Spiegeltherapie in Physiotherapie und Ergotherapie
Von Farsin Hamzei
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Über dieses E-Book
Aus dem Inhalt: • Neurophysiologische Grundlagen u.a. neuronale Plastizität und die Funktion von Spiegelneuronen • Indikationen wie z. B. Phantomschmerz, periphere Nervenläsionen oder Schlaganfall • Kombinationstherapien zur Optimierung der Therapieeffekte
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Buchvorschau
Spiegeltherapie in Physiotherapie und Ergotherapie - Farsin Hamzei
Book cover of Spiegeltherapie in Physiotherapie und Ergotherapie
Farsin Hamzei
Spiegeltherapie in Physiotherapie und Ergotherapie
1. Aufl. 2021
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Farsin Hamzei
Moritz Klinik GmbH & Co. KG, Bad Klosterlausnitz, Deutschland
ISBN 978-3-662-62603-0e-ISBN 978-3-662-62604-7
https://doi.org/10.1007/978-3-662-62604-7
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Vorwort
Das Interesse an der Spiegeltherapie hat vor 20 Jahren rasant zugenommen. Im Vergleich zu anderen innovativen Therapiemethoden wurde sie rasch in den Klinikalltag eingesetzt. Ihre Anwendung ist einfach, sie ist in ihrer Beschaffung kostengünstig und sie kann auch als Eigentraining angewendet werden.
Die ersten, gut dokumentierten Einsätze fanden zunächst bei Phantomschmerz nach Amputationen an Extremitäten statt. Einzelne Patienten berichteten durch die visuelle Illusion einer Bewegung der nicht vorhandenen (amputierten) Hand, dass der Phantomschmerz nachlässt. Eine erste Fallserie an Schlaganfallpatienten konnte zeigen, dass manche Patienten eine Verbesserung der Armparese aufweisen.
Seit dieser Zeit sind viele Versuche mit der Spiegeltherapie an unterschiedlichen Patientenpopulationen und Symptomen angewendet worden. Mit zunehmender Anwendung erfährt man im klinischen Alltag jedoch, dass nicht alle Patienten von einer Spiegeltherapie profitieren. Die anfängliche Euphorie, mit dieser Therapiemethode sehr gute Effekte zu erzielen, erlischt mit der Zeit.
Die Frage stellt sich nun, wie man die Spiegeltherapie vorausschauend erfolgreich anwenden kann. In den letzten Jahren kamen zunehmend Hinweise, welche Patientengruppen von der Spiegeltherapie am besten profitieren und welche weniger gut, sodass bei bestimmten Erkrankungen für eine erfolgreiche bzw. weniger erfolgreiche Anwendung z. T. ein Vorhersagewert gemacht werden kann.
Das Ziel dieses Buches ist es, die Anwendung der Spiegeltherapie bei verschiedenen Erkrankungen und Symptomen zu beschreiben. Dabei wird zunächst ein Fokus auf die bereits publizierten Daten gelegt, diese werden subjektiv bewertet. Es folgen praktische Tipps („Für den Praktiker"), die sowohl auf der subjektiven Bewertung der publizierten Studien als auch auf der persönlichen Erfahrung der letzten 20 Jahre beruhen.
Da es zu vielen Fragen im Rahmen der Spiegeltherapie noch keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt, werden die Hintergründe der Wirkweise der Spiegeltherapie ebenfalls beleuchtet. Zuvor wird auf die neuroplastischen Fähigkeiten des Gehirns eingegangen, die eine Grundlage für das Lernen darstellen und als Grundvoraussetzung für die Verbesserung nach einer Läsion, z. B. nach einem Schlaganfall, dienen. So kann der Leser aus diesen Erkenntnissen für sich selbst die entsprechenden Schlussfolgerungen ziehen.
In Kap. 3 werden Übungen konkret beschrieben und durch Bildserien ergänzt, damit die Anwendung einfacher in die Praxis übernommen werden kann.
