Spitzenleistung durch Leadership: Die Bausteine ergebnis- und mitarbeiterorientierter Führung
Von Christoph Lindinger und Nora Zeisel
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Buchvorschau
Spitzenleistung durch Leadership - Christoph Lindinger
Christoph Lindinger und Nora ZeiselSpitzenleistung durch Leadership2013Die Bausteine ergebnis- und mitarbeiterorientierter Führung10.1007/978-3-658-01487-2_1© Springer Fachmedien Wiesbaden 2013
1. Leadership geht jeden etwas an: Bausteine wertschätzender Führung
Christoph Lindinger¹ und Nora Zeisel¹
(1)
PTA Praxis für teamorientierte Arbeitsgestaltung GmbH, Niederlassung Winterthur, St. Gallerstrasse 57, 8400 Winterthur, Switzerland
Christoph Lindinger (Korrespondenzautor)
Email: schweiz@pta-team.com
Nora Zeisel
Email: n.zeisel@pta-team.com
1.1 Die Entwicklungsgeschichte des Begriffes „Leadership"
1.2 Leadership heute: die vier Bereiche
1.3 Die Bedeutung des Menschenbild es für die Führung
1.4 Vom Manager zum Leader, von der Führungskraft zur Führungspersönlichkeit
Zusammenfassung
Leadership war bis in die 1980er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein wenig beachtetes Thema. Alle wichtigen wissenschaftlichen Untersuchungen kamen zu dem Schluss, dass der Erfolg eines Unternehmens nur zu einem geringen Teil von Führungskräften bestimmt wird. Stattdessen war man sich sicher, dass Branche und Geschichte eines Unternehmens die maßgeblichen Faktoren für das langfristige Überleben einer Firma darstellen.
Was Sie in diesem Kapitel zum Thema „Leadership" erfahren
Sie erfahren, was der Begriff „Leadership" bedeutet.
Sie lernen die Entwicklungsgeschichte dieses Führungsansatzes kennen und erfahren, aus welchen theoretischen Ansätzen sich dieser praxisorientierte Führungsansatz entwickelt hat.
Sie erkennen, dass sich wertschätzende ergebnis- und mitarbeiterorientierte Leadership erlernen lässt.
1.1 Die Entwicklungsgeschichte des Begriffes „Leadership"
Leadership war bis in die 1980er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein wenig beachtetes Thema. Alle wichtigen wissenschaftlichen Untersuchungen kamen zu dem Schluss, dass der Erfolg eines Unternehmens nur zu einem geringen Teil von Führungskräften bestimmt wird. Stattdessen war man sich sicher, dass Branche und Geschichte eines Unternehmens die maßgeblichen Faktoren für das langfristige Überleben einer Firma darstellen.
Natürlich wurde diese Meinung von Management-Trainern nicht geteilt. Einer der bekanntesten Autoren zum Thema, Peter Drucker, hatte sich schon um 1960 mit den Eigenschaften einer erfolgreichen Führungskraft befasst. Seine Bücher sind bis heute aktuell. Er kam zum Schluss, dass ein guter Manager sich mehr mit weiterführenden Fragen als lediglich mit Antworten beschäftigen sollte. Er sah auch die Innovationskraft einer Führungskraft frühzeitig als überlebenswichtigen Faktor. In der Allgemeinheit fanden diese Thesen aber erst in den vergangenen Jahren breite Zustimmung.
1.1.1 Die Renaissance des Menschen im Management
In Zeiten steigender Manager-Boni und einer sich beschleunigenden Globalisierung sind die Menschen hinter den Unternehmen wieder ins Rampenlicht getreten. So werden Manager des Jahres ausgezeichnet oder Retter für angeschlagene Unternehmen gesucht. Die mediale Dauerpräsenz wichtiger Manager-Persönlichkeiten in den Wirtschaftsnachrichten hat regelrechte Stars geschaffen. Fernsehshows, die Manager-Kandidaten suchen, haben dem Begriff „Leadership" ein anderes Gesicht gegeben.
