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Luna's Töchter
Luna's Töchter
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eBook528 Seiten7 Stunden

Luna's Töchter

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Über dieses E-Book

Dagi sieht sich selbst als kleine graue Maus. Sie lebt allein und hat einen simplen Bürojob. Als sie dem gutaussehenden Jo begegnet nimmt ihr Leben eine völlig neue Wendung. Es besteht die Möglichkeit, dass sie eine direkte Nachfahrin der Mondgöttin Luna ist.
Um dies zu beweisen oder zu widerlegen, muß sie Lunas Töchter finden. Nur Lunas wahre Nachfahrin ist in der Lage, auch die letzte der fünfzehn Teilaufgaben zu bestehen. Deshalb reist sie mit Jo um die Welt und erlebt aufregende Abenteuer an manchmal ungewöhnlichen Orten. Dabei lernt sie wieder, dass sie manchen Menschen durchaus auch vertrauen und sich auf sie verlassen kann.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum10. Jan. 2014
ISBN9783847621065
Luna's Töchter

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    Buchvorschau

    Luna's Töchter - Claudia Trapka

    Prolog

    Wussten Sie, dass jede Art von Lebewesen mit uns spricht? Wir verstehen ihre Sprache meist nicht, aber wenn wir das könnten, dann würden wir sicherer und vor allem besser leben. Viele Naturkatastrophen geschehen nur, weil wir nicht auf die Natur hören. Die globale Erwärmung, wie es die Forscher nennen, ist auch ein Aufschrei der Natur. Und was machen wir Menschen? Wir hören nicht hin.

    Als ich das erste Mal mit einem Baum sprach, empfand ich ein unbeschreibliches Glücksgefühl.

    Stellen Sie sich vor, Sie hätten mitten im Sommer Geburtstag und Sie wünschten sich ausgerechnet zum Geburtstag nichts sehnlicher, als einen Schneemann zu bauen. Und dann, eines Tages passiert es, mitten im Sommer schneit es so heftig, das Sie einen Schneemann bauen können. Sie wissen genau, dass wird nie wieder passieren, aber jetzt ist es da.

    So, wie Sie sich in diesem Moment fühlen, so fühlte ich mich, als ich das erste Mal mit einem Baum sprach.

    Ich weiß, das klingt verrückt. Aber genau das ist das Problem, man hält mich deshalb für nicht ganz normal.

    Aber sind Menschen, die Millionen Dollar für Klamotten ausgeben normal? Da sagt man einfach, sie haben’s halt. Man würde niemals offen zugeben, dass man diese Menschen auch nicht für normal hält.

    Mal Hand aufs Herz, wer ist eigentlich normal?

    Sie, die vielleicht hunderte Schuhe im Schrank haben, obwohl Sie nur ein Paar tragen?

    Oder Sie, weil Sie sich täglich Ihr Stückchen Schokolade gönnen, obwohl Sie aller Welt erzählen, Sie seien auf Diät?

    Oder Sie, weil Sie gerade dieses Buch lesen, obwohl noch nicht abzusehen ist, worauf das Ganze hinausläuft?

    Ich sag’s Ihnen: entweder, sind wir alle völlig normal, oder wir sind alle verrückt, was aber wieder normal wäre, weil wir es ja alle wären.

    Ich jedenfalls werde nicht für normal gehalten, weil ich mit allen Lebewesen versuche zu sprechen. Nein!  - Ich gestehe, bei bestimmten Tieren versuche ich es nicht. Ich habe nicht für alle Tiere etwas übrig und manche halte ich einfach für zu gefährlich. Bei denen versuche ich es aber manchmal im Zoo.

    Die Begegnung

    Es war ein ganz normaler Montag Morgen. Ich ging, wie immer, aus dem Haus, grüßte meine verschlafenen Nachbarn freundlich und begab mich in mein Büro.

    Doch irgendetwas war heute anders. Ich hatte ständig das Gefühl, verfolgt zu werden. Was kein großes Kunststück war, denn die Bäume auf meinem Weg beobachteten mich seit Jahren aufmerksam und hofften, mir würde irgendwann mal ein Mann begegnen, der zu mir passte. Ich war mehr die graue Maus und erwartete daher nicht, dass dieses Wunder jemals geschehen würde.

    Aber es waren nicht die Bäume, die mich verfolgten. An einem Schaufenster blieb ich stehen, tat so, als würde ich die Auslagen betrachten, und blickte mich unauffällig um. Ein junger Mann lief etwas tollpatschig hinter mir her, traute sich aber offensichtlich nicht, mich anzusprechen.

    Zunächst versuchte ich, ihn zu ignorieren und meinen Weg zur Arbeit einfach fortzusetzen. Das gelang mir aber nicht. Denn ich hörte hinter mir immer wieder Mülltonnen umfallen, Reifen quietschen und Ähnliches. Schließlich drehte ich mich ruckartig um und sah ihm direkt ins Gesicht. Er hatte klare braune Augen, wie flüssige Vollmilch-Schokolade mit einem Hauch Karamell. Seine Konturen waren weich, voller Wärme und Sehnsucht und sein Dreitagebart verriet mir, dass er schon eine ganze Weile keinen Spiegel mehr gesehen hatte. Seine Kleidung war weit und zerschlissen. Er muss auch schon bessere Zeiten gesehen haben. Denn der Mantel den er trug, war eindeutig mal teuer gewesen.

    Ich sah ihn offen an und fragte sanft: „Kann ich Ihnen helfen? Gibt es einen Grund, warum Sie hinter mir herlaufen."

    Er schüttelte verstört den Kopf, wich aber nun nicht mehr von meiner Seite und begleitete mich bis zum Büro. Dort blieb er vor der Tür stehen.

    „Wenn Sie mir wirklich nichts sagen möchten, dann gehe ich jetzt da rein."

    Er blieb stumm, blickte mich jedoch flehend an.

    „Also, ich muss jetzt arbeiten, vielleicht sehen wir uns ja ein anderes Mal wieder, und Sie haben dann den Mut zu sprechen." Ich nickte ihm noch einmal zu und verschwand im Büro.

