Das unheilvolle Niesen: Ein Potpourri kleiner Geschichten und Impressionen
Von Monica Wegmann
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Über dieses E-Book
Zürich, hat nicht eine steilgerade Karriere hinter
sich. Die verschiedenen Stationen in ihrem Leben
haben sie hellhörig und empfindsam gemacht.
Ohne aufdringlich zartfühlig zu werden, wirft sie
gerne den Fokus auf die alltäglich kleinen, gerne
übersehenen Dinge und Wunder von kleinen und
grossen Leuten. Die Geschichten kommen kunterbunt
daher, die bezaubernden Episoden und Impressionen
atmen die grosse Liebe zu den Menschen, deren
spannende Geschichten oft mit einem Augenzwinkern
zum Ausdruck gebracht werden. Die Leserin
und der Leser erkennen in jedem Satz ihr Engagement
und schätzen, dass sie so viel zu geben, das
heisst in diesem Fall zu erzählen hat.
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Buchvorschau
Das unheilvolle Niesen - Monica Wegmann
Licht aus dem Fenster
Die Sonne überflutet mit ihrem blassgelben Licht die ganze Stadt. Wie mit Messern schneidet ihr der Wind ins Gesicht. Sie kann sich nicht mehr erinnern, hat vergessen, wie sie heisst, wo sie wohnt. Auch kommt ihr beim besten Willen nicht in den Sinn, wo sie sich jetzt gerade befindet.
Gerda ist sechsundachtzig Jahre alt. Ein kleines zierliches Persönchen mit faltigem Gesicht und schelmischen Augen. Ein immer fortwährendes Lächeln erhellt ihr Gesicht. Sie schenkt es jedermann und bekommt so immer wieder eines geschenkt. Immer ist sie zu einem Scherz aufgelegt. Die paar Freunde, die ihr noch geblieben sind, das heisst, die wenigen die noch nicht gestorben sind, lieben Gerdas heiteres Wesen, ihre Spässe und die Liebe, die sie allzeit bereit ist zu verschenken. Keiner weiss heute mehr so genau, wann das mit der Vergesslichkeit begonnen hatte. Es kam so allmählich und geschah in letzter Zeit immer häufiger.
Sie steht jetzt in der Bahnhofstrasse in Zürich und schaut lächelnd dem bunten Treiben zu. Wie hat sie es bis hierher mit dem Bus und Tram geschafft? Sie hat keine Ahnung mehr. Doch das ist im Augenblick auch nicht wichtig. Viel zu viel gibt es hier zu sehen. Da sind zum Beispiel die bunten Trams mit den lustigen Buchstaben, die auf dem Tram tanzen, und mit Bildern, die zu leben scheinen, andere wieder nur bunt angemalt. Fasziniert schaut Gerda den Leuten zu, wie sie ins Tram ein- oder aussteigen. Junge Leute mit verwegenen Frisuren und nachlässiger Kleidung, Damen mit Einkaufstüten, vornehm gekleidete Herren in Anzügen und Aktentaschen und ältere Leute, die sich ganz einfach treiben lassen.
Da sie fröstelt, beschliesst sie, noch ein wenig weiterzugehen. Sie beginnt die Bahnhofstrasse hoch zu schlendern. Herrlich, all die unzähligen Menschen und die vielen verschiedenen Schaufenster! Sie ist begeistert von der Farbenpracht der Auslagen und entsetzt über die Preise, die hier ein Paar Schuhe oder ein Mantel kosten.
Manchmal wird sie gegrüsst und grüsst zurück. Nett, die Leute hier. Manchmal hält auch jemand an, um ein paar Worte mit ihr zu wechseln.
Doch irgendetwas stimmt nicht mit ihr, denn immer, wenn sie etwas über sich erzählen will, ist da bloss eine grosse Leere. Es gibt nur das Jetzt, nur diesen Augenblick. Leichte Panik kommt in ihr hoch, doch sie schiebt diese Gedanken beiseite. Sie will sich jetzt freuen und nicht belasten.
Sie ist jetzt am Paradeplatz angekommen. Da biegt sie links ab Richtung Gemüsebrücke, um von dort in die Altstadt zu gelangen. Es ist noch früh. Vier Uhr nachmittags. Es beginnt allerdings schon einzudunkeln. Gerda friert immer mehr. Sie möchte nach Hause. Aber wo ist das, ihr Zuhause? Sie bleibt auf der Brücke stehen und schaut hinab auf die Limmat. Das Wasser läuft ganz ruhig dahin. Gerda denkt bei sich: Gell, du bist wie ich: ein bisschen träge, aber kommst auch voran. Na, ich wird’s schon wieder auf die Reihe kriegen.
Sie kreuzt die Arme und rubbelt sich mit den Händen die Oberarme warm. Dann geht sie weiter, überquert beim Limmatquai die Strasse und wundert sich, warum die Autos hupen und Reifen quietschen. Sie läuft einfach weiter und kommt in die Altstadt, das Niederdorf, wie man hier sagt.
