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Alzagra: Ein autobiografiktiver Roman
Alzagra: Ein autobiografiktiver Roman
Alzagra: Ein autobiografiktiver Roman
eBook512 Seiten6 Stunden

Alzagra: Ein autobiografiktiver Roman

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Über dieses E-Book

Alzagra, ein neues Medikament gegen Demenz, zeigt bei einigen Patienten verblüffende Ergebnisse. An die Öffentlichkeit dringt davon jedoch nichts, denn die Risiken und Nebenwirkungen, nicht nur für die Patienten, sind groß und die klinische Studie wird gestoppt.
Chris, Krankenpflegeschüler in Köln, ist mit seiner verspäteten Pubertät beschäftigt. Er versucht durch das Schreiben von Geschichten sein Gedanken- und Gefühlschaos zu sortieren.
Er erfährt durch Zufall von dem Geheimnis um Alzagra, und auf einmal findet er sich in einer großen realen Geschichte wieder, die ihm schnell über den Kopf wächst.
Er hat immer davon geträumt, ein Held zu sein, und nun hat er wirklich die Gelegenheit dazu. Das kommt ihm eher ungelegen ...
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum24. Nov. 2017
ISBN9783746069661
Alzagra: Ein autobiografiktiver Roman
Autor

Chinz

Chinz (Christoph Hinz) wurde 1968 in Köln geboren und wohnt heute mit seiner Familie in Varel an der Nordsee. Im April 1990 wurde er von der Muse geküsst. Keine 24 Jahre später gründete er einen eigenen Verlag und veröffentlichte sein erstes Buch. Er arbeitet als Krankenpfleger, lebt als Musiker und Schriftsteller und bezeichnet sich selbst als gut gelaunten Melancholiker.

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    Buchvorschau

    Alzagra - Chinz

    Buch

    1990:

    Alzagra, ein neues Medikament gegen Demenz, zeigt bei einigen Patienten verblüffende Ergebnisse. An die Öffentlichkeit dringt davon jedoch nichts, denn die Risiken und Nebenwirkungen, nicht nur für die Patienten, sind groß und die klinische Studie wird gestoppt.

    Chris, Krankenpflegeschüler in Köln, ist mit seiner verspäteten Pubertät beschäftigt. Er versucht, durch das Schreiben von Geschichten, sein Gedanken- und Gefühlschaos zu sortieren.

    Er erfährt durch Zufall von dem Geheimnis um Alzagra und auf einmal findet er sich in einer großen realen Geschichte wieder, die ihm schnell über den Kopf wächst.

    Er hat immer davon geträumt, ein Held zu sein, und nun hat er wirklich die Gelegenheit dazu. Das kommt ihm eher ungelegen.

    Autor

    Chinz, am 9. Juni 1968 in Köln auf die Welt gekommen und 1990 im Kyffhäuser Keller, unter freundlicher Mithilfe der besten Bedienung der Welt, zum Leben erwacht, wurde dortselbst am Zapfhahn großgezogen. Er wohnt heute mit seiner Familie in Varel.

    Die Ausbildung zum Krankenpfleger absolvierte er von 1989 bis 1992 im evangelischen Krankenhaus Köln-Weyertal.

    Seine Ausbildungsunterlagen hat er nach dem letzten Schultag feierlich verbrannt.

    Die in dieser Zeit geschriebenen Aufzeichnungen in Kölner Kneipen lagern in einer großen Kiste auf dem Dachboden und die damals durchlebten Gefühle in seinem Herzen.

    Unter kontinuierlicher Zugabe von Alkohol und Musik wurde beides miteinander vermengt, gerührt, gebacken und heraus kam dieses Buch.

    Guten Appetit!

    Leser

    Für den perfekten Lesegenuss empfiehlt sich die Lektüre am Abend, in einem Schaukelstuhl oder gemütlichen Sessel; Kerzen oder Kamin wären von Vorteil.

    Als Getränke bevorzugt Gilden- oder Reissdorf-Kölsch. Natürlich sind auch die im Buch genannten Rotweine adäquat als Lesebegleitung.

    Cointreau und Baileys sollten kühl in Bereitschaft stehen. Ein Glas mit Salzstangen ist Grundausrüstung; für Fortgeschrittene, als Ergänzung, ein Käseteller.

    für Cora

    „Denn das Leben ist ein verlorenes Gut, wenn man nicht gelebt hat, wie man hätte leben wollen."

    (Eminescu)