    Der Tag verlief ruhig. Mein Chef wollte von mir eine Umsatzstatistik der letzten beiden Jahre haben. Eine Arbeit, die mir keinen großen Spaß machte, aber es war halt mein Job. Ich träumte immer davon Abenteuer zu erleben und damit mein Geld zu verdienen, ähnlich wie Indiana Jones. Nur nicht ganz so lebensgefährlich.

    Ich riss mich aus meinen Tagträumen und versuchte mich wieder auf diese verflixte Statistik zu konzentrieren.

    Doch der Mann mit den herrlichen Schokoladen-Augen spukte mir auch immer wieder im Kopf herum. Da ich allein in meinem Büro saß, merkte niemand, dass ich nicht ganz bei der Sache war.

    Als ich dann am späten Nachmittag meinen Arbeitsplatz verließ, hoffte ich, die Statistik war fehlerfrei. Es war mir richtig peinlich, an diesem Tag nicht ganz bei der Sache gewesen zu sein. Das kannte man von mir nicht.

    Plötzlich stand der Mann vor mir.

    Verwirrt lächelte ich ihn an: „Haben Sie auf mich gewartet?"

    Er nickte.

    „Den ganzen Tag?"

    Er nickte wieder.

    „Normalerweise mache ich das nicht, aber Sie machen mich neugierig. Darf ich Sie zum Essen einladen?"

    Er wiegte sich hin und her.

    „Keine Angst, dass geht in Ordnung."

    Dann nickte er wieder, hakte sich bei mir ein und lächelte zum ersten Mal.

    Wir gingen in ein kleines Lokal in der Nähe. Dort fielen wir nicht weiter auf und konnten uns kennen lernen, dachte ich.

    „Möchten Sie etwas Warmes essen? Sie haben sicher lange nichts gegessen, stimmt’s?"

    Wieder bekam ich als Antwort nur ein Nicken.

    „Es ist ehrlich gesagt etwas schwierig, mich mit Ihnen zu unterhalten, wenn Sie nichts sagen. Können Sie sprechen?"

    Diesmal nahm er eine Serviette, zückte einen Kugelschreiber – ja, er hatte tatsächlich einen eigenen Kugelschreiber - aus seinem Mantel und schrieb. „Ich kann sprechen, darf aber nicht. Darunter setzte er: „Vielen Dank. Sie sind sehr nett.

    Ich lächelte. „Das Problem ist, ich weiß nicht, was Sie von mir wollen, wer Sie sind, und warum Sie hinter mir herlaufen und sogar auf mich warten."

    Wieder schrieb er: „Das ERZÄHLE ich, sobald ich darf. Einstweilen, vertrauen Sie mir bitte. Können Sie mir einen Schlafplatz besorgen?"

    Verdattert schaute ich ihn an. Er hatte das Wort ‚Erzählen’ tatsächlich in Großbuchstaben geschrieben. - Vertrauen. - Das hatte ich nur noch den Tieren und Pflanzen gegenüber. Menschen hatten mich zu sehr und zu oft enttäuscht. Und wo er schlafen sollte, wusste ich auch nicht so recht.

    Kurzerhand entschuldigte ich mich und ging Richtung Toilette. Allerdings nahm ich die Hintertür und lief direkt zu einer großen alten Eiche.

    „Puh. Ihr wisst was heute abgegangen ist. Liebe Eiche, was habe ich davon zu halten? Was soll ich tun? Ist dieser Mann OK? Wer ist dieser Mann? Was will er von mir?"

    Ein kräftiges Rauschen in den Blättern setzte ein, die Zweige wiegten sich hin und her. Jeder Mensch, der diese Sprache nicht verstand, hätte gedacht, es weht halt ein leichter Wind.

    Aber ich verstand, was die Eiche mir sagte: „Ich werde mit den anderen Bäumen sprechen. Wenn Ihr das Lokal verlasst, gibt Dir einer von uns Bescheid."

    Etwas erleichtert ging ich wieder ins Lokal, an meinen Platz. Als ich auf den Tisch zuging, musterte ich den jungen Mann. Gut sah er schon aus, etwas verwittert, als hätte er einige Zeit auf der Straße gelebt. Aber er wirkte keinesfalls verkommen. Außerdem hätten die Bäume ihn gekannt. Seine Jeans wirkten zerschlissen, aber nicht ungepflegt. Sein Pullover erinnerte mich an Schafe auf der Weide. Seine Kleidung war alt aber nicht so wie die eines typischen Bettlers.

    Ich setzte mich wieder zu ihm und bestellte für uns eine vegetarische Pizza und eine Pizza Speziale.

    „Möchten Sie Coke oder Bier oder Wasser?"

    Er hob drei Finger.

    Ich nahm an, er wollte Wasser. „Also, dazu noch ein Wasser und eine Apfelsaftschorle bitte."

    Die Bedienung ging.

    „Wenn ich Ihnen helfen kann, wohlgemerkt, wenn! Wie heißen Sie überhaupt?"

    Er sah mich traurig an. Seine Finger zeigten mir einen versiegelten Mund.

    „Wenn Sie mir das nicht sagen dürfen, dann sagen Sie mir wenigstens, wie ich Sie nennen soll. Es muss ja nicht Ihr Name sein."

    Als Antwort erhielt ich einen fragenden Blick, der mich an ein heimatloses Tier erinnerte, was adoptiert werden wollte.

    Ich musste Lächeln. „Ok, dann nenne ich Sie….hm, was passt zu Ihnen, …. Ah, ich weiß, ich nenne Sie Jo. Ist das OK für Sie?"

    Er lächelte und nickte. Wenn ich gewusst hätte, wie nah ich an seinem Namen dran war, dann hätte ich vermutlich laut losgelacht.

    Dieser Monolog ging mir langsam etwas auf die Nerven, so war ich froh, dass unser Essen kam. Jo genoss seine Pizza sichtlich. Jeden Bissen sah er sich genau an und ließ ihn langsam im Mund verschwinden.

