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Ein Leben: Eine Wahre Erzählung
Ein Leben: Eine Wahre Erzählung
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eBook905 Seiten12 Stunden

Ein Leben: Eine Wahre Erzählung

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Über dieses E-Book

Was passiert wenn ein Mensch sich plötzlich entschließt mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Berlin nach Indien zu reisen. Er erlebt viele Menschen und viele Abenteuer. In einem packenden Erzählstil und feiner Beobachtungsgabe erlebt der Leser die Türkei, ein Iran vor der islamischen Revolution und ein Afghanistan bevor es dort Terroristen, amerikanische Soldaten und Krieg gab. Er landet in Indien und bei einer roten Sekte. 6 Monate war diese Reise geplant aber dann geht sie weiter für die nächsten 40 Jahre und führt den Leser zu einer Flucht aus Ostberlin, London und zu einem magischen Landbesitz in Devon, Südengland.
Dieser Reisezug scheint jetzt nicht mehr zu stoppen zu sein und es gibt keinen Endbahnhof. Ein Bahnhof kommt und man hat eine kurze Zeit sich die Füße zu vertreten. Der Endbahnhof wird dann irgendwann der Tod sein.
Die Bahnhöfe dieses Lebens: Eine Putzfrau und Handwerker in New York, Schmuck Verkäufer am Strand von Los Angeles, in der Kommune zu leben die wir alle aus der Netflix Serie "Wild Wild Country" kennen, Häuser in Boston zu renovieren und Lacota und Bären Indianer kennenzulernen. Eine Discotheque am Kudamm, Verhaftung in Salzburg, Haft in Wien, Ecstasy Verhandlung in München. Nepal und ein tibetischer Lama, Indien und für eine lange Zeit eine Insel der Magie. Bali die Insel der Götter.
Begann diese Reise wirklich erst 1978 oder schon mit dem Aufwachsen im Nachkriegs Deutschland in einer Bergarbeiter Familie deren Vater wahrscheinlich der Waffen SS angehörte. 1942 in Russland in Gefangenschaft geraten und 1949 aus Sibirien entlassen?
Es ist eine Reise durch ein Leben. Aber wenn jeder Leser sich etwas Zeit nimmt um sich an sein eigenes Leben zu erinnern dann ist es eine Reise die wir alle antreten und am Ende ist der Tod.
Die Erlebnisse sind andere aber das Leben ist Magie.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum6. Juni 2019
ISBN9783748596424
Ein Leben: Eine Wahre Erzählung

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    Buchvorschau

    Ein Leben - Karl Ludwig Malczok

    Kapitel 1

    Ein Leben

    Eine Wahre Erzählung

    Chitbodhi / K.L. Malczok

    Einen großen Dank an:

    Thomas und Anja

    Ohne eure Ermutigung, Korrektur und Hilfe bei der Recherche

    wäre dieses Buch nie in Deutsch geschrieben worden.

    Copyright © Karl Ludwig Malczok 2016

    All rights reserved

    "Easy is right.

    Begin right and you are easy.

    Continue easy and you are right.

    The right way to go easy

    is

    to forget the right way

    and forget that the going is easy."

    ChuangTzu

    „Einfach ist richtig.

    Beginne richtig und es wird einfach für dich sein.

    Fahre mühelos fort und du bist richtig.

    Der rechte Weg, um einfach zu gehen,

    ist

    den rechten Weg zu vergessen

    und zu vergessen, dass du mühelos und einfach gehst.

    Chuang Tzu / frei übersetzt: Chitbodhi

    Inhaltsverzeichnis

    Kapitel 1 - Warum?

    Kapitel 2 - Lasst uns anfangen – Alter 0 bis 19

    Kapitel 3 - Mein Vater – 1970

    Kapitel 4 - 1968 bis 1974 – Arbeit

    Kapitel 5 - Oberhausen Kolleg – zu gut um wahr zu sein

    Kapitel 6 - Eine plötzliche Flucht – Berlin

    Kapitel 7 - 1977 – Holzkamp – Ein Streik

    Kapitel 8 - 16. Dezember 1977 – Eine Kirchenbesetzung

    Kapitel 9 - Irmgard – ein Ende – 12. Januar 1978

    Kapitel 10 - Die Reise beginnt – Berlin, Türkei, Iran

    Kapitel 11 - Nacht der Lebenden Toten – Mashhad/Iran

    Kapitel 12 - Afghanistan - Das Paradies / Pakistan

    Kapitel 13 - Indien – Poona – 29.3.1978

    Kapitel 14 - Einer von denen werden

    Kapitel 15 - Ahmedabad – ein Wunder des Lebens

    Kapitel 16 - Berlin

    Kapitel 17 - Eine Krankheit – Ute – Mut

    Kapitel 18 - London - Brixton

    Kapitel 19 - Poona, 1979 – Julia – Bombay - Nepal

    Kapitel 20 - Griechenland, Rhodos – Mein Freund ist zurück

    Kapitel 21 - Delhi, ein Telegramm – Deutschland – Indien

    Kapitel 22 - Saswad, Poona – Ein Traum bricht zusammen

    Kapitel 23 - London – Magie von Devon – Jaya – Ley Lines

    Kapitel 24 - Julia – Rajneeshpuram – Oregon

    Kapitel 25 - Berlin – New York / You or me?

    Kapitel 26 - Gewalt

    Kapitel 27 - Rajneeshpuram, Oregon – das letzte Mal

    Kapitel 28 - Los Angeles, Venice Beach, Monsterwelle

    Kapitel 29 - New York, 2. Runde - Agnes - Ecstasy - Amita

    Kapitel 30 - Manhattan, Boston, Verrückte Katzen, Jannika

    Kapitel 31 - Poona, 1987 – auf der Achterbahn

    Kapitel 32 - Deutschland, Manisha, Felix, fünf Joghurt Mann

    Kapitel 33 - München, Komplikationen, Wien und Franz

    Kapitel 34 - Boston, 1988 / 1989 – Ein Auto mit Herz

    Kapitel 35 - Lacota Indianer, Ojate, Bären Stamm, Sun Bear

    Kapitel 36 - Zeitsprung – USA – Krieg dem Terror - 2003

    Kapitel 37 - Wer war Rajneesh? Was war er für mich?

    Kapitel 38 - Poona – Rajneesh lebt so gerade noch

    Kapitel 39 - Bali, Die Insel der Götter, - Magie

    Kapitel 40 - Rusty, Lily und Fifi – 2003 - 2005

    Kapitel 41 - Mittwoch, 7. September 2005

    Kapitel 42 - Hareesh, 2010/11 – Wiedersehen nach langer Zeit

    Kapitel 43 - Das Ende

    Warum?

    Seit meinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr weiß ich das ich irgendwann dieses Buch schreiben würde. Ich bin jetzt 65 und ich lebe auf Bali, Indonesien, eines der letzten relativ heilen Paradiese die wir auf diesem Planeten haben.

    Geboren bin ich im Ruhrgebiet, in Herten, 1950, in einem Land das sich sehr schwer tat mit seiner Vergangenheit umzugehen. Angefangen zu schreiben habe ich mit 15, 1965. Fünfzehn Jahre aufwachsen in Deutschland, der Name Adolf Hitler, SS, und das Hakenkreuz, waren Begriffe die wir alle als Kinder zu der Zeit kannten. Einziger realer Bezug zu diesen Begriffen, die Ruinen und Bunker, Überbleibsel eines vergessenen Krieges, ganz weit zurück in der Vergangenheit.

    Herten war wohl relativ verschont geblieben von diesem längst vergessenen Krieg. Drei Bunker, das einzige mysteriöse Verbindungsglied zu dieser Vergangenheit.

    Als Kinder spielten wir immer in der Nähe eines kleinen Bunkers in Langenbochum, einem Stadtteil von Herten. Versteckt hinter hohen Bäumen auf einem verwilderten Land, genau die richtige Mischung von Geheimnis und Abenteuer, so perfekt für Kinder.

    Mit acht Jahren, auf einer Straßenbahnfahrt mit meiner Mutter zu einem Arzt in Essen, die Nase an die Scheibe gepresst, wunderte ich mich immer über all die kaputten Häuser die an meinem Fenster vorbeiglitten. Fragen an meine Mutter bekamen immer nur eine kurze knappe Antwort:

    „Vom Krieg zerstört."

    Erwachsene mochten es nicht über den Krieg zu reden. Gestellte Fragen, haben nie eine Antwort gefunden. Mit 15 wachte ich auf in einer Welt, dominiert vom Mysterium Adolf Hitler, der Realität von Konzentrationslagern und dem Hakenkreuz. Wo passte mein Vater da rein? Ein ruhiger, schwerarbeitender Bergmann, höflich, eine liebenswerte Persönlichkeit, der nie über die Vergangenheit sprach.

    Ich wusste, dass er bis 1949 in Sibirien in Gefangenschaft gewesen war, fast einer der letzten die noch entlassen wurden. In 19 Jahren nicht ein Wort über die Härte, den Hunger, die Kälte des Lebens oder über Mitgefangene die an Hunger verstarben.

    Wir wissen natürlich heute, dass es die Hölle gewesen sein muss. 3 Millionen Deutsche Soldaten wurden gefangen genommen und in diese Lager nach Sibirien gebracht, 380.000 sind dort gestorben, nie zurückgekehrt. Mein Vater hatte diesen Teil seines Lebens mit einem Radiergummi ausgelöscht, oder tief in seiner Persönlichkeit vergraben. Der Krieg war ein Tabu. Die Zeit unter Hitler vor dem Krieg ein mysteriöses Geheimnis. Wo an der Ostfront er in Gefangenschaft geraten war eine geheime Verschlusssache.

