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Das Geheimnis der Sternenuhr
Das Geheimnis der Sternenuhr
Das Geheimnis der Sternenuhr
eBook425 Seiten4 Stunden

Das Geheimnis der Sternenuhr

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Über dieses E-Book

Durch eine Tür in eine Welt voll Magie und Abenteuer

Imogen und ihre nervige kleine Schwester Marie folgen einer Silbermotte in einen verborgenen Garten. Die Motte führt sie zu einer Tür in einem großen, alten Baum. Dahinter verbirgt sich eine Welt wie aus dem Märchen. Ein Königreich, das von düsteren Kreaturen bedroht wird, die nachts ihr Unwesen treiben, wenn sich die Menschen in ihren Häusern verbarrikadiert haben. Hier müssen die beiden Schwestern zusammenhalten, um den verwöhnten Prinzen Miro und mit ihm eine ganze Welt vor dem Untergang zu retten. Dabei wollen sie eigentlich nur eines: zurück nach Hause. Zum Glück helfen ihnen ein Tanzbär, eine mutige Jägerin … und die geheime Sternenuhr.

SpracheDeutsch
HerausgeberDragonfly
Erscheinungsdatum20. Apr. 2021
ISBN9783748850168
Das Geheimnis der Sternenuhr
Autor

Francesca Gibbons

Francesca Gibbons hat schon immer Geschichten erzählt. Die Idee zu rund um die geheimnisvolle Sternenuhr kam ihr schon als Kind. Umso mehr freut sie sich, dass sie nun im Zentrum ihrer ersten Trilogie steht. Aufgewachsen in Staffordshire, hat Francesca an der University of Bristol Englisch studiert und lebt heute mit ihrem Mann in den Cotswolds. Wenn sie keinen Roman schreibt, arbeitet sie als Texterin.

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    Buchvorschau

    Das Geheimnis der Sternenuhr - Francesca Gibbons

    Deutsche Erstausgabe

    Copyright © 2021 Dragonfly

    in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

    Alle Rechte für die deutschsprachige Ausgabe vorbehalten

    First published in English in Great Britain

    by HarperCollins Children’s Books,

    a division of HarperCollins Publishers Ltd.

    under the title: A Clock Of Stars. The Shadow Moth

    Copyright Text © Francesca Gibbons 2020

    Coverdesign & Illustrationen von Cornelia Haas

    E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

    ISBN E-Book 9783748850168

    www.dragonfly-verlag.de

    Facebook: facebook.de/dragonflyverlag

    Instagram: @dragonflyverlag

    Widmung

    Für Mini und Bonnie,

    die für mich immer klein bleiben werden

    Prolog

    Das Monster stand allein am Berghang. Es streckte die Hände aus.

    »Fliege mutig und geschwind und mit dem Willen der Sterne. Tust du auch nur eins, so hilf zurückzuholen, was unser ist.«

    Es spreizte die Klauen, sodass der Falter genügend Platz hatte, um durch die Zwischenräume zu entkommen. Er kroch über den Handrücken des Monsters und einmal um sein Handgelenk herum. Sein Körper war silbergrau und flauschig.

    »Fliege mutig und geschwind und mit dem Willen der Sterne. Tust du auch nur eins, so hilf zurückzuholen, was unser ist.«

    Der Falter öffnete und schloss die Flügel, um zu zeigen, dass er überlegte. Dann krabbelte er den Arm des Monsters hinauf. »Ich hatte vergessen, was für merkwürdige Wesen ihr seid«, sagte das Monster und kratzte sich den kahlen Kopf. »Alle anderen Falter sind einfach fortgeflogen.«

    Die winzigen Beine des Falters kitzelten das Monster am Schlüsselbein. Es schloss die Augen und wiederholte seine Worte ein drittes Mal.

    »Fliege mutig und geschwind und mit dem Willen der Sterne. Tust du auch nur eins, so hilf zurückzuholen, was unser ist.«

    Das Monster öffnete die Augen wieder. Der Falter krabbelte jetzt über sein Gesicht, an den Zähnen vorbei, die wie Hauer vorstanden, über die eingedrückte Nase hinweg und bis oben auf seinen Kopf.

