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Siegfried Der Roman
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eBook336 Seiten4 Stunden

Siegfried Der Roman

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Über dieses E-Book

Siegfried van Bowdendonk ist ein Junge mit einer Schwäche für Technik und mit einem abgründigen Hass für den Superhelden Galaktoman, der seinen Vater Arnold auf dem Gewissen hat. Als der zwielichtige Doktor von Stackelmann Siegfried das Angebot macht, an der Schule von Darnwolt die Dinge zu lernen, die ein Superschurke wissen muss, denkt der Junge nicht zweimal nach. Zumal seine Mutter Cornelia ein Geheimnis vor ihm zu verbergen sucht. Dass an der Schule die wunderschöne Lisa die Fächer Amoral und Narzissmus unterrichtet, erleichtert die Entscheidung. Und so gerät Siegfried in ein haarsträubendes Abenteuer, das ihn am Ende erwachsen werden lässt.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum20. Mai 2014
ISBN9783844295757
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    Buchvorschau

    Siegfried Der Roman - Martin Allwang

    01. It Ain´t Over Till It´s Over (Lenny Kravitz)

    Die bleierne Tür zum inneren Bezirk öffnet sich ohne ein Geräusch. Siegfried van Bowdendonk tritt mit selbstzufriedenem Gesichtsausdruck in die mit kaltem Neonlicht erfüllte Sicherheitsschleuse. Routiniert schlüpft er in den Vakuumanzug aus gelbem Gummi. stülpt die Arbeitshandschuhe über seine Hände und prüft, ob der luftdichte Verschluss auch wirklich eingerastet ist. Dann betätigt er den Türöffner auf der anderen Seite der Schleuse und betritt den Korridor des inneren Bezirks. Etwa vierhundert Fuß unter der amerikanischen Erde hat Siegfried seine Labors angelegt, in denen mit allem experimentiert wird, was das Kriegswaffenkontrollgesetz verbietet.

    Sofort tritt Kuno, Siegfrieds buckliger Diener, herbei und grüßt seinen Meister mit einer tiefen Verbeugung. „Wie geht es unserem Gast? erkundigt sich Siegfried. „Den Umständen entsprechend. Wir haben Galaktoman seiner Superkräfte beraubt und ihn mit Pentothal betäubt. Er hängt gefesselt mit den Füßen nach oben über der Öffnung des Materiedesintegrators. Noch ein paar Minuten und das Narkotikum hört auf zu wirken. Chef, ich will nicht drängeln, aber wir sollten den Kerl so schnell wie möglich materiedesintegrieren. Siegfried ignoriert Kunos Worte. Mit triumphierendem Schritt geht er den Korridor entlang auf eine gelb-schwarz gestreifte Tür zu. Er tippt einen Code in das Zahlenschloss neben der Tür, worauf eine sinnliche Frauenstimme „Willkommen" haucht und die Tür nach oben wegzischt.

    Siegfried blickt in eine dreißig Meter hohe Höhle von der Größe eines Fußballfeldes. Der Boden ist mit weißer Keramik ausgelegt, an einigen Stellen zeigen sich schwarze Flecken von Fledermauskot. In der Mitte der Höhle gähnt ein Loch im Boden, aus dem das gelbe Licht des Materiedesintegrators dringt. Die Maschine ist eine von Siegfrieds zahllosen infernalischen Erfindungen. Alles was darin landet, wird in seine Elementarteilchen zerlegt und nach Protonen, Neutronen und Elektronen sortiert gelagert. Über dem Schlund des Materiedesintegrators hängt kopfüber ein Mann von etwa 45 Jahren. Nichts deutet mehr darauf hin, dass es sich um den Superhelden Galaktoman handelt.

    Das gelblich grüne Licht, das aus dieser Öffnung dringt, lässt Galaktomans Gesicht ungesund fahl erscheinen. Galaktoman hat sein kobaltblaues Leuchten verloren, weil ihnSiegfried mit Glyptozin abgesprüht hat, der Substanz, die Galaktomans übernatürliche Kräfte zum Verschwinden bringt. Aus dem leuchtenden Schrecken der Unterwelt ist ein kraftloser Mann geworden, der mit einem Hozfällerhemd und Blue Jeans bekleidet ist. Weil Galaktoman kopfüber an der Kette hängt, sind die Beine der Jeans nach unten gerutscht und man erkennt einstmals weiße Puma-Socken, die ebenfalls mit der gelb leuchtenden Flüssigkeit getränkt sind, sodass sie wie vollgepisst aussehen.

