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eBook479 Seiten6 Stunden

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Über dieses E-Book

Man nehme: Zwei Freundinnen. Männer. Liebe. Lust. Leidenschaft.
Dazu kommen Emotionen verschiedenster Art, Drama, Herzschmerz, Freundschaft, Alltag, Enttäuschung, Glaube und eine doppelte Prise Thrill.
Als Garnitur und gewisses Etwas: Witz, Ironie, Sarkasmus sowie Murphy´s Law.
Diese Zutaten mixe man mit viel Gefühl und Liebe auf über 600 Seiten zu fantastischer Frauenliteratur.

Begleiten Sie Paula und Nell, beste Freundinnen seit Kindheitstagen, durch ihr oft chaotisches Leben und haben Sie teil an allen emotionalen Nuancen ihres Lebens. Begegnen Sie Arschlöchern und Helden. Weinen sie Tränen des Humors oder aber des Herzschmerzes. Spüren Sie die Hitze der Leidenschaft und frieren Sie beim nachspüren kalter Panik. Mehr Auf und Ab in einem Buch geht nicht. Turbulent. Herzlich. Zum Liebhaben.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum14. Apr. 2019
ISBN9783748533153
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Autor

Arnika Bodenbach

Ich schreibe. Schon immer. Also seit dem ich des Alphabeten mächtig bin. Ich muss nie lange Nachdenken. Meistens fließt es aus mir heraus. Wie Epilepsie, nur mit Buchstaben. Quasi eine Zwangshandlung. Aber erst jetzt - mit fast 40 Jahren, habe ich den Mut gefunden meine Werke aus den Schubladen und Kisten zu kramen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Und was soll ich sagen? Ich bin sehr froh darüber. Es ist nie zu spät......

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    Buchvorschau

    Trust - Arnika Bodenbach

    Kapitel 1: Paula

    Das Telefon schrillte laut und undankbar. Dann wurde der Hörer abgenommen.

    Hallo?

    Nell? Nell? Er hat um meine Hand angehalten! Er hat mich gefragt, ob ich ihn heiraten will! Oh Gott – ich kann es kaum fassen. Er hat es getan! Nell? Hörst du mir zu? Du hattest recht, dass mit den Sternen und dem Gottvertrauen und so… Ich gebe zu, dass du zum x-ten Mal Recht hattest. Eigentlich müsste ich mich daran gewöhnt haben, dass du mit allem Recht hast. Aber ich kann es einfach nicht - Nell? Bist du noch dran?

    „Hey Paula! Nells warme Stimme drang endlich an ihr Ohr. Ein warmes, herzliches Lachen folgte. „Meine liebe gute Paula! Wenn du endlich mal Luft holen würdest und mich zu Wort kommen lässt, dann könnte ich dir sagen, wie sehr ich mich für dich freue. Und ich sag dir gerne, dass ich selbstverständlich Recht hatte und es mich nicht wundert, dass er um deine Hand angehalten hat. Aber du bist eine ewige Zweiflerin. Lerne endlich zu Vertrauen und hör auf, hinter jedem netten Lächeln den Teufel höchstpersönlich zu vermuten. Ich kenne niemanden, der auf so naive Weise so gottverbunden ist wie du! Wann kapierst du es endlich?

    Stille.

    „Paula?" Jetzt war es an Nell, auf ein Lebenszeichen zu warten.

    „Paula?"

    Sie hörte Paula schniefen.

    Oh Mann.

    Paulas wunder Punkt. Paula und Vertrauen – das konnte sie einfach nicht. Nichts und Niemanden. Außer Nell natürlich. Nell und Paula waren seit der gemeinsamen Internatszeit Freundinnen – die besten Freundinnen. Sie teilten seitdem bis auf Jungs, Zahnspangen und Klamotten alles Erdenkliche. Letzteres lag einfach daran, dass ihnen die unterschiedliche Anatomie einen Strich durch die Rechnung machte. Nell war eine Naturschönheit – 1,65 m groß, nicht zu dick, nicht zu dünn. Blonder Pagenkopf. Große blaue Augen die nie aufhörten zu strahlen. Sie umgab eine ruhige und harmonische Aura, schon fast etwas Mütterliches. Sie war ein echter Augenschmaus für jeden Kerl, der nicht blind oder schwul war.

    Paula hingegen - tja, sie war zu groß mit ein paar üppigen Kilos zu viel auf den Rippen. Für eine Frau, die keine Modelmaße hatte, ist 1,81m schon eine tägliche Herausforderung. Sie hatte ein breites Kreuz und langes, braunes Haar, in das man fassen konnte, ohne Anfang oder Ende zu finden. Grüne Augen, die Alles und Jeden erfassten und denen kein Detail entging. Sie war quirlig, überdreht, fast schon rastlos, aber auch gleichzeitig abwartend. Ein wenig paranoid. Ständig auf Spannung. Aber immer ehrlich. Immer geradeaus. Mit ihrem ungezügelten Mundwerk hatte sich Paula schon oft in Schwierigkeiten gebracht. Und trotz allem war sie sehr herzlich. Sie mied Höhen, Tiefen, Gewässer, Boote, Eisen- oder Straßenbahnen. Paula würde nichts betreten was sie nicht selbst kontrollieren konnte -  niemals! Keine Aufzüge, keine Rolltreppen oder sonst etwas, was Paula am selbst Laufen, Rennen oder Fahren hindern würde. Was den Vorteil hatte, dass Paula trotz ihrer beeindruckenden Größe eine super Kondition hatte.

    Nell fand Paula einfach perfekt; Paula hingegen fand sich alles andere als Perfekt.