    »Das ist alles«, sagte das Monster. »Du bist an Zubys Ende angelangt. Mehr gibt es von mir nicht.«

    Ein leichtes Flügelschlagen und das Monster schaute hoch. Der Falter flatterte fort, aber er flog nicht über den Wald, wie die anderen Falter, die Zuby vor ihm freigelassen hatte. Er flog die Bergwand hinauf.

    Obwohl Zuby so scharf sehen konnte, verlor er ihn in der Dunkelheit bald aus den Augen.

    »Wo willst du denn hin?«, rief das Monster. »Zwischen den Sternen wirst du es nicht finden!«

    EINS

    Kapitel 1

    »Du glitschiges Ungeheuer der Tiefe, mach dich zum Sterben bereit!«

    Die Ritterin griff an. Die riesige Meeresnacktschnecke bleckte die Zähne, knurrte und rutschte schützend vor den Schatz. Aber die Ritterin war schnell. Ihr Schwert versank im weichen, schleimigen Fleisch des Ungeheuers.

    »Das ist die Stelle, an der du stirbst«, sagte die Ritterin.

    »Ich will nicht sterben«, sagte die Meeresnacktschnecke.

    »Musst du aber. Du bist die Böse.«

    »Warum muss ich denn immer die Böse sein?«

    »Marie! Du hast es versprochen.«

    »Aber wie wäre es, wenn diesmal die Ritterin stirbt? Die Meeresnacktschnecke schleppt sie weg –«

    »Nein. So geht die Geschichte nicht. So hab ich sie nicht geschrieben. Die Ritterin tötet das Ungeheuer und holt sich den Schatz zurück, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.«

    »Alle außer der Nacktschnecke …«

    »Das ist bloß eine Nebenrolle.«

    Die Meeresnacktschnecke begann, sich aus ihrem Kostüm zu schälen.

    »Was machst du denn da?«, fragte die Ritterin. »Wir sind noch nicht fertig.«

    »Ich wohl.«

    »Aber was ist mit der Generalprobe?«

    Die Meeresnacktschnecke öffnete die Schatztruhe und strich mit den Fühlern über die Edelsteine. »Also, wenn ich nur eine Nebenrolle habe, dann kommst du auch gut ohne mich klar.«

    »Finger weg – das ist meine Steinesammlung«, sagte die Ritterin. Sie ließ ihr Schwert fallen und griff nach der Schatztruhe. Der Deckel ließ sich leichter bewegen als gedacht und quetschte ein paar Fühler der Meeresnacktschnecke ein. Das Monster heulte auf.

    Diesmal kämpften sie richtig. Unter ihrem Kostüm war die Meeresnacktschnecke ein kleines Mädchen mit rosa Haut und strubbligem roten Haar. Sie hieß Marie.

    Marie stopfte die geklauten Steine in ihre Taschen. »Du hast gesagt, ich darf einen Stein behalten!«, schrie sie.

    Die Ritterin hatte kurzes braunes Haar, das sie selbst geschnitten hatte, und ganze Kolonien von Sommersprossen, die sich wie eine Kriegsbemalung auf ihren blassen Wangen ausbreiteten. Ihre Rüstung hatte sie aus Alufolie und Cornflakeskartons selbst konstruiert, und sie hieß Imogen. Sie war älter als Marie, daher wusste sie mehr – über so gut wie alles.

    »Ich hab gesagt, du darfst einen Stein behalten, wenn du in meinem Theaterstück mitspielst«, sagte sie jetzt, »aber das tust du ja nicht.« Sie packte Marie am Arm und holte ihr die Steine wieder aus den Taschen.

    »Mama!«, rief Marie. »Imogen ärgert mich schon wieder!«

    »Stimmt gar nicht!«, schrie Imogen und ließ Maries Arm los.

    Mit einer Hand in der Tasche rannte Marie ins Haus. Imogen überlegte, ob ihre Schwester vielleicht doch noch einen Stein hatte. Den würde sie ihr dann nachher wegnehmen.

    Imogen hob ihre Steinesammlung auf, denn es fing an zu regnen. Wenn sie doch nur alle Rollen in ihrem Theaterstück selbst spielen könnte, dann würde sie Marie gar nicht brauchen. Aus ihrer Schwester einen Star zu machen, war harte Arbeit.

    Sie folgte Marie nach drinnen und lud ihre Sachen an der Hintertür ab. Mama stand im Flur, in einem langen roten Kleid, das Imogen noch nie gesehen hatte. Marie hatte sich hinter ihr versteckt, sodass bloß ein Auge und ein paar Locken zu sehen waren.

