Chirurgie peripherer Nerven kompakt
Von Hans Assmus
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Über dieses E-Book
Alle praktisch relevanten Themen der peripheren Nervenchirurgie sind in übersichtlicher, stichwortartiger Form in diesem Kompendium zusammengefasst. Es wendet sich an Fachärzte ebenso wie an Ärzte in der Weiterbildung. Im Mittelpunkt stehen das diagnostische und therapeutische Vorgehen mit differenzierten Empfehlungen zur Therapieauswahl. Die Untersuchungsverfahren und chirurgischen Techniken sind mit zahlreichen Abbildungen beschrieben, dazu gehören als wichtige Behandlungsoption auch die motorischen Ersatzoperationen. Detailreiche Zeichnungen illustrieren die zugehörige Anatomie als Grundlage des chirurgischen Handelns. Die Läsionen der Hirnnerven N. facialis und N. accessorius sind, da sie klinisch und therapeutisch viele Ähnlichkeiten mit den peripheren Nerven aufweisen, zusätzlich berücksichtigt.
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Chirurgie peripherer Nerven kompakt - Gregor Antoniadis
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021
G. Antoniadis et al. (Hrsg.)Chirurgie peripherer Nerven kompakthttps://doi.org/10.1007/978-3-662-62504-0_1
1. Klinisch relevante Anatomie der peripheren Nerven
Martin F. Langer¹
(1)
Klinik für Unfall-, Hand und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
Martin F. Langer
Email: Martin.Langer@ukmuenster.de
1.1 Mikroskopische Anatomie
1.2 Chirurgisch relevante Nerven in der Kopf-Hals-Region
1.3 Chirurgisch relevante Nerven der oberen Extremität
1.4 Chirurgisch relevante Nerven des Körperstamms
1.5 Chirurgisch relevante Nerven der unteren Extremität
Nichts ist für die Chirurgie der peripheren Nerven wichtiger als sehr profunde Kenntnisse der topografischen und funktionellen Anatomie. Die Schnittführungen der Zugangswege sind bei guten Anatomiekenntnissen exakter und kürzer, die Präparation zu den Nerven gezielter, schonender und damit die postoperativen Vernarbungen geringer. Die Operationszeiten sind deutlich kürzer und vor allem sind iatrogene Nervenverletzungen seltener.
Für die klinisch relevante Anatomie sind detaillierte Abbildungen der topografischen Anatomie von größtem Nutzen, daher habe ich den Text zu diesem Kapitel möglichst kurz gehalten und die Abbildungen mit möglichst vielen Detailinformationen versehen.
1.1 Mikroskopische Anatomie
Abb. 1.1 und 1.2
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig1_HTML.jpgAbb. 1.1
Aufbau einer Nervenzelle. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig2_HTML.pngAbb. 1.2
Aufbau eines peripheren Nerven. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
1.2 Chirurgisch relevante Nerven in der Kopf-Hals-Region
Abb. 1.3, 1.4, 1.5, und 1.6
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig3_HTML.pngAbb. 1.3
Hautnerven des Kopfes mit farblich markiertem Versorgungsbereich. Zentraler Ohrbereich mit gemischter Innervation aus N. facialis (VII), N. glossopharyngeus (IX) und N. vagus (X). (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig4_HTML.pngAbb. 1.4
Äste des N. facialis mit zugehöriger mimischer Muskulatur. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig5_HTML.jpgAbb. 1.5
Verlauf des N. accessorius (XI). Nach Austritt aus dem Foramen verläuft der N. accessorius unterhalb des M. sternocleidomastoideus und gibt hier einzelne Äste zum Muskel ab. Der Nerv verläuft am Hinterrand des Sternocleidomastoideus etwa 6–8 cm kaudal des Proc. mastoideus zu einem Punkt am Vorderrand des M. trapezius etwa 4–6 cm kranial des Ansatzes an der Klavikula. Er wird von Lymphknoten der Akzessoriuskette begleitet. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig6_HTML.pngAbb. 1.6
Hautäste am Hinterkopf. Zur Orientierung dienen der rechte und linke Processus mastoideus (PM) und die Protuberantia occipitalis (PO). Von der Protuberantia occipitalis liegt der N. occipitalis minor etwa 0,5 cm lateral, der N. occipitalis major etwa 4 cm, der N. occipitalis minor etwa 7 cm und der N. auricularis magnus etwa 9 cm. Den N. occipitalis major findet man auch etwa auf dem ersten Drittel der Strecke PO zu PM. Der Fasziendurchtritt des N. occipitalis major findet sich etwa 2 m distal der intermastoidalen Linie (PM–PM). (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
1.3 Chirurgisch relevante Nerven der oberen Extremität
Abb. 1.7, 1.8, 1.9, 1.10, 1.11, 1.12, 1.13, 1.14, 1.15, 1.16, 1.17, 1.18, 1.19, 1.20, 1.21, 1.22, 1.23, 1.24, und 1.25
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig7_HTML.pngAbb. 1.7
