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Kognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen im Kindes- und Jugendalter
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Kognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen im Kindes- und Jugendalter
eBook529 Seiten4 Stunden

Kognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen im Kindes- und Jugendalter

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Über dieses E-Book

Dieses verhaltenstherapeutische Therapiemanual hat zum Ziel, depressive Jugendliche aus ihrer Passivität und Hoffnungslosigkeit herauszureißen und in eine aktivere Haltung zu bringen, aus der heraus Lösungen und Handlungsalternativen möglich werden.

Neben kognitiven Interventionen sind auch viele Übungen zur Aktivierung und zum Verbessern sozialer Fertigkeiten enthalten. Einzelne Kapitel befassen sich mit Strategien zum Problemlösen mit und innerhalb der Familie des betroffenen Jugendlichen.

Zusätzlich enthält das Manual Elternsitzungen, die am Ende des Buches zu finden sind. Ziel dieser ergänzenden Sitzungen ist es, den Eltern oder anderen Bezugspersonen Aufklärung und Informationen über Ursachen und Symptome depressiver Erkrankungen bei Jugendlichen zu vermitteln und ihnen Strategien an die Hand zu geben, wie sie die Jugendlichen im Alltag beim Umsetzen ihrer Therapieziele konkret unterstützen können.

Das vorliegende Buch besteht aus 3 unterschiedlich großen Einheiten:

- Kapitel 1-3 geben einen kurzen Überblick über theoretische Hintergründe und den derzeitigen Stand der Therapieforschung im Bereich der Kinder- und Jugenddepression.

- Kapitel 4 und 5 beschreiben die Struktur und die Handhabung des Behandlungsmanuals.

- Kapitel 6-23 beinhalten die einzelnen Therapiesitzungen mit Hinweisen zur Vorgehensweise.

Die Arbeitsmaterialien und Hilfsmittel befinden sich auf der dem Buch beigefügten CD.

SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer
Erscheinungsdatum19. Nov. 2013
ISBN9783642297915
Kognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen im Kindes- und Jugendalter

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    Buchvorschau

    Kognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen im Kindes- und Jugendalter - Ulrike Abel

    Teil 1

    Theoretischer Teil: Grundlagen und Theorie

    Ulrike Abel und Martin HautzingerKognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen im Kindes- und Jugendalter201310.1007/978-3-642-29791-5_1

    © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

    1. Depression im Kindes- und Jugendalter – Theorie und Empirie

    Ulrike Abel¹   und Martin Hautzinger²  

    (1)

    Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Frankfurt, Deutschland

    (2)

    Fachbereich Psychologie, Klinische Psychologie und Psychotherapie, Eberhard-Karls-Universität, Tübingen, Deutschland

    Ulrike Abel (Korrespondenzautor)

    Email: ulrike.abel@kgu.de

    Martin Hautzinger

    Email: martin.hautzinger@uni-tuebingen.de

    Zusammenfassung

    Das einführende Kapitel widmet sich dem aktuellen Forschungsstand der Depression im Kindes- und Jugendalter mit den Schwerpunkten Theorie und Empirie. Hierzu werden zunächst die derzeit üblichen Klassifikationskriterien und die Epidemiologie dargestellt und dann alters- und entwicklungsspezifische Ausdrucksformen der Erkrankung beschrieben. Die Heterogenität der Symptomatik und die daraus resultierenden Herausforderungen für Kliniker werden erläutert. Anschließend werden mehrere, bisher gut untersuchte ätiologische Faktoren benannt, die in ein multifaktorielles Modell der Kinder- und Jugenddepression integriert werden. Ein solches multifaktorielles Modell wird als gut eingeführtes Beispiel vorgestellt.

    1.1 Einleitung

    Das einführende Kapitel widmet sich dem aktuellen Forschungsstand der Depression im Kindes- und Jugendalter mit den Schwerpunkten Theorie und Empirie. Hierzu werden zunächst die derzeit üblichen Klassifikationskriterien und die Epidemiologie dargestellt und dann alters- und entwicklungsspezifische Ausdrucksformen der Erkrankung beschrieben. Die Heterogenität der Symptomatik und die daraus resultierenden Herausforderungen für Kliniker werden erläutert. Anschließend werden mehrere, bisher gut untersuchte ätiologische Faktoren benannt, die in ein multifaktorielles Modell der Kinder- und Jugenddepression integriert werden. Ein solches multifaktorielles Modell wird als gut eingeführtes Beispiel vorgestellt.