    Jemand, der einfach nur Hunger hatte, aß, meiner Meinung nach anders. Aber auch das ist ein Klischee.

    Nach dem Essen zahlte ich, und wir verließen das Restaurant. Draußen blieb ich stehen. Und blickte auf die Bäume.

    Augenblicklich fingen sie an zu rauschen und sich zu bewegen.

    „Vertrau ihm, nimm ihn bei Dir auf. Er braucht Deine Hilfe und er ist in Ordnung."

    Ich sagte laut: „Gut, danke."

    Und als ob Jo wusste, bei wem ich mich bedankte, verbeugte er sich vor dem nächsten Baum.

    Erstaunt bemerkte ich diese Geste, wagte jedoch nicht, ihn in diesem Moment darauf anzusprechen.

    Er hakte sich bei mir ein. Gemeinsam schlenderten wir zu mir nach Hause. Kurz bevor ich aufschloss, begegneten sich noch einmal unsere Blicke.

    „Ja, Du darfst bei mir bleiben. Mal sehn auf wen oder was ich mich hier einlasse."

    Er strahlte und gab mir einen Kuss auf die Wange.

    Lachend erwiderte ich: „Noch mal machst Du das erst, wenn Du rasiert bist, klar?"

    Jo salutierte grinsend.

    Meine Wohnung war nicht groß, aber ich war stolz, was ich aus ihr gemacht hatte. In meinem Flur hatte ich eine kleine Garderobe aus Naturholz. Rundherum hingen Bilder der Natur.

    Als Jo seinen Mantel ausgezogen hatte, bewunderte er jedes eingehend. Es wirkte etwas, als erkenne er jedes Winkelchen auf den Bildern wieder. Seine Augen strahlten. Während Jo meine Wohnung betrachtete, schaute ich ihn mir gründlich an. Nein, er wirkte wirklich nicht wie ein Stadtstreicher. Sein Körper wirkte trotz der zerschlissenen Kleider durchtrainiert und athletisch. Seine Hände waren gepflegt. Er konnte einfach kein gewöhnlicher Stadtstreicher sein.

    Ich organisierte ein Paar Hausschuhe für ihn. Nach einem weiteren Blick auf ihn, gestand ich mir schweren Herzens ein, dass er ausgesprochen gut aussah. Wenn so ein Mann meine Hilfe brauchte, dann musste er einfach etwas sehr schlimmes erlebt haben, um so zu leben, wie er jetzt lebte. Anders konnte ich mir das nicht erklären. Solche Männer verabredeten sich in der Regel nicht mit mir. Ich wurde von solchen Männern eher übersehen. Allein, dass er mich für seine Hilfe auserkoren hatte, machte ihn zu etwas Besonderem und interessant.

    Ich hatte Parkett legen lassen. Dadurch fühlte ich mich irgendwie naturverbundener. Eigentlich träumte ich von einem kleinen Blockhaus mit einem kleinen verwinkelten Garten. Mehr würde ich mir eh nie leisten können. Dachte ich damals.

    „So, Jo, ich zeig’ Dir erst mal, wo was ist, und wo Du schlafen kannst. – Auf zur Schlossführung."

    Jo blickte neugierig in alle Räume. Mein Wohnzimmer war im Landhausstil eingerichtet, die Möbel hatte ich mir mühsam zusammengespart. Hier hatte ich mich zur Ergänzung für einen Drachenbaum und einen Benjamini entschieden. Beide Zimmerpflanzen mochte ich besonders gern. Mein Schlafzimmer war eher modern und praktisch gehalten. Hier hatte ich mich für ein Bett aus Metall entschieden. Dies wurde ergänzt durch einen silberfarbenen Kleiderschrank und einige Bilder moderner Künstler an der Wand. Ein Künstler hatte mir eine Metalllampe in Form eines Baumes verkauft. Mir gefiel der Kontrast zu all den anderen Räumen.

    Ich erhielt immer wieder ein Lächeln oder ein Nicken als Reaktion.

    „Hier ist das Bad, da kannst Du gleich Duschen oder Baden, wenn Du magst."

    Mein Bad war klein, hatte aber alles, was man eben brauchte. Es war von der Hausverwaltung komplett in weiß gehalten. Mit ein paar Tropenpflanzen und Muscheln hatte ich die sterile Atmosphäre aufgelockert. Aus einem kleinen Kiefernholzschrank nahm ich Handtücher und legte sie auf ein kleines Schränkchen neben der Wanne.

    „Die kannst Du benutzen. Ich glaube, ich habe in der Schublade sogar noch etwas Rasierzeug. Schau einfach nach. Das hat dann sicher mal jemand vergessen und ich wollte es nicht einfach entsorgen."

    Dann verließen wir das Bad und betraten mein Arbeitszimmer.

    Es war wirklich sehr klein. Aber ein Gästebett bekam ich in diesem Raum unter. Ansonsten befand sich in dem Raum nur ein Schreibtisch mit meinem Laptop, ein Aktenschrank und ein bequemer alter Chefsessel.

    „Während Du im Bad bist, richte ich Dir hier ein Bett her, OK?"

    Jo nickte.

    Ich hatte den Eindruck, er würde gern etwas sagen, aber er durfte ja nicht. Ich verstand nur einfach nicht warum.

    Nachdem auch ich ein Bad genommen hatte, kam ich, Haare rubbelnd, ins Wohnzimmer und blieb wie angewurzelt stehen.

    Da stand Jo doch am geöffneten Fenster und hatte eine Krähe auf seiner Hand sitzen!

    Man stelle sich vor: Der Mann, der mit mir nicht sprechen konnte, stand am Fenster, hatte eine Krähe auf der Hand und schien sich mit ihr angeregt zu unterhalten.

    Dazu muss gesagt werden, dass es ein Ammenmärchen ist, dass Krähen falsch und hinterhältig sind. Aber weil sie nicht gerade die hübschesten Tiere sind, neigt man schnell dazu, dieses Märchen zu glauben.