    Mit triumphierendem Schritt geht Siegfried um seinen gefesselten Erzfeind herum. Obwohl er erst vierzehn Jahre ist,  hat er es geschafft, Galaktoman zu überwältigen. Nach einer Glyptozindusche war von Galaktomans Kräften nichts mehr übrig. Ihn mit einem Pentothalpfeil zu betäuben und dann in der geheimen Grotte aufzuhängen war ein Kinderspiel gewesen.

    Lächelnd genießt Siegfried den Anblick des Superhelden, der über dem matt leuchtenden Schlund des Materiedesintegrators baumelt. Noch ist Galaktoman vom Pentothal betäubt. Alles was Siegfried in diesem Moment tun müsste, ist den Knopf zu drücken, der die Kette an der Grottendecke ausklinkt. Dann würde sein Erzfeind  unweigerlich durch das Loch im Boden in den Schlund des Materiedesintegrators fallen. In wenigen Millisekunden hätte die Höllenmaschine den Superhelden in seine Elementarteilchen zerlegt.

    Aber irgendetwas hält Siegfried zurück den Schalter zu drücken. Er hört eine Art Sirenengesang in seinem Kopf, der ihn dazu verführt zu warten, bis Galaktoman aufwacht, um dem Superhelden vor seinem Ableben ein für alle Mal die Meinung zu sagen. Als Siegfried van Bowdendonk den hilflosen Galaktoman kopfüber an der Kette hängen sieht, ist er sicher, alle Trümpfe in der Hand zu haben. Diesmal würde es für Galaktoman keine Rettung geben. Diesmal ist endlich Zeit für ein kleines Gespräch. Die Wahrscheinlichkeit, dass Galaktoman Siegfrieds selbstgefälligen Monolog nutzen könnte, um sich zu befreien und den Jungen ins Verderben stürzen, beträgt nicht einmal  eins zu einer Million. Hinzu kommt, dass dies hier die Realität ist und kein vor Unlogik strotzender Superheldenfilm, in dem der Superschurke durch sein Gequatsche am Ende alles vermasselt.

    Siegfried schaut auf den hilflosen Superhelden. Es erklingt ein tausendstimmiges „Freude, schöner Götterfunken"  in seinem Kopf. Die Musik wird immer lauter und triumphaler, je länger er Galaktoman betrachtet. Irgendwann findet Siegfried, das Vergnügen, dem arroganten Helden seinen Plan zur Übernahme der Weltherrschaft zu erläutern, sei ein kleines Risiko wert. Und mit jeder Sekunde wird sein Triumphgefühl übermächtiger.

    In wenigen Augenblicken würde er dem Superhelden in den Arsch treten, der seinen Vater auf dem Gewissen hatte. Das heißt, es würde gar kein Arsch zum Treten da sein, es würde überhaupt nichts mehr von Galaktoman da sein. Die kosmische Kraft, die in Galaktomans Körper gebündelt war, würde die Startenergie liefern, um den Materiedesintegrator in eine Waffe von unerreichter Vernichtungskraft zu verwandeln.

    In diesem Augenblick beginnt Galaktoman zu blinzeln und seine Gesichtsmuskeln zucken wie bei einem Teenager, der sein erstes Drogenexperiment hinter sich hat. Galaktoman hustet und würgt, dann kotzt er seinen Mageninhalt in die Öffnung des Materiedesintegrators. Einen Augenblick später dringt ein Lichtblitz aus der Öffnung im Boden und ein heißer Luftstrom aus der Tiefe stellt Galaktomans Haare auf. „Ich hoffe, du hängst bequem, Galaktoman," ruft Siegfried dem Superhelden zu, während er mit großen schnellen Schritten um seinen Gefangenen herumschreitet.

