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Negation des Eigentums: Spurensuche Philosophie
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eBook312 Seiten4 Stunden

Negation des Eigentums: Spurensuche Philosophie

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Über dieses E-Book

Wollte Karl Marx das Eigentum abschaffen? Aber was bedeutet "Eigentum" genau und was bedeutet "abschaffen"? Diese Fragen lassen sich nur beantworten, indem wir die Essenz des Marxismus in der Dialektik auffinden.

Aus diesem Grunde unternehmen wir hier eine kleine Zeitreise in die 1840er Jahre, als Marx und Engels den deutschen Idealismus umformten. Wir bezeichnen die Schaffensperiode von 1843 bis 1846, also vor der Auseinandersetzung mit Proudhon (1847) und vor dem berühmten "Kommunistischen Manifest" (1848), als die philosophische Intervention.

Vor allem im 20. Jahrhundert wurden innerhalb der Arbeiterbewegung lineare Vorstellungen von der Entwicklung des Kapitalismus populär. Doch das Modell von klar abgegrenzten Entwicklungsstufen wie "Konkurrenzkapitalismus" und "Imperialismus" bricht eigentlich mit der Hegelschen Dialektik bei Marx. Und auch der "gute alte Idealismus" ist in der sozialistischen Bewegung nach wie vor präsent. Wir begegnen dieser Philosophie bei der Frage, was denn Kommunismus vom Sozialismus eigentlich unterscheide.

Nicht zuletzt ermöglicht die Aufarbeitung der Marxschen Methode die Grundlagen für eine allgemeine ökonomische Theorie der Planwirtschaft - bereinigt von den Entstellungen durch den Stalinismus.

Die vorliegende Darstellung ist für Einsteiger in die Thematik genauso geeignet wie für belesene Zeitgenossen. Zahlreiche Zitate und Quellenbelege dokumentieren die langjährige Auseinandersetzung des Autors mit der politischen Ökonomie.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum28. Okt. 2016
ISBN9783734548550
Negation des Eigentums: Spurensuche Philosophie
Autor

Martin Seelos

Martin Seelos (Jahrgang 1965) beschäftigt sich seit Beginn der 2000er Jahre mit dem Forschungsdesign bei Karl Marx. Seit 2017 Herausgeber und Autor der Buchreihe „Beiträge zur Kulturgeschichte“ mit dem Schwerpunkt „Theorie des Eigentums“. Bisher erschienen: Negation des Eigentums (2016), Akkumulation ohne Kapital (2017), Franz Kafka und das feudale Prinzip (2017), 1917 und 1789: Aspekte der politischen Geographie (2017), Das antike Eigentum (2019), Duale Ökonomie und historische Eigentumsformen, 2 Teilbände (2021), Bürgerliches Eigentum und globaler Süden (2023). Martin Seelos lebt und arbeitet in Wien.

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    Buchvorschau

    Negation des Eigentums - Martin Seelos

    Vorwort

    Negation des Eigentums – ein sperriger und altmodischer Titel für ein Buch der Zehnerjahre des 21. Jahrhunderts. Und tatsächlich begeben wir uns hier zunächst auf eine Zeitreise in die 1840er Jahre, dem Jahrzehnt, als sich der Marxismus von der Späthegelianischen Geschichtsauffassung abspaltete. Übrigens wurde fast gleichzeitig die deutsche Literatursprache revolutioniert, der Zopf des 18. Jahrhunderts endgültig abgelegt – man denke nur an den erfrischend modernen Duktus bei Heinrich Heine und Georg Büchner, oder auch bei Johann Nestroy. Und in den 1820er Jahren boomte in England die fortschrittliche politische Ökonomie, getragen von dem Siegeszug der industriellen Revolution. Nach der französischen Revolution und den Napoleonischen Kriegen wandte sich der philosophische Mainstream nach rechts: zur Romantik. Aber eine Minderheit zog aus der Gewalt-Periode 1789–1815 andere Konsequenzen und die ersten sozialistischen Schriften entstanden. Auf der Grundlage dieser turbulenten Jahrzehnte formierte sich das, was später als dialektischer Materialismus firmierte.

    Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war tatsächlich modern. Modern in dem Sinne einer Ouvertüre, in der die Melodien und Themen der nun folgenden Oper bereits angelegt sind. Manchmal lässt uns eine Übertreibung etwas Neues erkennen. Und es ist gewiss übertrieben, aber dennoch nicht völlig falsch, wenn wir mit Jossif Brodskij sagen:

    „Wozu das zwanzigste Jahrhundert, wir haben doch das neunzehnte schon."¹

    Die very essence des Marxismus lässt sich in der Negation des Eigentums finden. Das ist der Inhalt dieses Buches. Und damit können wir einen roten Faden bis zu einer modernen Theorie der postkapitalistischen Ökonomie aufrollen. Die vorliegenden Essays sind keine wissenschaftliche Detailarbeit, eher eine Skizze, die dafür im Gegenzug einer weitgespannten Perspektive folgt. Die Methode der Marxschen Analyse ist durch jahrzehntelangen Missbrauch durch Sozialdemokratie und Stalinismus desavouiert. Um sie wieder für die Zukunft fruchtbar zu machen, müssen wir uns die orthodoxe Dialektik aneignen, die Friedrich Engels 1886 als „bestes Arbeitsmittel und schärfste Waffe" ² bezeichnete.

    Das vorliegende Buch beantwortet schließlich die Frage: Was ist Sozialismus, was ist Kommunismus? Die Antwort lässt sich von dem objektiven Gang der Geschichte leiten und hat nichts mit einem politischen Programm zum Sozialismus zu tun. Überraschenderweise besteht auch unter Sozialisten und Kommunisten keineswegs Konsens, was denn nun eigentlich etwa Sozialismus ausmache und mit welchen Denkmethoden wir uns der Sache annähern können. Das sei nur nebenbei erwähnt und ist hier nicht die Hauptsache, erklärt aber doch, weshalb dieses Buch über einige Strecken auch einen polemischen Charakter trägt. Ohne Dialektik gelangt man zu einer statischen Sicht der Dinge, die dem realen, gewundenen, widerspruchsvollen und oft originellen Lauf der Geschichte und der zukünftigen Entwicklung nicht gerecht wird. Indes, die Dialektik lässt sich andererseits auch überstrapazieren, wie ein Bogen, der zu weit gespannt wurde und dann bricht. Auch hierfür finden sich prominente Beispiele – wie das Stufenmodell der kapitalistischen Entwicklung.

    In dieser Darstellung wird auch angedeutet, welche Quellen eine Akkumulation ohne Mehrwertproduktion hat, wenn wir den Begriff Akkumulation auch für die sozialistische Produktionsweise verwenden wollen. Im Detail soll dies an anderem Orte dargelegt werden.

    Das Eigentum

    Ist es möglich, den Kern des Marxismus in einem Satz zusammenzufassen, aus dem sich dann alles Weitere logisch ergibt? Und wie kam Karl Marx (1818–1883) dazu? Herkömmliche Darstellungen über das Thema beinhalten viel Text, vor allem wenn sie von Marxisten produziert werden. Darin steht meistens sehr viel Wahres – aber diese Texte helfen nicht, herauszufinden, was der starting point der Marxschen Analyse ist. Genau das ist aber, wie wir sehen werden, nicht ganz unwichtig, wenn es darum geht, sich über Wirtschaft und Gesellschaft ohne Kapitalismus klar zu werden. Um den starting point zu finden, muss man in jene Rolle schlüpfen, die gerade Karl Marx nicht fremd war: die des Entdeckers und Naturforschers. Man muss also Folgen von Ursachen und konkrete Erscheinungen vom Allgemeinen trennen. Nun, der starting point der gesamten politischen Ökonomie des Marxismus ist der einfache Satz:

    Die Arbeitskraft ist eine Ware.

