zählen tiefgefrorener Hähnchenkeulen nicht der einzige Höhepunkt im langweiligen Leben der Achtunddreißigjährigen bleibt, stürzt sich Gretchen in Affären. Nach Feierabend aktiviert sie ihr Powerhouse und gibt sich den männlichen Auszubildenden auf der Käsetheke des Kölner Discounters hin. Eine kurzzeitige Ohnmacht bringt die Wende: Gretchen verliebt sich in den Kunden Georg Zimmerli. Der ist nicht nur äußerst attraktiv, sondern hat etwas, was sie auch gerne hätte: einen Doktortitel. In der Hoffnung auf ein Leben im Luxus beschließt sie, Ehefrau des heißesten Kinderarztes diesseits des Mississippi zu werden ...
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum31. Juli 2019
ISBN9783749709090
die powerhousefrau: Zwischen Magen, Darm und Streptokokken

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    Buchvorschau

    die powerhousefrau - Karla Antonin

    Apfelsine mit Nebenwirkung

    „DOKTORRR MUSS KOMMEN! SOFFORT! Meine Sonn hat tolle Wutt. Überrrall Schaum. Nix vertragen Medizin!"

    Herr Metin hyperventlierte am anderen Ende der Leitung.

    „Ich sagen kommen!! SOFFORT! Nix gleich, nix in einer Stunde. SOFFORT!"

    Im Hintergrund waren eigenartige Geräusche zu hören. Etwa so, als würde jemand pausenlos in die Badewanne pupsen.

    „Was ist passiert, Herr Metin?", fragte ich unseren Fünfvorzwölftürken mit beruhigender Stimme.

    „Meine Sonn nix vertragen Medizin und wenn du nix legen ein paar Zähne zu, ich dir nächstes Mal drehen Gesicht auf Rücken!" Metin, der mehrfach im Quartal um fünf Minuten vor Zwölf in der Praxis hereinschaute, weil Ömer entweder über bedrohliche Längsrillen im Fingernagel, oder sein älterer Bruder Sayed beim Husten über Auswurf von Brötchenresten klagten, schien diesmal tatsächlich ein ernstes Problem zu haben. Selten störte ich den Doktor bei wichtigen Telefonaten, doch in diesem Falle sah ich es als unumgänglich an, sein Gespräch mit der renitenten Vorzimmerdame vom Gesundheitsamt zu unterbrechen.

    „Schahatz, kannst du bitte selbst mit Herrn Metin sprechen? Ich glaube, heute ist es wirklich ernst", bat ich den Mann hinterm Schreibtisch mit flehendem Blick.

    Sie sind der Meinung, es schickt sich für eine Arzthelferin nicht, ihren Chef als Schatz zu bezeichnen? Stimmt, ich sehe das eigentlich ähnlich, wenngleich ich inzwischen begriffen habe, dass die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Helferin nicht selten in amourösen Überstunden endet. Im Hinblick darauf, dass der Doktor schon lange Bett und sogar Tisch mit mir teilt, nenne ich ihn allerdings, wie´s mir gerade passt.

    Außerdem hatte ich keine Lust mehr, mir Metins Tollwutgeschichte ins Ohr schreien zu lassen und so zog ich es vor, den Hörer in kompetentere Hände abzugeben. Metin, der noch immer ins Telefon brüllte, merkte nicht einmal, dass er inzwischen dort angekommen war, wo er ursprünglich hin wollte: am Trommelfell seines

    Kinderarztes nämlich.

    Georg hielt den Hörer in etwa zwanzig Zentimetern Entfernung zum Ohr. Nicht zu weit, um eine Atempause Metins zu verpassen und somit endlich selbst reden zu können, aber eben doch nicht nah genug, um genanntes Trommelfell zum Platzen zu bringen. Übrigens ist mir bis heute rätselhaft, wie man zwanzig Jahre in diesem Beruf tätig sein kann, ohne je einen Hörsturz erlitten zu haben. Nicht wegen der kreischenden Babys, sondern schlichtweg als Folge des täglichen Umgangs mit hysterischen Mamas, für die Impfungen gleichbedeutend sind mit lebensgefährlichen Attacken auf ihr Liebstes. Naht der Doktor mit der Spritze, klammern sie sich an ihren Nachwuchs, als wünschten sie sich sehnlichst, das Kleine in die auf Knopfdruck jederzeit weit zu öffnende Gebärmutter zurückzustopfen, bis der Böse das Mordwerkzeug wieder weggepackt hat.