    Nur ein einziges Mal habe ich ein paar kleine Tränen an ihm gesehen, die Verbindung zu dieser Vergangenheit. Im Deutschen Fernsehen lief „So weit die Füße tragen", die Geschichte eines deutschen Soldaten der aus dem Lager in Sibirien ausbricht. Anlass für mich tausend Fragen zu stellen, nie eine Antwort findend außer Schweigen von rechts neben mir. Plötzlich im Augenwinkel sah ich sie, die paar kleinen Tränen die schnell weggewischt wurden, damit sie ja keiner sieht.

    Aber ich habe sie gesehen.

    Überwältigt von all diesen Fragen in mir habe ich angefangen Kurzgeschichten zu schreiben. Über den Krieg, über Menschen, über verstehen wollen, über Bitterkeit und Schmerz der Seele.

    In vier Jahren wahrscheinlich 140 Kurzgeschichten, einen Roman und zwei Theaterstücke. Schreiben getrieben von einem Durst nach Verstehen, wie ein Irrer, jede Nacht, oft bis in den frühen Morgen.

    Mit 16 am Aufbaugymnasium in Recklinghausen, wurde uns von unserem Deutschlehrer, namens Stengel, die Aufgabe gestellt, einen Aufsatz zu schreiben. Was immer uns in den Kopf kommt, über den Krieg. Nichts leichter als das für mich, da ich die Nacht vorher gerade eine Geschichte fertig geschrieben hatte.

    Eine Geschichte über einen deutschen Soldaten, einige Jahre vorher aus Sibirien entlassen, der sein Bein dort in der Kälte verloren hatte, und hungrig an einer Straßenecke 1953 nach einer Zigarette bettelte. Zwei Minuten eines Lebens auf 18 Seiten. Einige Tage später wurden die Arbeiten zurückgegeben, meine zuletzt und ich musste sie erst vorlesen, danach wurde sie von der Klasse besprochen.

    Nach der Klasse hielt mein Lehrer mich zurück, fragte mich ob ich noch mehr geschrieben habe und ob er alles lesen kann. Eine Woche später gab er mir alles zurück mit dem Rat, dass ich es an einem Verleger schicken sollte. Er hatte sich 12 Geschichten für seinen Deutschunterricht ausgesucht, eine für jeden Monat.

    Mit 19 habe ich meine erste Freundin gefunden. Das Schreiben hat einfach aufgehört. Leben hat für mich angefangen. Mit 25, während meines Psychologie-Studiums habe ich meine Mutter in Herten übers Wochenende besucht. Ich habe die große Kiste mit all meinen Geschichten aus unserem Keller geholt, draußen im Sonnenschein alle nochmals gelesen. Sie waren alle perfekt, ein Spiegel meiner selbst, meiner Seele. Aber sie waren meine Vergangenheit. Geschichten über Leiden und Hoffnungslosigkeit, über eine Seele so verzweifelt Antworten zu finden. Wie Kafka, eine Seele die versucht das tiefe schwarze Loch in einem zu füllen, so schwarz und so verzweifelt und sooo tief.

    Aber das war ich nicht mehr. Ich hatte mich aufgemacht ins Leben, auf der Suche nach mir selbst. An diesem Nachmittag habe ich alle Geschichten, Theaterstücke und den einen Roman im Garten verbrannt, und das hat sich so gut angefühlt.

    Den Flammen zuschauend, wusste ich, dass ich irgendwann wieder anfangen werde zu schreiben. Dann werde ich schreiben über Hoffnung und nicht über Hoffnungslosigkeit, über Glück, schreiben, nachdem ich gefunden habe, was immer es ist, dass mich zu einem kompletteren Menschen gemacht hat.

    Dieser Gedanke hat immer in mir gewartet, mich nie verlassen, war immer da bis heute.

    Das bin ich, 66 Jahre alt. Dies ist mein Leben. Nur ein Leben von 7 Milliarden die auf diesem Planeten existieren. Und ich bin mir sicher jeder von den 6.999.999.999 anderen Menschen könnte Geschichten erzählen, ehrlich und wahr, wie meine.

    Mein Leben. Nach bestem Wissen und Gewissen erzähle ich mein Leben wie es passiert ist. Alle Gespräche gebe ich aus der Erinnerung wieder, wie ich meine, dass sie sinngemäß stattgefunden haben. Etliche Namen wurden von mir aus Rücksicht auf noch lebende Personen verändert.

    Dieses Buch hat natürlich an einigen Stellen literarische und stilistische Schwächen. Ich lebe seit 1980 nicht mehr in Deutschland und die drei Sprachen die ich spreche sind eigentliche alle stilistisch versaut. Mit keiner werde ich jemals einen Nobelpreis für Literatur gewinnen. Aber so wie es geschrieben ist, das bin eigentlich ich. Und mehr will ich auch nicht sein.

    Also:Enjoy.

    Kapitel 2

    Lasst uns anfangen – Alter 0 bis 19

    Heute zurückblickend, denke ich, dass ich manches verstehe von dem Prozess des Aufwachsens. Da drin zu sein, es zu erleben ist natürlich etwas ganz anderes. Die ersten drei Jahre waren ein Paradies für mich, Liebe, Harmonie mit meinem Vater und meiner Mutter.

    Ich kann mich nicht an irgendetwas Konkretes erinnern, nur an das generelle Gefühl der ersten Jahre. Von einem Tag zum anderen wachte ich in einer Hölle auf. Heute weiß ich natürlich warum. Die ersten drei Jahre habe ich mit meinen Eltern in einer kleinen Wohnung in Herten gelebt.

    Dann haben sie zusammen mit meinen Großeltern beschlossen, ihr Geld zusammenzuschmeißen, ein Haus zu bauen und zusammenzuleben.

    Die Mitspieler in meinem „Aufwuchs Drama":

    Mein Vater Karl:

    Ein netter, höflicher und ruhiger Typ, der als Meisterhauer in der Zeche Langenbochum arbeitete, und das ganz bestimmt sehr hart. 12 Stunden Schichten, ich hab ihn fast nie gesehen. Wenn er von seiner Schicht kam, wurde der große Teller fertig angerichtet, von meiner Großmutter präsentiert, mit mindestens 10 Kartoffeln, Soße, Fleisch und Gemüse. Ohne zu sprechen aß er alles auf und verschwand zum Schlafen.

    Der Sonntag war mein einziger Tag mit ihm. Er hat dann am Haus gearbeitet. Er konnte alles, ein Talent mit Fliesen, Anstreichen, Tapezieren, elektrische Arbeiten, einfach alles was unser Haus schöner machte.

    Meine Mutter Sophie:

    Noch in Polen geboren, mit ihren Eltern so um die 1922 nach Deutschland ausgewandert. Mein Vater und meine Mutter waren ganz sicherlich ineinander verliebt, beide konnten Polnisch sprechen, so wie auch meine Großmutter und ihr Mann. Meine Mutter hat immer in der Mitte gestanden, immer bemüht mich zu beschützen, ihren Mann, den Großvater und später auch meine Schwester.

    Sie hatte nie den Mut meiner Großmutter zu sagen sie solle sich verpissen, sie daran zu hindern mich regelmäßig zu schlagen, ihr das Maul zu stopfen, damit endlich mal die tägliche Tirade von Beschimpfungen und Erniedrigungen aufhörte.

    Meine Großmutter, Paula:

    Geboren in der Hölle! Sie war klein, sehr intelligent und ihre Worte waren wie ein Peitschenhieb, und sie benutzte diese Peitsche von der ersten Sekunde morgens bis zum Schlafengehen. Sie war immer der Boss. Nörgelte an jedem, meiner Mutter, meiner Schwester und meinem Großvater.

    Sich mit meinem Vater anzulegen, hat sie sich nie getraut. Hier eine ganz kleine Liste aus ihrem täglichen Repertoire: Du blöder Affe, Tunichtgut, dumm wie Stroh, wirst nie etwas lernen, Idiot, faul und, und, und.

    Heute erinnere ich mich nicht mehr an die einzelnen Ausdrücke ihrer vielfältigen Sprache. Nur das es nie aufhörte.

    Mein Großvater, Ludwig:

    Das war ein sehr interessanter Typ. Den hab ich echt gemocht. Er hatte sich sein eigenes Schloss gebaut, in seinem Zimmer oben. Er war ruhig, hat selten gesprochen, hat immer im Garten gearbeitet oder war in seinem Zimmer. Die Hertener Allgemeine Zeitung hat er Wort für Wort gelesen, auch alle Anzeigen. Außerhalb seines Schlosses wurde auch er jeden Tag beschimpft, aber er reagierte nie darauf und ging wortlos an seiner Frau vorbei, in den Garten, seinem zweiten Zuhause.

    Nur manchmal, zweimal im Jahr platzte ihm der Kragen, fünf Minuten, und meine Großmutter wurde klein, aber dann ging‘s direkt weiter.

    Er war für mich so etwas wie ein Wunder der Natur. Er hatte vorher auch in der Zeche gearbeitet, ist irgendwann mit anderen für viele Tage im eingestürzten Stollen eingeschlossen worden.

    Er ist mit 48 pensioniert worden: mit 100 % Tuberkulose, 100 % Steinstaub in der Lunge und 100 % von allem anderen was man als Bergarbeiter bekommen kann. Von so einem Mann wurde bestimmt nicht erwartet, dass er über 55 Jahre lebt. Aber er war eine harte Nuss, fuhr sein Fahrrad jeden Tag, arbeitete jeden Tag im Garten, bis 82. Er war sehr intelligent, wenn man ihn tatsächlich in ein Gespräch verwickeln konnte. Er hat alles verstanden und wusste alles. Durch seine sehr hohe Rente war er der Boss - daran gab es keinen Zweifel.

