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Die Freiheit ist möglich: Über Verantwortung, Lebenssinn und Glück in unserer Zeit
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eBook148 Seiten1 Stunde

Die Freiheit ist möglich: Über Verantwortung, Lebenssinn und Glück in unserer Zeit

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Über dieses E-Book

Wir leben in einer hysterischen Zeit, die zwar materiellen Wohlstand und unablässige Kommunikation gewährleistet, das Individuum aber mit seinen Gefühlen der Vereinzelung allein lässt. Doch nach dem Scheitern der großen politischen Utopien sehnen wir uns umso mehr nach Glück, Verbundenheit und Nähe, sind aber in einem fragmentierten, beschleunigten Alltag gefangen. Dagegen setzt der humanistische Psychologe und Schriftsteller Catalin Dorian Florescu das Bild eines ruhigen, kreativen, beziehungsfähigen Menschen. In der selbstbestimmten Konzentration auf das eigene Ich vermag das Individuum die Aufmerksamkeitskrise unserer Zeit zu überwinden und sinnvolle Beziehungen zum Anderen und zur Welt aufbauen.
SpracheDeutsch
HerausgeberResidenz Verlag
Erscheinungsdatum6. März 2018
ISBN9783701745791
Die Freiheit ist möglich: Über Verantwortung, Lebenssinn und Glück in unserer Zeit

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    Buchvorschau

    Die Freiheit ist möglich - Catalin Dorian Florescu

    Bäume«

    Einleitung

    Vor einigen Jahren erschien ein schmales Werk mit einem ähnlichen Imperativ wie der Titel dieser Reihe »Unruhe bewahren«. Es hieß: »Empört euch!« Es geisterte eine Zeit lang durch die Medien und wurde millionenfach verkauft. Was ist heute von diesem fast verzweifelten Aufruf zur Empörung geblieben? Welche nachhaltige Wirkung entfaltete er überhaupt?

    Das System »sitzt« – um es so auszudrücken – so fest wie immer im Sattel, Geschäft bleibt wie immer Geschäft, die natürlichen Ressourcen werden wie immer geplündert, die Armen werden vertröstet, die breiten Massen schweigen und konsumieren um die Wette. Oder sie folgen dem Takt, der ihnen von Populisten vorgegeben wird, auch und gerade bei uns in Europa.

    Der Mensch verausgabt sich im täglichen Bemühen, fit und attraktiv auf dem Arbeits- und Partnermarkt zu bleiben. Das Rad dreht sich immer schneller, alles ist in ständiger Bewegung, nichts darf ruhen, es herrschen Geschwindigkeit und Flüchtigkeit. Von den Glücksverheißungen, die uns als Trost angeboten werden, bleibt oft nicht viel mehr als ein vages Unbehagen übrig. Hört hier jemand noch den Ruf: »Empört euch!«?

    Die Aufklärung – das westliche Projekt, vernünftige und (selbst)verantwortliche Individualität durch Bildung, Erziehung und Kultur zu ermöglichen – scheint ihre Grenzen erreicht zu haben. Oder war sie nie mehr als nur ein Versprechen? Sie weist große Verdienste auf bei der Befreiung des Menschen aus seiner »selbstverschuldeten Unmündigkeit«, wie Kant es formuliert hat. Aber sie ist auch ein Teil des Problems und nicht nur der Lösung, dort wo sie »totalitär« wird, wie Theodor W. Adorno und Max Horkheimer meinten, weil sie das gesamte Leben in Abstraktheit, Theorie, Rationalisierung, Zahl verwandelt.

    Sollten René Descartes’ berühmten Satz »Cogito ergo sum« – der als Inbegriff der Aufklärung gilt – nicht viel eher abwandeln in »Ich bin mit dir, also bin ich«? Als Zeichen dafür, dass menschliches Leben und Identität sich nicht nur im Kopf ereignen, und damit in der Abstraktion, sondern in der konkreten Bezogenheit?

    Wenn wir das obige eurozentrische Bild durch eine summarische Bestandsaufnahme der gesamten Welt erweiterten, hätten wir noch mehr Grund, uns ohnmächtig zu fühlen. Das Konsumverhalten in den Schwellenländern nimmt kontinuierlich zu, was die begrenzten Ressourcen der Erde weiter verknappt.

    Wohlstand ist auch ohne Demokratie und Freiheit möglich, das macht uns das chinesische Regime täglich vor. Der hoffnungsvolle »Arabische Frühling« vor wenigen Jahren wurde vielerorts von Krieg und erneuter Unterdrückung abgelöst. Die Türkei ist eine kaum noch verhüllte Diktatur, Russlands Demokratie reinste Augenauswischerei. Und Afrika verliert seine Söhne und Töchter im Mittelmeer.

