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ATTENTI AL CANE! - e al padrone
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ATTENTI AL CANE! - e al padrone
eBook429 Seiten5 Stunden

ATTENTI AL CANE! - e al padrone

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Über dieses E-Book

Ausgerechnet auf dem Teil des Friedhofs, welcher HSV-Fans zur Bestattung vorbehalten ist, wird Kurt tot aufgefunden. Im St. Pauli Trikot. Versehen mit einer Schmähaufschrift, die ihm brutal in die Brust getackert worden ist.
Und nochmals ausgerechnet war Kurt langjähriger Mitarbeiter in einer Werkstatt für behinderte Menschen, für die Tom-Tom immer dann arbeitet, wenn er nicht zu den Spielen des HSV unterwegs ist. Als hätte er nicht schon genug damit zu tun, seine Tourenplanung mit dem Haufen von Chaoten abzustimmen, mit denen er am Wochenende durch die Republik reist. Wo doch seit kurzem seine beiden Mischlingshunde mit auf Tour gehen müssen, weil seine Göttin auch einmal Ruhe finden möchte.
Doch dann sind es ausgerechnet die Hunde, welche die Spur zu Kurts Mörder finden.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum22. Juni 2016
ISBN9783741827426
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    Buchvorschau

    ATTENTI AL CANE! - e al padrone - T. F. Wilfried

    ATTENTI AL CANE!

    e al padrone

    T.F. Wilfried

    Intro

    Ausgerechnet auf dem Teil des Friedhofs, welcher HSV-Fans zur Bestattung vorbehalten ist, wird Kurt tot aufgefunden. Im St. Pauli Trikot. Versehen mit einer Schmähaufschrift, die ihm brutal in die Brust getackert worden ist.

    Und nochmals ausgerechnet war Kurt langjähriger Mitarbeiter in einer Werkstatt für behinderte Menschen, für die Tom-Tom immer dann arbeitet, wenn er nicht zu den Spielen des HSV unterwegs ist. Als hätte er nicht schon genug damit zu tun, seine Tourenplanung mit dem Haufen von Chaoten abzustimmen, mit denen er am Wochenende durch die Republik reist. Wo doch seit kurzem seine beiden Mischlingshunde mit auf Tour gehen müssen, weil seine Göttin auch einmal Ruhe finden möchte.

    Doch dann sind es ausgerechnet die Hunde, welche die Spur zu Kurts Mörder finden.

    Disclaimer

    Der Autor ist bekennender HSV-Anhänger. Insoweit sind Ähnlichkeiten der handelnden Figuren zu lebenden Personen zwar nicht beabsichtigt, aber durchaus möglich. Sollte jemand meinen, sich wiederzufinden, so möge er dies nachsehen. Handlung, Orte der Handlung und handelnde Personen sind frei erfunden. Ohne die herrlichen Erlebnisse, die der Autor auf seinen Reisen zu den Spielen des HSV machen durfte, hätte es dieses Buch aber nicht geben können. Und liebe Leserin, lieber Leser, seien Sie versichert: Das wirkliche Leben ist nicht weniger unterhaltsam, als es die Geschichte von Kurt hoffentlich war.

    In einer kleinen Randpassage kommen insbesondere die Anhänger eines Traditionsvereins aus dem Ruhrgebiet nicht ganz so gut weg. Auch hierfür bittet der Autor um Nachsehen. Einen besonderen Groll hegt der Autor gegen diesen Verein und seine Anhänger nicht. Würde er vermutlich aber dann, wenn es ihm so ergangen wäre, wie es dem Avvocato geschehen ist. Hierfür kann der Autor beim besten Willen keine Verantwortung übernehmen.

    Kurt hat es wirklich gegeben. Natürlich hieß er nicht Kurt. Und er fand sein Ende auch nicht auf dem Friedhof in Altona. Viel schöner war sein Ende allerdings trotzdem nicht. Denn Kurt war wirklich eine arme Sau.

    Der Autor weiß nicht, ob Kurt von wo auch immer an der Niederschrift der Handlung wie auch immer hat teilnehmen können. Zu seinen Lebzeiten hatte er diese außerordentliche Fähigkeit jedenfalls. In einem ist sich der Autor aber sicher: Kurt hätten die Episoden gefallen. Und nicht nur die schönen, wie die mit den Girly Girls.

    Er hätte Zeugnis dafür abgelegt, dass einiges tatsächlich genau so passiert ist. Und dass anderes gut hätte genau so passieren können. Vermutlich hätte er den Autor ermuntert, noch mehr auszuplaudern. Wie auch immer:

    Lieber Kurt. Möge deine Seele Frieden gefunden haben. Du hast es verdient.

    © - T.F. Wilfried, may - 2016

    imprint:

    T.F. Wilfried

    c/o Weißhoff-Günther

    Ditzumerhammrich 82

    26831 Bunde

    Lektorat: Weißhoff-Günther

    Coverbild & Gestaltung: T.F. Wilfried

    Bildrechte: T.F. Wilfried

    all rights reserved by the author

    (T.F. Wilfried ist ein Pseudonym,

    unter welchem der Autor gelegentlich

    kleinere Geschichten zu Papier bringt,

    die einen autobiographischen Bezug haben.