    1.2 Klassifikation und Epidemiologie

    1.2.1 Klassifikation

    Im Unterschied zu einem dimensionalen Modell psychischer Störungen (▶ Kap.​ 2) beschreiben die Diagnosesysteme ICD-10 (Remschmidt et al. 2006) und DSM 5 (APA 2013) unterschiedliche, klar voneinander abgrenzbare affektive Erkrankungen im Sinne nosologischer Einheiten. Hierbei wird nicht von einem Kontinuum depressiver Symptome von normal zu pathologisch ausgegangen, sondern klar zwischen krank (depressiv) und nichtkrank (nichtdepressiv) unterschieden, indem eine ganz bestimmte Konfiguration und Anzahl von Symptomen (Syndrom) für die Diagnosevergabe gefordert wird. Diese Symptome müssen zusätzlich eine bestimmte Dauer und Schwere aufweisen und eine Funktionsbeeinträchtigung in unterschiedlichen Lebensbereichen nach sich ziehen. Obwohl die Diagnose einer Depression entsprechend dieser Definition eine klar umschriebene Kategorie darstellt, beinhaltet sie jedoch gerade im Kindes- und Jugendalter einige zum Teil sehr heterogene Störungsbilder , die verschiedene Symptomkombinationen aufweisen und sich hinsichtlich der Dauer der Symptomatik und ihres Schweregrades unterscheiden können. Diese Tatsache erschwert einerseits oft eine reliable und valide Diagnose in dieser Altersstufe und ist andererseits Gegenstand unterschiedlicher Forschungsdiskussionen, deren Darstellung den Rahmen dieses Manuals sprengen würde.

    Klassifikation

    Die Beschreibung einer (depressiven) Störung erfolgt in der ICD-10 mittels 6 Achsen (Remschmidt et al. 2006) ▶ Kap.​ 2, wobei die depressive Störung selbst auf der ersten Achse kodiert wird. Unter dem Kapitel F30–F39 „Affektive Störungen werden die depressive Episode (leicht, mittel, schwer), die rezidivierende depressive Störung (gegenwärtig leichte, mittelgradige oder schwere depressive Episode), beide mit und ohne psychotische Symptome und die anhaltenden affektiven Störungen (Dysthymia, Zyklothymie) benannt. Darüber hinaus kann die Diagnose einer nicht näher bezeichneten depressiven Störung und einer sonstigen affektiven Störung vergeben werden. Von diesen Störungen abzugrenzen sind die Anpassungsstörungen mit kurzer oder längerer depressiver Reaktion , bei denen erstens die depressive Symptomatik in der Regel leichter ausgeprägt ist als bei einer depressiven Episode und zweitens immer ein externer Auslöser für die Problematik vorliegen muss. Diese Störungen werden unter dem Kapitel F43 Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen subsumiert. Außerdem gibt es noch die Angst und depressive Störung, gemischt (F41.2), bei der sowohl ängstliche als auch depressive Symptome vorliegen, aber für keine der beiden Störungen die Kriterien vollständig erfüllt sind. Der Vollständigkeit halber ist noch die Diagnose der Störung des Sozialverhaltens mit depressiver Störung zu nennen, die wiederum dem Kapitel F90–98 „Verhaltens- und emotionale Störungen in der Kindheit und Jugend zugeordnet ist. Für diese letztgenannte Störung müssen sowohl die Kriterien für eine Störung des Sozialverhaltens (ein persistierendes Muster mit oppositionellen, dissozialen oder delinquenten Verhaltensweisen, die die Grundrechte anderer verletzen) als auch die Kriterien für eine affektive Störung wie sie unter F30–39 zusammengefasst sind, erfüllt sein. Dies bedeutet, dass ein Jugendlicher, der wegen aggressiven Verhaltens vorstellig wird und die Diagnose einer Störung des Sozialverhaltens mit depressiver Störung bekommt (F92.0), eine stärker ausgeprägte depressive Symptomatik aufweist als ein Kind, das beispielsweise als Reaktion auf die Trennung der Eltern oder einen Schulwechsel depressive Symptome entwickelt. Diese Tatsache wird im klinischen Alltag oft übersehen, sodass bei den erstgenannten nur die externalisierende Symptomatik gesehen und die depressive Symptomatik nicht angemessen behandelt wird (▶ Abschn.​ 2.​4).