Aufbau des Plexus brachialis. Merkspruch für die verschiedenen Abschnitte: Wurzeln – Trunci – Aufteilungen – Faszikel – Stammnerven oder englisch: roots – trunks – divisions – cords – branches = R-T-D-C-B (remember to drink cold beer). (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig8_HTML.pngAbb. 1.8
N. suprascapularis von kraniodorsal aus gesehen. Der N. suprascapularis liegt etwa 3 cm dorsal der Klavikula. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig9_HTML.pngAbb. 1.9
Hautnerven der oberen Extremität von der Beugeseite aus. Links: Segmentdarstellung. Mitte: Hautnervenverlauf. Rechts: Versorgungsareale der Hautnerven. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig10_HTML.pngAbb. 1.10
Hautnerven der oberen Extremität von der Streckseite aus. Links: Segmentdarstellung. Mitte: Hautnervenverlauf. Rechts: Versorgungsareale der Hautnerven. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig11_HTML.pngAbb. 1.11
N. musculocutaneus. Innervation der Muskeln und sensibles Hautareal. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig12_HTML.pngAbb. 1.12
N. axillaris von dorsal aus gesehen. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig13_HTML.pngAbb. 1.13
Hautareal des N. axillaris. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig14_HTML.jpgAbb. 1.14
Anatomie und Äste des N. radialis. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig15_HTML.pngAbb. 1.15
Verlauf des N. radialis am Unterarm. Der Abstand zur Frohse-Arkade vom Epicondylus radialis liegt bei durchschnittlich 4 cm, der Austritt aus dem M. supinator bei 8 cm vom Epicondylus. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig16_HTML.pngAbb. 1.16
Äste des R. superficialis am Handgelenk. Der Durchtrittspunkt durch die Unterarmfaszie (Wartenberg-Arkade) liegt etwa eine Zeigefingerlänge (8 cm) vor dem Processus styloideus radii. Der erste Abgang nach dem Fasziendurchtritt geht etwa ½ Zeigefingerlänge (4 cm) proximal des Processus styloideus radii nach radial. Auf Höhe der Tabatiere liegen die beiden dorsalen Daumenäste jeweils 0,5 cm radial und ulnar der Mitte des 1. Strecksehnenfachs. Das dorsal innervierte Hautareal reicht beim Daumen bis etwa zur Mitte des Fingernagels, an den Fingern bis zum PIP-Gelenk. Nach einigen Studien soll bei Frauen das Hautareal häufiger bis zur Mitte des Ringfingers reichen als bei Männern. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig17_HTML.pngAbb. 1.17
Topografische Lage der Frohse-Arkade. Die Frohse-Arkade befindet etwa unterhalb der Zeigefingerspitze des Untersuchers, wenn er mit der gleichen Hand (rechts – rechts) die beiden Epicondyli zwischen Daumenspitze und Mittelfingerspitze fasst und den Zeigefinger senkt. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig18_HTML.pngAbb. 1.18
Verlauf des N. radialis am Oberarm im Verhältnis zum Humerus. Der N. radialis liegt in der Mitte des Oberarms exakt dorsal. Etwa 12 cm (1,5-mal Länge des Zeigefingers) proximal des Epicondylus radialis liegt der N. radialis exakt radial des Humerus. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig19_HTML.pngAbb. 1.19
Übersicht über den N. medianus. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig20_HTML.pngAbb. 1.20
Anatomie des R. palmaris des N. medianus. Der wichtige sensible Ast des N. medianus für den proximalen Anteil des Thenars spaltet sich etwa 6 cm proximal der Rascetta radialseitig vom N. medianus ab und verläuft subfaszial zwischen der Sehne des M. palmaris longus und der Flexor-carpi-radialis-Sehne. Etwa auf Höhe der Rascetta durchbricht der Ast unterhalb des Thenarfaszienstrangs die Faszie – hier ist er sehr schwer zu erkennen und zu präparieren – und verteilt sich im Thenarbereich. Etwa 1 cm distal der Rascetta läuft ein Ast transversal nach ulnar (Taleisnik-sche Faser) und hat dort Verbindungen zu Ulnaris-Ästen. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig21_HTML.pngAbb. 1.21
Brug‘scher Punkt. Topografische Anatomie des motorischen Thenarastes. Wenn der Mittelfinger isoliert gebeugt wird, befindet sich der motorische Thenarast genau dort, wo die Mittelfingerkuppe die Haut berührt (grüner Bereich). (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig22_HTML.pngAbb. 1.22
Processus supracondylaris (Tiedemann-Sporn). Bei etwa 1 % aller Menschen findet sich ein atavistischer Knochensporn etwa 6 cm proximal des Humeroulnargelenks ulnopalmarseitig am Humerus. Von ihm zieht das Struther-Band zum Epicondylus medialis. Die A. brachialis oder bei hoher Aufteilung die A. ulnaris sowie der N. medianus verlaufen hier durch einen osteofibrösen Kanal, an dem es zu Kompressionen beider Strukturen kommen kann. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig23_HTML.jpgAbb. 1.23