    In Paulas Wohnung waren alle Spiegel so angebracht, dass sie alles von Kopf bis Dekolleté sehen konnte. Mehr nicht! Andere Spiegel vermied sie einfach. Ein Streitthema der beiden Frauen. Nell versuchte seit ihrer Kinderzeit, Paula die Augen für ihre Schönheit zu öffnen – leider ohne Erfolg. Doch Nell wäre nicht Nell, wenn sie nicht am Ball bleiben würde. Da sie aber nicht weiterkam, übergab sie diese schier unlösbare Aufgabe eben höheren Mächten. Irgendwann würde Paula diese Einsicht erlangen und damit hoffentlich auch endlich den Mann ihres Lebens finden.

    „Mensch Paula! Hör auf zu schniefen. Für einen Riesen bist du so leicht aus der Bahn zu bringen!"

    „Pah! Trotzig unterbrach Paula ihre Freundin, in dem Versuch einen auf Freud zu machen. „Ich bin kein Riese und wollte auch nie einer sein. Wäre ich so groß wie mein Selbstvertrauen, dann wäre ich zwei Köpfe kleiner als du.

    „Och Mensch! Jetzt reicht es aber!, entfuhr es Nell. „Was hältst du davon, wenn wir uns zum Abendessen bei unserem Lieblingsgriechen treffen? Gegen 20 Uhr?

    „Aber nur, weil du es bist!", entgegnete Paula trotzig und rotzfrech.

    „Ich danke dir, dass du mich mit deiner Gesellschaft erfreuen wirst", witzelte Nell. Paula fing an zu lachen. Auch Nell begann zu lachen. Beide grölten in ihre Telefonhörer. Prustend verabschiedeten sich die Frauen voneinander und legten auf.

    Wie erwartet, saß Paula bereits in der hinteren Ecke ihres Lieblingsgriechen. Noch so eine Manier von Paula. Niemals würde sie zu einer Verabredung pünktlich kommen. Paula war immer vor der Zeit da. Sie hasste es, in einen Raum zu kommen und erst suchen zu müssen, wo ihre Verabredung zu finden war. Sie fühlte sich in diesem Moment so beobachtet und unwohl und ungewollt im Mittelpunkt, dass sie unter blöden Umständen sogar das Weite suchte. Egal wer ihre Verabredung war. Für Nell kein Problem. Sie kam stets fünf Minuten später als verabredet. Zielstrebig ging sie auf den kleinen Tisch zu, an dem ihre Freundin bereits nervös auf sie wartete. Ein breites Lächeln auf dem Gesicht.

    „Du siehst super aus", sagte Paula neidisch.

    „Ach komm, die Klamotten habe ich doch schon ewig!"

    Paula öffnete den Mund um etwas zu erwidern, doch Nell brachte sie schnell zum Schweigen. „Lass es! Ok?!

    Kauf dir ’nen neuen Spiegel, der dir endlich zeigt, dass du ein völlig falsches Bild von dir hast! Und jetzt Schluss! Erst suchen wir was Leckeres von der Karte aus. Dann erzählst du mir alles über seinen Heiratsantrag."

    „Du, Nell?"

    Nell hob den Kopf aus der Speisekarte und blickte irritiert ihre Freundin an.

    „Ich habe ein Problem: du sprachst von lecker. Hier ist alles lecker. Ich kann mich nicht entscheiden! Ungläubig starrte Nell in Paulas Augen. Sie sah den Schalk darin aufblitzen. Beide lachten. Während des Essens sprachen die beiden kaum. Außer ‚Lecker’, ‚darf ich mal probieren’ und einem weiteren ‚Hmmm’, sagten sie nichts. Die Teller wurden abgeräumt, der Ouzo kam. Dazu noch ein Latte Macciato. Jetzt war Zeit zum Reden! Nell rührte in ihrer Latte herum und sah gespannt auf Paula. „Los! Erzähl mir endlich von diesem geschichtsträchtigen Heiratsantrag!

    Kapitel 2: Rückblende

    Frühjahr, Bad Münder, Internat Marienau

    Die Tür zum Klassenzimmer der 7 a ging auf. Der Rektor kam herein. Im Schlepptau einen großen Kerl. Weite Baggyhosen. Schlabbershirt, welches schon bessere Tage gesehen hatte. Kurze ungepflegte Haare, finsterer Gesichtsausdruck, eine grimmige Aura mit dem Charme eines überlaufenden Dixi-Klos. Kurzum – der Typ war total fehl am Platz. Jeder in der Klasse starrte gebannt auf den Neuling. Was tat einer wie DER auf einem Eliteinternat wie dem ihrigen? Er sah so aus, als ob er alles, nur keinen Spaß verstehen würde – so viel wussten sie bereits nach den ersten 25 Sekunden.

    „Guten Morgen meine Damen und Herren!" Der Bariton des Rektors ertönte.

    Die Klasse erhob sich und grüßte monoton: „Guten Morgen Dr. Theobald!"

    „Darf ich euch eure neue Mitschülerin Paula Brehm vorstellen?"

    Mitschülerin?!  Nein – sie hatten sich alle sicherlich verhört! Ach du liebe Zeit! Was da vor ihnen stand war ein Mädchen?