    Eine Zeitlang herrscht Schweigen. Dann hört Siegfried Galaktoman sagen: „Hey, das ist doch der Junge mit den Pickeln im Gesicht und den fetten schwarzen Haaren, die so aussehen, als wären sie mit Talg auf den Kopf gepappt. Du hast mir doch immer die Zeitung gebracht. Siegfrieds böses Lachen hallt von den Wänden der Grotte wider. „Nachdem ich deine geheime Identität aufgespürt hatte, war alles ein Kinderspiel. In eurer geheimen Identität seid ihr Superhelden so arglos wie Rentner auf einer Kaffeefahrt. Ich frage mich heute, warum ich dir nicht auch noch eine Rheumadecke angedreht habe. Mit beträchtlicher Mühe dreht sich Galaktoman um seine Achse, sodass er Siegfried im Auge behält. „Wie hast du mich gefunden? will er wissen. „Du ziehst kosmische Energie an. Das erzeugt kleine Anomalien in der Frequenz von Neutrinoeinschlägen in deiner Umgebung. Mit einem Glas Wasser und einem geringfügig manipulierten iphone kann man das messen. Damit findet man dich wie man eine Kerze findet, die auf einem Baumstumpf in einem dunklen Wald brennt. Der Rest war einfach. Einer meiner Männer legte ein Feuer im Nachbarhaus. Die anderen kamen als Feuerwehrleute verkleidet angebraust. In dem Moment, als du vor die Tür tratest, um zu sehen, was los ist, sprühten wir dich mit der Glyptozinlösung ein, die im Tank des Spritzenwagens untergebracht war. Dich mit Pentothal zu betäuben und hierher zu bringen, war danach kinderleicht. Siegfried wendet sich von Galaktoman ab und geht auf ein Kontrollbord zu, dass sich wenige Schritte von der Bodenöffnung entfernt befindet. „Entschuldige, aber jetzt muss ich mich sputen, denn wie du sicher weißt, ist Glyptozin photochemisch instabil. „Photochemisch instabil? fragt Galaktoman mit einer weiteren zuckenden Bewegung. „Oh mein Gott, ihr Superhelden habt ja nicht die blasseste Ahnung von den Naturwissenschaften. Aber warum sollte euch auch eine Natur interessieren, deren Gesetze ihr ständig außer Kraft setzt? Photochemisch instabil bedeutet, dass sich Glyptozin am Licht zersetzt und dabei Schwefelsäure frei wird. „Ach, tut es das? fragt Galaktoman hämisch und mit einer weiteren Wendung seines Körpers.

    Obwohl es ziemlich anstrengend sein muss, sich kopfüber an einer Kette hängend im Kreis zu drehen, lässt der Superheld Siegfried nicht aus den Augen.

    „Äh, Siegfried, eine Frage noch, die du mir, so wie ich euch Superschurken kenne, gerne beantworten wirst: Wozu das alles? fragt Galaktoman matt. „Der Nebengrund ist, dass du Schweinehund meinen Vater ermordet hast. Errinnerst du dich nicht an Arnold van Bowdendonk? „Arnie van Bowdendonk war dein Vater? Junge das tut mir Leid. Aber er war im Begriff die Welt zu zerstören und hatte eine Strahlenwaffe auf mich gerichtet. Wenn ich nicht gewonnen hätte, könnten wir beide jetzt nicht dieses Gespräch führen. Ich soll mich bedanken, dass er meinen Vater umgebracht hat, denkt Siegfried. Perverses Schwein. „Auf jeden Fall hast du die Waffe umgepolt, als mein Vater seinen Monolog hielt und dir seinen Plan erklärt hat, schreit Siegfried. „Du sagst es doch selbst, erwidert Galaktoman, „ich habe nur in einem unbeobachteten Moment die Waffe umgepolt. Er hat sich selber damit erschossen. „Wie dem auch sei, heute wirst du dafür büßen, Galaktoman. schreit Siegfried außer sich vor Zorn. „Und der Hauptgrund? fragt Galaktoman nach einer Pause. Und wieder dreht er seinen Körper unter größter Anstrengung. „Ach ja, der Hauptgrund, erwidert Siegfried. „Ich brauche die Elementarteilchen, die dein Körper im Laufe der Jahre eingefangen hat, um meine Spezialwaffe zu aktivieren. Du bist eine Art lebendige Batterie. Sobald du dich im Materiedesintegrator in deine Elementarteilchen zersetzt hast, werde ich über die Energie des Kosmos verfügen. Die Russkis werden mir alle Diamanten Sibiriens geben, damit ich ein paar amerikanische Großstädte einäschere. Die Amis werden das Gold in Fort Knox für die umgekehrte Dienstleistung lockermachen. Aber ich scheiße auf das Geld. Ich will die Weltherrschaft und Rache für meinen Papa. Siegfried schreit die beiden letzten Sätze so laut, dass die Fledermäuse an der Grottendecke verängstigt aufflattern. Erschrocken schaut er nach oben. Als er gleich darauf wieder zum hängenden Galaktoman schaut, rutscht sein Herz ein Stückchen Richtung Hosenboden. Galaktoman hat die Hände frei, aus der Stahlkette, die seine Hände fesselte, ist ein bräunliches Stück Rost geworden, das im Schlund des Materiedesintegrators verschwindet.