    Inhaltsverzeichnis

    Prolog

    Kapitel 1: „End Credits", Hans Zimmer

    Kapitel 2: „Afterglow" (Live), Genesis

    Kapitel 3: „School", Supertramp

    Kapitel 4: „Ne schöne Jrooß", BAP

    Kapitel 5: „Take the Long Way Home", Supertramp

    Erstes Jahr

    Kapitel 6: „Candle in the Wind", Elton John

    Kapitel 7: „Drive", The Cars

    Kapitel 8: „Meanings Will Change", Paul Stookey

    Kapitel 9: „You Were Always On My Mind", Elvis Presley

    Kapitel 10: „Happy New Year", ABBA

    Kapitel 11: „Sound of Silence", Simon & Garfunkel

    Kapitel 12: Lord is it Mine?, Supertramp

    Kapitel 13: „Ripples", Genesis

    Kapitel 14: „Don’t Let It Show", Alan Parsons Project

    Kapitel 15: „I’ll Be Over You", Toto

    Kapitel 16: „The Show Must Go On", Queen

    Kapitel 17: „Black Velvet", Alanah Myles

    Kapitel 18: „Imagine", John Lennon

    Kapitel 19: „Slipping Through My Fingers", ABBA

    Kapitel 20: „Halt mich", H. Grönemeyer

    Kapitel 21: „A Girl in Winter", Sky

    Kapitel 22: „The Rose", Bette Midler

    Kapitel 23: „Downstream", Supertramp

    Kapitel 24: „Against All Odds", Phil Collins

    Kapitel 25: „Maybe", Tom Pace

    Kapitel 26: „Symphonie 3, Satz 1", L.v.Beethoven

    Kapitel 27: „You Light Up My Life", Kasey Cisyk

    Kapitel 28: „Hotel California", Eagles

    Kapitel 29: „Moon River", Henry Mancini

    Kapitel 30: „Memories", Bryn Harworth

    Kapitel 31: „Your Song", Elton John

    Kapitel 32: „Don’t Leave Me Now", Supertramp

    Kapitel 33: „My Kind of Lady", Supertramp

    Kapitel 34: „Those Were The Days", Mary Hopkins

    Kapitel 35: „Ich denk, es war ein gutes Jahr", Reinhard Mey

    Kapitel 36: „Shout", Tears for Fears

    Kapitel 37: „Vielleicht", Mario Hene

    Kapitel 38: „Nothing Left To Lose", Alan Parsons Project

    Kapitel 39: „Who Wants To Live Forever", Queen

    Kapitel 40: „Englishman in New York", Sting

    Kapitel 41: „A Face in the Crowd", Tom Petty

    Kapitel 42: „Is it Okay?", Fame

    Kapitel 43: „I Feel Good", James Brown

    Kapitel 44: „Rosa", Pe Werner

    Kapitel 45: „Here Comes the Flood", Peter Gabriel

    Zweites Jahr

    Kapitel 46: „Bookends", Simon & Garfunkel

    Kapitel 47: „One Better Day", Madness

    Kapitel 48: „God Only Knows", Beach Boys

    Kapitel 49: „Here’s Where the Story Ends", The Sundays

    Kapitel 50: „Adaio Cheyenne", E. Moricone

    Kapitel 51: „Poor Boy", Supertramp

    Kapitel 52: „Me and I", ABBA

    Kapitel 53: „Empty Chairs", Don Mc Lean

    Kapitel 54: „Happy Xmas", John Lennon

    Kapitel 55: „As Times Go By", Dooley Wilson

    Kapitel 56: „Time After Time", Cindy Lauper

    Kapitel 57: „You Are so Beautiful", Joe Cocker

    Kapitel 58: „Ahn ner Leitplank", BAP

    Kapitel 59: „Why Don’t You Write Me?", Simon & Garfunkel

    Kapitel 60: „A winzig kleiner Tropfen Zeit", R. Fendrich

    Kapitel 61: „Three Little Birds", Bob Marley

    Kapitel 62: „Su ne Morje", BAP

    Kapitel 63: „Liz on Top of the World", J.Y. Thiebaudet

    Kapitel 64: „New Kid in Town", Eagles

    Kapitel 65: „Time in a Bottle", Jim Croce

    Kapitel 66: „The Boxer", Simon & Garfunkel

    Kapitel 67: „Do kanns zaubre", BAP

    Kapitel 68: „Here Today", Paul Mc Cartney

    Kapitel 69: „Hello", Lionell Richie

    Kapitel 70: „The Long and Winding Road", Beatles

    Kapitel 71: „The River", Bruce Springsteen

    Kapitel 72: „I’m on Fire", Bruce Springsteen

    Kapitel 73: „Blue", Black

    Kapitel 74: „Friends Will Be Friends", Queen

    Kapitel 75: „Badge", Eric Clapton

    Kapitel 76: „Sensitive Kind", J.J.Cale

    Kapitel 77: „American Pye", Don Mc Lean

    Kapitel 78: „Losing My Religion", R.E.M.