    Sie erreichen den Autor

    über die im Impressum

    angegebene Service Anschrift.)

    on stage

    Kurt:

    Ist eine echt arme Sau.

    Tom-Tom:

    Wäre gern zur See gefahren.

    Lea und Leo:

    Hatten den richtigen Riecher.

    Mutti:

    Liebt es, Pläne zu machen.

    Der Avvocato:

    Ihn bringt so schnell nichts aus der Ruhe.

    Presbyter und Mongo:

    Bekommt man für gewöhnlich nur im Doppelpack.

    Der Holländer:

    Hat nicht nur ein großes Herz.

    Lucy und Britt:

    Bringen Kurt zunächst ordentlich durcheinander. Danach ordentlich auf Trab.

    Leonie:

    Trägt (fast) gar nichts zur Aufklärung bei. Sieht aber unheimlich gut aus.

    DJ-drei-Zuhörer:

    Lebt zwar von Hartz IV. Hat aber trotzdem nur drei Zuhörer auf seiner Webradiostation.

    Claudette:

    Hat endlich einen festen Job. Und dann das.

    Frau Geil:

    Trägt ihren Namen zu Recht.

    Dr. Rambuk:

    Wäre besser in Dänemark geblieben.

    Inhalt:

    1. Gar nicht bekloppt!

    2. So etwas geschieht doch nicht

    3. Warum es Hamburg sein musste

    4. Erinnerung an Kurt

    5. Der Avvocato

    6. Kurt kommt so gar nicht auf die Beine

    7. Mutti

    8. Rantzau

    9. Presbyter und Mongo

    10. Kurt überlegt

    11. Lea und Le0

    12. Und wieder fährt Kurt nach Rantzau

    13. Der Holländer

    14. Irgendwann muss man sich entscheiden

    15. Leonie

    16. Umzug nach Rantzau

    17. Mach hin Sozialpädagoge

    18. Die Fahndung beginnt

    19. Claudette fährt nicht mehr mit

    20. Lea und Leo lernen Leonie kennen

    21. Das Bewerbungsgespräch

    22. Buddeln verboten

    23. Spurensuche auswärts

    24. Spieltagauswertung

    25. Das Institut

    26. Der Anruf - Claudette erzählt

    27. Der erste Arbeitstag

    28. Luruper Vergangenheit

    29. Bestandsaufnahme

    30. Das Vermächtnis

    31. Frederike-Sophie

    32. Die Cloud

    33. Das Geständnis der Girly Girls

    34. Videoabend

    35. De Kerk

    36. Das Ornament

    37. Der Opfersaal

    38. Requiescat in Pace

    39. Epilog

    1 - Gar nicht bekloppt!

    Tom-Tom hatte einen dieser Freitage erwischt, an denen er sich fragte, warum er überhaupt zur Arbeit gekommen war.

    Nein, Tom-Tom hatte natürlich nichts mit dem Unternehmen aus den Niederlanden zu tun, welches seit 2001 seinen Namen okkupiert hatte. Es war sein bester Jugendfreund gewesen, der stotterte, wenn er aufgeregt war. Und weil er eigentlich immer aufgeregt war, blieb es halt bei Tom-Tom. Spätestens seit Tom-Tom sich in der Vorstellungsrunde am ersten Schultag selbst so genannt hatte, war die Nummer durch. Alle Welt nannte ihn seit damals Tom-Tom. So viel Zeit musste sein.

    Und nein, nicht dass es Tom-Tom keinen Spaß mehr machte nach all den Jahren. Tom-Tom arbeitete in einer Behindertenwerkstatt. Also schon auf der anderen Seite. Sein Job war es hauptsächlich, für genügend Lohnaufträge und damit Umsatz zu sorgen. Das war durchaus eine spannende Geschichte, die da tagtäglich ablief. Kein Tag glich wirklich dem anderen. Und selbst nach über zwanzig Jahren Werkstatt konnte es vorkommen, dass Tom-Tom eine weitere Methode kennenlernte, wie man ein Fahrrad besser nicht zusammenbaut.

    Oder warum es unverzichtbar wichtig ist, dass beim Frühstückskaffee nicht nur die Tasse randvoll sein muss, sondern auch die Untertasse. Selbstverständlich kommen darauf noch fünf Löffel Zucker und reichlich Milch.

    Und selbstverständlich macht sich der Gefahrguttransport dann von der Ausgabe quer durch den Pausenraum zum allerentferntesten Tisch auf den Weg. Ohne Zwischenstopp, ohne Ausweichen, ohne Erbarmen. Wäre die Tasse nicht randvoll gewesen, was wäre dann noch am Tisch angekommen? Nichts geschieht ohne tieferen Sinn.

