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Travestie der Liebe: Wiener Literaturen Band 5
Travestie der Liebe: Wiener Literaturen Band 5
Travestie der Liebe: Wiener Literaturen Band 5
eBook163 Seiten1 Stunde

Travestie der Liebe: Wiener Literaturen Band 5

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Über dieses E-Book

Else Feldmann zählt zu den unverdient vergessenen Autorinnen Österreichs. Von ihrem Leben weiß man heute nicht mehr viel, auch viele ihrer Texte sind verschollen oder vernichtet. - Alle anderen sind eine Entdeckung!
In ihren Erzählungen nimmt sie wie im Vorübergehen (Alltags-)Szenen und Eindrücke auf. Klar und eindringlich schreibt sie vom oft schweren Leben in der Großstadt, vom Miteinander verschiedener Gesellschaftsschichten, von unermüdlich Arbeitenden, von Not und Glück, die oft näher beieinanderliegen, als man glaubt.
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Atelier
Erscheinungsdatum1. Juni 2015
ISBN9783903005860
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    Buchvorschau

    Travestie der Liebe - Else Feldmann

    DREI MENSCHEN

    Fräulein N. N. hatte für sich und noch zwei Personen zu sorgen. Sie gehörten nicht zum engen Kreise ihrer Angehörigen oder Verwandten. Das alles hatte sich auf besondere Art gefügt. –

    Fräulein N. N. war eben eines Tages aus der Kleinstadt in die Großstadt gekommen. In ihrem Heimatstädtchen hatte sie einen Gemischtwarenladen geführt, Kinder aufgezogen, gekocht, gewaschen, gebügelt – alles, was im fremden Haushalte zu tun war. Eines Tages war sie überflüssig und auf die Straße gesetzt worden. Nach kurzem Entschluß fuhr sie in die große Stadt, fand Unterkunft bei einer alleinstehenden Frau, einer Klavier- und Sprachenlehrerin, die an einem Augenübel litt. Tagsüber lief die Frau herum zu ihren Schülern, die in allen Winden zerstreut wohnten. Abends kam sie müde heim, zündete eine Kerze an, legte sich zu Bett.

    In der Kammer wohnte Fräulein N. N., die eine Stelle als Aushilfsköchin in einem Gasthause gefunden hatte. Die frühere Köchin kam aber nach kurzer Krankheit wieder zurück, und man entließ Fräulein N. N. Acht Tage vergingen ohne Stelle. Da litt Fräulein N. N. viel Hunger.

    Einmal am Abend rief die Lehrerin sie zu sich ins Zimmer.

    »Was tun Sie in Ihrer Kammer?«

    »Nichts, ich wollte mich soeben schlafen legen.«

    »Essen Sie mit mir erst Abendbrot. Sie hatten einen Hering und Brot.

    Am dritten Abend sagte Fräulein N. N.:

    »Es geht nicht, daß ich Ihnen das bißchen Abendbrot wegesse. Morgen werde ich schauen, etwas Geld einzunehmen.«

    Am andern Tage lief sie die Straßen ab, in viele Läden, in manche Gasthausküche guckte sie hinein, fragte, ob man niemand brauche.

    Man brauchte sie nicht.

    Da färbte sie am Abend ihr Gesicht mit rosa Papier, kräuselte ihr Haar, zog eine Locke verrucht in die Stirn und ging in einer Gasse spazieren, auf und ab. Und brachte einiges Geld mit.

    Fräulein N. N. hatte ein Buch genommen, sie war eingeschrieben, geduldet, reglementiert. Wenn die Lehrerin vom Unterrichten heimkam, fand sie warmes Essen im Ofenrohr. Den Tisch sauber gedeckt. Fräulein N. N. kam erst gegen Morgen, wenn die Lehrerin sich auf den Weg machte.

    Nach Ablauf eines Jahres erschien der Sohn der Lehrerin, bleichwangig, abgezehrt, in einem zerrissenen, schmutzigen Hemd, schäbigen Kleidern und Schuhen, und erklärte, er habe genug Entbehrungen im Gefängnis gelitten, jetzt wolle er sich bei seiner Mutter ausruhen und erholen. –

    Die ersten Tage zeigte er guten Willen. Er machte sich im Hause nützlich, strich die Küchenmöbel grau an, kaufte blaue Farbe und tünchte die Wände in der Kammer. Als dies alles geschehen war, sagte er, nun werde er nur noch die alte Nähmaschine vom Roste putzen und ölen und fortan ausruhen.

