Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Aufbruch aus Europa: Die Schweiz im asiatischen Zeitalter
Aufbruch aus Europa: Die Schweiz im asiatischen Zeitalter
Aufbruch aus Europa: Die Schweiz im asiatischen Zeitalter
eBook266 Seiten3 Stunden

Aufbruch aus Europa: Die Schweiz im asiatischen Zeitalter

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Die Gewichte in der Weltwirtschaft verlagern sich allmählich in Richtung Asien, und die Beziehungen des Westens mit den asiatischen Volkswirtschaften unterliegen einem Prozess der qualitativen Veränderung. Der Asienkenner Urs Schoettli legt hier eine kritische Bestandsaufnahme der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen und Kooperationen der Schweiz mit den wichtigsten asiatischen Ländern vor. Er zeigt, wie die ungeheure Vielfalt Asiens als Chance und Herausforderung genutzt werden kann, weist auf Optionen und Risiken hin, die sich der Schweiz kurz- und mittelfristig bieten, und regt an, wie das Land seinen Eurozentrismus überwinden und vom kommenden asiatischen Zeit alter profitieren kann. Im Vordergrund stehen die wirtschaftlichen Aspekte der Positionierung der Schweizer Dienst leistungs- und Industrieunter nehmen, doch geht es auch um 'soft factors' wie Kultur, Bildung, Forschung, die im Beziehungsgeflecht eine wichtige Rolle spielen.
SpracheDeutsch
HerausgeberNZZ Libro
Erscheinungsdatum1. Apr. 2015
ISBN9783038100812
Aufbruch aus Europa: Die Schweiz im asiatischen Zeitalter

Mehr von Urs Schoettli lesen

Ähnlich wie Aufbruch aus Europa

Ähnliche E-Books

Recht für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Aufbruch aus Europa

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Aufbruch aus Europa - Urs Schoettli

    Urs Schoettli

    Aufbruch aus Europa

    Die Schweiz im asiatischen Zeitalter

    Verlag Neue Zürcher Zeitung

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

    in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

    sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    © 2015 Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich

    Der Text des E-Books folgt der gedruckten 1. Auflage 2015 (978-3-03 810-020-1).

    Titelgestaltung: GYSIN | Konzept+Gestaltung, Chur

    Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck

    Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

    ISBN 978-3-03810-081-2

    www.nzz-libro.ch

    NZZ Libro ist ein Imprint der Neuen Zürcher Zeitung

    Vorbemerkung

    Dieses Buch möchte im Rahmen der Debatte über die Zukunft der Schweiz in einer zunehmend komplexen Welt Argumente dafür liefern, den Blick nach Asien zu richten. Ein eingehenderes Verständnis der asiatischen Zivilisationen und ihrer Werte kann eine nützliche Hilfe sein, die anstehenden Herausforderungen zu meistern. Das Buch liefert keine Rezepte dafür, wie man in Asien Geschäfte macht, und will auch keine Ratschläge geben, ob man sich nun in Asien engagieren soll oder nicht. Vielmehr geht es darum, das allgemeine Bewusstsein für die Risiken und Chancen zu wecken, die sich für Europa, für die westlichen Industriestaaten und insbesondere für die Schweiz im asiatischen Zeitalter, in das wir zu Beginn des dritten Millenniums eingetreten sind, ergeben.

    Die Orientierungslosigkeit, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten in den westlichen Gesellschaften um sich gegriffen und die die breite Bevölkerung wie die Eliten erfasst hat, ist auch ein Ergebnis dessen, dass man es in eurozentrischer Überheblichkeit verpasst hat, sich mit fremden, insbesondere asiatischen Kulturen mit einem Schuss Lernwillen zu befassen. Dieselben Europäer, die recht schnell zur Stelle sind, wenn es darum geht, andere Völker und Kulturen zu ermahnen, die Werte zu respektieren und zu teilen, die man in der eigenen Tradition für richtig befunden hat, tun sich ausserordentlich schwer, sich gegenüber fremden Werten zu öffnen. Es fällt ihnen sogar schwer, auch nur anzuerkennen, dass es andere Wertehierarchien als die in der westlichen Welt geben kann, die ebenfalls beanspruchen, ethisch wertvoll und in ihrer Eigenständigkeit anerkennenswert zu sein.