    Und doch: Gibt es nicht auch Grund zur Hoffnung? Immerhin gehen Tausende auf die Straße, um gegen die Aushöhlung der Demokratie in Polen und Ungarn zu protestieren, gegen die Regierung von Donald Trump oder gegen die weißen Rassisten, wie zuletzt in Virginia. Die Einsicht, dass nachhaltiges Wirtschaften und soziale Verantwortung notwendig sind, breitet sich nach und nach auch in unternehmerischen Kreisen aus.

    Viele Bürger treten NGOs bei oder üben Freiwilligenarbeit aus, vom Wunsch getrieben, sich in der Welt nach Kräften einzubringen und sinnvoll mit ihr verbunden zu sein. Sie haben einen klaren Gerechtigkeitssinn, moralische Vorstellungen und empören sich wahrscheinlich sogar, und ihre Empörung drängt zur Tat. Bei ihnen hätte – und hat womöglich auch – Stéphane Hessel mit seinem Manifest »Empört euch!« offene Türen eingerannt.

    Reicht das, um uns hoffnungsvoll zu stimmen, was einen veränderten Umgang des Menschen mit seinem Gegenüber und seiner Umwelt betrifft? Kleine Zugeständnisse des Systems im Rahmen des Möglichen konnte man immer schon erwirken, wenn sie auch oft hart erkämpft werden mussten und ihre dauerhafte Umsetzung nie gesichert war. Ein grundlegender Paradigmenwechsel, ein Neudenken dessen, was menschliches Leben lebenswert und reich macht? Da müssen wir skeptisch bleiben.

    Ich benutze hier den Begriff »System« bewusst mit einer gewissen Unschärfe. Dabei habe ich vor allem zwei Aspekte vor Augen, die das »System« bestimmen und einander ergänzen, wie die zwei Seiten einer Medaille. Einerseits ist es jenes sichtbare Geflecht aus Normen, Gesetzen und Glaubenssätzen, die unser wirtschaftliches und soziales Leben ausmachen. Man könnte es das »herrschende« System nennen, in unserem Fall der moderne Kapitalismus. Aber dieses Geflecht hat auch eine unsichtbare Seite, so wie ein großer Teil der Wurzeln eines Baums unterirdisch ist. Es wird getragen von anonymen Menschen aus allen Klassen und Schichten – von uns allen letztendlich –, die seine Regeln und Maximen in ihre Identität aufgenommen haben und sie nicht hinterfragen. Sie verkörpern es bis zur Perfektion und stützen es.

    Den Appell »Unruhe bewahren« könnte dasselbe Schicksal ereilen wie »Empört euch!« Gut gemeint, gut gebrüllt vielleicht, aber er verhallt ungehört. Man kann nämlich Empörung und Unruhe kaum verschreiben, so wie früher Ärzte Bergluft und Ruhe verschrieben, wenn sie nicht mehr weiterwussten. Auch ähnelt der Aufruf, Unruhe zu bewahren, jenem paradoxen Appell an den Depressiven, sich nicht depressiv zu fühlen.

    Aber was ist hier überhaupt mit Unruhe gemeint? Kaum die Unruhe des Kokainsüchtigen, der sich mit der Droge lebendiger und leistungsfähiger fühlt. Kaum die Unruhe des Börsenmaklers, der in Echtzeit auf mehreren Bildschirmen die Entwicklung von Kursen verfolgt und Geld nicht durch das Herstellen eines realen Produkts verdient, sondern durch virtuelle Zahlenmagie. Kaum die Unruhe des postmodernen Konsumenten, der nicht im Augenblick lebt, sondern zwischen Augenblicken, immer auf der Suche nach dem besonderen Kick. Mit einem diffusen Lebensgefühl und einem ebenso diffusen moralischen Empfinden. Und ebenfalls kaum die Unruhe einer narzisstischen Ära, wie sie Donald Trump verkörpert: selbstbezogen, sprunghaft, mitteilungsbedürftig und Twitter-süchtig.

    Die Unruhe, die ich mir vorstelle, braucht eine emotionale Gestalt, sonst bleibt sie nur die diffuse psychische Energie, die auch den Kokainsüchtigen, den Börsianer, den Konsumenten, den Narzissten antreibt. Sie führt uns kurz auf die Straße, damit wir dort ein wenig protestieren, und verpufft wieder. Sie lässt uns unzufrieden und zornig werden, ohne etwas zu verändern. Sie ermüdet uns. Welche emotionale Färbung könnte sie haben? Die der Wut angesichts der Missstände? Die der Empathie? Oder ist es die schöpferische Unruhe eines Menschen, der diese konzentriert und feinfühlig in Kunst verwandelt? Der Kunstwerke erschafft, in denen die Welt auf persönliche Weise Gestalt erhält?

