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Thanats Welten 1 - Tauros
Thanats Welten 1 - Tauros
Thanats Welten 1 - Tauros
eBook1.248 Seiten15 Stunden

Thanats Welten 1 - Tauros

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Über dieses E-Book

Die Welt von Eyra wird bestimmt durch Gier, Korruption und Gewalt. Raubbau an den Ressourcen ihres Planeten, Umweltverschmutzung und Rechtlosigkeit sind bitterer Alltag.
Eyra hat den Wunsch, Wissenschaftlerin zu werden, um ihren Beitrag zu leisten, die Probleme auf ihrem Planeten zu beseitigen. Doch ihre ungewöhnliche Erscheinung macht sie zur Außenseiterin. Ihre Leistungen lassen sie zur Zielscheibe ihrer privilegierten Mitschüler werden. Hat sie da überhaupt eine Chance?
Gedemütigt, verzweifelt und verängstigt muss sie erleben, dass die Gruppe ihrer ärgsten Widersacher auch noch Verstärkung bekommt, als ein neuer Schüler in ihre Klasse kommt. Aber der ist eine Überraschung. In vielerlei Hinsicht. Wendet sich nun das Blatt?
  
Erleben Sie einen großen Kessel Öko-Fantasy, angereichert mit einem ordentlichen Schuss Science-Fiction und einer Prise Romantik. Hach, was wäre wenn …
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum3. Juli 2019
ISBN9783748599111
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    Buchvorschau

    Thanats Welten 1 - Tauros - J. Reiph

    Impressum

    J. Reiph

    c/o Jörg Riepenhusen

    Egerweg 2a

    48151 Münster

    Deutschland

    Mail: autor@reiph.de

    Diese Geschichte ist frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind ganz und gar zufällig und nicht beabsichtigt. Alle vorgestellten Personen, Charaktere, Orte, Veranstaltungen und Handlungen entspringen der Vorstellungskraft des Autoren und sind nicht real.

    Copyright by @ Jörg Riepenhusen, 2019, V. 1.0. Alle Rechte vorbehalten.

    Covergestaltung durch Kim Leopold (ungecovert - Buchcover und mehr) unter Verwendung von Stockmaterial von www.shutterstock.de (PLotulitStocker, Phatthanit) und www.123rf.de (algolonline).

    Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autoren unzulässig. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung, Speicherung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil-und/oder strafrechtliche Folgen haben.

    In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Ich weise darauf hin, dass sich der Autor nicht die Inhalte Dritter zu eigen macht.

    Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Autoren freigegebenen Textes kommen.

    Imprint: Independently published

    Das Buch

    Die Welt von Eyra wird bestimmt durch Gier, Korruption und Gewalt. Raubbau an den Ressourcen ihres Planeten, Umweltverschmutzung und Rechtlosigkeit sind bitterer Alltag.

    Eyra hat den Wunsch, Wissenschaftlerin zu werden, um ihren Beitrag zu leisten, die Probleme auf ihrem Planeten zu beseitigen. Doch ihre ungewöhnliche Erscheinung macht sie zur Außenseiterin. Ihre Leistungen lassen sie zur Zielscheibe ihrer privilegierten Mitschüler werden. Hat sie da überhaupt eine Chance?

    Gedemütigt, verzweifelt und verängstigt muss sie erleben, dass die Gruppe ihrer ärgsten Widersacher auch noch Verstärkung bekommt, als ein neuer Schüler in ihre Klasse kommt. Aber der ist eine Überraschung. In vielerlei Hinsicht. Wendet sich nun das Blatt?

    Erleben Sie einen großen Kessel Öko-Fantasy, angereichert mit einem ordentlichen Schuss Science-Fiction und einer Prise Romantik. Hach, was wäre wenn …

    Inhaltsverzeichnis

    Impressum

    Das Buch

    Erster Prolog

    Zweiter Prolog

    Die Ankunft

    Die letzten Ferien

    Noch ein Privater

    Wissenschaftsmeister Koriat

    Die Industriebrache

    Lernen und Training

    Geheime Absprachen

    Holt ihn her!

    Der 18. Geburtstag

    Libertah

    Wie viel Tod verträgt man?

    Die Seelensicht

    Das Gästehaus

    Zurück in der Schule

    Unerreichbar

    Wilde Jagd

    Das Turnier

    Entscheidungen

    Exkursion

    Weitere Prüfungen

    Gedanken

    Endspurt

    Der Abschlussball

    Libertah hat uns wieder

    Eine Reise beginnt

    Figushi, nördliche Muraa-Inseln

    Höchste Gipfel

    Elektrisch mobil

    Der letzte Urwald

    Zwillinge

    Wahrheiten

    Pläne

    Sonne, Mond und Planeten

    Die Botschafterin

    Aufnahme läuft!

    Studienmarathon

    Treffen der Botschafterinnen

    Das Klinikpraktikum

    Wo ist sie?

    Gefangen

    Das erste Projekt

    Der Lauscher

    Der Botschafterin neue Gewänder

    Bei Hofe

    Wasser marsch!

    Ein bisschen bissiger

    Eine typische Woche

    Tochter oder Schwester?

    Die Rückkehr der Kinder

    Visionen für Staatslenker

    Schweres Geschütz

    Vorlesungen

    Der Kreis der Eingeweihten

    Die Allianz

    Angriff auf die Konferenz der Nationen

    Erste Kriegshandlungen gegen Libertah

    Killer zum Jahresende

    Hilfe naht

    Einmarsch droht

    Die Einschaltquote

    Der Tag danach

    Eingeschlossen

    Ein verzweifelter Versuch

    Leute, lasst es endlich sein!

    Konspiration

    Die letzte Bastion

    Die Charta von Tauros

    Erinnerungen

    Abschied - erster Epilog

    Für immer - zweiter Epilog

    Das letzte Wort

    Ein dickes Danke

    Wer hat’s geschrieben?

    Erster Prolog

    Glauben Sie, es ist ein Vergnügen alt zu werden?

    94 Jahre habe ich auf unserer Welt verbracht. Mein Leben war friedlich. In meiner Generation gab es zumindest in meinem Land keine Kriege oder schwere, bewaffnete Auseinandersetzungen. Nicht so, wie in anderen Ländern. Schwere Verletzungen und Krankheiten haben mich verschont. Und nun liege ich hier im Krankenhaus.

    Beinbruch.

    Wegen einer blöden Teppichkante.

    Als wenn das noch nicht genug wäre, quillt gerade fetter Qualm unter der Tür meines Krankenhauszimmers hervor. Ja, das Krankenhaus, in dem ich liege, brennt. Und ich glaube langsam nicht mehr, dass der Pfleger noch zurückkommt, um mich rauszuschieben.

    Als der Feueralarm losging, tauchte er hektisch in meinem Zimmer auf. Im Nachbarbett lag ein junger Mann. Bruch des Sprunggelenks am rechten Fuß und Trümmerbruch am Oberschenkel. Sein Bein ist aufwändig fixiert. Vater von zwei Kindern. Der Pfleger stand dort und schaute uns panisch an. Wen sollte er zuerst raus schieben?

    Die Entscheidung nahm ich ihm ab.

    „Nehmen Sie den jungen Mann. Er hat sein Leben noch vor sich."

    Der Pfleger meinte, er käme so schnell zurück, wie er könnte. Seine Augen verrieten die Lüge. Der Vater aber sah mich dankbar an.

    Na gut, jetzt liege ich hier. Man hört das Tosen der Flammen auf den Gängen. In diesem Moment platzt die Tür auf und eine Flammenwand wälzt sich herein. Schwerer Rauch dringt in den ganzen Raum.

    Werde ich zuerst ersticken oder verbrennen?

    Das Atmen fällt mir schwer. Heftige Hustenanfälle schütteln mich. Meine Augen brennen. Es wird unerträglich heiß. Meine Bettdecke fängt an zu qualmen. Ich kriege keine Luft mehr. Ich ringe nach Atem.

    Mein Blickfeld engt sich rapide ein. Rasend schnell wird alles immer dunkler.

    Haben Sie schon mal gesehen, wie bei einem Röhrenfernseher die Bildröhre hops geht? Das Bild zieht sich in Sekundenbruchteilen zu einem weißen Punkt zusammen. Dann - finito.

    Mein Blickfeld zieht sich genauso zusammen. Weißer Punkt. Aus.

    Ich bin gestorben.

    Zweiter Prolog

    Ich schwebe. Um mich herum ist alles grau. Etwas entfernt sehe ich ein paar leuchtende Punkte. Die scheinen auch zu schweben. Oder aufzusteigen.

    Sehen? Habe ich Augen? Lebe ich noch? Einen Körper kann ich nicht wahrnehmen. Also bleiben wir beim Sehen. Passt schon. Irgendwie.

    Etliche Lichtpunkte vereinigen sich zu einem langgezogenen Pulk. Es sieht aus wie eine leuchtende Straße. Ich schwebe auf diese Straße zu.

    Neben der Straße sehe ich ein leichtes Flirren. Sieht komisch aus. Habe ich gerade etwas vor? Eigentlich nicht. Schauen wir uns das Flirren an.

    Es sieht aus wie eine Röhre. Ich schwebe in die Röhre. Und dann beginnt die Achterbahnfahrt. Wie lange sie dauert? Keine Ahnung.

    Irgendwann spuckt mich die Röhre aus. Ich nehme eine weitere leuchtende Kugel wahr. Nur ist die größer und strahlender als alle, die ich vorher gesehen habe.

    Ich umkreise sie. Faszinierend. Sie schillert. Sie zieht mich an.

    „Genug gesehen?" Körperlos nehme ich die Stimme wahr. Hören ist es nicht. Die Stimme kommt von allen Seiten.

    Kann ich auch sprechen?

    „Musst du nicht. Denke deine Frage. Dann verstehen wir uns."

    Okay - das ist neu.

    Die Stimme lacht. „Du hast Humor, das gefällt mir. Und du bist neugierig."

    Wie kommt der jetzt darauf?