    Der traditionelle Internationalismus, welcher politischer Orientierung er auch zugehören mag, hat bisher kaum zu einem intrakulturellen Austausch zwischen Orient und Okzident auf gleicher Augenhöhe beigetragen. Man ist vielfach bemüht, in den europäisch geprägten politischen Kriterien von liberal, sozialdemokratisch, konservativ und progressiv zu verharren, Kriterien, die letztlich selbst im Westen eine Geschichte aufweisen, die kaum über die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Dies ist ein schwerwiegendes Manko. Das vorliegende Buch möchte einen Beitrag leisten, dieses Manko zu überwinden. Dabei geht es keineswegs um einen Aufruf zur ethischen Gleichgültigkeit oder gar zur Selbstaufgabe der eigenen, bewährten Werte und auch nicht um eine Anleitung zu einem selbstlosen Kosmopolitismus. Aus dem häufig tragischen und schrecklichen Verlauf der Geschichte wissen wir, dass, wer keinen klaren eigenen Wertekatalog besitzt, sondern sich in Nihilismus oder gar Selbstverleugnung ergeht, keine Chance hat, zu bestehen. Deshalb wird hier die Meinung vertreten, dass aus einem gleichberechtigen euro-asiatischen Austausch den westlichen Gesellschaften durchaus konkrete Vorteile für die Bewältigung der eigenen Schwierigkeiten und Defizite erwachsen können.

    Standortbestimmungen

    Die Welt befindet sich im ständigen Wandel. Scheinbar zementierte Machtgefüge können plötzlich und dramatisch über den Haufen geworfen werden, wie wir beim Fall der Berliner Mauer und der Beseitigung des Eisernen Vorhanges haben erleben können. Andere Entwicklungen kündigen sich über einen längeren Zeitraum hinweg an, wie dies für das asiatische Zeitalter gilt, das mit der Jahrtausendwende angebrochen ist. Erfolgreiche Staaten und Gesellschaften stellen sich diesem Wandel und sind bestrebt, möglichst viel Gestaltungskraft zu wahren und nicht einfach von der Macht des Faktischen getrieben zu werden.

    Ohne Zweifel stehen Europa und damit selbstverständlich auch die Schweiz an einer Wegscheide, da es gilt, von bequemen Gewohnheiten und einer lieb gewordenen Weltsicht Abschied zu nehmen. Im Vordergrund muss dabei die Abkehr vom Eurozentrismus stehen, der während der vergangenen zwei Jahrhunderte das europäische Weltbild massgeblich geprägt hat. Dies erfordert auf der einen Seite die Überwindung eines traditionellen Negativismus und Chauvinismus, der sich in Schlagworten wie «orientalische Dekadenz», «asiatischer Despotismus» oder «gelbe Gefahr» manifestiert. Die Meinung, dass der Westen ein für alle Mal das Mass aller Dinge und Werte gefunden habe, hält sich hartnäckig. Nicht zuletzt wohnt ihr die Überzeugung inne, dass vor allem in Sachen Menschen- und Bürgerrechte die Asiaten noch viel vom Westen zu lernen hätten. Auch zwei Jahrzehnte, nachdem unter anderem der frühere malaysische Ministerpräsident Mahathir Mohamad sein wortmächtiges Plädoyer für die «asiatischen Werte» abgegeben hat, herrscht noch immer die Ansicht vor, dass der Westen auf der «richtigen Seite» stehe und die Austausch- und Lernprozesse beim Verständnis sowohl von Rechten als auch von Pflichten nur in eine Richtung, nämlich von Westen nach Osten, zu verlaufen hätten.