    Die Einzige die nicht die Augen verdrehte war Nelia Sophie Dammberg. Sie musterte den, nein, die Neue kurz. Dann schnappte sie sich ihre Schulsachen, stand auf und verließ ihren angestammten Platz in der zweiten Reihe. Zielstrebig steuerte sie die letzte Tischreihe an und platzierte ihre Sachen neu. Hob den Kopf, blickte über die erstaunten Gesichter ihrer Mitschüler hinweg Paula an und bot ihr ohne Wenn und Aber ihren freien Nachbarplatz an. Als Dr. Theobald Paula ihm – nein, ihr - einen Schubs gab, setzte sich diese widerwillig in Bewegung. Steif und unbeholfen nahm sie neben Nelia, die alle nur Nell nannten, Platz. Nell nickte Paula zu, stellte sich kurz vor und starrte dann wieder gerade aus Richtung Tafel. Sie sah gerade noch den Rektor das Klassenzimmer verlassen. Kaum war er draußen, drehte Paula sich zu Nell herüber und zischte ihr in grimmigsten Tonfall zu: „Ich brauche keine Samariterin!" Damit blickte auch Paula wieder Richtung Tafel. Schien aber durch diese hindurch zu schauen in eine andere Welt oder gar in ein anderes Universum. Schweigend und unnahbar verbrachte Paula die erste Schulstunde in diesem Internat für Schüler der gehobenen Gesellschaftsklasse, das in ihren Augen lediglich ein grottiges Gemäuer darstellte.

    Shit, wie bin ich denn nur hierhergekommen?

    Die Antwort war schlicht und einfach: Gott hasste sie. Es musste so sein! Nur warum, das hatte Paula noch nicht verstanden.