    Kapitel 79: „Too Good to Be True", Tom Petty

    Kapitel 80: „Mit 18", Marius Müller Westernhagen

    Kapitel 81: „Dancing in the Dark", Bruce Springsteen

    Kapitel 82: „Mad Not Mad", Madness

    Kapitel 83: „Somebody Who Cares", Paul Mc Cartney

    Kapitel 84: „Through the Barricades", Spandau Ballet

    Kapitel 85: „Thank You for Being a Friend", Andrew Gold

    Kapitel 86: „Tonight, Tonight", Genesis

    Kapitel 87: „If Everyone Was Listening", Supertramp

    Drittes Jahr

    Kapitel 88: „I’m No Hero", Cliff Richard

    Kapitel 89: „Firth of Fifth (Live)", Genesis

    Kapitel 90: „Every Breath You Take", Police

    Kapitel 91: „Caribbean Blue", Enya

    Kapitel 92: Dreamer, Supertramp

    Kapitel 93: „Eagle", ABBA

    Kapitel 94: „Undertow", Genesis

    Kapitel 95: „Help", Beatles

    Kapitel 96: „Still Got The Blues", Gary Moore

    Kapitel 97: „Brothers in Arms", Dire Straits

    Kapitel 98: „Cyrano (Finale)", Jean-Claude Petit

    Kapitel 99: „Mercey Street", Peter Gabriel

    Kapitel 100: „Watermark", Enya

    Kapitel 101: „Turn of a Friendly Card", Alan Parsons Project

    Kapitel 102: „Ein Leben lang", Mario Hene

    Kapitel 103: „One of These Nights", Eagles

    Kapitel 104: „If You Could Read My Mind" G. Lightfood

    Kapitel 105: „Strange Little Girl", Stranglers

    Kapitel 106: „Easy Does It", Supertramp

    Kapitel 107: „Money’s Too Tight To Mention", Simply Red

    Kapitel 108: „You’ve Got a Friend", Carole King

    Kapitel 109: „Don’t Get Me Wrong", Pretenders

    Kapitel 110: „Sunglasses at Night", Corey Heart

    Kapitel 111: „Isn’t Life Strange", Moody Blues

    Kapitel 112: „Advice For the Young at Heart ", Tears for Fears

    Kapitel 113: „Heaven Can Wait", Meat Loaf

    Schluss

    Kapitel 114 : „Karins Theme", Chinz

    P.S.

    Glossar

    Nachwort

    Prolog:

    Er saß auf der Terrasse, trank einen Schluck Chateau les Pins und wie so oft kam ihm ein genialer Gedanke, aus dem ein ganzes Buch werden könnte; aber wie auch so oft hatte er gerade nichts zum Schreiben dabei; und falls er doch etwas zum Schreiben hatte, dann wurde aus dem leichten, klaren Gedanken auf einmal schwere, komplizierte Arbeit.

    Sätze mussten ausformuliert werden, wörtliche Rede lag ihm nicht und wenn er wirklich gekämpft und etwas niedergeschrieben hatte, fiel plötzlich auf, dass der Gedanke nicht so genial war oder halt eben nur ein Gedanke, ein Gefühl - keine ganze Geschichte.

    Aber ... wenn er die vielen, nie aufgeschriebenen Gedanken und Ideen, all diese Bruchstücke noch einmal vor sich hätte; wenn er Schubladen im Kopf hätte, wo er sie sammeln und sortieren könnte - Ob sie dann eine Geschichte ergeben würden?

    Was geschieht mit all den vergessenen Gedanken?

    Gibt es im Kopf eine Sicherungskopie?

    Schweben sie irgendwo im Raum, bis jemand anderes sie denkt?

    Oder lösen sie sich auf? Wie der Chateau les Pins, der auf unerklärliche Weise schon wieder aus dem Glas verschwunden war ...

    Eine wirklich große Geschichte hat er erlebt. Aufgeschrieben hat er sie nicht.

    Er hat sie auch nie jemandem erzählt und so erscheint sie ihm inzwischen unwirklicher als viele, die er oft erzählt hat und die nie geschehen sind.

    Seit langer Zeit denkt er wieder an die Zeit mit Alzagra und Herrn Moning zurück, die ihm heute wie ein Traum vorkommt.

    In der Presse ist nie etwas Größeres, Zusammenhängendes berichtet worden, jedenfalls soweit er es verfolgt hat.

    Ist vielleicht gar nicht viel geschehen oder ist es vertuscht worden?

    Hat es womöglich außer ihm niemand mitbekommen?

    Das dürfte auch der Grund sein, warum er es nie erzählt hat. Es ist einfach zu peinlich:

    Er war eine Figur in einer großen Geschichte, hatte Einblick in eine wissenschaftliche Sensation und er hat es gar nicht richtig begriffen ...

    - 1 -

    „End Credits", Hans Zimmer

    Nichts.

    Völlige Leere in meinem Blick. Weltschmerz, Verzweiflung, all das spüre ich deutlich im ganzen Körper und ich spüre, wie es aus meinen Augen starrt.

    Ich habe das schon oft gesehen, auf Bildern, in Filmen.

    Während ich noch darüber nachdenke, welchem Filmstar ich gerade ähnlich sehe, bemerke ich irritiert, dass niemand etwas merkt.

    Schwester Erika delegiert wie immer alle Arbeit an mich, gönnt mir keine Pause, um meine Melodramatik so richtig auszuleben. Von ihr habe ich das auch nicht erwartet. Hat sie je etwas mitbekommen?

    Aber Agnes aus dem Kreislauflabor. Ein Mensch mit so viel Herzenswärme und Einfühlungsvermögen - Nichts! Sie hat es nicht bemerkt. Dabei hat sie mir doch ins Gesicht geschaut, hat mich angelächelt.

    Ich könnte ihr natürlich auch etwas sagen, mich erklären.

    Könnte ich?

    Ich kann es mir ja nicht mal selbst sagen. Ich habe dafür keine Worte.

    Aber wozu Worte, warum sprechen, wenn meine Augen schreien?!

    Oder doch nicht?

    Ich spüre es, aber ich weiß es nicht. Eigentlich glaube ich es mir nicht mal.

    Zum Spiegel im Stationszimmer zu gehen, traue ich mich nicht. Da habe ich zu oft mit IHR gestanden, hinter IHR, zwangsläufig eng an SIE geschmiegt, wenn ich die Hände vorne im Waschbecken gewaschen habe. Nie hat mir jemand so wunderbar im Weg gestanden!

    Ich weiß nicht, ob ich mir jemals wieder die Hände waschen kann. Das ist allerdings nicht das, was mich wirklich trifft.

    In einer Endlosschleife läuft die Filmmusik aus Rainman in meinem Kopf. Ich hatte die Platte heute Morgen aufgelegt und hörte gerade End Credits, als ich IHREN Brief las. Ich weiß nicht, ob jemals wieder eine andere Musik in meinem Kopf erklingen wird.