    Imogen wusste schon, was jetzt kam. Mama würde sie ausschimpfen, und sie hasste es, ausgeschimpft zu werden. Schließlich hatte sie Maries Finger nicht mit Absicht in der Schatztruhe eingeklemmt.

    Sie musterte ihre Mutter. »Warum hast du dich denn so schick gemacht?«, fragte sie.

    »Das spielt jetzt keine Rolle«, fuhr Mama sie an. »Hier geht’s um dich. Ich lasse mir dieses Benehmen nicht länger bieten – die Zankerei mit deiner Schwester, das Chaos, das ihr im Garten angerichtet habt –«

    »Das ist eine Meeresnacktschneckenhöhle!«

    »Imogen! Du bist zu alt für solchen Blödsinn! Und vor allem bist du zu alt dafür, Marie zum Weinen zu bringen.«

    »Sie hat angefangen!«

    »Und ich beende es jetzt«, sagte Mama. »Oma passt heute Nachmittag und Abend auf euch auf. Sie nimmt euch mit in die Teestube, wenn ihr brav seid. Benehmt ihr euch anständig?«

    »Wo willst du denn hin?«, fragte Imogen.

    »Wo ich hinwill, interessiert nicht. Ich habe euch für heute Abend selbst gebackene Pizza hingestellt. Das wird bestimmt schön. Jetzt versprich mir, dass du nett zu deiner Schwester bist.«

    Maries Gesicht war vom Weinen fleckig geworden. Sie sah aus wie eine halbreife Himbeere. Imogen wollte einfach nicht nett zu ihrer Schwester sein.

    »Na komm, Imogen«, sagte Mama mit sanfterer Stimme. »Ich verlass mich auf dich.«

    Es klingelte an der Haustür, und Mama drehte sich einmal im Kreis herum. »Er kommt zu früh!«, rief sie.

    »Wer kommt zu früh?«, fragte Marie.

    »Wirst du gleich sehen«, sagte Mama.

    Kapitel 2

    Mama öffnete die Haustür, und ein Mann kam herein. Er trug ein schickes Hemd und blanke schwarze Schuhe. Die Schuhe fielen Imogen sofort auf, weil sie bei jedem Schritt quietschten, als würde er auf Mäuse treten.

    »Cathy! Du siehst toll aus«, sagte der Mann mit seiner Männerstimme. Er gab Mama einen Kuss auf die Wange und wandte sich dann an die Mädchen. »Und das müssen die beiden kleinen Prinzessinnen sein, von denen ich schon so viel gehört habe.«

    »Ich bin keine Prinzessin«, sagte Imogen und schaute auf ihre Rüstung hinunter. »Ich bin eine Ritterin, und die da ist eine riesige Meeresnacktschnecke. Wer sind Sie?«

    »Imogen!«, stieß Mama hervor.

    »Schon gut«, sagte der Mann. Er schaute auf Imogen hinunter und verzog die Lippen zu einem Lächeln. »Ich heiße Mark. Ich bin mit eurer Mutter befreundet.«

    »Sie hatte noch nie einen Freund, der Mark hieß«, sagte Imogen.

    Der Mann beugte sich in seinen quietschenden Schuhen vor. »Ist das so? Na ja, in der Erwachsenenwelt ändern sich die Dinge schnell.«

    Imogen öffnete den Mund, aber Mama redete ihr gleich dazwischen: »Schnell, ihr Mädchen, helft mir mal, die Fenster zu schließen, bevor Oma kommt. Da draußen ist es ganz ungemütlich geworden.«

    Mama griff hinauf zu dem kleinen Fenster, das auf den Garten hinausging, aber da musste irgendwas sein, denn sie fuhr erschrocken zurück.

    »Was ist denn?« Mit einem Satz war Imogen bei ihr.

    »Da hat sich was bewegt! Hinter der Gardine hat sich was bewegt!«

    Auch Mark war sofort da. »Lasst mal sehen«, kommandierte er und zog mit Schwung die Gardine zurück.

    Es war ein Falter. Er kroch an der Gardine hinunter auf Marks Hand zu. Je nachdem, aus welcher Richtung man ihn betrachtete, wirkten seine Flügel grau oder silbern. Imogen wollte ihn sich näher ansehen.

