Simeliberg
Von Michael Fehr
3.5/5
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Über dieses E-Book
zweite Buchveröffentlichung, ist zweierlei in einem: Klangkunstwerk und rätselhafte Kriminalgeschichte.
Hinunter ins Loch, durch Matsch und Dreck, fährt Gemeindsverwalter Griese mit seinem Landrover. Die Repetierwaffe auf dem Rücksitz, erfüllt er widerwillig den Auftrag der kantonalen
Sozialhilfebehörde, einen Bauern in die Stadt zu bringen. Dessen Frau ist verschwunden,
in der Stadt will man der Angelegenheit auf den Grund gehen. Der verschrobene Bauer
erzählt von irrlichternden Plänen, die Menschheit zum Mars und in eine helle Zukunft zu
führen. Und nicht genug damit: An dem unwirtlichen Ort tragen sich mysteriöse Dinge zu.
Junge Männer in schwarzen Uniformen versammeln sich und bedrohen schliesslich auch
Griese, als er ihnen auf die Schliche kommt.
Polizei, Nachforschungen, Drohungen - alles nimmt seinen Lauf. Die Figuren zeigen einen
knorrigen, verstockten Menschenschlag. Die Welt in "Simeliberg" ist gezeichnet von Gegensätzen: da die scheinbare Normalität der Oberwelt, dort die dunklen Machenschaften im
sumpfigen Loch. Droben die Menschen Weiss und Wyss, drunten der Bauer Schwarz. Dazwischen der Grenzgänger Griese, der je länger, desto stärker zwischen alle Fronten und in die Mühlen der Behörden gerät.
Erzählung und Klang gehen eine ungewöhnliche Symbiose ein. Der Titel "Simeliberg" erinnert
an das gleichnamige Grimmsche Märchen und an das melancholische Volkslied "Vreneli
ab em Guggisberg". Michael Fehr evoziert eine Geschichte von existenzieller Wucht um
Themen wie Ideologie und Verwirrung, Vereinsamung und Geborgenheit. Bis ins Feinste der Worte inszeniert Fehr ein poetisch musikalisches Gesamtwerk.
Michael Fehr
Michael Fehr war Professor und Leiter des Instituts für Kunst im Kontext an der Universität der Künste Berlin und von 1987 bis 2005 Direktor des Karl Ernst Osthaus-Museums der Stadt Hagen.
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Buchvorschau
Simeliberg - Michael Fehr
Glossar am Ende des Buches
Michael Fehr
Simeliberg
1. Auflage, 2015
ISBN 978-3-03853-003-9
eISBN 978-3-03853-004-6
© Der gesunde Menschenversand, Luzern
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Barbara Berger
Gestaltung: Affolter/Savolainen
E-Book: Schwabe AG, www.schwabe.ch
www.menschenversand.ch
«Simeliberg» entstand mit Unterstützung von: Amt für Kultur des Kantons Bern (Projektbeitrag) und Abteilung Kulturelles der Stadt Bern (Werkbeitrag).
Michael
Fehr
Simeliberg
Erstes Kapitel
Grau
nass
trüb
ein Schweizer Wetter
ziemlich ab vom Schuss
nur über einen pflotschigen Karrweg von oben herab zu erreichen
in einem Krachen ein wüstes
tristes Bauernhaus mit ungestümem Dach
ein zerklüfteter Haufen aus grauen und schwarzen Tupfen
unter dem ein Haufen blinder Fenster leer in die Öde starrt
in der wenig heiteren Stube hocket der Landmann mit dem Rücken zur Fensterzeile
nach der drückenden Stille
mit der das Gebälk lastet und den Raum niedrig hält
der einzige Mann und Mensch im Haus
draussen motort es schwankend von oben herab zum Haus heran
Zweites Kapitel
Nachdem er eine Weile bei abgeschaltetem Motor und allmählich erkaltendem Wagenschlag geradeaus aufs Haus starrend sitzen geblieben ist
steigt aus dem Landrover
der untenherum verkotet ist
eigentlich aber grau wäre
wie man der Dachpartie ansieht
Griese
Gemeindsverwalter
als solcher wegen der hiesigen Abgelegenheit betraut mit allen möglichen behördlichen Aufgaben
die örtlich anfallen
auch als eine Art Abgeordneter obrigkeitlicher
kantonaler Fürsorge für den ganzen Flecken zunächst einmal zuständig für alle
denen der Sinn zur Selbstverwaltung aus blossem Bildungsmangel
aus Verwahrlosung
Krankheit oder sonstigem Irrsinn zu sehr abgeht
als dass man sie auf sich beruhen lassen könnte
in dreckigen Gummistiefeln
sonst anständig
trägt Schnauz
der seine Widerstandsfähigkeit als jemand mit dem Vornamen Anatol
der ihn sofort als einen
der aus dem grossen Kanton zugewandert ist