    Das mag jetzt verwundern, vor allem jene, die etwas vom Marxismus verstehen. Ist nicht die Entdeckung des Mehrwerts der Ausgangspunkt der Marxschen Analyse des Kapitalismus? Freilich kann man die Aussage, dass Arbeitskraft eine Ware ist, akzeptieren und die daraus folgende Mehrwertaneignung durch das Kapital verneinen. Wie das ja auch gar nicht so wenige tun. Bloß: Dann hat man nicht völlig verstanden, was eine Ware oder was die Lohnarbeit eigentlich ist. Nach dem common sense kaufen die Unternehmer Arbeit für den Produktionsprozess, so wie sie auch Anlagen, Fahrzeuge, Technik und sonstiges Equipment kaufen. Aber die Arbeit ist bloß eine Tätigkeit, ein Einwirken der menschlichen Psyche auf den eigenen Körper und des Körpers auf die Materie. Richtig ist, dass diese Tätigkeit genutzt werden muss, um ein Feld zu bestellen oder Produkte in einer Werkstatt bzw. in einer Fabrikationshalle herzustellen. Andernfalls würde eben nichts produziert werden. Aber der Satz, dass Arbeit genutzt wird, bedeutet nicht, dass Arbeit zu diesem Zwecke gekauft wird. Nicht alles, was es gibt, wird gekauft.

    Verlassen wir eine der riesigen, modernen Fertigungshallen in Ostasien, wie etwa jene von Foxconn in China 2010 mit ihren uniformen Lohnarbeiterinnen aus der Provinz, machen wir eine gedankliche Zeitreise und schauen in einer der kleinen europäischen Werkstätten des 14. Jahrhunderts vorbei, etwa auf Murano. Hier wird fleißig gearbeitet, gehämmert, gedreht, genietet und gewalzt ... von wenigen Menschen, die dafür alle Arbeitsschritte beherrschen. Was fertig ist, verkauft der Gewerkmeister am Wochenmarkt oder liefert es seiner betuchten Kundschaft in San Marco. Aber wird hier seine Arbeit bezahlt? Eigentlich nicht. Sein Arbeitsprodukt, das Resultat der Arbeit, das Ergebnis der Arbeit, wird bezahlt, wird verkauft, während dem Meister die Werkstatt weiterhin gehört. Gehen wir noch weiter zurück und machen einen Abstecher auf einen Grundbesitz im Latium des 1. vorchristlichen Jahrhunderts. Es ist Sommer und die Leute schwitzen – sie rackern sich auf dem Feld ab. Bezahlt der Patron diese Arbeit? Nein, er hat bereits bezahlt, nämlich am Sklavenmarkt in Rom vor zwei Jahren. Und bezahlt hat er nicht für die Arbeit, sondern für die Sklaven. Sein Gutshof ernährt diese nun mit, sie sind ja sein Eigentum. In diesen beiden Fällen genügt es für die Ökonomie, dass das Lederzeug des mittelalterlichen Handwerks am Markt zur Ware wird, bzw. dass der Sklave am italischen Feld oder in den Bergwerken Thrakiens bereits Ware ist. Alles andere rund herum in der Wirtschaft muss keine Ware sein: Der Gutshof kann sich selbst ernähren, die Bauern in dem Dorf des Grafen neben dem Handwerksbetrieb der mittelalterlichen Stadt müssen 2/3 ihres Getreides an Burg und Stift abliefern. Dieses Getreide ist keine Ware. Die Warenzirkulation existiert nur so nebenbei, manchmal mehr, manchmal weniger. Es ist Beiwerk, ermöglicht durch fallweise auftretenden Überschuss.