    Tom-Tom war an diesen Freitag ausgesprochen pünktlich auf den Hof gefahren. Soweit man das im Zeitalter von Gleitzeit sagen darf.

    Jedenfalls war er deutlich früher als sein Chef. Was Wunder. Der hatte bereits nach wenig mehr als einem halben Jahr die Schnauze gestrichen voll. Sagte er jedenfalls schon mal recht nachdrücklich. Ohne wirklich danach gefragt worden zu sein. Schreit nach einem Führungskräfteseminar.

    Zumindest darin war Werkstatt wirklich gut. Gibt es ein Problem: Arbeitskreis einberufen und Fortbildung buchen. Hätte an der inneren Kündigung des Chefs zwar nichts geändert. Er hätte sich aber womöglich geschliffener ausgedrückt.

    Der Tag ging also alles in allem durchaus gut an. Es lagen drei vielversprechende Anfragen potenzieller Kunden mit einem erklecklichen Gesamtvolumen auf Tom-Toms Schreibtisch.

    Für eine Behindertenwerkstatt, die hauptsächlich überschaubare Montageaufträge für mittelständische Unternehmen ausführte, sogar ein ganz besonders erkleckliches Sümmchen. Eine Menge behinderter Menschen wären für eine geraume Weile mit Arbeit versorgt gewesen.

    Tom-Tom war dennoch sofort klar: Diese Anfragen waren einfach eine Nummer zu groß, als dass seine Kollegen zu begeistern sein würden. Im Gegenteil. Sie würden wieder unzählige Gründe finden, warum sie genau diese Aufträge nicht, jedenfalls nicht jetzt oder erst nach ausgiebiger Prüfung durchführen könnten.

    Unter Einbezug der jeweils zuständigen Sozialpädagogin, versteht sich. Die nach Tom-Toms Einschätzung eine grundsätzliche Abneigung gegen jedwede Arbeit hatte, über die man nicht mindestens fünf Monate diskutieren konnte. Doch was willst du über Konstruktionsvorgaben diskutieren?

    Tom-Tom hatte auch das gelernt: Diskutieren geht immer!

    Treffen sich zwei Sozialarbeiter am Bahnhof. Fragt der eine: Kannst du mir sagen, wie spät es ist? Sagt der andere: Du, ich habe weder Uhr noch Handy. Aber gut, dass wir darüber gesprochen haben!

    Doch an diesem Freitag ging alles besonders schnell. Anstelle einer vorsichtigen Hinhaltetaktik, wie sie sonst Gepflogenheit war, sagten alle Verantwortlichen mit Verweis auf die gute Auslastung, mangelnde Lagerkapazitäten und hohen Krankenstand sofort ab. Das war ungewöhnlich.

    Üblicherweise wurde sonst immerhin so getan, als wäre man im Prinzip schon interessiert. Selbst der oberste Chef, der natürlich immer in Carbon Copy gesetzt sein wollte, um sich gleich darauf über sein überquellendes Postfach und die vielen überflüssigen Mails zu beschweren, hatte recht zügig Verständnis für die Kollegen und verzichtete auf mediativen Eingriff. Welcher am Ergebnis ohnehin nichts geändert hätte.

    Unter dem Strich hatte Tom-Tom jedenfalls nach der Frühstückspause bereits gestrichen die Nase voll. Meistens hielt er sonst tapfer bis Mittag durch. Also begann er, sein Wochenende zu planen.

    Gut. Zuvor mussten noch die Kunden informiert werden. Ihnen eine Absage zu erteilen und sie dennoch so bei Laune zu halten, dass sie nicht zum letzten Mal angefragt hatten, blieb natürlich an ihm hängen. War vielleicht sogar sein wichtigster Job. Nicht immer leicht, aber einer musste es schließlich machen.

    Wie hatte es sein Chef auf den Punkt gebracht: »Ich brauche einen Schutzwall für die Kollegen. Das sind sie. Wenn es gut läuft, werden alle gelobt. Wenn es schlecht läuft, bekommen wenigstens nur sie auf die Schnauze. So lange es so bleibt, haben wir alle etwas davon und sie können machen, was sie wollen. Oder wenigstens beinahe.«

    Hin und wieder durchbrach der Geschäftsführer dieses unfreiwillige Stillhalteabkommen mit unangenehmen und vor allem unangemessenen Forderungen nach Umsatzsteigerung.

    Da dieser aber weder in der Lage war, das System zu verstehen und zu durchschauen, noch bereit, es signifikant zu ändern, blieb alles, wie es war.

    Tom-Tom sorgte für Kundenanfragen, die keiner haben wollte. Schrieb Konzepte zur Umsatzsteigerung, Kundenbindung und Erhöhung der Produktivität, allesamt praktikabel und installierbar.