    Meine Schwester, Barbara: (Name geändert)

    Geboren als ich sechs Jahre alt war. Sie ist aufgewachsen als süße Person, sehr intelligent. Sie konnte den ganzen Tag mit sich alleine sein, endlos lächeln und lachen, mit ihren Puppen spielen oder Bilder malen. Diese dumme ständige Tirade meiner Großmutter hat sie nicht gehört oder sie tief in sich versteckt. Sie hat sich nie gegenüber meiner Großmutter verteidigt. Ich liebe sie.

    Jeder von diesen Mitspielern sehr verschieden, zusammen eine Mischung aus der Hölle. Heute kann ich mich eigentlich nur noch an Ereignisse nach meinem fünften Lebensjahr erinnern.

    Meine Großmutter Paula war der Meinung, dass ich so um die 150 bis 250 Mal am Tag irgendetwas falsch machte, ob ich im Raum war oder ganz woanders. Eine tägliche Hetze gegen mich. Jeden zweiten oder dritten Tag schlug sie mich. Angefangen hat das wahrscheinlich im Alter von vier. Sehr dunkel kann ich mich erinnern, als Strafe oft für viele Stunden im dunklen Keller eingeschlossen gewesen zu sein und danach gab‘s Prügel.

    Sie hatte dieses super Folterwerkzeug, wir kennen es alle aus den Filmen übers Mittelalter. Einen 30 Zentimeter langen Stock am Ende mit ca. 50 Lederriemen. Sie nannte es immer: Die Klopp–Peitsche. Im Mittelalter haben sich Mönche den Rücken blutig geschlagen, um von Gott Vergebung für ihre Sünden zu erlangen.

    Sobald sie nur losging diese Klopp-Peitsche zu holen, habe ich vor Angst gezittert. Sie zog mir die Hose runter und mein nackter Arsch wurde damit behandelt. Ich habe die Schläge gezählt, und die Zähne zusammengebissen. Die Tränen liefen, aber ich war hart wie Stahl, habe sie sogar herausgefordert noch härter zu schlagen.

    „Das ist alles?"

    „Gib mir noch mehr."

    „Noch härter."

    „Ich fühl noch nichts."

    Natürlich hat es schweinisch wehgetan und die Tränen liefen, aber ich war hart bis sie schließlich aufhörte. Meine Mutter stand immer daneben, oft weinend, versuchte auf Paula einzureden, dass sie doch aufhören soll. Sie wurde einfach immer ignoriert und Paula hörte auf bevor das erste Blut floss. Wenn es sich dann ergab das ich am Nachmittag alleine im Haus war, sie waren wohl im nächsten Laden um einzukaufen, dann wurde es zu einer Manie in mir diese Klopp-Peitsche zu finden, manchmal stundenlang zu suchen, und wenn sie zurückkamen, so zu tun als wenn nichts wäre.

    Manchmal fand ich sie, Paula hat sich immer wieder neue Verstecke ausgedacht. Dann schnitt ich einen Riemen ab, rannte so weit wie möglich weg vom Haus und schmiss den Lederriemen in irgendeine Hecke. Jeder Lederriemen zählte. Ein Riemen weniger bedeutete etwas weniger Schmerz, und war es wert jede Minute des Alleinseins zu nutzen um diese verdammte Peitsche zu finden.

    Über die Jahre, wurden es weniger und weniger Lederriemen. Die Verstecke wechselten ständig. Am Ende waren dann nur noch 3 oder 4 übrig geblieben.

    Die fehlenden Lederriemen hat meine Großmutter nie erwähnt.

    Dann passierte etwas, womit niemand gerechnet hatte. Ich war 6 oder 7 Jahre alt, mitten in der nächsten Prügelstunde für mich. Im Hausflur, nackter Arsch, nach vorne gebeugt damit sie besser schlagen konnte, in Tränen. Meine Mutter neben mir, auch am Heulen. Und meine Großmutter schlug.

    Niemand hörte, dass der Haustürschlüssel sich drehte, die Haustür wurde aufgestoßen und da stand er, mein Vater. Er hatte im Kohlenschacht wohl einen Unfall gehabt, sein rechter Arm war in Gips gelegt, hinter ihm der Arzt, der sich augenblicklich verabschiedete.

    Die Welt stand still in dem Moment. Mein Vater, ein großer Typ, stand still wie eingefroren. Der nächste Schlag kam nicht mehr. Alles um mich herum war irgendwie eingefroren, für immer bewegungslos.

    Dann vier schnelle Schritte von ihm und er riss die Klopp-Peitsche an sich, rannte raus aus dem Haus mitten auf die Hauptstraße und schmiss sie soweit er nur konnte.

    Meine heulende Mutter zog mich zur Seite. Ich versuchte hastig meine Hose hochzuziehen und starrte meinen Vater an. Er kam näher, Schritt für Schritt, wie ein Tiger. Es war still im Hausflur. Seine Augen waren für eine Ewigkeit auf Paula fixiert, ich sah ein paar Autos auf der Hauptstraße hinter ihm ins Bild kommen und wieder verschwinden. Er blieb stehen ganz nahe vor ihr, ein Riese von Mensch.

    Die nächsten Worte werde ich nie in meinem Leben vergessen.

    „Wenn du meinen Sohn noch einmal schlägst, dann werde ich ein großes Messer nehmen und dich abschlachten. Und ich werde es genießen."

    Dann wurde es wieder still und er stand eine lange Zeit vor ihr, drehte sich plötzlich zur Seite und ging ins Wohnzimmer zum Esstisch. Meine Großmutter verschwand sofort. Meine Mutter stellte den großen gefüllten Teller vor ihm ab. Es wurde nicht mehr gesprochen. An diesem Tag wurde überhaupt nicht mehr gesprochen. Eine gespenstische Stille breitete sich aus.

    Von diesem Tag an wurde nie mehr über diesen Vorfall gesprochen. Meine Großmutter hat mich nie mehr berührt oder geschlagen. Die verbalen Beschimpfungen hörten allerdings nicht auf. Es wurde eigentlich noch schlimmer, aber nie wenn mein Vater in der Nähe war. Am Sonntag, seinem freien Tag, senkte sich eine wunderschöne Harmonie über dieses Haus. Es war ruhig und friedlich.

    Mein Vater war ein liebevoller Mann. All die anderen Tage der Woche blieb es immer noch die gleiche Hölle.

    Es gibt noch andere Geschichten aus dieser Zeit, an die ich mich erinnere als ob sie Gestern passiert sind.

    Mein Großvater, Ludwig:

    Ich denke ich war so elf Jahre alt oder auch zwölf und es war ein Sonntag. Ein Sonntag hatte eigentlich immer denselben Ablauf. Ich durfte mich nicht dreckig machen und durfte kein Fußball spielen.

    Am Sonntagmorgen musste ich mit meiner Mutter und meiner Großmutter zum Gottesdienst in die Barbara Kirche gehen. Ich musste einen Anzug tragen, den ich hasste. Mutter und Großmutter trugen ihre besten Kleider und rochen stark nach Parfüm. Dann ging‘s ab zur Kirche zum 8 Uhr Gottesdienst, danach zurück nach Hause, immer pünktlich um 10 Uhr da ankommend.

    Meine Großmutter kam um 7 Uhr 45 runter aus dem ersten Stock, ging zum Wohnzimmerschrank, öffnete die Tür und nahm eine kleine Schachtel heraus. Die gute Uhr wurde jetzt angelegt. Die andere Uhr wurde in die Schachtel gelegt. Diese Uhr wurde von ihr nur für die Kirche getragen, eine wunderschöne Longines Gold Armbanduhr. Meine Großmutter hatte sie 1919 zur Hochzeit von ihrer Mutter bekommen.

    Ein letzter Blick auf die schöne goldene Uhr und wir gingen los zur Kirche.

    Ich hasste diese Sonntage und zur Kirche zu gehen, aber ich hatte keine Wahl. Mein Vater ging nie zur Kirche und blieb im Haus mit meinem Großvater.

    10 Uhr zurück im Haus, immer dieselbe Zeremonie. Gute Uhr zurück in die Schachtel, alte Uhr ans Handgelenk, jeder wechselte die Kleidung und meine Großmutter begann zu kochen. Meine Mutter durfte nur helfen. Gekocht wurde von Paula.

    Um fünf Minuten vor eins musste sich jeder an den Mittagstisch setzten. Um ein Uhr wurde gegessen.

    Für alle: Kartoffeln, Fleisch, Gemüse, manchmal Salat und Nachtisch. Für meinen Großvater wurde immer extra gekocht, irgendein Polnisches Durcheinander, mit viel Fleisch und Fett auf dem Durcheinander schwimmend.

    Jeden Sonntag dasselbe Ritual. Nur diesen Sonntag war alles anders.

    Wir alle saßen um fünf vor eins bereit am Tisch. Mein Großvater war wie immer verspätet und wir mussten warten. Paula schrie hoch zum ersten Stock:

    „Ludwig, das Essen ist fertig. Jetzt komm schon!"

    Mein Großvater kommt herein und setzt sich an den Tisch. Jetzt sind wir bei Tisch komplett und das Essen wird von Paula und meiner Mutter serviert. Paula stellt den tiefen Teller mit dem undefinierbaren Polnischen Durcheinander auf den Tisch für Ludwig.