    Das Gebärmutterproblem stellte sich bei Metin natürlich schon deshalb nicht, weil er erstens ein Mann - in diesem Falle ein Papa - und zweitens entgegen seiner Fünf-vor-zwölf- Gewohnheit lediglich am Telefon zu hören war.

    „DU KOMMEN! SOFFORT!"

    War es das kurze Räuspern meines Mannes, das männliche Atemgeräusch (falls es so was gibt) oder einfach nur die Tatsache, dass am anderen Ende der Leitung niemand mehr versuchte, ihn zu unterbrechen? Jedenfalls schien Metin begriffen zu haben, dass er nun endlich den Mann am Telefon hatte, der eigentlich längst mit Lalülala auf dem Weg zu ihm nach Hause sein sollte, um Klein Ömer zu retten.

    Warum er denn so aufgeregt sei, fragte der Doktor in übertrieben gelassenem Tonfall. Und er solle versuchen, ihm so detailgenau wie irgend möglich zu erklären, warum Ömer seiner Meinung nach in Lebensgefahr sei.

    Um die innere Ruhe des Doktors zu verstehen, muss man wissen, dass mein Mann während seiner Zeit als Kinderarzt einen großen Erfahrungsschatz anreichern konnte. Es braucht in diesem Beruf nicht allzu lange, um festzustellen, dass Kinder mit juckender Kopfhaut in den seltensten Fällen eine ernsthafte Hauterkrankung, sondern lediglich ein paar aktive Mitbewohner haben, die allgemein als Läuse bezeichnet werden. Deren Befall zu diagnostizieren und vor allem zu kommunizieren, erfordert fast noch größeres Feingefühl, als einer Mutter zu sagen, dass sich ihr Kind mangels IQ um einen Studienplatz in diesem Leben keine Sorgen machen muss.

    Klein Ömer jedoch plagten weder Läuse noch eine unterdurchschnittliche Intelligenz. Ömer schäumte und obgleich er bisher wohl noch nicht versucht hatte, seinen Papa zu beißen, schien dieser ganz und gar von der Tollwut-Theorie überzeugt zu sein.

    „Kind Tablette nix gudd vertrage, jetzt tolle Wutt." Seine Stimme bebte derart laut, dass ich jedes Wort verstehen konnte, obwohl ich fast zwei Meter vom Schreibtisch entfernt stand.

    Der Doktor erinnerte sich gut daran, dass der Vierjährige am Tag zuvor wie gewohnt um fünf vor Zwölf auf dem Rückweg vom Einkauf mit Papa einen Schlenker in unsere Praxis gemacht hatte. Allerdings war er sicher, ihm keine Tabletten, sondern lediglich ein Rezept für Fieberzäpfchen in die Hand gedrückt zu haben, weil Papa Metin meinte, Klein Ömer habe erhöhte Temperatur.

    Da wir Bett und wie ich bereits erwähnte sogar Tisch teilen, teilen mein Mann und ich natürlich all das, was auch andere Paare teilen. Wir teilen die Brötchen, wir teilen (ungern) die Fernbedienung, wir teilen das Badezimmer. Manchmal teilen wir sogar Trauer und Freude. Und weil der Doktor beim Thema Freude zeigen ebenso zurückhaltend ist wie bei der aufdringlichen Dame vom Gesundheitsamt, erschrak ich fast zu Tode, als er just in diesem Moment schallend zu lachen begann. Georg klopfte sich mindestens zehnmal auf den rechten Oberschenkel, fegte seine Kugelschreiber vom Schreibtisch und bog seinen Oberkörper beim Lachen dermaßen weit nach hinten, dass der Zusammenstoß mit der stets hinter seinem Stuhl geparkten Babymessschale das Telefon quer durchs Behandlungszimmer katapultierte.