    Auf der andern Seite ist auch vom «Orientalismus» Abschied zu nehmen. Hier hat sich traditionell eine paternalistische Haltung, von oben herab die Kulturen und Zivilisationen im Sinne der «noblen Wilden» in Asien zu begutachten und zu «verstehen», eingenistet. Willkommen geheissen wurden unter diesem Aspekt jene Asiaten, die sich westliche, will heissen europäische Verhaltens- und Wertekategorien angeeignet hatten. Die klare Dominanz des Westens im 19. und 20. Jahrhundert, die von einer gleichzeitigen asiatischen Dekadenz, vornehmlich in Indien und China, begleitet wurde, hatte die Meinung gestärkt, dass Asien nur durch eine Verwestlichung aus seiner Misere herauskommen könne. Wichtig ist, dass diese Einstellung nicht nur von Imperialisten und Protagonisten der Herrschaft des «weissen Mannes» vertreten wurde. Sie prägte auch die wohlwollenden Menschen, die, sei es als Missionare, sei es als Techniker oder Lehrer, nach Asien aufbrachen, um dort die Segnungen der westlichen Zivilisation und Kultur einzubringen. Viele dieser Gutmeinenden würden sich strikt gegen die Vermutung verwahren, sie hegten rassistische Vorurteile.

    Die Abkehr vom Eurozentrismus ist heute, bald zwei Jahrzehnte nach dem Beginn des asiatischen Zeitalters, umso wichtiger, als wir uns mitten in einem Transitionsprozess von erheblicher Tragweite befinden. Als sich China unter Deng Xiaoping auf den Weg in die Moderne machte, war offenkundig, dass das Reich der Mitte nur mit westlicher Technologie, westlichem Management und westlichem Kapital sowie mit einer auf die Märkte der westlichen Industrienationen fokussierten Exportwirtschaft aus dem Steinzeitalter, in das es unter dem Maoismus abgestürzt war, herauskommen konnte. Insofern hätten Orientalisten am chinesischen Aufbruch grosses Wohlgefallen gefunden. Doch inzwischen stehen wir vor einer Zäsur, da sich China und demnächst auch Indien sowie mehrere südost- und ostasiatische Staaten in einem Entwicklungsstadium befinden, da sie auch bei technologischen und sozioökonomischen Innovationen der übrigen Welt den Weg weisen werden. China ist längst nicht mehr das Land, in dem der meiste Fortschritt auf Kopieren beruht. In den vergangenen Jahrzehnten wurde viel in Forschung und Entwicklung investiert, an führenden Universitäten ebenso wie in Spitzenunternehmen. Der Countdown für die Epoche, da der Westen wieder vom Osten lernen kann, wie dies über weite Strecken der Weltgeschichte der Fall gewesen ist, hat bereits begonnen. Unter diesen Vorzeichen wird in den folgenden Kapiteln sowohl eine Standortbestimmung der Beziehungen der Schweiz mit Asien vorgenommen als auch ein Blick auf die bereits erkennbaren neuen Optionen und Chancen geworfen.

    Zwischen Sonderfalldenken und Verzagtheit

    Jedes Land beansprucht für sich, ein Sonderfall zu sein. In der gewaltigen Herausforderung des europäischen Einigungsprozesses zeigt sich dies beinahe täglich. Zahllos sind die bis in die frühen Morgenstunden dauernden EU-Gipfel, in denen oft mühsam nur um den kleinsten gemeinsamen Nenner gerungen wird. Es scheint geradezu ein Gesetz zu sein, dass, wenn die Situation eigentlich dringlich der Gemeinsamkeit bedürfte, die Partikularitäten besonders akut in den Vordergrund treten. Wir alle wissen aus der nicht allzu fernen Geschichte, welch streitbarer und zur totalen Selbstzerstörung neigender Schlag Mensch die Europäer sind. Wir alle wissen, wie wichtig deshalb die Europäische Union ist, um den Frieden auf diesem traditionell kriegslüsternen Kontinent zu bewahren. Und dennoch scheinen die Europäer nichts mehr zu geniessen, als sich zu streiten und damit auch häufig zu blockieren. Im innereuropäischen Kontext mag dies als nicht allzu dramatisch gesehen werden nach dem Motto, was sich liebt, das streitet sich. Unverkennbar ist jedoch, dass Europa durch diese aus häufig marginalen Partikularitäten erwachsende Zerstrittenheit auf der Weltbühne seinen Einfluss verspielt hat. Dies ist im Zusammenhang mit dem asiatischen Jahrhundert von Relevanz, haben doch aus der Perspektive von Peking, Delhi und Tokio selbst die mächtigsten unter den europäischen Nationen nicht das geopolitische und wirtschaftliche Gewicht, um als gleichberechtigt wahrgenommen zu werden.