    „Weil du sonst nicht hier wärst. Alle sind dem leuchtenden Strom gefolgt. Nur du hast das Flimmern registriert und bist in die Röhre - naja - gegangen. Du bist der Erste seit fast 500 deiner Jahre, der diesen Weg gegangen ist."

    Meiner Jahre?

    „Genau. Andere Planeten, andere Umlaufzeiten um die Sonne, andere Jahreslängen."

    Ist der ein Alien?

    „Hmpf, du musst noch lernen, deine Gedanken zu kanalisieren. Aus meiner Sicht bist du der Alien. Alles eine Frage des Standpunktes."

    Mann, quatscht der immer so viel?

    Ein homerisches Lachen dröhnt durch meinen … Kopf?

    „Du hast schon Recht. Ich denke, ich schulde dir eine Erklärung."

    Na, da bin aber mal gespannt.

    „Du bist gestorben."

    Okay, weiß ich.

    „Reiß dich doch mal zusammen. Halt mal den Mund passt irgendwie nicht. Du hast ja keinen mehr."

    Grmpfderblödmannkannmichmalaberkreuzweise.

    „Gut, Angst hast du nicht. Aber deine Gedankendisziplin ..."

    Die Gedanken sind frei. Wie war noch mal die Melodie?

    „So wird das nichts. Also noch mal von vorne. Du bist tot. Die Lichter, die du wahrgenommen hast, sind Seelen. Du bist auch eine Seele. Ich bin eine Seele."

    Interessant. Schillere ich denn dann auch so?

    „Nein. Ich schillere so, weil ich ein Sucher bin."

    Sucher?

    „Es ist so. Seelen bleiben meist im Halo ihres Heimatplaneten. Sie existieren in einer Zwischendimension, der Seelendimension. Du bist jetzt im Halo meines Heimatplaneten."

    Und wo ist das?

    „Ah, du lernst. Endlich mal eine vernünftig formulierte Frage. Du kennst den Planeten nicht. Ich kann dir auch nicht sagen, wo er von deinem Planeten aus gesehen liegt. In der Seelendimension gelten andere Gesetzmäßigkeiten. Meine Aufgabe als Sucher ist es, einen Erben für das Wissen unseres Planeten zu finden."

    Wofür soll das denn gut sein?

    „Mein Volk war schon sehr alt. Wir lebten friedlich. Wir forschten. Wir achteten die Natur. Krieg, Mord oder Gewalt gab es nicht."

    Die Stimme schweigt einen Moment, als müsse sie sich erst von schmerzlichen Erinnerungen lösen, bevor sie weiter sprechen kann.

    „Deshalb waren wir völlig chancenlos, als wir überfallen wurden. Es gibt ein Volk, das seinen Heimatplaneten durch Raubbau und Kriege unbewohnbar gemacht hat. In einer riesigen Armada reisen sie seit Jahrtausenden durch das All. Sie suchen nach einer neuen Heimat. Doch das wird ihnen niemals gelingen. Jeder Planet, der für ihre Physiologie geeignet wäre, hat längst schon seine Fauna ausgebildet. Die Mikroben würden sie umbringen. Aus Wut vernichten sie alles Leben auf den Planeten, die sie entdecken. So auch unseren. Zurück blieb ein Steinbrocken. Alles Leben war gestorben."

    Erneut folgt ein schmerzvolles Schweigen. Irgendwie tut er mir leid. Wer sind diese Invasoren? Handeln sie vielleicht auch nur aus Verzweiflung?

    „Danke. Mitgefühl hast du auch. Gut, gut. Natürlich ist meine Betrachtung dieser Wesen geprägt durch unser Erleben. Sie haben unseren Planeten zerstört und unsere Spezies ausgelöscht. Da ist es sicherlich verständlich, dass ich ihnen nicht um den Hals fallen würde. Wir suchen nun seit Jahrtausenden nach einer Seele, um ihr unser Wissen zu vererben. Diese Seele soll unser Wissen nutzen, um die Invasoren zu finden und aufzuhalten."

    Ob er wohl meint, sie aus dem All zu blasen?

    „Du kannst Skrupel beiseiteschieben. Das gefällt mir. Denn die Konsequenz wäre womöglich, das Volk zu töten."

    Ein Genozid? Das wäre allerdings heftig. Aber machen die Invasoren es nicht genauso? Und würden sie auch die Erde vernichten, wenn sie sie fänden?

    „Davon kannst du ausgehen. Sie sind mittlerweile so verroht, dass sie anderen Völkern ihr Glück, ihren Planeten, nicht gönnen. Ich hatte Kontakt mit Seelen anderer Planeten, die sie nach uns vernichtet haben. Du siehst, sie treiben ihr Unwesen weiterhin."

    Und warum macht das keine Seele seines Volkes?

    „Du kannst mich auch ruhig direkt ansprechen. Mein Name ist Xymantropentakoleberatis. Weil du es bist, genügt auch Xymantropentakol. Egal. Ich sagte ja schon, dass wir sehr friedfertig waren. Wir konnten ganz einfach nicht in einen Krieg ziehen. Außerdem würde es jede Seele meines Volkes zerbrechen, auf den Resten unseres Planeten nach den versteckten Technologien zu suchen, um sie wieder zu beleben. Wir benötigen die Seele eines jungen Volkes. Sie muss noch Wissensdurst und Neugier kennen. Sie sollte Mitgefühl haben, aber auch vor Gewalt nicht zurück schrecken. Die Technologie sollte in seinem oder ihrem Leben verbreitet gewesen sein, sonst wird der Sprung in unser Wissen zu groß. Das trifft auf dich zu."

    Bin ich denn ein Barbar mit digitaler Keule, oder was?

    „Najaaaa."

    Blödmann.

    „Danke, das habe ich verdient. Wir würden dir anbieten, unser Wissen zu übernehmen. Mit diesem Wissen sollst du versuchen, unsere Technik zu beleben. Du sollst das Universum bereisen und nach den Invasoren suchen. Wenn du sie gefunden hast ..."

    Gut, das hatte ich schon verstanden. Aber zwei Probleme hast du noch nicht erwähnt. Dafür benötigt man einen Körper und etwas mehr Zeit als meine bisherigen 94 Jahre.

    „Stimmt. Alter ist relativ. Als mein biologischer Körper alterte, fühlte ich mich im Kopf noch wie ein junger Mann. Nur mein Gesicht im Spiegel oder die mitleidigen Blicke junger Frauen haben mich eines Besseren belehrt. Eine Seele reift, aber sie wird nie richtig alt. Eher ist dein Tatendrang ein Gradmesser deines geistigen Alters. Dass du hier bist, beweist, dass du geistig immer noch jung bist. Und wir würden dir einen Körper geben."

    Das mit den mitleidigen Blicken kenne ich. Vor allem bei Leuten, die sich betont jung geben, es aber nicht mehr sind. Ein neuer Körper, klingt interessant.

    Mechanisch, biologisch, Mischmasch, oder was?

    „Nein, es wäre der Körper eines Energiewesens. Du bist hier in der Seelendimension. Feste Materie kann hier nicht existieren. Von hier kommst du nur im Körper eines Wesens weg, das aus der Energie von Seelen besteht."

    Okay, das leuchtet sogar mir ein.

    „Bravo, du kapierst es. Dieser Energiekörper kann von der Seelendimension in die reale Dimension wechseln. Mit ein wenig Übung kannst du den Körper des Energiewesens deinen Bedürfnissen anpassen. So kannst du zum Beispiel Hände bilden. Es ist aber kein biologischer Körper. Das bedeutet, er muss nicht atmen, nicht trinken oder essen. Und er altert nicht."

    Na, wenn das mal nicht verführerisch klingt.

    „Ja, aber bedenke, du wärst alleine. Alle biologischen Wesen, die du kennen lernst, werden sterben. Außerdem hättest du eine Aufgabe. Die verhindert, dass du dich auf einem Planeten niederlassen kannst."

    Ich könnte aber doch Pausen einlegen und Völker ein wenig beobachten.

    „Natürlich. Das würde uns sogar freuen. Wir forschten für unser Leben gern. Aber die Suche nach den Invasoren hätte Priorität."

    Das sehe ich ein.

    „Danke. Der Körper bestünde aus der Energie von über einer Milliarde Seelen."

    Eine Mill..., heiliger Strohsack.

    „Genau. Es wären sogar ausgewählte Seelen. Die Essenz ihres Wissens stünde dir zur Verfügung."

    Nicht schlecht. Keine muffigen Klassenräume und langweilige Lehrer.

    „Ja, aber es ist ein Haken dabei."

    War ja klar.

    „Du müssest dich nach der Vereinigung mit deiner Seele durchsetzen. Sonst bist du verloren."

    Ob das schon mal geklappt hat?

    „Nein, wir hatten bisher zehn vielversprechende Seelen hier. Alle haben sich verloren."

    Na, du bist ja mal ein super Motivator.

    „Ich bin nur ehrlich. Aber du bist frech genug. Du könntest es schaffen. Außerdem wärst du unsere letzte Chance."

    Warum das denn?

    „Bei einem Fehlversuch sind auch unsere Seelen verloren."

    Milliarden Seelen verloren? Ach du Scheiße.

    „Igitt. Denk dran, sich in Gedanken zu unterhalten, bedeutet eigentlich Bilder zu übertragen. Du bist sehr direkt. Gelinde gesagt."

    Sorry.

    „Schwamm drüber. Also die Seelen für deinen Körper wären unser letztes Aufgebot. Es sind die Seelen unserer Besten. Der besten Wissenschaftler, Künstler, Ärzte. Sie wissen, was auf dem Spiel steht. Nicht jede Seele ist bereit ihre letzte Ruhe für solch ein Wagnis aufzugeben. Die meisten existieren in ihrer Seelenwelt weiter."

    Seelenwelt? Was ist das denn?

    „Eine Seele existiert nach dem Tod des Körpers in seiner eigenen Welt. In der Welt der Erinnerungen. Für viele ganz nett. Aber nicht für alle."

    Nicht?

    „Nein, wer in seinem Leben Gewalt, Verbrechen und so weiter ausgeübt hat, durchlebt das als Seele immer wieder. Nur im körperlichen Leben konnte er Schuldgefühle verdrängen. Eine Seele kann das nicht. So zerfrisst seine Seele sich selbst ganz langsam, bis sie sich aufgelöst hat. Keine schöne Zeit."