und ergo nicht Hiesigen markiert
verbessert
klatscht die vordere Wagentür ins Schloss
öffnet die hintere
nimmt vom Sitz einen frechen Jägerhut und mit Sympathie für Auswanderer vom Boden ein Gewehr
dessen Ladung er gewissenhaft überprüft
eine Bauerundwaldschratrepetierbüchse
eine Art Familienfabrikat
Vater und Schwiegersohn probierten zu ihrer Zeit im Ausland ihr Glück
ersannen schnellhin einen Heavyleadhunter
ein unverwüstliches Eisen zur Fuchsjagd
welches damals auf ganz markante Distanz einen Fuchs zerfledderte
und das repetiert
was auch nötig war
da zu ungenau
um auf einen Hasen zu pfeffern
jedoch kräftig genug
um ein Pferd zu durchschlagen und zu fällen
und da die spassigen Jagdhorden den rassigen Pelz lieber am Stück mochten
ging die Kompanie bald ein und verloren
jedoch der HLHrepetierer
unaufdringlich und schnittig
jedoch mit Nachdruck in der Stimme
der keinen Widerspruch duldet
war halt etliche Mal gebaut und eben wegen seiner Kraft verkauft
vertrauenerweckendes Stück
prüft auch die Sicherung
entsichert
legt die Waffe sorgfältig auf den nackten Wagenboden zurück
Metall auf Metall
schweres Mordgerät passt gut zu schwerem Arbeitsgerät
lehnt diese Tür nur an
ohne sie einrasten zu lassen
watet über den kotigen Hausplatz
meidet die Stelle
wo sich ungefähr ehemals der Mist türmte
beugt den Kopf
schiebt die Schultern unter dem Dachtrauf hindurch
wobei ihn durch den Hemdkragen hindurch die Krawatte würgt
steht unversehens vor der Türe
deren obere Hälfte aus sechs Glasscheiben besteht
linst hinein
Schatten
Licht am Ende des Gangs
der schmale Korridor verläuft über die ganze Breite auf die andere Seite des Hauses
wo wieder eine gleiche Türe ist und Licht einfällt
er horcht
klatscht die flache Hand paar Mal gegen den Holzrahmen
in dem die Scheiblein klirren
nichts
probiert die Türe
es ist offen
er tritt hinein
in den Schatten
etwas verhalten wegen der dreckigen Gummistiefel
besinnt sich dann
darauf kommt es nun auch nicht an
legt dann festen Schrittes die paar Schritte zurück
bis vom Korridor links die Türe zur Stube abgeht
Türe zu
gern würde er doch noch umkehren und aus dem Landrover die graue Handlampe holen
noch ein Stück Metall
er hält an sich
wäre ja gelacht
«Schwarz»
sagt er jetzt zum ersten Mal
die Stimme krächzt
räuspert sich
«Schwarz»
dann fester
«Es ist offen»
der von drinnen
probiert die Türe
es ist offen
macht auf
drinnen
am anderen Ende des Raumes
der Mann
die Fensterreihe im Rücken
«Also bist du doch da»
Griese mit etwas verkniffenen Zügen
weil es trotz der Düstere im Raum von gegenüber blendet und wohl auch sonst
«Willst nicht hereinkommen»
der Landmann
«es kommt kalt herein»
der Verwalter macht den Schritt über die Schwelle
schliesst die Tür hinter sich
«Warm bei dir»
nimmt den Hut ab
«Hast etwas wollen»
der andere
«Danke»
träppelt zurück
bis er den Rücken an der Tür hat
die ihn stärkt
«Zessen habe ich nichts»
«Danke»
«Willst sitzen
ist Platz genug
oder»
«Danke»
macht keinen Wank von der Türe weg
«Schwarz
ich bin gekommen
dich zu holen»
der Landmann rückt auf dem Bank
sitzt ein wenig seitlich
stützt Hand auf den Tisch
drückt sich ein wenig vom Bank
zieht den durchsichtigen Vorhang etwas zur Seite
klappt die Falle weg
die das Läufterlein zuhält
macht die kleine Scheibe
die sich als ein Sechstel des grossen Fensters separat öffnen lässt
auf
sieht zum Loch aus
offenbar in die Öde
«Brühe»
macht zu
dreht sich zurück
«bei Gefrörne graue
schwarze Kruste
bei Hitze graue
schwarze Sauce
dazwischen etwas dazwischen
Matsch»
lehnt den Kopf an das wenige Stück Wand zwischen zwei Fenstern
«Was willst»
«Schwarz»
der von der Türe her
«Was willst
hier habe ich nichts mehr verloren»
«Wir müssten dann langsam»
der Verwalter
«du hast gewusst
dass ich komme
habe dirs am Telefon gesagt»
«Telefon»
macht der am Fenster
haut auf den Tisch
dass es in der Stube klirrt
«kannst kommen
wenn du etwas willst»
«Jetzt bin ich ja da»
«Du sagst es»
«Nun
also»
«Hast du dir
Griese
auf deiner Verwaltung
Behörde
einmal überlegt
was es mit dem Sozialismus