Verlauf und Äste des N. ulnaris. A: subkutane Anatomie an der Medialseite des Ellenbogens. B: N. ulnaris im Bereich des Ellenbogens. C: Äste des N. ulnaris bis zur Hand. 1 verstärkte Faszie des Septums intermusculare; 2 Lig. epitrochleoanconeum; 2a M. epitrochleoanconeus; 3 Osborne-Arkade; 4 Faszie zwischen Pars olecrani und Pars epicondylus des M. flexor carpi ulnaris; 5 Muskelfaszienstränge innerhalb des M. flexor digitorum profundus 4/5; 6 Hiatus basilicus; 7 V. basilica; 8 N. cutaneus antebrachii medialis; 9 Rr. musculares (FCU) des N. ulnaris; 10 Martin-Gruber-Verbindung zum N. medianus; 11 Rr. musculares (FDP 4,5); 12 Henle-Nerv (begleitet die A. ulnaris); 13 R. dorsalis ni. ulnaris; 14 R. profundus (motorische Äste); 15 Berrettini-Verbindung zum N. medianus; 16 Riche-Cannieu-Verbindung zum N. medianus; N8–N10 sensible Äste zum Kleinfinger und zur Ulnarseite des Ringfingers. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig24_HTML.pngAbb. 1.24
N. ulnaris und N. medianus in der Hohlhand. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig25_HTML.pngAbb. 1.25
Anatomie der Fingernerven . (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
Datei:
1.4 Chirurgisch relevante Nerven des Körperstamms
Abb. 1.26
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig26_HTML.pngAbb. 1.26
Äste und Versorgungsgebiet des Plexus lumbosacralis. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
1.5 Chirurgisch relevante Nerven der unteren Extremität
Abb. 1.27, 1.28, 1.29, 1.30, 1.31, 1.32, 1.33, 1.34, und 1.35
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig27_HTML.jpgAbb. 1.27
Hautinnervation der Ventralseite des Beins. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig28_HTML.pngAbb. 1.28
Hautinnervation der Dorsalseite des Beins. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig29_HTML.pngAbb. 1.29
Verlauf des N. fibularis (peroneus) im Kniegelenksbereich. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig30_HTML.jpgAbb. 1.30
Verlauf des R. cutaneus des N. fibularis profundus am Fuß. Der Nerv verläuft entlang einer Linie von der Mitte der Verbindungslinie zwischen Malleolus lateralis und medialis zur 1. Kommissur. Der proximale Abschnitt wird von der A. dorsalis pedis begleitet. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig31_HTML.pngAbb. 1.31
Nerven in der Poplitealregion. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig32_HTML.pngAbb. 1.32
Nerven der Medialseite des Fußes. Die Dellon-McKinnon-Linie verläuft zwischen dem Malleolus medialis und dem Kalkaneus und zeigt den Verlauf des Retinaculum flexorum. Der N. tibialis liegt etwa in der Mitte der Linie. Das Heinkes-Dreieck hat seine Eckpunkte am Kalkaneus, am dorsal tastbaren Os naviculare und dem Vorderrand der Tibiagelenkfläche zum Talus. Der Tarsaltunnel liegt an der Drittelgrenze zum Kalkaneus. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig33_HTML.pngAbb. 1.33
Nerven der Fußsohle. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig34_HTML.pngAbb. 1.34
Nerven an der Dorsalseite des Oberschenkels. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
../images/484784_1_De_1_Chapter/484784_1_De_1_Fig35_HTML.pngAbb. 1.35
Lage des N. ischiadicus im Dreieck Spina iliaca posterior – Trochanter major und Tuberculum pubicum. (Bildrechte: Prof. Martin Langer, mit freundlicher Genehmigung)
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021
G. Antoniadis et al. (Hrsg.)Chirurgie peripherer Nerven kompakthttps://doi.org/10.1007/978-3-662-62504-0_2
2. Anamnese und klinische Untersuchung in der Chirurgie peripherer Nerven
Nora Dengler¹ und Hans Assmus²
(1)
Klinik für Neurochirurgie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
(2)
(emeritus) Schriesheim, Deutschland
Nora Dengler (Korrespondenzautor)
Email: nora.dengler@charite.de
Hans Assmus
Email: hans-assmus@t-online.de
2.1 Anamnese
2.2 Klinische Untersuchung
2.2.1 Inspektion
2.2.2 Palpation
2.2.3 Gelenkbeweglichkeit (Neutral-Null-Methode)
2.2.4 Untersuchung der Sensibilität
2.2.5 Hoffmann-Tinel-Zeichen
2.3 Untersuchung der Motorik
Literatur
Trotz aller technischen Fortschritte auf dem Gebiet der Elektrophysiologie und insbesondere neuerdings der Bildgebung sind Anamneseerhebung und klinisch-neurologische Untersuchung nach wie vor unverzichtbar.