    14 Monate zuvor war ihr Vater während eines Auslandseinsatzes im Irak getötet worden. Er war Amerikaner, in Deutschland stationiert. Doch dann kam der Krieg. Auftrag ‚Dessert Storm’. Air Force First Lieutenant Clark Brehm wurde abkommandiert und kam nicht wieder. Ein guter Mann, der mit Stolz für sein Vaterland gefallen war. Scheiß auf den Stolz! Er war jetzt tot! Sein Stolz hatte ihn nicht retten können. Und ihre Mutter auch nicht! Sie war über den Verlust ihres Mannes einfach nicht hinweggekommen. Und die angebliche Mutterliebe war offenbar nicht groß genug, um sie um Paula Willen am Leben zu halten. Nicht für Paula. Ihre Mutter begann vier Monate nach dem Verlust ihres über Alles geliebten Ehemannes Selbstmord: Eine sehr große Menge besten schottischen Whiskey, dazu eine beachtliche Ladung Medikamente, tödlich genug einen Elefanten zur Strecke zu bringen. Erst recht tödlich genug, um eine zierlich gebaute Frau wie Carmen Brehm von ihrem irdischen Dasein zu erlösen. Um, wo auch immer, mit ihrem Geliebten die Ewigkeit verbringen zu können. Kein Abschiedsbrief. Keine Erklärung. Aber dafür taktisch terminiert, damit Paula sie auch als Erstes fand. Hinterlassen hatten ihre Eltern einen Treuhandfond, der sie über die Schul- und Studiumszeit hinweg über Wasser halten würde. Genug, um es luxuriös gestalten zu können. Aber ihre - ach so herzliche - Tante mütterlicherseits war da anderer Ansicht. Paula war lästig. Vor allem für eine Frau im mittleren Alter, die einen gut gehenden Wellness-Tempel für die oberen Zehntausend dieser Welt betrieb. Was sollte man da mit einem traumatisierten Teenager, der ihren guten Ruf gefährden würde. Also schob die gute Tante Paula einfach in dieses Internat ab – 632 km nördlich von München. Weit genug entfernt, um auch ja von jeglicher Verantwortung befreit zu sein. Hier war sie nun, abgeschoben, allein, für sich, in einer Welt die ihr so fremd war. Es hätte auch ein fremder Planet sein können, auf dem sie ausgesetzt wurde. Gott hasste sie! Er musste sie sehr hassen. Warum machte er nicht einfach kurzen Prozess und schickte sie geradewegs in die Hölle? Damit auch er die Verantwortung für sie abgeben konnte. Anscheinend hatte Gott aber andere Pläne. Er wollte ihr offenbar die Hölle auf Erden bereiten. Zu diesem Zwecke schickte er ihr diese, in Licht gehüllte Erscheinung – Wie hieß sie gleich noch mal? Richtig, Nell. Nell schien es sich in den Kopf gesetzt zu haben, sie zu retten. Aber Paula wollte sich nicht retten lassen. Von Keinem! Auch nicht von Nell! Doch Nell wäre nicht Nell, wenn sie aufgegeben hätte. Nell bewerkstelligte es sogar, das sie zusammen mit Paula ein gemeinsames Zimmer bekam.  Nell fühlte sich auf unerklärbare Weise mit Paula verbunden. Und so machte es Nell es sich zur Aufgabe, ständig an Paulas Seite sein zu müssen und begleitete sie unaufgefordert überall hin. Die einzige Ausnahme waren Toiletten- und Duschgänge. Die anderen Mitschüler fingen nach kurzer Zeit an, Witze über das ungleiche Gespann zu machen und foppten Paula bei jeder Gelegenheit. Sie beschimpften Nell als Kindermädchen oder Schoßhündchen und Paula wurde als Kleinkind betitelt, die ohne ihre Nanny keinen Schritt gehen konnte. Nell ertrug diese Beschimpfungen stets mit erhobenem Haupt und einem Lächeln im Gesicht. Paula hingegen kochte innerlich vor Wut. Sie wollte ihre Ruhe haben. Schlimm genug, dass sie Nell am Hals hatte. Jetzt hatte sie sogar die Aufmerksamkeit der anderen Schüler. Irgendwann platzte Paula der Kragen. Es war nach dem Essen im Gemeinschaftssaal. Es wurde getuschelt und gewitzelt. Paula hielt es nicht mehr aus und sprang während des Essens einfach auf und stürmte aus dem Saal zu ihrem Zimmer. Hinter ihr konnte sie die so vertrauten Schritte von Nell hören. Sie schmiss die Zimmertüre zu und wollte gerade auf irgendetwas einschlagen als die sofort erneut auf- und wieder zuflog. Nell. Da stand sie. Schon wieder. Paula drehte sich herum und funkelte und wütete Nell furchtbar an. „Verdammt noch mal! Kannst du mich nicht ein einziges Mal in Ruhe lassen?. Bei jedem Wort flog Spucke aus Paulas Mund wie Schaum bei einem tollwütigen Hund. „Ich will keinen Aufpasser. Keine Nanny. Ich will alleine sein. Ich will in Ruhe gelassen werden. HÖRST DU? Ich will alleine sein! Dabei liefen Paula Tränen über das wutrote Gesicht. Wild gestikulierte Paula dabei und es sah für einen Moment so aus, als ob Paula bei all dem Wüten, Schreien und Um-sich-Schlagen in tausend Stücke zerspringen würde. Und während Paula so tobte, stand Nell ganz gelassen im Raum, zuckte hin und wieder mit den Augen oder hob die Schultern, um sich ein wenig zu verstecken. Als Paula ein wenig runtergekocht war, stand sie völlig außer Atem vor ihrer Zimmergenossin und schnaufte. Nell ging einen Schritt auf Paula zu, blickte ihr fest in die Augen. „Du bist nicht allein! Du fühlst dich allein. Aber du bist nicht allein. Aber wenn du es dir so sehr wünscht, liebe Paula, dann sollst du deinen Willen haben! Der Blick, den Nell hatte, konnte Paula nicht recht deuten. Es war eine Mischung aus Schmerz, Mitleid und – ja – so etwas wie Liebe. Es traf Paula so unvorbereitet und direkt mitten in die Brust, dass es ihr die Luft nahm. Noch ehe Paula etwas sagen konnte drehte sich Nell langsam herum und ging aus dem Zimmer. Das letzte was Paula vernahm, war das Klicken der schließenden Türe. Dann brach sie weinend zusammen. Irgendwann spürte Paula Hände auf sich. Benommen und erschöpft hob sie den Kopf. Ohne Widerwillen ließ sie sich von Nell aufhelfen und ins Bett bringen. Paula fror. Diese eisige Kälte, die von innen heraus durch den ganzen Körper kroch und jeden Zentimeter vereiste. Die Kälte war so extrem, dass Paulas Zähne heftig aufeinanderschlugen. Sie wusste nicht wie spät es war. Das kleine Nachtlicht an Nells Bett ging an. „Hey Paula? Paula klapperte so eifrig mit den Zähnen, dass sie nicht antworten konnte. Nell löste das Problem der fehlenden Kommunikation auf ihre Weise: das Licht ging aus und einen kurzen Moment später schaukelte Paulas Bett und warme, weiche Rundungen schmiegen sich an Paulas frostigen Körper. Paula hatte nicht die Kraft, sich zu wehren. Sie ließ die ungewohnte körperliche Nähe zu, entspannte sich mehr und mehr, als die Kälte Nell´s Körperwärme wich. Dabei streichelte Nell Paula über das Haar. Dies war der Moment, wo auch Paula begriff, dass es da etwas zwischen ihnen gab, dass tiefer ging wie einfach nur Freundschaft. Nells dauerndes Leuchten, positives Denken und optimistisches Handeln ließen Paula keine Wahl: Paula ergab sich, frei nach dem Motto: ‚Kannst du nichts gegen deinen Feind ausrichten, dann verbünde dich mit ihm’ Sie tat es. Und es war eine der besten Entscheidungen, die Paula in ihren verkorksten 13 Jahren getroffen hatte. Sie öffnete sich gegenüber Nell, erzählte ihr ihre Lebensgeschichte, ihre Träume, Hoffnungen. Nach Monaten der Tränen konnte sie sogar mit Nell zusammen lachen! Und es fühlte sich so gut an! Paula verliebte sich in Nell. So sehr man sich nur in eine ‚Ich-wünschte-wir-wären-Schwestern-Freundin' verlieben konnte. Das war vor etwas mehr als sieben Jahren. Gemeinsam überstanden sie das erste Verliebt sein, die erste Trennung nach nur gemeinsamen drei Tagen mit der vermeidlich großen Liebe. Sie litten miteinander und verfielen in den Rausch des ersten Kusses der jeweils anderen. Sie teilten eben alle Höhen und Tiefen die eben 'Eigentlich-sind-wir-doch-Schwestern' teilen konnten. Sie büffelten sich durch Algebra, lernten Latein, paukten Französisch und fragten sich gegenseitig Vokabeln ab. Lernten bis ihre Hirnwindungen zu gordischen Knoten mutierten. Sie meisterten gemeinsam ihren Abschluss – Abitur bestanden! Beide Jahrgangsbeste. Wer hätte das gedacht?

    Nell´s Vater war Chef der Chirurgie am Bundeswehr-Zentralkrankenhaus Hamburg. Einer der besten Chirurgen, die das BwZk Hamburg zu bieten hatte. Doch ganz so ambitioniert wie Nells Vater war sie nicht. Ihr Arbeitsplatz war die MHH in Hannover. Jedoch nicht um Arzt zu werden, sondern um eine Ausbildung als Trauma-Krankenschwester zu machen. Dank ihres Einfühlungsvermögens, ihres großen Herzens und ihrer schier unendlichen Gelassenheit war sie eine fantastische Krankenschwester. Nell ging in ihrer Arbeit auf. Durch und durch Samariterin. Paulas Eigentlich-sind-wir-ja-doch-Schwestern-Freundin machte nicht nur einen guten Job – Sie hatte ihre Berufung gefunden - mit Leib und Seele!