    Nun gut, es hätte schlimmere Stücke geben können.

    Ich kann mich an keine längere Phase in meinem Leben erinnern, in der ich nicht ständig Musik gehört habe. Manchmal laut und bestimmend, meistens als Hintergrundmusik; immer in meinem Kopf, ein musikalisch anspruchsvoller Tinnitus sozusagen.

    Auf die Musikauswahl hatte ich selten Einfluss. Nur manchmal, wenn ich von außen über Boxen oder Kopfhörer ein Lied hörte, schwenkte auch meine innere Musik um.

    Nun also: Für immer End Credits. Für immer am Bahnhof stehend, dem Zug mit IHR hinterher starrend, IHREN Brief in der Hand wie Bogart in Casablanca.

    Ich weiß nicht mehr, was bei ihm stand, bei mir steht:

    Ich mag Dich ja gern, aber wie Du Dir auch schon mal überlegt haben solltest, ist unsere Beziehung so langsam lächerlich ... Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass ich jemand anderen kennengelernt habe ... Das heißt ja nicht, dass wir nichts mehr miteinander zu tun haben können ...

    Ich stehe und starre dem Zug nach. Die Bahnhofsmission ist geschlossen. Die Schaffnerin tippt mich an:

    „Wird das jetzt bald mal was mit dem Essen verteilen?!"

    Blöde Kuh!

    Ja, es wird. Ja, ich funktioniere. Was soll ich sonst tun?

    Auch von den Patienten bemerkt keiner was. Sie schauen erst mich an, dann das Abendessen. Einige interessieren sich wenigstens für das Essen.

    Es ist der 8.4.1989. Der letzte Tag meines Zivildienstes auf Station 223 im Merheimer Krankenhaus. Nicht nur mein Zivildienst endet heute.

    Vor genau zwei Monaten habe ich SIE das erste Mal gesehen. SIE kam von links in mein Leben; hier im Stationszimmer.

    „Hallo, ich bin Rea, die neue Praktikantin. Mache hier die Ausbildung zur MTA."

    Ich nicke wissend, ohne einen Schimmer, was MTA ist.

    Mega Toller Anblick wäre naheliegend gewesen, ist mir damals aber noch nicht eingefallen.

    Zwei Wochen später dann, mit knapp einundzwanzig Jahren, endlich die erste Freundin und der erste Kuss ...

    ... und nun schon der erste Abschiedsbrief.

    Ich bin sonst in den meisten Dingen eher langsam.

    Um halb zehn gehe ich zu Fuß nach Hause. Zwölf Kilometer von Merheim bis in den Buchenkamp. Leichter Nieselregen, End Credits.

    Die passende Musik habe ich gefunden. Irgendwann werden auch die Worte kommen.

    - 2 -

    „Afterglow" (Live), Genesis

    „Afterglow"

    Wie ein Blatt, das vom Baum fällt, muss ich eine neue Heimat suchen ...

    Es ist viel Platz auf dem Waldboden:

    Ich kann mich treten lassen und damit anderer Leute Tritt abfedern,

    ... ich kann mich unauffällig in der Masse der bunten Blätter verstecken,

    ... ich kann mich auf einen Bach fallen lassen und durch die Welt treiben, hier und da hängenbleiben,

    ... vielleicht kann ich als Teil eines Nestes oder Baues dienen,

    ... oder ich falle ins Feuer und rieche für einen Moment würzig,

    ... vielleicht werde ich glitschig, dass man auf mir ausrutscht,

    ... vielleicht werde ich getrocknet und Teil eines Kunstwerks.

    Mir ist es egal. Ich werde nie mehr das sein, wofür ich eigentlich bestimmt war,

    was mein Name ist,

    was meine einzige Sehnsucht ist:

    Ein Blatt an meinem Baum sein!

    Beim Schreiben hatte ich es nicht bemerkt. Das waren die Worte, die ich gesucht hatte. Auf einen kleinen karierten Zettel geschmiert, zerknittert, wahrscheinlich achtlos in den Mantel gesteckt. Nur Zufall, dass ich ihn noch nicht weggeschmissen habe.

    Erst Monate später, als ich meine Zettel durchwühle, weil Karin mich gefragt hat, ob ich noch mehr Sachen geschrieben habe, finde ich Afterglow wieder.

    Wenn ich es mit Schreibmaschine getippt hätte, würde ich jetzt nicht glauben, dass das von mir ist. Aber es ist tatsächlich meine Handschrift. Und dann fällt mir auch wieder der Abend im Zarahs ein. Nein. Der Abend nicht. Ich weiß nicht mehr, ob ich alleine dort saß, ob meine damalige Lieblingsbedienung Martina da war.

    Ich weiß mich nur an einem Holztisch sitzend, ein kleines Kölsch vor mir, in der Kneipe läuft irgendeine Musik, in meinem Kopf läuft Afterglow von Genesis und ich schreibe diesen Zettel voll.

    Keine Erinnerung, ob ich es am Ende noch mal durchgelesen habe. Ob ich damals wenigstens schon ahnte, dass ich die Worte gefunden habe. Nach all den völlig gescheiterten Versuchen, nach all dem wortlosen Starren.

    Jetzt lese ich sie, anfangs nur froh, noch etwas zum Vorlesen für Karin zu haben. Dann noch mal lesend und langsam begreife ich:

    Da stehen wir. Ich konnte es schreiben. Jetzt bin ich frei. Endlich kann Neues beginnen. Vielleicht ja sogar mit Karin?