2.1 Anamnese
Die Anamnese ist Grundlage/Basis der klinischen Untersuchung, und bestimmt die erforderliche Zusatzdiagnostik. Ziel des Prozedere ist eine korrekte Diagnosestellung, die wiederum Basis jeder Entscheidung zum operativen Vorgehen ist (Assmus 2017; Assmus et al. 2013; Müller-Vahl et al. 2014).
Familienanamnese (z. B. bei Karpaltunnelsyndrom – KTS)
Berufsanamnese (besondere berufliche Exposition)
Unfallanamnese:
Zeitpunkt/Umstände
Unfallhergang (ggf. Fremdanamnese)
Schädigungsereignis/Mechanismus (Fraktur, Stich-, Schuss-, Zerrungsverletzung, Injektion)
Geschlossene/offene Verletzung
Begleitverletzungen (knöchern, vaskulär, radikulär, spinal)
Nach Operation (iatrogen, siehe auch Kap. 15)
Druckschädigung (Lagerung?, Gips?)
Begleiterkrankungen/Infektionen
Beginn und Art der Beschwerden/Symptome
Blitzartiger Schmerz („Stromschlag") während Verletzung/Operation?
Brennschmerz?
Taubheitsgefühl?
Schwäche/Lähmung?
Schmerzhafte/schmerzlose Schwellung/Tumor bemerkt?
Beschwerden sofort nach Unfall/Operation oder nach freiem Intervall?
Typische Auslöser (z. B. manuelle Überlastung bzw. Beugung des Handgelenks bei KTS, Überkopfarbeit beim Thoracic-outlet-Syndrom – TOS)?
Verlauf (Besserung, Verschlechterung/Progredienz/Größenzunahme eines Tumors?)
Voroperationen
Begleiterkrankungen
Krankenunterlagen vorhanden?
Arztbriefe/Durchgangsarzt(D-Arzt)-Berichte
Operationsberichte (kritisch prüfen!)
2.2 Klinische Untersuchung
Klinische Untersuchung immer am entkleideten Patienten bzw. an gut zugänglicher Extremität, zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach einer Verletzung (Assmus et al. 2013) durchführen. Durch Gips/Extension mögliche Einschränkungen.
2.2.1 Inspektion
Hautveränderungen (Beschwielung, Hauttumoren, Pigmentierungen, Nagelbettveränderungen/Afföldi-Zeichen)?
Schwellungen/Ödem (Differenzialdiagnose CRPS [komplexes regionales Schmerzsyndrom; Sudeck-Dystrophie]/Handödem)? (Abb. 2.1)
Narben? Hauttransplantate? Keloid bei Kreuzung von Hautfalten, atypische Lokalisation als Hinweis auf möglichen fehlerhaften Eingriff, „Miniinzision" als Risikofaktor?
Gelenkdeformierungen/Fehlstellungen/Versteifungen?
Umschriebene Muskelatrophie/Aplasie, diffuse (Inaktivitäts-)Atrophie?
Hautdurchblutung?
../images/484784_1_De_2_Chapter/484784_1_De_2_Fig1_HTML.jpgAbb. 2.1
a Komplexes regionales Schmerzsyndrom nach iatrogener Läsion des N. medianus, b nicht zu verwechseln mit einem ausgeprägten Ödem des Handrückens und der Hand durch einen strangulierenden Verband nach Operation eines Karpaltunnelsyndroms. (Aus Assmus und Antoniadis 2015)
2.2.2 Palpation
Nervenverlauf: Schmerzhaftigkeit/Verdickungen/Luxation?
Trockene/feuchte/kühle Haut? Schweißsekretion/Hypo-/Anhidrose
Muskelverhärtung? (Fibrose bei Kompartment-Syndrom, Spastik)
Muskel/Sehnenriss (z. B. Bizeps)?
2.2.3 Gelenkbeweglichkeit (Neutral-Null-Methode)
Siehe Tab. 2.1, Abb. 2.2.
Sehnenverkürzungen (z. B. Achillesehne)
Siehe auch Gelenkdeformierungen oben!