    Siegfried könnte sich ohrfeigen, dass er so dumm war zu warten, bis die aus dem Glyptozin entstehende Säure Galaktomans Fesseln verätzt. Mit Entsetzen sieht er, dass auch die Fußfesseln leicht zu rauchen beginnen. Von Galaktomans weißen Pumasocken sind nur noch ein paar löchrige Fetzen übrig, und das Metall seiner Fußfesseln sieht mächtig korrodiert aus. „Kein Grund zur Sorge, denkt sich Siegfried, Sobald die Säure die Fußfesseln durchgefressen hat, stürzt er in den Materiedesintegrator. Noch immer sind die Chancen des Helden schlecht. Er baumelt kopfüber oberhalb des Materiedesintegrators. Doch im selben Moment ertönt ein lauter Knall. Felsbrocken lösen sich krachend von der Grottendecke und fallen nach unten. Dreihundert Meter über der Grotte fallen die Tropfen eines Gewitterregens auf die Erde. Und nochmals tausend Meter weiter oben hat sich ein Blitz in einer Wolke entladen und ist über der Grotte in den Boden eingeschlagen. Siegfrieds Magen rutscht nochmals ein Stück nach unten. Die Triumphmusik in seinem Kopf ist mit einem Mal verstummt.

    Beim nächsten Blitzeinschlag befällt ihn die Panik. Er hat sich verquasselt, so wie alle Superschurken. Das Wetter ist umgeschlagen, Galaktomans Fesseln rosten vor sich hin, und plötzlich hat Siegfrieds Gegner eine winzige Chance. Es ist, wie gesagt, nur eine winzige Chance, eine „ich weiß, es klingt verrückt, aber ..."-Chance. Dummerweise ist eine solche Chance alles, was Leute wie Galaktoman brauchen. Siegfried hastet zur Bedienkonsole, um endlich das zu tun, was er schon seit geraumer Zeit hätte tun sollen: Die Verankerung der Kette an der Grottendecke auslösen, um Galaktoman in den Materiedesintegrator zu stürzen. Weil seine Hände feucht sind und zittern, verfehlt Siegfried den roten Auslöseknopf.

    Wieder schlägt über der Grotte der Blitz ein. Warum eigentlich muss immer während des Schurkenmonologs das Wetter umschlagen? Siegfried verkriecht sich unter der Bedienkonsole des Krans, um vor den Steinen geschützt zu sein, die von der Decke krachen.

    Als er wieder nach Galaktoman schaut, verweigert sein Blasenschließmuskel vor Angst den Dienst. Siegfried van Bowdencomb, der hyperintelligente Superschurke, fühlt, wie eine warme Flüssigkeit seine Hosenbeine tränkt.

    Siegfried sieht, wie die Kette blau aufleuchtet. Ein Blitz, der oben in den Boden eingeschlagen ist, jagt seine Energie von einem Metallglied zum nächsten. Das geschieht natürlich annähernd mit Lichtgeschwindigkeit, aber Siegfried kommt es so vor, als würde ein Kettenglied nach dem anderen bläulich aufleuchten, bis der Strom Galaktoman erreicht. Im gleichen Augenblick verwandelt sich der unscheinbare Mann im Holzfällerhemd zurück in den blau leuchtenden Superhelden Galaktoman. Der Starkstrom des Blitzes verleiht ihm Superkräfte, die auch der Wirkung des Glyptozins widerstehen. Einen normalen Menschen hätte der Blitzschlag gegrillt. Aber Galaktoman kommt dank der zwei Millionen Volt aus dem Blitz wieder zu Kräften, zu Superkräften, um genau zu sein.