    In diesem Kontext sei ein Einschub gestattet, der für das gegenseitige euro-asiatische Verständnis von grosser Bedeutung ist. Der Südkoreaner David C. Kang hat mit dem 2010 bei Columbia University Press erschienenen Buch East Asia Before the West. Five Centuries of Trade and Tribute ein ausserordentlich wichtiges Werk geschrieben, das in Europa leider nicht die ihm gebührende Aufmerksamkeit gefunden hat, für unser Verständnis von Asien, insbesondere von der stark konfuzianisch geprägten ostasiatischen Welt aber eine wichtige Hilfe sein kann. Kang verfolgt Ostasiens Geschichte vom Beginn der Ming-Dynastie im Jahre 1368 bis zum Ersten Opiumkrieg im Jahre 1841 und stellt fest, dass innerhalb dieser fünf Jahrhunderte China mit seinen Nachbarn Japan, Korea und Vietnam nur in zwei grössere Konflikte involviert war. Man denke an die Hunderte von Kriegen und Konflikten, die in Europa in diesem Zeitraum geführt wurden. Nicht von ungefähr empfanden wir deshalb im eurozentrisch ausgerichteten Geschichtsunterricht, dass Geschichte im Wesentlichen Kriegsgeschichte ist. Zahllos sind die Schlachten, deren Daten wir auswendig lernen mussten. Würde man hingegen in Ostasien nach denselben Kriterien der Geschichtsschreibung vorgehen, so wäre man schon nach wenigen Seiten mit dem Stoff am Ende. Gerade jetzt, da wir uns mit der Rückkehr des Hegemonen China zur Weltmacht und zur asiatischen Vormacht zu befassen haben, ist es wichtig, diese Besonderheit der ostasiatischen Geschichte präsent zu haben. Dadurch lassen sich von vornherein gefährliche Fehlurteile vermeiden, ob diese nun dazu führen, dass China als Herausforderung für die Weltordnung überschätzt oder unterbewertet wird.

    Zwischen den Ländern und Völkern gibt es grosse Unterschiede hinsichtlich ihrer Besonderheit oder gar Ausgefallenheit, die auf Klima, Geografie, Kultur und Geschichte zurückzuführen sind. Wie Menschen so können auch Völker und Staaten ein vom Glück beziehungsweise Unglück geprägtes Schicksal haben. Denken wir an das Reich der Mitte im 19. Jahrhundert und vor allem in den ersten sieben Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, so ist unübersehbar, dass die Chinesen von sehr viel fremd und selbst verursachtem Unglück heimgesucht wurden. Demgegenüber hat die Schweiz sowohl im 19. als auch im 20. Jahrhundert ein sehr hohes Mass an Glück gehabt. Mit Ausnahme des kurzzeitigen napoleonischen Einfalls sind die Eidgenossen von den Katastrophen des 19. und 20. Jahrhunderts, die ganze Völker in den Abgrund gerissen haben, verschont geblieben. China ist aufgrund seines tragischen Schicksals ein Volk mit verletzter Seele geworden, im Falle der Schweiz entwickelte sich ein Bewusstsein des Sonderfalls, mit dem nur allzu selbstgerecht die Verschonung durch die Widrigkeiten der Geschichte erklärt und begründet wurde und das bis in jüngste Zeiten hinein kaum zu erschüttern war.

    Im Folgenden wird der Blick auf dieses Bewusstsein, ein Sonderfall zu sein, gerichtet, da es für das Plädoyer, die gegenseitige Integration der Schweiz und Asiens zu stärken, von zentraler Bedeutung ist. Nur in genauer Kenntnis des Sonderfalls Schweiz und der damit verbundenen Implikationen können für eine Realisierung der Idee einer Schweizer Asienfokussierung überhaupt die nötigen Ressourcen gefunden und gebunden werden.

