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Draußen war Sommer...: Ein Jahr in Angst und Zwang. Ein Tagebuch geprägt von Liebe, Stress und Glück, Zwängen und Angst
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Draußen war Sommer...: Ein Jahr in Angst und Zwang. Ein Tagebuch geprägt von Liebe, Stress und Glück, Zwängen und Angst
eBook350 Seiten3 Stunden

Draußen war Sommer...: Ein Jahr in Angst und Zwang. Ein Tagebuch geprägt von Liebe, Stress und Glück, Zwängen und Angst

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Über dieses E-Book

Angst. Furcht. Sorge. Alles zusammen. Und alles lebt irgendwie verkehrt.
Als im Jahr 2007 draußen im kleinen Städtchen der Sommer über Felder, Wiesen und Straßen strahlt, läuft drinnen im Reihenendhaus der jungen Familie etwas falsch. Zwang und Angst und strengste Rituale bestimmen das Zusammenleben. Jeden Tag, jede Stunde und jede Nacht wird mit fast allen Mitteln gekämpft. Niklas kennt das Leben nicht anders. Maria wird hineingeboren in ein Aufbäumen von Normalität im Wahnsinn. Der Vater Kurt kämpft für Normalität am Rande der Selbstaufgabe. Katrin, die Mutter von Niklas und Maria, kämpft gegen die Gefahren von Viren und Bakterien. Sie kämpft auch um den Anschein der Normalität. An jedem Fleck draußen könnte die todbringende Infektion hängen. Zum zwanghaften Schutz bestimmen Regeln und Rituale das Zusammenleben. Therapie ist die einzige Hoffnung für die Liebe und die Familie.
Rund zwei Million Menschen leiden in Deutschland mehr oder weniger stark unter Zwängen. Wer sich selbst eingesteht, dass die eigenen Handlungen ein Leiden für sich selbst hervorrufen, der darf sich glücklich schätzen. Dann ist mit viel Arbeit eine Heilung im Bereich des Möglichen. Dann gibt es Hoffnung für diejenigen, die unter der Zwangsstörung leiden.
Kurt Partner gibt Einblick in ein ganz besonderes Jahr einer betroffenen Familie. Ein Jahr, in dem die Geburt des zweiten Kindes fast vollkommen zur Nebensache wird und in dem jeder Gang in den Garten wohlüberlegt sein muss.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum16. März 2019
ISBN9783748521174
Draußen war Sommer...: Ein Jahr in Angst und Zwang. Ein Tagebuch geprägt von Liebe, Stress und Glück, Zwängen und Angst

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    Buchvorschau

    Draußen war Sommer... - Kurt Partner

    Draußen war Sommer... 

    Ein Jahr in Angst und Zwang

    Ein Tagebuch geprägt von Liebe, Stress und Glück, Zwängen und Angst

    von Kurt Partner

    ISBN 978-3-7450-4601-4

    Originalausgabe – „Ingrid-Update"

    Text: © Copyright Kurt Partner

    Umschlaggestaltung: © Copyright Kurt Partner

    März 2019

    https://goo.gl/ZURpQY

    derpartner@gmail.com

    © 2017, Kurt Partner, c/o Familie König, Dresdener Ring 39, 61130 Nidderau

    Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

    Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf deshalb der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Autors.

    Alle Namen zum Schutz der Privatsphäre geändert.

    Sommer 2017 – Hoffnung

    Für meine Kinder Niklas und Maria und für mich musste ich etwas tun. In all diesen wahnsinnigen Routinen der Zwangserkrankung war das Leben unerträglich geworden. Nichtstun hieß, den sprichwörtlichen Wahnsinn ganz ohne Gegenwehr weiter zu unterstützen. Also fing ich vor zehn Jahren mit dem Schreiben an. Dem Aufschreiben. Zum Verarbeiten. Wann immer es mir möglich war. Schreiben hilft. Hoffte ich. Heute weiß ich: Schreiben allein hilft längst nicht. Was hilft? Reden hilft. Reden miteinander. Das Reden mit Dritten. Das Reden mit Freunden. Und auch das Reden mit denen, die von Berufs wegen ein offenes Ohr haben müssen. Den Psychologen, den Psychotherapeuten.