    Depressive Störungen: ICD-10

    Die depressive Episode ist durch 3 Hauptsymptome (B-Kriterien) gekennzeichnet:

    depressive Stimmung in einem ungewöhnlichen Ausmaß für den Betroffenen,

    Interessen- oder Freudeverlust an Aktivitäten, die normalerweise als angenehm erlebt wurden und

    Antriebsminderung oder gesteigerte Ermüdbarkeit.

    Die Symptomatik muss über einen Zeitraum von mindestens 2 Wochen für die meiste Zeit des Tages vorliegen. Für die leichte depressive Episode müssen mindestens 2, für die schwere Episode alle 3 dieser Hauptkriterien, und zusätzlich mindestens 2 sog. C-Kriterien (für die mittelgradige und schwere Depression entsprechend mehr) erfüllt sein. Bei der leichten depressiven Störung können das Kind oder der Jugendliche unter Schwierigkeiten leiden, ihre normalen schulischen und sozialen Aktivitäten fortzusetzen, eine mittelgradige Störung führt zu erheblichen Schwierigkeiten bei sozialen, häuslichen und schulischen Aufgaben. Eine schwere episodische oder eine rezidivierende depressive Störung führt zu einer sehr begrenzten Fortführung oder zum Erliegen der allgemeinen Aktivitäten (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie 2007).

    Objektive Kriterien und psychosoziales Funktionsniveau

    Außerdem kann in der ICD-10 eine Kodierung darüber erfolgen, ob ein somatisches Syndrom vorliegt. Hierzu gehören tägliche Schwankungen in der Stimmung mit einem morgendlichen Stimmungstief, Früherwachen, Verlust von Freude an fast allen oder allen Aktivitäten, deutlicher Appetit- und Gewichtsverlust, übermäßige und unangemessene Schuldgefühle, mangelnde Reagibilität auf angenehme Stimuli, Libidoverlust, deutliche psychomotorische Retardierung oder Agitation. Vor dem Ausbrechen der ersten Episode lagen außerdem meist keine ungewöhnlichen Lebensumstände oder Faktoren vor, die die Krankheit möglicherweise ausgelöst haben und es besteht zumeist eine positive Reaktion auf antidepressive Medikation. Bei der schweren depressiven Episode wird außerdem angegeben, ob psychotische Symptome (Wahn, Halluzination) vorliegen. Von einem Rezidiv spricht man, wenn nach einem mindestens 2-monatigen beschwerdefreien Intervall eine erneute depressive Episode auftritt. Organisch-psychische Grunderkrankungen sowie der Missbrauch psychotroper Substanzen als primäre Ursache sind auszuschließen. Vorausgegangene manische oder hypomane Episoden verweisen auf die Diagnose einer bipolaren Störung .

    Depressive Episode: Kriterien

    Major Depression

    DSM 5 (APA 2013) beschreibt die Major Depression als eine relativ schwere und akute Form der Depression. Die Symptome dürfen für die Vergabe der Diagnose nicht auf körperliche Ursachen oder „einfache" Trauer zurückzuführen sein und müssen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen.

    Mindestens 5 depressive Symptome bestehen während derselben 2-Wochen-Periode und stellen eine Änderung gegenüber der vorher bestehenden Leistungsfähigkeit dar. Dabei muss mindestens eines der Symptome entweder depressive oder gereizte Stimmung oder Interessenverlust sein und es darf in der Vergangenheit keine manische oder hypomane Episode gegeben haben. Außerdem wird auf den Subtypus Major Depression mit Melancholie verwiesen. Dieser Subtyp ist das Äquivalent zur Depression mit somatischem Syndrom in der ICD-10.