    Jeder beginnt und es wird gesprochen. Nach einer Weile fällt jedem auf das Ludwig nicht isst.

    Er starrt auf seinen Teller. Paula ungeduldig:

    „Iss, das ist genau das was du wolltest."

    Stille. Er starrt weiter auf seinen Teller. Stille und wir alle hörten auf zu essen. Er hatte alle unsere Aufmerksamkeit. Langsam steht er auf von seinem Stuhl, nimmt den Teller mit beiden Händen hoch, dreht ihn um und legt ihn umgedreht zurück auf den Tisch. Die dicke Suppe mit dem fettigen Fleisch läuft über den ganzen Tisch und tropft schon auf den Teppich.

    Meine Schwester kicherte. Mein Vater lächelt, aber versucht es zu verstecken. Ich lachte los, wurde aber gestoppt von den Augen meiner Mutter. Meine Großmutter stand eingefroren am Tisch.

    Mein Großvater sieht runter auf den umgedrehten Teller und sagt:

    „Du dumme Kuh, ich hab dir genau gesagt was ich will."

    Ich erinnere mich heute nicht mehr genau was da alles falsch war mit seinem Essen. Meine Mutter und Paula rannten jetzt nur noch mit Lappen herum, um die Suppe auf dem Tisch zu halten. Ludwig geht erhobenen Hauptes aus dem Zimmer. Keiner konnte sich mehr zurückhalten. Meine Schwester lachte los und ich lachte los und mein Vater grinste wie ein Honigkuchenpferd.

    Mit ihren Lappen herumrennend schimpfte meine Großmutter los:

    „Das ist ein dummer Mensch und ihr alle hört sofort auf zu lachen. Er ist so dumm und blöd."

    „Was war denn jetzt falsch mit dem Essen", fragte mein Vater immer noch grinsend.

    „Nichts! Nichts, der wollte Schwein, und Schwein hab ich nicht. Da hat er halt Rind gekriegt. Was ist der Unterschied? Fleisch ist Fleisch und das soll er halt fressen. Dumm, dumm."

    Ich hoffe keiner bekommt jetzt den falschen Eindruck von meinem Großvater. Sein Zimmer im ersten Stock war sein Schloss. Der Garten war sein Schlossgarten. Das Essen musste das Sein was er wollte. Ansonsten hat er sich nie eingemischt in irgendetwas oder irgendwen. Er hat sich um seinen eigenen Scheiß gekümmert und andere so gelassen wie sie sind.

    Solche Ausbrüche geschahen nur zweimal im Jahr, wie eine Riesen-Welle die über einem hereinbricht oder wie ein Blitz aus blauem Himmel. Er sagte sein Ding und dann war es vorbei. Danach wurde nie mehr darüber gesprochen.

    Oradur-sur-Glane:

    Kennt ihr diesen Namen? Schon Mal davon gehört? Geh ans Internet und suche nach dem Namen. Der Ort ist immer noch da, so wie 1962. Im Sommer dieses Jahres fuhren wir alle in einen langen Urlaub. Paula und Ludwig , meine Mutter, meine Schwester und ich. Für 6 Wochen nach Frankreich um Verwandte zu besuchen.

    Normalerweise gab es nie Geld für Ferien oder Wegfahren. Verwandte zu besuchen ist dann wohl die günstigste Variante. Mein Vater blieb wie üblich zu Hause, um zu arbeiten. Er arbeitete immer.

    Zwischen 1900 und 1920 wanderten etliche Verwandte meines Großvaters aus Polen aus. Die meisten fanden in Frankreich eine neue Heimat, nur ein Teil, mein Großvater, blieb in Deutschland hängen. Per Zug fuhren wir zu diesen Verwandten die nahe Par Le Creusot lebten. Nach zwei Wochen Wurst zum Frühstück, mittags und abends - sie waren Besitzer einer Metzgerei - nahmen sie uns dann auf eine große Frankreich Tour in den Süden mit. An Lourdes kann ich mich noch erinnern, das Haus der Heiligen Bernadette, die große Kirche und die hunderte von Krücken die in einer kleine Höhle von der Decke hingen. Zeichen von all den Menschen die hier geheilt worden waren.

    Die Massen von Menschen kniend auf dem großen Platz vor der Kirche, alle Vergebung suchend und Erlösung von ihrem Gebrechen.

    Auf dem Rückweg nach Par Le Creusot hielt der Wagen an einem kleinen Ort. Ich war zu der Zeit zwölf Jahre alt. Darüber zu schreiben - und selbst jetzt bei der Übersetzung ins Deutsche - kommen mir die Tränen. Ich habe den Namen dieses Ortes nie vergessen und zum ersten Mal 2014 in Google gesucht.

    Nur ein Buchstabe war falsch. Ich hatte diesen Ort als Orandur-sur-Glane in meiner Erinnerung. Die ganze Stadt war niedergebrannt worden. Es lebte niemand mehr darin. Sie ist als Monument erhalten worden, genau wie an dem Tag als es passierte.

    Ein übler Gestank von Rauch und Verbranntem hing in der Luft.

    Ich fragte meine Mutter:

    „Wann ist die Stadt verbrannt?"

    „Vor 18 Jahren."

    Das konnte ich nicht verstehen. Vor 18 Jahren, aber ich bin doch erst zwölf. Wie kann es immer noch nach Rauch stinken? Das geht doch gar nicht.

    Langsam ging unsere kleine Gruppe die Hauptstraße entlang. Natürlich nicht ich. Ich rannte los in die verbrannten Häuser, musste alles studieren, wunderte mich ständig warum es immer noch nach Rauch stinkt. Das musste ja so lange her sein als es passierte. Auf der Hauptstraße gab es die Schienen einer Straßenbahn und direkt hinter der Kurve lag sie dann auch. Ausgebrannt.

    Ich entdeckte eine Nähmaschine an der noch die Hose hing, die gerade in Arbeit gewesen war, irgendwie so unnatürlich an die verrostete Nadel gepappt. Eine Hut halbverbrannt, den musste ich natürlich sofort aufsetzen, wollte ihn mitnehmen, aber das ging wohl nicht, denn ich wurde augenblicklich zurückgepfiffen ihn wieder da hinzulegen wo er gelegen hatte. Alles war irgendwie so unreal, Respekt und Ehrfurcht ausstrahlend. Trotzdem musste ich alles erkunden, alles studieren in jedem Haus links und rechts, und ständig dieses Gemecker meiner Mutter.

    „Komm sofort her."

    „Nimmt das nicht hoch."

    „Lass das liegen."

    Aber das konnte mich nicht abhalten rumzustöbern, alles anzufassen. Wo waren die Menschen geblieben? Sind sie in die nächste Stadt zum Einkaufen gefahren? Warum ist alles so als ob es erst vor einer Stunde passiert ist? Konnte das wirklich so lange her sein? Einige Läden waren noch fast heil, als ob der Wurstverkauf gleich weitergehen konnte und der Metzger gerade mal in den Keller verschwunden ist um seine Schinken hochzuholen.

    „Was ist hier eigentlich passiert? Warum ist alles verbrannt?" fragte ich meine Mutter.

    „Deutsche Soldaten haben die Stadt niedergebrannt. Sie haben sie abgeriegelt und alle Menschen getötet. Die Männer mussten sich an der Straßenseite aufstellen und wurden erschossen. Alle Frauen und Kinder wurden in die Kirche getrieben, dann hat man die Kirche niedergebrannt. Alle sind in der Kirche verbrannt."

    Ich habe verstanden dass dies von Deutschen getan wurde. Ich bin Deutscher. Ich komme aus Deutschland. Das war mir klar. Alles war so glasklar für mich und trotzdem unnatürlich. Und all die Fragen. Soviel Schmerz starrte mich von überall an, hing in der Luft, war zu fühlen, war so real zu spüren.

    Ein Franzose sprach mit unseren Verwandten, deutete auf verschiedene Stellen neben der Straße.

    „Da wurden die Männer erschossen", flüsterte meine Mutter.

    Da musste ich natürlich sofort hingehen, stellte mich auf und schloss meine Augen. So fühlt es sich an, so hat es sich angefühlt, für die Männer vor mir. Das passte meiner Mutter natürlich überhaupt nicht, ihren Sohn so stehen zu sehen - auf den Schuss wartend. Sie zog mich wütend weg.

    Am Schluss unserer langen Tour dann die Kirche. Ich konnte noch hineinsehen, die verbrannten Kirchenbänke studieren, mir die Menschen vorstellen die heute alle verschwunden waren. Neben der Kirche eine große Tafel, in drei Sprachen.

    Wie kann ich euch allen hier sagen wie viel mir dieser Besuch bedeutet hat, den ich noch heute in mir fühle, mit all dem Schmerz, mit dem Rauch, mit der Verzweiflung die ganz sicher auch noch heute dort zu Gast in dieser Stadt ist.

    Bitte, seht euch diese Stadt im Internet an und wenn ihr nach Frankreich kommt: Paris ist ja ganz nett, aber wichtiger ist es diese Stadt zu besuchen. Macht es für mich, macht es für die Menschen die dort einmal gelebt haben. Macht es für euch. 642 Menschen sind dort hingerichtet worden, nicht viel gemessen an unserem heutigen Standard. Genau deshalb ist es wichtig, weil jeder Mensch zählt.

    Heute: 500.000 Menschen sterben in Irak, 50.000 in Nigeria, 1.800 in Gaza, Syrien und Libyen – Ruinen unserer Gier nach Geld – mit ein paar hunderttausend zusätzlichen Toten, hingerichtet von unserer Gleichgültigkeit. Wer kümmert sich noch einen Scheiß darum. Wir sind alle so, so beschäftigt mit unseren I Phones und I Pads und lügen uns damit selbst in die Tasche, und lügen unserer Verantwortung unter den Tisch.