    Im Anschluss an die Ausbildung folgte Nell ihrem Vater ins BwZK Hamburg. Was wiederum zur Folge hatte, dass sie das vertraute Hannover hinter sich lassen musste und zurück in ihre alte Heimat zog.

    Dieser Umzug vor ein paar Monaten hatte ihren, bis dato gemeinsamen Weg getrennt. Nur an den spärlichen, freien Wochenenden sahen sich die zwei Frauen. Paula hielt sich mit Gelegenheits- und Aushilfsjobs über Wasser, da ihr immer noch nicht ganz klar war, wohin sie gehörte. An Nells Seite, ohne Frage. Aber in ein Krankenhaus? Auf keinen Fall! Es musste etwas rationales, kalkulierbares, etwas kontrollierbares sein.

    Kapitel 3: Die Eingebung

    Die Eingebung begegnete Paula in einer Samstagnacht. Zuvor hatten sie und Nell in der Hannoveraner Szenebar ‚Bolero’, ordentlich auf den Putz gehauen. Sie hatten zu guter Musik bis zum Muskelkater getanzt. Dabei hatten beide ihren Durst mit Mojitos gestillt.  Mit zu vielen Mojitos. Mit viel zu vielen Mojitos.

    Paulas Eingebung kam in fleischgewordener Form. Er hieß Helge. Helge Kleinert. Helge war acht Jahre älter als Paula. Surfertyp. Groß, blond, gebräunte Haut dank Sonnenbank, verwegenes Lächeln, blitzende blaue Augen. Frauenheld. Nicht unbedingt durchtrainiert, aber gut gebaut. Er stach schon beim Betreten des Boleros hervor. Er überragte die meisten Männer. Umgeben von einer Ausstrahlung, die den Schneegipfel des K2 zum Schmelzen gebracht hätte. Selbstbewusstsein – genug um eine ganze Armee damit ausstatten zu können. Manche hätten ihn als arrogant und überheblich beschrieben. Doch Paula war zu diesem Zeitpunkt schon zu betrunken, um solche Feinheiten überhaupt bemerken zu können. Wider Paulas Natur ließ sie es zu, das Helge sie nach Hause bringen durfte. Nell hatte sich schon Stunden zuvor abgesetzt und zurück nach Hamburg fahren müssen. Wie so oft, hatte sie kurzfristig den Dienst für eine erkrankte Kollegin übernommen. Doch Nell sah darin eine Chance, ihre beste Freundin endlich in die festen Händen eines Mannes zu geben. Also brachte Mr. Sunshine Paula in ihre kleine, kuschelige Dachgeschosswohnung. Ihr Reich inmitten der hannoverschen Nordstadt. Das Haus von außen ein wenig schäbig, das Treppenhaus renovierungsbedürftig, die Nachbarschaft stets anonym. Keiner der Mitbewohner erweckte bei Paula genug Interesse, um ihn wenigstens auf einen Kaffee einzuladen. Doch in ihren 38 Quadratmetern unterm Dach hatte sie es sich mit ihren finanziellen Mitteln sowie Nells Unterstützung so gemütlich wie nur möglich gemacht. Dorthin, in ihr Nest, ihren Rückzugsort, nahm sie einen wildfremden Kerl mit. Was hatte sie sich dabei nur gedacht? Ja, was nur? Ganz einfach – Nix!

    Von der Nacht bekam Paula nicht viel mit. Als Paula morgens aufwachte, lag sie angezogen bis auf ihre Schuhe im Bett. Brav zugedeckt und mit einem höllischen Kater, der genauso gut ein ausgewachsener, prähistorischer Säbelzahntiger hätte sein können. Als ihre Augen sich endlich bereit erklärten, sich auf Scharfsicht einzustellen, entdeckte sie eine Visitenkarte auf ihrem Nachttisch. Nicht einfach eine Visitenkarte aus recyceltem Papier – nein! Auf hochweißem Büttenpapier mit Goldprägung in 3D-Optik stand da geschrieben: 

    EXPORT KLEINERT GmbH

    DIE Exportexperten für den weltweiten Versand Ihrer Güter

    Helge Kleinert

    Projectmanager Business Development

    Im Graufinkeck 7

    30159 Hannover

    Tel.         0511 – 47 28 32 –19

    Fax        0511 – 47 28 32 – 27

    Mob.        0175 – 14 777 22 8

    helgekleinert@EKG.de

    EXPORT KLEINERT GmbH

    DIE Exportexperten für den weltweiten Versand Ihrer Güter

    Helge Kleinert

    Projectmanager Business Development

    Im Graufinkeck 7

    30159 Hannover

    Tel.         0511 – 47 28 32 –19

    Fax        0511 – 47 28 32 – 27

    Mob.        0175 – 14 777 22 8

    helgekleinert@EKG.de

    Beim Lesen des Namens klingelte etwas…..

    Sie dreht die Karte herum:

    Ruf mich an!

    Gruß Helge

    Kurz und schmerzlos. Entweder war die Nacht so enttäuschend, dass es nicht mehr Worten bedarf oder aber er wollte ihr einen Gefallen erweisen und ihr einen Verhaltenstherapeuten empfehlen. Da sie noch vollständig bekleidet war, ging sie von Variante eins und zwei gleichzeitig aus. Mit Mühe schob sie die tonnenschwere Bettdecke von sich und begab sich quälend langsam in die Vertikale. Sie saß. Auf der Bettkante. Um sie herum drehte sich plötzlich alles. Trotz Kater und Gleichgewichtsstörungen schaffte sie es in ihr Miniaturbad. Auf dem kurzen Weg dorthin riss sie lediglich eine Lampe vom Flurschränkchen herunter und fegte beim Versuch, sich nicht aufs Maul zu legen, zwei gerahmte Bilder von der Wand. Rechtzeitig erreichte sie die Kloschüssel. Mit dieser verbrachte sie einen Großteil des Morgens. Zwischenzeitlich gelang es ihr, das Chaos im Flur zu lichten, sowie ein Frühstück aus Aspirin und Fencheltee zu sich zunehmen. Das dringende Duschen vertagte sie auf unbestimmte Zeit. Gegen Abend hatte sie auch diesen Punkt von ihrer verkaterten To-Do-Liste streichen können. Jetzt blieb nur noch die Visitenkarte.