    Warum ich anfing? Weil die Zwangserkrankung meiner Frau Katrin und die damit verbundene Angst rund um die plötzlich für sie so realen Gefahren unser Leben bestimmten. Die Angst umklammerte uns und grenzte uns vom Leben dort draußen immer weiter aus. Diese Angst schränkte ein. Erst ein wenig. Dann immer stärker. Irgendwann so sehr, dass jeder Aspekt des Lebens zur Qual wurde.

    Ich begann mit einer Psychotherapie. War ich denn krank? Im Rückblick – ja! Die Umstände hatten auch mich krank gemacht. Co-zwangskrank. Ich konnte nicht mehr unterscheiden zwischen ‘normal’ und ‘krankhaft’. Und es tat weh. Richtig körperlich weh. Dieses Leben in Angst und Sorge fraß sich sprichwörtlich in mir fest.

    Aber ich hoffte. Ich hoffte darauf, dass alles wieder gut wird. Heute weiß ich: Alles wird nie wieder gut. Es bleiben Wunden, die sehr lange schmerzen.

    Ich hoffe, dass dieses Buch anderen dabei hilft, frühzeitig Hilfe zu suchen. Ich habe erlebt, wie schwer es ist, aus dem Teufelskreis auszubrechen. Aus der Verheimlichung heraus – auch wenn ich hier mit Pseudonym schreibe, um meine engste Familie vor möglichen negativen Reaktionen zu schützen – konnte ich im Laufe des Kampfes gegen die Krankheit schließlich mit meiner Familie und mit meinen engsten Freunden über den Zwang reden. Damit eröffnet sich eine Chance, dass die Narben kleiner werden. Das Wichtigste: Hilfe suchen und Hilfe annehmen. Es wird nicht von alleine besser. Zwänge verwachsen nicht. Sie sind auch nicht mit der Zeit zu lindern. Wer sich dieser Hoffnung hingibt, der vergibt die einzige große Chance. Man muss sich um Hilfe kümmern. Hilfe von außen. Auch wenn der Wunsch ganz natürlich ist, die Probleme nach außen zu vertuschen und nach innen klein zu reden. Ich habe dabei selbst zu lange mitgemacht.

    Vielleicht sind meine Erfahrungen für andere ein erster Schritt in Richtung Hilfe. Hilfe, die man selbst einholt. Oder Hilfe, die man einem Betroffenen schenkt.

    Kurt Partner, im Sommer 2017

    Samstag, 7. Juli 2007 – Wow, was für ein Mittag!

    Es ist kaum zu glauben. Unser Sohn Niklas ist inzwischen 2 1/2 Jahre alt und ich war heute mit ihm alleine draußen im Garten. Ich bin mit ihm raus gegangen, während Katrin zum Einkaufen gefahren ist. Ich habe mit ihm draußen im Garten sogar zu Mittag gegessen.

    Was das Besondere ist? Nun, es war das erste Mal. Das erste Mal, dass ich mit meinem Sohn draußen im Garten war. Seltsam? Ehrlich: Das ist mehr als seltsam. Es ist schlimm. Aber noch nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war, dass ich währenddessen ein schlechtes Gewissen hatte! Ein schlechtes Gewissen, weil ich mit meinem kleinen Sohn Niklas in unserem Garten war!