    Major Depression: DSM 5

    DSM 5 macht ebenso wie ICD-10 Aussagen bezüglich der Chronizität und der Rezidivneigung einer depressiven Störung. Als chronisch wird die depressive Störung im Kindes- und Jugendalter dann bezeichnet, wenn die depressive Symptomatik mindestens 2 Jahre lang, bei Kindern 1 Jahr anhält (Dysthymie). Rezidivierende depressive Episoden werden danach unterteilt, ob eine Voll- oder nur eine Teilremission der Symptome zwischen den beiden zuletzt aufgetretenen Episoden erfolgt ist. ◘ Tabelle 1.1 gibt einen Überblick über das Spektrum depressiver Störungen in ICD-10 und DSM 5, wie sie derzeit klassifiziert werden.

    Tab. 1.1

    Depressive Störungen nach ICD-10 und DSM 5

    Obwohl Querschnitts- als auch Längsschnittstudien deutlich auf unterschiedliche Erscheinungsformen depressiver Symptome bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen hinweisen, gibt es derzeit in den Klassifikationssystemen noch wenige Hinweise und Empfehlungen hierzu. Zu den Änderungen bei der Diagnosevergabe im Unterschied zu der Erwachsenendepression gehören die Dauer und die Qualität der Stimmung. Aussagen hierzu werden in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (2007) gemacht, empirische Befunde hierzu werden unter ▶ Abschn. 1.3 Symptomatik und Prognose berichtet.

    Unterschiede zur Erwachsenendepression

    Bereits vier Kriterien führen zur Diagnose einer Depression nach ICD-10. Dabei müssen mindestens zwei B-Kriterien erfüllt sein und die Symptome müssen mindestens 14 Tagen bestehen. Die Diagnosesysteme machen bislang nur wenige (DSM 5) oder keine (ICD-10) expliziten Angaben zur Symptomatik bei Kindern und Jugendlichen im Vergleich zu Erwachsenen. Empirische Studien hingegen verweisen auf altersbezogene Ausprägungen der Symptome.

    1.2.2 Epidemiologie

    Die depressive Störung ist eine Erkrankung, die typischerweise im Jugendalter (etwa 13–15 Jahre) beginnt und ab diesem Alter deutlich häufiger beim weiblichen Geschlecht vorkommt. In einer kürzlich veröffentlichten amerikanischen Studie betrug die 12-Monatsprävalenz bei 13- bis 17-jährigen Jugendlichen 8,2 % für Major Depression und Dysthymie , wobei jeweils etwa ein Drittel der betroffenen Jugendlichen schwere (35,6 %), mittelgradige (31,0 %) oder leichte (33,4 %) Beeinträchtigungen (Kessler et al. 2012) zeigten. In der deutschen Bremer Jugendstudie betrug die Lebenszeitprävalenz 18 % für depressive Störungen allgemein (Essau 2000). In klinischen Populationen sind die Raten depressiver Erkrankungen mit 8 bis 26 % noch um einiges höher als in der Normalbevölkerung (Blanz et al. 2006).