    Aber die Lohnarbeit, die etwa Friedrich Engels (1820–1895) in dem modernsten Land des frühen 19. Jahrhunderts – erraten: England & Schottland – untersuchte³, funktioniert doch anders: Der Fabrikant besitzt nicht die Arbeiter wie Sklaven und er kauft ihnen auch keine Produkte ab. Er mietet sie auf Zeit. Er könnte ihnen auch gar kein Produkt abkaufen, denn die modernen Arbeiter haben keine Werkstatt, sie haben nur sich selbst, also ihre Fähigkeit, zu arbeiten. Kurzum: ihre Arbeitskraft. Der Fabrikant würde aber andererseits auch keine Sklaven brauchen. Für ihn sind Lohnarbeiter weit billiger, er bezahlt nur die Arbeitszeit, die sie tatsächlich arbeiten, nicht die Nichtarbeitszeit, die selbst bei den langen Fabrikarbeitszeiten des frühen 19. Jahrhunderts ca. die Hälfte des Tages ausmacht. Die Lohnarbeiter müssen sich selbst „reproduzieren". Im Gegensatz zu den Sklavenhaltern können die Industriellen die Arbeiter sofort auswechseln, ersetzen oder überhaupt zeitweise auf sie verzichten, falls der Geschäftslage danach ist. Aber vor allem: Die Lohnhöhe variiert auch mit Ausbildungsstand und Qualifikation und bildet somit ein Element, die Produktivkraft der Arbeit zu erhöhen – etwas, was mit der Sklaverei nicht zu machen war.

    Kommen wir nun zum Mehrwert.

    Die historische Voraussetzung für die Lohnarbeit ist somit einerseits . . .

    „die Trennung von Arbeit und Eigentum"

    . . . d.h. Kapital, andererseits ein allgemeiner Markt an Konsumgütern, dem die Lohnarbeiter mit ihrem Lohn gegenüber stehen. Beides ist sowohl Voraussetzung als auch Folge dieser Geschichte und dies ist einfach und schnell erklärt: Da die Menschen mehr arbeiten können, als es Zeit benötigt, ihre Konsumgüter herzustellen, arbeiten sie auch länger. Da die Arbeiter für ihren Lohn ihre Konsumgüter kaufen können und die Herstellung dieser Konsumgüter weniger Zeit benötigt, als die Arbeiter in der Fabrik arbeiten müssen, gehören jene Werte, die sie schaffen und über die Wertsumme ihrer Konsumgüter hinausgehen . . . dem Fabrikanten, der diese ebenfalls am Markt verkauft. Der Verkaufserlös dieser Waren ist der Mehrwert und davon abgeleitet: der Profit. Eigentlich haben die Waren, deren Verkaufserlös den Profit darstellt, die Arbeiter hergestellt, aber da nicht die Arbeit bezahlt wird, sondern bloß die Arbeitskraft, hat alles seine Richtigkeit. Denn der Wert der Arbeitskraft (noch einmal: der Arbeitskraft, nicht der Arbeit), besteht bloß in dem Wert der Konsumgüter, um diese Arbeitsfähigkeit aufrecht zu erhalten. Somit kommen wir zu einem der schönen Paradoxa der Ökonomie, die eben gerade Karl Marx auflöste: Ausbeutung – die Aneignung des von den Arbeitern geschaffenen Mehrwerts durch das Kapital – findet statt, auch wenn die Arbeiter gerecht entlohnt werden, wenn die Ware Arbeitskraft ihrem Wert gemäß bezahlt wird. Die Voraussetzung dafür ist eigentlich nur, dass alle Waren im Großen und Ganzen nach ihrem Wert getauscht werden, dass der Tauschwert die für sie verausgabte (einfache oder zusammengesetzte) Arbeitszeit ist. Aber das ist keine historisch geschaffene Voraussetzung wie die beiden oben erwähnten, sondern einfach Ergebnis der massenhaften Zirkulation von Waren, die am Markt bewirkt, dass der Preis der Ware ungefähr dem Wert entspricht. Auch hier: Der Wert der Ware Arbeitskraft bezieht sich nicht auf die Eigenschaft Arbeit, sondern auf die Eigenschaft Ware.

    David Ricardo (1772–1823) war hier nahe dran:

    „Der Wert einer Ware oder die Quantität einer anderen Ware, gegen die sie ausgetauscht wird, hängt ab von der verhältnismäßigen Menge an Arbeit, die zu ihrer Produktion notwendig ist, nicht aber von dem höheren oder geringeren Entgelt, das für diese Arbeit gezahlt wird."