    Ich nehme die Zettel und gehe in die siebte Etage. Kurz vor Karins Tür bleibe ich stehen. Nein. Jetzt nicht. Jetzt diesen Moment auskosten. So nah, so innig war ich lange nicht mit mir.

    Die letzten Monate habe ich mich nur um mich selbst gedreht, habe gegrübelt, gestarrt, geschrieben, geweint, in meinem Inneren gewühlt. Und doch, erst jetzt, wo ich befreit bin, fühle ich mich mir selbst wieder nah.

    Es braucht Abstand, um sich nah zu sein.

    Ich gehe aufs Dach. Zwölfter Stock des Personalwohnheims. Hier stehe ich oft und starre über Köln; immer Richtung Norden.

    Afterglow läuft, gefolgt von End Credits und dann kommt sehr überraschend für mich: One Better Day von Madness.

    Endlich wieder Abwechslung in der Musikauswahl! Die letzten Monate bestanden aus End Credits und noch einigen, nicht von mir ausgesuchten, dramatischen Liedern. Adagio for Strings an den ganz schlimmen Tagen.

    Mitten im Saxophonsolo von One Better Day quietscht die Tür zum Treppenhaus. Och nö! Wer stört?!

    Karin kommt auch aufs Dach. Über jeden anderen hätte ich mich jetzt geärgert.

    Sie stellt sich neben mich. Sie sagt kein Wort. Auch sie starrt.

    Ich weiß nichts über andere. Gibt es noch mehr Menschen, die dauernd Musik hören? Ich glaube es nicht. Es hat keiner Andeutungen gemacht. Aber ... Ich habe auch noch nie zu jemandem davon gesprochen.

    Wir starren.

    Sie stört überhaupt nicht. Viele schöne Erinnerungen mit ihr werden dazu kommen und doch ist dieser Moment einer der schönsten: Sie stört nicht.

    „Du bist seit Langem der erste Mensch, der mir nicht auf die Nerven geht." Mein liebstes Filmzitat. (Die Reifeprüfung)

    Für einen unvergesslichen Moment braucht es manchmal nichts Besonderes, nichts Großes; nur das Fehlen des erwarteten Negativen.

    - 3 -

    „School", Supertramp

    Es tut mir leid, wenn ich eben ein bisschen vorgeprescht bin. Ich bin das erste Mal ein allwissender Erzähler. Meine Deutschlehrerin hat sich viel Mühe gegeben, zu erklären, was der allwissende Erzähler macht und was nicht; und in der Zeit hin und her springen gehört nicht zu seinen besseren Eigenschaften. Also:

    Seit Herbst 1989 wohne ich im Personalwohnheim des Evangelischen Krankenhauses in Köln, wo ich zum Krankenpfleger ausgebildet werde.

    An die ersten Wochen kaum Erinnerungen. Kein Gefühl von Heimat, auch kein Gefühl von Fremde. Vom Unterricht nur gestreift. Meine Musik ist meist lauter.

    Etwas wohler fühle ich mich ab der fünften Woche, nachdem ich den frei zugänglichen Flügel im Speisesaal entdeckt habe und wenig später auch die Dachterrasse in der zwölften Etage, mit einem tollen Ausblick über Köln.

    Wie schon in der Schule entwickele ich mich schnell zum Klassenclown. Es gibt aber auch wirklich einiges, was man nur mit Humor oder Alkohol ertragen kann in dieser Ausbildung.

    Zum Beispiel Ernährungslehre bei Schwester Irmtraud:

    In der schriftlichen Arbeit wird es mir nach zehn Minuten zu bunt. Ich schreibe bei jeder noch übrigen Frage Blumenkohl als Antwort hin und gebe nach zwölf Minuten ab.

    Blumenkohl war bei zwei Fragen sogar richtig.

    Ich bekomme noch eine 4-.

    Das war schon wieder später. Aber wohl meine berühmteste Aktion.

    Also, heute stand Sprache und Schrifttum auf dem Stundenplan und gestern Abend war mir eingefallen, dass ich die Hausaufgaben, nämlich einen objektiven Beobachtungsbericht über einen Patienten schreiben, noch nicht gemacht hatte. Ich hatte in diesem Moment allerdings schon meinen Mantel an und war im Begriff ins Zarahs zu gehen. Der einzigen Kneipe in der Gegend, die ich schon vor der Ausbildung kannte und mein erster kleiner Zufluchtsort in dieser fremden Welt mitten in Köln.

    Kurzentschlossen packe ich mein Arbeitsheft und einen Stift ein und gehe in die Kyffhäuser Straße.

    Nur eine Hausaufgabe, an einem ungewöhnlichen Ort erstellt, aber sie sollte mein Leben verändern.

    - 4 -

    „Ne schöne Jrooß", BAP

    Beobachtungsbericht

    Am Dienstag den 21.11.89 um 19³⁰ verließ ich meinen Zweitwohnsitz im Weyertaler Personalwohnheim und ging zu meiner wöchentlichen Bierkur ins „Zarahs", einer Kneipe in der Kyffhäuser Straße.

    Die Kneipe hat acht gemütliche Holztische, alle mit freiem Blick auf die Theke, ein Kickerspiel, ausgesprochen angenehme Musik und Fenster auf die Straße, die sich gut zur Beobachtung zukünftiger Patienten eignen.