    »Keine Sorge, Cathy«, sagte Mark. »Ich kriege das Biest.« Er machte eine Bewegung, als wolle er den Falter totschlagen, und Imogen hatte keine Zeit zum Nachdenken. Sie warf sich vor Mark und nahm das Insekt in die hohlen Hände. Mark versuchte, sie wegzuschieben, aber da stampfte sie einmal fest auf – genau auf die Spitze einer seiner quietschenden Schuhe.

    Mark fluchte. Marie kreischte. Mama schimpfte los, aber Imogen rannte einfach weg. Sie machte mit dem Ellbogen die Hintertür auf und stürzte hinaus in den Regen. Den Falter in ihren Händen spürte sie kaum, so leicht war er. Nur dass seine Flügel sanft über ihre Finger streichelten, verriet ihn.

    Mama rief nach ihr, aber Imogen sprintete bis zum Ende des Gartens und kniete sich neben einen niedrigen Busch. Dass sie beim Rennen einen Teil ihrer Rüstung verloren hatte, war ihr egal. Hier, unter dem dichten Laub, war der Falter sicher.

    Sie nahm die Hände auseinander, und der Falter kroch auf ein Blatt. Seine silbergrauen Flügel verschwammen mit den Schatten. »Ich nenne dich Schattenfalter«, sagte Imogen und wischte sich Regentropfen von der Stirn.

    Der Falter öffnete und schloss dreimal die Flügel, als wollte er Danke sagen.

    »Gern«, sagte Imogen.

    Wenn die Flügel des Falters geöffnet waren, hatte er etwa die Größe ihrer Handfläche. Wenn sie geschlossen waren, lagen sie so dicht an seinem Körper an, dass er kaum breiter war als ein Fingernagel. Sein Rücken war mit samtigem Flaum überzogen.

    »Ich hätte nicht gedacht, dass Nachtfalter auch am Tag fliegen«, sagte Imogen.

    Der Falter bewegte seine Fühler nach rechts und nach links. Sie sahen aus wie winzige kleine Federn.

    »Du bist anscheinend anders als die anderen.«

    Imogen schaute zum Haus hinüber. Ihre Mutter stand in der Hintertür, die Hände in die Hüften gestemmt. Imogen machte ganz schmale Augen. Nichts und niemand würde sie dazu bringen, sich zu entschuldigen.

    So langsam, wie sie nur konnte, ging sie zum Haus zurück.

    »Entschuldige dich bei Mark«, sagte Mama. »Man darf nicht einfach anderen Leuten auf die Füße treten.«

    »Man darf auch nicht einfach kleine Tiere ermorden«, entgegnete Imogen. »Das solltest du Mark mal sagen.«

    Kapitel 3

    Fünf Minuten später kam Oma an und Mama verschwand. Imogen zog die Alufolienrüstung aus und schob ihre Steinesammlung unter ihr Bett.

    »Deine Mutter hat gesagt, du bist unartig gewesen«, sagte Oma. »Aber wir fahren trotzdem in die Teestube. Es wäre nicht fair, Marie für dein Benehmen zu bestrafen, und ich kann eine Siebenjährige doch nicht allein zu Hause lassen.«

    »Ich bin schon elf«, sagte Imogen. »Ich kann gut selbst auf mich aufpassen.«

    »Sieben. Oder elf. Spielt keine Rolle«, sagte Oma. »Jetzt steigt ein.«

    Als sie aus der Einfahrt auf die Straße abbogen, fing Marie an zu summen. Das war eine ihrer nervigsten Angewohnheiten: Sie summte Melodien, die sie selbst erfand. »Hörst du bitte auf?«, fragte Imogen.

    Marie summte weiter, aber ganz leise.

    »Hör auf!«, schrie Imogen.

    »Das reicht«, schimpfte Oma, »oder ihr kriegt beide keinen Kuchen.«

    Da waren sie still. Oma sagte so was nicht zweimal, und es war besser, sie nicht abzulenken, wenn sie am Steuer saß. Als sie sich das letzte Mal im Auto gezankt hatten, hatte Oma ein Eichhörnchen überfahren. Da hatte sie die Mädchen aufgefordert, auszusteigen und eine Trauerfeier abzuhalten.