    „DAS ZÄPFCHEN WAR DOCH FÜR´N ARSCH", brachte der Doktor die Problematik quietschend auf den Punkt. Dabei warf er, der sich sonst stets gewählt auszudrücken pflegte, jegliche Contenance über Bord. Weil auch seine Brille aufgrund des ekstatischen Anfalls abhanden gekommen war, robbte er ein wenig ungalant über den Fußboden, um schließlich laut grunzend die Stelle zu erreichen, wo er das Telefon vermutete. Mein Versuch es ihm anzureichen scheiterte kläglich, da er mich aufgrund eines Krampfanfalls, ausgelöst durch ein falsch verabreichtes türkisches Zäpfchen, nicht mehr wahrnehmen konnte.

    Leider bekam der Doktor keine Chance, Herrn Metin den Unterschied zwischen oral und rektal zu erläutern: Metin sowie seine Kinder Ömer und Sayed wurden bereits am übernächsten Tag um fünf vor Zwölf beim Betreten der Praxis von Doktor Sturmschläger gesehen, der zwei Straßen weiter sein Unwesen trieb.

    Die Sache mit dem verfütterten Zäpfchen geschah – natürlich – an einem „laschDo, einem Langen-scheiß-Donnerstag! Diese Bezeichnung soll den grausamsten aller Arbeitstage vom „schlaDo (Scheiß-langer-Donnerstag) meiner Freundin Anneliese unterscheiden, die zwar beruflich keine Kinder quält, jedoch große Freude daran hat, ihrer Kundschaft am Bankschalter lächelnd zu erklären, dass der Dispo mal wieder bis zum Anschlag überzogen ist.

    „Tja, da muss die neue Sitzgarnitur wohl noch ein bissl warten, gell? So oder zumindest so ähnlich klingt einer von Annelieses Lieblingssätzen. Und obwohl sie nach eigener Aussage ihren Traumberuf ergriffen hat, hat auch sie unter „schlaDo zu leiden.

    Erstaunlicherweise habe ich noch nie in irgendeiner Zeitschrift eine Erklärung zu den Hintergründen dieses schrecklichen Tages gelesen. Sehr wohl weiß ich, dass den Menschen vor Montagen graust, sie an Sonntagen Migräne haben und samstags Schuhe putzen müssen. Warum jedoch Bankangestellte und sämtliche Mitarbeiter einer Kinderarztpraxis kurz vorm Wochenende derart leiden müssen, konnte mir bis heute niemand erklären.

    Bereits kurz nachdem ich meinen Mann kennen gelernt hatte, war mir aufgefallen, dass er am Donnerstag ein anderer ist. Er ignoriert den Wecker und quält sich erst aus dem Bett, wenn der Drache auf dem Ziffernblatt mit Feuerspucken beginnt. Georg verzichtet an Donnerstagen auf den Kaffee am Morgen, zerfleddert die Tageszeitung und schimpft mit seinem ebenfalls zerfledderten Spiegelbild. Nun könnte man meinen, der Doktor sei so einer Art ungewollter Konditionierung zum Opfer gefallen, nach dem Motto: Dreimal ist an Donnerstagen Scheiße passiert, also hasse ich fortan alle Donnerstage. Leider erklärt das nicht, warum auch ich den vierten Tag der Woche nicht ausstehen kann. Es sagt ebenso nichts darüber aus, warum Anneliese am Bankschalter genervt ist und es erklärt schon gar nicht, warum Metin ausgerechnet an einem Donnerstag den Kinderarzt gewechselt hat.

    Glücklicherweise habe ich meinen Mann erstmals an einem Dienstag getroffen, wobei man sagen muss, dass eher er mich getroffen hat. Mit einer Apfelsine nämlich, die ihm aus der Hand geflutscht war, als er, wie immer in Eile, in einer langen hustenden Schlange an meiner Kasse stand. Er hibbelte von einem Bein aufs andere und meckerte irgendwas Unverständliches vor sich hin. Dann fragte er den Familienvater vor ihm in seiner angeboren zynischen Art, ob es in Anbetracht der Menge an Zigaretten in seinem Einkaufswagen nicht sinnvoller sei, sich direkt eine Kugel in den Kopf zu schießen.