    Also schafft sich jeder in seinem Leben seine ganz persönliche Hölle nach dem Tod.

    „Oder seinen Himmel, wenn er viel Gutes tut."

    Schade, dass diese Erkenntnis sich auf meiner Welt noch nicht durchgesetzt hat. Aber irgendwie gibt es eine gewisse Befriedigung, sich vorzustellen, in welcher Hölle Massenmörder oder Diktatoren - Seitenscheitel, Schnauzbart, da fallen mir mehrere ein - schmoren.

    „Ja, oder Invasoren, die ganze Planeten vernichten."

    Womit wir wieder beim Thema wären.

    „Genau."

    Und was machst du jetzt hier.

    „Wie ich sagte. Ich suche nach einer geeigneten Seele. Dafür habe ich die Röhren ausgelegt. Wer es bis hierhin geschafft hat, erfüllt bereits eine wichtige Voraussetzung. Der Rest ist so eine Art Vorstellungsgespräch."

    Und du bist auch ein Energiewesen.

    „Nur teilweise. Ich habe nicht genug Energie um in die reale Welt zu wechseln. Aber ich bin stark genug, um aktiv zu kommunizieren. Ich lebe nicht in meinen Erinnerungen. Wenn wir unseren Erben gefunden haben, werde ich als Chronist in seiner Nähe in der Seelendimension bleiben."

    Dann könnten wir uns ab und zu auf ein Glas Wein treffen, oder was Seelen beim Abhängen so zu sich nehmen? Kann ich dich dann auch Kronos nennen. Bei deinem Namen bekomme ich einen Knoten in der geistigen Zunge.

    Erneut dröhnt ein Lachen durch meine Seelenbirne.

    „Könnte lustig werden. So in ein- oder zweitausend Jahren. Aber Kronos? Ich weiß nicht. Das klingt gar nicht erhaben. Kron, das würde mir gefallen."

    Okay, dann Kron. Und wie fällt dein Urteil aus?

    „Hmm, manchmal muss man nehmen, was man kriegen kann."

    Danke auch.

    „Komm, schmoll nicht. Ich rede seit hunderten Jahren nur mit mir selbst. Das färbt auf den Humor ab."

    Ach was, merkt man fast gar nicht.

    Schweigen.

    Ha, jetzt schmollst du.

    „Quatsch. Natürlich habe ich gerade eine Millionen Überlegungen angestellt, wie hoch deine Chancen sind."

    Angeber.

    „Na gut. Tatsächlich glaube ich, du könntest es schaffen."

    Lässt du mich bitte mal einen Moment darüber nachdenken? Ohne, dass du zuhörst?

    „In Ordnung, ich ziehe mich zurück."

    Das muss ich erst einmal verarbeiten. Die Idee, weiter in der realen Welt existieren zu können, ist wahnsinnig verlockend. Was könnte ich nicht alles entdecken und erleben? Andererseits, was erwartet mich, wenn ich wirklich auf diese Invasoren stoße? Eigentlich habe ich nie zur Gewalt geneigt. Und dann müsste ich mich der Entscheidung stellen, womöglich eine ganze Spezies auszurotten. Aber, wenn ich es nicht mache, macht es vielleicht jemand anderer. Und ganz vielleicht kann ich sie ja davon überzeugen, dass es eine Alternative gibt. Dass sie sich irgendwo ansiedeln. Was ist, wenn er keine andere Seele findet? Wie viele Planeten fallen den Invasoren dann noch zum Opfer? Es ist alles so schwierig. Aber der Gedanke, was ich bewirken könnte, ist faszinierend. Auch die Vorstellung, anderen Welten helfen zu können, hat was. Ich denke, ich mache es.

    Kron?

    „Ja?"

    Ich mache es.

    „Danke. Ehrlich. Du bist die vielversprechendste Seele, die ich bisher getroffen habe. Und unter uns, ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben."

    Gut, dann lass uns nicht lange fackeln. Was muss ich tun?

    „Sammle dich in dir selbst. Du darfst dich nicht verlieren. Finde dein Selbst."

    Könnte ich tief ausatmen, würde ich es jetzt tun.

    „Bereit?"

    Wenn du es bist.

    Und dann sind sie da. Millionen Stimmen, ein Tsunami an Eindrücken, ein Wirbelsturm an Informationen. Ich ertrinke, zerreiße, werde erdrückt.

    Ich werde neu geboren.

    Die Ankunft

    System: 1654-Z65-7559-MM08-2884

    Interner Systemname: noch unbekannt

    Zeitrechnung: Jahr 0 nach der Ankunft (n.d.A.)

    Hoch über der Ekliptik der kleinen Sonne schwebt ein diskusförmiges Raumschiff. Mit der unendlichen Geduld kybernetischer Schaltkreise wartet es auf die Ankunft der Expeditionsflotte. Eine Ankunftszeit hat niemand der Künstlichen Intelligenz des Raumschiffes mitgeteilt. Im Raumschiff herrscht Stille. Nur Schaltkreise, Generatoren oder Aggregate geben hin und wieder ein Geräusch von sich. Kein Lebewesen hält sich im Inneren des Schiffes auf.

    Deshalb sieht auch kein organisches Auge das Erblühen eines riesigen Trichters im leeren Raum. Kein Herz schlägt schneller, als neben diesem Trichter zweihundert weitere Trichter entstehen. Alle Trichter bilden exakte Abstände. Nichts überlappt sich. Sie sind präzise kreisförmig ausgerichtet.

    Ohne jegliches Erstaunen registriert die KI des einsamen Raumschiffes, wie der erste Trichter ein unfassbar großes, kugelförmiges Raumschiff gebiert. Binnen Sekunden ist das zwei Kilometer durchmessende Gebilde aus dem Trichter hervorgetreten. Die perfekte Symmetrie des Raumschiffes wird nur unterbrochen durch monströse Waffentürme, Hangartore und Feldprojektoren. Aus allen anderen Trichtern treten ebenfalls Raumschiffe hervor. Es gibt weitere, wenn auch kleinere Kugelschiffe. Andere sind diskusförmig, wieder andere folgen keiner erkennbaren Ästhetik. Einigen Raumschiffen sieht man ihre Funktion an, anderen nicht. Die KI registriert Frachtschiffe, Truppentransporter, Trägerschiffe, Kurierschiffe, Kampfschiffe, Fabrikschiffe. Die Expeditionsflotte nach gültigem Standard für planetare Einsätze ist vollständig angekommen.

    Pflichtgemäß richtet das einsame Raumschiff seine Antennen auf das riesige Führungsschiff aus und beginnt mit der Datenübertragung. Ein langer Strom Daten verschwindet in den Empfangsantennen der Riesenkugel. Supraleiter übertragen sie lichtschnell an die zentrale KI des Schiffes. Dort werden all die Informationen gespeichert, die das einsame Raumschiff in den vergangenen Monaten über das System gesammelt hat. Die wichtigste Information hat ein Schwesterschiff schon an die Einsatzleitstelle der Flotte übertragen, was letztlich zum Erscheinen der Schiffe führte: Ein Planet des Systems ist von intelligenten Lebewesen bewohnt.

    Und niemand davon hat die Ankunft der Flotte wahrgenommen. Die Lebewesen sind komplett ahnungslos, was da hoch über ihren Köpfen angekommen ist.

    In der Zentrale des Riesenraumschiffes sitzt eine einsame Gestalt. Aufmerksam verfolgt sie die Meldungen über den Zustand der Flotte. Nachdem alle Einheiten volle Einsatzbereitschaft gemeldet haben, wendet sie sich befriedigt den ersten Bildern und Informationen über das System zu.

    Das Scoutschiff, so nennt sie das einsame Diskusschiff, das ihr die Daten liefert, hat zuerst ein Kurzexposé des Systems gesendet. Demnach gibt es sechs Planeten. Der zweite ist bewohnt. Es handelt sich um eine Sauerstoffwelt, mit zwei großen Landmassen und ausgedehnten Meeren. Die dominante Lebensform ist humanoid.

    Spannender ist die Einschätzung des bewohnten Planeten, der Rest kann warten. Eine Planetenumdrehung dauert 25 Stunden. Ein Jahr zählt 400 Tage. Eine Woche wird mit 10 Tagen angegeben. Die Wochentage werden in der Reihenfolge bezeichnet. Der erste Arbeitstag heißt Erster, der zweite Zweiter und so weiter. Der Neunte und der Zehnte sind das Wochenende. Die humanoiden Bewohner leben in einer Industriekultur. Große Städte. Überwiegend fossile Energieträger. Schiffe, Flugzeuge, keine erkennbare Raumfahrt. Die Einwohnerzahl wird auf rund fünf Milliarden hochgerechnet. Destruktiver Raubbau an den natürlichen Ressourcen des Planeten. Starke Verschmutzung der Gewässer und der Atmosphäre. Eine differenzierte Analyse steht noch aus, aber der Planet wird vermutlich in 150 bis spätestens 200 Jahren den Kollaps erleiden. Die Bevölkerung wird wahrscheinlich vorher schon in heftige Kriege um Wasser und brauchbare Landmassen für die Agrarnutzung verfallen. Die einsame Gestalt schüttelt den Kopf und murmelt fast unhörbar. „Schon wieder. Es ist überall dasselbe."

    Aufmerksam studiert sie die ersten Bilder von der Architektur der Städte. Stein, Stahl und Glas dominieren die Bauweise. Es wird wenig Rücksicht auf topographische oder natürliche Belange genommen. Gebaut wird, wie und wo es gefällt.

    Die Industriekomplexe sind rein funktional. Fernmessungen der emittierten Gase lassen den Schluss zu, dass Filter bisher wohl nicht Gegenstand von Überlegungen waren. Raubbau, wohin man blickt. Schaudernd blättert die Gestalt weiter.