    Halb irre vor Panik rennt Siegfried los zum Ausgang der Grotte. Dabei nimmt er einen Geruch wahr, den er zuletzt vor zehn Jahren gerochen hatte. Damals hatte er sich geweigert, aufs Klo zu gehen, und seine Mutter hatte ihn eine Stunde in seiner Scheiße stehen lassen, weil sie es nicht einsah, einen Vierjährigen zu wickeln. Derselbe Geruch steigt in seine Nase, als er um sein Leben rennt. In seinem hermetisch dichten Gummianzug ist er mit seinen Körperausscheidungen eingesperrt.

    Plötzlich fühlt er, wie zwei Hände ihn von hinten packen und langsam in die Luft heben.

    Galaktoman hat Siegfried erwischt. Schmerzhaft fühlt Siegfried, wie sich Zeige- und Mittelfinger des Superhelden in seinen Achselhöhlen verkrallen. So hebt ihn Galaktoman in die Höhe und trägt ihn ganz gemächlich durch die Luft zur Öffnung des Materiedesintegrators. Einen Moment lang hält Galaktoman den Jungen über dem leuchtenden Schlund, dann lässt er los.

    Siegfried fühlt, wie er fällt, erst langsam, dann immer schneller. Galaktoman sieht er durch die Öffnung im Grottenboden grinsen und winken. Dann umfängt ihn das grünliche Licht des Materiedesintegrators und Siegfried zerfällt in seine Elementarteilchen. Es ist ein Geräusch, als würde Luft durch ein Abflussrohr entweichen.

    02. Never Wait Or Hesitate (Rod Stewart)

    Siegfried van Bowdencomb erwachte mit einem Schrei. Er lag in einem Bett, das er nicht kannte, in einem Zimmer, das nach Desinfektionsmittel und Medizin roch. Es musste Nachmittag sein, denn durch die zugezogenen weißen Gardinen fiel gedämpftes Sonnenlicht. „Endloser Monolog. Den Plan erklären, statt abzudrücken", flüsterte er zu sich selbst. Wie viele Schurken waren schon durch diesen Fehler zu Tode gekommen, hatten in letzter Sekunde noch alles vergeigt. Wenn es eine Sache gab, die er lernen musste, dann war es der schnelle Abschluss ohne Monolog, ohne Erklären des Planes. Eines Tages würde er Galaktoman, den Mörder seines Vaters, zur Strecke bringen, das war sein fester Entschluss. Bis dahin galt es jedoch noch viel zu lernen. In Gedanken ging er seinen Traum nochmals durch, und drückte nach zehn Traumsekunden den Auslösemechanismus. Auch wenn er dreimal drücken musste, hatte Galaktoman nicht den Hauch einer Chance. Siegfried sah den Superhelden vor seinem geistigen Auge in die Tiefe sausen, genau in die Mündung des Materiedesintegrators.

    Nicht quatschen, sondern handeln, dann hätte Siegfried eine Chance gegen den Superhelden. Langsam beruhigte sich sein Puls.

    Er war so damit beschäftigt, seinen Traum durchzugehen, dass ihm erst nach einigen Minuten auffiel, dass er keine Ahnung hatte, wo er war. Er lag in einem fremden Bett in einem weiß getünchten Raum. Über sich sah er einen Bettgalgen, neben dem Bett stand ein Nachtkästchen aus Stahlblech, darauf ein Pappbecher und eine Flasche Bonaqua. Für Siegfried sah es so aus, als läge er in einem Krankenhauszimmer. Erst jetzt bemerkte Siegfried, dass sein rechtes Auge ganz zugeschwollen war. Er tastete nach seiner Schläfe, doch im selben Moment schrie er vor Schmerzen auf. Und nun fiel ihm auch wieder ein, wie er hierher gekommen war. Und es fiel ihm ein, warum er in seinen Händen einen Taschenrechner festhielt.