Allerdings: Wie viel davon ist schöner Schein? Wie viel davon ist unverzichtbar? Diesen Fragen gehen wir in diesem Buch nach und geben Antworten auf die drängenden Fragen, warum Leadership heute unverzichtbar ist und wie man als Führungskraft zum Leader werden kann.
Eine Antwort vorweg: Nur mit echter Leadership gelingt es, Menschen glaubwürdig als wichtigsten Erfolgsbaustein für unternehmerisches Wachstum wertzuschätzen und anzuerkennen.
1.1.2 Leadership – eine Floskel?
Zu Beginn unserer Zusammenarbeit mit Managern und Führungskräften bekommen wir zuweilen den Einwand zu hören: „Leadership? Das ist doch nur wieder ein neues Schlagwort, eine Floskel." Das ist keineswegs der Fall.
Die Anwesenheit oder das Fehlen von Leadership ist für alle Beteiligten spürbar. Der Ruf nach Führung ist in den vergangenen Jahren wieder lauter geworden. Es artikuliert sich heute jedoch ein völlig anderes Bedürfnis als in der Vergangenheit. Kein Diktator, kein Weiser, sondern eine Persönlichkeit wird gesucht – und leider eher selten gefunden.
Sind die Erwartungen zu hoch? Sind die heutigen Führungskräfte nicht ausreichend ausgebildet? Wohl kaum. Nie gab es solche Trainingsmöglichkeiten wie heute. Mit den Anforderungen an die Mitarbeiter steigen jedoch auch diejenigen an Führungskräfte. Die gute Nachricht: es ist nie zu spät, sich den Herausforderungen zu stellen und mit ihnen zu wachsen. Die Schlechte: man kommt nie gänzlich am Ziel an.
Leadership hat – wie alle wichtigen Führungsansätze – eine Geschichte. Die Entstehungsgeschichte zeigt, welche konkreten Inhalte und Themen im Laufe der Zeit eingeflossen sind. Der Sinn jeder Führungsphilosophie erschließt sich, wenn man den zeitgeschichtlichen Rahmen ihrer Entstehung kennt und versteht. Moderne Leadership ist nicht denkbar ohne Entwicklungen, die im 19. Jahrhundert begannen und sich schließlich in verschiedenen führungstheoretischen Konzepten niederschlugen. Mit anderen Worten: Leadership ist kaum denkbar ohne den mechanistischen Führungsansatz eines Frederick Winslow Taylor, der Menschen eher als Maschinen ansah, die nicht motiviert werden mussten.
Viele Führungstheorien sind eher akademischer Natur. Sie versuchen zumeist im Nachhinein zu beschreiben, wie Menschen geführt werden (sollen). In vielerlei Hinsicht bilden sie damit eher den Zeitgeist einer bestimmten Wirtschaftsepoche ab, als dass sie ein exaktes Bild der vorherrschenden Führungsphilosophien liefern. Selten hat man zum Beispiel in der Praxis den kooperativen Führungsstil in Reinkultur angetroffen, obwohl Führungskräfte über Jahrzehnte unter dieser Leitidee trainiert wurden. Hilfreich ist die Kenntnis dieser Ideen dennoch.
Dabei geht es vor allem um die eigene Positionierung. Als Führungskraft sollten Sie sich unbedingt überlegen, auf welcher Grundlage Ihr Menschenbild beruht und wie Sie ihm durch Ihr Führungsverhalten gerecht werden können.
1.2 Leadership heute: die vier Bereiche
Leadership ist eine Grundhaltung, eine Kombination aus Talenten, Fähigkeiten und hart erarbeiteten Fertigkeiten. Hinzu kommen weniger gut fassbare Dinge wie Intuition, Empathie und Gespür.
Leadership hat etwas mit dem Führen von Menschen zu tun, muss aber keineswegs hierarchisch legitimiert sein. Die Führungsrolle, die innerhalb eines Organigramms ausgewiesen ist, stellt zwar immer noch die übliche Form dar. Daneben haben sich aber bereits viele eher indirektere Formen etabliert. Wir denken zum Beispiel an die „laterale Führung – hiermit wird das „seitliche Führen
bezeichnet, also Führung, die ohne direkte Weisungsbefugnis und ohne hierarchische Macht auskommt.