    Vor allem bei 13- bis 15-jährigen weiblichen Jugendlichen steigen die Raten depressiver Erkrankungen sprunghaft an. Während vor der Pubertät etwa gleich hohe bzw. etwas höhere Raten für Jungen zu verzeichnen sind, erkranken ab der frühen bis mittleren Adoleszenz Mädchen 2- bis 3-mal so häufig wie ihre männliche Altersgenossen (Costello et al. 2003). Zur Erklärung dieses Phänomens, das sich weitestgehend kulturunabhängig zeigt, gibt es Theorien, die Gen-Umweltinteraktionen mit einem erhöhten Stressniveau in der Pubertät vor allem für Mädchen heranziehen. In dem Modell von Cyranowski und Mitautoren (2000) wird zum Beispiel vor allem das Bindungshormon Oxytocin in den Mittelpunkt gerückt, das bei Mädchen vermehrt ausgeschüttet wird. Dieses Hormon erhöht das Bindungsbedürfnis, das Bedürfnis nach Nähe und positiver sozialer Kommunikation. Gleichzeitig wird bei Mädchen eine höhere Irritierbarkeit und Verletzbarkeit bei sozialen Schwierigkeiten, beispielsweise Konflikten oder Zurückweisungserfahrungen, vermutet. Wenn zusätzlich noch ein ängstliches oder schüchternes Temperament und/oder unsichere frühe Bindungserfahrungen hinzukommen, kann der Übergang zur Adoleszenz erschwert sein und eine depressionsfördernde Diathese entstehen. Außerdem wird der unterschiedliche Beginn und Verlauf der Pubertät bei Mädchen und Jungen als Ursachen in Betracht gezogen: Mädchen kommen früher in die Pubertät als Jungs, sie erleben die körperlichen Veränderungen (z. B. Gewichtszunahme, veränderte Fettverteilung) in der Pubertät im Gegensatz zu Jungen als eher belastend und entwickeln daher häufiger ein negatives Körper- und Selbstkonzept sowie in der Folge von Hänseleien und Konflikten schneller depressive Symptome als Jungs (Hankin et al. 2007).

    Etwa einer von fünf Jugendlichen erkrankt weltweilt mindestens einmal in seinem Leben an einer Depression. In klinischen Populationen sind die Raten mit bis 26 % noch höher. Mädchen im Alter von 13 bis 15 Jahren haben das höchste Ersterkrankungsrisiko. Als Erklärung hierfür werden Gen-Umweltinteraktionen mit einem erhöhten Stressniveau in der Pubertät vor allem für Mädchen herangezogen.

    Höheres Risiko für Mädchen

    1.3 Symptomatik und Prognose

    1.3.1 Symptomatik

    Derzeit wird die Kinder- und Jugenddepression mit den gleichen diagnostischen Kriterien wie die Depression bei Erwachsenen definiert. Die große Heterogenität der Symptomatik innerhalb der Altersstufen und die bislang zu dieser Thematik vorliegenden Studien lassen jedoch den Schluss zu, dass das Erscheinungsbild der kindlichen und jugendlichen Depression abhängig ist vom biologischen, kognitiven, sozialen und linguistischen Entwicklungsstand des Kindes und eben nicht einfach ein Äquivalent zur Erwachsenendepression darstellt. Eine Herausforderung und wichtige Aufgabe für den Kliniker bei der Diagnosevergabe ist es, die formulierten Kriterien für Erwachsene in für Kinder und Jugendliche passende Phänomene zu „übersetzen". Hinweise auf depressive Symptome können gewonnen werden aus:

    Spielverhalten

    Gelingen von Entwicklungsübergängen (Kindergarten, Einschulung, Übergang in die Pubertät)

    Wahl der Spielthemen und später Wahl der Interessen:

    Spielt das Kind altersentsprechend, zeigt es Neugierde und Explorationsverhalten, kann es bei einem Spiel bleiben?

    Gibt es schnell bei Misserfolg auf oder zeigt sich schnell gelangweilt?

    Welche Interessen wählt der Jugendliche: Handelt es sich um positive oder eher düstere Themen, die sich mit Verlust, Schmerz oder Traurigkeit beschäftigen?

    Sucht das Kind/der Jugendliche Kontakt zu Gleichaltrigen und kann es/er länger bei einer Aktivität bleiben?

    Die Unterschiede in der Systematik der Kinder- und Erwachsenendepression lassen sich anhand folgender Kriterien beschreiben:

    Spezifität,

    Qualität der Stimmung,

    Verbalisierung von Gefühlen,

    Antrieb und vegetative Symptome,

    - psychotische Merkmale.

    Symptomatik: Heterogenität

    Spezifität

    Je jünger die betroffenen Kinder, umso weniger zeigen sich die bei Erwachsenen typischen Merkmale wie Niedergeschlagenheit, Passivität und Äußerungen von Pessimismus. Die Depression bei jungen Kindern kann sich also depressionsuntypisch äußern.