    Wir leben seit fast vier Jahren in diesem Reihenhaus mit 140 Quadratmetern Wohnfläche und einem verhältnismäßig großen Garten. Zum Garten geht es aus dem Wohnzimmer heraus über eine etwas zu hoch geratene Stufe. Dort ist dann unsere extra große Terrasse. Genutzt wird diese Terrasse jedoch von uns kaum noch. Wir haben sehr viel mehr Zeit nach dem Einzug und noch ohne Niklas auf der Terrasse verbracht als heute mit Niklas. Damals war der Garten noch eine große Schlammwüste mit einer „Terrassenoase". Damals – zu zweit – sind wir sehr regelmäßig auf diese Terrasse gegangen. Haben dort gegessen. Haben entspannt und auch den einen oder anderen Abend eng aneinander gekuschelt auf einem Liegestuhl gelegen. Es gab leise und dabei extrem ekstatische Momente auf dieser Terrasse unter freiem Himmel. Ja, wir haben das Leben zu zweit genossen.

    Und wir hatten uns auf unsere Zeit als Eltern gefreut. Dass es einmal so werden würde, das hätten wir nie gedacht. Nie. Nicht im Traum. Nicht einmal in einem Albtraum. Zu abstrus und viel zu brutal.

    Nun also dieses erste Mal: Einfach mal die Terrassentür auf, Niklas rausgestellt, ihm und mir Schuhe angezogen und draußen waren wir. „Rausgestellt. Richtig. Er ist 2 1/2 Jahre alt und wusste nicht, wie er diese eine Stufe vom Haus auf die Terrasse überwinden könnte. Er kennt diese Tür nur verschlossen. Doch dann hat ihm die Zeit dort in unserem Garten einen riesigen Spaß gemacht. Ein „Picknick haben wir im Garten veranstaltet. Er hat sogar für mich Johannisbeeren gepflückt. Nachdem wir fast zwei Stunden draußen waren, liegt er jetzt im Bett und macht seinen Mittagsschlaf. Keine Sekunde Probleme beim Einschlafen. Niklas war einfach fix und fertig. So gefällt mir das.

    Da er seine „Hausklamotten" trug, bin ich mir noch unsicher, ob Katrin daran sehen wird, dass wir etwas anderes gemacht haben als sonst, aber auf links gedreht in der Wäsche wird sie das wohl kaum mitbekommen.

    Die Familie – Eine Vorstellung

    Meine Frau Katrin ist krank. Keine Grippe. Keine ständige Migräne. Es ist anders. Ich habe große Sorge davor, wie es mit uns weitergehen wird. Mit mir (32), mit unserem Sohn Niklas, mit unserem ungeborenen Kind und mit meiner nur sechs Monate älteren Ehefrau Katrin. Wie krank Katrin eigentlich ist, das kann ich nur schwer beurteilen. Auf jeden Fall so krank, dass die Krankheit unser ganzes Leben bestimmt. Auf eine schreckliche Art und Weise bestimmt. Bedrückend. Beängstigend. Und für Niklas sicherlich langfristig spürbar. Und wie wird das erst mit unserem Baby? In welch einen Wahnsinn wird unser Baby hineingeboren?

    Katrin und ich kennen uns bereits unser halbes Leben. Unsere gemeinsame Geschichte begann, da war ich gerade 16 geworden und sie hatte ihren 17. Geburtstag gerade vor sich. Wir lernten uns in der Oberstufe kennen und machten dann auch fast gemeinsam Abitur – am Ende habe ich nur ein Jahr länger als sie gebraucht. Ich war einfach zu unordentlich, um all das Abiturwissen in der vorgegebenen Zeit in mich hinein zu pauken. Regeln und strenge Strukturen stießen mich eher ab. Katrin war damals eine von diesen Schülerinnen, die mit einem ständigen Lächeln durchs Leben gehen. Die sich in die gestellten Probleme in den unterschiedlichsten Fächern hineinwühlten, um sie zu lösen. Das war auch für ihr Studium symptomatisch und für ihre Arbeit für das Staatsexamen. Katrin hat kurz Medizin studiert und dann zum Lehramt gewechselt. Haupt- und Realschule. Als Lehrerin für Mathematik und Biologie hat sie sich in kürzester Zeit den Respekt ihrer Kolleginnen und Kollegen erarbeitet.