Je komplexer und internationaler ein Unternehmen ausgerichtet ist, desto häufiger kommt es zu solchen Arbeitsbeziehungen, zum Beispiel bei einer Matrix-Organisation. Machtmittel alleine helfen dann nicht mehr. Vielmehr muss ein Leader in der Lage sein, Kollegen, Mitarbeiter oder auch seine Chefs zu überzeugen, sie für eine Sache gewinnen und begeistern können. Auch Projekte werden zunehmend auf diese Weise geleitet. Der Projektleiter kann meist nur durch Argumente, seine Persönlichkeit oder durch die Bedeutsamkeit der Aufgabe überzeugen. Erstaunlich ist, dass dies oft genug ausreicht.
Anders ausgedrückt: Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, „Leadership" zu definieren. Wir haben eine Definition ausgewählt, die mit vier zentralen Begriffen auskommt. Nach unserem Verständnis geht es
um Menschen,
um Leistung,
um Sinn und
um Entwicklung.
Leadership ist insgesamt sicher facettenreicher. Für den Einstieg sollen diese vier Säulen genügen. Sie führen zu einer klaren Beschreibung dessen, was wir unter Leadership verstehen:
Leadership bedeutet, Ergebnisse mit Menschen in einem inspirierenden und Sinn stiftenden Umfeld zu erzielen und dabei sich selbst, andere Menschen, Prozesse, den Markt und das Business weiterzuentwickeln.
Wenn Sie sich dieser Definition anschließen können und Sie sich mithilfe dieses Buches zu einem Leader entwickeln wollen, steht Ihnen ein lebenslanger Lernprozess bevor. Dieser Lernprozess ist niemals abgeschlossen – hier gilt im positiven Sinn der alte Satz: der Weg ist das Ziel.
Abbildung 1.1 fasst die vier Handlungsfelder von Leadership zusammen:
A309068_1_De_1_Fig1_HTML.gifAbb. 1.1
Die vier Handlungsfelder von Leadership
Nehmen Sie sich Zeit zur Selbstreflexion
Formulieren Sie in Ihrem Arbeitsheft Ihre Meinung zu den Bausteinen effektiver Leadership:
Wie können Sie Ihre tägliche Führungspraxis nutzen, um die eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln?
Welche konkreten Maßnahmen ergreifen Sie, um Ihre Mitarbeiter und Ihr Team weiterzuentwickeln?
Wie ist es um Ihr Change-Management bestellt? Wie führen Sie Veränderungsprozesse durch?
Welche Aktivitäten führen Sie zurzeit durch, um Ihr Business und „Ihren" Markt weiterzuentwickeln?
Inwiefern würden Sie sich als „Leader" bezeichnen?
1.2.1 Ganzheitlich er Ansatz: weiche und harte Managementfaktoren
Unser Leadership-Ansatz ist mithin ganzheitlich ausgerichtet und umfasst sowohl die Hard Facts als auch die Soft Facts, die „harten und die „weichen
Managementfaktoren. Gerade die weichen Faktoren – wie zum Beispiel Sinn, Inspiration und die persönlich-individuelle Weiterentwicklung von Menschen – werden in vielen Führungskonzepten vernachlässigt, weil sie, zumindest auf den ersten Blick, nicht zur Erreichung der kurzfristigen Ziele beitragen. Werden am Jahres- oder Quartalsende bestimmte Kennzahlen wie etwa Ertrags- und Umsatzzahlen nicht erreicht, wird dies selten damit erklärt, dass die Unternehmenskultur nicht stimmig sei oder die Mitarbeiter ihre Tätigkeit nicht aus einer übergreifenden und Sinn stiftenden Unternehmensvision ableiten könnten. Solche Argumente müssen angesichts dessen, was die Controlling-Abteilung vorträgt, verstummen.