    Soll ich ihn anrufen? Was soll ich dem denn nur sagen?

    Hi – war schön gestern?

    Was war schön? Ihre peinliche und verzweifelte Art, sich ihm an den Hals zu schmeißen? Nell hatte noch nicht einmal den Versuch unternommen, sie zu stoppen. Was hatte sie ihm wohl erzählt – in einem Anfall von Redewahn Dank zu vieler Mojitos?

    Nie wieder Mojitos! Oder - Ok - vorerst nie wieder Mojitos!

    Wie ein Tiger ging Paula in ihrer kleinen Wohnung auf und ab. Anrufen? Nicht Anrufen? Beim zufälligen Blick in den Spiegel entschied sie sich sofort für nicht Anrufen. Hätte sie ihn angerufen, wäre es einer Verzweiflungstat nahegekommen. Und diesen Eindruck wollte sie auf keinen Fall erwecken! Zu gerne würde Paula sich fallen lassen wollen und gehalten werden. Lieben und die Angst vor Enttäuschungen zu verlieren. 

    Das Telefon klingelte.

    Du lieber Gott! Ich habe ihm doch nicht etwa im Suff meine Nummer gegeben?

    Und wenn schon. Er hatte sie nach Hause gebracht. Er könnte genauso gut bei ihr vorbeikommen, klingeln und sie persönlich auslachen. Nach dem 8. Klingeln hob Paula ab.

    „Hallo meine Süße! Nells sanfte Stimme umspielte Paulas gespannte Nerven. „Du hast gestern aber ganz schön Vollgas gegeben. Nell redete einfach weiter. „Ich vermute, du hast dich bereits mit deiner Kloschüssel ausgesprochen, dein Chaos gelichtet, dein Spezialfrühstück zu dir genommen und hoffentlich geduscht?"

    „Ja Mama!", brachte Paula zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor.

    Nell lachte ihr so typisches, herzerweichendes Lachen. „Hast du auch schon den Surfertyp von gestern Nacht angerufen? Oder diskutierst du immer noch mit dir selber? Viel kann bei euch ja nicht gelaufen sein, so wie du dich abgeschossen hast... ."

    „Stopp! Paula unterbrach ihre beste Freundin. „Warst du dabei? Oder hast du heimlich Kameras angebracht? Oder hast du etwa mit ihm telefoniert?

    Nell lachte. „Weder noch. Ich kenn' dich einfach nur gut."

    „Anscheinend zu gut", kommentierte Paula.

    „Ach komm schon Paula. So schlecht sah der Typ nicht aus. Und er ist der Sohn des Inhabers einer Exportfirma hier in Hannover. Also eine gute Partie."

    „Nell!"

    Doch Nell redete stur weiter. „Er war wenigstens so höflich und hat dich NUR zu Hause abgesetzt ohne sich an dich ranzuschmeißen. Ist doch schon eine großartige Leistung von ihm. Somit hatte er mehr Anstand als die anderen Typen, denen du bisher so begegnest bist."

    „Nell!"

    „Und ich dachte, wenn du dich mit ihm noch ein oder zweimal triffst… ."

    „NELL!!! Hör auf mich zwanghaft verkuppeln zu wollen. Nur damit du dir nicht so viele Sorgen um mich machen musst. Mach’s wie meine Eltern oder meine Tante – bring mich ans andere Ende der Welt oder geh einfach aus meinem Leben."

    Ach Scheiße!

    Schweigen – langes Schweigen! Paula schossen die Tränen in die Augen. Sie traute sich nicht, mehr zu sagen, geschweige denn aufzulegen. Sie ließ den Hörer einfach fallen, taumelte zu ihrem Bett und vergrub sich in die Kissen.

    Vorbei... Nells unermessliche, aber nicht unerschöpfliche Geduld. Sie hatte es schon wieder getan – unfair, unter die Gürtellinie gehend. Sie weinte und weinte und weinte. Irgendwann hatte ihr Körper weder die Kraft noch die Reserven, um noch mehr Tränen zu vergießen. Paula starrte gegen die Wand. Plötzlich war alles zu eng und gleichzeitig zu groß. Unpersönlich. Es war nicht ihr Leben. Wenn sie sich nicht bald selber fand oder wenigstens eine Konstante in ihr Leben kam – egal ob in fleischgewordener- oder beruflicher Form…..

    Wie lange konnte man in einem luftleeren Raum überleben?

    Auf einmal schlangen sich vertraute Arme um Paula. Sie zuckte noch nicht einmal. Der Geruch, die Wärme, die Stimme...

    NELL!

    Ihre Nell, die extra für sie den erneuten Weg von Hamburg nach Hannover auf sich genommen hatte. Ihre Nell, die in wenigen Stunden ihren Dienst beginnen musste und bestimmt noch nicht zum Schlafen gekommen war. Erneut packte Paula ein heftiger Heulkrampf. Und was tat Nell? Sie tat, was sie immer tat: Sie wiegt ihre beste Freundin in den Armen, als hielte sie ein verlorenes Kind darin.

    „Es...es tut mir leid!" brachte Paula mit heiserer Stimme heraus.