    Aber wir sind verantwortlich, auch wenn ich nur ein paar Aktien kaufe oder einfach weggucke, umblättere zu meinen 7000 Freunden auf Facebook. Wir sind verantwortlich für jedes kleine Stück Schmerz das entsteht als Konsequenz unserer Gleichgültigkeit.

    Ein Leben ist heute nichts mehr wert. Ein Baum ist heute nichts mehr wert. Ein Tiger ist heute nichts mehr wert. Leben ist eine Ware geworden, mit der man handelt, dass man auslöscht, sobald es genug Profit bringt.

    Die Geheimnisvolle Kiste:

    Ich denke diese Geschichte ist einige Monate später passiert, nachdem wir aus Frankreich zurück waren. Ich war alleine im Hause. Mein Großvater arbeitete im Garten und Paula und meine Mutter waren einkaufen. Es war mir langweilig. Ich habe nach irgendwas gesucht gegen meine Langeweile. Ich habe den Keller durchstöbert aber da war nichts Interessantes. In den ersten Stock und da sah ich den Schlüssel für mein nächstes Abenteuer.

    Die große Tür in der Decke. Da oben auf unserem Dachboden war ich nur ein paar Mal mit meinem Vater gewesen um den Tannenbaumschmuck herunter zu holen und es war nicht erlaubt für mich da alleine raufzugehen. Nichts besser als das. Ich war ja alleine.

    Mit dem langen Haken die Tür runterziehen, die Treppe runterlassen, alles kein Problem für mich, selbst mit 12 Jahren. Ein Dachboden ist für einen 12 jährigen ein mystischer, geheimnisvoller Ort, vollgestopft mit Objekten die niemand mehr will, oder nur gelegentlich. Und natürlich das was schon längst vergessen worden war.

    Unser Dachboden war voll mit alten Möbeln die irgendwann aussortiert worden sind, alle Schubladen voll mit Papieren und alles voller Staub. Überall Kisten, die meisten noch nicht mal verschlossen - einfach ein Superplatz gegen Langeweile. Ich wollte irgendetwas Interessantes finden, was ich vielleicht gebrauchen konnte. Ich fand den Weihnachtsbaumschmuck, der jedes Jahr von neuem unseren Tannenbaum zierte, alte Magazine, Kisten mit alten Fotos, die ich natürlich alle genau studieren musste. Die meisten Leute auf den Fotos kannte ich nicht, nie gesehen, vielleicht irgendwelche alten Verwandten.

    Ganz hinten rechts dann plötzlich diese alte Kiste, sorgfältig verschlossen mit Klebeband, aber bedeckt mit einer dicken Lage Staub und Dreck. Das sah natürlich alt aus, schon längst vergessen.

    Diese Kiste musste ich natürlich öffnen. Die Enttäuschung war im ersten Moment groß, alles voller Papiere und Maschine geschriebene Briefe und einige Fotos von Leuten in Uniform. Alles habe ich ausgepackt, mir jedes Foto angesehen. Alles vor mir auf dem dreckigen Boden ausgebreitet. Auf ein paar Fotos konnte ich meinen Vater erkennen, wohl mit anderen Freunden in Uniform, lachend.

    Einige Briefe habe ich versucht zu lesen, aber irgendwie nichts verstanden. Fast alle Blätter hatten den Nazi Stempel, auf fast allen konnte ich den Namen von meinem Vater lesen. Viele hatten ein Datum weit zurück in der Vergangenheit.

    Ich hatte den Höhepunkt meiner Reise durch den Dreck der Vergangenheit entdeckt. Überall das Hakenkreuz, Unterschriften, Stempel mit dem Hakenkreuz und der Name meines Vaters. Ich musste ihn unbedingt fragen wenn er von der Arbeit kommt. Nur er konnte mir dieses Geheimnis lüften, das ich irgendwie nicht verstand.

    Alles zurück in die Kiste, die Leiter runter, die Klappe wieder in die Decke hochdrücken war ganz einfach weil da wohl irgendeine Feder sie alleine wieder hochbeförderte, und runter in die Küche. Von da hörte ich schon Geräusche, also waren meine Mutter und Großmutter zurück vom Einkaufen.

    „Ich war oben auf dem Dachboden."

    „Du sollst doch da nicht alleine raufgehen. Da ist doch alles dreckig. Das ist kein Platz für dich."

    Kein Platz für mich, war natürlich klar, ist genau der richtige Platz für mich.

    „Ich habe mir nur alles angeguckt da oben - und ich hab eine alte Kiste gefunden."

    „Eine Kiste? Was für eine Kiste?"

    Das Gespräch führte ich mit meiner Mutter, Paula war beschäftigt die Sachen vom Einkaufen auszupacken.

    „Eine Kiste mit vielen Papieren drin, aber alle mit dem Nazi Stempel."

    Jetzt hatte ich ihre volle Aufmerksamkeit. Paula drehte sich zu mir um, sie wechselten Blicke.

    „Eine Kiste mit Papieren und dem Nazi Stempel. Ich weiß nichts davon und von der Kiste. Wo ist die?"

    „Ganz hinten rechts. Und überall ist der Name von meinem Vater drauf. Auch einige Fotos."

    Wenn ich mich heute erinnere, wurden zwischen den beiden bedeutungsvolle Blicke ausgetauscht, aber zu der Zeit konnte ich das nicht deuten.

    „Frag deinen Vater wenn er von der Schicht kommt. Der kann dir das erklären."

    Ok, diese Erklärung war gut genug für mich. War ja auch sein Name drauf auf allen Papieren. Ich musste nur noch ein paar Stunden warten.

    Das Hakenkreuz, der Name Hitler, ein großer Krieg in der Vergangenheit, damit sind alle Kinder aufgewachsen. Die Spuren waren 1962 noch allzu deutlich zu finden.

    Zirka ein Jahr davor waren wir alle mal für eine Woche im Sauerland, bei Verwandten. Sie lebten in dem kleinen Dorf ganz am Ende der Straße, das letzte Haus mit großer Wiese hinter dem Haus. Soweit man gucken konnte Wiesen mit Kühen und ganz dahinter ein großer Hügel, dicht bewaldet. Jeden Tag bin ich mit den Nachbarskindern losgezogen. Die hatten einige Sachen im Wald gefunden. Ein Hakenkreuz, was man sich ansteckte und eine Zange mit einem eingestanzten Hakenkreuz.

    Das war natürlich ein großes Geheimnis und deren Eltern wussten nichts davon. Das waren deren Schätze, ohne dass sie die Bedeutung erkannten. Sie zeigten mir am zweiten Tag ein großes Loch das sie im Gestrüpp entdeckt hatten, alles überwuchert ringsherum. Aber es ging tief runter. Unten konnte man nicht viel erkennen. Schutt, Steine, aber einen großen Raum.

    Wir hatten dann überlegt wie wir da runterkommen, man musste sich wohl an einem Seil runterlassen und brauchte eine Taschenlampe. Vielleicht lagen da noch mehr von diesen geheimnisvollen Dingen rum.

    Ich habe am nächsten Tag von unserem Verwandten die Taschenlampe geklaut. Die anderen haben ein Seil besorgt. Wir waren sechs Kinder. Und ab ging es in den Wald. Mit der Taschenlampe konnte man dann alles besser erkennen. Da lagen Kisten in der Ecke rum, Holzkisten, man sah Werkzeuge, Patronenhülsen verstreut im Schutt. Der Raum war nicht so tief, vielleicht 3 oder 4 Meter. Links konnte man eine Eisentür sehen, wohl der Eingang, aber der war nicht mehr da. Alles verschüttet von außen mit Erde und überwachsen. Ein kleiner Teil der Decke des Raumes war wohl eingestürzt.

    Einer von uns musste runter. Ich nicht, weil ich nicht gut am Seil klettern konnte. Aber ich lag oben am Rand um mit der Taschenlampe den Weg zu weisen. Was er dann unten fand warf er durchs Loch hoch zu uns. Oh mein Gott so viele kleine Juwelen für uns Kinder. Natürlich kein Schmuck, aber eine verrostete Pistole, mehrere Abzeichen aus Metall, das Hakenkreuz, leere und volle Patronen. In einer Ecke fand er einige Uniformen unter dem Schutt, verrottet - aber unser Freund konnte die Schulterstücke abreißen, stopfte sie in seine Hosentasche, auch die Werkzeuge, alles mit dem Hakenkreuz gekennzeichnet.

    Dann haben wir ihn hochgezogen, dabei fielen noch mehr Stücke der Decke in den Raum.

    Oben wurde dann unsere Beute aufgeteilt. Jeder hatte so fünf bis sechs Objekte - und dann nach Hause. War natürlich klar, dass ich darüber nichts erzählen konnte. Das war meine Beute und ich habe sie natürlich zwischen meinen Sachen versteckt.

    Am nächsten Tag gab es Riesenstunk. Die Polizei war da, ich musste alle Objekte an sie abgeben, durfte nicht aus dem Haus und mir wurde verboten noch einmal mit den anderen Kindern zu spielen. Irgendeiner der Väter hatte wohl was bei seinem Sohn gefunden und sofort die Polizei gerufen. Scheiße.

    Zwei Tage später habe ich die anderen dann doch wieder getroffen, heimlich. Wir alle hatten unsere Beute verloren und der Wald war wohl abgesperrt. Ein paar Tage später sind wir wieder zurück nach Herten gefahren.