Diesen Fehler wollen wir nicht begehen. Aus unserer Perspektive umfasst ein ganzheitlicher Leadership-Ansatz harte und weiche Managementfaktoren – wobei die weichen Faktoren oft die entscheidenden sind. Und darum wollen wir uns jetzt mit der Bedeutung des Menschenbildes für das Leadership-Konzept beschäftigen.
Bei Leadership geht es um Wertschätzung UND Wertsteigerung.
1.3 Die Bedeutung des Menschenbild es für die Führung
Jeder Mensch macht sich ein Bild von den Menschen um sich herum. Wir treffen Annahmen über ihre Eigenschaften, Wünsche und Ziele. Dieses Bild vom Menschen prägt unsere Wahrnehmung und lenkt, bewusst oder unbewusst, unser Verhalten, das heißt die Art und Weise, wie wir mit unserem Gegenüber umgehen.
Konkret: Wenn ich der Ansicht bin, mein Gegenüber ist intelligent und vertrauenswürdig, werde ich ihm andere Aufgaben zuteilen als jemandem, den ich für illoyal halte.
Dank dieses unterschiedlichen Verhaltens ernte ich jedoch auch unterschiedliche Reaktionen, die mich meist in meiner ursprünglichen Annahme bestätigen. Diesen Effekt nennt man „die sich selbst erfüllende Prophezeiung" (Robert K. Merton). Mittlerweile zeigen wissenschaftliche Studien, dass sie gleichbedeutend ist mit dem ersten Schritt in den Untergang. Wer nur lange genug an seinen Misserfolg glaubt, der wird ihn auch erleben.
Unser Menschenbild beeinflusst nicht nur das Privatleben, sondern auch unsere Arbeitswelt. Wir gestalten unseren Führungsstil und damit häufig auch die Arbeitsbedingungen entsprechend unserer Überzeugungen. Was heißt das konkret?
Nun: Wir machen uns nicht nur Bilder von einzelnen anderen Menschen und handeln danach. Oft haben wir auch eine bestimmte Grundvorstellung von der menschlichen Natur, die sich dann zu einem umfassenden Bild des Menschen, ja vom Menschen schlechthin verdichtet. Damit drücken wir, jenseits des Einzelfalls, aus, wie es um das Wesen des Menschen unserer Ansicht nach bestellt ist. Zwei berühmte Beispiele sind:
„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut", so wünschte sich Dichterfürst Goethe den Menschen.
Der englische Staatstheoretiker Thomas Hobbes dachte vom Menschen nicht ganz so positiv: „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf", was in letzter Konsequenz zum Krieg aller gegen alle führt.
1.3.1 Das Bild vom anderen Menschen beeinflusst die Führungsphilosophie
Bereits 1960 beschrieb der amerikanische Wissenschaftler Douglas McGregor zwei Menschenbilder, die zu zwei unterschiedlichen Führungsphilosophien führen.
1.3.1.1 Theorie X – das überwiegend negativ-pessimistische Menschenbild
Da haben wir zum einen die Theorie X. Sie beschreibt den Menschen als träge, arbeitsscheu und ohne jeglichen Ehrgeiz. Er scheut die Verantwortung, strebt nach Sicherheit und will geführt werden. Er hat eine angeborene Abneigung gegenüber Arbeit und möchte sie am liebsten ganz vermeiden. Aufgrund dieser angeborenen Arbeitsunlust muss er durch monetäre Anreize und Sanktionen zur Arbeit angetrieben werden. Ziele können nur durch Lenkung, Druck und Strafe erreicht werden. Mit Entlohnung allein wird der Mitarbeiter sich nicht in ausreichendem Maß bemühen.
Entscheidend für unser Thema ist: Das Führungsverhalten passt sich diesem Menschenbild an. Verantwortungsübernahme und eigenverantwortliches Handeln wird weder von der Führungskraft gefordert noch vom Mitarbeiter gezeigt. Die mangelnde Selbstständigkeit bestätigt die Führungskraft in ihrer Annahme, dass der Mensch keinerlei Eigenantrieb besitzt. Die Führungskraft erntet quasi, was sie sät. Die Folge ist mehr Druck.