    Die nächsten Bilder zeigen die humanoiden Lebensformen. Zweigeschlechtlich. Männer mit einem Penis zwischen den Beinen, Frauen mit einer flachen, versteckten Vagina und kleinen Brüsten. Der Rumpf und die Extremitäten sind mit einem kurzen Fell bewachsen. Das Gesicht ist fellfrei. Die Farbe der sichtbaren Haut ist ein leichtes Braun. Der Kopf hat längere Haare. Die Ohren stehen leicht ab und sind an den oberen Enden spitz. Die Augen sind elliptisch, die Pupillen länglich senkrecht. Die Nase ist schmal, leicht aufgewölbt an der Spitze, mit zwei Atemöffnungen. Der Mund hat zwei sichtbare Lippen. Das Gebiss gehört zu Allesfressern. Die Eckzähne sind etwas länger und spitzer. Ein degeneriertes Raubtiergebiss. Die Normgröße einer Frau liegt bei 1,5 Metern, besonders hochgewachsene Exemplare erreichen 1,6 Meter. Bei männlichen Exemplaren sind es 1,6 beziehungsweise 1,7 Meter. Größere Exemplare wurden nicht entdeckt.

    Die sozialen Strukturen konnten noch nicht ausreichend erfasst werden. Es gibt eine einheitliche Grundsprache mit leichten dialektischen Abwandlungen. Das verführt die Gestalt zu einem gegrunzten „Wenigstens etwas."

    Bedenklich stimmt sie, dass die bruchstückhaften Analysen zu dem gesellschaftlichen Aufbau belegen, dass hier vieles im Argen liegt. Anscheinend beherrschen große Konzerne die Mehrzahl der Nationen. Sie steuern die Regierungen oder besetzen sie gleich ganz. Erste Anzeichen nähren den Verdacht, dass diese Konzerne aus Verbrecherorganisationen entstanden sind. Eine Sonde hat dazu sehr aufschlussreiches Material gesammelt. Diese Daten belegen auf erschreckende Weise, mit welcher Brutalität einige Jahre, Jahrzehnte sogar schon, die Übernahme sozial gerechter Konzerne betrieben wurde. Mord, Totschlag, Erpressung und Entführung grassiert auf dem Planeten. Finster verfolgt das Wesen die Berichte. Leise murmelt es vor sich hin: „Lohnt es sich überhaupt? Gewalt, Korruption, Umweltverschmutzung auf höchstem Grad, Korruption, Misswirtschaft, Gier. Was für ein Sumpf."

    Der nächste Bericht lässt seine Augen aber wieder etwas freundlicher dreinschauen. Er befasst sich mit der Minderheit der Regierungen und Konzerne, die sich noch um die Mitarbeiter oder Bürger kümmern. Der Bericht zeigt, dass sie auf zunehmend verlorenem Posten stehen. Erneut spricht er leise zu sich selbst: „Na, ein kleiner Abstecher kann ja nicht schaden."

    Stundenlang folgt die Gestalt dann den Untersuchungen über die Bodenschätze im ganzen System, seismischen Besonderheiten, Flugbahnen von Asteroiden und anderen Boliden.

    Die letzte Information bezieht sich auf die Namen, die die Lebewesen ihrem Planeten und ihrer Spezies gegeben haben: Tauros und Tauriden.

    Viele weitere Stunden der Analyse und Planung später spritzt eine Fülle Anweisungen aus den Antennen des Riesen. Ausführliche Anweisungen zu Flugbahnen und Parkpositionen auf dem Weg zu und in der Nähe von Tauros werden in den KI der Raumschiffe gespeichert. Die Kette der Anweisungen endet mit drei einfachen Worten: „Tarnmodus an. Ausführung."

    Binnen einer Sekunde verschwinden alle Raumschiffe hinter ihren Tarnschirmen. Kraftwerke werden aus dem Ruhemodus hochgefahren. 201 Raumschiffe setzen sich auf festgelegten Kursen in Richtung des zweiten Planeten in Bewegung.

    Eine einsame Gestalt in der Zentrale des größten Raumschiffes betrachtet die blaue Kugel des näher kommenden Planeten. Noch einmal überdenkt sie ihr Vorgehen. Sie kann aber keine Fehler an den ersten Schritten erkennen, auf dem Planeten Fuß zu fassen. Zufrieden lehnt sie sich zurück.

    Die Person beginnt mit der Planung, ihren Körper so zu formen, dass er sich den Tauriden anpasst.

    Nachtrag Interner Systemname: Tauros

    Hinweis in eigener Sache:

    Wir bemühen uns, diese Chroniken in die gängigsten Universalsprachen Ihres Heimatplaneten zu übersetzen. Ungenauigkeiten lasten Sie bitte der jeweiligen Künstlichen Intelligenz an. Beschwerden sind eigentlich zwecklos.

    Die letzten Ferien

    System: 1654-Z65-7559-MM08-2884

    Interner Systemname: Tauros

    Zeitrechnung: Jahr 23 nach der Ankunft (n.d.A.), 24. Woche

    Berichterstatterin: Eyra (nachgetragen)

    Müde strecke ich meine Beine auf meinem Bett aus. Heute hatte mein Trainer es so richtig vor. Er hat mich förmlich durch die Halle gejagt. Am Beginn meiner letzten großen Sommerferien hat meine Kampfsportschule einen neuen Trainer bekommen. Der ist echt gut. An mir muss er wohl einen Narren gefressen haben. Die anderen scheucht er einfach nur. Mich macht er fertig. Dabei grinse ich. In den paar Wochen habe ich mehr gelernt, als im halben Jahr davor. Das war ein Spaß.

    Ich liebe meinen Kampfsport. Dabei habe ich wegen meines freakigen Körpers mal einen Vorteil. Die Reichweite meiner Arme übertrifft bei den Schlagtechniken niemand. Genauso wenig die Reichweite meiner Beine bei Tritten. Oder die Höhe über Normalnull meines Kopfes als Ziel von Schlägen oder Tritten. Leider. Ich bin riesig. Ich bin über einen Meter neunzig. Als Mädchen! Das nach mir größte Mädchen, das ich kenne, ist einen Meter einundsechzig. Und die Jungs sind auch alle deutlich kleiner als ich. Ich bin ein Freak. Ich hasse mich.

    Damit wäre mein Hoch nach dem Training mal wieder in Rekordzeit pulverisiert. Aber ich kann mich mit meinem Körper einfach nicht abfinden. Mist, Mist, Mist. Mein Blick schweift durch mein Zimmer. Keine Poster von Musikbands, keine Plüschtiere, kein Mädchenkram. Dafür ein Poster mit dem Periodensystem, ein paar Auszeichnungen für Forschungsprojekte Jugendlicher, die ich in den letzten Jahren gewonnen habe, und Bilder von fantasievoll gezeichneten Planeten, wie sich Künstler entfernte Welten vorstellen. Auch als normales Mädchen versage ich völlig.

    Neben meinem Bett liegt ein Ausdruck mit den neuesten Theorien des Wissenschaftsmeisters Koriat zur Entstehung von Individuen mit deutlichen Abweichungen vom Standard. So wie ich. Um Koriat war es drei Jahre ruhig. Ich hatte gelesen, dass er unbequeme Fragen gestellt hat. Er hatte aufgedeckt, welche Schäden viele Industriebetriebe an der Umwelt verursachen. Etwas, das gerne verschwiegen wird, sagte Koriat. Das kommt bei manchen Regierungen oder mächtigen Leuten nicht gut an. Spurloses Verschwinden oder unaufgeklärte Morde sind schon fast üblich. Koriat war auch plötzlich weg. Und nun meldet er sich wieder. Er schreibt, dass er geflohen sei. Heute lebt er auf Libertah, diesem Steinhaufen im südlichen Polarmeer, den ein Superreicher vor zwanzig Jahren gekauft hat und dort anscheinend bedeutende Wissenschaftler beherbergt. Ich bewundere ihn für seinen Mut, Missstände auf Tauros anzuprangern. Ich weiß nicht, ob ich solch einen Mut aufbringen würde. Insgeheim wünsche ich mir, selbst zu solchen Themen zu forschen. Es genügt, die Nase nach draußen zu halten, dann riecht man schon, dass auf Tauros einiges im Argen liegt. Genauso übel ist es um unser Miteinander bestellt. Hat man Geld oder Einfluss, kriegt man alles, was man haben will. Ohne das … tja, sagen wir es mal so: Man bleibt besser unterhalb des Radars und erweckt keine Aufmerksamkeit. Gerät man in das Visier von Behörden oder Firmen hat der Normalbürger kaum noch eine Chance, sein Recht zu bekommen. Sogar mir als Schülerin fällt das auf. Aber macht jemand etwas dagegen? Natürlich nicht. Dafür profitieren die, die es sich leisten können, viel zu sehr von dem System. Und die aufgehaltene Hand ist eine nur zu gerne geübte Bewegung. Meine abschweifenden Gedanken konzentrieren sich wieder auf den Artikel von Borde Koriat.

    Leider hat mich der Artikel der Antwort auf meine Frage, warum ich mich so sehr von allen anderen Tauriden unterscheide, keinen Schritt weiter gebracht. So wirklich habe ich sein Konzept von der Vererbungslehre nicht verstanden. Aber es ist ja auch nur eine Theorie, wie er schreibt. Und das, obwohl ich neben dem Kampfsport Wissenschaft über alles liebe. Wenn ich dieses Jahr in der Schule überstehe, möchte ich gerne selbst Wissenschaftlerin werden, um an den von Borde Koriat aufgezeigten Problemen zu arbeiten. Ob mich wohl jemand nimmt? So, wie ich aussehe?

    Bevor ich mich weiter in Selbstmitleid ertränken kann, klingelt es an der Tür. Ich will mich schon hochquälen, da höre ich, dass meine Mutter zur Tür geht.

    Eine hohe, lachende Stimme begrüßt meine Mutter. „Hallo, liebste Mutter meiner liebsten Freundin! Da bin ich wieder!"

    „Dani, schön dich wiederzusehen. Machst du jetzt in Klamottendesign?"

    „Klar, ich muss doch für alles offen sein.", lacht meine beste, meine einzige, Freundin zurück. Ich richte mich innerlich schon einmal auf ein mindestens schrilles Aussehen ein.

