Mandalay und Monaco
Von Ines Mandeau
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Über dieses E-Book
Auf den ersten Blick nicht viel. Gut, beide sind moderne Frauen Ende vierzig, beruflich etabliert, ledig und kinderlos, ansonsten aber könnten sie verschiedener nicht sein: Die eine ist ein Wirbelwind, reist und sportelt exzessiv, und flirtet für ihr Leben gern; die andere tut brav ihren Bürojob, scheut indessen jeglichen Trubel und hockt lieber in ihrer Wohnung mit Büchern, Wein und Zigaretten. Dem Anschein nach läuft alles in geregelten Bahnen, doch eines Tages wird ein an sich harmloses Geburtstagsfest zur Nagelprobe für die zwei Singlefrauen.
Cilli stellt sich zwar dem großfamiliären Ereignis und versucht, sich in ihrer fremd gewordenen bergbäuerlichen Herkunftsumgebung zurechtzufinden, scheitert aber letztlich an der Begegnung mit ihrem Vater, einem egomanen Patriarchen. Tochter Cilli sieht rot und flüchtet nach Mandalay.
Ursela hingegen zieht sich am Festtag in ihre Klause zurück, wird mit einem wunderlichen Wohnungsnachbarn konfrontiert und muss obendrein einen unerwarteten Besuch verkraften. Sie kämpft sich durch eine wilde Nacht und findet – vielleicht – ein neues Glück in Monaco.
Die biedere Ursela und die forsche Cilli: Sind sie am Ende doch aus gleichem Holz geschnitzt?
– Zwei kurz gefasste Geschichten über die fragwürdige Kunst, familiäre Beziehungskonflikte unter den Tisch zu kehren.
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Buchvorschau
Mandalay und Monaco - Ines Mandeau
1 Bald bin ich in Mandalay
Jeder erlebt schließlich nur einen Konflikt im Leben,
der sich immer nur anders vermummt
und anderswo heraustritt.
Rainer Maria Rilke
Schwimmen
Fertig.
Ich schließe alle offenen Dateien und melde mich vom Firmennetzwerk ab. Da vibriert mein Handy, das griffbereit neben der Computertastatur liegt, und zeigt auf dem Display an: Emmerich calling – na bravo! Dieser Feigling! Ich atme langsam ein, bis meine Bauchdecke spannt, und lasse dann die Luft zwischen den gespitzten Lippen ausströmen, ebenso langsam, damit jene paar Sekunden gewonnen sind, die meine Stimme braucht, um zweifelsohne sachlich zu klingen: „Planck."
„Hey du, hey, ich bin’s. Wie geht es dir?"
Sehr originell. Fällt ihm nach der komischen Funkstille nichts Besseres ein als diese ausgelutschte Allerweltsansage?
„Gut, bestens. Heute ist mein letzter Arbeitstag. Ab Montag bin ich im Urlaub. Vielleicht erinnerst du dich ja an mein Reiseprogramm."
„Klar. Ich vergesse nie was. Du fährst weg und deshalb rufe ich an. Sag, können wir uns vor deinem Abflug sehen? Morgen ab sechs, okay? Ich habe dienstfrei im Betrieb und auch sonst ist alles im grünen Bereich – er redet hastig und verhaspelt sich beinahe, keine Sorge Richi, ich lege schon nicht auf – „und ich dachte, wir zwei zusammen sollten mal wieder eine Trainingseinheit hinblättern? Wie wär’s mit einer knackigen Nummer draußen im Mallsee?
„Why not?", entgegne ich cool und überschlage in Gedanken meinen Zeitplan. Um fünf Uhr muss ich am Bahnhof sein, das ist in knapp drei Stunden und demnach ginge sich eine Runde Schwimmen problemlos aus, allerdings müsste ich jetzt gleich losziehen. Genau, das mache ich. Wozu soll ich den Nachmittag hier im Büro absitzen? Die laufenden Projekte sind abgearbeitet und die Vertretung für die kommenden zwei Wochen meiner Abwesenheit ist eingewiesen. Ich kann meinen Urlaub reinen Gewissens ein bisschen verfrüht antreten und, falls sich jemand aufregt, auf meine flexiblen Arbeitszeiten pochen.
Well then, Ma’am Planck, you officer soon-to-be: Abmarsch zum Mallsee und Schwimmtraining mit Richi, einem meiner Kollegen aus dem Sportverein. Damit der Knabe sich nicht allzu glücklich schätzt, sein Date mit mir ohne Hürde und Hemmnis auf Anhieb ergattert zu haben, stelle ich ihn vor eine ultimative Alternative: „Aber es geht nur jetzt sofort, oder gar nicht." Kriegt er das hin?