    Das tat er auch; lag den ganzen Tag auf dem Sofa und sang die traurigen Weisen des Gefängnisses.

    Die langen Nächte hustete er heftig. Seine Mutter kam mit bloßen Füßen an sein Lager und wickelte ihn wie ein kleines Kind in ihr Wolltuch ein. Dabei flüsterte sie: »So – schlaf schön, mein Kind, bist ja wieder bei mir.«

    Er klagte aber den ganzen Tag, er bekäme kein Bier, davon komme er noch ganz herunter. Ein Mann müsse doch täglich seine Flasche Bier haben; was wäre das sonst für ein Mann?

    Ach, wie war er häßlich bis zur Lächerlichkeit. Nichts war am Platze in diesem Gesicht. Nicht Augen noch Nase noch Mund. Alles am schiefen, ungeeigneten Ort. Wenn Zorn ihn packte, sah er wie ein Teufel und nicht wie ein Mensch aus.

    Und doch kam Nacht für Nacht die Mutter, von seinem bösen Husten geweckt, und hüllte ihn ein.

    Ehe Fräulein N. N. abends ausging, setzte sie zwei Teller auf den Tisch und eine Flasche Bier.

    Und als es immer schlimmer mit dem Augenübel der Lehrerin wurde, und sie zuletzt gar nicht mehr ausgehen konnte, sagte Fräulein N. N.: »Jetzt leben wir eben von dem, was ich verdiene.«

    Die Lehrerin sagte: »Nun bin ich ganz blind geworden, aber ich kann ihn trotzdem nicht fortschicken, sonst stellt er etwas an und kommt wieder ins Gefängnis.«

    »Wir wollen ihn hierbehalten«, sagte Fräulein N. N.

    Und das ging so Jahre und Jahre.

    Einmal kam Fräulein N. N. mitten in der Nacht von der Straße.

    Die frühere Lehrerin saß gerade am Bette ihres Sohnes, dem heute die Brust sehr schmerzte. Soeben war er – in Schweiß gebadet – eingeschlafen.

    Die zwei Frauen flüsterten miteinander:

    »Ich werde heute nicht mehr ausgehen. Es ist kalt, es regnet, und niemand kommt.«

    »Niemand kommt?«, fragt die Blinde.

    »Niemand. Die lachenden Mädchen werden weggeholt, mich läßt man in meiner Ecke stehen.«

    »Nein, nein – es ist besser, heute nicht mehr zu gehen.«

    »Es ist häßlich kalt und Regenwetter, und sie lassen mich in der Ecke zurück. Die Jungen, die lachen können, nehmen sie mit sich. Ich möchte mich am liebsten gleich in die Kammer legen und dort verhungern, ehe ich noch einen Schritt auf das nasse Pflaster setze.«

    Stille; in der blinde Augen lautlos weinten, eine kranke Brust pfiff. Kerzenlicht flackert in der Finsternis auf. Eine Stimme spricht:

    »Wir müssen morgen den Doktor holen, er fiebert. Medizin, Lebertran muß gekauft werden. – Vorwärts, ich gehe wieder.«

    VARIETÉ

    Im Vorzimmer des Theateragenten.

    Zwei junge Mädchen in Seidenkleidern warten; sie plaudern miteinander. Die eine erzählt von dem Städtchen N., wo sie zuletzt war. Die Sätze überstürzten sich.

    »Ach N., dieses Nest!«, sagt die andere. »Da lasse ich mich lieber gleich begraben; ich gehe nur in große Städte, am liebsten ins Ausland.«

    »Ins Ausland? Da kommt man doch nicht hin. Mir ist es einerlei. Jung und schön muß man sein!«

    »Und können muß man auch etwas – sonst ist man nur dafür – –«

    »Man muß sich mit Vernunft verlieben.«

    »Ach was«, sagt die eine, »ich bin achtzehn Jahre alt« (sie war achtundzwanzig), »nun bleibe ich zwanzig Jahre lang jung; das ist in unserem Beruf eine Möglichkeit.«

    Eine Dame ist eingetreten; sie ist ungemein aufrecht und stolz; man merkt aber, daß es eine einstudierte Haltung ist. Der Diener ersucht sie, zu warten, es sei jemand im Zimmer bei Herrn Sänger. Sie sieht an dem Diener vorbei und sagt laut, aber mit gebrochener Stimme:

    »Ich bitte, nur meinen Namen zu nennen.«

    »Jawohl, meine Gnädige, aber nach der Reihe, die zwei Fräuleins warten auch.«

    Das war das Ende. Man ließ sie im Vorzimmer warten.