    Das Entgelt, das für diese Arbeit gezahlt wird, ist aber nichts anderes als die verhältnismäßige Menge an Arbeit, die zu der Herausbildung jener „Ware Arbeitskraft" notwendig ist. Ricardo sieht die Arbeit, aber nicht die Arbeitskraft. Und da Ricardo Reichtum nur in seiner stofflichen Form erkannte, als Gebrauchsgüter, konnte er den Mehrwert nicht erkennen, höchstens das Mehrprodukt. Daher war für ihn die Zunahme der Arbeitsproduktivität immer mit einer Zunahme an kapitalistischem Reichtum verbunden, nicht mit Wertverlust. Der relative Mehrwert kann aber auch das Gegenteil bewirken: Zunahme des Kapitalwerts in Form von latentem Kapital (Geld) bei Beibehaltung der Menge an Gebrauchsgütern, die dieses Kapital produziert.⁶ Der Treppenwitz der Geschichte ist, dass David Ricardo den Kapitalismus analysierte, aber ohne durchgängig den Tauschwert zu verwenden und damit . . . zur (groben) Analyse der Akkumulation in der Planwirtschaft gelangte!

    Fassen wir zusammen: Hinter der Entdeckung des Mehrwerts steht eigentlich die Erkenntnis, dass Arbeitskraft Ware ist. Daraus folgt der Mehrwert und nicht umgekehrt. Und hinter der Erkenntnis, dass hier Arbeitskraft Ware ist, steht die Eigenschaft der Ware selbst und nicht umgekehrt. Wenn wir gleich Naturforschern vom Meer aus den Ursprung der Ströme und Flüsse erkunden wollen, gelangen wir vom Mündungsdelta schließlich zu den Bächen, den Rinnsalen, schließlich der Quelle, wo alles begann. Der Ursprung der Marxschen Analyse ist . . . die Ware.

    Was aber ist eine Ware?

    Abstrakt gesehen: Die Ware ist ein Resultat des Eigentums und wird am Markt nach ihrem Tauschwert gehandelt. Zwischen beiden Polen dieser Aussage, dem Eigentum und dem Tauschwert, besteht eine innere Verbindung: Ohne den individuellen Privateigentümer als Subjekt wäre der Tausch nach dem Wert nicht notwendig und die Gesellschaft könnte alle Arbeitsprodukte nach welchen Kriterien auch immer unter sich aufteilen. Und das war in der alten Gemeinschaft ja auch der Fall. Historisch gesehen entstanden Ware und Warenzirkulation zuerst als Beiwerk, als Überschuss der sich selbst versorgenden, vorwiegend agrarisch geprägten Gemeinden, und diente dem Handel mit anderen Gemeinden. So gesehen ist die Ware ein Resultat des Fortschritts der Produktivkräfte – freilich nur relativ zu der Ausgangslage, dass nämlich noch kein Mehrprodukt entsteht. Nach Marxens Studien konnte diese Frühform des Warenverkehrs durchaus auch auf der Basis von kommunalem Kollektiveigentum, etwa jenem der altindischen Gemeinden, entstehen.

    Aber die Ware basiert dennoch immerhin auf Eigentum.

    Eine Tatsache, die spätere Deutungen, die ausschließlich von der Frage der Arbeitsteilung ausgehen, schlichtweg unter den Teppich kehrt. Zwischen Eigentum, Ware und Kapitalismus gibt es eine eigentümliche genetische Beziehung. Besonders deutlich hatte dies Friedrich Engels 1880 formuliert:

    „Vor der kapitalistischen Produktion, also im Mittelalter, bestand allgemeiner Kleinbetrieb auf Grundlage des Privateigentums der Arbeiter an ihren Produktionsmitteln: der Ackerbau der kleinen, freien oder hörigen Bauern, das Handwerk der Städte. Die Arbeitsmittel – Land, Ackergerät, Werkstatt, Handwerkszeug – waren Arbeitsmittel des Einzelnen, nur für den Einzelgebrauch berechnet, also notwendig kleinlich, zwerghaft, beschränkt. Aber sie gehörten eben deshalb auch in der Regel dem Produzenten selbst."