    Sie war es, die Dinge wie aufwändige Zirkeltrainings (Stationenlernen) in den naturwissenschaftlichen Unterricht bei ihren oftmals sehr viel älteren Lehrer-Kollegen hineinbrachte. Und Katrin war in ihrer Klasse nicht nur einfach beliebt, sondern von dem größten Teil ihrer Schüler trotz ihres Status als „junge Lehrerin" tatsächlich regelrecht geachtet.

    Auch die fachfremden Unterrichtsthemen hat sich Katrin mit großem Engagement drauf geschafft. Sie war in ihrer Schule sehr schnell ein gefragtes Mitglied im Kollegium und sehr gut vernetzt. Schließlich hatte sie einen großen und aktiven Freundeskreis, von dem ich als Dauerreisender sehr stark profitierte. Das alles hat sich jedoch in den letzten zwei Jahren stark verändert.

    Dabei steckt das Lehren in ihrer Familie. Ihre Mutter Bettina war Lehrerin, ihre Tante ist Lehrerin. Auch die Wissenschaft steckt ihr im Blut. Schon ihr Vater Rainer hat in Biologie seinen Doktor gemacht. Ihr Onkel ist Jurist, so wie auch ihr Großvater. In unserer gemeinsamen Zeit in der Oberstufe waren ihr chemische Formeln nie fremd. Keine Deutsch-Interpretation – und sei es zum Thema der filmischen Umsetzung von Clockwork Orange – konnte Katrin aus der Fassung bringen. Kein Sportlehrer ihr den Spaß an der Bewegung nehmen. Wir waren während unserer gemeinsamen drei Jahre in der Oberstufe zu besten Freunden geworden, begleiteten dann unsere jeweiligen Beziehungen im Anschluss aus sicherer Entfernung und kamen erst knapp zur Jahrtausendwende „zusammen". Eine gemeinsame Woche in meiner Bude in Süddeutschland wurde rund um die Sonnenfinsternis am 11. August 1999 zu unserem langgezogenen Schlüsselmoment. Wir wollten zusammen sein. Zusammen leben.

    Wir teilten dann recht schnell Tisch und Bett mit der beidseitigen Gewissheit, dass unser gemeinsames Leben ein wahrer Glücksfall sein musste. Zu groß unsere Freude an schönen Kinoabenden zu zweit oder noch besser Kinoabende mit Freunden und anschließendem gemütlichem Ausklang bei uns zuhause. Zu groß die Freude am gemeinsamen Tanzen. Zu deutlich das jeweilige Gefühl, mit dem Gegenüber auch einen Partner für eine zukünftige Familie gefunden zu haben.

    Zuerst wohnten Katrin und ich in einer kleinen Mietwohnung zusammen. Auch hier klappte es zwischen uns. Das Zusammenwohnen war kein Quell für eine Ernüchterung. Wir konnten unsere Gemeinsamkeiten und unsere Unterschiede gut unter einen Hut bringen.

    Die gemeinsame Zeit in der nahegelegenen Tanzschule genossen wir und verbrachten viel Zeit mit Freunden aus unserer gemeinsamen Jugend, mit unseren jeweiligen Kollegen und unseren großen Ursprungsfamilien. Katrin hat noch zwei Geschwister, ich selbst sogar drei.

    Wir konnten unsere unterschiedlichen Einstellungen in Bezug auf Ordnung und Sauberkeit akzeptieren. Ich achtete darauf, nach Ausflügen mit dem Mountainbike nicht zu viel Schlamm und Schmutz in die Wohnung zu tragen und sie hielt sich beim Meckern über meine ganz eigenen Auslegungen des Ordnungsprinzips zurück.

    Unsere Hochzeit war im Hochsommer 2002. Im Herbst des nächsten Jahres zogen wir in ein für uns und vor allen Dingen von Katrin neu gebautes Reihen-Endhaus mit dem eigenen Garten. Katrin war während der Bauphase in den Nahkampf mit dem Bauträger gegangen. Hat all unsere Wünsche eingebracht und durchgefochten.