    Waren das 19. und 20. Jahrhundert der Schweiz sehr gnädig gesinnt, finden wir zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein Volk, ein Land vor, das von enormen Selbstzweifeln, gar Existenzängsten geplagt wird. Aus asiatischer Perspektive, wo die Menschen von Pakistan bis Nordkorea mit so vielen Unwägbarkeiten, Gefahren und Existenznöten konfrontiert sind, erscheinen die Schweizer gar als ein pathologisch verunsichertes Volk. Sicher ist Selbstzufriedenheit kein Wunschzustand, da sie rasch in Faulheit und reines Besitzstandsdenken degenerieren kann. Selbstzweifel sind ein Antrieb für Innovation und unkonventionelles Denken, ohne die sich ein Kleinstaat im harten globalen Überlebenskampf nicht erfolgreich zu behaupten und seinen Wohlstand zu mehren vermag. Doch Selbstzweifel können, wenn sie in eine Endzeitstimmung der Hilfs- und Ausweglosigkeit münden, den Behauptungswillen so nachhaltig unterminieren, dass Reformen, eine Erholung und ein Neubeginn von vornherein unterbunden werden.

    Diese fatale Grundstimmung ist derzeit vor allem beim Verhalten der Schweiz gegenüber der Europäischen Union zu sehen und, vielleicht etwas weniger ausgeprägt, beim Auftreten gegenüber den USA. Hier sind in den vergangenen drei Jahrzehnten offensichtlich tiefe Wunden geschlagen worden, für deren Heilung die eidgenössische Politik noch keine Remedur gefunden hat. Die Polarisierung zwischen jenen, die einen Alleingang der Schweiz um jeden ökonomischen und politischen Preis fordern, und denjenigen, die nicht schnell genug in der EU sein können, verdrängt andere Optionen. Ein neuer Populismus, der das Heil in der Selbstabschottung sieht, feiert Urständ. Selbstverständlich sind solche Reaktionen und Gefühle nichts spezifisch Schweizerisches. Fremdenfeindlichkeit ist ein weltweites Phänomen. Doch aufgrund der besonderen Staatsordnung der Eidgenossenschaft, namentlich ihrer direkten Demokratie, können solche Populismen rascher in den politischen Betrieb einfliessen und damit zu gefährlichen Beschädigungen im heiklen internationalen Beziehungsnetz führen. Dabei geht leicht verloren, dass gerade die Schweiz es sich nicht leisten kann, der Selbstabschottung und Xenophobie zu verfallen.

    Vor diesem Hintergrund ist es eine Pflicht der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entscheidungsträger in der Schweiz, bei schicksalsschweren Entscheidungen insbesondere auf dem internationalen Parkett alle auch noch so fernen Optionen in Erwägung zu ziehen und den Bürgern im Land bewusst zu machen. Hier darf es keine selbst auferlegten Denkverbote, keine Tabus geben. Als die Schweizer noch viel, viel ärmer waren als im 20. Jahrhundert, pflegten sie die Maxime der «ouverture tous azimuts», der Offenheit gegenüber allen Optionen zu befolgen. Sie schwärmten in alle Weltenteile aus, von Südamerika bis Indonesien, von den USA bis nach Japan. In all diesen mehr oder weniger entfernten Ländern und Erdteilen genossen sie dabei nicht den Schutz einer Kolonialmacht wie die Engländer, Holländer, Spanier, Portugiesen und Franzosen, sondern mussten sich völlig auf sich selbst gestellt durchsetzen. Selbst Kleinststaaten wie Dänemark und Bel-gien hatten da noch die Vorteile kolonialer Besitzungen, was ihnen aber nicht geholfen hat, einen einträglicheren und vor allem umfassenderen Kosmopolitismus zu entwickeln, als die Schweizer es geschafft haben.

    Diese Erfahrungen bilden den Hintergrund dafür, für die Zukunft der Schweiz die doch recht ausgefallene Option, Schwierigkeiten in Europa durch ein vermehrtes Engagement in und mit Asien zu kompensieren, zu propagieren. Das heisst natürlich nicht, dass sich die Schweiz völlig aus Europa herauslösen kann oder soll. Handfeste geografische und auch kulturelle Verankerungen lassen sich nicht leichthin durch Willensentscheide aufheben. Die Schweiz kann nicht «wollen», ein Teil Asiens zu sein, ebenso wenig wie die Japaner sich nach Europa wünschen können.