Tab. 2.1
Neutral-Null-Methode. Es gelten folgende physiologische Werte für das Bewegungsmaß des jeweiligen Gelenks
../images/484784_1_De_2_Chapter/484784_1_De_2_Fig2_HTML.pngAbb. 2.2
a Neutral-Null-Methode. b Normalbewegung im Ellenbogengelenk mit dem Bewegungsprotokoll für die Flexion/Extension 150°/0°/10°. c Beispiel für die Protokollierung bei einer Beugekontraktur im Ellenbogengelenk mit Kontrakturstellung des Gelenks bei 20° sowie inkompletter Beugung bis 130°. Flexion/Extension 130°/20°/0°. (Aus Krämer und Grifka 2007)
2.2.4 Untersuchung der Sensibilität
(Siehe auch Kap. 20)
Die Untersuchung setzt immer eine gute Kooperation des wachen Patienten voraus. Beim bewusstlosen bzw. bewusstseinsgestörten Patienten (z. B. auf Intensivstation oder in der Notaufnahme) lässt sich durch Schmerzreize (Nadelstich) eine Nervenläsion grob einschätzen. Dies ist auch hilfreich bei groben Täuschungsmanövern im Rahmen von Begutachtungen.
Qualitativ (Dysästhesie/Parästhesie) und quantitativ (Hypästhesie, Anästhesie, Hyperästhesie)
Praktisches Vorgehen: leichte Berührung mit Fingerkuppe/Wattebausch, evtl. Seitenvergleich (Reizschwellenuntersuchung)
Eingrenzung mit Nadel vom gesunden Bereich her
Befunddokumentation durch Markierung und Foto: Ausdehnung der Innervationsstörung, Zuordnung zu bestimmtem Nerv (Kap. 1) bzw. segmentaler Innervation (Abb. 2.3)
Untersuchung der taktilen Fähigkeiten mit folgenden Tests:
Statische 2-Punkte-Diskrimination (2PD, Prüfung des geringsten Abstands zweier Punkte, die noch getrennt wahrgenommen werden können)
z. B. mit aufgebogener Büroklammer (Abb. 2.4) (Normwerte an Fingerkuppen 4–6 mm)
Dynamische 2PD durch Bewegung der Klammer auf der Haut (Normwert etwa 2 mm auf Fingerkuppe)
Münzerkennungstest nach Seddon
Erkennen auf die Haut geschriebener Zahlen
Aufsammeltest, modifiziert nach Moberg
Differenzierte, semiquantitative Verfahren:
Semmes-Weinstein-Monofilamente (SWMT)
Weinstein Enhanced Sensory Test (WEST)
Shape Texture Identification Test (STI-Test) (Rosen und Lundborg 2003)
Kälteintoleranz-Score (CISS)
Vibrationsempfinden (Stimmgabel), Anwendung vorzugsweise bei Polyneuropathien
„Objektive", doch indirekte, kaum mehr gebräuchliche Tests der Sensibilität (über die vegetative Innervation/Schweißsekretion):
Hautfaltentest (Hautrunzeln im Wasser)
Ninhydrintest, „indirekter" Test über die Schweißsekretion, wegen des schlechten Handlings für Patient und Untersucher (blaue Verfärbung der Haut!) heute weitgehend verlassen
Für Therapiekontrollen bei klinischen Studien zu verschiedenen Behandlungsverfahren, der Beurteilung der Funktionsausfälle bzw. beruflichen Leistungsfähigkeit, im Rahmen von Begutachtungen usw. ist die Klassifikation der sensiblen Regeneration nach MRC-Skala (Tab. 2.2) wichtig
../images/484784_1_De_2_Chapter/484784_1_De_2_Fig3_HTML.jpgAbb. 2.3
Schema der sensiblen Innervation. (Aus Hacke 2016)
../images/484784_1_De_2_Chapter/484784_1_De_2_Fig4_HTML.jpgAbb. 2.4
Untersuchung der statischen 2-Punkte-Diskrimination mit einer aufgebogenen Büroklammer
Tab. 2.2
Klassifikation der sensiblen Regeneration (Medical Research Council, MRC 1975)
2PD Zweipunktediskrimination
Diskriminatorische Sensibilität mit 2PD beurteilt: Werte unter 4 mm normal, ab 10 mm pathologisch, d. h. keine ausreichende „Schutzsensibilität" (dito ab Monofilament 6,65 im Semmes-Weinstein-Test).
2.2.5 Hoffmann-Tinel-Zeichen
Einfache und meist zuverlässige Hilfe bei der Beurteilung einer Nervenläsion und ihrer Regeneration, auch bei motorischen Nerven wie N. accessorius.
Hypothese: Erregung ungeschützter Nervenenden von aussprossenden oder unzureichend bemarkten Nervenendigungen
Parästhesien nach Beklopfen (mit Zeige- oder Mittelfinger) des Nervenverlaufs bei fraglicher Schädigung bzw. Hinweis auf Regeneration
Mit zunehmender Nervenregeneration Wandern nach distal
Bei Ausbleiben der Regeneration Persistieren und Verstärkung an Nahtstelle
Auch bei geschlossenen Verletzungen/Frakturen oder Kompressionen (z. B. TOS) als Hinweis auf Nervenschädigung anwendbar (Birch 2011)
2.3 Untersuchung der Motorik
Auch diese Untersuchung setzt die optimale Kooperation des Patienten voraus. Täuschungsmanöver sind im Rahmen von Begutachtungen möglich, hier immer ergänzend Elektrophysiologie heranziehen, (Kap. 3).