    Nell hob eine Augenbraue. „WAS tut dir leid? WIE LANGE tut es dir leid? WANN bekommst du dich endlich in den Griff? Ich denke ernsthaft darüber nach, meinen Job in der Klinik sausen zu lassen und die Betreuung für dich zu übernehmen."

    Paula konnte bei dieser Vorstellung nicht anders als lachen. Auch Nell stimmte mit ein. So lagen sie lange in Paulas geblümten Himmelbett.

    „Jetzt aber mal ernsthaft Paula. Nell war es, die die Sprache als erstes wiedergefunden hatte. „Paula, so kann das nicht weitergehen! Fang endlich an zu Leben. Such dir 'ne Ausbildungsstelle oder einen richtigen Job. Oder einen Mann. In welcher Reihenfolge auch immer. Ich mache mir Sorgen um dich. Ernsthafte Sorgen!

    Paula setzte sich auf. Sie sah den so fremden, ernsten Gesichtsausdruck in Nells feinem Gesicht.

    „Oh Gott! Nell, du meinst das ernst?!"

    „Ja, Paula, das tue ich, sagte Nell mit fester und leiser Stimme. „Ich bitte dich als meine Seelenverwandte, wirf deinen alten Ballast über Bord und geh nach vorne. Und hör auf zu glauben, dass Gott dich hasst. Gott meint es trotz allem sehr, sehr gut mit dir!

    Nach kurzer Pause fuhr sie fort: „Ruf Helge endlich an. Triff dich mit ihm. Geh mit ihm aus und lebe! Lerne endlich zu Vertrauen! Und zwar noch anderen Menschen außer mir. BITTE PAULA!"

    In dieser Bitte schwang so viel Liebe, Verletzlichkeit, Fürsorge und Verzweiflung mit, dass Paula an sich halten musste, um nicht erneut in Tränen auszubrechen.

    „Ich muss mich wieder auf den Weg nach Hamburg machen. In vier Stunden beginnt meine Schicht und ich habe nicht sonderlich viel geschlafen… ."

    „Es tut mir leid, entgegnete Paula kleinlaut. „Ich werde ihn anrufen. Versprochen!

    Nell stand auf. Mit Sicherheit lag Zweifel in ihren Augen, doch wegen des Dämmerlichtes konnte Paula es nicht bestimmt sagen. Nell ging, ohne sich umzudrehen. Leise zog sie die Tür ins Schloss.

    Scheiße!

    Für die Beziehung zu ihrer Seelenverwandten war es fast fünf nach zwölf.

    Paula stand auf und trat vor den Spiegel. Sie sah sich fest in die Augen und trat sich innerlich selbst in ihren viel zu dicken Hintern. 

    Los jetzt, Paula! Jetzt oder nie. Mach es direkt, sonst drückst du dich doch nur wieder.

    „Wer ist da?" Eine verschlafene Männerstimme. Etwas heiser, aber tief und angenehm.

    „Hallo Helge, hier ist Paula."

    „Wer? Ach Paula. Die Mojito-Paula aus dem Bolero?"

    „Ja?!"

    „Entschuldige, du hast mich gerade geweckt."

    „Wie geweckt? Wie spät ist es denn?" Verzweifelt suchte Paula ihr Handy, um sich über die aktuelle Uhrzeit zu informieren.

    Was? Halb drei morgens! Ach du Schreck.

    „Du Helge..., stammelte Paula ... „es tut mir leid. Ich habe wohl irgendwie meine Zeitrechnung verloren. Ich rufe dich einfach die Tage noch mal an. Was meinst du?

    Paula wollte schon auflegen, doch Helge schrie laut genug ins Telefon, um sie daran zu hindern. : „Hey Paula – nicht auflegen!"

    „Ähm, ich bin noch dran."

    Der muss mich doch für einen totalen Sozialfall halten.

    „...in einer halben Stunde, Ok?"

    „Wie bitte?"

    „Wo in einer halben Stunde?"

    „Bei McDonalds in der Georgstraße", wiederholte Helge geduldig.

    Paula hatte leider nicht mitgekommen, wie Helge es geschafft hatte, sie zu einem spontanen Nachtausflug zu McDonalds zu überreden. Die einzige Möglichkeit zu dieser unchristlichen Zeit, einen Kaffee trinken zu gehen.

    Tja, warum eigentlich nicht?

    Schließlich hatte sie ihrer besten Freundin versprochen, den Typen anzurufen und zu treffen. Warum also nicht jetzt sofort damit anfangen?

    „Ja, Ok Helge. In einer halben Stunde dann."

    „Super, bis gleich!" flötete Helge - scheinbar von den Toten auferstanden - in den Hörer und legte auf.

    Oh Mann!

    Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Nur Nell zuliebe einen Kerl treffen, bei dem sich ihr Magen zusammenzog? Ja, Nell zuliebe würde sie das tun. Ein weiteres Mal blickte sie auf die Uhr ihres Handys. Noch 20 Minuten. Was sollte sie anziehen. Nachts um drei für ein Date – war es eigentlich ein Date? Bei McDonalds zum Kaffeetrinken... . Es fühlte sich nicht so an.

    Sie entschied sich für Jeans und einer dunkelgrünen Bluse mit hohem Kragen. Sie wollte auf keinen Fall verzweifelt wirken. Darüber zog sie eine bequeme schwarze Collegejacke. Schuhe – sie brauchte ja auch noch Schuhe. Fast wäre sie barfuß aus dem Haus gegangen. Sie entschied sich für schwarze Slipper. Kein Makeup, kein Parfum. Entweder wollte der Kerl sie so wie sie eben nach einem durchgekotzten Tag aussah oder eben nicht.