    Hier haben wir zuerst einmal das Eigentum, sowohl an den Produktionsmitteln, als auch an den Produkten.

    „Aber die Bourgeoisie (. . . ) konnte jene beschränkten Produktionsmittel nicht in gewaltige Produktionskräfte verwandeln, ohne sie aus Produktionsmitteln des einzelnen in gesellschaftliche, nur von einer Gesamtheit von Menschen anwendbare Produktionsmittel zu verwandeln. (. . . ) Und wie die Produktionsmittel, so verwandelte sich die Produktion selbst aus einer Reihe von Einzelhandlungen in eine Reihe gesellschaftlicher Akte und die Produkte aus Produkten einzelner in gesellschaftliche Produkte."

    Jede Arbeitsteilung macht aus der Privatarbeit gesellschaftliche Arbeit und gesellschaftliche Produkte – eine gefährliche Terminologie übrigens, da ja die Produkte nach wie vor Privateigentum sind und die Arbeit, auch wenn arbeitsteilig, vom Privateigentum koordiniert wird. Gesellschaftliche Produkte – dieser Terminus bedeutet Privateigentum, aber gesellschaftlich produziert. Friedrich Engels wollte damit darstellen, was die historische Rolle der Bourgeoisie zum Inhalt hatte: Die Produktion (Arbeit und Produkt) gesellschaftlich zu machen und somit in einen objektiven Widerspruch zu den bürgerlichen Eigentumsverhältnissen zu bringen, der nur durch die Negation des Eigentums gelöst werden kann. Erst dann wären Privatproduktion und Privateigentum gleichermaßen negiert und wieder auf einer neuen Stufe in sich homogen.

    „Das Garn, das Gewebe, die Metallwaren, die jetzt aus der Fabrik kamen, waren das gemeinsame Produkt vieler Arbeiter, durch deren Hände sie der Reihe nach gehn mußten, ehe sie fertig wurden. Kein einzelner konnte von ihnen sagen: Das habe ich gemacht, das ist mein Produkt. Wo aber die naturwüchsige, planlos allmählich entstandne Teilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft Grundform der Produktion ist, da drückt sie den Produkten die Form von Waren auf, deren gegenseitiger Austausch, Kauf und Verkauf, die einzelnen Produzenten in den Stand setzt, ihre mannigfachen Bedürfnisse zu befriedigen."

    Dieser Passus allein konnte der falschen Vorstellung, die Ware entstünde nur durch die Arbeitsteilung, Vorschub leisten. Aber man muss im Auge behalten, was hier nicht noch einmal extra steht: Dass die gesellschaftliche Produktion die Konzentration der Produktionsmittel in den Händen der Bourgeoisie ermöglicht und umgekehrt durch sie ermöglicht wurde. Die Warenzirkulation befördert Reichtum und die Bildung von Privateigentum auf der einen Seite, und somit die soziale Zersetzung der alten Gemeindewirtschaften auf der anderen Seite. Am Ende dieses Prozesses folgt:

    „Wie wir gesehn haben, ist in der einfachen Zirkulation als solcher (dem Tauschwert in seiner Bewegung) die Aktion der Individuen aufeinander dem Inhalt nach nur wechselseitige interessierte Befriedigung ihrer Bedürfnisse, der Form nach Austauschen, Setzen als Gleiche (Äquivalente), so hier auch das Eigentum nur noch gesetzt als Appropriation des Produkts der Arbeit durch die Arbeit und des Produkts fremder Arbeit durch eigne Arbeit, insofern das Produkt der eignen Arbeit durch fremde Arbeit gekauft wird. Das Eigentum an fremder Arbeit vermittelt durch das Äquivalent der eignen Arbeit. Diese Form des Eigentums – ganz wie Freiheit und Gleichheit – in diesem einfachen Verhältnis gesetzt. In der weitren Entwicklung des Tauschwerts wird sich dies verwandeln und schließlich zeigen, daß das Privateigentum an dem Produkt der eignen Arbeit identisch ist mit der Trennung von Arbeit und Eigentum; so daß Arbeit = wird fremdes Eigentum schaffen und Eigentum fremde Arbeit kommandieren."¹⁰