    Problem jedoch blieb: Hätte man etwas ändern wollen, hätte man etwas ändern müssen. Und dazu schien niemand bereit. Also verschwanden diese Konzepte schnell wieder in der Schublade, mindestens bis zum nächsten Rundumschlag des Geschäftsführers. Dann wurden diesem die nahezu unveränderten Konzepte erneut vorgelegt.

    Der Geschäftsführer fand sie wieder sehr innovativ. Wollte keinesfalls, dass sie in der Schublade vergilbten. Berief Arbeitskreise und Arbeitstreffen ein. Und danach war alles wie zuvor. Die Konzepte lagen in der Schublade bei den anderen und niemanden hat es wirklich interessiert.

    Es gab also keinen plausiblen Grund, die Wochenendplanung länger aufzuschieben. Bis auf einige Telefonate, welche noch zu führen waren und einige Mails, die beantwortet sein wollten.

    Nachdem er dies erledigt hatte, rief Tom-Tom gegen elf Uhr seinen Kollegen in einer Behindertenwerkstatt im tiefsten Ruhrgebiet an, der dort die Schreinerei leitete. Ihm hatte er vor seinem Urlaub Muster und Zeichnungen überlassen in der Hoffnung, die Ruhrpöttler würden sich an einer Eigenproduktion beteiligen, die Tom-Tom vor kurzem initiiert hatte. Dem war natürlich nicht so.

    Auch im Ruhrgebiet stand das Tagesgeschäft einer strategischen Neuausrichtung im Weg. Die überlassenen Muster und Zeichnungen wollte Tom-Tom immerhin nicht ebenso abschreiben wie die erhoffte gedeihliche Zusammenarbeit. Also war ein zweites Treffen unumgänglich.

    Es passte ihm an diesem Tage zudem ausgesprochen gut. Für vierzehn Uhr hatte Tom-Tom sich mit dem Avvocato am üblichen Treffpunkt verabredet, keine fünf Kilometer von seinem aktuellen Termin entfernt. Denn WIR hatten das Abendspiel.

    Auch unter Berücksichtigung eines erhöhten Verkehrsaufkommens an einem Freitag sollten sechseinhalb Stunden allemal reichen, um aus dem Ruhrgebiet nach Hamburg zu kommen. Einen kostenfreien Parkplatz am Stadion zu finden. Ein paar Freunde zu treffen. Die nächsten Auswärtstickets am Supporters-Stand abzuholen und pünktlich zum Anpfiff im Block zu sein. Pinkelpause inbegriffen.

    Immerhin hatten WIR ja Heimspiel, da kommt man nicht gern zu spät.

    Wieso man plus minus achthundert Kilometer für ein Heimspiel verfährt und das für völlig normal hält, ist vielleicht nicht jedem und nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Wie sich heraus stellen sollte, für den Schreiner-Kollegen ebenfalls nicht.

    Jedenfalls war Tom-Tom um Punkt dreizehn Uhr bei der befreundeten Werkstatt für Behinderte im tiefsten Ruhrgebiet, wie er es dem Kollegen, der heute mal früher Schluss machen wollte, versprochen hatte. Er fand ihn nicht gleich, denn es war Mittagszeit. Und vor der Zeit Feierabend machen heißt ja jetzt nicht, auch vor der Zeit Pausen zu streichen. Nicht in einer Werkstatt für Behinderte. Und schon gar nicht im Ruhrgebiet.

    Er fand seinen Kollegen also in der Kantine bei dessen wohlverdienter Mittagspause, die im Grunde bereits das Einläuten des auf dreizehn Uhr dreißig geplanten Wochenendes war.

    Wartete geduldig, bis der Kollege seinen Kaffee ausgeschlürft hatte und wollte eigentlich nur noch eben die überlassenen Muster und Zeichnungen einladen, um sich dann auf den Weg zum Treffpunkt zu machen. Doch so schnell gehen die Dinge im Ruhrgebiet nicht. In einer Werkstatt für Behinderte schon mal gar nicht.

    Wo waren denn noch gleich diese verdammten Muster? Der Kollege fing an, zu suchen und war sich jedes Mal sicher, hier müssen sie doch sein! Nicht, dass er seit gut zwei Stunden fernmündlich darauf vorbereitet gewesen war. Nicht, dass er etwa zur Unordnung neigte. Nein, er war schlicht und ergreifend nur noch nicht dazu gekommen, die besagten Gegenstände zu suchen.

    Übrigens ein unverkennbares Merkmal, sich in einer Werkstatt für Behinderte zu befinden. Und dies gilt nicht nur für das Ruhrgebiet. Im Zweifel wird es der Kollege gewesen sein, welcher die Urlaubszeit des Schreiners missbraucht hatte, das wohlgeordnete Chaos in ein nicht durchschaubares, weil systematisches Ablagesystem zu verwandeln.

    Gegen dreizehn Uhr zwanzig, also höchste Zeit für beide, endlich zum Abschluss zu kommen, war dann alles Gesuchte beisammen: Die Muster und die Zeichnungen. Man hatte sich im Grunde nur noch zu verabschieden und beide konnten ihre Termine voraussichtlich gemäß Plan einhalten.