    Die Welt davor, so ein großes Mysterium, das schrie nach Aufklärung.

    Mein Vater kam dann auch einige Stunden später und in mir brannte es, mehr über den Inhalt dieser Kiste zu erfahren. Ich wollte sie ihm natürlich zeigen und er sollte mir das alles erklären.

    Zuerst setzte er sich an den Tisch und der große Teller mit Kartoffeln, Fleisch und Soße wurde ihm vorgesetzt. Ich saß neben ihm, innerlich ungeduldig, aber ich wollte warten bis er fertig war. Dann endlich mein Moment:

    „Da ist eine große Kiste auf dem Dachboden. Kann ich sie dir zeigen wenn du fertig bist?"

    „Was für eine Kiste?"

    „Eine große Kiste und da sind alles nur Briefe drin und ein paar Fotos von dir."

    Sein Teller war jetzt fast leer und er hörte auf zu essen. Ein langer Blick ging an mir vorbei Richtung Küche. Ich drehte mich um. Da standen sie beide im Türrahmen, meine Großmutter mit Spültuch und meine Mutter, wortlos zurückstarrend.

    Ich hab das alles damals nicht verstanden. Das hatte irgendwie keine Bedeutung für mich.

    „Ok, wenn ich fertig bin zeigst du mir die Kiste."

    „Da ist auch überall der Nazi Stempel drauf."

    Darauf gab‘s keine Antwort, er aß schweigend weiter.

    Der Teller war leer und ich brannte darauf, dass er mir folgte. Rannte sofort los nach oben, unter der Tür in der Decke wartend. Er zog die Leiter runter und ich rannte hoch auf den Dachboden, da ganz hinten rechts in die Ecke, zu der Kiste.

    „Hier, Hier, hier steht sie."

    Aber da stand keine Kiste mehr. Ich hatte sie einige Stunden vorher genau da zurückgelassen, aber da war sie nicht mehr. Nur ein seichter Abdruck im Staub rings herum gab Zeugnis, dass da mal was gestanden hatte. Nichts mehr.

    „Da ist keine Kiste."

    „Da war aber eine Kiste. Ich schwöre. Hier stand sie."

    „Ich sehe keine Kiste. Du hast es wahrscheinlich geträumt. Komm lass uns runtergehen. Hier ist es so dreckig."

    „Aber da war eine Kiste, glaub mir doch."

    Wir gingen runter in die Küche.

    „Da war eine Kiste. Ich bin doch nicht am Träumen."

    Meine Mutter:

    „Du hast das doch selbst gesehen. Da ist keine Kiste. Du hast das geträumt. Dein Vater hat es dir doch gezeigt."

    Ich habe das Wohnzimmer wortlos verlassen.

    „Sind die alle blöd. Ich habe die Kiste gesehen und sie war da. Jeder hat mich belogen."

    Die Kiste hatte sich in Luft aufgelöst. Sie haben sie weggeräumt. Diese Kiste ist nie aus meinem Kopf verschwunden. Sie war in den Jahren danach immer da. Das große Geheimnis um meinen Vater herum. Ich habe dann auch mehr und mehr verstanden, dass der Inhalt unerwünscht war. Das niemand davon wissen durfte. Deshalb musste sie verschwinden. Aber nicht in mir.

    Der Prozess des Aufwachsens. Jedes Kind versucht Sinn zu finden in seiner Umwelt, lernt mehr und mehr, erst über die Familie, dann die Freunde, dann den Ort, dann das Land und Politik und dann über die Welt. Ich gehöre ja dazu und deshalb muss ich sie verstehen, muss meinen Platz darin finden und wenn ich den nicht finde, dann muss ich mir den Platz schaffen.

    Martin Luther King ist erschossen worden. Präsident Kennedy wurde auch umgebracht. Die Pilzköpfe, The Beatles, erschienen aus dem Nichts, Rolling Stones, The Troggs, Procol Harum - alle der alten verkrusteten Gesellschaft die Stirn bietend, aufzuräumen mit dem alten Gestank von Gesellschaften die nicht lernen wollten.

    Ich war ein Fan der Beatles direkt von der ersten Platte an. Unter dem Namen Beat Brothers erschienen mit Tony Sheridan. Das war meine erste Platte. Mein erster Besitz dieser neuen Zeit. Meine Eltern hatten mir den ersten Luxusgegenstand, einen Plattenspieler mit dieser einen Platte zum Geburtstag gekauft, mehr Geld war nicht drin für die nächsten 6 Monate. So habe ich diese Platte dann so ca. 500 bis 1.000 Mal gehört. Jeden Tag dieselbe.

    Sie half mir aufzuwachen in einer Deutschen Gesellschaft, wo niemand über den Krieg sprach, wo alles im dicken Nebel versickerte und in der es keine Nazis mehr gab. Offensichtlich haben die paar wenigen Nazis die man aufgeknüpft hatte und die Paar die geflohen sind, alles alleine gemacht, an jeder Front gestanden und 20 Millionen Menschen getötet.

    Ich begriff mit 15 und 16 langsam, dass es sie doch gegeben haben musste. Doch wo waren sie? Die Erste Garde ist tot oder verschwunden, aber das waren wahrscheinlich nur 50 bis 100 Menschen, und der Rest hatte sich in der CDU und der CSU versteckt, feige Politiker die plötzlich ehrbare Bürger spielten, zu feige zu ihren Taten zu stehen. Ekel erregend.

    An einem Sonntag wollte ich es wissen, hatte Wochen vorher darüber nachgedacht. Das übliche Essen am Sonntag und wir waren alle fertig. Ich war 15.

    „Warst du in der SS?"

    Ein gewaltiges Schweigen senkte sich über den Tisch, füllte jeden Zentimeter unseres Wohnzimmers. Jeder starrte mich an. Nur mein Vater nicht, der blickte einfach nur auf seinen Teller.

    „Warst du in der SS?"

    „Er war nicht. Was ist das hier für ein Blödsinn über die Vergangenheit zu reden, hier bei Tisch." sagte meine Mutter.

    Mein Vater schwieg, starrte immer noch auf seinen Teller. Mein Großvater blickte mir genau in die Augen - und seine Augen lächelten. Das war wohl jetzt spannend für ihn.

    „Warst du in der SS? Ich habe diese Kiste vor drei Jahren gefunden und ich hab sie bis heute nicht vergessen. Da waren all die Hakenkreuze auf den Briefen und Papieren, und Fotos von dir!"

    Meine Mutter: „Du warst doch noch ein Kind. Das hast du dir nur eingebildet. Das konntest du doch gar nicht verstehen."

    „Dein Vater hat dir doch oben gezeigt, dass da keine Kiste stand. Die gab es nie."

    Aber heute ließ ich mich nicht so leicht abspeisen, das hatte ich mir vorher vorgenommen.

    „OK, ich kann das nicht beweisen aber ihr lügt mich alle an, das weiß ich."

    An meinen Vater gerichtet, ihn direkt anblickend - er immer noch den Kopf gesenkt, seinen Teller anstarrend:

    „Was ist mit den Juden? Wusstet ihr davon? Warst du daran beteiligt? Deutschland hat 6 Millionen Juden umgebracht. Wusstet ihr davon?"

    Meine Mutter:

    „Niemand wusste davon. Keiner hat über die Juden gesprochen. Und es waren auch nicht nur die Juden. Die haben jeden verhaftet, der etwas gegen die Nazis gesagt hat. Die Menschen waren dann einfach verschwunden."

    Paula:

    „Du kannst dir doch gar nicht vorstellen wie das früher war. Dein Großvater hat nachts mit zwei Decken über den Kopf leise den amerikanischen Sender gehört. Wir hatten alle solche Angst, dass das einer von den Nachbarn hört."

    Mein Großvater hätte normalerweise schon längst den Raum verlassen, hoch in sein Schloss, aber nicht heute. Seine Augen lächelten.

    „Dem amerikanischen Nachrichtensender zu lauschen war sehr gefährlich. Die Nazis hätten uns alle abgeholt wenn sie es gewusst hätten."

    „Abgeholt und dann wo hingebracht?"

    „Das wusste doch keiner. Leute sind einfach verschwunden. Man hörte mitten in der Nacht Wagen anhalten, laute Stimmen, Kommandos, und nach 20 Minuten war es dann wieder still. Am nächsten Tag war dann eine ganze Familie verschwunden. Und keiner sprach mehr darüber. Jeder hatte Angst."

    „Was ist mit den Juden? Habt ihr die gehasst?"

    „Wir haben die nicht gehasst. Einige waren gute Menschen, aber andere sehr schlecht?"

    „Was meint ihr damit? Schlechte Menschen?"

    „Wenn man mit der Familie in Schwierigkeiten war und man brauchte etwas Geld, dann ging man zum Juden, die haben immer Geld mit sehr hohen Zinsen verliehen. Und wenn man nicht bezahlen konnte, dann waren sie skrupellos, einige sogar gewalttätig. Am nächsten Tag gehörte das Geschäft einer jüdischen Familie. Das ist oft passiert. Sie haben kein Herz. Für sie geht es immer nur ums Geld. Aber nicht bei allen. Einige waren auch sehr nett.

    Ich drehte mich zu meinem Vater um, der immer noch kein Wort gesagt hatte und weiterhin seinen Teller anstarrte:

    „Du hast meine Frage nicht beantwortet. Warst du in der SS?"

    Plötzlich guckte er mich an, in die Augen, nicht wütend, stand auf:

    „Ich will darüber nicht sprechen."

    Dann ging er aus dem Wohnzimmer.