Kreuz und quer läuft sie durch die Gassen und Gässchen. Überall hängen historische Tafeln, die sie ganz genau liest. Wie viele wichtige Leute lebten einmal hier! Überall verströmen Kebab- und Wurststände ihren herrlichen Duft. Unglaublich viele Cafés es hier gibt! Und so viele Restaurants, die Spezialitäten aus aller Welt anpreisen. Gerade überlegt sie, wann sie eigentlich zuletzt etwas gegessen hat. Sie weiss es nicht, aber sie verspürt Hunger. Na, dann wird sie einfach beim nächsten Stand was kaufen.
Sie kommt zu einem runden Platz und entscheidet sich für die linke Gasse. Da steht ja ein Wurststand! Nun die Entscheidung: Bratwurst oder Cervelat? Sie entscheidet sich für einen Cervelat mit einem Büürli. So eine feine Wurst mit einem knusprigen Brötchen, darauf hat sie jetzt Appetit.
Ach so ja, irgendwo muss sie doch Geld haben. Erst jetzt bemerkt sie, dass sie gar keine Handtasche bei sich hat. Sie erschrickt und durchsucht aufgewühlt die beiden Manteltaschen – doch nichts! Vielleicht in der Hosentasche? Auch nichts. Jetzt fängt sie an, sich Sorgen zu machen: Wo bin ich? Wie bin ich hierhergekommen? Wo bin ich zu Hause? Frierend und wie gelähmt steht sie da. Tränen laufen ihr über die Wangen. In diesem Moment fühlt sie sich unendlich einsam und verloren.
Der Wursthändler beobachtet sie schon eine Weile. Er sah ihr freudiges Lächeln, ihre Bemühungen Geld zu finden, ihre Bestürzung und jetzt ihre Tränen. Er nimmt einen Cervelat und ein Büürli, tut noch etwas Senf auf den Pappteller und bringt das Ganze dem Mütterchen. Gerda sagt, dass sie kein Geld hat. «Ich weiss», brummt der Wursthändler, «da nimm!»
Ein Strahlen und Leuchten zieht über Gerdas Gesicht. Über der Freude vergisst sie ihre Sorgen. Der Wursthändler zeigt sich gerührt und macht sich brummend hinter seinem Stand zu schaffen. Gerda isst die Wurst und das Brot mit sichtlichem Appetit. Es schien ihr, dass sie noch nie so etwas Gutes gegessen hat. Als sie auch das letzte Krümelchen verzehrt hat, bringt sie dem Wursthändler den Pappteller zurück und schenkt ihm ihr schönstes Lächeln. Die Falten in ihrem Gesicht scheinen zu verschwinden, nur noch Dankbarkeit spricht daraus.
In der Zwischenzeit ist es dunkel geworden, und Gerda fühlt sich sehr müde. Sie will nach Hause. Will schlafen. Das dort drüben muss der richtige Weg sein, da er ihr bekannt vorkommt. Doch dann kennt sie ihn doch nicht. Immer wieder kommt sie an Orte, die ihr bekannt vorkommen, die sie aber letztlich nicht kennt.
Nach weiteren zwei Stunden ist sie völlig erschöpft und friert entsetzlich. Sie stellt sich in den Eingang eines Restaurants, um sich ein wenig aufzuwärmen. Als der Kellner jedoch von ihr wissen will, ob sie auf jemand warte oder ob sie jemand suche, schüttelt sie nur traurig den Kopf und geht wieder in die kalte Nacht hinaus. Die Gassen und Gässchen sind nun nicht mehr so belebt. Die Einkaufsläden und Boutiquen schliessen ihre Läden. Sie läuft und läuft, und die Füsse schmerzen. Trotz allem freut sie sich über die bunten Schaufenster, die Lichter und die freundlichen Menschen, die sie immer wieder grüssen.
Es sind jetzt andere Leute, die das Niederdorf bevölkern. Die Geschäftsleute und Einkaufsbummler sind abgelöst worden durch Feierabendbummler, Herren und Damen, die in einem der Restaurants dinieren wollen, und jungen Leuten, die plaudernd durch die Gassen ziehen, in Erwartung, dass etwas geschieht. Vor einem Kino stehen die Leute Schlange. Das muss ein guter Film sein. «Kevin allein zu Hause», liest sie auf der Neontafel, die über den Lampen prangt.
Langsam gehen die Lichter in den Cafés und Restaurant aus. Nur noch vereinzelt ertönt da und dort Musik, und nur noch einzelne Fenster schicken ihr rotes oder gelbes Licht auf die Strasse.
Gerda ist jetzt in einem Seitengässchen, wo es keine Cafés und Restaurants mehr gibt. Auch sieht sie keine Einkaufsläden mehr. Hier scheinen die Leute zu