    »Wo ist Mama denn hin?«, fragte Imogen und suchte im Rückspiegel Omas Blick. Aber Oma guckte nur auf die Straße.

    »Eure Mutter fährt ins Theater.«

    »Warum?«

    »Weil sie das Theater so gern mag.«

    »Mag sie Mark auch gern?«

    Jetzt blickte Oma Imogen einen Moment lang über den Spiegel in die Augen. »Natürlich mag sie Mark gern. Die beiden sind gute Freunde.«

    »Freunde.« Imogen schmeckte das Wort auf der Zunge, als wäre es ihr neu. »Bist du sicher, dass er nicht ein neuer Verehrer ist?«

    Sie hielten an einer roten Ampel, und Imogen drehte das Gesicht zum Autofenster und hauchte ein großes O auf die Scheibe. Als sie durch den beschlagenen Fleck eine Bewegung wahrnahm, wischte sie ein Loch in das O, um hindurchsehen zu können.

    Es war der Schattenfalter, der auf das Auto zugeflogen kam. Er kämpfte sich durch den Regen. Was für ein unglaubliches Insekt, dachte Imogen. Er wirkte wie ein Bote aus uralter Zeit, der entschlossen war, seine Botschaft zu überbringen, und sollte es ihn das Leben kosten.

    Die Ampel wurde grün, und das Auto fuhr ruckend an. Imogen drehte sich um und guckte durchs Rückfenster, aber der Falter war nicht mehr zu sehen. Der Arme, wahrscheinlich hat der Regen ihn zerquetscht, dachte sie. Wenn man so klein ist, ist jedes Tröpfchen ein Meteor.

    Kapitel 4

    Die Teestube gehörte zu einem großen Gut. Oder jedenfalls war es einmal ein großes Gut gewesen. Heutzutage war das Herrenhaus der Haberdashs verschlossen, bis auf ein Zimmer, in dem Mrs Haberdash mit ihren Hunden wohnte.

    Mrs Haberdash bewirtschaftete die Teestube von ihrem Elektromobil hinter der Theke aus. Da saß sie in einem ausgeblichenen Spitzenkleid, altmodische Ohrringe schimmerten auf ihrer kupferbraunen Haut, und auf ihrem Kopf türmten sich graue Korkenzieherlocken.

    Imogen und Marie saßen in der Ecke der Teestube. Sie aßen Kuchen und zeichneten auf ihren Skizzenblöcken. Imogen arbeitete an einem Porträt von Mrs Haberdashs Hunden.

    Oma redete auf Mrs Haberdash ein. »Es war dämlich von Winifred, einem Friseur zu vertrauen und einem Mann noch dazu«, sagte sie gerade. Sie hatte sich über die Theke gebeugt. »Ich hab ihr gesagt, dass es eine irrwitzige Idee sei. Ebenso gut könnten Sie Ihre Hunde bitten, hier zu servieren.«

    Mrs Haberdash nickte so heftig, dass ihre Ohrringe klimperten.

    Imogen versuchte sich vorzustellen, wie die Hunde der alten Dame Tassen und Untertassen auf den Köpfen balancierten. Vielleicht würde sie das beim nächsten Mal zeichnen, denn für heute hatte sie genug. Sie versuchte, Oma auf sich aufmerksam zu machen, aber die war gerade voll in Fahrt.

    »Fertig! Fertig!« Marie hielt ihre Zeichnung hoch. Imogen kniff die Augen zusammen. Das Bild sah fast genauso aus wie ihr eigenes Hundeporträt.

    »Oma! Marie malt von mir ab!«, rief Imogen.

    Die Großmutter tat so, als hätte sie Imogen nicht gehört. Sie redete weiter mit Mrs Haberdash: »Ich hab meinem Arzt gesagt, dass ich schon mit Bernie gesprochen hatte, und Bernie hat gesagt, wenn ich sechs Paracetamol nehme, ist das Problem im Nu verschwunden.«

    Imogen warf ihrer Schwester einen todbringenden Blick zu und stapfte aus der Teestube ins Freie. Sie marschierte zum Parkplatz, aber Omas Auto war abgeschlossen. Auch gut. Dann würde sie eben draußen beleidigt sein. Sie würde die ganzen Sommerferien lang beleidigt sein, wenn es sein musste. Wenigstens hatte es aufgehört zu regnen. Imogen schaute sich nach einem Platz zum Sitzen um.