Nicht zuletzt seit der Coronavirus-Zeit wissen wir, dass wissenschaftliche Erkenntnisse eine dynamische Entwicklung durchlaufen, sodass neue Erkenntnisse die alten überholen. Dies erfordert von allen Beteiligten, die einen höheren Qualitätsstandard für ihre Arbeit in Anspruch nehmen, dass sie sich den neuen Erkenntnissen widmen und sich mit ihnen auseinandersetzen.
Farsin Hamzei
Bad Klosterlausnitz
im April 2021
Abkürzungsverzeichnis
ADL
Activity of Daily Living
BDNF
Brain Derived Neurotrophic Factor
EEG
Elektroenzephalografie
fMRT
Funktionelle Magnetresonanztomografie
GABA
ϒ-Aminobuttersäure
LTP
Long-Term Potentiation
LDP
Long-Term Depression
NIRS
Nahinfrarotspektroskopie
MAS
Modified Ashworth Scale
MEP
Motorisch evoziertes Potenzial
rTMS
Repetitive Transkranielle Magnetstimulation
SMA
Supplementär Motorisches Areal
SSEP
Somatosensorisch Evoziertes Potenzial
tDCS
Transcranial Direct Current Stimulation
TMS
Transkranielle Magnetstimulation
Inhaltsverzeichnis
1 Grundlagen 1
1.1 Neuronale Plastizität 1
1.2 Lernen und Trainieren nach einer zentralen Läsion 5
1.3 Prädiktion einer motorischen Verbesserung nach einem Schlaganfall 8
1.4 Bewegungsbeobachtung, Spiegelneurone und Spiegeltherapie 11
2 Krankheitsbilder 21
2.1 Phantomschmerz 21
2.2 Komplexes regionales Schmerzsyndrom 29
2.3 Periphere Nervenläsion und handchirurgische Eingriffe 31
2.4 Schlaganfall 32
3 Praktischer Teil 49
3.1 Übungen zur Handbewegung 51
3.2 Übungen zur Feinmotorik der Hand 74
3.3 Übungen zur Sensomotorik der Hand 85
3.4 Übungen für den proximalen Arm 93
3.5 Übungen intransitiver Art 115
3.6 Übungen für das Bein 125
Literatur 143
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021
F. HamzeiSpiegeltherapie in Physiotherapie und Ergotherapiehttps://doi.org/10.1007/978-3-662-62604-7_1
1. Grundlagen
Farsin Hamzei¹
(1)
Moritz Klinik GmbH & Co. KG, Bad Klosterlausnitz, Deutschland
Farsin Hamzei
Email: farsin.hamzei@moritz-klinik.de
1.1 Neuronale Plastizität
Das Gehirn besitzt die bemerkenswerte Eigenschaft, lebenslang lernen zu können und sich an die Anforderungen der Umgebung und der Umwelt anzupassen. Diese Eigenschaft wird häufig als neuronale Plastizität oder Neuroplastizität bezeichnet. Die Grundlage der Neuroplastizität beruht auf der strukturellen und funktionellen Organisation des Gehirns.
Bei der strukturellen Organisation des Gehirns fällt auf, dass die einzelne Hirnregionen zytoarchitektonisch unterschiedlich aufgebaut sind. Diese Erkenntnis weist daraufhin, dass die einzelnen Regionen wie die Assoziationskortizes, z. B. die parietalen und frontalen Areale, unterschiedliche Aufgaben übernehmen. Weiter zeigen bestimmte Areale, wie z. B. der primär motorische und der primär somatosensorische Kortex, dass sie somatotopisch organisiert sind. Das bedeutet, die benachbarten Körperteile sind als benachbarte Körperregionen präsentiert, was als „Homunkulus" benannt wird (Makin und Flor 2020). Ihr funktioneller Aufbau ist dynamisch (Abb. 1.1). Unter einem repetitiven Training können sich ihre rezeptiven Felder ausdehnen (Pascual-Leone et al. 1995).