    „Eyra ist in ihrem Zimmer. Ich glaube, sie kann nicht mehr laufen, so wie sie vorhin geschlichen ist, als sie vom Training zurückkam. Geh ruhig hin."

    Keine drei Sekunden später fliegt meine Tür auf und ein quietschbunter, 1,45 Meter hoher Wirbelwind rauscht in mein Zimmer und landet auf meinem Bett. In einer weiteren fließenden Bewegung wirft sich Dani an meinen Hals.

    „EYRA! Da bin ich wieder!"

    „Habe ich gar nicht gemerkt.", grummle ich zurück.

    Dani, eigentlich Danaida, lässt sich davon überhaupt nicht beirren. „Das Kunst-Camp war total irre. Wir haben Sachen gemacht, du glaubst es nicht!"

    Ich bequeme mich, Dani zurück zu drücken. Wenn man nur eine Freundin hat, sollte man sie nicht vergraulen. Sie war in den Ferien für vier Wochen in einem Camp für begabte Kunstschüler.

    „Erzähl.", fordere ich sie auf. Obwohl, diese Aufforderung hätte sie gar nicht gebraucht.

    „Wir hatten zwei fantastische Bildhauer als Dozenten. Die haben aus jedem Material Figuren herausgeholt, das war unglaublich. Die konnten zaubern. Ganz bestimmt. Eine Engelsgeduld beim Erklären hatten sie. Da bekommst du gleich ein Gefühl für den Stein oder das Holzstück. Du glaubst die fertige Figur im Material schon zu sehen. Toll. Wenn ich das jetzt im Prüfungsjahr anwenden kann, habe ich meinen Schulabschluss in der Tasche."

    Wir beginnen in drei Tagen unser letztes Schuljahr. Das dient nur noch der Wiederholung und der Prüfung in allen Fächern, die wir jemals in der Schule hatten. Dabei müssen wir uns für eine Schwerpunktrichtung entscheiden. Wirtschaft. Wissenschaft. Kunst. Klar, was Dani und ich gewählt haben. Dazu kommen die allgemeinen Fächer, wie Taurisch, Sport, Mathematik und Politik.

    „Und süüüß waren die Beiden. Der Eine hatte zwei unterschiedliche Augenfarben und der andere hatte sich sein Fell pechschwarz gefärbt. Die Seiten und die Oberschenkel zierten rote Blitze. Bei jedem Schritt oder jeder Bewegung des Oberkörpers zuckten die Blitze regelrecht. Ich konnte kaum wegsehen.", grinst Dani über das ganze Gesicht.

    Noch so ein Ding. Die meisten Mittauriden haben ein bunt geschecktes Fell mit der Grundfarbe Grau. Es ist total angesagt, sich das Fell zu färben. Sei es, dass glänzende Spitzen in verschiedenen Farben wie Inseln in das Fell gesetzt werden. Oder es erfolgt eine komplette Umfärbung. Das kostet aber ein Heidengeld. Und ich? Ich habe ab Werk ein rötliches Fell mit gelblichen Streifen. Das sieht aus, als stehe ich in Flammen. Toll! Außerdem habe ich eine Mördermähne auf dem Kopf. Die Haare sind kaum zu bändigen. Das sieht immer so aus, als wäre mein Haartrockner explodiert. Doppelt toll. Auf Dani bin ich fast neidisch. Sie hat ein Fell mit eher bräunlicher Tendenz. Dazu hat sie geschwungene weiße Streifen. So gut kann kein Stylist färben. Bei ihr ist es Natur.

    Wer dann noch richtig Kohle hat, lässt sich die Klamotten so schneidern, dass die Färbungen gar nicht erst unter dem Stoff verschwinden, sondern durch gewagte Reduzierung der Stoffmengen gekonnt in Szene gesetzt werden. So wie aktuell bei Dani. Sie hat mit bunten Stoffstreifen experimentiert. Bei ihr sieht das wirklich klasse aus. Bei meiner Körpergröße sähe ich aus wie ein Zirkuszelt nach einem Wirbelsturm. Grmpf.

    Danis Augen strahlen, als sie in ihre Stofftasche greift. „Hier, das habe ich für dich gemacht."

    Sie drückt mir eine Kugel in die Hand. Ich sehe genauer hin. Die Kugel hat Erhebungen und Vertiefungen. Dann erkenne ich, was es ist. Sie hat eine Miniatur unseres Mondes gemacht. Ach, Dani ist die Beste. Sie kennt meine Faszination für den Weltraum. Und nun schenkt sie mir den Mond. Mir steigen Tränen in die Augen, als ich sie umarme.

    „Danke, Dani. Das ist phantastisch." Innig drücke ich sie.

    An Danis zufriedenem Gesichtsausdruck sehe ich, dass es ihr Spaß macht, mich überrascht zu haben.

    „Und nun erzähl. Was hast du gemacht?"

    Schelmisch grinse ich. „Ich habe mich an einen Kerl ran gemacht.", eröffne ich in verschwörerischem Ton.

    Dani bekommt große Augen, kennt sie doch meine Probleme mit Jungs. Meine Größe, schon klar, oder? Alle Jungs sind deutlich kleiner als ich. Das sieht nicht nur doof aus, die Jungs trauen sich nicht, oder machen sich lächerlich darüber. Oder werden neben mir von anderen Jungs gehänselt. Oder ich von denen. Wer will da schon etwas mit mir anfangen?

    „Sag schon. Ich will alle schmutzigen Details.", drängt Dani.

    „Er ist schon über zwanzig."

    Danis Augen werden groß.

    „Muskulös."

    Ihre Augen beginnen zu glänzen.

    „Graue Augen. Stahlgrau!"

    Ihre Augen werden riesig.

    „Und heute hat er mich ..."

    Dani hält die Luft an.

    „... so richtig durch die Sporthalle gescheucht."

    „Du blöde Nuss! Dein Trainer zählt doch nicht."

    Ich werfe mich lachend auf mein Bett. Dani stürzt sich auf mich und kitzelt mich durch. Nach ein paar Minuten liegen wir uns lachend und um Atem ringend in den Armen.

    Nachdem wir uns beruhigt haben, meint sie: „Du weißt aber schon, dass du jeden haben könntest."

    Meine gute Laune kühlt gleich um etliche Grade ab. Na prima, das alte Thema.

    „Eyra, wirklich. Wenn ich eine Skulptur der schönsten Frau des Planeten machen sollte, wärst du mein Vorbild."

    Ich schnaube nur. „Eine Skulptur vom größten Freak, das glaube ich dir."

    „Nein. Du machst dich nur selbst schlecht. Du hast perfekte Proportionen. Deine Hüften haben den idealen Schwung. Deine Oberschenkel sind muskulös, aber schlank, dabei sanft gerundet. Du hast eine traumhafte Taille. Und deine Brüste sind perfekte Halbkugeln."

    „Willst du mir jetzt einen Heiratsantrag machen?"

    Dani lacht. „Nein, ich liebe dich. Aber ich liege lieber mit dir auf dem Bett, als darin."

    Ich grinse zurück. „Wenn du deine Skulptur von mir im Maßstab 1:3 machst, merkt auch niemand, wie groß ich bin. In natura achtet niemand auf meine Beine, Hüften oder Brust. Die gaffen mich nur an."

    „Trotzdem. Auch eine Bewegungsstudie von dir wäre der Hit. Wir Normalkurzen gehen. Du schreitest. Das ist Eleganz pur. Du hast ja keine Augen im Hinterkopf, aber die Jungs sabbern, wenn sie dir hinterher sehen. Wäre ich ein Kerl, würde ich einen Mordsständer kriegen, nur wenn ich dich gehen sehe."

    „Du spinnst. Wenn das so wäre, hätte ich ja an jedem Finger zehn Kerle. Ich schaue meine Finger an. „Sehe aber keinen.

    „Klar, aber du schaust auch jeden gleich finster an, wenn er dir nahe kommt. Außerdem hilft es nicht, wenn man dafür bekannt ist, gut in Kampfsportarten zu sein. Welcher Kerl will von seiner Herzdame schon zu einer Brezel geflochten werden können?"

    „Es hat mir im letzten Schuljahr am Ende aber geholfen.", erwidere ich bitter. Dani sieht mich an und nickt ernst. Wir erinnern uns beide an das Arschloch aus der letzten Abschlussklasse.

    Wir haben staatliche Schulen. Die Reichen lassen ihre Sprösslinge privat unterrichten. Nur das letzte Jahr, für die Prüfungen, müssen alle an den staatlichen Schulen verbringen. Die Privaten sind meist regelrechte Kotzbrocken. Es gibt sicher irgendwo auch ordentliche, nur kennen gelernt habe ich noch keinen. Die meisten entstammen aus Familien, die ihren Reichtum nicht unbedingt auf sozial verträgliche Weise erworben haben. Dementsprechend sind das nicht immer die angenehmsten Zeitgenossen. Einer hatte sich mit mir angefreundet. Das hat mich natürlich gefreut, hatte ich doch noch nie einen Freund. Zum Glück habe ich rechtzeitig gemerkt, dass er nur mit seinen Arschlochkumpels gewettet hatte, wie lange es dauert, zwischen meine Beine zu kommen. Als ich ihn zur Rede gestellt habe, hat er nur dreckig gelacht. Dann wollte er mich auf sein Bett zwingen. Er meinte nur, ich solle mich nicht so anstellen. Ich hätte es doch nötig. Okay, die Hämatome hatte er danach noch richtig lange. Und der Abschiedstritt dahin, wo die Glocken läuten, war nicht nett. Tat meinem Ego aber besonders gut. Der Rest des Schuljahres war dann so richtig scheiße. Die Privaten hatten mich natürlich voll auf dem Kieker. Und sie zogen alle meine Jahrgangskameraden mit rein. Außer Dani.

    Dani streichelt mein Gesicht. „Wir finden schon jemanden für dich. Vielleicht kann ich ja eine Partnersuchanzeige erstellen. Sie schaut mein Gesicht von allen Seiten an. „Das müsste gehen. Klassisches Gesicht. Hohe Wangenknochen. Hübscher Mund. Entzückende Ohren. Feurige, bernsteinfarbene Augen. Damit finden wir Herrn Perfekt.