    Doch so ist nicht das Ruhrgebiet. Da ist ein klein Pläuschken ein Zeichen des Respekts, also unverzichtbar. Egal, wie sehr die Zeit drängte.

    Kollege Schreiner: »Die Verkehrslage ist ja mal wieder ziemlich chaotisch.«

    Anmerkung: Es lagen etwa eineinhalb Zentimeter Schnee, denn der Winter hatte erbarmungslos zugeschlagen im Ruhrgebiet!

    »Mein Chef, die arme Socke, muss nachher nach Hamburg! Der tut mir richtig leid. Hoffentlich kommt er überhaupt heute noch an.«

    Tom-Tom fragte interessiert, denn Hamburg interessierte immer: »Fährt dein Chef auch zum Spiel?« Kollege Schreiner: »Nee, der fährt Verwandtschaft besuchen, bleibt wohl auch das ganze Wochenende. Aber wieso auch, und wieso zum Spiel, zu was für einem Spiel?«

    Tom-Tom holte seinen Autoschlüssel aus der Tasche und zeigte auf den Anhänger mit der HSV-Raute: »Na zu dem Spiel natürlich, wohin denn sonst?«

    »Wie jetzt?«, fragte der Kollege. »Sag nicht, du fährst für ein Fußballspiel nach Hamburg?«

    »Natürlich«, antwortete Tom-Tom. »Ich fahre nicht für ein Fußballspiel nach Hamburg. Ich fahre zu jedem Spiel des HSV.«

    Der Kollege: »Dann bleibst du aber über das Wochenende da oben in Hamburg, oder?«

    Tom-Tom: »Nein, wir fahren zum Spiel und heute Abend noch zurück.«

    Der Schreiner: »Das ist aber ganz schön bekloppt, vierhundert Kilometer zu einem Fußballspiel zu fahren und danach gleich wieder vierhundert Kilometer zurück!?«

    Bevor Tom-Tom noch antworten konnte, wobei er schon eine Weile überlegte, wie er denn jetzt eine auch für Außenstehende verständliche Antwort geben sollte, stand weiter hinten in der Werkstatt einer der behinderten Mitarbeiter auf.

    Schlurfte gemächlich nach vorne. Zog umständlich mit etwas ungeschickter Bewegung aus seiner Hosentasche einen Schlüsselbund, an dem ein zwar recht abgenutzter, aber unverkennbar ebensolcher HSV-Anhänger prangte, wie Tom-Tom ihn eben noch stolz dem Kollegen gezeigt hatte.

    Gab Tom-Tom kumpelhaft die obligatorische Fünf und sprach laut und selbstverständlich in aller Ruhe aus, was sowieso jeder weiß: »Gar nicht bekloppt!!!«

    Das breite Grinsen des behinderten Mitarbeiters, die völlige Verblüffung des Kollegen, die Absurdität der Situation, welche der behinderte Mitarbeiter so pointiert als schlichte Normalität auf den Punkt gebracht hatte.

    Noch im selben Augenblick wusste Tom-Tom: Vielleicht hatte er nicht immer einen leichten Job. Aber Momente wie diesen erlebst du nicht mal eben so, nicht einmal im Ruhrgebiet.

    Alles, was morgens noch geschehen war, spielte jetzt keine Rolle mehr. Tom-Tom war sehr stolz, mit behinderten Menschen arbeiten zu dürfen. Er war froh, erleben zu dürfen, wie es seinem Kollegen die Sprache verschlug. Im Ruhrgebiet wohl gemerkt!

    Und Tom-Tom war mit einem Schlag in der Stimmung, sich jetzt mit guter Laune auf den Weg zum Treffpunkt und dann nach Hamburg zum Spiel machen zu dürfen.

    Besser hätte man es nicht auf den Punkt bringen können: Sich an einem Freitag vierhundert Kilometer gen Norden auf die Autobahn zu schmeißen, um ein vermutlich (nein, ganz sicher!) grottenschlechtes Spiel zu sehen und zu beklatschen. Danach nochmals vierhundert Kilometer zurück.

    Sich womöglich je nach Spielausgang der Häme von Nachbarn und Freunden ausgesetzt sehen. Was zum Teufel ist das???

    Es ist jedenfalls eines: Gar nicht bekloppt!!!

    2 - So etwas geschieht doch nicht

    Gestern haben sie Kurt erschlagen. Dass es Kurt war, sollte Tom-Tom erst später erfahren. Gefunden wurde Kurt mit eingeschlagenem Schädel auf dem Hauptfriedhof Altona in unmittelbarer Sichtweite zur Arena.

    An Spieltagen eine beliebte Abkürzung Richtung Luruper Hauptstraße zu den Haltestellen oder zu den Parkplätzen entlang der Stadionstraße.