    „Sie könnten sich und Ihren Kindern einen langen und qualvollen Abschied ersparen", war das letzte, was ich ihn sagen hörte, bevor mich die Wucht, mit der die Apfelsine auf meinen Schädel aufschlug, mit einem Mal ausknockte. Ich spürte noch, dass sich die Rolle mit Wechselgeld, die ich soeben geöffnet hatte, lustvoll zwischen meinen Beinen ergoss. Dann sank ich vom Kassenstuhl auf den grauenvoll kalten, stets schlecht geputzten Fußboden meines Lieblingsdiscounters und war mit einem Mal: eine

    KASSENPATIENTIN!

    Keine Ahnung, wie lange ich so benebelt dagelegen hatte, doch als ich meine Augen wieder öffnen konnte, sah ich statt der leckeren Kernlosen für Einsneunundvierzig, die wir immer mal wieder im Angebot hatten, eine unfassbar riesige Menschentraube. Inmitten dieser aufgebrachten, müffelnden, völlig geschockten Menge stand der Attentäter. Attraktiv wie eine Mischung aus leicht angegrautem Brad Pitt und Johnny Depp, mit einem Blick, so bezaubernd und süß, dass selbst eine schielende Beutelratte vor Neid erblasst wäre. In diesem Moment übermannte mich das durchaus befriedigende Gefühl, soeben durch eine außer Kontrolle geratene Apfelsine beinahe zu Tode gekommen zu sein.

    Dass ich mich nicht, wie ich gerade noch zu verspüren glaubte, im Paradies befand, sondern um eine Gehirnerschütterung reicher auf Pren- gelmanns Fußboden lag, wurde mir klar, als ich draußen jenes hochfrequente Lalülala-Geräusch vernahm, welches ich zum letzten Mal als Zehnjährige gehört hatte. Damals war beim Reiten, beziehungsweise beim unplanmäßigen Abstieg aus dem Sattel, mein Schlüsselbein zu Bruch gegangen. Wenn ich nicht ein zweites Mal hilflos zwischen zwei kernigen Rettungssanitätern eingeklemmt in eine Krankenanstalt eingeliefert werden wollte, um mir dort mehr Viren einzufangen, als es bei Prengelmann Vitamine gab, musste ich, soviel war klar, schnell reagieren.

    Ich schüttelte mir das Kleingeld aus den Haaren, setzte einen überzeugenden „Mir geht´s prima-Blick auf und robbte zurück auf meinen Kassenstuhl. Während der Raucher irgendwas von „Simulantin murmelte und sich auch der Rest der Kernlosen nach Hause trollte, bekam ich nun endlich die Gelegenheit, die Apfelsine näher kennenzulernen.

    „Ähh, …tschuldigung, flüsterte diese, sichtlich erleichtert, dass ich den Anschlag ohne größere Blessuren überstanden hatte. „Man sollte wohl mit frisch eingecremten Händen kein Obst kaufen gehen. Er schüttelte peinlich berührt den schönen Kopf. „Dass mir so etwas an einem Dienstag passiert … also, wenn ich noch irgendetwas für Sie tun kann?"

    Nun kam mein Einsatz. Keine Ahnung, wie viele meiner achtunddreißig Lebensjahre ich bis zu diesem Tag damit verbracht hatte, auf solch eine einmalige Gelegenheit zu warten. Ich lebte nämlich stets in der Hoffnung, dass der Tag kommen möge, an dem meine zahllosen Liebschaften mit fantasielosen Azubis der Vergangenheit angehörten. Die Begegnung mit der attraktivsten Apfelsine diesseits des Mississippi kam mir da gerade recht.

    „Natürlich können Sie etwas für mich tun. Laden Sie mich zum Essen ein. Heute um zwanzig Uhr. Im besten Restaurant der Stadt" , platzte es aus mir heraus.