    „Dann musst du aber tief in den Farbtopf greifen. Schau mal hin. Ich bin nicht braun, wie du. Ich bin blasser als eine Leiche."

    „Ach was, du bist nicht bleich. Wir schreiben einfach, hmm. Wunderbare Haut, seidenweich, minimal pigmentiert."

    Nun muss ich doch prusten. Dani schafft es immer wieder, meine Mängel putzig darzustellen.

    „Lass mal. Bringen wir das Prüfungsjahr hinter uns. Dann sind wir nicht mehr von pubertierenden Jungs umgeben, sondern können uns unter erwachseneren Studenten umschauen." Damit will Dani mir Mut machen.

    „Mal sehen. Vielleicht geschieht ja ein Wunder.", seufze ich.

    Noch ein Privater

    System: 1654-Z65-7559-MM08-2884

    Interner Systemname: Tauros

    Zeitrechnung: Jahr 23 nach der Ankunft (n.d.A.), 25. Woche

    Berichterstatterin: Eyra (nachgetragen)

    Ich liege auf meinem Bett und presse mein Gesicht in mein Kopfkissen. Meine Eltern sollen nicht mitbekommen, dass ich weine. Es gab kein Wunder in der Schule. In meinem Jahrgang ist der jüngere Bruder von dem Privaten, dem ich im letzten Jahr gezeigt habe, wo seine Glocken hängen. Natürlich fingen er und seine Speichellecker gleich an, mich fertig zu machen. Ständig werde ich beleidigt, gestoßen, gekniffen oder befummelt. Wenn ich im Unterricht etwas sage, tuscheln oder kichern sie. Meine Tasche muss ich dauernd im Auge behalten. Sonst fehlen mir plötzlich Sachen oder ich habe neue darin. Unangenehm riechende. Ein Hausaufgabenheft fiel bereits der Zerstörungswut meiner ach so lieben Mitschüler zum Opfer. Ermahnungen der wenigen fairen Lehrer wirken nicht lange. Bestimmt, weil die stinkreichen Eltern der Privaten die Schulleitung gut geschmiert haben, damit ihren verzogenen Sprösslingen keiner in die Parade fährt. Bin ich gerade etwas verbittert? Ja, definitiv.

    Ein Neuer aus der Kunstklasse, laut Dani heißt er Aftan, ein Staatlicher, ist besonders hinterhältig. Er ist recht groß, ausgesprochen kräftig, wahrscheinlich der Kräftigste des ganzen Jahrgangs, dabei tyrannisch, gemein und brutal. Jeden Tag lauert er mir auf und verpasst mir Schläge, in den Bauch, die Rippen oder die Nieren. Oder er tritt mir in die Kniekehlen. Immer schmerzhaft, aber nie so stark, dass ich zusammenbrechen würde oder Hämatome als Beweis bleiben. Und er wird stets gedeckt von den Privaten, mit denen er abhängt, so dass die Lehrer, würde es sie interessieren, nichts mitbekommen. Würde ich mich wehren, hätten sie Munition gegen mich in der Hand. Dann würden sie garantiert einen Schulverweis erwirken. In nur einer Woche hat er es geschafft, dass ich Angst habe, über die Flure zu gehen.

    In diesem Moment geht meine Zimmertür auf. Natürlich hat der unfehlbare sechste Sinn einer Mutter ihr verraten, dass ihre baumlange Tochter heult. Sie setzt sich auf die Kante meines Bettes und streichelt meinen Kopf.

    „So schlimm?"

    Logisch, sie weiß, was meine „tollen" Mitschüler tagein, tagaus mit mir machen. Neben Dani sind meine Eltern meine einzigen Vertrauten. Aber sie haben weder die Macht noch das Geld, mir ähnliche Freiräume wie den Privaten zu verschaffen. Aber ich weiß, dass sie vorbehaltlos hinter mir stehen. Müssen sie ja wohl auch, wenn die Kombination aus ihnen so etwas wie mich hervor gebracht hat. Stopp, jetzt werde ich unfair. Sie können ja nichts dafür. Sie haben mich schon immer unterstützt und mir geholfen, stark zu werden.

    Ich trockne mein Gesicht im Kissen und drehe mich zu ihr um. „Hmm, ja. Es ist schlimmer, als im letzten Jahr. Sie beginnen jetzt sogar schon, die jüngeren Schüler gegen mich aufzuhetzen. Ich kann nirgendwo mehr hingehen, ohne dass gegafft, getuschelt, gekichert wird. Oder ich werde angerempelt, geschlagen, angefasst oder beleidigt. Nur die Lehrer für Biologie, Sport und Mathematik gehen überhaupt dazwischen. Alle anderen sehen einfach weg." Erneut laufen mir Tränen die Wangen herunter.

    Meine Mutter nimmt mich in den Arm. An ihrer Schulter kann ich mich ausweinen. Sanft streicht sie über meinen Rücken, während ich unter meinen Weinkrämpfen erbebe.

    „Mein armer Schatz. Versuche, das Jahr durchzustehen. Konzentriere dich auf deinen Abschluss. Du bist so klug. Damit steckst du alle in die Tasche. Zeig ihnen, dass du dich nicht unterkriegen lässt."

    Ich schniefe. „Ja, Memi. Ich werde es versuchen."

    Später höre ich meine Eltern leise miteinander reden. Das Thema kenne ich genau. Und ich kann auch fast ihre Sorgen hören. Einmal habe ich mitbekommen, dass sie sich schämen, mir nicht besser helfen zu können. Aber wir sind nicht reich, haben keine Macht und kennen auch niemanden mit solchen Verbindungen. Noch schlimmer ist, dass meine Eltern beide in dem Konzern arbeiten, der dem Vater von dem Typen gehört, dem ich letztes Jahr … Sie wissen schon. Genauso, wie unsere Wohnung dem Konzern gehört. Wenn sie bei der Schuldirektion auf den Putz hauen, kann das Konsequenzen für ihre Arbeit haben. Verdammte Ungerechtigkeit. Ich hoffe nur, dass die Söhne nie herausfinden, dass meine Eltern für ihren Vater arbeiten. Nicht auszudenken…

    So verbringe ich den Neunten und den Zehnten, unser freies Wochenende, zu Hause oder in der Sporthalle. Beim Training versuche ich meinen Frust abzubauen. Mein Trainer merkt, dass ich kurz vor der Explosion stehe. Er verpasst mir ein Programm, nach dem ich so erschöpft bin, dass in meinem Kopf kein Platz für etwas anderes ist, als um den nächsten Atemzug zu ringen.

    Dummerweise endet jedes Wochenende und es folgt ein Erster, an dem ich wieder in die Tretmühle muss. Wenigstens haben wir in der ersten Doppelstunde Biologie. Meine Lehrerin, Frau Mondran, sorgt für etwas Ruhe mir gegenüber. Deshalb bin ich ihr auch dankbar, dass sie extra früh zur Stunde erscheint. Noch bevor ich komme. Dadurch kann ich mich ausnahmsweise in Ruhe auf meinen Platz setzen. Mein Platz! Noch so eine Absonderlichkeit in meinem Leben. Natürlich sitze ich ganz hinten im Raum. Denn hinter mir zu sitzen, ist nur für die gut, die im Unterricht in Ruhe schlafen wollen. Hinter mir wird niemand gesehen. Man sieht aber auch nichts. Einsneunzig. Klar, oder?

    Also habe ich einen der üblichen Doppeltische ganz hinten stehen. Ganz für mich alleine. Denn natürlich geht kein normaler Tisch. Darunter bekomme ich meine Beine nicht gefaltet. Man hat den Tisch und zwei Stühle durch Holzklötze erhöht. Auf dem zweiten hohen Stuhl will logischerweise niemand sitzen, weil bei allen anderen die Füße dann in der Luft baumeln. Das sieht nach Kind auf einem Erwachsenenstuhl aus. Wer will das schon?

    So hat der Freak auch hier wieder seine Extrawurst. Natürlich ist auch mein Stuhl Gegenstand von Spott und Hohn. „Hochsitz, Thrönchen" sind noch die schmeichelhaften Beschreibungen.

    In Erwartung des Schutzes durch Frau Mondran versuche ich möglichst unauffällig meinen Klassenraum zu erreichen. Das ist natürlich nicht ganz einfach. Warum ist klar, denke ich. Ich bin halbwegs erleichtert, weil ich auf den Fluren weder einen Privaten noch Aftan entdecke. Die Tür meines Raumes kann ich bereits sehen. In dem Moment explodiert der Schmerz in meinem rechten Bein. Erschrocken zucke ich zur Seite. Ich höre, wie etwas Metallisches auf dem Boden klimpert. Im nächsten Moment trifft mich etwas am Bauch. Und wieder flammt ein stechender Schmerz auf. Hektisch sehe ich mich um. An einer Ecke sehe ich den feixenden Aftan. Er hält eine Schleuder in seiner Hand. Mit einer vulgären Geste verschwindet er. Auf dem Boden sehe ich zwei Stahlkugeln rollen. Ich lege meine Hand auf die schmerzende Stelle auf meinem Bauch und humpele die letzten Meter zu meiner Klasse. Dabei frage ich mich, wann er so weit geht, auf meinen Kopf zu zielen. Wann fallen die letzten Hemmungen? Frau Mondran blickt mir lächelnd entgegen. Als sie sieht, dass ich humpele, verfinstert sich ihr Gesicht. In ihren Augen sehe ich machtlose Wut aufblitzen. Endlich an meinem Platz angekommen, reibe ich meinen Oberschenkel, wo Aftan mich getroffen hat. Das gibt bestimmt Blutergüsse. Scheiß Tag.

    Frau Mondran hat gerade angefangen, das heutige Thema zu besprechen: „Spontane Abweichungen von normalen Entwicklungen bei Tieren".

    Klar, dass das Thema sofort Getuschel und hämische Blicke in meine Richtung nach sich zieht. Frau Mondran schaut entschuldigend zu mir. Aber was soll sie machen? Das Thema steht eben im Lehrplan.