    Er hatte Ärger mit Ron Bruckner gehabt, dem Schularsch. Ron war ein Kerl, der jüngere und schwächere Kinder terrorisierte. Siegfried hatte er den Taschenrechner weggenommen. Weil der Taschenrechner seinem Vater gehört hatte und ein paar Extras enthielt, die man dem Ding von außen nicht ansah, hatte Siegfried seine Angst vergessen und sich mit Ron darum geschlagen. Ron hatte ihm ganz schön Prügel verabreicht, aber Siegfried hatte nicht aufgegeben. Er hatte einfach immer weiter auf Ron eingeschlagen. Als er merkte, dass das nichts nutzte, weil seine wütenden Schläge entweder nicht durchkamen oder Ron nichts ausmachten, hatte er getreten, gekratzt und gespuckt. Als Ron den Taschenrechner immer noch nicht losließ, hatte Siegfried Rons Arm gepackt und hineingebissen. Er erinnerte sich jetzt wieder an den seltsamen Geschmack von fremdem Fleisch und Blut. Im selben Moment hatte Ron den Taschenrechner fallen gelassen. Als Siegfried sich nach dem Rechner bückte, traf ihn Rons Knie an der Schläfe. Siegfried war schwarz vor Augen geworden. Und jetzt lag er hier in diesem Krankenhausbett mit einem zugeschwollenen Auge, aber im Besitz seines Taschenrechners.

    Mit einem Mal kroch ein seltsames Gefühl in Siegfrieds Magengrube. Es war genau das Gefühl, das man hat, wenn man aus einem Albtraum erwacht und zu ahnen beginnt, dass man nicht alleine im Zimmer ist. Mama? fragte Siegfried unsicher, aber es war nicht die Stimme seiner Mutter, die ihm antwortete.

    Nein, Siegfried, deine Mutter wartet draußen auf dem Flur, dass du aufwachst, hörte er eine angenehme kultivierte Männerstimme sagen. Bevor sie hereinkommt, möchte ich mit dir etwas besprechen. Damit wir eine Zeit lang ungestört miteinander reden können, schlage ich vor, dass wir einen kleinen Ausflug machen. Meine Assistentin hackt sich gerade in den Krankenhauscomputer und schaut sich die Röntgenbilder von deinem Kopf an. Wenn klar ist, dass du transportfähig bist, brechen wir auf. Lisa, was ist, hat er Frakturen oder eine Gehirnblutung?

    Ich habe die Computertomogramme durchgesehen. Nach den Bildern aus der Radiologie ist mit seinem Gehirn alles in Ordnung, antwortete eine tiefe Mädchenstimme, die Siegfrieds Gehörgängen schmeichelte wie warmer Honig.

    Gut,Lisa, bring ihn mit den Männern zum Krankenwagen. Jenkins und ich klettern aus dem Fenster und fahren mit dem Bugatti schon mal voraus. Und nehmt auch seine Waschsachen mit, befahl die Männerstimme.

    Einen Augenblick später beugte sich das schönste Mädchen über Siegfried, das er in seinem Leben gesehen hatte.

    Ihre großen blauen Augen warfen das Licht der Spätsommersonne zurück wie Christbaumkugeln mit extrem langen schwarzen Wimpern. Ein Katarakt von blonden Locken fiel über die Schultern, die nicht zu breit und nicht zu schmal waren, sondern genau richtig. Sie trug einen weißen Arztkittel und einen Mundschutz. Mit warmen, glatten Händen griff das Mädchen nach Siegfrieds Arm. Dann fühlte er, wie sie mit Zeige- und Mittelfinger seine Ellenbeuge massierte.

    Das pikst jetzt ein bisschen, hörte Siegfried ihre tiefe Honigstimme sagen. Dann spürte er einen leichten Stich in der Ellenbeuge und wenige Sekunden später war er bewusstlos. Er bekam nicht mehr mit, wie sich der Herr mit der Baritonstimme mit einer eleganten Bewegung aus dem Fenster schwang und die Feuerleiter nach unten kletterte. Und er fühlte auch nicht, wie zwei extrem breitschultrige Krankenpfleger seinen Schulranzen und den Seesack mit den Waschsachen in seinem Bett verstauten und es dann durch die von Lisa geöffnete Tür hinaus auf den Krankenhausflur schoben.