    Dabei entdeckte sie in der Ecke des Parkplatzes eine Pforte, die ihr noch nie aufgefallen war. Oben über der Pforte hingen in ansprechenden Buchstaben die Worte: Willkommen im Haberdash-Park. In weniger ansprechenden Buchstaben war quer auf die Pforte gepinselt: KEIN ZUTRITT FÜR UNBEFUGTE!

    Imogen war sich nicht ganz sicher, was »Unbefugte« in diesem Fall bedeutete, aber es klang spannend. Sie drehte sich zur Teestube um. Niemand beobachtete sie. Als sie sich wieder der Pforte zuwandte, sah sie, dass ihr Falter darauf saß. Oder wenigstens glaubte sie, dass es ihr Schattenfalter war. Sie ging dicht an ihn heran und bückte sich, um ihn ganz aus der Nähe anzuschauen, und der Falter erwiderte ihren Blick.

    »Du bist es wirklich.« Imogen lächelte. »Ich dachte schon, der Regen hätte dich erwischt.« Der Falter flog von der Pforte auf und in den Haberdash-Park hinein.

    Imogen versuchte, das Schloss an der Pforte zu öffnen. Es war durchgerostet und plumpste ihr in die Hand. Also, dachte sie, Mrs Haberdash hätte das wirklich mal reparieren lassen sollen. Sie ließ das Schloss fallen und trat in den Park. »Warte auf mich!«, rief sie.

    Die Pforte schwang hinter ihr zu.

    Kapitel 5

    Im Haberdash-Park wurde gekämpft. Bäume schlugen sich mit dem Gewicht von Kletterpflanzen herum, und Efeu erstickte die Rosen. Die Wildpflanzen hatten es fast geschafft, ihr rechtmäßiges Eigentum zurückzuerobern.

    Imogen musste schnell gehen, um den Falter nicht aus den Augen zu verlieren. Sie wünschte, er würde irgendwo sitzen bleiben, damit sie ihn noch einmal aus der Nähe betrachten konnte. Ein Zweig knackte. Sie fuhr herum, aber hinter ihr war niemand.

    Der Falter flog weiter, und Imogen folgte ihm. Ranken warfen sich ihr todesmutig in den Weg. Sie bog nach rechts ab und gelangte an einen Fluss. Zwischen den Rohrkolben hockten dicke Frösche.

    In ihrer Eile stolperte Imogen zu nah ans Wasser heran. Ein Frosch sprang rülpsend zur Seite, und schon sackte sie mit einem Absatz in den schwammigen Untergrund ein. Kaltes Wasser sickerte ihr in den Schuh, aber sie hatte keine Zeit, stehen zu bleiben, denn der Falter flog ihr davon.

    Sie eilte am Ufer entlang. Der Falter flatterte über den Fluss ans andere Ufer. »Dahin kann ich dir nicht folgen!«, rief Imogen. Sie sah sich nach einer Brücke um. Hier, wo alles auseinanderfiel, fiel manches auch an die richtige Stelle. Quer über dem Fluss lag ein umgestürzter Baum.

    Imogen kletterte am Wurzelwerk hinauf und breitete die Arme weit aus. Sie setzte erst den linken Fuß auf den Baumstamm, dann den rechten. Asseln wuselten in Deckung, als das Mädchen ihr moderndes Paradies betrat. Langsam schritt Imogen über den abgestorbenen Baum. Dabei wagte sie kaum zu atmen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

    Das letzte Stück des Baumstamms war glitschig, also legte Imogen sich auf den Bauch und robbte vorwärts. Dass sie sich dabei Schmutz in ihr Shirt und ihre Jeans rieb, konnte sie nicht aufhalten. Als der Stamm nicht mehr über dem Wasser schwebte, sondern wieder auf festem Boden auflag, ließ sie sich hinunterrutschen und landete auf den Füßen. Zufrieden mit sich selbst lächelte Imogen und setzte ihren Weg fort.

    Auf dieser Seite des Flusses hatten die Pflanzen den Kampf gegen die Gärtner schon gewonnen. Sie hatten kein Interesse daran, so auszusehen, wie die Menschen sie schön fanden. Übergroße Sträucher hatten dornige Zweige, eigenwillige Blumen nickten mit den Köpfen, als Imogen vorbeihuschte, und je tiefer sie in den Haberdash-Park eindrang, desto stärker wurde ihr Gefühl, nicht willkommen zu sein.