Cave
Trickbewegungen!
Prinzipiell ist die Prüfung jedes einzelnen Muskels erforderlich, orientierend von proximal nach distal, entsprechend der Astabgänge eines Nervs.
Bewegungsabläufe häufig komplex, bei Bewegungen des Daumens sind alle drei langen Armnerven beteiligt.
Klinische Untersuchung der Kennmuskeln des (verletzten) Nervs (Tab. 2.3)
Beschreibung des Schweregrads der Läsion nach dem Medical Research Council Muscle Strength Grading System (MRC) (Tab. 2.4), Modifikationen z. B. bei Babys und Kleinkindern (Kap. 16)
Semiquantitative Verfahren: Daumen-Zeigefinger-Griff und Faustschluss mit Jamar-Dynamometer (Assmus 2015)
Fragebögen zur Selbsteinschätzung im Rahmen der Therapiekontrolle (und bei klinischen Studien) (siehe auch Kap. 20), z. B. Disability of the Arm Shoulder and Hand (DASH), deutsche Version: https://www.akademie-fuer-handrehabilitation.de/fachliches/veroeffentlichungen/dash-fragebogen.php
Tab. 2.3
Klinische Untersuchung der Kennmuskeln des (verletzten) Nervs
Tab. 2.4
Beschreibung/Klassifikation des Schweregrads der motorischen Läsion nach der MRC-Skala (Medical Research Council)
Literatur
Assmus H (2015) Klinische Untersuchung. In: Assmus H, Antoniadis G (Hrsg) Nervenkompressionssydrome, 3. Aufl. Springer, Heidelberg, S 7–10
Assmus H (2017) Timing and decision making in peripheral nerve trauma. In: Haastert-Talini K, Assmus H, Antoniadis G (Hrsg) Modern concepts of peripheral nerve repair. Springer International, Cham, S 27–39Crossref
Assmus H, Antoniadis G (2015) Nervenkompressionssydrome, 3. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg
Assmus H, Antoniadis G, Bischoff C et al (2013) Versorgung peripherer Nervenverletzungen. S3-Leitlinie der Dtsch. Gesellschaften für Handchirurgie, Neurologie, Neurochirurgie, Unfallchirurgie, Orthopädie und Orthopädischen Chirurgie und der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen. AWMF-Reg. Nr. 05/010, 2013
Birch R (2011) Clinical aspects of nerve injury. In: Birch R (Hrsg) Surgical disorders of the peripheral nerves, 2. Aufl. Springer, London/Dordrecht/Heidelberg/New York, S 145–188Crossref
Hacke W (Hrsg) (2016) Neurologie, 14. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg
Krämer J, Grifka J et al (2007) Orthopädie Unfallchirurgie. Springer, Heidelberg. ISBN-13 978-3-540-48498-1
Mackinnon SE, Dellon AL, Eine L (Eds.) (1988) Surgery of the peripheral Nerve. New York Thieme
Medical Research Council (1975) Aids to the examination of the peripheral nervous system Memorandum. London: Her Majesty‘s Stationary Office, p45
Müller-Vahl H et al (2014) Untersuchungen bei Läsionen peripherer Nerven. In: Müller-Vahl H et al (Hrsg) Läsionen peripherer Nerven und radikuläre Syndrome. Thieme, Stuttgart, S 53–81
Rosen B, Lundborg G (2003) A new model instrument for outcome after nerve repair. Hand Clin 19:463–470Crossref
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021
G. Antoniadis et al. (Hrsg.)Chirurgie peripherer Nerven kompakthttps://doi.org/10.1007/978-3-662-62504-0_3
3. Neurophysiologische Diagnostik in der Chirurgie peripherer Nerven
Christian Bischoff¹ und Wilhelm Schulte-Mattler²
(1)
Neurologische Gemeinschaftspraxis, München, Deutschland
(2)
Klinik für Altersmedizin, Psychiatrschie Klinik der Universität, Universität Regensburg, Regensburg, Deutschland
Christian Bischoff (Korrespondenzautor)
Email: bischoff@profbischoff.de
Wilhelm Schulte-Mattler
Email: wilhelm.schulte-mattler@klinik.uni-regensburg.de
3.1 Methoden
3.1.1 Elektromyografie (EMG)
3.1.2 Motorische Neurografie
3.1.3 Sensible Neurografie
3.2 Befundmuster
3.2.1 Neurapraxie (Leitungsblock – LB)
3.2.2 Partielle Axonotmesis früh
3.2.3 Partielle Axonotmesis Endzustand
3.2.4 Totale Axonotmesis und Neurotmesis
3.2.5 Infranglionäre Läsion vs. supraganglionäre Läsion
3.2.6 Chronische Kompressionssyndrome
Literatur
Elektrophysiologische Untersuchungen – Elektromyografie (EMG) und Neurografie (NG) – sind auch unter Berücksichtigung der Fortschritte bei den bildgebenden Verfahren weiterhin unentbehrlich in der Diagnostik von Nervenläsionen, vor allem auch bei Nerventraumata, bezüglich
Aussagen zur Pathophysiologie (Neurapraxie, partielle axonale Schädigung oder vollständige Nervendurchtrennung) in Abhängigkeit von der Zeit zwischen Trauma und Untersuchung,
Schweregrad der Läsion,
Verlauf,
prognostischer Abschätzung,
Alter der Läsion,
Lokalisation der Schädigung.