    Mir ging es in dieser Situation ähnlich. Die Bäume hatten mein Misstrauen etwas beruhigt, nun flammte es wieder auf. Bestärkt wurde mein Gefühl auch noch, als die Krähe davonflog, als sie mich bemerkte.

    Abrupt hatte das Gespräch geendet, aber ich hatte noch deutlich die Stimmen unterscheiden können. Die Krähe hatte eine für Krähen übliche leicht krächzende Fistelstimme, und Jo? Seine Stimme klang weich und warm. Sie war nicht zu tief. Er hatte eine männlich herzliche Stimme. Wenn er singen würde, würde ich ihn für einen Tenor halten. Die Stimme ließ mich dahin schmelzen. Doch durch diese Geheimniskrämerei riss ich mich vor Stolz zusammen und gab diesem Gefühl nicht nach.

    Leider hatte ich von dem Gespräch nichts mitbekommen, vielleicht hätte mich das milde gestimmt. So aber war ich wieder voller Misstrauen. Das spürten auch meine Zimmerpflanzen. Sie versuchten mich zu beruhigen.

    „Er darf mit Dir noch nicht sprechen, Du warst zu früh aus dem Bad zurück. Sonst hätten wir vielleicht gehört, warum nicht."

    Ich zischte leicht erregt so etwas wie: „Ach, jetzt bin ich Schuld."

    Jo hatte es trotzdem gehört. Er drehte sich um und schaute mich verlegen an. Dann legte er die Hände zusammen, als wolle er sich entschuldigen und verbeugte sich leicht vor mir und danach vor den Pflanzen.

    „Was war das eben? Wollte ich recht hitzig wissen, „mit mir darfst Du nicht sprechen, aber mit der Krähe führst Du tiefschürfende Gespräche!

    Ich wollte nicht scharf klingen, aber ich tat es. Jo fiel vor mir auf die Knie und bettelte mit flehenden Augen.

    „Wir denken, er bittet Dich um Geduld mit ihm." Meine Pflanzen sprachen aus, was ich dachte.

    Etwas sanfter fragte ich, wie ich ihm so vertrauen solle und half ihm wieder auf.

    Sein Kniefall war mir doch etwas unangenehm.

    Die Bäume hatten gesagt, ich kann ihm trauen, und mich irritierte eine kleine Krähe! Trotzdem war ich enttäuscht, mit den Tieren durfte Jo offensichtlich reden.

    Ich konnte auch mit ihnen sprechen, warum flog die Krähe fort? Sie hätte die Situation doch aufklären können!

    Ich bemühte mich, meine Enttäuschung zu verbergen, deshalb lächelte ich und erwähnte: „Ich bin müde und muss morgen früh ins Büro. Ich gehe schlafen. Ich glaube, Du hast alles, was Du brauchst. Gute Nacht, Jo."

    Ich verließ das Wohnzimmer und ging zu Bett. Doch ich konnte lange nicht einschlafen. Mir ging immer wieder der vergangene Tag durch den Kopf. Die Ereignisse verwirrten mich sehr. Und in meinem Arbeitszimmer lag ein gut aussehender, mir jedoch völlig unbekannter Mann.

    Die Bäume sagten, er ist OK. Aber … war er es wirklich? Die Sache mit der Krähe war schon merkwürdig. Warum sprach Jo mit ihr, durfte aber nicht mit mir sprechen? Durfte Jo überhaupt mit Menschen sprechen? Warum hatte die Krähe nicht einfach alles aufgeklärt? Mein Kopf schwirrte. Über meine Gedanken schlief ich irgendwann doch ein.

    In dieser Nacht war mein Schlaf ungewöhnlich unruhig. In einem Traum lief ich durch einen Wald mit vielen verschiedenen Bäumen. Da waren Eichen, Buchen, Ahorn, Fichten, Blautannen, Erlen und viele viele mehr. Jede Art wollte mir etwas sagen. Jedoch sprachen alle zur gleichen Zeit. Ich drehte mich im Kreis, war verwirrt, bat sie einzeln zu sprechen. Aber sie hörten nicht. Ihre Worte vermischten sich so sehr, dass ich nicht einmal mehr Wortfetzen auseinanderhalten konnte.

    Plötzlich schreckte ich auf. Schweißnass saß ich in meinem Bett. Ich stand auf, um mir etwas zu trinken zu holen. Vielleicht könnte ich dann wieder leicht einschlafen. Auf dem Weg in die Küche fiel mir ein, dass ich ja Besuch hatte.

    Nachdem ich in der Küche etwas getrunken hatte,schlich ich zum Arbeitszimmer. Warum, wusste ich selbst nicht. Vielleicht wollte ich wissen, ob ich den gestrigen Tag nur geträumt hatte. Also öffnete ich ganz vorsichtig die Tür.

    Da lag er und schlief friedlich in seinem (Gäste)Bett. Falls er träumte, musste es ein schöner Traum sein, denn er lächelte im Schlaf.

    Leise schloss ich wieder die Tür und ging zurück ins Bett. Ich hatte also nicht geträumt. Das beruhigte mich ein wenig. Alles in allem irritierte mich das Ganze aber trotzdem. Ich kuschelte mich in meine Decke und schloss die Augen. Diesmal schlief ich schnell ein.

    Mein Wecker klingelte viel zu früh. Wie gern wäre ich noch etwas liegen geblieben. Aber ich hatte erst in einigen Wochen ein paar Tage Urlaub. Also stand ich auf, schnappte mir meine Sachen, die ich im Büro tragen wollte und begab mich verschlafen ins Bad.

    Nachdem ich mich gewaschen und angezogen hatte, lief ich in die Küche, um mir Frühstück und ein Brot für die Pause zu machen. Doch…. das war gar nicht mehr nötig. Mir stieg ein Kaffeeduft in die Nase. Diesen hatte ich bisher nicht wahrgenommen. Als ich die Küche betrat, stand eine Tasse heißer Kaffee und ein komplettes Frühstück auf dem Tisch.

    Jo war gerade dabei, ein belegtes Brot einzupacken.