    Qualität der Stimmung

    Bei Kindern und Jugendlichen können sich anstatt Traurigkeit auch Reizbarkeit und Stimmungsschwankungen bis hin zum Rapid Cycling zeigen (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie 2007). Depressive Kinder und Jugendliche können auch auffallen durch Jähzorn, eine niedrige Frustrationstoleranz, aggressives und stark Aufmerksamkeit suchendes Verhalten (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie 2007). Häufig zeigt sich eine starke Irritierbarkeit schon auf kleine oder kleinste Auslöser, die für Außenstehende kaum nachvollziehbar sind.

    Verbalisierung von Gefühlen

    Jüngere Kinder drücken ihre Befindlichkeit eher über ihr Verhalten (z. B. Wutausbrüche, Spielunlust, Weinen, Klammern und Quengeligkeit) und über somatische Beschwerden (Infektanfälligkeit, Bauch- und Kopfschmerzen) aus (Guedeney 2007). Je älter die Kinder werden, umso mehr können sie internale Zustände verbalisieren , da sie bereits über Konzepte eigener Emotionen verfügen. Etwa ab dem Schulalter äußern die Kinder Hoffnungslosigkeit und Pessimismus. Auch hier wird die Erklärung der Konzeptbildung herangezogen: Erst ältere Kinder verfügen über internale Repräsentationen von Zukunft und können deshalb erst ab einem bestimmten Alter Ereignisse und deren (negative) Auswirkungen antizipieren (Weiss u. Garber 2003).

    Antrieb und vegetative Symptome

    Bezüglich des Antriebs und der Psychomotorik finden sich bei jüngeren Kindern häufig psychomotorische Unruhe, außerdem Schlafstörungen (Guedeney et al. 2007). In einer Studie von Yorbick und Mitautoren (2004) zeigten sich bei depressiven Jugendlichen häufiger Antriebsmangel, Hypersomnie, Gewichtsverlust und allgemein mehr vegetative Symptome als bei Kindern. In der bereits erwähnten „Bremer Jugendstudie" zeigte sich nur bei älteren Jugendlichen ein Muster, das dem der Erwachsendepression stark ähnelt. Die Art der Symptomatik war in klinischen und nichtklinischen Stichproben in dieser Untersuchung sehr ähnlich, jedoch berichten die betroffenen Jugendlichen in klinischen Settings häufiger über Suizidalität (Essau 2000).

    Psychotische Merkmale

    Psychotische Merkmale kommen nur äußerst selten bei depressiven Jugendlichen vor. Die psychotischen Symptome bestehen bei Minderjährigen vor allem aus Versündigungs-, Schuld- und Versagensideen und häufiger noch aus auditorischen Halluzinationen (Birmaher et al. 1996).

    ◘ Tabelle 1.2 gibt einen Überblick über depressive Symptome in verschiedenen Altersstufen.

    Tab. 1.2

    Depressive Symptome in verschiedenen Altersstufen

    Bei Diagnosevergabe sind die derzeitigen Kriterien der ICD-10 in für Kinder/Jugendliche übliche und entwicklungsbezogene Verhaltensweisen zu „übersetzen". Je jünger die Kinder, umso weniger zeigt sich das bei Erwachsenen typische Muster. Irritabilität und Lustlosigkeit sind vorherrschend.

    1.3.2 Prognose

    Unbehandelt hat die Depression im Kindes- und Jugendalter eine schlechte Prognose aufgrund einer hohen Chronifizierung und Rezidivneigung. Das höchste Risiko für eine Ersterkrankung haben weibliche Jugendliche im Alter von etwa 13 bis 15 Jahren (Lewinsohn u. Essau 2002). Ein noch früheres Ersterkrankungsalter ist bei stationär behandelten Kindern zu konstatieren, im Durchschnitt etwa 10,9 Jahre (Kovacs et al. 1997). Neben relativ hohen Genesungsraten von etwa 30 % nach der ersten Episode sind mit etwa 80 % jedoch auch viele Fälle zu verzeichnen, bei denen es zu Rezidiven und Chronifizierungen kommt (Blanz et al. 2006). In einer amerikanischen Langzeitstudie lagen die Rückfallraten bei 20 bis 60 % nach 1 bzw. 2 Jahren ansteigend auf bis zu 70 % nach 5 Jahren (Birmaher und Brent 2007).