    Eine zart gebaute Frau in einem braunen Flanellkostüm sprang von ihrem Besucherstuhl auf. Ich bin Cornelia van Bowdendonk, Siegfrieds Mutter, sprach sie Lisa an. Was ist mit meinem Sohn?

    Lisa Tekiero, ich bin die diensthabende Neurologin. Wir haben Ihrem Sohn eine Narkose gegeben, weil sich sein Zustand plötzlich verschlechtert hat, Mrs van Bowdendonk. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass es jetzt noch zu einer Blutung kommt, aber wir müssen das nochmal abklären. In dreißig Minuten ist der Kopfscan abgeschlossen, dann können wir Ihnen sagen, ob eine Operation nötig ist.

    Was ist mit ihm? fragte Cornelia van Bowdendonk erschrocken.

    Ich weiß es noch nicht, antwortete Lisa. Aber da er sich hier im Wesley Medical befindet, besteht überhaupt keine Gefahr. Schlimmstenfalls müssen wir eine kleine Punktion machen, um den Druck auf sein Gehirn zu mindern. Aber auch das ist nur im unwahrscheinlichen Fall einer akuten Blutung notwendig. Wissen Sie, das ist das große Dilemma für uns Ärzte. Einfach indem wir sorgfältig vorgehen und auf alle Eventualitäten vorbereitet sind, denken medizinische Laien natürlich, dass diese Eventualität auch eintritt. Bleiben Sie einfach hier sitzen und nehmen Sie sich eine Zeitschrift, in dreißig Minuten sagen wir Ihnen, ob Siegfried schon morgen entlassen werden kann oder erst in ein paar Tagen. Auf jeden Fall garantiere ich Ihnen, dass Sie Ihren Jungen gesund und munter zurückbekommen werden. Wenn Sie mich bitte entschuldigen, schloss Lisa und eilte dem Krankenbett hinterher.

    Cornelia van Bowdendonk sah der jungen Ärztin und den Pflegern hinterher, die das Bett mit Siegfried in den OP-Bereich schoben. Mit leicht wackligen Knien setzte sie sich auf den Besucherstuhl. Natürlich fing sie nicht an in einer Zeitschrift zu blättern. Stattdessen begann sie an ihrem Zeigefingerknöchel zu nagen, bis ihr etwas einfiel. Sie kramte in ihrer Handtasche nach dem iphone und schaltete es an. Sie öffnete die Anwendung earclipcam.app, indem sie das Passwort ArNiE4%EvEr eingab. Einen Augenblick später lief ihr kalter Schweiß den Rücken hinab. Sie sah auf dem Display die Decke des Krankenhausgangs. Einen Moment später fing das Bild an zu wackeln. Als es wieder stabil war, zeigte die Anzeige das Innere eines Krankenwagens, der sich mit Blaulicht in Bewegung setzte. Jetzt erschien das Gesicht der jungen Ärztin auf dem Display. Sie hielt ein Mobiltelefon in der Hand. Weil das iphone stumm geschaltet war, sah Cornelia van Bowdendonk nur, dass sich ihre Lippen bewegten. So schnell es ihre schweißnassen Finger erlaubten, drehte sie die Lautstärke ihres Handylautsprechers auf maximale Leistung. Sie hörte nur noch, wie die Ärztin sagte: In zehn Minuten an der 400.

    Cornelia van Bowdendonk sprang von ihrem Stuhl auf, um sich gleich wieder zu setzen, denn vor Schreck war ihr schwarz vor Augen. Siegfried war von einer falschen Ärztin, zwei falschen Krankenpflegern aus dem Hospital entführt worden. Sie hätte natürlich am Empfang Alarm schlagen können. Sie hätte versuchen können, die Polizei, den Geheimdienst und die Nationalgarde zu mobilisieren, um Siegfried aus den Klauen seiner Entführer zu reißen. Aber wahrscheinlich wäre sie an so eine belämmerte: „Ich tue hier nur meine Pflicht, und Sie führen sich auf als wären Sie nicht ganz bei Trost"-Krankenschwester geraten. Sie hätte wertvolle Minuten verplempert in dem vergeblichen Bemühen, ihrem Gegenüber die Situation zu erklären. Die Chancen Siegfried so zurückzubekommen waren gleich Null. Also stürmte sie aus dem Wesley Medical, stieg in ihren alten 94er Ford und ließ den Motor an. Gerade als sie losfahren wollte, kam ihr noch ein Gedanke. Sie öffnete das Mailprogramm und begann zu tippen