    Alle ignorierten mich jetzt. Meine Mutter und Paula räumten wortlos den Tisch ab. Nur mein Großvater war noch da, studierte mich irgendwie mit seinen Augen, stand dann auf und ging raus.

    Mein Großvater war ein richtiges Mysterium für mich. Er lebte in seiner eigenen Welt, sprach nicht viel. Aber manchmal sah ich, dass da irgendwo tief drinnen ein super Typ steckte.

    Ich habe an dem Tag nicht gekriegt was ich wollte. Ich wollte Antworten von meinem Vater. Aber ich habe auch nie abgelassen von meinem Vater. Wann immer sich mal ein günstiger Moment ergab, und er war guter Laune, dann hab ich diese Frage wieder gestellt. Ich habe nie eine Antwort erhalten, aber er war auch nie böse, dass ich wieder fragte. Er hörte zu und verließ dann den Raum.

    Er starb als ich neunzehn war. In den letzten 3 Monaten hätte ich diese Frage wieder stellen können. Aber ich habe nicht. Ich weiß, er hätte mir geantwortet. Aber diesen Menschen dahinsiechen zu sehen...- meine Frage verschwand einfach in mir. Es spielte alles keine Rolle mehr. Es war gut, so wie es war.

    Vielleicht ein Jahr später habe ich nochmals etwas von dem tollen Typ in meinem Großvater gesehen. Ich kam gerade vom Gymnasium zurück als Paula mir befahl, sofort mein Fahrrad zu nehmen und meinem Großvater zu helfen. Er war stoppeln gegangen. Kennt einer diesen Ausdruck heute noch?

    Auf den Feldern rings um Langenbochum wurden Kartoffeln, Möhren, Weißkohl und Rote Beete angebaut. Nachdem die Bauern ihr Feld abgeerntet hatten ging mein Großvater mit seinem Fahrrad los, um durch die Reihen zu gehen und alles an Kartoffeln einzusammeln das übersehen worden war. Da kam dann immer eine Menge zusammen. In meiner Familie wurde das ganze Jahr nie Kartoffeln gekauft. Die hat alle Ludwig gefunden - auf seinen Touren durch die Felder.

    Ihm zu helfen passte mir natürlich nicht, aber einem ca. 75 jährigen zu helfen, habe ich zähneknirschend eingesehen. Also rauf auf mein Fahrrad und runter nach Langenbochum, aufs Feld, das meine Oma mir beschrieben hatte.

    Da stand er dann auch, wartete auf mich. Einen riesigen Sack voll hatte er gesammelt und dann noch einen halben. Der volle Sack wahrscheinlich so um die hundert Kilogramm. Kartoffeln sind schwer.

    Ich musste ihm helfen den vollen Sack auf sein Fahrrad zu binden, danach den halben Sack für mich, und los ging‘s zurück zu unserem Haus.

    Jeder der in Herten lebt, kennt die Feldstraße. Von Langenbochum aus geht es einen Berg hoch und der ist ziemlich steil über ca. 500 Meter. Er war hinter mir. Und ich war jung und kräftig, also kein Problem für mich. Nach drei Viertel des Berges konnte ich nicht mehr. Mein Atem war alle und der Schweiß rann in Strömen. Also runter vom Fahrrad und den Rest schieben. Dabei guckte ich mich um, wo der Ludwig hinter mir ist. Klar war der schon längst von seinem Fahrrad runter, schob es, und ich muss wahrscheinlich oben auf ihn warten.

    Wie falsch war ich damit gewesen. 50 Meter hinter mir da kam er dann. Immer noch auf seinem Fahrrad, mit seinen hundert Kilogramm, radelte in Super Zeitlupe ganz langsam näher. Dann auf meiner Höhe drehte er seinen Kopf zu mir, lächelte mich an und fuhr einfach weiter, langsam, bis ganz nach oben auf den Berg.

    Dann stieg er ab, drehte sich mir zu und wartete bis ich schweratmend oben angekommen war. Lächelnd.

    „Ganz schön hart der Aufstieg." Stieg einfach auf sein Fahrrad und fuhr weiter.

    Zuhause angekommen war ich „alle". Für mich einfach nicht zu verstehen, dass dieser 74 jährige Rentner stärker war als ich mit meinen 17 Jahren.

    In der Küche:

    „Ich dachte der Typ ist krank. Der ist 74. Wie kann der mich am Berg überholen?"

    Ich habe es nicht verstanden. Er war eine harte Nuss. An diesem Tag, jedes Mal, wenn er an mir vorbeiging, erschien dieses Lächeln auf seinem Gesicht und seine Augen glitzerten mich an.

    Das war er und so werde ich ihn immer in Erinnerung behalten. Mit 82 starb er, einfach nur so, am nächsten Morgen war er tot.

    Ein Holländer:

    Das ist so ein winzig kleiner Moment in meinem Leben, aber trotzdem habe ich ihn nie vergessen. Vielleicht war es einer der wichtigsten Momente meines Lebens.

    1966 haben mir meine Eltern zum ersten Mal die Erlaubnis gegeben zu einer Fahrradtour mit meinem Freund Bruno ins 80 Kilometer entfernte Lüdenscheid. Für sieben Tage.

    Wir folgten dem Plan nicht. Aus den 7 Tagen wurde eine Fahrradtour von 1400 Kilometern, über vier Wochen. Von Lüdenscheid quer durch Deutschland nach Luxemburg, von da bis fast an die Grenze nach Frankreich und wieder in den Norden bis Brüssel und über Holland zurück nach Herten.

    Nur einmal habe ich meine Eltern aus Luxemburg angerufen, nur um zu sagen:

    „Mir geht gut", aber dann direkt aufgehängt. Die Antwort wollte ich erst gar nicht abwarten, wir wollten einfach weiter.

    Ein Jahr später fragte ich dann wieder, ob ich mit meinem Freund bis Sardinien trampen kann, 2 Wochen Urlaub im Zelt und dann zurücktrampen bis Herten. Überraschenderweise erhielt ich sofort ein Ja als Antwort. Wahrscheinlich trauten sie meinem Freund Bruno wesentlich mehr als mir. Er hatte immer diese Art erwachsener zu erscheinen als ich.

    Für diese Reise hatte mir mein Großvater meine erste kleine Kamera gekauft, nichts Besonderes, die billigste die es bei Quelle gab, aber sie machte Fotos.

    Übrigens lebt dieser Freund Bruno auch noch heute, 2015. Hoffe ich jedenfalls. Irgendwo in Recklinghausen. Vielleicht liest er dieses Buch mal. Würde mich freuen.

    Das hintrampen von Herten bis Italien, Civitavecchia (der Hafen von dem die Fähre nach Sardinien ablegte) ging einfach (blöder deutscher Ausdruck, in Englisch sagt man da lieber: „worked like a piece of cake" (funktionierte wie ein Stück Kuchen), und dauerte nicht mal zwei Tage. Super Wetter und nur fünf oder sechs Autos die uns lange Strecken mitnahmen. Den Finger raus an der Straße, brauchten wir selten mehr als 30 Minuten auf den Nächten, der uns mitnahm, zu warten.

    Sardinien war einfach nur ein toller Urlaub, trampen und in dem Mini Zelt schlafen, und manchmal eine fürchterliche Pizza essen. Deutschland hatte bessere Pizzas. Hoffentlich hat sich das bis heute geändert. Und natürlich habe ich mein neues Spielzeug, die Kamera, ausgiebig benutzt und alle unsere kleinen Abenteuer dokumentiert.

    In dem Moment als wir die Fähre betraten, auf dem Rückweg nach Italien und dann zurück nach Deutschland, begann es zu regnen. Und der Regen sollte auch in den nächsten 4 Tagen nicht mehr aufhören. Bei der Ankunft in Italien wollte keiner von uns beiden den Boden Italiens küssen, es war einfach zu nass.

    Unser Hinweg ging so einfach und schnell. Unser Rückweg sah sehr anders aus. Im strömenden Regen, unser kleines Zelt über dem Kopf, die Hand raus, standen wir manchmal vier Stunden, bis dann endlich mal ein Wagen anhielt - und dann nahm er uns für nur 20 Kilometer mit. Und dann wieder stehen - und wieder nur 40 Kilometer, und wieder stehen.

    Drei Nächte haben wir schlafend in unserem Zelt an den Straßen überlebt. Im Dreck und pissendem Regen. Endlich am vierten Tag hatten wir es bis Karlsruhe geschafft, bis an die Autobahnauffahrt, Richtung Frankfurt, ca. 220 Kilometer entfernt. Und es regnete immer noch.

    Dann endlich hielt ein Wagen. Super, er fährt uns bis Frankfurt.

    Nur zehn Kilometer weiter überlegt es sich dieser Typ anders. Er hätte was vergessen, müsste umkehren, an der nächsten Ausfahrt rausfahren. Er hält im Regen, und schmeißt uns raus.

    So eine Scheiße. An der deutschen Autobahn darf man nicht trampen. Und im pissenden Regen hält kein Schwein an. Und es war schon drei Uhr nachmittags. Da standen wir dann, haben uns abgewechselt, einer an der Straße mit weißer Plastiktüte über dem Kopf, Hand raus, der andere acht Meter zurück. Wir hatten einen großen Baum mit großer Blätterkrone gefunden. Nur ab und zu kamen da Tropfen durch.

    Die Zeit verging, die Autos schossen nur so an uns vorbei. Wer hält schon an bei so einem Pisswetter? Es war schon lange dunkel und es war Brunos Zeit an der Straße. Ich saß am Baum, hatte meinen gesamten Rucksack ausgepackt, wollte meine Besitztümer ein wenig organisieren und schon das Zelt für eine weitere Nacht an der Straße vorbereiten.