    Genesungsraten, Chronifizierung und Rezidive

    Die genauen Gründe für die häufigen Rezidive sind noch unklar. Es ist jedoch anzunehmen, dass eine Wechselwirkung biologischer und verhaltensbezogener Prozesse im Sinn eines Aufschaukelungsprozesses eine große Rolle bei der Chronifizierung der Depression spielt. So gibt es Hinweise, dass einerseits biologische Prozesse im Sinn einer neurobiologischen Bahnung für die häufigen Rückfälle verantwortlich sind. Andererseits zeigen depressive Kinder und Jugendliche Auffälligkeiten im Verhalten und Erleben, die auch nach dem Abklingen einer akuten Episode weiter bestehen und ihrerseits das Risiko für weitere, oft schwerwiegendere depressive Episoden erhöhen. So fallen depressive Kinder und Jugendliche durch Konzentrations- und Leistungsschwierigkeiten in Schule, Ausbildung oder Beruf auf. Sie sind stressanfällig , antriebs- und motivationslos und neigen zu pessimistischen Einstellungen vielen Dingen des Lebens gegenüber. Sie fallen aus wichtigen sozialen Bezügen heraus, beispielsweise durch häufiges Fehlen in der Schule oder mangelnde Teilnahme an sozialen oder Freizeitaktivitäten, und häufig zeigen sie gesundheitsschädliches Verhalten wie Rauchen, Alkohol- oder Drogenkonsum , ungeschützte sexuelle Aktivitäten, frühe Schwangerschaften und Suizidalität . Die Folgen dieser Verhaltensweisen sind häufige Konflikte und ein weiter erhöhtes Stressniveau. Auch Sozialverhaltensprobleme und delinquentes Verhalten, oft als Folge von Substanzmissbrauch und dem Anschluss an andere depressive Peer s, kommen vor (Überblicke hierzu finden sich bei Harrington u. Dubicka 2001; Lewinsohn et al. 2003; Brent u. Maalouf 2009).

    Zieht man lerntheoretische Modelle zum Beispiel das S-O-R-C-K-Modell heran, verdienen gerade die genannten Begleiterscheinungen bei der Behandlung Aufmerksamkeit, da sie als aufrechterhaltende Faktoren für die Problematik angesehen werden. So kann der dargestellte Teufelskreis durchbrochen und eine Chronifizierung verhindert werden. In Fällen, in denen dies nicht oder nicht ausreichend gelingt, stellt die Depression im Vergleich zu anderen psychischen Störungen eine relativ stabile Diagnose dar mit multiplen negativen psychosozialen Beeinträchtigungen bis ins Erwachsenenalter. ◘ Tabelle 1.3 zeigt einen Überblick über einige Prädiktoren für einen negativen Verlauf der Kinder- und Jugenddepression.

    Aufrechterhaltende Faktoren bearbeiten

    Tab. 1.3

    Faktoren, die den Verlauf der Kinder- und Jugenddepression negativ beeinflussen

    Unbehandelt hat die Depression eine ungünstige Prognose aufgrund hoher Rückfallraten und Chronifizierungen. Ein individueller Aufschaukelungsprozess zwischen biologischer Bahnung einerseits und depressionstypischen Verhaltensweisen andererseits ist hier möglicherweise die Ursache. Letzteres verweist auf die Berücksichtigung aufrechterhaltender Faktoren bei der Behandlung der Depression.

    1.4 Ätiologie

    Im folgenden Abschnitt werden einige relativ gut untersuchte Risiko - und ätiologische Faktoren beschrieben und anschließend ein integratives Modell der Kinder- und Jugenddepression vorgestellt.