    Ich war ob meines frontalen Angriffs so unfassbar stolz, dass ich die Antwort des Fremden nur wie im Nebel wahrnahm.

    „Heute geht´s nicht, heute hat meine Frau Geburtstag", erwiderte er lächelnd.

    Obwohl er mich erst vor wenigen Minuten zum ersten Mal gesehen hatte, war ihm trotzdem schnell klar, dass er zurückspulen und möglichst flott einen neuen Text aufsprechen musste, wenn er nicht das Risiko eingehen wollte, mich erneut vom Fußboden ablösen zu müssen.

    Während also die Farbe meines Desktops sekundenschnell von frischem Rosé über Dunkelrot bis hin zu Kotzgrün wechselte, versuchte er mich zu überzeugen, der Spruch sei nicht nur blöd, sondern vor allem bloß ein Scherz gewesen. Verheiratet sei er schon lange nicht mehr, keine seiner Exen habe heute Geburtstag, und ich könne ihm keine größere Freude machen, als mit ihm zu Abend zu essen.

    „Das Lokal können Sie sich natürlich aussuchen. Verraten Sie mir, wo Sie wohnen. Ich stehe um neunzehn Uhr dreißig vor Ihrer Haustüre und dann geht´s los!" Dann fragte er nach meinem Namen und meiner Telefonnummer, stopfte sich die zermatschte Apfelsine in die Jackentasche und war verschwunden. Ohne zu bezahlen!

    Allerdings auch ohne all das mitzunehmen, wofür er gefühlte zwei Stunden in einer miefigen Schlange rauchender Selbstmörder gestanden hatte.

    Als der Abend zu Ende ging, befand ich mich in der Horizontalen. Ich lag lang gestreckt auf einer viel zu kurzen Untersuchungsliege, der Mann meiner Träume über mir schwebend. Sein Atem keuchte und die Tränen, die meine Wangen hinunter kullerten, schmeckten so bitter wie der Geruch des Putzwassers, welches die geduldige Reinigungsfachkraft vom Discounter allabendlich verdunsten ließ.

    Ich erinnerte mich an die letzte Inventur, während der ich fünfundachtzig abgelaufene Hähnchenkeulen, unzählige Packungen Putenge- schnetzeltes von unglücklichem Federvieh mit rudimentären Gehwerkzeugen sowie mindestens sechzig Eierkartons gezählt hatte, deren Inhalt ich gerade noch zum Schlüpfen vor die Türe bringen konnte. Zum ersten Mal seit langer Zeit, verdammt langer Zeit quasi, bereute ich wieder, mein geplantes Medizinstudium nicht aufgenommen zu haben. Stattdessen hatte ich den alternativen Weg eingeschlagen, der mich sicher eines Tages als einzig hochbegabte Kassiererin zunächst in die Geschichte des örtlichen Discounters und schließlich ins Guinessbuch der Rekorde würde eingehen lassen. Und wie ich so da lag, fiel mir auch wieder ein, dass meine Mama niemals müde geworden war, mich vor dem Verzehr von Meeresgetier zu warnen.

    „Kind, hatte sie stets gemahnt „lass dir bloß die Fischstäbchen aus dem Bauch. Du verträgst die Dinger nicht!

    Alle Kinder liebten Käpt´n Iglo, so dass Mama mich damals fortwährend daran erinnern musste, dass Montezuma die Messer schon zu wetzen begann, wenn wir bloß damit begonnen hatten, Urlaubspläne für den nächsten Nordseeurlaub zu machen.

    Mein Magen HASST Fischstäbchen. Nicht einmal zählen konnte ich Sie.

    Nun, da ich sie dummerweise gegessen hatte, fühlte ich mich wie eine Schwangere im elften Monat. Mein Körper wollte die fischigen Fremdkörper schnell wieder loswerden. In Anbetracht dessen, dass es inzwischen bereits weit nach Mitternacht war und ich mich bis dahin etwa fünfunddreißig Mal übergeben hatte, wunderte mich kaum noch, dass Georg inzwischen nicht mehr annähernd aussah wie Pitt oder Depp (obwohl … DAS vielleicht schon eher).