    Lächelnd aber verwirrt brachte ich ein „Guten Morgen" heraus und setzte mich an den Tisch.

    Jo hatte sogar Brötchen gebacken.

    Wann, um alles in der Welt, war er aufgestanden? Jo hielt Milch und Zucker in der Hand und sah mich fragend an. Dabei fiel mir ein, dass er ja mit mir nicht sprach.

    Freundlich antwortete ich auf seine stumme Frage: „Danke, Jo, Milch und Zucker nehme ich mir gleich selbst."

    Ich hatte eigentlich nicht viel Zeit zum Frühstücken, aber der Tisch war so liebevoll gedeckt, dass ich es nicht übers Herz brachte, das Frühstück in aller Eile zu mir zu nehmen.

    „Hör zu Jo, ich muss gleich los. Ähm, wenn Du noch bleiben willst, OK, aber ich finde heraus, ob Du in meinen Sachen gewühlt hast. Und etwas freundlicher fügte ich hinzu: „Falls Du gehen willst, zieh die Tür gut hinter Dir zu.

    Jo hatte aufmerksam zugehört. Er legte drei Finger auf sein Herz und drei hob er in die Luft. Dabei machte er ein Gesicht, wie ein kleiner Hund, der ein zu Hause sucht. Ich musste lachen. Wie sollte man da misstrauisch sein?

    Das Frühstück schmeckte mir hervorragend, doch ich musste wirklich los.

    Draußen auf der Straße holte ich erst einmal tief Luft. An diesem Morgen fühlte ich mich leicht und beschwingt. So hatte ich mich schon seit Jahren nicht mehr gefühlt.

    Trotzdem bat ich die Bäume: „Passt bitte auf, dass Jo mir nicht die Wohnung leer räumt, oder so."

    Das üblich leise Rauschen verriet mir: „Keine Sorge, das wird er nicht."

    Auf dem Weg ins Büro führte ich, wie sooft, scheinbar Selbstgespräche, aber natürlich sprach ich mit den Bäumen. Und wie so oft, sahen mich die vorüber gehenden Passanten an, als hätte ich nicht alle Tassen im Regal.

    „Habt Ihr inzwischen erfahren, was er von mir will? Ich meine, Ihr habt doch auch rausbekommen, dass ich ihm helfen kann. Es wird ja wohl nicht die Unterkunft gewesen sein."

    „Nun sicher haben wir einiges gehört, aber die Krähen halten sich sehr bedeckt. Sie rücken nicht mit der Sprache raus. Wir wissen nur inzwischen, dass Jo solange nicht mit Menschen sprechen darf, bis Ihr irgendeine Aufgabe erfüllt habt."

    „Na, toll. Ich verzog mein Gesicht. „Was ist, wenn ich das Vertrauen nicht finde? Ich fand es schon ziemlich viel verlangt, dass ich ihn allein in meiner Wohnung ließ. Aber ich hab’ es auch nicht fertig gebracht, ihn vor die Tür zu setzen.

    „Das solltest Du auch nicht. Gib ihm die Chance, Dein Vertrauen zu gewinnen. Denn erst dann erfahren wir wirklich mehr. – Nun geh ins Büro, wir passen auf Dich und Deine Wohnung auf."

    An diesem Tag gelang es mir noch weniger, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, aber ich musste diese verflixte Statistik für die Geschäftsleitung fertig bekommen, denn als ich sie an diesem Morgen kontrollierte hatte ich eben doch ein paar kleine Fehler darin entdeckt. Deshalb wischte ich die Gedanken an Jo immer wieder fort.

    Trotzdem erwischte ich mich immer wieder dabei, dass ich über ihn und diese Aufgabe nachgrübelte. Was für eine Aufgabe sollten wir meistern? Ich bin eine einfache Frau, die nicht einmal besonders stark ist. Und bei meinem Aussehen konnte man geteilter Meinung sein. Ich war nicht wirklich dick, aber hatte schon so mein Gewicht auf den Hüften. Gut, meine Rundungen saßen an den richtigen Stellen und wenn ich mich im Spiegel betrachtete, dann fand ich mich ganz ok. Ich hatte langes aschblondes Haar, welches ich gern mit blonden und kupferfarbenen Strähnen etwas aufpeppte. Meist trug ich einen Pferdeschwanz oder Zopf. Das erleichterte das Arbeiten. Ich mochte es nicht, wenn mir die Haare ins Gesicht fielen. Aber abschneiden wollte ich sie auch nicht. Mit langen Haaren konnte man viel mehr anstellen.

    Meinen blauen Augen konnten die Männer selten widerstehen, wenn ich es drauf anlegte. Nur legte ich es seit Jahren nicht mehr darauf an.

    Ich kleidete mich eher unauffällig und trug einfach auch gern bequeme Sachen. Ich möchte nicht sagen, dass ich unsportlich war, aber aktiv Sport treiben, war nicht so ganz mein Ding. Ich gebe gern zu, dass lag mehr daran, dass mich niemand mitriss. Wenn ich eine Freundin gehabt hätte, die mit mir Joggen gehen würde, wäre ich sicher Joggen gegangen. Mannschaftssport war nichts für mich, aber ganz allein Sport machen, ohne Unterhaltung zwischendurch, machte mir auch keinen Spaß. Darauf verzichtete ich gern.

    Als ich am Abend das Büro verließ, freute ich mich auf ein entspannendes Bad. Ob Jo mir eine Nachricht hinterlassen hatte? Ich fragte die Bäume nicht, meine Gedanken kreisten um Jo, mein Bad und meine gerade fertig gestellte Statistik – eine blöde Mischung.

    Trotz der morgendlichen Aussage der Bäume, glaubte ich mit keiner Silbe daran, dass Jo noch in meiner Wohnung sein könnte. Ich wurde auf die angenehmste Weise eines Besseren belehrt.