    Pikant daran war, dass Kurt im nordöstlichen Bereich des Friedhofs gefunden worden war, also in dem Bereich, der HSV-Fans zur Beisetzung vorbehalten ist. Pikant deshalb, weil Kurt ein St. Pauli Trikot trug. Auf dieses Trikot und damit natürlich auch auf Kurt war im Brustbereich ein Pappschild getackert worden mit der Aufschrift: Schaiss St. Pauli. Schlachtgesang mit Bolzenschussgerät verewigt.

    Allerdings war hier wohl ein Legastheniker am Werk gewesen, denn die Schreibweise Schaiss entsprach nun nicht üblicher Konvention.

    Tom-Tom hatte diese Schreibweise schon einmal gesehen. Das war gewesen, als die damalige Freundin seines Sohnes - wie sagt man so schön - Schluss gemacht und einen Zettel zurückgelassen hatte, auf dem DU SCHAISS WICKSER stand.

    Bis auf das DU war also alles nicht so ganz rechtschreibkonform. Darauf wird es der Freundin damals allerdings erstens nicht angekommen sein. Und zweitens kam sie als Tatverdächtige wohl kaum in Betracht.

    Die in Hamburg ansässigen Printmedien, die ja auch ansonsten nicht gerade für Zurückhaltung und seriöse Berichterstattung bekannt sind, machten aus dem Fall eine ganz große Nummer. Es war sehr schnell die Rede von Krieg zwischen den verfeindeten Anhängern der beiden Traditionsvereine und einer gezielten Provokation. Die Staatsanwaltschaft tat das einzig Richtige und hielt sich mit Verlautbarungen dezent zurück. Womit wildesten Spekulationen Tür und Tor geöffnet wurden.

    Recht schnell kam ein findiger Reporter auf die Idee, dass der doppelte Buchstabe SS leicht runenhaft verzerrt geschrieben war. Ein eindeutiges Indiz für einen rechtsradikalen Hintergrund innerhalb der Fanszene.

    Damit nicht genug sollten die Buchstaben A und I für Aktionsfront Islam stehen, also bewusst gewählt worden sein. Angeblich war diese Front ein Zusammenschluss diverser rechter Zellen, welcher sich als Bündnispartner der Islamischen Aktionsfront verstand und in einer gewissermaßen konzertierten Aktion den Rechtsstaat von zwei Seiten mit Terror überziehen wollte.

    Wie der Reporter darauf gekommen war, blieb sein Geheimnis. Denn Bilder des Opfers wurden durch die Staatsanwaltschaft nicht veröffentlicht. Der arme Friedhofsgärtner, welcher Kurt an einem nasskalten Morgen gefunden hatte, musste als Zeuge herhalten, obwohl er immer wieder beteuerte, sich an kaum etwas erinnern zu können.

    Und für die Existenz einer Aktionsfront Islam gab es in der einschlägigen Literatur bislang nicht die geringsten Hinweise.

    Natürlich war die Nachricht von Kurts Tod unter spektakulären Umständen auch überregional in Funk und Fernsehen verbreitet worden. Jedoch ohne Namensnennung und nähere Details zum Opfer. Dafür unter direkter Bezugnahme zu den jüngsten Vorgängen, als es HSV-Fans oder solchen, die sich dafür hielten, im Stehblock gelungen war, im Zuge einer Protestaktion gegen ein Verbot von Pyro-Technik beim Abbrennen mehrerer Bengalos die Supporters-Fahne gleich mit abzufackeln. Von Eskalation der Gewaltspirale war die Rede. Von kriminellen Elementen innerhalb der Fanszene und einer Radikalisierung derselben. Die auch vor Totschlag nicht mehr Halt machte.

    So hatte Tom-Tom überhaupt erst von dem Vorfall erfahren. Verstehen konnte er das alles aber nicht. Da die Hamburger Presse ihre reißerischen Berichte mit Überschriften wie Straßenkrieg in Hamburg oder Wann schlagen die Pauli-Fans zurück? titelte, waren sie natürlich direkt betroffen. Denn die Fahrt zum nächsten Heimspiel war gerade in Planung.

    Wenn es denn stattfand. Noch wurde spekuliert, ob der Deutsche Fußballbund das Spiel wegen massiver Sicherheitsbedenken womöglich absetzen würde.

    Gerade hatte Tom-Tom eine Short Message von Mutti beantwortet, der natürlich dafür votierte, auf das Spiel am Wochenende zu verzichten. Jetzt wollte er sich endlich auf das konzentrieren, wofür ihn sein Arbeitgeber bezahlte.

    Da stand plötzlich ein hochgradig aufgelöster Sozialpädagoge in seinem Büro. Aufgeregte Sozialpädagogen waren Tom-Tom hinlänglich bekannt.

    Doch sein Kollege schien ihm noch wibbeliger als sonst.

    »Das ist ja mal ein echt starkes Stück, das mit Kurt!« »Wieso Kurt, welcher Kurt? Wovon redest du?« »Na unser Kurt aus B. Der war doch damals in deiner Gruppe!«, antwortete sein Kollege.