    Sie wird durch ein resolutes Klopfen an der Tür unterbrochen. Ohne auf eine Antwort zu warten, wird die Tür geöffnet. Unsere Direktorin betritt unser Klassenzimmer. Die Tür schließt sie hinter sich. Mit ihrer mausgrauen Fellfarbe und der strengen Brille verkörpert sie das Idealbild der Schuldirektorin. Viele Schüler kennen ihren beißenden Sarkasmus, wenn man vor sie zitiert wird. Wir stehen alle sofort auf. Sogar die Privaten zögern nicht. Sieh mal einer an. Gibt es für die tatsächlich so etwas wie Respektspersonen?

    „Guten Morgen. Bitte setzt euch."

    Als sich die Unruhe wieder gelegt hat, wendet sie sich an Frau Mondran.

    „Entschuldigen Sie bitte die Unterbrechung. Am letzten Achten hat sich noch ein Schüler angemeldet. So kurzfristig ist das ungewöhnlich, aber er hat alle Aufnahmetests mit Bravour bestanden. Deshalb habe ich seiner Aufnahme zugestimmt. Er wurde vorher privat unterrichtet."

    Innerlich verdrehe ich die Augen. Noch einer mehr, mit dem ich mich herum ärgern kann.

    Die Direktorin wendet sich nun an die Klasse. „Euer neuer Mitschüler ist etwas ungewöhnlich. Es irritiert mich, dass sie dabei in meine Richtung schaut. „Ich bin aber sicher, ihr werdet ihm einen problemlosen Start ermöglichen.

    Nach ihren Worten hat sich eine fühlbare Spannung aufgebaut, was denn wohl für ein Typ vor der Tür steht. Sie legt die Hand auf die Türklinke und mit den Worten: „Ich möchte euch Thanat vorstellen.", öffnet sie sie.

    Ein kollektives Japsen geht durch den Raum. Ich merke, wie meine Augen kugelrund werden und mein Kiefer nach unten klappt. Durch die Tür tritt ein Junge (Mann?), der den Kopf beim Eintreten einziehen muss. Ich passe gerade noch so durch den Türrahmen ohne anzustoßen. Der Kerl, Thanat?, passt nicht mehr. Er ist noch größer als ich. Als er sich im Raum aufrichtet, steht dort ein Gott.

    Das Gesicht ist heller als normal, aber nicht so blass wie meines. Seine Gesichtszüge kann man nur als klassisch beschreiben. Ausgeprägtes Kinn, ein sinnlicher Mund, eine gerade Nase, Lachfältchen in den Augenwinkeln. Und diese Wangenknochen - ein Gedicht. Sein träges Lächeln entblößt ein perfektes Gebiss. Er wirkt kein bisschen verunsichert, weil wir ihn alle anstarren. Seine Schultern sind enorm breit. Deutliche Muskelstränge zeichnen sich unter dem Fell seiner Arme ab. Die Hüfte ist schmal. Die Oberschenkel - muskulös. Nicht einmal mein wirklich wohl proportionierter Kampfsporttrainer kommt an diese Figur heran. Und erst sein Fell. Es ist in einem glänzenden Silbergrau. Die Spitzen leuchten, als wäre jede einzelne Haarspitze silbern gefärbt. Um die Arme und die Oberschenkel winden sich schwarze Streifen. Traumhaft. Ich glaube, ich bin nicht das einzige Mädchen, das anfängt zu sabbern. Fast unbemerkt verlässt unsere Direktorin das Klassenzimmer.

    Als die Stille fast peinlich wird, sagt Frau Mondran: „Willkommen in der Klasse, Thanat. Bitte setze dich hinten an den Tisch." Dabei deutet sie in meine Richtung. Er nickt ihr zu. Vollkommen beherrscht. Vollkommen selbstsicher.

    Alle Blicke folgen ihm, als er durch den Raum geht. Nach hinten. Zu meinem Tisch! Trotz seiner Größe bewegt er sich mit kraftvoller Geschmeidigkeit. Seine Bewegungen sind fließend, beherrscht. Sie zeugen von Kraft, ohne unharmonisch zu wirken, wie bei den Steroid-Jüngern, die ihre Muskeln nur aufblasen ohne wirkliche Kraft zu haben.

    Mit einem frechen Grinsen setzt er sich neben mich. Ich kann nicht anders als ihn weiter anzustarren. Seine Augen haben ein unglaubliches Blaugrau. Ganz klar. Amüsiert, unbeschwert, intelligent funkeln sie mich an.

    „Hallo Eyra." Seine tiefe, samtweiche Stimme hallt in meinem Kopf. Er kennt meinen Namen. Woher kennt er meinen Namen?

    Wie in Trance ergreife ich seine rechte Hand, die er mir zum Gruß hinhält. Mehr als ein „Hmmm" bringe ich nicht heraus. Ich könnte mich selbst treten. Als sich unsere Hände umfassen, bekomme ich einen leichten Stich im Kopf. Wie ein kurzer Blitz. Seine rechte Augenbraue geht in die Höhe. Sein Blick wird übergangslos neugierig. Für einen Moment. Dann grinst er wieder und lässt meine Hand los. Viel zu früh.

    Er dreht sich nach vorne. Damit bricht der Bann und ich beginne wieder klar zu denken. Mehr oder weniger.

    Den Unterricht bekomme ich nur am Rande mit. Mindestens eine halbe Stunde lang ist es, als wäre jeder Zentimeter meines überlangen Körpers komplett in Aufruhr. Ständig ertappe ich mich dabei, wie ich ihn aus den Augenwinkeln mustere. Oder auf seine Hände starre. Diese langen, aber zugleich ungemein stark wirkenden Finger. Meine Handfläche scheint von dem Händedruck immer noch zu kribbeln. Um mich zu konzentrieren, nehme ich meinen Stift in die Hand und zeichne irgendetwas in meinem Heft. Als ich meine Zeichnung genauer ansehe, sieht es aus wie eine in sich verdrehte Leiter. Die Sprossen wirken, als wären sie gebrochen und wieder zusammen geklebt. Dabei erscheint keine Klebenaht wie die nächste. Komisch. In meinem Hinterkopf macht sich ein vages Erkennen breit. Es dringt aber nicht durch.

    Mit dem Beginn der zweiten Stunde habe ich mich langsam daran gewöhnt, nicht mehr alleine an meinem Tisch zu sitzen. Auch nimmt mein überfordertes Gehirn seine Umgebung wieder wahr.

    Gerade fragt unsere Lehrerin, wer denn eine Idee hat, warum sich in manchen Tierpopulationen spontane Veränderungen ergeben. Hat natürlich keiner. „Thanat, kannst du uns dazu etwas sagen?"

    Mein Nachbar erhebt sich. „Darf ich nach vorne kommen? Ich möchte meine Idee an der Tafel verdeutlichen."

    „Bitte, gerne." Wieder starren alle hinter ihm her, als er sich durch den Gang bewegt. Wenigstens ein Privater würde versuchen, mir ein Bein zu stellen. Aber bei Thanat? Nein, das wagt keiner. Obwohl er freundlich wirkt, traut ihm jeder zu, dass er niemanden fürchten muss. Er verbreitet ganz einfach diese Aura.

    Er geht nach vorne und beginnt seine Idee von den Aminosäuren auszubreiten. Frau Mondran hört ihm interessiert zu. Die Mädchen stieren eher auf seine Muskeln und die Jungs klinken sich bald aus.

    Ich erstarre, als er plötzlich sagt: „Darf Eyra nach vorne kommen? Ich glaube, sie hat eine Idee, wie sich diese spontanen Änderungen ergeben."

    Frau Mondran nickt in meine Richtung. Thanat sagt noch: „Bring bitte dein Heft mit."

    Verdutzt blicke ich auf mein Heft, aus dem mich diese merkwürdige Leiter ansieht. Was will er damit?

    Ich schaffe es diesmal nach vorne, ohne gestört zu werden. Trauen sich die Kotzbrocken nicht, wenn Thanat in der Nähe ist und sie beobachtet? Denn dass er das macht, ist unübersehbar.

    Vorne angekommen, entwickelt er seine Theorie mit den Aminosäuren weiter. Er malt T-förmige Elemente an die Tafel. Die senkrechten Striche enden in unterschiedlichen Mustern. Langsam begreife ich. Fügt man die Teile zusammen, ergeben sie meine Leiter.

    So entwickeln wir während der nächsten halben Stunde ein Konstrukt sich selbsttätig zusammensetzender Leitern aus T-Elementen. Wir entwerfen die Theorie, dass sich in den T-Elementen Informationen befinden, die die Entwicklung eines Lebewesens steuern. Durch zufällige Paarungen entstehen Abweichungen von der Norm. Mit jeder Minute wird es mir immer klarer. Genauso muss es sein. Der Artikel von Meister Koriat fällt mir wieder ein. Jetzt verstehe ich, was seine Theorie von der Vererbungslehre bedeutet.

    Die Tafel ist mit T-Elementen, Leiterstücken und gedrehten Leitern übersät, als wir fertig sind. Thanat nennt die gedrehten Leitern Doppelhelix. Warum auch immer, aber als er den Begriff nannte, passte er komischerweise haargenau.

    Als wir in die Klasse sehen, merken wir, dass wir alle kilometerweit abgehängt haben. Frau Mondran dagegen schaut eher fasziniert. Gerade will sie etwas sagen, als es zur Pause klingelt. Thanat nimmt sich einen Stift der Lehrerin und ein Blatt Papier. Darauf schreibt er eine Telefonnummer.

    „Bitte, rufen Sie diese Nummer an und besprechen Sie den Entwurf mit dem Gesprächspartner am anderen Ende. Bestellen Sie ihm einen schönen Gruß von mir. Und vielleicht zeichnen oder fotografieren Sie das Tafelbild ab. Es könnte ihn interessieren."

    Völlig verdutzt lässt er Frau Mondran zurück. Und mich auch.

    Nach der nächsten Doppelstunde, Geschichte, habe ich mich mit Dani zur Mittagspause verabredet. Ich verlasse den Raum. Thanat spricht noch mit unserem Geschichtslehrer. Verstohlen werfe ich ihm einen Blick zu. Als hätte er das gespürt, sieht er auf und lächelt mich an. Bei dem Lächeln beginnt mein Magen zu flattern. Schnell raus hier.