    Schon im Hausflur schnupperte ich. Hm, hier hatte jemand gerade gekocht. Und als ich meine Tür öffnete, wusste ich auch wer. Auf dem Esstisch in der Küche dampfte eine Schüssel Reis und eine Schüssel frisches Gemüse mit Kräutern und Knoblauch stand daneben. Jo war gerade dabei ein Stück Fleisch in Scheiben zu schneiden. Ich wusste gar nicht, dass ich noch etwas im Haus gehabt hatte. Er hatte Kerzen auf dem Küchentisch platziert und den Tisch gedeckt. Rundherum wirkte alles so…perfekt.

    Sofort klingelten wieder meine Alarmglocken. Was hatte er vor? Ich ließ mir nichts anmerken und begrüßte ihn fröhlich.

    „Hallo Jo, Du bist ja noch da. Hm, das riecht aber lecker. Hast Du extra für mich gekocht?"

    Jos strahlende Augen beantworteten mir diese Frage. Galant rückte er mir einen Stuhl zurecht und wir aßen gemeinsam.

    Die Situation hatte schon etwas Skurriles. Ich hatte einen Hausmann, den ich nicht kannte, mit dem ich aber ein Abenteuer der besonderen Art erleben sollte.

    Das Essen war vorzüglich. Wenn dieser Mann alles so gut konnte, wie kochen und backen, würde ich ihn freiwillig nicht mehr hergeben wollen. Meine Geschmacksknospen tanzten vor Verzückung Samba. Ich genoss es sehr, so verwöhnt zu werden.

    So, oder ähnlich verliefen die nächsten Tage, bis ich am Freitagabend wissen wollte, ob wir am Samstag etwas zusammen unternehmen wollten. Ich gebe gern zu, ich hatte mich in den paar Tagen sehr daran gewöhnt, so verwöhnt zu werden. Was würde wohl sein, wenn Jo wieder gegangen war? Darüber wollte ich zunächst lieber nicht nachdenken. Erst einmal sollten wir uns näher kennen lernen. Inzwischen fiel es mir richtig schwer, ihm nicht zu vertrauen...Wann immer ich heimkam, war die Wohnung aufgeräumt und geputzt und das Essen stand auf dem Tisch. Morgens war mein Frühstück immer bereits fertig. Wie sollte man da misstrauisch bleiben?

    Am Samstag fuhren wir aus der Stadt heraus. Ein Nachbar hatte mir ein Fahrrad für Jo geliehen, und ich hatte mir meines aus dem Keller geholt. So radelten wir direkt zum nahe gelegenen Wald. Jo führte mich. Ich hatte den Eindruck, dass er aus einem bestimmten Grund mit mir in diesen Wald wollte.

    Als wir den Wald betraten, kam er mir irgendwie bekannt vor. Der Wald sah freundlich und friedlich aus. Ich genoss den Duft des Waldes sehr. Andere Menschen hörten die Vögel nur zwitschern, ich hörte, wie sie ihre Lieder sangen und miteinander sprachen. Ein Habicht zog über den Wipfeln seine Kreise. Kleintiere raschelten im Unterholz um uns herum. Ein Specht morste seiner Liebsten.

    Jo und ich gingen eine Weile nebeneinander her. Er schwieg sowieso, und ich sah keine Veranlassung, die Stille zwischen uns zu stören. Es war ein herrlicher sonniger Tag. Die Krokusse steckten schon ihre Köpfe aus der Erde. Ich fühlte mich richtig gut und genoss die ersten Zeichen des Frühlings.

    Irgendwann entdeckte ich einen kleinen Spielplatz. Und obwohl ich inzwischen Mitte dreißig war, zog mich dieser Platz magisch an.

    „Jo, komm lass uns schaukeln gehen."

    Ich rannte los und hoffte, dass er mir folgen würde. An der Schaukel angekommen drehte ich mich um, zu meiner großen Überraschung kam Jo tatsächlich lächelnd hinterher. Er ging gemächlich, aber eindeutig fröhlich. Vielleicht war er auch ein wenig belustigt. Aber das war mir egal. Er kam hinterher und das war alles, was für mich in diesem Moment zählte.

    Ich dachte immer, Männer verlieren mit der Zeit diese kindliche Ader, aber Jo machte mit.

    Wie die Kinder tollten wir auf dem Spielplatz, spielten Fangen, erkletterten ein Gerüst und schaukelten um die Wette. Beim Wippen ließ er mich oben zappeln. Ich fühlte mich so wohl, wie schon lange nicht mehr. Jos warmes fröhliches Lachen gab mir das Gefühl, ihn schon ewig zu kennen. Und wenn er jetzt auch noch mit mir gesprochen hätte, wäre die Situation perfekt gewesen.

    Immer wieder kam mir zwischendurch der Gedanke, ich wäre schon einmal an diesem Ort gewesen. Aber mir war nicht bewusst, dass ich schon einmal diesen Wald betreten hätte.

    Am Abend fuhren wir beide müde nach Hause.

    Kurz vor meinem Haus fiel mir ein, dass ich noch gar nichts eingekauft hatte.

    „Jo, wir müssen essen gehen, ich habe vergessen einzukaufen!"

    Doch Jo schüttelte den Kopf.

    „Aber Jo, wir haben keine Lebensmittel mehr da."

    Wieder schüttelte er den Kopf. Dann zeigte er mit dem Zeigefinger auf sich und trug unsichtbare Taschen.

    „Du warst einkaufen? Wovon denn? Hast Du etwas Geld? Dann musst Du das von mir doch wiederbekommen."

    Jo zog einen Zettel aus seinem Mantel. Diesen nahm er zwischen zwei Finger und tat so, als würde er ihn in der Mitte durchschneiden. Dabei setzte er, wie so oft, seinen fragenden Hundeblick auf. Ich mochte gerade diesen Blick besonders gern.

    „Ok. Wir teilen," stimmte ich ihm zu.

    Es war mir ein Rätsel. Wie konnte Jo einkaufen gehen? Ich musste unbedingt die Bäume fragen.

    „Wie bist Du wieder in die Wohnung gekommen. Du hattest doch gar keinen Schlüssel?"