    Meine Eroberung glich vielmehr einem Überlebenden des Dschungelcamps, der sieben Tage und Nächte zwischen Rainer Langhans und Costa Cor- dalis genächtigt hatte. Meine heftigen Eruptionen zwangen ihn, sich im Gleichschritt mit Infusionsständer in der rechten und einer Kotzschüssel in der linken Hand zu bewegen. Er tat dies mit einer stilvollen Gelassenheit, die ich noch heute an ihm bewundere. Seine Contenance führte letzten Endes auch dazu, dass ich meine Scham nach anfänglicher Wehrhaftigkeit der Vernunft unterordnete und brav an genau der Stelle liegen blieb, an der für gewöhnlich die Eltern kleiner Türken erklärt bekommen, warum man Zäpfchen besser nicht essen sollte.

    Keine Frage, mein Schatz hatte mir das Leben gerettet. Und zwar mit der Zufuhr einer gigantischen Menge Flüssigkeit. Sie hätte wahrscheinlich gereicht, den riesigen Karpfenteich meiner Großeltern mit Frischwasser zu befüllen.

    Ein Grund für Georgs aufopferungsvollen Einsatz war womöglich, dass er an diesem Abend tief in meiner Schuld stand. Statt um neunzehn Uhr dreißig hatte er mich erst weit nach zweiundzwanzig Uhr zu Hause abgeholt. Statt Nouvel- le Cuisine im hippsten Lokal der Stadt gabs Fischstäbchen nach Kinderarztart in seiner popeligen Dachgeschossküche.

    Mit Erschrecken hatte ich feststellen müssen, dass Georgs Wohnung ungefähr der Größe eines Karnickelfreilaufgeheges entsprach, das für zwei Tiere gerade noch reichte, bei dem man jedoch, würde man die Häschen zu dritt halten, die Tierschützer am Halse hätte. Der fließend staubige Übergang von Küche, Bad und Schlafbereich ließ schnell den Verdacht (oder besser: die Hoffnung) aufkommen, dass hier lange keine weibliche Hand gewirkt zu haben schien.

    Zu Georgs Entschuldigung muss ich anmerken, dass er an diesem grauen Novembertag nicht den Hauch einer Chance hatte, die Apfelsinennummer wieder gut zu machen. In der Überzeugung, fünfundzwanzig von vierundzwanzig Stunden, die der Tag so bietet, erreichbar sein zu müssen, wusste er schon damals nicht, dass man Handys auch ausschalten kann.

    Das fiebernde Russenkind Romanov und der Notruf des kleinen Kevin, der zum wiederholten Male einen Kruppanfall hatte, waren schuld. Schuld daran, dass wir statt des Fünf-Gänge-Menüs mit abgelaufenen Fischstäbchen Vorlieb nehmen mussten. Und schuld natürlich, dass die attraktivste Apfelsine, die Kassiererin Gret- chen von Rindt je begegnet war, nach der ersten gemeinsamen Nacht plötzlich aussah wie durch die Mangel gedreht.

    Ich schämte mich zutiefst, doch wusste ich jetzt, dass der Mann, der mich ein wenig uncharmant aus dem Dornröschenschlaf geweckt hatte, nur um mich kurz darauf mit einem Fischstäbchen erneut flachzulegen, im wahren Leben als Kinderarzt tätig war. Was mich natürlich sehr überraschte, denn nicht im Traum hätte ich daran gedacht, dass Mediziner wie Doktor Georg Zimmerli (Georg Senior war Schweizer, daher der belämmerte Name) im Discounter einkaufen gehen. Doch damals kannte ich die sogenannte Gebührenordnung noch nicht und als ich sie wenig später kennenlernte, erinnerte ich mich so manches Mal wehmütig an meine schöne Zeit an Prengelmanns Kasse. Laut dieser Gebührenordnung stehen einem Kinderarzt nämlich pro Patient

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