McGregor bietet zudem eine weitere Interpretationsmöglichkeit an: Der Mitarbeiter hat sich auf diesen Stil eingestellt. Er zeigt deshalb keine Eigenverantwortung, weil er im Zweifelsfall dafür bestraft wird (vgl. Abb. 1.2).
A309068_1_De_1_Fig2_HTML.gifAbb. 1.2
Die Theorie X nach Douglas McGregor
1.3.1.2 Theorie Y– das überwiegend positiv-optimistische Menschenbild
Theorie Y geht von spiegelbildlichen Annahmen aus: Der Mensch ist demnach aktiv, motiviert und hat einen angeborenen Wunsch zu arbeiten. Er sieht in der Arbeit eine Quelle der Zufriedenheit und hat Freude an seiner eigenen Leistung. Wenn er sich der Arbeit, seinen Aufgaben und Zielen verpflichtet fühlt, dann übernimmt er von sich aus Verantwortung, zeigt Eigeninitiative und Engagement. Er geht manchmal sogar noch einen Schritt weiter. Er strebt nach größerer Verantwortung und möchte nicht nur materielle, sondern auch immaterielle Bedürfnisse durch die Arbeit befriedigen.
Führungskräfte, die das Menschenbild der Theorie Y verinnerlicht haben, kreieren eine positive Spirale: Sie verschaffen ihren Mitarbeitern Handlungsspielraum und Selbstkontrolle, zum Beispiel durch selbstgesetzte Ziele. Dadurch ermöglichen sie den Mitarbeitern, sich für ihre Arbeit zu engagieren. Dies führt zu Initiative und Verantwortungsbereitschaft.
Sie sehen also: In beiden Fällen entsteht durch das Menschenbild eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Allerdings: Nur im Fall der Theorie Y führt diese zu wünschenswerten Verhaltensweisen und einer positiven gegenseitigen Verstärkung.
„Schön und gut, denken Sie jetzt vielleicht. „Aber was mache ich mit den Faulenzern? Wie bekomme ich die zum Arbeiten? Wirkt hier die Theorie auch?
Natürlich, würde McGregor antworten. Denn Faulenzer sind keine faulen Mitarbeiter an sich. Vielmehr stimmen in diesem Fall die Arbeitsbedingungen nicht. Sie wirken kontraproduktiv und verhindern, dass die Mitarbeiter kreativ, selbstständig und eigeninitiativ tätig werden. Der Führungsstil, die Aufgabe oder die situativen Bedingungen sind für den Mitarbeiter nicht angemessen und müssen darum verändert werden. Arbeit ist für uns mehr als nur Mittel zum Zweck: Sie gibt uns Sinn, Struktur, Anerkennung und Identität. Arbeit ist somit ein Wert an sich (vgl. Abb. 1.3).
A309068_1_De_1_Fig3_HTML.gifAbb. 1.3
Die Theorie Y nach Douglas McGregor
Nehmen Sie sich Zeit zur Selbstreflexion
Tendieren Sie eher zu Theorie X oder zu Theorie Y?
An welchen konkreten Erlebnissen (im Privatleben und im Berufsleben) machen Sie Ihre Einschätzung fest?
1.3.2 Der Mensch als rationales Wesen
Nicht nur Douglas McGregor hat eine Theorie dazu entwickelt, wie sich das Menschenbild auf das Führungsverhalten und die Arbeitswelt auswirkt. Wagen wir einen weiten Blick in die Vergangenheit. Ende des 19. Jahrhunderts glaubte man, dass der arbeitende Mensch ein homo oeconomicus sei. Dies ist vergleichbar mit dem McGregor Typ X: Der homo oeconomicus ist ein rationaler Mensch, faul und verantwortungsscheu, der seine Arbeit ausschließlich negativ bewertet. Sein Ziel ist der größtmögliche Gewinn. Allein durch die Höhe der Bezahlung ist er motivierbar. Das Unternehmensziel, die Produktivität zu steigern, geht einher mit dem Ziel des Mitarbeiters, einen höheren Lohn zu erhalten. Die Arbeit wird als Leidfaktor und als Mittel zum Zweck angesehen, um später, außerhalb des Unternehmens, seine Bedürfnisse befriedigen zu können.