    Die Entwicklung einer depressiven Störung in der Kindheit und Adoleszenz wird als ein Zusammenspiel von genetischen, biologischen, persönlichen und sozialen Faktoren angesehen, die ein pathogenes Muster bilden und bei bestimmten Bedingungen, wie z. B. belastenden Lebensereignissen (Misshandlung, Misserfolge, Enttäuschungen), zum Ausbruch der Erkrankung führen. Insofern kann nur ein multifaktorielles Modell die Entstehung einer Depression im Kindes- und Jugendalter beschreiben. Ein integratives Modell über alle untersuchten Risikofaktoren steht dabei noch aus, unter anderem, weil die bislang vorliegenden Studien an Kindern und Jugendlichen sowohl im Vergleich zu depressiven Erwachsenen als auch innerhalb der Altersstufen zum Teil unterschiedliche Befunde erbracht haben. Prinzipiell ist davon auszugehen, dass einzelne genetisch oder biologisch vermittelte Merkmale häufig in Kombination mit einer erhöhten (chronischen) psychosozialen Belastung zu neurobiologischen, endokrinologischen, peristatischen und psychologischen Dysregulationen führen, die die Vulnerabilität für unipolare Depressionen im Kindes- und Jugendalter erhöhen. Außerdem ist davon auszugehen, dass durch eine depressive Episode „neurobiologische und kognitive Narben" entstehen, die weitere Episoden wahrscheinlich machen. Letztgenanntes wird als ein Grund für die hohe Chronifizierungsrate der Erkrankung gesehen, vor allem wenn das stressreiche Umfeld unverändert bestehen bleibt.

    Multifaktorielles Modell

    1.4.1 Genetik und Gen-Umweltinteraktion

    Das genetische Risiko für unipolare rezidivierende depressive Störungen liegt bei ca. 40 % Heritabilität . Ein depressiver Elternteil erhöht das Risiko für das Kind, selbst an einer Depression zu erkranken (Schulte-Körne und Allgaier 2008). Dabei ist es jedoch wahrscheinlich, dass sich die genetischen Risikofaktoren für depressive Episoden im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter unterscheiden (Kendler et al. 2008). Ferner muss heute angenommen werden, dass die Abhängigkeit von Umweltfaktoren bei der Genexpression sehr viel größer ist als lange vermutet (Rutter et al. 2006). So ist die bei Erwachsenen mit depressiven Störungen gefundene kürzere Variante im Serotonintransportergen (5-HTTLPR) bei Kindern und Jugendlichen bisher nicht eindeutig mit depressiven Episoden assoziiert (Shaikh et al. 2008). Außerdem fand eine Studie bei adoleszenten Mädchen mit der genannten funktionellen Variante nur dann erhöhte Depressionswerte, wenn zusätzlich stressreiche Ereignisse hinzukamen (Eley et al. 2004). Umgekehrt kann soziale Unterstützung die Depression bei belasteten Kindern verhindern (Kaufman et al. 2004). Auch bei Kindern mit einem sehr frühen Beginn (< 11 Jahre) (Thapar u. Mc Guffin 1996) scheint der genetische Einfluss beim Ausbruch depressiver Symptome geringer als bei Älteren zu sein: Sind sehr junge Kinder von depressiven Symptomen betroffen, finden sich häufig familiäre und elterliche Risikofaktoren wie niedrige Erziehungskompetenzen (Cote et al. 2009), Gewalt, sexueller Missbrauch , ein niedriger sozioökonomischer Status sowie ein hoher Anteil dissozialen Verhaltens innerhalb der Familie (Jaffee et al. 2002). Weitere Genvarianten, die bei der Entstehung der Depression im Kindes- und Jugendalter eine Rolle zu spielen scheinen, sind eine funktionelle Val66Met-Variante im BDNF (Brain Derived Neurotropic Factor) (Kaufman et al. 2004) und Varianten im Vasopressin- und Vassopressin-1b-Rezeptorgen (Dempster et al. 2009). BDNF ist ein Nervenwachstumsfaktor, der an der Zellentwicklung, am neuronalen Überleben, an der synaptischen Plastizität und an der Stressresistenz beteiligt ist. Vasopressin ist ein Neuropeptid, das eine wichtige Rolle in der Entwicklung prosozialen Verhaltens einnimmt.

    Genexpression abhängig von Umweltfaktoren?

    1.4.2 Andere biologische Einflüsse

    Insgesamt ist die Datenlage über die Entstehung der Depression im Kindesalter gerade im

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