„Klar, sofort. Ready to go. Kanone bereit für den Startschuss."
Hoppla, das war ja tatsächlich ein Anflug von Originalität. Trotzdem, doofer Spruch. Mein Sportsfreund ist ein wenig befangen, wie mir scheint. Ich gebe die Geschäftige und sage an: „Ich hole mein Schwimmzeug aus der Wohnung und bin spätestens um drei Uhr am See. Wir treffen uns vor dem Holzsteg bei der Trauerweide, alles roger?" Ich bin es, die hier die Pistole ansetzt; die Kanone, die Knarre, die Puffn, you name it. Mein Buddy soll sich nach mir richten und nicht immer bloß seiner Familie nachspringen. Der gute Mann ist verheiratet, miserabel verheiratet, wie er mir gegenüber beteuert, und er hat zwei kleine Kinder, Schreihälse, meint er, und er nennt diese häuslichen Verhältnisse „mein Hobby", was ich nicht verstehe: Meine Familie ist mein Hobby? Etwa ungefähr wie: Triathlon ist mein Hobby? Woran misst mein Kumpel das, etwa am Zeiteinsatz? Er und manch anderer Athlet aus unserem Verein absolvieren ein Training von wöchentlich mindestens zehn, teils mehrstündigen Einheiten neben einem Fulltime-Job und zwischen den Kind und Kegel-Kisten. Dennoch ist keiner von denen ein Profiwettkämpfer. Wir sporteln zum Vergnügen und jobben für Moneten, oder? Ziemlich verzwickte Konstellationen, aber wie dem auch sei, heute läuft die gewöhnlich komplizierte Terminkoordination mit meiner Zuckerschnute Richi so glatt wie Honig aufs Butterbrot schmieren.
„Drei Uhr, okay, alles roger!, sagt er und fügt mit schmelzendem Timbre hinzu: „Ich liebe es, wie flott du bist!
Nun ist der alte Süßholzraspler hörbar in Form.
„Na dann, raff dich hurtig, and see you soon, Rocket!"
Irgendwie bin ich erleichtert. Nicht, dass es mir etwas ausgemacht hätte, ohne Nachricht von Richi in die Ferien abzurauschen, doch unser merkwürdiges Auseinandergehen neulich und das anschließende Schweigen im Walde hängen mir nach, obwohl ich die Angelegenheit mit dem Etikett forget it versehen und in eine unzugängliche hintere Ecke meines Oberstübchens abgeschoben habe. Ich behaupte, es lohnt sich nicht, Beziehungsproblematiken breitzuwalzen und wiederzukäuen oder gar, Schreck aller Schrecken, auszudiskutieren. Davon konnte ich nie profitieren und ich habe auch heute nicht die Absicht, Richi darauf anzusprechen, warum er, ohne mir ein Wort davon zu sagen, am Triathlonbewerb in Monte-Carlo teilgenommen hat. Normalerweise nämlich informieren wir uns gegenseitig über die jeweiligen Anmeldungen zu den Wettkämpfen.
Eigentlich hätte ich ihn vorhin „wie du mir, so ich dir im Regen stehen lassen können – „Sorry Richi, ich muss los, ruf mich in zwei Wochen an
–, doch ich will nicht nachtragend sein und beschränke mich darauf, Revanchegelüste auf dem sportlichen Feld auszufechten und besser gegen Richis Kampfzeiten anzutreten als an seinen Charakterschwächen herumzudoktern. Leider sind meine athletischen Leistungen nicht so stark wie seine, was indessen keine Schande ist, denn Rocket, wie sein clubinterner Name lautet, zündet in den Spitzenrängen der Klasse Elite 2, zu der ich nicht gehöre; und selbst wenn ich in dieser Liga mitmischte, ich käme wegen meines Geschlechtes nie an Richis Bestzeiten heran. Männer sind schneller als Frauen. Unfair, aber wahr.
Freundinnen flüsterten mir ungefragt, unser siegverwöhnter Strahleheld sei bei seinem Tri-Abenteuer in Monaco formidabel eingeknickt, er habe elend versagt und schäme sich derartig, dass er seither den Vereinsaktivitäten ferngeblieben sei. Vermutlich trainiere er geheim und im Alleingang; Sicheres wisse man nicht.