Der Führungsstil ist entsprechend gekennzeichnet durch straffe Führung, häufige Kontrollen und kleine Führungsspannen. Die Grundannahme ist, dass der Mitarbeiter nur über den Lohn an das Unternehmen gebunden werden kann. Daher muss jeder Arbeitnehmer möglichst schnell ersetzt werden können; geringe Anforderungen an die Qualifikationen sind die Folge. Das Unternehmen vertraut auf Maschinen, der Mensch ist nur zu ihrer Ergänzung da.
Beispiele aus dieser Zeit sind Henry Ford und Frederick Winslow Taylor mit ihrer Fließbandarbeit, dem Primat der Arbeitsteilung und der Trennung von Kopf- und Handarbeit.
1.3.3 Der Mensch als soziales Wesen
Dann aber kommt es zu einer Gegenbewegung, die die Nachteile des mechanistischen Taylorismus hervorhebt. Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass der Mensch mehr ist als nur ein am finanziellen Gewinn orientiertes Individuum. Der Mitarbeiter als Teil einer Gruppe rückt in den Fokus, und damit das soziale Verhalten und die Bedeutung sozialer Beziehungen am Arbeitsplatz.
Das Menschenbild des social man (der soziale Mensch) ist charakterisiert durch die Existenz von sozialen Bedürfnissen und dem Wunsch nach Zugehörigkeit. Menschliches Verhalten wird durch Regeln und Normen der (Arbeits-)Gruppe geprägt, so die jetzt gängige Auffassung. Nicht die materielle Be- bzw. Entlohnung leitet den Menschen, vielmehr bestimmt die Erfüllung seiner persönlichen Bedürfnisse seine Leistung.
Im Zuge dieses Menschenbildes entstehen Ideen wie Teamarbeit und andere Formen der Beteiligung (etwa Qualitätszirkel, Ideeneinreichsysteme). Das Unternehmen wird als soziales System verstanden, dessen Kommunikations- und Informationswegen besondere Beachtung geschenkt werden muss. Führung bedeutet, die Bedürfnisse der Mitarbeiter zu berücksichtigen. Wichtig sind vor allem das psychologische Wohlbefinden der Mitarbeiter, ihre Integration in die Gruppe und das daraus resultierende Zugehörigkeitsgefühl.
1.3.4 Das Individuum im Mittelpunkt
Ende der 1950er bis Anfang der 1970er Jahre rückte das Individuum mit seinen Fähigkeiten in den Mittelpunkt. Das Menschenbild des selfactualizing man zeigt auf, dass der Mensch eine Vielzahl an Bedürfnissen hat, die er über seine Arbeit befriedigen möchte. Er strebt nach Selbstverwirklichung und Autonomie und will sich weiterentwickeln. Externe Belohnungen sind kein wirklicher Anreiz für ihn, er wird durch den Einsatz seiner Fähigkeiten bei der Arbeit an sich motiviert.
Die Arbeits- und Organisationsstrukturen werden anhand von Aufgabenerweiterungen für den einzelnen (Job Enrichment/Job Enlargement) sowie durch die Einführung teilautonomer Arbeitsgruppen an das neue Menschenbild angepasst. Ein Unternehmen wird als ein soziotechnisches System verstanden. Es besteht aus einer technischen (Maschinen, Technologien) und einer sozialen Komponente (Menschen), die nur gemeinsam optimiert werden können.