    Ein Spielplatz direkt in Sichtweite war mit Ausschlaggebend für die Grundstücks- und Hausauswahl. Nur ein Feldweg zwischen dem Spielplatz und unserem 250 Quadratmeter großen Garten. Man könnte so schön einfach in diesen Garten. Dort, wo gerade Sommer ist. Aber dort hinaus? Heute viel zu kompliziert, um einfach so hinaus zu gehen. Viel zu gefährlich. Die Vögel!

    Nach einer Fehlgeburt 2004 wurde im Februar 2005 unser Sohn Niklas geboren. Meike, die beste Freundin meiner Frau, war unsere Hebamme. Inzwischen erwarten wir unser zweites Kind. Wieder ein echtes Wunschkind. Wir sind im siebten Monat, doch leider längst nicht mehr im siebten Himmel. Es könnte alles so schön sein. Mit all unseren Freunden. Mit den Nachbarn. Unseren Familien. Aber es wird alles weiterhin anders sein. Das Kind wird in einen Albtraum hineingeboren. Wenn sich nichts ändert. Wenn kein Wunder geschieht. Denn das, was unser Leben nun seit mindestens vier Jahren bestimmt, das ist Angst. Die Angst meiner Frau.

    Angst bestimmt

    Eine gewisse Portion Angst sollte sicherlich immer zum menschlichen Leben gehören. Wir schützen uns so nicht nur vor unüberlegten Handlungen und gefährlichen Situationen. Das hat die Evolution schon ganz richtig gemacht. Sicherlich war Angst auch ein guter Berater (oder Beraterin?), als wir uns noch gegen wilde Tiere behaupten und jeder seine Nahrung selbst sammeln oder jagen musste. Diese Zeit ist jedoch vorbei. Diese Zeit, in der Angst aus gutem Grund die bestimmende Komponente im Leben war.

    Bei Katrin und mir hat Angst eine andere Dimension erreicht. Ich glaube, ich kann ohne zu übertreiben sagen, dass Angst inzwischen alles in unserem Leben beeinflusst oder prägt. Jeder Handgriff wird von Angst begleitet oder wird aus Angst überhaupt durchgeführt. Jeder Ausflug bedeutet, Vorsicht walten zu lassen und aus Angst Schutzrituale zu befolgen. Jeder Besuch von draußen bedeutet Angst. Jeder Händedruck ist begleitet von Angst. Jede Kloschüssel, jeder Ast auf dem Boden, jeder Fleck auf der Kleidung. Jedes Vogelnest am Dach, jede Taube auf dem Gehsteig. Das Leben ist Angst. Für meine Frau Katrin. Und ich? Auch ich bin eine ständige Quelle für diese Angst. Verrückt.

    Katrin hat unvorstellbare Angst davor, dass Niklas etwas Schlimmes zustoßen könnte. Etwas Schlimmes? Schlimm sind Dinge, die tödlich sind. Tödlich ist die Vogelgrippe. Über die Vogelgrippe wird dort „draußen gesprochen. Über die Medien kommt dieses gefährliche „Draußen dann zu uns ins geschützte Heim. Die Medien berichten über Ausbreitungsfaktoren, Mutationen und Massentierkeulungen. Mitten in unsere doch eigentlich heile Welt treffen diese Berichte. Mitten hinein in Katrins Angst vor einer schweren Erkrankung.

    Katrin wird im wahrsten Sinne des Wortes rund um die Uhr von einer ihren ganzen Körper ergreifenden Angst gesteuert. Regelrecht greifbar wird diese Angst vor der Ansteckung eines engen Familienmitglieds mit der Vogelgrippe. Dieser Angst ordnen wir mehr und mehr unser gemeinsames Leben unter.