Bei Traumen sind die günstigsten Untersuchungszeitpunkte unmittelbar nach dem Trauma und nach etwa 3 Wochen; bei Nerventraumen ist auch die Nervensonografie oft hilfreich.
Voraussetzung für die EMG und neurografischen Untersuchungen sind Anamnese, klinische Untersuchung und individuelle Planung (keine standardisierten Protokolle!).
3.1 Methoden
3.1.1 Elektromyografie (EMG)
Einstich einer konzentrischen Nadelelektrode in den Muskel und Beurteilung des elektrischen Verhaltens des Muskels
in Entspannung des Patienten (Ruhe)
bei leichter und zunehmender willkürlicher Anspannung (Bischoff und Schulte-Mattler 2015, 2017) zur
Beurteilung des Verteilungsmusters
Lokalisation der Schädigung
Beurteilung möglicher Vorschädigungen in der Frühphase
Abschätzung der Prognose
Verlaufsbeurteilung
ggf. Nachweis einer beginnenden Reinnervation (mittels EMG früher als mittels klinischer Untersuchung)
EMG-Untersuchungen sollten nur durch einen Arzt durchgeführt werden, der den Patienten vorher selbst klinisch untersucht hat
3.1.1.1 Pathologische Spontanaktivität (PSA)
Zeichen einer Schädigung des Axons (selten des Muskels)
Elektrische Aktivität in Muskelruhe, d. h. ohne willkürliche Muskelanspannung
Kennzeichen: streng regelmäßige Aktivität (Abb. 3.1) (Schulte-Mattler et al. 2001a)
Zeitpunkt des Auftretens: etwa 10 bis 14 (bis 20) Tage nach einem axonalen Schaden in betroffenen (denervierten) Muskeln
Ab diesem Zeitpunkt Unterscheidung zwischen Axonotmesis und Neurapraxie mithilfe des EMG zuverlässig möglich
PSA unmittelbar nach einem Nerventrauma ist Zeichen eines Vorschadens
PSA kann nach einem axonalen Schaden lebenslang persistieren
../images/484784_1_De_3_Chapter/484784_1_De_3_Fig1_HTML.pngAbb. 3.1
Pathologische Spontanaktivität. Die Zeitintervalle zwischen den markierten Entladungen („positive scharfe Wellen") sind untereinander vollkommen gleich = Kennzeichen des Pathologischen)
3.1.1.2 Potenziale motorischer Einheiten (PME)
PME werden bei willkürlicher Anspannung des untersuchten Muskels registriert (Abb. 3.2)
PME-Konfiguration in Abhängigkeit vom zeitlichen Abstand von der Läsion (Tab. 3.1 und Abb. 3.3)
Bei inkompletten Läsionen: PME in den ersten Wochen nach dem Trauma wie davor
Zeichen einer höhergradigen Nervenläsion ist die hochfrequente Entladung einzelner motorischer Einheiten (Entladungsraten größer 20/s, Schulte-Mattler et al. 2000)
Hochfrequente Entladungen treten unmittelbar nach dem Trauma auf (Jürgens et al. 2012); sicheres Unterscheidungskriterium periphere versus zentrale Läsion
Bei inkompletten Läsionen infolge der kollateralen Reinnervation aufgesplitterte, polyphasische Potenziale motorischer Einheiten nach etwa 10 Wochen
Bei kompletter Axonotmesis sog. Regenerationspotenziale (naszierende Potenziale) nach Wiedereinsprossen des Nervs in den Muskel
Reinnervation (Aussprossung des Nervs mit 1 mm/Tag) mittels EMG ca. 2–4 Wochen früher nachweisbar als bei der klinischen Kraftprüfung
../images/484784_1_De_3_Chapter/484784_1_De_3_Fig2_HTML.pngAbb. 3.2
Normale Potenziale motorischer Einheiten (PME). Oben: Ableitung bei sehr schwacher willkürlicher Muskelanspannung. Zur Darstellung kommen die Entladungen von 2 verschiedenen motorischen Einheiten, die sich z. B. in ihrer Größe (Norm: ca. 200 μV bis ca. 2 mV) deutlich unterscheiden. Beide Einheiten entladen mit ungefähr 10/s. Unten: Ableitung bei starker willkürlicher Muskelanspannung. PME einer großen Zahl motorischer Einheiten, die nicht einzeln erkennbar sind (sog. Interferenzmuster)
Tab. 3.1
Zeitlicher Verlauf und Befunde bei traumatischen Nervenläsionen. Elektrophysiologische Klassifikation und Untersuchungsergebnisse (Abb. 3.3). (Aus Kretschmer et al. 2014)
EMG Elektromyogramm, NG Neurographie, NLG Nervenleitgeschwindigkeit, PSA pathologische Spontanaktivität, PME Potenziale motorischer Einheiten
aAbstand zwischen Läsion und Muskel in mm entspricht den Tagen bis zum Beginn der Reinnervation
../images/484784_1_De_3_Chapter/484784_1_De_3_Fig3_HTML.jpgAbb. 3.3
Original-EMG-Registrierungen zu Tab. 3.1. Linke Spalte entspannter Muskel zur Beurteilung der Insertions- bzw. Spontanaktivität. Rechte Spalte willkürliche Muskelanspannung: Potenziale motorischer Einheiten. (Aus Kretschmer et al. 2014)
3.1.2 Motorische Neurografie
Definition
Registrierung der elektrischen Muskelantworten (Muskelsummenaktionspotenziale, MSAP) des versorgenden Nervs nach Stimulation an unterschiedlichen Orten, d. h. möglichst sowohl distal als auch proximal des Läsionsorts (Abb. 3.4a) (Bischoff und Schulte-Mattler 2015).