Führung bedeutet demnach, die Mitarbeiter anzuregen, zu unterstützen und zu fördern. Der Mitarbeiter als Individuum steht im Zentrum, nicht mehr die Gruppe. Die Führungskraft soll dazu beitragen, dass die Arbeit in sich motivierend ist, zum Beispiel durch vollständige Aufgaben, bei denen der Mitarbeiter die Planung, die Durchführung und den Abschluss einer Tätigkeit übernimmt.
1.3.5 Der Abschied vom allgemeingültigen Menschenbild
Seit den 1980er Jahren wird die Ansicht vertreten, dass die bisherigen Menschenbilder allesamt zu einseitig sind, denn die Wirklichkeit ist viel komplexer. Der Mensch ist um einiges vielschichtiger und individueller, als bisher angenommen: Das Menschenbild des complex man entsteht. Dieses Menschenbild kombiniert alle vorangegangenen und berücksichtigt darüber hinaus die unterschiedlichen Bedürfnisse von Arbeitnehmern, aber auch die eines einzelnen Arbeitnehmers im Laufe seines Lebens. Es wird deutlich:
Ein generelles, allgemeingültiges Menschenbild für jeden kann es nicht mehr geben.
Vielmehr gilt:
Der Mensch verfügt über ein komplexes Set an Motiven, Zielen und Werten, die auf unterschiedliche Arten befriedigt werden und die sich im Laufe der Zeit auch ändern können.
Nicht nur die Bedürfnisbefriedigung, sondern auch die Art der Aufgabe, die Fähigkeiten und Fertigkeiten des Mitarbeiters, sein kultureller Hintergrund sowie das Betriebsklima beeinflussen die Arbeitszufriedenheit und Effizienz von Unternehmen.
In Bezug auf den Führungsstil bedeutet das, dass es „den allein selig machenden Führungsstil" nicht geben kann. Vielmehr muss die Führungskraft ihren Führungsstil an die Ansprüche der Arbeitnehmer und an die jeweilige Situation anpassen.
Auch das Bild, das ein Unternehmen nach außen vermittelt, wird deshalb immer wichtiger. Denn Arbeitnehmer sind nicht nur an einem tollen Job interessiert, an netten Kollegen, attraktiven Arbeitsumgebungen und einem guten Gehalt, sondern wollen sich überdies mit dem Unternehmen identifizieren können. Sie möchten ihre Persönlichkeit einbringen und weiterentwickeln.
Deshalb werden die Unternehmenswerte, die Unternehmenskultur, die persönlichkeitsförderliche Arbeitsgestaltung und die individuellen Führungsstile immer wichtiger. Auch die Ansprüche an Führungskräfte steigen dadurch: Reines Experten-Know-how allein reicht nicht aus, um Menschen zu führen. Gefragt ist Ihre Fähigkeit zur Leadership.
Nehmen Sie sich Zeit zur Selbstreflexion
Sie haben nun mehrere Menschenbilder kennengelernt. Finden Sie sich in einem der dargestellten Menschenbilder eher wieder als in anderen?
Wie stehen Sie zu der Aussage, „den allein selig machenden Führungsstil" gibt es nicht mehr?
Bevor Sie weiterlesen: Bezeichnen Sie sich eher als Führungskraft oder als Führungspersönlichkeit? Und warum?
1.4 Vom Manager zum Leader, von der Führungskraft zur Führungspersönlichkeit
Die Führungsstilforschung unterscheidet verschiedene theoretische Ansätze:
Einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass es einen bestimmten Führungstypus gibt, der anhand bestimmter Persönlichkeitseigenschaften identifiziert werden kann.
Andere sehen die gegebene Situation als entscheidendes Auswahlkriterium für den Führungsstil.
Eine dritte Richtung sieht das Auswahlkriterium eher in den Geführten.
Auch hier reicht allerdings eine eindimensionale Betrachtungsweise nicht aus:
Die Persönlichkeit des Führenden, die momentane Situation, die Art der Aufgabe und die Eigenheiten der Gruppe bzw. die Persönlichkeiten der Geführten beeinflussen die Führungsarbeit gleichermaßen.
Schauen wir uns die Entwicklung der Führungstheorien unter dem Wandel der Gesellschaft