    Irgendwo hinter sich hörte Imogen ein Geräusch, es klang wie ein leises Trappeln. Sie drehte sich um, doch niemand war zu sehen.

    Sie überlegte, ob sie zur Teestube zurückkehren sollte, aber sie war sich sicher, dass der Falter versuchte, ihr etwas zu zeigen, und sie wollte sehen, was das war. Ein großer Wassertropfen landete auf ihrer Stirn, und sie schaute zum Himmel hoch. Ein weiterer Tropfen spritzte auf ihre Wange, und dann fing es an zu schütten. Der Falter flog schneller, und Imogen rannte, um mitzukommen. Wieder hörte sie das merkwürdige Geräusch hinter sich, aber sie konnte sich jetzt nicht umdrehen. Sie wollte sich nicht umdrehen. Sie lief, so schnell sie konnte. Der Schlamm spritzte ihr an den Beinen hoch.

    Der Schattenfalter führte Imogen zu einem gigantischen Baum. Die höchsten Äste schienen die Wolken zu berühren, und Imogen war sich sicher, dass sie trotz des prasselnden Regens hören konnte, wie Wurzeln aus der Tiefe der Erde Wasser hochsaugten.

    Sie trat unter das Laubdach und legte die Hände auf den rauen Stamm. Der Falter landete direkt neben ihren Fingern und ließ seine Fühler kreisen. Bei diesem Licht wirkte er eher grau als silbern, sodass er auf der Rinde gut getarnt war.

    Imogen konnte es kaum erwarten, Marie zu berichten, was sie gefunden hatte: den größten Baum der Welt. Marie würde staunen – und vielleicht auch ein kleines bisschen neidisch sein.

    Der Falter krabbelte von Imogens Hand fort, und sie verfolgte seinen Weg. Bald kroch er nicht mehr über knorrige Rinde, sondern über glattes Holz. Imogen strich mit dem Finger über diese ganz andere Oberfläche. Sie glaubte zu wissen, was das war, und trat ein paar Schritte zurück. Ja, es war genau so, wie sie vermutete.

    In diesem Baum war eine Tür.

    Kapitel 6

    Die Tür war ungewöhnlich niedrig. Ein Erwachsener hätte sich bücken müssen, um hindurchzupassen, aber für Imogen hatte sie genau die richtige Höhe.

    Sie fragte sich, was sie auf der anderen Seite vorfinden würde. Vielleicht war der Baum ein Versteck für einen Schatz. Und vielleicht hatte Mrs Haberdash ja vergessen, dass sie hier einen Schatz versteckt hatte.

    Der Falter krabbelte an der Tür hinunter und blieb neben dem Schlüsselloch sitzen. Imogen kniete sich davor, wobei sie noch mehr Erde in ihre Jeans schmierte, und lugte hindurch. Auf der anderen Seite jedoch konnte sie nur Dunkelheit sehen, sonst nichts. Sie schaute den Falter an.

    »Wolltest du mir das hier zeigen?«, fragte sie.

    Der Falter legte die Flügel zusammen und wand sich durch das Schlüsselloch.

    »Ich glaube, das ist ein Ja«, sagte Imogen. Sie erhob sich, zog die Tür auf und ging hindurch.

    Zuerst war alles ganz dunkel. Doch als ihre Augen sich daran gewöhnt hatten, tauchten riesenhafte Formen aus der Finsternis auf. Nach ein paar Sekunden erkannte Imogen, dass es Bäume waren. Sie stand allein in einem Wald, kurz vor Sonnenuntergang. Über ihr zerteilten Zweige den dunkelnden Himmel.

    Ihr Kopf füllte sich mit Fragen. Wie konnte ein ganzer Wald in einen einzigen Baum hineinpassen? Warum regnete es hier nicht? Warum war es so dunkel und still? Es kam ihr vor, als hätte sich ein riesiges Federbett über den Wald gebreitet.

    Imogen drehte sich zur Tür um, und da wurde ihr klar, dass die Geräusche hinter ihr keine Einbildung gewesen waren. Ihr war wirklich jemand gefolgt. Soeben trat nämlich ihre Schwester über die Schwelle.