    Mein Blick muss noch leicht glasig sein, denn Dani bemerkt ihn sofort.

    „Was ist denn mit dir los? Du siehst aus, als wäre dir ein Weltwunder begegnet."

    „Hmm, ganz falsch liegst du nicht."

    Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sich die Privaten zu mir umdrehen und feixend in meine Richtung schauen. Ich bin leicht irritiert, will aber Dani gerade von Thanat erzählen. In dem Moment spüre ich, wie mich zwei Hände an den Po fassen und fest zudrücken. Wütend wirble ich herum und schaue in das freche Gesicht eines jüngeren Schülers. Der grinst, dreht sich um, rennt den ersten Schritt los … und knallt gegen eine Wand.

    Die Wand ist zwei Meter hoch. Silbergrau. Steht auf zwei Beinen. Stemmt gerade die Hände in die Taille und sieht sehr, sehr böse auf den mittlerweile auf dem Boden sitzenden Bengel herunter. Um uns herum verstummen alle Gespräche. Frau Mondran hat das Betatschen mitbekommen und eilt mit wütendem Gesicht auf uns zu.

    Der Blick des Knilchs wandert fassungslos an den Beinen und dem Traumkörper entlang nach oben, bis er in die Augen von Thanat sieht. Er wird kreidebleich und seine Augen fallen ihm fast aus dem Kopf.

    „Bist du der Meinung, das wäre ein angemessenes Verhalten gegenüber einer jungen Frau, die dir nicht den geringsten Grund gegeben hat zu glauben, dass du sie anfassen darfst?" Seine tiefe Stimme ist absolut ruhig, aber eisig. Dennoch dringt sie bis in die letzte Ecke des Flurs. Obwohl er nicht ansatzweise die Stimme erhebt, hört jeder den stahlharten Willen darin, Widerspruch sofort zu unterbinden. Der Junge schluckt mehrfach, bevor er versucht zu antworten. Es kommt aber nur ein Krächzen heraus, deshalb schüttelt er seinen Kopf, so dass ich fast Angst habe, er fällt ihm gleich ab. Frau Mondran ist neben mir stehen geblieben. Dani hält meinen Arm fest umklammert.

    „Ich sehe, wir verstehen uns. Es wäre jetzt wohl höchste Zeit, dass du dich bei Eyra entschuldigst."

    Der Junge sieht Thanat entsetzt an. Dessen Blick ist aber unerbittlich. Mit hochrotem Gesicht steht der Junge auf und dreht sich zu mir um. Verlegen schaut er auf seine Fußspitzen.

    Unverständlich murmelnd kommt etwas aus seinem Mund, das bei viel Wohlwollen eine Entschuldigung sein kann. Aber damit kommt er nicht davon. Frau Mondran fasst ihn am Kragen. „Ich kann dich nicht verstehen und Eyra bestimmt auch nicht."

    „Entschuldigung", kommt es nun verständlicher aus seinem Mund.

    Frau Mondran dreht sich um und schleift den Jungen mit. „Darüber ist noch nicht das letzte Wort gesprochen."

    Als ich mich zu Thanat drehe, sehe ich, wie er die Gruppe der Privaten mit einem Blick ansieht, der leicht zu einer Fehlfunktion der Schließmuskeln führen könnte. Sprich, man neigt dazu, sich in die Hose zu machen. Denen vergeht auch gleich das Lachen. Schnell drehen sie sich weg und suchen das Weite.

    Der Blick verschwindet und macht einem Lächeln Platz, als er sich mir zuwendet.

    „Ich entschuldige mich im Namen aller männlichen Bewohner des Planeten für das ungebührliche Verhalten des Jungen. Ich hoffe, du weißt, dass nicht alle meine Geschlechtsgenossen so sind."

    Seine Augen sehen mich dabei offen und ehrlich an. Ich kann gar nicht anders, als laut los zu lachen.

    „Danke, in letzter Zeit scheint es aber nicht viele zu geben, die anders sind." Sein Lächeln verblasst für einen Moment. So, als versteht er, was ich andeuten will. Schnell kehrt es aber zurück.

    „Willst du mir deine Freundin nicht vorstellen, die fast deinen Arm zerquetscht?"

    Erst jetzt bemerke ich, dass Dani immer noch meinen Arm umklammert hält.

    „Äh, ja klar. Dani, das ist Thanat. Thanat, meine beste Freundin, Dani. Thanat ist neu hier an der Schule. Aber das hast du sicher schon erkannt."

    Dani schaut Thanat immer noch mit riesengroßen Augen an.

    „Ich wollte dir gerade von ihm erzählen, als wir unterbrochen wurden."

    Dani sagt immer noch nichts. Langsam fange ich an, mir um meine Freundin Sorgen zu machen.

    Thanat rettet die Situation. „Macht es euch etwas aus, mir die Kantine zu zeigen? Vielleicht könnt ihr mir auch ein wenig über die Schule erzählen."

    Thanat an meinem Mittagstisch? Mein Magen ballt sich zu einer Kugel zusammen. Nach einem Moment löse ich mich von der absurden Vorstellung, mit einem Gott ganz ordinär in der Kantine zu sitzen. Mit sichtlicher Verzögerung bringe ich ein „Ähh, ja, klar, komm mit." heraus. An meinem Wortschatz muss ich definitiv noch arbeiten, wenn Thanat in meiner Nähe ist. Dani löst sich aus ihrer Erstarrung und folgt uns wortlos.

    Als wir die Kantine betreten, verstummen schlagartig alle Gespräche. Ausnahmsweise mal nicht meinetwegen. Wir gehen zur Essensausgabe. Beobachtet von hunderten Augenpaaren.

    Thanat lächelt mich an. „Darf ich euch als Dankeschön für die Begleitung zum Essen einladen?"

    Dani und ich nicken synchron. Thanat bestellt drei Portionen des Tagesgerichts. Die Teller balanciert er auf einem Tablett und folgt uns zu einem Tisch in der Ecke. Inzwischen ist die Stille einem allgemeinen Gemurmel gewichen. Wetten, ich kenne das einzige Gesprächsthema an allen Tischen?

    Der Gott mit der Außenseiterin. Und er trägt ihr Essen. Und er setzt sich zu ihr an den Tisch. Und das überirdische Wesen spricht mit ihr. Lacht mit ihr.

    Wir lachen wirklich. Nachdem Dani sich gefasst hat, bringt sie uns mit witzigen Bemerkungen über Thanats und meine Größe tatsächlich zum Lachen.

    Schon lange habe ich mich in der Kantine nicht mehr so entspannt gefühlt. Nachdem wir uns von Dani verabschiedet haben (sie hat mir noch verschwörerisch zugezwinkert), begleitet mich Thanat zu unserem Klassenraum. Und wirklich niemand rempelt mich an, beleidigt oder begrabscht mich. Es ist, als spannt Thanat einen unsichtbaren Schutzschirm um uns herum auf. Unmerklich oder offensichtlich weicht uns jeder aus. Auch als wir die Klasse betreten und zu unserem Tisch gehen, werde ich in Ruhe gelassen. Ich glaube es fast nicht.

    Nach zwei weiteren Doppelstunden endet der Schultag. Thanat begleitet mich wieder. Er bringt mich bis zur Bushaltestelle. Das hat noch nie jemand für mich getan.

    Als ich unsere Wohnung betrete, ist meine Mutter schon da. Sie kommt um die Ecke, besorgt, wie es mir ergangen ist. Meine Weinattacke vom Wochenende steckt ihr noch in den Knochen.

    „Mein Schatz, wie war dein Tag?"

    Ich sehe zu ihr hinunter … und lächle. „Toll."

    Das bringt meine Mutter komplett von der Rolle. „Wie jetzt?"

    Ich ziehe sie in die Küche und wir setzen uns an den Tisch. Dann erzähle ich ihr von meinem Tag. Von Thanat.

    Wissenschaftsmeister Koriat

    System: 1654-Z65-7559-MM08-2884

    Interner Systemname: Tauros

    Zeitrechnung: Jahr 23 nach der Ankunft (n.d.A.), 26. Woche

    Berichterstatterin: Eyra (nachgetragen)

    Am letzten Wochenende habe ich heulend auf dem Bett gelegen. An diesem Wochenende bin ich glücklich und erschöpft. Heute war wieder Training. Ich hatte Thanat erzählt, dass ich Kampfsport betreibe. Er hat mich gefragt, ob er zum Training mitkommen könne. „Warum nicht?", habe ich gesagt.

    So kam es, dass Thanat heute vor meinem verblüfften Trainer stand. Der hat sich aber schnell gefasst.

    „Hast du schon Erfahrung im Kampfsport?"

    „Hmm, hin und wieder habe ich mich damit befasst. Und ich habe ein Buch darüber gelesen." Auffällig gleichmütig sah er meinen Trainer an.

    Mein Trainer lachte. „Ein Buch, soso. Dann zeig mal, was du kannst. Ich greife dich an."

    Zwei Sekunden später lag mein Trainer auf der Matte. Ich konnte nicht erkennen, wie Thanat das gemacht hat. Auch alle anderen Angriffe hat er mühelos abgewehrt. Dann sollte er angreifen. Mein wirklich, wirklich guter Trainer hatte nicht den Hauch einer Chance. Der längste Widerstand dauerte zwanzig Sekunden. Ich hatte ganz leicht das Gefühl, dass Thanat sich extra zurück genommen hatte.

    Nach der - Demonstration ist wohl das richtige Wort - hat mein Trainer gelacht. „Kannst du mir das Buch mal leihen?" Anschließend hat er Thanat und mich zusammen trainieren lassen. Er meinte nur, dass ich dann endlich mal einen Gegner hätte, den ich nicht nur durch meine überlegene Reichweite besiegen kann.

    Anfangs war ich etwas scheu, ihn anzufassen oder zu schlagen. Thanat hat nur gelacht, mich ein paar Mal schwungvoll auf die Matte geschleudert und gemeint: „So, jetzt zeig

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