    Sie ging in eine Ecke, setzte sich, das Gesicht der Wand zugekehrt, sank in sich zusammen. Tränen kamen ihr in die Augen – jetzt, da niemand sie sah. Nach einigen Minuten stand sie auf, ging zur Tür, kehrte unentschlossen zurück. Der Diener kam, ließ einen Herrn eintreten.

    Der Herr sah sie an, lächelte ein wenig, ging an ihr vorüber; er setzte sich fröstelnd und zitternd – obwohl es warm war – in den bequemsten Lehnstuhl und betrachtete die beiden jungen Mädchen.

    Aber seine Blicke waren zerstreut. Die Muskeln seines Gesichtes zuckten; es war etwas über ihn gekommen. –

    Die Dame nahm sich endlich zusammen, riß nochmals die Tür auf und sagte dem Diener: »Gehen Sie hinein und sagen Sie Herrn Sänger, Mitzi Schürer ist da!«

    In dem Augenblick kam Herr Sänger mit einer Dame und einem Herrn aus seinem Sprechzimmer. Es war, wie man auf den ersten Blick sah, eine junge Künstlerin mit ihrem Gönner oder Freund.

    Die zwei Fräuleins gingen hinein: »Wir sind gleich fertig, unterschreiben nur unsere Verträge.«

    Die Dame und der Herr blieben im Vorzimmer. Hartnäkkig, mit abgekehrten Gesichtern, saßen sie sich gegenüber, als kennten sie einander nicht. Beide schämten sich, zitterten vor schmerzlicher Scham, einander hier getroffen zu haben: zwei alte, ausgemusterte »Künstler«, abgetane Größen, die eine Stelle suchten. Nun kamen sie als Nächste an die Reihe.

    Zuerst die Dame. Der Agent erkannte sie, sagte seine Artigkeiten. Das war Mitzi Schürer, die wieder auftreten wollte. Als junger Mensch hatte er ihren Ruhm miterlebt, heute war er selbst grauhaarig, beinahe alt. Hübsch war sie ja nie gewesen und ihre Stimme nicht besonders schön, aber sie war ein »Temperament«, ein »Brettl-Genie«, und sie hatte diese paar frechen Wiener Lieder einst gesungen, daß es die Leute verrückt gemacht hatte. Was heute vor ihm steht, ist ein häßliches, altes Weib, derb geschminkt, verschwitzt, ängstlich, die Clownnase sitzt grotesk in dem schwammigen Gesicht. Mitzi Schürer von einst ist spurlos dahin.

    »Was werden Sie singen?«, fragte der Agent

    »Die Lieder von damals«

    »Passen die heute noch?«

    »Mein Name wird ziehen.«

    »Ja, ja, es ist wahr.«

    Der Agent kennt das: Mitzi Schürer – der Traum – die Erinnerung –

    »Alles wollen Sie wieder singen? Auch das:

    … und die weißen Madeln

    in kurze Kladeln

    und dünne Wadeln

    – – – – – – – – – – – – – – –«

    »Ja, das auch!«

    Es ist wie ein Aufschrei; packt sie wie ein starrer Schrecken. Sie ist wie aus dem Grabe auferstanden.

    »Vielleicht singen Sie mir etwas vor.«

    Der Agent ist vielseitig. Er begleitet sie selbst. Sie singt.

    »Ja, es geht noch«, sagt er. »Aber in großen Varietés ist nichts mehr frei. Nur noch in einem Café in der Vorstadt. Café Royal. Das Engagement dauert einen Monat. Die Gage ist nicht groß, aber mehr als nichts« – er nennt die Summe.

    »Könnte ich nicht etwas mehr bekommen?« will sie fragen – schweigt aber – denn was würde sie hören! Wenn man sechsundfünfzig Jahre alt ist, unter der blonden Perücke sein weißes Haar hat, kann man keine Ansprüche machen. Sie hätte beinahe nicht mehr daran gedacht, irgendwo unterzukommen, hatte sich schon mit dem Gedanken vertraut gemacht, bald ins Armenhaus zu gehen. Mit all den Mitteln und Medikamenten wird es einen Monat lang gehen. Wird es gehen? ist aber die bange Frage.

    »Traurig ist es«, sagt sie zu sich, während sie das Zimmer verläßt, »daß man im Alter noch arbeiten muß, um nicht zu verhungern«, und zieht ihren dichten Schleier herab, damit man ihre weinenden Augen nicht sehe. – –

    Dann wird der Herr gerufen.

    Lebhafte Begrüßung. O natürlich – die einstige Berühmtheit!

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