    Meine kleine Kamera mit den mindestens 20 Filmrollen war sicher eingepackt in einer weißen Plastiktüte, schon den langen Weg vom Start in Sardinien.

    Dann plötzlich sehe ich Bruno aus dem Bild rennen, nach rechts. Irgendeiner muss wohl im strömenden Regen wirklich angehalten haben. Ich renne raus an die Straße und sehe ihn 100 Meter weiter mit einem Fahrer reden. Er dreht sich zu mir und winkt hektisch.

    Jetzt musste es schnell gehen bevor der Typ es sich anders überlegt.

    Renne zum Baum, alles hastig in den Rucksack gestopft, schnappe mir auch Brunos Rucksack und los ging‘s, durch den Regen zum Wagen rennen.

    Scheiß durchnässt warf ich unsere Rucksäcke auf den Rücksitz und mich hinterher. Spielte alles aber keine Rolle. Hauptsache wir waren auf dem Weg. Bruno auf dem Beifahrersitz, der Wagen setzte den Blinker und los ging‘s.

    Wir hatten einen Holländer erwischt, ca. 40 Jahre alt, auf dem Weg zurück nach Holland zu seiner Familie. Einem fahrenden Verkäufer, der gerade von seiner Tour durch die Schweiz und Österreich zurückkam. Bis Frankfurt konnte er uns mitnehmen, würde uns an einer Raststelle hinter Frankfurt absetzten.

    Super, vielleicht konnten wir in diese Nacht noch einen Wagen bis ins Ruhrgebiet bekommen. Ungefähr um elf Nachts würden wir an der Raststelle ankommen.

    Es war ein netter Typ, dessen Gesicht ich eigentlich nur im Rückspiegel sah. Wir konnten ihm über unsere Abenteuer in Sardinien erzählen und über unsere Scheiß - Zeit beim Trampen in den letzten Tagen. Bruno führte das meiste von unserem Gespräch in den nächsten zwei Stunden. Vorgelehnt von der Rückbank mischte ich mich nur ein paar Mal ein. Dann sah ich seine freundlichen Augen im Rückspiegel, wenn er den Kopf ein wenig drehte um mir zuzuhören.

    Nur noch 20 Minuten entfernt von der Raststelle, beschloss ich doch meinen Rucksack zu ordnen. Alle nassen Klamotten rauszunehmen die ich hastig reingestopft hatte, sie etwas zurechtzulegen und wieder zurück in den Rucksack zu legen. Fertig für den nächsten Stopp.

    „Scheiße, wo ist die Kamera? Wo ist diese Scheiß - Plastiktüte?"

    Bruno lehnte sich zurück:

    „Such nochmal."

    Alles wieder raus, keine Plastiktüte. Scheiße. Die neugierigen Augen des Holländers verfolgten die ganze Aktion im Rückspiegel.

    „Bruno sie ist weg. Hab sie wohl in der Hetze am Baum vergessen . Scheiße, alle unsere Filme."

    „Kein Problem", kam es vom Fahrersitz.

    „Dann fahren wir halt zurück und holen sie."

    Er setzte den Blinker, fuhr die nächste Abfahrt raus und wieder rauf auf die Autobahn. Es ging jetzt die zwei Stunden zurück nach Karlsruhe. Oh mein Gott war mir das peinlich. Ich versuchte mich in einer Tour für meinen Abfuck zu entschuldigen. Ich hatte sie schließlich vergessen.

    Aber jeden Versuch der Entschuldigung erstickte er sofort mit den Worten und seinen freundlichen Augen:

    „Ist doch wirklich selbstverständlich. Wir müssen doch die Kamera holen. Das ist wichtig für euch."

    Und das war’s und ich konnte nicht verstehen dass er wirklich nochmal die zwei Stunden zurückfährt um unsere Kamera zu suchen. Hoffentlich lag sie noch da unter dem Baum. Nur da konnte ich sie vergessen haben.

    So um ein Uhr, rechts das blaue Schild, Karlsruhe, Blinker, runter und die Auffahrt wieder rauf, jetzt ging‘s wieder Richtung Frankfurt.

    Jetzt aber langsam, mit Warnblinkern an, bis wir tatsächlich die Stelle mit dem dicken Baum gefunden hatten. Ich raus im Regen und da lag sie dann, die weiße Tüte, alles noch drin, Kamera und alle Filme und alles trocken. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Nochmal Schwein gehabt.

    Wieder auf den Rücksitz, fuhr er sofort wieder los, nochmal zwei Stunden im Regen und in die Nacht.

    „Ist noch alles da?" fragten mich die freundlichen Augen.

    Oh Mann, war ich dankbar, wollte mich nochmals entschuldigen, aber das verhallte im Wagen und dem Regen und wollte wohl auch nicht gehört werden.

    Gegen drei Uhr morgens würde er uns an der Raststelle absetzen, aber mit Kamera und allen Filmen und das zählte. Er würde wohl erst gegen Morgen in Holland bei seiner Familie ankommen.

    Kurz vor der Raststelle dann ein erneuter Versuch, mich zu entschuldigen, auch dafür dass er jetzt sechs Stunden seiner Zeit für meine Kamera geopfert hatte.

    Er drehte seinen Kopf, lächelte in den Rückspiegel:

    „Du bist jetzt glücklich. Wenn sechs Stunden meiner Zeit einen Menschen glücklich machen können so wie dich, dann ist es das wert."

    Das ist alles. Nur dieser eine Satz und dann ließ er uns einige Minuten später an der Raststelle raus.

    Ich habe verstanden. Habe diesen einen Satz und diesen Holländer nie in meinem Leben vergessen. Heute sende ich meine Grüße an ihn in das entfernte Holland und meinen Dank für diese Lektion.

    Kapitel 3

    Mein Vater – 1970

    Ich war bereits zusammen mit M., meiner wunderschönen Freundin und ich war durch und durch verliebt. In der Obersekunda bin ich leider mit einer 6 in Latein ein zweites Mal sitzengeblieben und hatte gerade eine Arbeit bei den Chemischen Werken Hüls als Chemiearbeiter begonnen. Ich hatte bereits begonnen über den Anfang einer Lehre als Chemielaborant im selben Werk nachzudenken.

    Mit 55 wurde mein Vater in den Ruhestand geschickt. Kohlebergwerke schlossen überall im Ruhrgebiet und auch die Zeche in Langenbochum machte dicht. Mit Kohle war wohl kein Geld mehr zu machen. Bergarbeitern blieb keine Wahl als den Zwangsruhestand zu akzeptieren und das mit 55 und bei halbem Geld. So eine Scheiße.

    Mein Vater hasste es, plötzlich Rentner zu sein und das bei halbem Geld. Er war immer noch ein sehr starker und innerlich ein junger Mann, auf keinen Fall einer der auf der Parkbank mit anderen Rentnern Skat spielt. Saustark, ruhig, höflich, immer umgeben von einer Aura von Power, suchte er sich eine Schwarzarbeit, weil das Geld auch einfach nicht mehr für eine Familie von vier Menschen reichte.

    Die neue Arbeit, Steine zu schneiden und zu schleifen war sau-hart. Aber ich denke er wollte sich einfach auch selbst beweisen, dass er noch kein Rentner ist, dass er immer noch stark ist.

    Im Februar dann die ersten Tage mit Rückenschmerzen. Er arbeitete weiter. Keiner wunderte sich weil ja seine Arbeit sehr hart war und wir alle seine Müdigkeit nach einer 8 Stunden Schicht sahen.

    Die Schmerzen wurden stärker, er musste gelegentlich mal einen Tag aussetzen und der erste Arzt behandelte ihn mit Spritzen. Im März und April wurden die Schmerzen noch schlimmer, musste manchmal eine ganze Woche aussetzen und die Spritzen wurden regelmäßig. Ohne die ging es gar nicht mehr. So gab er dann schließlich seine Arbeit auf.

    Noch mehr Spritzen und dann schließlich im April zum ersten Mal ins Hertener Krankenhaus und natürlich noch mehr Spritzen. Aber die Schmerzen hörten jetzt nicht mehr auf und die Spritzen halfen einen Dreck. Dann wieder raus nach Hause und zwei Wochen später wieder zurück ins Krankenhaus.

    Noch mehr Spritzen, er konnte jetzt nur noch langsam laufen, aber immerhin das konnte er noch. Im Krankenhaus haben wir ihn natürlich jeden Tag besucht, meine Mutter morgens und nachmittags. Nach Ende meiner Schicht um 3.45 fuhr ich auch sofort ans Bett meines Vaters.

    Er wurde schwächer, ein Scheiß Gefühl für einen Mann der zeitlebens ein starker Mann gewesen war. Ich erinnere mich, dass er mir als Kind manchmal diesen Trick gezeigt hatte. Er krempelte seine Ärmel hoch, spannte seine Oberarmmuskeln, dicke Dinger, und ließ ein spitzes Küchenmesser von 30 Zentimeter gerade runterfallen auf seine Muskeln. Da gab es nie Blut zu sehen für mich - und das Messer war sau-scharf und spitz. Ich habe immer genau seine Muskeln untersucht, ob da nicht doch irgendwas von der Spitze des Messers zu sehen war.

    So war er.

    Im August dann wieder Krankenhaus und es ging weiter mit Spritzen und jetzt noch ein zusätzliches Korsett das er ständig tragen musste. Er war jetzt schon drei Wochen da drin, wir besuchten ihn täglich, jetzt ging‘s nur noch mit

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