    Jetzt, um 1945, sitze ich mit einem großen Gereons-Kölsch an einem dieser Tische; die anderen noch alle leer, nur der Kicker und die Theke sind schon teilweise besetzt.

    Als Musik läuft „Cocain" von J.J.Cale, der große Dicke gewinnt beim Kicker, die Schwester, äh, Bedienung (Martina) spielt mit zwei Thekensitzern Backgammon und mein Bier ist alle.

    Der erste Patient in spe steht vor dem Fenster und studiert die Wohnungsanzeige, die dort hängt. Er trägt einen grauen Mantel, hat eine sehr kleine Nase, lange fettige Haare, ist ca. 30 Jahre alt, heißt wahrscheinlich Hugo und schaut mich blöde an. Ich schaue zurück.

    Da kommt mein Bier.

    Als ich wieder aufblicke, ist Hugo bereits gegangen.

    Aber ich gleite ins Subjektive ab.

    Weitere Beobachtungen: Das Kölsch ist kalt, meine Füße sind warm, die Bedienung ist ca. 170 cm groß, blond, große Augen und ein nettes Gesicht, super Figur und lässig gekleidet. Ich werde ab jetzt nur noch kleine Kölsch bestellen, damit sie öfter vorbeikommt.

    Scheiße, schon wieder subjektiv! Noch ein Versuch:

    Zur Abfüllung des gebundenen Alkohols (C2H5OH) in meinen Magen hebe ich die linke Hand, umfasse fest das große Glas mit dem gelblich-goldenen Inhalt und führe es zum Mund. Durch Heben des Glases, an dem dem Mund entgegengesetzten Ende, fließt die prickelnde Flüssigkeit aufgrund der Schwerkraft und dem Gesetz der kommunizierenden Röhren in Richtung meines geöffneten Mundes.

    Nachdem genügend Flüssigkeit im Mund gelagert ist, gibt mein Kleinhirn (cerebellum) den Befehl zum Schlucken.

    Die Flüssigkeit durchfließt Mundhöhle, Rachen (Pharynx), Speiseröhre (Ösophagus), um dann im Magen zu landen, wo sie gerecht auf Blutbahn, Niere und Leber verteilt wird.

    Die linke Hand ist währenddessen längst auf ihren Platz auf dem Tisch zurückgelangt.

    Etwa zwei Meter vor mir auf dem Fensterbrett steht eine unvollständige Weihnachtskrippe, die ich in einem subjektiven Bericht als äußerst störend erwähnen würde.

    Martina ist mal wieder da und bringt mir ein neues Bier. In einem subjektiven Bericht würde ich sie als äußerst ... Nun gut, es ist ja leider kein subjektiver Bericht. Bleiben wir also bei den Tatsachen:

    Der ca. 25-jährige Mann, der da vor dem Fenster auf und ab geht, hat dickes, gelocktes, schwarzes Haar, ein weißes Hemd, schwarze, gebügelte Hosen, zum Glück keinen Schlips. Er wirkt leicht desorientiert und murmelt dauernd vor sich hin.

    Ich tippe auf retrograde Amnesie, aber Tipps gehören auch nicht in einen Bericht. Also:

    - Kurze Anamnese des hier Sitzenden:

    Der 21-jährige Chris H. ist in einem guten Allgemeinzustand, bezeichnet sich allerdings selbst als leicht desillusioniert. Seine Angaben über ein gebrochenes Herz konnten durch kardiologische Untersuchungen nicht bestätigt werden.

    - Bericht über eine kardiologische Untersuchung:

    Beim Linksherzkatheter wird ein Katheterrohr in die linke Herzkammer geschoben, mit dem Drücke im Herzinneren gemessen werden können.

    Der Patient muss am Tag der Untersuchung nüchtern bleiben, normale Blutgerinnungswerte vorweisen und sollte einen leicht erhöhten Kaliumgehalt im Blut haben, da dadurch Herzrhythmusstörungen vermieden werden können.

    Der Katheter wird in der rechten Leiste eingeführt und durch die Arterie bis in die linke Herzkammer geschoben.

    Durch die nun messbaren Drücke im Herzinneren lassen sich durchgemachte Herzinfarkte, Verschlüsse und Verengungen in den Herzkranzgefäßen (RCX, RCA, Riva, Rea), Herzschwäche, sowie arterielle Hyper-, bzw. Hypotonie feststellen.

    Um das bei der Untersuchung verwendete Kontrastmittel aus dem Blut zu spülen, muss der Patient viel trinken. Dafür bekommt er gewöhnlich Tee, nur auf Privatstation eventuell auch mal ein Bier, womit wir endlich wieder beim Thema wären:

    Die Kneipe hat sich gefüllt, mein Bierglas auch schon mehrere Male.

    Fünf Tische sind besetzt.

    Am linken Nebentisch spielen drei Herren Skat. Wenn der direkt neben mir mit dem Blatt nicht gewinnt, deutet das auf eine Arteriosklerose im Gehirn hin, oder er hat auch zu viel C 2H5OH im Blut.

    Alkohol erschwert das objektive Beobachten. Ich merke, wie ich langsam sentimental werde. Die Musik trägt ihren Teil dazu bei: Eben direkt hintereinander: „That Was Yesterday (Foreigner) und „Still Loving You (Scorpions).

    Die Musik, die jetzt läuft, kenne ich nicht, ist aber sehr gut!