    Die Angst bestimmt alles. Sie bestimmt jeden Ausflug. Jedes Anziehen. Jedes Ausziehen. Jeden Gang nach zum Einkaufen. Jeden Gang in den Garten. Jede unbewusste Berührung. Jedes Streicheln. Jeder Kuss wird von dieser Angst bestimmt. Ja, auch unseren Sex bestimmt die Angst. Die Angst bestimmt wo, wann, wie und nach welchen Säuberungsritualen Katrin und ich uns berühren dürfen. Die Angst bestimmt, unter welchen Bedingungen, wo, nach welchen Ritualen wir miteinander schlafen dürfen. Es gibt keine spontane Freude. Keine spontan erwiderte Erregung. Es muss alles kontrolliert ablaufen. Sauber. Klinisch sauber.

    Die Angst bestimmt jede Handlung. Die Angst bestimmt jede Nacht. Jeden verdammten Tag. Jeden Tag, den wir doch so schön verleben könnten. Wenn draußen die Sonne scheint, unser Kind glücklich und gesund ist. Und doch geht es nicht. Als ob es dort draußen ständig blitzt und donnert. Unaufhaltsam kommt das imaginäre Gewitter näher. Bedrohlich. Jeden Tag. Weil unser Leben keinen Blitzableiter hat, müssen wir uns vor dem Gewitter wegducken. Längst ist nicht mehr klar, was schwerer wiegt. Die reale Gefahr oder die Angst vor ihr. Gefährlich scheint irgendwie beides. Vielleicht sogar tödlich.

    Samstag, 7. Juli 2007 – Nach dem Ausflug

    Nein, ich denke schon, dass ich normal bin – man könnte ja meinen, dass ich sonst nicht in den Garten gehen will. Und ob!Das Problem ist eben diese riesige Angst. Die riesige Angst meiner Frau, dass durch irgendeinen Dreck im Garten unserem Kind etwas zustoßen könnte. So verhindert sie mit aller Kraft, dass wir ‘einfach mal so’ hinausgehen. Denn sonst heißt jeder ‘Ausflug’, dass die komplette Wäsche gewechselt und anschließend auch jedes mal ein Gang von allen unter die Dusche mit einem strengen Programm zum Einseifen notwendig ist. Das macht die Sache auch zu einem regelmäßigen Weinkrampf für Niklas, der auch nach einem Ausflug entsprechend müde ist und einen Aufenthalt in der Dusche schon lange nicht immer so gerne mitmacht.

    Wenn der Tag mit mehreren „Ausflügen gepflastert wäre, dann müsste Niklas nach Katrins Zwangsregeln mehrmals am Tag unter die Dusche. Praktisch gesehen: Unmöglich. So plant Katrin die Tage schon so, dass es nur einen „Ausflug nach draußen gibt. Einmal am Tag raus. Dann wieder hinein in die Sicherheit. Gründlich abgesichert mit genügend säuberndem Wasser.

    Aber heute nicht. Diesmal musste Niklas nicht unter die Dusche. Diesmal habe ich ihm noch kurz die Hände abgespült – noch nicht mal mit Seife – und das war es. In gewisser Weise ein Hochgefühl für mich. So verboten und dabei so schön! Diese glücklichen Kinderaugen! Schwierig wird es sicherlich, wenn Katrin nachher von ihm die verrückten Geschichten vom „Picknick Garten oder „Sandkasten spielen hört. Aber was kann schlimmstenfalls passieren? Dass Katrin sämtliche Dinge, bei denen sie sich denkt, dass ich sie dreckig angefasst habe, nochmals intensiv putzt. Aber das werden wir überstehen. Hoffe ich. So, jetzt wecke ich unseren Sohn wieder auf, denn Katrin holt ihn gleich ab und wird mit ihm zum Fahrradfahren gehen. Richtig. Sie bemüht sich! Sie kümmert sich darum, dass er nach draußen kommt. Dass er dem Anschein einer normalen Entwicklung genüge tut. Natürlich hat sie nämlich ein riesiges schlechtes Gewissen. Das sagt sie mir regelmäßig. Und so kümmert sie sich zum Beispiel um dieses Laufradfahren. Dass ich das übernehme? Zu gefährlich. Ich achte nicht genau genug auf die möglichen Gefahren. So übt sie mit Niklas auf sicherem Gelände in der Nähe ihrer Eltern das Laufradfahren. Ich werde mir in dieser Zeit eine kleine Auszeit nehmen und einen Freund besuchen. Auch ihm darf ich nach Anweisung meiner Frau nichts sagen. Keiner „Menschenseele" – selten gab es so energisch vorgetragene Regeln, wie zu diesem Thema der Geheimhaltung. Also: Daumen drücken, damit Katrin die heutige Nacht nicht wieder zum Tage macht und durchputzt