    Jede Menge Fragen. Wenn wir uns noch dazu vergegenwärtigen, dass der Konsumkapitalismus sich alles einverleiben und alles neutralisieren kann, auch die Kritik an ihm – wie muss der Buchmarkt über den Erfolg von »Empört euch!« gejubelt haben –, könnten wir unsere Hoffnungen begraben. Jede Kritik gleicht einem Schattenboxen. Von diesem Nullpunkt aus können wir aber auch wieder beginnen zu hoffen.

    Angesichts einer sehr unruhigen Zeit könnte man eigentlich auch das Gegenteil fordern: Ruhe bewahren. Der ruhige, selbstbestimmte, beziehungsfähige Mensch ist der wahre Gegenpol zu unserem Zeitalter. Der Mensch, der sich auch seiner Fehlerhaftigkeit, seiner Begrenztheit, seines Unvermögens bewusst ist, doch jedes Mal, wenn er Gefahr läuft, sich zu verlieren, zurück zu sich selbst findet, zu seiner sicheren Basis.

    Damit es nicht nur bei einem kurzen Aufflackern der Empörung oder einer moralisch diffusen Unruhe bleibt, sollten wir uns über unsere Zeit im Klaren sein: über das spätkapitalistische, postmoderne Zeitalter. Welche Bedingungen für das Gedeihen der Persönlichkeit stellt es zur Verfügung oder behindert es dieses nicht viel eher? Es hat seine eigene Beschaffenheit und Verführungskraft, seine eigenen Belohnungen und Bestrafungen, bietet Chancen für die Befreiung des Individuums und kennt ebenso viele Sackgassen.

    Schon in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts stellten namhafte Denker dem fortgeschrittenen Kapitalismus und seinem Zersetzungspotential ein besorgniserregendes Zeugnis aus. Damals befand man sich an der Schnittstelle zwischen dem sogenannten »schweren« Kapitalismus – der mit der Industrialisierung begonnen hatte, konkrete Waren produzierte und bei dem die Wertschöpfung an ebenso konkrete Herstellungsorte wie Fabriken und Fließbänder gebunden war – und dem »leichten« von heute, bei dem ein Laptop und ein Platz im Kaffeehaus genügen. Bei dem uns tagein, tagaus nicht mehr Fragen beschäftigen, die mit konkreter Realität zu tun haben, sondern mit den Vorgaben und Erfindungen von Silicon Valley.

    Wie kann man den Menschen heute befähigen, seine Individuation voranzutreiben und eine integrierte Persönlichkeit zu werden? Will er das überhaupt? Ist er nicht zu beschäftigt zwischen der routinierten, zwanghaften Überprüfung der eigenen Facebook-Seite und der leichten Unruhe, die ihn nach dem akustischen Signal einer gerade erhaltenen SMS erfasst? Ist ihm der fragile Frieden, den er mit sich selbst für die Dauer seiner virtuellen Manipulationen geschlossen hat, nicht dienlicher?

    Wer kann hier Abhilfe leisten, nachdem die großen sozialen und ökonomischen Utopien, Kommunismus und Kapitalismus, sich angesichts ihrer Exzesse gründlich diskreditiert haben? Die Familie, die Schule, eine wahrlich humanistische Pädagogik, gar die Politik? Kunst vielleicht? Wäre ein Aufbau von unten, von den Wurzeln der Persönlichkeit her, nicht viel zu langsam? Läuft uns nicht die Zeit davon? Ist nicht schon alles verloren?

    Wenn wir nicht weiterhin neue Gesellschaftsutopien produzieren wollen, die sich ins Unmenschliche verkehren; wenn wir unser Schicksal nicht Politikern überlassen wollen, die zu oft opportunistisch dem System dienen und deren Macht von der Wirtschaft stark begrenzt wird; wenn wir unser Leben nicht einfach der Technik überverantworten wollen, in der Hoffnung, dass sie alles regelt, während wir weiter selbstentfremdet leben und an unserem Lifestyle nichts ändern, dann müssen wir uns fragen, welches Menschenbild wir vertreten und verwirklichen wollen. Und ob das Menschenbild, das der heutige Zeitgeist fördert, den wahren menschlichen Bedürfnissen entspricht.

    Es darf nicht sein, dass wir uns restlos in jenes Menschenbild einfügen und es übernehmen, das uns von einem außer Rand und Band geratenen Kapitalismus angeboten wird und von seinen Erfüllungsgehilfinnen, der Digitalisierung und Virtualisierung auf der einen Seite und der Postmoderne auf der anderen.

    Erich Fromm beschrieb in seinem Buch aus den Fünfzigerjahren »Wege aus einer kranken

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