    Ach, es gibt so viel gute Musik, die ich noch nie gehört habe,

    so viele liebe Menschen, die ich nie kennenlernen werde,

    so viel kaltes Bier, das ich noch nicht getrunken habe!

    - Kurzer Entlassungsbericht:

    Drei Tische weiter wurde ein junges Paar entlassen.

    Während des einstündigen ambulanten Aufenthaltes in der Kneipe wurden ihnen jeweils zwei Kölsch verabreicht. Die Patienten sprachen jedoch nicht offensichtlich auf die Medizin an, sondern verließen das Sanatorium, wie sie gekommen waren:

    Korrekt gekleidet und nach Leben suchend.

    Es ist jetzt 21³⁰ Uhr, ich habe über zwei Liter Gereons-Kölsch (C2H5OH-Gehalt 5 %) intus und beginne mich zu fragen, was Sprache und Schrifttum mit Krankenpflege zu tun hat.

    Aber das ist nicht die einzige Frage, die mich beunruhigt:

    - Werden die Leute in der DDR mehr von Demokratie verstehen als wir?

    - Wird der Typ neben mir mit dem Blatt höher als 20 reizen?

    - Hat der FC mit dieser Mannschaft überhaupt Chancen auf die Meisterschaft?!

    - Wann kommt endlich mein nächstes Bier?!?

    Tausend Fragen und noch mehr Antworten schwirren durch meinen Kopf und mir ist leicht schwindelig.

    Es ist langsam indiziert zu gehen.

    Die Bedienung (Martina), die sich so rührend um mein Bierglas bemüht hat, hätte ein Trinkgeld verdient, das ich leider nicht aufbringen kann. Ich werde eine Kerze für sie im Dom aufstellen.

    Was ich sonst noch über sie denke (Mir fällt z.B. spontan die aktuelle Plakataktion „Ich will ein Kind!" ein) eignet sich nicht für einen objektiven Beobachtungsbericht.

    Ich werde es in dem Buch „Ich, der Held - Teil 2" veröffentlichen.

    Bis denn

    Ne schöne Jrooß

    Martina bringt mir noch ein Kölsch. Ich wollte schon nicht mehr, habe aber vergessen, den Deckel aufs letzte Glas zu tun.

    Ob ich ihr das Geschriebene vorlesen soll?

    Große Lust, es jemandem vorzulesen. Ich habe mich gerade beim Durchlesen köstlich amüsiert. Jedenfalls soweit ich meine Sauklaue entziffern konnte.

    Gerne hätte ich es der Rothaarigen vom Nebentisch vorgelesen, die mich öfter interessiert ansah und wahrscheinlich dachte, ich schreibe Weltliteratur. Sollte ich öfter machen. Vielleicht quatscht mich mal eine an. Ich schaffe das ja nie. Was soll ich auch sagen?

    „Hallo. Sie brauchen nicht hoffnungsvoll zu gucken. Ich schreib hier nur Unfug."

    Leider ist die Rothaarige schon vor zehn Minuten gegangen und hat nicht gefragt.

    Der Heimweg beschwingt.

    Bei Heike brennt kein Licht, gehe ich also zu Karin. Noch größerer Erfolg als bei mir selber. Große braune Augen strahlen mich an:

    „Das musst du morgen vorlesen! Bitte, Chris!"

    Am nächsten Morgen lässt sie Herrn Mohaupt kaum Zeit seine Frage „Wer möchte vorlesen?" fertig auszusprechen:

    „Der Chris muss vorlesen!!!"

    Das ist mir nicht unangenehm.

    Und es wird auch bei diesem Publikum ein großer Erfolg. Herr Mohaupt macht noch ein paar Bemerkungen darüber, wie ein Beobachtungsbericht eigentlich aussehen soll, wird aber nicht mehr ganz ernst genommen. Diese Stunde gehört eindeutig mir.

    We are the Champions wäre jetzt angebracht. Mein persönlicher DJ hat sich aber für Ha ha said the Clown entschieden.

    In der Pause fragt mich Karin dann, ob ich noch mehr habe, was ich ihr vorlesen könnte.

    Ich schaue in mein Zimmer. Unzählige Zettel fliegen rum.

    Oft habe ich zwischendurch etwas aufgeschrieben. Wenig ist gelungen. Nichts hat geholfen.

    Gut, dass ich zuerst selber lese. Einiges kann man wirklich niemandem zumuten. Das Meiste ist einfach so, wie es mir seit Monaten geht: schlecht. Zum Beispiel:

    Eins von vielen Scheißgedichten"

    Ich wüsste nicht, was ich Dir noch sagen kann,

    aber ich habe das Bedürfnis, Dir etwas zu sagen.

    Es ist von ungeheurer Bedeutung,

    aber ich finde keine Worte dafür.

    Alles, was ich sagen könnte,

    scheint immer zielgerichtet, auf etwas abzielend.

    Aber ich kenne das Ziel nicht.

    Ich rede einfach ins Grüne. (In die grüne Sonne)

    Du siehst, es kommt nur Scheiße raus,

    wenn ich es versuche.

    Ich wollte Dir nur sagen: DU.

    und dass ich das Bedürfnis habe.

    Ich weiß schon, was Du sagst:

    „Vergiss es!"

    Ich glaube, Du hast recht.

    Also: Scheiß drauf! - Wodrauf eigentlich?!

    Nun, immerhin die Überschrift hat es getroffen.

    Aber da muss doch noch mehr sein!