../images/502656_1_De_1_Chapter/502656_1_De_1_Fig1_HTML.pngAbb. 1.1
Der Homunkulus des primären motorischen Kortex ist somatotopisch organisiert. Benachbarte Körperteile sind als benachbarte Körperregionen präsentiert. Die Areale von Gesicht, Hand und Fuß sind von ventral nach dorsal in unterschiedlicher Ausbreitungsgröße organisiert
Funktionell ist das Gehirn aus Netzwerken organisiert, die aus neuronalen Verbindungen über z. T. entfernte Areale des Gehirns bestehen.
Vereinfacht dargestellt, werden aus unterschiedlichen Qualitäten bestehende sensorische Informationen zunächst im Gehirn in unterschiedliche Areale aufgenommen und entsprechend verarbeitet. Dabei interagieren kortikale Areale mit subkortikalen Regionen (z. B. den Basalganglien) und dem Kleinhirn. Hieraus kann dann ein Output generiert werden.
Das repetitive Training führt zu einem Reiz, der zunächst eine vermehrte Genexpression veranlasst. Ein Beispiel für eine solche Genexpression im Rahmen eines Trainings/Lernens ist die Ausschüttung von Protein Brain Derived Neurotrophic Factor (BDNF) (Rickhag et al. 2007, 2006; Zoladz und Pilc 2010). BDNF fördert u. a. das Wachstum neuer Neurone und Synapsen. Somit kommt es mit dem Training und dem Lernen zu einer strukturellen und einer funktionellen Plastizität.
Bei der strukturellen Plastizität können Axone und Dendriten wachsen und neue Verbindungen eingehen. Auch kann die Neurogenese gefördert werden, d. h., aus bestimmten Stammzellen werden neue Nervenzellen gebildet (Kleim et al. 1996; Xu et al. 2009; Fu et al. 2012; Cheung et al. 2013; Eriksson et al. 1998).
Die funktionelle Plastizität bezieht die veränderte synaptische Aktivität ein. Donald Olding Hebb formulierte 1949 (The Organization of Behavior), dass durch die Repetition von Reizen die aufeinander geschalteten Zellen untereinander eine Effizienz in ihrer synaptischen Aktivität ausbilden. Das heißt auch, dass die vorgeschaltete Synapse A mit der Wiederholung von Aufgaben (Training) ein größeres Aktionspotenzial in der nachgeschalteten Synapse B bewirkt (Butts et al. 2007; Stellwagen und Shatz 2002). Dabei kann es zu einer langdauernden Verstärkung der synaptischen Übertragung kommen, was als LTP (Langzeitpotenzierung, „long-term potentiation) terminiert ist. Auch eine langdauernde Hemmung, eine LDT (Langzeitdepression, „long-term depression
), kann ausgebildet werden. Durch die veränderte synaptische Aktivität, z. B. durch eine Hochregulierung der Präsynapse und Postsynapse (LTP), kommt es gleichzeitig zu einer homöostatischen Plastizität (Turrigiano und Nelson 2004), die wiederum nach einer lokalen Läsion wie dem Schlaganfall beeinträchtigt sein kann (dazu mehr in Abschn. 1.2).
In den letzten Jahrzehnten wurde mit verschiedenen Sequenzen der Magnetresonanztomografie (MRT) versucht, mehr über die Arbeitsweise des gesunden und des erkrankten Gehirns zu erfahren.
Mithilfe der funktionellen MRT (fMRT) lassen sich Aussagen über die funktionelle Organisation des Gehirns treffen. Bei einer fMRT-Untersuchung können bestimmte Aufgaben abwechselnd mit dem Ruhezustand ausgeführt werden. Zum Beispiel in einem Blockdesign oder Event-related-Design (ereigniskorreliert) führen Probanden/Patienten im Scanner Aufgaben durch, die sich mit Ruhephasen (in dieser Phase wird keine Aufgabe durchgeführt) abwechseln. Bei der sog. Resting-State-Untersuchung (ruhender Zustand) führen die Probanden/Patienten für die gesamte Dauer der Untersuchung keine Aufgaben durch. Bei dieser Form der Untersuchung versucht man, diejenigen Netzwerke zu identifizieren, die in diesem quasi ruhenden Zustand „aktiv" sind. Bein einem Blockdesign oder Event-related-Design werden Neuronenverbände