    otolarngology@wesleymedical.com . Lieber Dr. Miller, vielen Dank für die kompetente Versorgung von Siegfrieds Verletzung. Leider kann ich den Jungen nicht über Nacht hierbehalten, weil wir wegen einer dringenden Familienangelegenheit verreisen müssen. Ich nehme das auf meine Verantwortung und sehe von allen rechtlichen Ansprüchen ab, die Entfernung von Siegfried aus Ihrer Klinik geschah ohne Ihr Wissen und Ihre Billigung.

    Mit freundlichen Grüßen

    Cornelia van Bowdendonk

    Sie drückte auf Senden. Dann beendete sie das Mailprogramm und aktivierte earclipcam.app erneut. Das Programm zeigte Bilder aus einer Minikamera, die in Siegfrieds Ohrclip eingebaut war, aber es konnte noch mehr. Im Ansicht-Menü wählte Cornelia Ortung, worauf das Bild verschwand. Stattdessen zeigte sich eine Karte der Umgebung von Wichita. Siegfrieds Standort war als gelb blinkender Kreis zu erkennen. Cornelia ließ den Motor an und machte sich an die Verfolgung von Siegfrieds Entführern.

    03. We´re not in Kansas anymore (Judy Garland)

    Siegfried erwachte aus seiner Narkose, als der Krankenwagen zum Stehen kam. Im gleichen Augenblick überkam ihn ein unwiderstehlicher Brechreiz. Er schaffte es gerade noch sich zur Seite zu wenden, sodass er sich nicht selbst bekotzte, sondern die ganze Ladung auf die weißen Reeboks eines der Pfleger ging. Der Mann unterdrückte einen Fluch.

    Als alles draußen war, fühlte sich Siegfried eigentlich wieder ganz OK. Kannst du aufstehen und laufen? hörte er die bekannte Honigstimme sagen. Er gab ein tonloses Hmm zur Antwort.

    Danke Jungs, das war gute Arbeit, hörte Siegfried das Mädchen zu den Krankenpflegern sagen. In ein paar Minuten kommt der Sierra und bringt euch nach Darnwolt. Der Junge und ich steigen hier um in den Bugatti.

    Sie öffnete die Hecktür des Krankenwagens. Siegfrieds Blick fiel auf einen nachtschwarzen Bugatti Royale, der mit laufendem Motor  hinter dem Krankenwagen stand. Sie befanden sich irgendwo an der 400 weit außerhalb von Wichita. Lisa machte eine einladende Geste und Siegfried ging mit unsicheren Beinen hinüber zu dem schwarzen Oldtimer. Auf dem Fahrersitz saß ein gedrungender Mann mit Chaufeursmütze. Er hatte ein Maulwurfsgesicht mit einer winzigen Nase, auf der eine Brille mit unglaublich fetten Gläsern lastete. Als er Siegfried bemerkte, stieg er aus und öffnete ihm die Tür zum Fond des Wagens. Siegfried folgte seiner einladenden Handbewegung und stieg ein. Lisa war inzwischen auf der anderen Wagenseite eingestiegen.

    Siegfried versank förmlich in den Sitzen aus sorgfältig vernähtem Nubukleder und sah sich um. Neben dem Nubukleder hatte man sonst für die Innenausstattung des Bugatti nur noch fein gemasertes Koaholz verwendet. Das Wageninnere war erfüllt von einem warmen gelben Licht, das die Atmosphäre einer sehr vornehmen Cocktailbar erzeugte. Siegfried gegenüber saß der Herr mit der kulitiverten Baritonstimme, der sich aus dem Fenster von Siegfrieds Krankenzimmer geschwungen hatte. Auch wenn er einfach nur entspannt dasaß, war er eine beeindruckende Erscheinung. Er war nicht mehr jung, sein schwarzes Haar und der Kinnbart zeigten graue Strähnchen. Außerdem war die Frisur am Hinterkopf ein wenig licht. Aber er saß in einer sehr aufrechten Haltung und die Gesten seiner Arme und Hände machten einen geschmeidigen und kraftvollen Eindruck. Er erinnerte an einen Kater, der noch über

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