    Jo setzte eine Unschuldsmine auf und zuckte mit den Schultern. Wieder einmal war ich verwirrt. Wie konnte Jo meine Wohnung verlassen und sie wieder betreten? Ohne Schlüssel? Einbruchsspuren gab es nicht. Ich grübelte lange darüber nach, kam aber zu keinem Ergebnis.

    Dabei lag es auf der Hand. Ich hatte diesen Aspekt nur einfach übersehen. Das erklärten mir die Bäume. Jo hatte einfach ein Fenster offen gelassen und eine Krähe gebeten, in die Wohnung zu fliegen und ihm zu öffnen. Er wusste sich zu helfen.

    Nach dem Abendessen machten wir es uns im Wohnzimmer etwas gemütlich. Die Nachrichten dudelten so nebenbei, doch wir hörten eigentlich nicht hin. Irgendwie brachte man ohnehin nur Schreckensberichte. Zwischendurch schaute ich Jo an und bemerkte, wie er mich beobachtete. Was ging nur in ihm vor? Mein Drachenbäumchen, der schon eher ein stattlicher Zimmerbaum war, erklärte mir, während Jo im Bad war, ein bisschen etwas von dem, was mir die ganze Zeit Kopfzerbrechen bereitete.

    „Wir haben zwischenzeitlich mit den Krähen sprechen können. Im Wald, in dem Ihr heute wart gibt es eine steinerne Stätte, die Ihr unbedingt finden müsst. Sie ist wahrscheinlich überwuchert."

    Als Jo aus dem Bad kam, schaute ich erst meinen Baum und dann Jo fragend an. Ich sagte ihm, was ich gerade erfahren hatte. Doch Jo schien diese Aufgabe auch noch nicht so genau zu kennen. Er schien also nur gewusst zu haben, dass er mit mir in den Wald musste.

    Mein Baum erklärte weiter: „Diese Stätte ist nur der erste Schritt. Dort fehlen Schlüssel. Ihr müsst diese Schlüssel finden. Dummerweise scheinen diese weltweit verstreut zu sein. Denn zum Zeitpunkt der Verteilung wusste niemand, dass es sich bei den Gegenständen um Schlüssel handelte."

    Ich hörte gespannt zu und fand nach wenigen Minuten die Sprache wieder. „Was sind das für Schlüssel, wie finden wir sie und was sollen wir dann tun?"

    Doch mein Bäumchen schüttelte sich etwas. „Mehr wollte die Krähe, die Jo hier wieder hineingelassen hat, nicht verraten. Wir müssen also warten, bis Ihr zwei die Stätte gefunden habt."

    Das klang aufregend, und am liebsten hätte ich mich sofort wieder auf die Suche gemacht. Aber es war spät und ich wusste, im Dunkeln würden wir nichts finden. Jo hibbelte auf seinem Platz hin und her. Ihm ging es also ähnlich.

    „Sollen wir morgen noch mal in den Wald fahren?", wollte ich von ihm wissen.

    Er nickte.

    „Ist das die Aufgabe, dass Du wieder sprechen darfst?"

    Er zuckte mit den Schultern.

    „Würden mir die Krähen das beantworten? Weißt Du, wir könnten viel effektiver arbeiten, wenn wir uns richtig absprechen könnten."

    Er nickte.

    Am Sonntag war ich früher wach als sonst, und auch Jo schien kaum geschlafen zu haben. Unsere Aufgabe zog uns offenbar magisch in den Wald. Ich hatte mir meine ältesten Klamotten angezogen, um im Wald wirklich auch durch Dickicht laufen zu können, ohne mir meine Kleidung zu versauen. Mit meinen zerschlissenen braunen Jeans und meinem khaki farbenen T-Shirt kam ich mir vor, wie in Tarnfarben gekleidet.

    Der Auftrag

    Dann geschah etwas, womit ich nicht gerechnet hatte, eine Krähe kam in meine Küche geflogen und setzte sich mitten auf den Frühstückstisch.

    „Guten Morgen", fistelte sie.

    Ich funkelte sie etwas böse an: „Guten Morgen, schön das Ihr jetzt auch wieder mit mir redet, aber mitten auf dem Frühstückstisch finde ich Dich etwas unpassend."

    Erschrocken hüpfte die Krähe an den Rand des Tisches und fragte entschuldigend: „So besser?"

    Ich lachte, ich konnte den Tieren einfach nicht böse sein. „Ja, viel besser. Also, was hast Du uns zu sagen? Möchtest Du etwas Brötchen?"

    Die Krähe lehnte dankend ab. Dann erzählte sie uns, während wir frühstückten, was wir finden sollten:

    „Vor vielen hundert Jahren gab es hier in dieser Gegend ein Königreich, welches mit Güte, Liebe und Respekt den Lebewesen gegenüber regiert wurde. Der damalige König hatte dafür gesorgt, dass seine Nachkommen in seinem Sinne weiter regieren würden. Er hatte fünfzehn Töchter, eine schöner und intelligenter als die Andere. Der Überlieferung zu Folge sollen alle Töchter, Töchter der Mondgöttin Luna gewesen sein.

    Luna war nicht nur die Mondgöttin, sie war auch eine sehr schlaue Frau. Sie sorgte dafür, dass ihr König seine Töchter weise aufzog. Sie selbst wurde von der Bevölkerung niemals gesehen. Aber der König hatte auch niemals eine Frau, nur seine wunderschönen Töchter. So glaubte man der Legende, dass die Mädchen von der Göttin Luna abstammten.

    Als nun der König zu alt wurde und er sein Reich an seine Töchter übergab, ließ er verkünden, dass niemals Eine allein etwas zu entscheiden hatte, sondern dass die Mädchen durch mehrheitliche Abstimmung entscheiden mussten. Zunächst hielten sich alle an den Wunsch des Königs. Er war im Grunde der Erfinder der heutigen Demokratie. Nur leider funktioniert die Demokratie heute nicht mehr so wie damals." Die Krähe unterbrach kurz.