    Natürlich erinnerte sich Tom-Tom an Kurt. Der war nicht nur einer seiner findigsten Betreuten gewesen, sondern beinahe so etwas wie sein persönlicher Sekretär, als er noch im Gruppendienst tätig gewesen war.

    Kurt war allerdings schon seit etlichen Jahren nicht mehr in ihren Werkstätten. Näheres wusste Tom-Tom nicht, da er selbst vom Gruppendienst in eine Funktionsstelle gewechselt war und seine ehemaligen Mitarbeiter nur noch sporadisch sah. Kurt jedenfalls war schon lange nicht mehr dabei. Tom-Tom hatte irgendetwas von langem Klinikaufenthalt auf der Akutstation und Umzug in den Norden gehört. Das lag aber inzwischen auch schon etliche Jahre zurück.

    »Ja, aber ich habe gedacht, du wüsstest Bescheid. Du bist doch HSV-Fan!«, stotterte sein Sozialpädagogen-Kollege und hüpfte von einem Bein auf das andere. »Und was hat das mit Kurt zu tun?« Tom-Tom verstand immer noch nicht, worauf sein Kollege hinaus wollte.

    »Na, das ist doch unser Kurt, den sie in Hamburg totgeschlagen haben!« Treffer, versenkt. Wie bitte sollte Tom-Tom denn darauf kommen können, dass sein ehemaliger Mitarbeiter ein und dieselbe Person war, die gerade unverschuldet dafür sorgte, dass nicht nur in Hamburg so allmählich alles aus den Fugen geriet. In den Berichten tauchten nur Namenskürzel auf. Keine Bilder, keine Hintergrundinformationen durch die Sonderkommission.

    Auch dass es sich um einen behinderten Menschen gehandelt hatte, war noch nicht an die Presse gelangt. Vermutlich wollte die Staatsanwaltschaft verhindern, dass die sowieso schon überbordenden Spekulationen weitere Nahrung erhielten. Lediglich Alter und Geschlecht männlich blieben unwidersprochen.

    Und natürlich die Aussage des Friedhofsgärtners, das Opfer habe ein St. Pauli Trikot getragen, auf das eben jene unselige Aufschrift auf unkonventionell brutale Weise aufgebracht worden war.

    Tom-Tom merkte, wie ihm leicht schwindelig wurde. Schemenhaft tauchten Bilder aus seiner Erinnerung auf, die ihn an Erlebnisse mit Kurt erinnerten. Und davon gab es eine Menge.

    Nur ein Bild tauchte nirgendwo auf: Kurt im St. Pauli Trikot. Kurt hatte sich nicht die Bohne für Sport interessiert. Und Tom-Tom hegte berechtigte Zweifel, ob Kurt Fußball überhaupt unter Sport eingeordnet hätte. Er meinte, sich an eine Äußerung erinnern zu können, in der Kurt den Sportunterricht seiner Schulzeit als persönlichen Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit bezeichnet hatte. Wie so vieles, was ihm damals und später das Leben oft genug zur Hölle gemacht und ihn letztlich in die Psychose getrieben hatte.

    »Jetzt erzähl mal in aller Ruhe und möglichst zusammenhängend: Was weißt du darüber? Woher weißt du, dass es Kurt war? Und wie zum Teufel kommt Kurt nach Hamburg?«, forderte Tom-Tom seinen Kollegen auf. Der ließ sich nicht ein zweites Mal bitten und legte los.

    3 - Warum es Hamburg sein musste

    Jeder Mensch benötigt in seinem Leben einen Fixpunkt. Andere sagen auch Heimat, ein Lebensziel, eine Identifikation. Jedenfalls einen Punkt im Leben, an dem du deinen Anker fallen lässt und sagst: Hier bin ich zu Haus, hier gehöre ich hin.

    Wenn man bedenkt, dass Tom-Tom im Grunde im Ruhrgebiet aufgewachsen war, seinen späteren Lebensmittelpunkt mitsamt Familie in das Rheinland verlegt hatte und sich dort wohl fühlte, muss man erst einmal darauf kommen, wieso jetzt Hamburg nicht nur seine gefühlte, sondern seine authentische Identität sein konnte. Gut, er war in Hamburg geboren. Einer genaueren Überprüfung hätte diese Angabe allerdings kaum standgehalten. Denn bereits in seinen ersten Lebensjahren wurde er zunächst nach Kiel und dann auf Dauer in das Ruhrgebiet verschleppt.

    Noch mal gut. In den Nachkriegsjahren waren die Dinge eben, wie sie waren. Seine Eltern werden froh gewesen sein, im Ruhrgebiet einen neuen Anfang gemacht haben zu dürfen. Zumal ihr eigener Lebensmittelpunkt nicht Hamburg, sondern das großartige Berlin gewesen war.