    Ich habe jedenfalls schon oft Schöneres, Lesbareres gedacht. Habe ich es auch aufgeschrieben? Ich kann mich nicht erinnern.

    Ich muss mehr schreiben!

    Ab jetzt jeden Abend, an dem Martina bedient, ins Zarahs und Berichte schreiben. Vielleicht ist ja auch die Rothaarige wieder da.

    Noch ein zerknitterter Zettel. Auch aus dem Zarahs.

    Afterglow? Sofort wechselt die Musik in mir.

    I miss You more ...

    Ich bin froh um alles Vorlesbare, was ich finde, froh um jeden Vorwand, bei Karin vorbeigehen zu dürfen. Ich könnte ihr stundenlang vorlesen, wenn ich denn so viel hätte.

    Ich muss dringend mehr schreiben!

    Am besten noch andere Kneipen, andere Bedienungen finden, wo ich schreiben kann. Einmal die Woche reicht nicht, bei allem, was noch in mir ist.

    - 5 -

    „Take the Long Way Home", Supertramp

    Um halb acht stehe ich mit Paul vor dem Kyffhäuser Keller, Hausnummer 47 in der Kyffhäuser Straße. Der macht aber erst um acht Uhr auf.

    Das macht die Sache jetzt unnötig kompliziert. Wir wollten eigentlich schön der Reihe nach in jeder Kneipe dieser Straße und Umgebung ein Kölsch trinken.

    Pauls Idee, nachdem ich mich darüber beklagt habe, dass Martina nur einmal in der Woche im Zarahs ist und ich sonst keine vergleichbare Bedienung kenne.

    Er fand es zwar unsinnig, eine Kneipe nach der Bedienung auszusuchen, aber das macht einen Freund aus:

    Ich verstehe dich nicht, aber ich helfe dir.

    Also: Blick durchs Fenster: Sieht gemütlich aus, müssen wir nachher unbedingt noch hin! Ich glaube, Paul nimmt mich nicht ernst, als ich schnuppere und murmle:

    „Riecht irgendwie nach guter Bedienung."

    Ich nehme mich übrigens auch nur selten ernst.

    Vor Zarahs stehend sind wir etwas unschlüssig: Hier waren wir doch schon dreißig Mal! Was soll's? Die kleine Kölsch-Stange ist sowieso in zwei Minuten leer. Wir grüßen die uns bekannte Theke, trinken aus und ziehen weiter.

    Im Blue Shell ist das Kölsch so warm, die Bedienung so kalt und die Musik so schwül, dass selbst Paul einsieht, dass es nicht nur auf die gesicherte Alkoholzufuhr ankommt.

    Ich liebe diese Abende mit Paul. Anfangs noch tiefphilosophische und tiefenpsychologische Gespräche, die langsam verebben, bis endlich nur noch die eine, die große, die ewig ungelöste Frage im Raum steht:

    „Warum?"

    Ab dann nur noch einzelne Gesprächsfetzen, Lästern über den FC oder Frauen, hauptsächlich aber resigniertes gemeinsames Schweigen und Trinken.

    Wenn wir irgendwann doch eine Antwort auf diese Frage finden würden - Wir wären enttäuscht. Etwas Festes braucht man im Leben und sei es nur eine ungelöste Frage.

    Es ist bereits nach zehn Uhr, als wir mit je 1,8l Kölsch intus, noch relativ aufrecht, in den Kyffhäuser Keller wanken.

    Wie vorhin, beim Blick durchs Fenster, zu erahnen war, ist es recht düster hier, aber gemütlich.

    Auf beiden Seiten der Theke dunkle Holztische mit Bänken und ansonsten große Fässer mit Kerzen darauf. Wir stellen uns an ein Fass rechts von der Eingangstür.

    Die Beleuchtung ist so gut versteckt, dass der ganze Raum nur von Kerzen beschienen erscheint und von einem hellen Strahl hinter der Theke:

    Die blonde Bedienung ist die mit Abstand hübscheste heute Abend.

    Das Bier bringt uns allerdings die Dunkelhaarige. Kurze, wilde, dichte, braune Haare und wache, schelmische braune Augen. Eine kräftige Stimme, überhaupt ein stabiles Erscheinungsbild. Wenn sie dann direkt vor uns steht: Stabil nicht im Sinne von dick. Nein, sie ist schlank, aber halt stabil, wie ein Küstenbewohner:

    Aufrechter Gang, auch bei stürmischem Wind.

    Nicht die Hübscheste, aber die ...

    ... die ...

    Nicht wirklich ein unangenehmes Gefühl, kein Adjektiv für sie zu finden.

    In diesem Moment noch die Überzeugung: Wenn ich wollte, könnte ich Worte finden, aber das ist ja heute Abend nicht die Aufgabenstellung.

    Ich würde gerne noch ein Kölsch von ihr bekommen, aber Paul drängt weiter. Wir sind schließlich nicht zum Vergnügen hier!

    Ich schinde noch ein bisschen Zeit und tue so, als müsste ich zur Toilette. Nach freundlicher Wegweisung durch die Blonde gehe ich in den Keller. Hier noch mehr Kerzen, gemütliche Nischen. Das reinste Kuschel- und Träumeparadies. Das sollte ich mir irgendwann noch mal mit jemand anderem als Paul anschauen.

    Bin dezent enttäuscht, als in der Toilette dann keine Kerzen stehen.

    Eine türkische Pizza am Imbiss, um unsere Grundlage wieder zu festigen und weiter geht es zur Filmdose und von dort

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