    Ich nutzte die Gelegenheit: „Wie ist es weiter gegangen? So, wie Du es im Moment erzählst, hätte dieses Reich heute noch existieren müssen."

    Die Krähe genoss es sichtlich, dass sie im Mittelpunkt stand. „Grundsätzlich hast Du recht. Leider heiratete ein Mädchen einen Mann mit großer Machtgier und geriet unter dessen schlechten Einfluss." Die Krähe holte tief Luft. „Luna musste eingreifen. Sie beschloss, dass von diesem Moment an keine der Töchter mehr regieren sollte und schloss ihre Seelen in fünfzehn magische Gegenstände ein. Sie hinterließ eine heilige Stätte in dem Wald, in dem Ihr gewesen seid. Dort wo die Stätte heute ist, hat damals etwa das Schloss gestanden.

    In den Reihen der Tier- und Pflanzenwelt heißt es, dass diese Stätte überwuchert ist."

    Jo und ich nickten, diese Information hatte uns ja schon mein Bäumchen gegeben. Die Krähe fuhr fort, stibitzte jedoch vorher ein paar Brötchenkrümel vom Tisch. Ich musste unwillkürlich lächeln, sagte jedoch nichts.

    „Ihr sollt nun diese Stätte finden und sichern. Wenn Ihr sie freilegt, werden wir wissen, um was für Gegenstände es sich handelt. Es heißt, die Gegenstände sind Schlüssel, die vereint die Befreiung der Töchter bewirken. Dann sollt Ihr diese suchen und zur Stätte bringen."

    „Liebe Krähe, darf Jo dann wieder mit mir sprechen, wenn wir die Stätte gefunden haben? Weißt Du, es lässt sich manches leichter koordinieren, wenn man richtig miteinander sprechen kann. Außerdem verstehe ich nicht so ganz, dass wir sie suchen müssen. Die Pflanzen müssten doch wissen, wo genau dieser Ort ist. Sie können doch kommunizieren?"

    Die Krähe überlegte. „Soweit ich weiß, haben die Pflanzen von der Stätte nichts mehr gehört, seit Luna die Seelen verborgen hat. Und offensichtlich gibt es ein paar Pflanzen, die sich an Lunas Schweigepflicht halten. Doch wir müssen den Schrein finden. In der Welt muss etwas passieren, damit die Menschen begreifen, was sie gerade mit der Natur tun. Und nur wenige Menschen haben begriffen, und diese kommen offensichtlich nicht weiter mit dem Rest der Bevölkerung. Oder sie wählen den falschen Weg, um es begreiflich machen zu wollen.

    Doch wir, die Tiere und auch die Pflanzen glauben, dass Luna uns helfen kann. Wegen Jos Schweigepflicht werde ich die Ältesten fragen und Euch Bescheid geben."

    Die Krähe wollte schon wieder abfliegen, als ich noch schnell fragte: „Warum darf er nicht sprechen? Hat er der Natur etwas getan?"

    Die Krähe zuckte richtig zusammen. „Wenn er wieder sprechen darf und die Zeit dafür reif ist, erhält er die Erlaubnis, es Dir zu erzählen."

    Ich schaute sie irritiert an. „Dagi, wenn ich es Dir jetzt sage, dann weiß ich nicht, ob es stimmt. Ich muss erst noch einiges in Erfahrung bringen. Wir wissen auch nicht alles. Sowohl die Pflanzen, als auch alle Tiere helfen Euch, wo wir können." Dann flog die Krähe fort.

    Minutenlang aßen wir schweigend weiter. Dann schauten wir uns an und fingen fröhlich an zu lachen. Ein Abenteuer, wir waren auserwählt, ein Abenteuer zu erleben und symbolisch eine Zeitreise zu machen.

    Dieses Mal betraten wir den Wald mit ganz anderen Augen. Natürlich erfreuten wir uns an der Natur und an den Erzählungen, die wir hörten. Aber wir hörten anders hin. Denn wir wussten beide, eigentlich wussten die Pflanzen, wo die heilige Stätte war. Wir mussten nur ihren Hinweisen folgen.

    Wir drangen immer tiefer in den Wald ein, kein Weg oder Pfad führte uns. Denn soviel war uns klar, wenn dieses Monument irgendwo war, dann garantiert nicht an einem Weg. Uralte Wege mussten zugewachsen sein. Alles andere ergäbe keinen Sinn.

    Die Pflanzen, vor allem meine geliebten Bäume, führten uns tatsächlich. Schon nach etwa einer Stunde hatten wir eine Stelle gefunden, wo die Pflanzen besonders undurchdringlich erschienen.

    „So Ihr Lieben, sprach ich die Pflanzen an, „wie kommen wir jetzt weiter, ohne Euch zu verletzen?

    Ohne großes Federlesen, wichen die Farne und Efeu-Pflanzen zur Seite. Als hätten sie nur auf uns gewartet! – Hatten sie ja eigentlich auch. – Schon von außen blieb mir mein Mund offen stehen. Und mit einem kleinen Seitenblick auf Jo stellte ich beruhigt fest, ihm ging es ähnlich.

    Der Bau war aus ganz alten Steinen gebaut und in uralter Bauweise nur Stein auf Stein gesetzt. Kein Mörtel hielt die Steine zusammen. Es saß einfach so. Es wirkte alles, als machten wir tatsächlich eine Zeitreise. Direkt vor mir muss hier mal eine Burg oder ein Schloss gestanden haben, genau wie die Krähe es gesagt hatte. Ob unsere Heimatkundler von diesem Objekt wussten? Wenn alles vorbei war, könnte man es ja mal im Heimatkunde-Museum erwähnen.

    Ehrfurchtsvoll betraten Jo und ich die Ruine. Nur um festzustellen, dass eigentlich nur noch ein riesiger Raum existierte. Dieser war zwar ohne Dach aber ansonsten vollständig erhalten. Allein diese Tatsache ließ unsere Bewunderung nur noch weiter wachsen. Die alten Baumeister hatten wirklich etwas von ihrem Handwerk verstanden.

    Als wir uns weiter

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