    Marie wurde vom Licht aus dem Park angestrahlt. Ihr Haar war im Regen dunkel geworden, ihr pinkes Kleid war matschverkrustet, und ihre Augen waren riesengroß. Sie zog die Tür hinter sich zu. Die Angeln mussten gut geölt sein, denn die Tür ließ sich mühelos bewegen und schloss sich mit einem Klicken. Die Schwestern sahen sich an.

    »Marie!«, rief Imogen. »Was machst du denn hier?«

    Einen Moment lang wirkte Marie ängstlich, überrumpelt, aber sie hatte sich schnell wieder in der Gewalt.

    »Was ich hier mache?«, erwiderte sie. »Genau das könnte ich dich auch fragen.«

    »Dann warst du es also, die mir gefolgt ist.« Imogen verschränkte die Arme.

    »Du darfst gar nicht in den Haberdash-Park rein.«

    »Du auch nicht«, sagte Imogen. »Kannst du mich nicht ein einziges Mal was allein machen lassen?«

    »Das sag ich Oma. Du bist unbefugt.«

    Imogen machte ein finsteres Gesicht. Es war ihr Falter, ihr Garten und ihre geheime Tür. Marie war nicht eingeladen. Sie hatte sich einfach in ihr Abenteuer reingemogelt, und jetzt drohte sie, es kaputtzumachen. Imogen hätte ihre kleine Schwester am liebsten mit irgendetwas beworfen. Oder sie am Pferdeschwanz gezogen. Oder nein, sie wollte einfach, dass Marie wieder verschwand.

    »Dann geh doch. Geh und heul Oma was vor.«

    »Gut! Das mach ich!« Marie drehte sich um und fasste nach dem Türgriff. Doch dann wandte sie sich wieder ihrer Schwester zu.

    »Auf was wartest du noch?«, fragte Imogen.

    »Die geht nicht auf«, sagte Marie.

    »Mach mal Platz.«

    Imogen rüttelte an der Klinke, aber die Tür rührte sich nicht. »Na, super!«, rief sie.

    »Ich wusste ja nicht, dass sie sich von selbst abschließt!«, kreischte Marie.

    »Wie kann man nur so blöd sein? Wenn man nicht weiß, wie irgendwas funktioniert, dann fasst man es gar nicht erst an!«

    »Du hättest sie gar nicht erst aufmachen sollen!«, rief Marie.

    »Und du hättest zu Hause bleiben sollen, dann würdest du mir jetzt nicht alles verderben!«

    Imogen spürte, wie Panik in ihr hochstieg. Sie trat gegen die Tür und hämmerte mit den Fäusten dagegen, aber die Tür blieb zu.

    Der Schattenfalter, dem sie gefolgt war, war nirgends mehr zu sehen.

    Kapitel 7

    Marie sah aus, als könnte sie gleich losweinen, und Imogen war klar, dass es ihre Aufgabe war, für sich und ihre Schwester einen Ausweg aus dieser unheimlichen Situation zu finden. Außerdem wusste sie, dass sie sich bewegen mussten. Hier war es deutlich kälter als im Haberdash-Park, und sie zitterte schon in ihrer feuchten Kleidung.

    »Wir müssen weiter.« Wie ein General drehte sie sich auf dem Absatz um.

    »Glaubst du, wir sind zum Abendbrot zurück?«, fragte Marie mit zittriger Stimme.

    Imogen hielt das für unwahrscheinlich. Sie hatte das Gefühl, dass sie sich gar nicht mehr im Park befanden, sondern ganz woanders, aber sie konnte es nicht ertragen, wenn Marie weinte, daher murmelte sie irgendwas Beruhigendes über Oma, die bestimmt schon nach ihnen suche.

    Über ihnen regten sich die ersten Sterne. Sie zwinkerten einander zu und schauten auf die beiden Mädchen hinunter, die durch den Wald wanderten, zwei winzige Gestalten zwischen den Bäumen. Jemand, der die Sterne deuten konnte, hätte vielleicht gesagt, sie lächelten.

    Imogen sagte es Marie nicht, aber insgeheim war sie erleichtert, dass sie in diesem fremden Wald nicht allein war. Man konnte kaum etwas sehen, und immer wieder stolperte sie über Wurzeln oder ihre Jeans verfing sich in Brombeerranken. Sie schaute angestrengt

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