    Das Interessante dabei ist die Entwicklungsgeschichte: Dass der industrielle Kapitalismus im Milieu der einfachen Warenproduktion entstand ...

    „Wir sahen, daß die kapitalistische Produktionsweise sich einschob in eine Gesellschaft von Warenproduzenten, Einzelproduzenten, deren gesellschaftlicher Zusammenhang vermittelt wurde durch den Austausch ihrer Produkte."¹¹

    . . . und die Gene der einfachen Warenproduktion in sich trägt. Die Verwirklichung dieser „genetischen Anlagen" – ein schönes Beispiel der Dialektik übrigens – bedeutete aber den Untergang der einfachen Warenproduktion. Sie wurde durch die billigeren und technisch überlegenen Produkte der großen Industrie verdrängt. Am Ende dieses Entwicklungsprozesses ist Eigentum von Arbeit getrennt. Bei der nun planmäßigen Produktion herrscht dennoch eine Art von Anarchie:

    „Aber jede auf Warenproduktion beruhende Gesellschaft hat das Eigentümliche, daß in ihr die Produzenten die Herrschaft über ihre eignen gesellschaftlichen Beziehungen verloren haben. Jeder produziert für sich mit seinen zufälligen Produktionsmitteln und für sein besondres Austauschbedürfnis. Keiner weiß, wieviel von seinem Artikel auf den Markt kommt, wieviel davon überhaupt gebraucht wird, keiner weiß, ob sein Einzelprodukt einen wirklichen Bedarf vorfindet, ob er seine Kosten herausschlagen oder überhaupt wird verkaufen können. Es herrscht Anarchie der gesellschaftlichen Produktion."¹²

    Der für uns wichtige Satz aus den „Grundrissen" lautet also:

    „(. . . ) daß das Privateigentum an dem Produkt der eignen Arbeit identisch ist mit der Trennung von Arbeit und Eigentum; so daß Arbeit = wird fremdes Eigentum schaffen und Eigentum fremde Arbeit kommandieren."¹³

    Die Ware ist daher immer Eigentum! Umgekehrt: Ohne Eigentum gibt es keine Ware. Wenn man so will, könnten wir somit unsere gedankliche Reise von dem Phänomen der Ausbeutung hin zu Lohnarbeit/Arbeitskraft und von der Lohnarbeit/Arbeitskraft zur Ware fortsetzen und hinter der Ware . . . das Eigentum festmachen.

    Kommen wir nun zur Kritik am Eigentum.

    Witzigerweise scheint das auch biographisch im Schaffen von Karl Marx der erste Schritt in Richtung Marxismus gewesen zu sein. Bereits in den ökonomisch-philosophischen Manuskripten aus dem Jahre 1844 ist der Dreh- und Angelpunkt das „Verhältnis des Privateigentums" – womit jedoch bereits das Kapitalverhältnis gemeint ist; so hätte es Marx später formuliert.¹⁴ Und die Frage, wie der Forscher Karl Marx ein Marxist wurde – nebenbei: Marx wäre vermutlich der Erste gewesen, der die Mystifizierung des Marxismus und den Personenkult des 20. Jahrhunderts mit bissigem Spott beantwortet hätte – lässt sich durch Indizien beantworten. Eines davon: Wie der junge Marx mittels einer historischen Herangehensweise die Hegelsche Rechtsphilosophie verarbeitete. Im Staatsrecht des noch in den 1840er Jahren übermächtigen Meisters der Dialektik, Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831), heißt es:

    „Gegen die Sphären des Privatrechts und Privatwohls, der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft ist der Staat einerseits eine äußerliche Notwendigkeit und ihre höhere Macht, deren Natur ihre Gesetze sowie ihre Interessen untergeordnet und davon abhängig sind; aber andererseits ist er ihr immanenter Zweck und hat seine Stärke in der Einheit seines allgemeinen Endzwecks und des besonderen Interesses der Individuen, darin, daß sie insofern Pflichten gegen ihn haben, als sie zugleich Rechte."¹⁵

    Gegen die Gegenüberstellung von allgemeinem öffentlichen Recht und besonderen Privatinteressen wie das Eigentum – eine Vorstellung, die übrigens heute noch quicklebendig ist – setzte Marx in einer seiner ersten Schriften die Analyse, dass das allgemeine Recht den Schutz des Privateigentums zum Inhalt hat:

    „Es versteht sich übrigens von selbst, daß alle Staatsformen zu ihrer Wahrheit die Demokratie haben und daher eben, soweit sie nicht die Demokratie sind, unwahr sind. In den alten Staaten (. . . ) – hier meint Marx den mittelalterlichen Staat des Feudalismus – „(. . . ) bildet der politische Staat den Staatsinhalt mit Ausschließung der andern Sphären; der moderne Staat ist eine Akkommodation zwischen dem politischen und dem unpolitischen Staat. In der Demokratie hat der abstrakte Staat aufgehört, das herrschende Moment zu sein. Der Streit zwischen Monarchie und Republik ist selbst noch ein Streit innerhalb des abstrakten Staats. Die politische Republik ist die Demokratie innerhalb der abstrakten Staatsform. Die abstrakte Staatsform der Demokratie ist daher die Republik; (. . . ) – hier nimmt Marx bloß die Argumente Hegels auseinander, schließt dann aber, für uns bedeutungsvoll – „(. . . ) sie hört hier aber auf, die nur politische Verfassung zu sein. Das Eigentum etc., kurz der ganze Inhalt des Rechts und des Staats, ist mit wenigen Modifikationen in Nordamerika dasselbe wie in Preußen."¹⁶

    Und Friedrich Engels schreibt im selben Jahr über die bürgerliche Wirtschaftstheorie:

    „(. . . ) die Ökonomie ließ sich nicht einfallen, nach der Berechtigung des Privateigentums zu fragen."¹⁷

    Engels Hauptkritik an der klassischen Ökonomie besteht in diesem Text aus dem Jahr 1844 gerade darin, nachzuweisen, dass in dieser das Privateigentum absolut gesetzt wird, also nicht als ein Ergebnis der Geschichte, das es wieder aufzuheben gilt, um die historische Spaltung von besitzloser Arbeit und arbeitslosem Besitz samt allen daraus stammenden Folgen wieder zu beenden.

    Aber um welchen Begriff vom Eigentum geht es hier überhaupt?

    Die Intervention von Marx und Engels bezüglich des Eigentumsbegriffs in den 1840er Jahren bezog sich nicht nur auf das Absolut-Setzen des Privateigentums, etwa in Hegels Rechtsphilosophie. Vielmehr geht es auf dieser Grundlage dann weiter um die Frage, was die Aufhebung des Privateigentums eigentlich bedeutet. Denn das Eigentum ist kein selbstständiges Element der Geschichte, sondern bezieht sich immer auf einen bestimmten Entwicklungsstand der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse. Nur durch eine konkrete Bestimmung des Eigentums kann sich eine Antwort ergeben, was die Negation des Eigentums eigentlich sei. Proudhons (1809–1865) berühmtes Verdikt „Eigentum ist Diebstahl geht eigentlich auf den Girondisten Brissot (1754–1793) zurück. Marx unterzog Proudhons Buch „Philosophie des Elends in dem Brief an Annenkow vom 28. Dezember 1846 einer Kritik, auf die ein Jahr später seine Polemik gegen Proudhon, „Das Elend der Philosophie",

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