    Krankhafte Rituale – Zwangserkrankung

    Katrins Krankheit nenne ich Zwangserkrankung. Im Englischen wird sie oft als OCD abgekürzt – obsessive compulsive disorder. Im Medizindeutsch ist es die Zwangsstörung. Doch aus meiner Sicht verharmlost das die Sache gewaltig. Es ist nicht nur eine Störung im Lebensablauf. Es ist keine Störung im Betriebsablauf. Es ist nicht so, dass dann an einer Stellschraube gedreht wird und schon ist alles wieder gut. Diese Zwänge, diese Angst machen das ganze Leben anders. Sie sind krank und machen krank. Ich lebe mit diesen Veränderungen von Woche zu Woche. Im Rückblick sehe ich dann ab und zu, was sich wieder verändert, was sich verschlimmert hat. Katrin versucht inzwischen zwanghaft, allem aus dem Wege zu gehen, was für unseren Sohn Niklas gefährlich werden könnte.

    Es ist kaum zu glauben, was aus ihrer Sicht alles als gefährlich eingestuft wird! Erschreckend viel. Die Vogelgrippe könnte schließlich überall sein. Das ist nicht lustig. Jeder Kotfleck eines Vogels könnte der Ursprung einer Ansteckung sein. Jedes weiße Restchen auf einer Mauer, auf einem Handlauf, irgendwo – es könnte ein Rest Vogelkot sein. Und was ist das für ein Fleck auf der Jacke? Die Angst ist immer da. Katrin ängstigt sich ständig vor der Ansteckung. Und ich? Ich habe Angst davor, dass uns irgendwas Unerwartetes passiert. Denn dann wird Katrin wieder panisch penibel putzen, was das Zeug hält. Das schafft ihr das Gefühl, die Gefahr abzuwenden. Schließlich beruhigt sie das Putzen schlussendlich.

    Jede Faszination des Augenblicks wird mit dem Putzen zerstört wird mit einem Desinfektionstuch und allem was dazugehört weggewischt und ausgelöscht. Egal, ob es gerade lustig ist, oder romantisch. Egal, ob wir eigentlich dringendere Dinge zu tun hätten, oder vielleicht sogar etwas mit Niklas machen wollten. Die Sauberkeit, die Hygiene, der Schutz vor Ansteckung hat ständig Vorrang.

    Samstag, 7. Juli 2007 – Es war erst einmal furchtbar.

    Niklas hat sich bei der Rückkehr von Katrin „verplappert. Ich hatte ihn mit keiner Silbe zu einer „Verschwiegenheit gegenüber Mama gedrängt oder etwas in dieser Richtung gesagt. So hat er direkt auf ihre Frage „Was habt ihr zusammen gemacht?" stolz in seinen Worten erzählt, dass wir im Sandkasten gespielt haben. Katrin brach in Tränen aus. Sie könne sich nicht mehr auf mich verlassen.

    Wie ich das denn machen konnte? Wie ich Niklas denn dann wieder ins Haus hineingebracht hatte? Was wir denn angefasst hätten? Wo denn Niklas' Kleidung sei?

    Vollkommen aufgelöst war sie. Ich sagte ihr, dass sie sich keine Sorgen machen müsste. Dass alles in Ordnung sei. Sie wollte den Ausflug mit Niklas zu ihren Eltern abblasen. Niklas hatte sich doch aber so sehr darauf gefreut. Ich redete ruhig auf sie ein, dass sie das nicht machen könnte. Er freute sich doch so und sie müsste sich keine Sorgen machen. Niklas war zu

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