    Der Mut zum Aufbruch, zum Neuen und Ungewohnten muss die Devise für das Überleben sein, Verzagtheit ist keine Option für einen hoch spezialisierten Kleinstaat wie die Schweiz! Und ganz in diesem Sinne ist das Plädoyer für den Mut zu einer historischen Neupositionierung der Schweiz in der Welt zu verstehen. Wir wissen und bekommen es auch immer wieder von der EU zu spüren, dass wir bei den meisten wichtigen politischen Entscheidungen, die Europa und unsere Nachbarschaft betreffen, von deren Goodwill und Regulatorien abhängig sind: von den Landeanflügen auf den Zürcher Flughafen über die Migrationspolitik bis hin zur Besteuerung von in der Schweiz niedergelassenen ausländischen Firmen. Mögen wir auch die eine oder andere Konzession und Verbesserung heraushandeln können, so wissen wir doch, dass wir in allen wichtigen Belangen in Europa eingebunden sind und nur der von niemandem gewünschte Kollaps der EU uns daraus befreien könnte.

    Doch Europa ist nicht die ganze Welt. In der Interaktion mit Lateinamerika, Afrika und Asien brauchen wir uns an keine Vorgaben der EU zu halten und können mit den dortigen Ländern in voller Souveränität interagieren. In mancher Hinsicht besitzt die kleine Schweiz gar mehr Bewegungsfreiheit in Übersee als selbst die Grossen unter den EU-Mitgliedsstaaten. Deutschland oder Frankreich können keine eigenständigen Freihandelsabkommen mit China oder Japan aushandeln, sondern müssen unter dem Dach der EU agieren. Demgegenüber kann die Schweiz sehr wohl bilaterale Freihandelsabkommen abschliessen, wie dies unlängst im Fall der Volksrepublik China erfolgreich geschehen ist.

    Verzagtheit ist ein gefährlicher Gemütszustand. Setzt er sich fest, kann die Fähigkeit, nationale Interessen wirksam zu verteidigen und wahrzunehmen, leicht in eine Abwärtsspirale geraten. Ebenso gefährlich ist die Option der Selbstabschliessung, die eine natürliche Versuchung ist, wenn die Dinge an der Aussenfront nicht rundlaufen. Die Eidgenossenschaft kann sich in weiser Selbstbeschränkung in der Politik einen Marignano-Effekt leisten. An der Wirtschaftsfront ist dies allerdings ohne die Inkaufnahme eines substanziellen und schmerzhaften Wohlstandsverlusts nicht möglich. In der heutigen global vernetzten Welt noch weniger als je zuvor.

    Das Plädoyer für einen Aufbruch aus Europa Richtung Asien beinhaltet wesentlich mehr als nur handels- und aussenpolitische Argumente. Es geht auch um eine Standortbestimmung grundsätzlicher Natur, die zum Ziel hat, die gefährlichen Brüche und Entfremdungen zu überwinden, die es zwischen einer international und global ausgerichteten Schweizer Wirtschaft und einer immer verzagter und binnenorientierter werdenden Politik in wachsendem Masse gibt. Sich auf Neuland zu wagen, hat Gesellschaften immer wieder neue Dynamik verliehen, man denke etwa an die Wirkung von «Go West» in den USA im 19. Jahrhundert. Gerade die jungen Menschen in der Schweiz verdienen einen solchen Aufbruch. Auch als Folge der voranschreitenden Überalterung der Schweizer Bevölkerung besteht die Gefahr, dass eine konservative, tendenziell pessimistische Grundhaltung das Land in ihren Bann zieht. Dies ist im Fall Japans bereits zu erkennen, da dort die demografischen Verhältnisse aufgrund der sehr bescheidenen Aussenzuwanderung noch erheblich prekärer sind als in der Schweiz.

    Nochmals: Der Aufbruch in Richtung Asien ist für die Schweiz des

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1