Es ist nicht das erste Mal, dass Richi, der King unter uns Adrenalinjunkies, eine Zeitlang abtaucht, ohne seine Gründe dafür preiszugeben; eine halbseidene Aktion, finde ich, die wilde Spekulationen schürt über Motive und Konflikte und dergleichen Psychohaarespaltereien. Man munkelt und mutmaßt und kommt zu keinem Ergebnis, warum jemand so und nicht anders handelt. Ich halte mich raus und habe Richi nach seinem Verschwinden auch nicht angerufen. Und nun ist er wieder da, ausgerechnet vor meinem Abflug in die metropolitane Fremde. Na, herrlich.
Ein letzter prüfender Blick auf meinen Arbeitstisch: Alles ist erledigt, alles aufgeräumt und ich spüre kein Bedauern, eine Weile nicht in dieser schwülen Schreibstube zu sitzen. Eher schmerzt mich meine Abmeldung vom Sanitäterdienst in der Rotkreuz-Dienststelle, wo ich ehrenamtlich tätig bin und so etwas wie eine Heimat gefunden habe. Ihr kehre ich für einen reinen Spaßurlaub den Rücken und das macht mir ein klein wenig zu schaffen, doch ich werde bald wieder da sein, versprochen.
Die Kollegen im Büro sind rasch verabschiedet. Ich flitze mit dem Rennrad los Richtung Mini-Downtown zu meiner Wohnung, ziehe mich dort um, packe den Neoprenanzug in meinen Rucksack und bin hundert Schnaufer später auf dem Rad stadtauswärts nach Osten unterwegs. Die verknäulten Gassen und Straßen zwischen Zentrum und Mallsee kenne ich blind, da unzählige Male hin- und hergeradelt und, locker vom Hocker, im Trainingsplan den Bike-Einheiten zugeschrieben, die ich strenggenommen auf einer extra ausgewiesenen Rennstrecke zu absolvieren hätte. Ich nehme das Sporteln nicht so eng. Hauptsache mobil bleiben und radeln, laufen und natürlich schwimmen, meine Lieblingsdisziplin. Mit oder ohne Richi hätte ich nach Büroschluss ein paar Bahnen runtergekrault, jawohl, bevor ich spätnachmittags aufbreche zur Visite nach Kreuzegg.
Es ist das letzte Septemberwochenende und überaus warm. Der Sommer nimmt kein Ende dieses Jahr und ich wünschte, er währte ewig. Von Weitem sehe ich Richis rotes Auto unter der Trauerweide leuchten. Er steigt aus dem Wagen, sieht mich heranpreschen und breitet seine Arme aus wie Jesus Christ Superstar, als ich hart vor ihm abbremse.
„Hey, Cilli, neuer Rekord, was?"
„Hey, du, und wo ist dein Bike, du fauler Sack?" Unser Kumpeltalk funktioniert tadellos. Richi grinst und schneidet Grimassen, als er mich an den Schultern packt und freundschaftlich schüttelt. Vielleicht mag er mich deswegen, weil ich ihm nie eine offene Szene mache. Davon kriegt er genug von seiner Gattin geliefert. Ich hingegen, das easygoing Betthupferl für günstige Gelegenheiten, bin über solches Ehejochgenörgel erhaben. Ehrlich.
Es gibt Wangenküsschen, mehr nicht. „Los geht’s, meine Zeit drängt." Ich widme mich der Rucksackkramerei und habe hoffentlich verständlich mitgeteilt, dass nach dem Schwimmen kein Termin angesetzt ist für ein Schäferstündchen. Ich rolle die Neoprenpelle auf meine Haut, halb im Sichtschutz von Richis Auto und damit dem näheren Blick einer Frau entzogen, die auf der Uferpromenade einen Dackel an der Leine spazieren führt. Bestimmt bewundert sie den Adoniskörper des Mannes an meiner Seite. Richi ist der allerattraktivste Athlet in unserem Zweihundert-Mann-Verein. Das ist glasklar.
Neo zu, Kappe auf, angespuckte Brille drüber und „Yeah, yeah, yeah!" Ich stürme los und bin als Erste im See, tauche ein und gleite los und bin eins mit dem Atem und dem Zug und dem Schlag, und höre das Gluckern und Blubbern des Wassers, ein Rauschen und Raunen, als sängen mir Nixen ein zärtliches Lied.
Richi gelangt ins Sichtfeld; er hat auf meine Höhe nachgezogen und stellt sich fairerweise auf mein Tempo ein. Wir kraulen Schulter an Schulter und mit synchronem Armruder hinüber zum anderen Ufer, drehen knapp davor links bei und nehmen in großem Bogen Kurs zurück zur alten Weide. Perfekt. Als ich aus dem Wasser steige, fühle ich mich wie ein Buddha nach dem Bade.