    Basta! Kopf hoch, Bauch rein, Brust raus!

    Oh Gott – wem machte sie hier eigentlich was vor? Auf jeden Fall sich selbst am meisten.

    Kapitel 4: High Noon

    Der besagte McDonalds war nicht weit entfernt. So entschied sich Paula für das Laufen und gegen das Auto. Trotzdem war sie pünktlich. Sie hasste nichts mehr als zu spät kommen – am liebsten war sie schon eine Viertelstunde vor der vereinbarten Zeit an Ort und Stelle. Lage checken, sondieren, entscheiden, handeln…. Nur nicht auf den letzten Drücker kommen und dadurch erwartet werden und deswegen im Mittelpunkt stehen. Sollte dies der Fall sein – würde sie direkt wieder verschwinden! Ohne Rücksicht auf Verluste! Egal wer ihre Verabredung war!

    Der McDonalds war bis auf einige wenige Nachtschwärmer leer. Es herrschte fast andächtige Stille. Sie entschied sich für einen Platz direkt rechts neben dem Eingang mit Blick auf die Bedienungstheke – die Wand im Rücken.

    Keep cool! Alles unter Kontrolle, Paula! Ich hoffe er merkt nicht, wie nervös ich bin!

    Warum zum Henker war sie nur so nervös? Wegen eines Kerls, den sie weder kannte, noch wirklich wollte.

    Tief durchatmen! Kopf freimachen!

    Fast hätte Helge seine spontane nächtliche Verabredung übersehen. Beim Betreten des McDonalds sah er sie nicht. Der Laden war fast leer, also konnte er sie eigentlich nicht übersehen haben. Zudem war sie groß. Sehr groß für eine Frau. Aber ihm gefiel ihre Größe. Endlich mal eine Frau, zu der er sich nicht hinunter bücken musste und Gefahr lief, nach fünf Minuten Knutschen einen Bandscheibenvorfall der Halswirbelsäule zu bekommen. Paula war nicht sein Typ Frau – absolut nicht. Sie war ihm eigentlich zu rund, zu üppig. Dennoch, etwas an ihr zog ihn magisch an. Vielleicht die Tatsache, dass ihm sein Vater die Pistole auf die Brust gesetzt hatte, oder aber – das kam Helge ganz entfernt in den Sinn– sollte er sich tatsächlich in diese Frau verliebt haben? Entweder verabschiedete er sich von seiner Vielweiberei und konnte ihm eine anständige Schwiegertochter präsentieren, die auch in der Lage war, an der Seite von Helge das Unternehmen zu repräsentieren. Oder aber Helge würde hochkant aus der Firma fliegen. Sein Vater war ein Mann des Wortes zu dem dieser auch Stand! Immer! Helges Vater irrte sich nie, machte nie Fehler und würde nie einen Entschluss rückgängig machen. Es war schon eine harte Bürde Sohn ein solch Perfektionisten zu sein, ganz zu schweigen davon, das Erbe als zukünftiger Geschäftsführer zu werden. 

    Vielleicht war es aber auch ihr Blick. Neugierig, offen und gleichzeitig so distanziert. Er wusste gar nicht, dass diese Kombination überhaupt möglich war – bis er Paula begegnete. Auf der Suche nach Paula ging Helge sogar in Richtung Waschräume und als er schon enttäuscht den Laden verlassen wollte sah er sie. Links vom Ausgang saß sie. Versteckter ging es nicht. Nervös hob sie die Hand und begrüßte ihn mit einem unsicheren ‚Hi’. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er sie zur Begrüßung gerne in den Arm genommen. Doch da sie sich nicht rührte und fast wie erstarrt wirkte, setzte er sich lediglich ihr gegenüber und schaute sie abwartend an. Wie gerne hätte er an ihrem fantastischen Haar gerochen. Wie sie wohl duftete? Er konnte kein Parfum erschnuppern. Auch trug sie heute keine Schminke – dennoch war ihr Gesicht schön. Anders konnte er es nicht beschreiben. Ein Schmollmund, den er allzu gern einmal kosten wollte. Wahrscheinlich nicht heute Nacht. Diese Frau benötigte Zeit – so viel stand fest.

    „Zu was darf ich dich einladen?" Er versuchte das dicke Eis zu brechen, welches zwischen Ihnen lag.

    Sie überlegte einen kurzen Augenblick und entschied sich dann: „Einen White Chocolate - groß bitte!"

    „Oh, du bist eine Süße?! Das hätte ich mir vorher denken können."

    War das tatsächlich ein Lächeln, was da so unscheinbar über ihr Gesicht huschte. Er schaute genauer hin – sah aber nichts außer einem intensiv musternden Blick, dem scheinbar Nichts und niemanden entging. Gentlemanlike orderte Helge ihre beiden Getränke und war in kurzer Zeit zurück. Sie saß immer noch auf ihrem Platz – nicht, dass er sie aus den Augen gelassen hätte, doch er war sehr froh, dass sie nicht die Flucht ergriffen hatte. Beide nippten still an ihren Heißgetränken.

    Schließlich durchbrach Paula die Stille: „Mit was verdienst du dein Geld?"

    Frisch und frei von der Leber weg – damit hatte Helge so auch nicht gerechnet. Er schluckte und räusperte sich, ehe er zu sprechen begann: „Ich arbeite in der Export-Firma meines Vaters. Da mein Vater gesundheitlich nicht mehr reisen kann, bin ich für unsere Geschäftspartner im Ausland verantwortlich. Ich bin viel unterwegs und war schon auf jedem Kontinent. Fünfundfünfzig Prozent meines Jobs verbringe ich reisend."

    Anerkennend hob Paula eine Augenbraue.

    Nun

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