Wichtig ist eine supramaximale elektrischer Reizung an allen Stimulationsorten (häufigste Fehlerquelle)
Neurografien können auch durch gut ausgebildetes Assistenzpersonal durchgeführt werden
../images/484784_1_De_3_Chapter/484784_1_De_3_Fig4_HTML.jpgAbb. 3.4
a–d Befundtypen der motorischen Neurografie bei Läsionen peripherer Nerven. a Normalbefund. Typisches Vorkommen: bei geringem Ausmaß einer Läsion; in den ersten Tagen nach beliebig schwerer Läsion, wenn diese proximal der Stimulationsorte liegt. b Verlangsamung. Typisches Vorkommen: durch chronischen Druck auf einen Abschnitt des Nervs, der zwischen den Stimulationsorten liegt. c Niedrige Reizantworten (unabhängig vom Reizort). Typisches Vorkommen: bei axonalem Läsionstyp unabhängig vom Läsionsort. Cave: Dieser Befundtyp findet sich auch bei einer Neurapraxie, wenn der Läsionsort distal aller Reizorte liegt. d „Leitungsblock" (jargonhafte Bezeichnung dafür, dass ein Muskelsummenaktionspotenzial [MSAP] nach proximaler Reizung deutlich kleiner ist als nach distaler). Typisches Vorkommen: Neurapraxie, axonale Läsion vor Eintritt der Waller-Degeneration, Läsionsort jeweils zwischen den Stimulationsorten. (Aus Kretschmer et al. 2014)
Indikationen
Nachweis und Lokalisation einer Schädigung
Beurteilung möglicher Vorschädigungen in der Frühphase
Abschätzung der Prognose
Verlaufsbeurteilung
3.1.2.1 Nervenleitgeschwindigkeit (NLG)
Berechnet aus der Differenz der Latenzzeiten und dem Abstand der Reizorte nach Reizung an zwei Stellen (Abb. 3.4a)
Erniedrigte NLG (Abb. 3.4b): vor allem bei chronischer Kompression wichtig, nicht bedeutend bei traumatischen Nervenläsionen
Bei traumatischen Nervenläsionen wichtig: Unterschiede der MSAP (Amplitude) zwischen beiden Reizantworten (Abb. 3.4d)
Normwerte
NLG der Armnerven ca. 50–65 m/s
NLG der Beinnerven ca. 40–55 m/s
Zu hohe NLG nur als Artefakt
Vergleich von Absolutwerten von Amplitude, NLG usw. mit Normwerten bei Nerventraumata wenig nützlich
Vergleich der Amplituden mit der nicht geschädigten Seite (Differenz >50 % pathologisch)
Fehlerquellen
Submaximale Stimulation
Niedrige Temperatur
Mitstimulation benachbarter Nerven
Ungenaue Elektrodenposition
3.1.3 Sensible Neurografie
Definition
Reizung eines sensiblen oder gemischten Nervs und Ableitung des entsprechenden Antwortpotenzials (sensibles Nervenaktionspotenziale, SNAP)
Zur Untersuchung genügt ein Reizort (Bischoff und Schulte-Mattler 2015)
Bessere diagnostische Genauigkeit der sensiblen Neurografie bei distalen Nervenkompressionen (z. B. Karpaltunnelsyndrom)
SNAP sind deutlich kleiner als die MSAP (etwa 1/500)
Indikationen
Nachweis einer axonalen Schädigung eines sensiblen Nervs
Differenzierung zwischen