Schweigend ziehen wir uns um. Ich hänge den Neopren über die offene Autotür und verstaue den nassen Badeanzug und die Gummikappe in der Seitennetztasche meines Rotkreuz-Rucksackes. Ich fahre mit den Fingern durch meine geplätteten Haare und schüttle die Krause in alle Richtungen. Richi beobachtet mich mit seinem gewissen Glitzerblick. No way, my dear. Nur weil du willst, will ich noch lange nicht.
Aber auf einen kleinen Plausch erbarme ich mich doch. „Ich habe gehört, du bist in Monaco rausgeflogen?"
Gemeine Frage. Ich kann sie mir erlauben, denn ich gelte als Vereinsmutti und daher jene Instanz, der gegenüber die Burschen Rechenschaft über ihre misslungenen Heldentaten ablegen: face to face, ganz unter uns. Wenn sie nach einem Wettkampf mit gestutzten Gockelfedern im Club angeflattert kommen und in meinen Armen landen, sozusagen, dann sehen sie nicht länger die gewohnte sexy Hexy vor sich, sondern eine sizilianische Mamma, deren Lebensaufgabe darin besteht, ungeratenen Söhnen die Leviten zu blasen. Mein Alter ist schließlich kein Geheimnis. Ich bin sechsundvierzig Jahre alt und damit deutlich über dem Durchschnittsalter unserer Truppe, was mir eine Art Seniorstatus verschafft zusammen mit der Tatsache, seit mehr als einem Jahrzehnt ununterbrochen Mitglied im selben Verein zu sein. Ich habe eine Menge Triathlonerfolge vorzuzeigen. Das soll mir erstmal eine Mamma nachmachen.
Richi spannt seine Muskelpackerl und reckt sich auf die volle Länge von einen Meter neunzig. Er streicht seine braunen Haare leicht schräg aus der Stirn hoch nach hinten, damit sie in Form korrekter Robbie-Williams-Tolle trocknen. Seine Augen schweifen über den See.
„Die Show in Monaco? Hm, du weißt sicher eh schon Bescheid. Fakt ist, ich habe die Radstrecke unterschätzt. Unglaublich, wie extrem tricky die Bergerl an der Côte d’Azur sind. Das fasst du nicht!"
„Du hast die Streckeninfos vorab zur Verfügung. Höhenmeter, Steigung, Kurven. Hast du dich nicht gründlich genug vorbereitet?" Im Grunde hasse ich meinen Mutti-Ton.
„Doch, hab ich. Aber diese Tour war der Hammer. Ein mörderischer Kurs, glaub mir! Krass, und dann bin ich aus der Spitzkehre geflogen, zum Glück hinaufwärts und ins Dorngestrüpp. Auf der anderen Straßenseite wäre ich glatt ins Nirwana gesegelt. Das war nahe der Ecke, wo Grace Kelly mit ihrem Wagen abgestürzt ist. Haben mir die Girls von der Support Crew erzählt. Entzückende Mädels waren das übrigens."
„Hast du dir weh getan?" Oh Mamma mia!
„Ach woher. Ein paar Schrammen, nichts Schlimmes. Aber das Bike war hinüber und ich disqualifiziert. Aus die Maus. Hat mich total geärgert. Trinken wir ein Bier? Ich habe was dabei."
Na gut, ein Bier geht sich zeitlich aus. Richi fischt zwei Flaschen aus den Tiefen des Kofferraums, quetscht den Kronenkork in unnachahmlich männlicher Manier vom Glasrand und reicht mir eine Flasche, aus der heller Schaum blubbert und über meine Finger rinnt. Ich schlürfe das Zeug mit geschürzten Lippen auf – eine bacherlwarme Sprudelsuppe.
Wir setzen uns Schulter an Schulter und relativ schief an den Stamm der Trauerweide, schlenkern die Bierflasche in der Hand und lassen unsere Gesichter von der Sonne bescheinen. Ich überlege flüchtig, ob ich Richi auf sein Schweigen die letzten Wochen hindurch ansprechen soll, da fragt er aus heiterem Himmel: „Fährst du wirklich allein nach Birma?"
„Myanmar heißt das jetzt. Ich fliege nach Mandalay. In Etappen, versteht sich. Und ja, ich bin allein auf Achse. Wie immer."
„Ist dort drüben nicht Terror und Drogen und so Katastrophen?"
„Ach Quatsch. Nicht mehr als sonst wo." Richi hat, im Gegensatz zu mir, Europa selten verlassen und wenn, dann als Pauschaltourist,