    Was jetzt an Berlin so großartig sein sollte, hatte Tom-Tom zwar nach etlichen Berlin-Reisen noch immer nicht herausfinden können. Aber gut. Die Eltern hatten halt ihren eigenen Ankerplatz. Hamburg war für sie letztlich nur Zwischenstopp gewesen. Ausreichend, um sich vom alten Leben abzukoppeln, ein Kind zur Welt zu bringen und von hier aus eine hoffentlich und endlich freundlichere Zukunft zu planen.

    Tom-Tom hatte das nie etwas ausgemacht. Nicht, dass er im Ruhrgebiet keine schöne und behütete Kindheit gehabt hätte. Doch Hamburg blieb für ihn immer das Maß aller Dinge. Vom Balkon seiner Lieblingstante Jenny, die eigentlich nicht wirklich seine Tante war, die er aber mochte wie keine andere, und die sie mindestens immer dann besuchten, wenn die Familie zu seiner Großmutter nach Kiel fuhr, konnte er - weit über das Balkongeländer gebeugt - das Trainingsgelände am Rothenbaum einsehen.

    Sein Onkel, genauer der Sohn seiner Tante, die nicht wirklich seine Tante war, hatte irgendwann die entscheidenden Worte gesagt. Damals mochte Tom-Tom vielleicht sechs Jahre alt gewesen sein:

    »Sieh nur genau hin. Wenn du gute Augen hast, wirst du Uwe Seeler sehen können. Wenn du ein wenig älter bist und ich länger im Hafen liege, nehme ich dich einmal mit.«

    Das war noch vor Bundesliga. Aber Uwe Seeler, die beiden Dörfels, Willi Schulz und alle, die danach kamen, das waren seine Idole. Später sollten Willi Schulz und Uwe Seeler seine ersten Starschnitte aus der BRAVO werden.

    Zugegeben, Franz Beckenbauer und Winnetou/Pierre Brice lagen genau dazwischen. Die hatte er aber nicht aus eigenen Mitteln gesammelt, sie lagen halt einfach dazwischen.

    Und die Zeitschrift hatte seine Schwester gekauft. Jedoch nicht wegen Franz Beckenbauer oder Pierre Brice. Sondern wohl eher wegen Dr. Sommer und den seinerzeit sehr beliebten - und in dieser Zeit wohl auch unverzichtbaren - lila Aufklärungsseiten im Innenteil. Leicht verschämt eingeheftet und gerade dadurch als Loseblattsammlung zur Weitergabe prädestiniert.

    Die Fickipedia-Jugend kann mit derlei Erinnerungen nicht viel anfangen. Er zu dieser Zeit konnte mit den lila Seiten auch noch nicht wirklich viel anfangen. Mit den Starschnitten allerdings schon.

    Dass sich hier die Prioritäten in nicht allzu weiter Zukunft verschieben sollten, lag auf der Hand. In der notwendig anzüglichen Terminologie der Pubertät würde man später gesagt haben: Die Priorität lag in der Hand.

    Doch gegenwärtig war er zufrieden damit, vom Balkon seiner Tante, die eigentlich nicht wirklich seine Tante war, Uwe Seeler sehen zu können. Hätte ihn rufen können, ihm zuwinken. Erkennen konnte er zwar nur kleine schwarze Punkte auf grünem Geläuf, nebenan auf roter Asche. Doch es war ganz sicher Uwe Seeler.

    Dies vor allem deshalb, weil sein Onkel es ihm versichert hatte. Und der war über jeden Zweifel erhaben. Hatte er doch als Erster Steuermann zur See Panama, Ceylon - wie es damals noch hieß -, Buenos Aires und Hongkong angefahren.

    Alles Orte, die in der Tom-Sawyer-Fantasie eines im Ruhrgebiet gestrandeten angehenden Seemannes Freddy-Quinn-Romantik und unendliche Sehnsucht auslösten. Kap Horn und Feuerland umrunden. In jedem Hafen eine Lale Andersen schmachtend zurücklassen. Seinen Original-Panama-Strohhut, den ihm der Steuermann geschenkt hatte, endlich zum Einsatz bringen. Was konnte einem das Leben Besseres bieten?

    Im Alter von fünfzehn, sechzehn Jahren hatte er dann noch einmal ernsthaft über eine Ausbildung an der Seefahrtsschule an der Rainvilleterrasse in Ottensen nachgedacht. Natürlich hätte er für den Anfang bei Tante Jenny wohnen können. Doch zur See fahren hieß auch, mit Mathematik klar kommen.

    Was nun nicht so sein Ding war. Und gute Augen haben. Brillenträger wurden in diesen Jahren nicht zur Ausbildung zugelassen. Auch wenn es kaum mehr üblich war, die Wache an der Reling oder im Mastkorb zu durchstehen und seine Brille gegen die überpeitschende Gischt der Wellen zu beschützen. Was unzweifelhaft zu weniger Aufmerksamkeit, damit Riffkollision und Schiffbruch führen musste.

    Wie auch immer. Sowohl die Mathematik als auch seine vererbte Sehschwäche ließen seine romantischen Träume von einem

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