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Das Mädchen im Regen: Die Geschichte von Marie und Titus
Das Mädchen im Regen: Die Geschichte von Marie und Titus
Das Mädchen im Regen: Die Geschichte von Marie und Titus
eBook410 Seiten5 Stunden

Das Mädchen im Regen: Die Geschichte von Marie und Titus

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Über dieses E-Book

Zwischen Dortmund, Bochum und Essen verstricken sich die Schicksale von sechs Personen zu einer mystischen Geschichte die sie immer tiefer in einen Strudel aus Verbrechen, Macht, Gier und Gewalt zieht. Und welche Rolle spielt die mysteriöse Emma, die immer auftaucht, wenn die Wege der sechs Personen eine entscheidende Wendung nehmen. Jagen sie einem Geist hinterher, oder gibt es diese Emma wirklich? Und wie ist es ihr möglich ihnen offenbar immer einen entscheidenden Schritt voraus zu sein?
Titus gerät dabei in den Sog ein mehrere Jahrhunderte umspannendes Geheimnisses. Während er seinem Widersacher, einem charismatischem Sektenführer, durch das Ruhrgebiet hinterher jagt, entdeckt er eine vollkommen unbekannte Seite des Potts. Marie steht plötzlich im Mittelpunkt eines mysteriösen Kultes, der selbst in den Wirren des zweiten Weltkrieges, schon die Finger nach der zehnjährigen Emma ausstreckt. Die Prophezeiungen des Nostradamus scheinen Marie in eine Rolle zu drängen, die Titus vor die grausame Wahl, ob er um sie weiter kämpfen soll, oder ob er zurück in sein altes unscheinbares Leben flüchtet, stellt.
Während er immer tiefer in den Albtraum hinein gezogen wird, entfaltet sich die wahre Bandbreite der Geschehnisse um Marie und Emma immer weiter und Maries wahre Identität kommt mehr und mehr ans Licht.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum20. Juni 2018
ISBN9783746734750
Das Mädchen im Regen: Die Geschichte von Marie und Titus
Autor

Markus Fels

Der Anfang der siebziger Jahre in Essen geborene Autor Markus J. Fels weiß seine Leser mit unkonventionellen Psychothrillern zu begeistern. Dabei lässt er die urbane Romantik und das besondere Flair des Ruhrgebiets, insbesondere seiner Heimat Essen in seine Romane einfließen. Kuriose Situationskomik und Wortwitz sind ein weiteres Merkmal seiner besonderen Geschichten. Als begeisterter Historien und Lost-Places Fan erkundet er auf Streifzügen durch das Ruhrgebiet immer neue Locations für seine Romane und findet Inspirationen in gut beobachteten Details der Landschaften, Orte und Menschen seiner Umgebung, die er in längeren Texten, aber auch in Kurzgeschichten und Gedichten verarbeitet.

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    Buchvorschau

    Das Mädchen im Regen - Markus Fels

    Ein ruhrgebiets Krimi

    von

    Markus J. Fels

    This book is a work of fiction. Names, characters, places and incidents are either the product of the author's imagination or are used fictionally. Any resemblance to actual persons, living or dead, or to actual events or locales is entirely coincidental.

    This book is licensed for your personal enjoyment only. This book may not be re-sold or given away to other people. If you like to share this book with another person, please purchase an additional copy for each person you share it with.

    Copyright © 2017 Markus Fels. All rights reserved. Including the right to reproduce this book or portions thereof, in any form. No part of this text may be reproduced in any form without the express written permission of the author.

    Impressum

    Texte:       © Copyright by Markus J. Fels

    postmaster@markusfels.de

    Druck:            epubli - ein Service der neopubli GmbH,

    Berlin

    Teil 1

    Das Mädchen im Regen

    1                             Die Entscheidung

    Donnerstag, 17:35

    Nathaniel hatte sich heute extra für die S-Bahn entschieden. Sonst nahm er immer den Regional-Express, saß dort in der 1. Klasse und war innerhalb von zwanzig Minuten zu Hause. Die Fahrt mit der S-Bahn dauerte doppelt so lang. Doch heute nahm er sich die Zeit um endlich die Entscheidung zu treffen, die er schon wochenlang vor sich herschob. In seinem hellen, klassisch geschnittenen Kurzmantel, mit der dunklen Anzughose die darunter zum Vorschein kam und den teuren italienischen schwarzen Lederschuhen wirkte er reichlich deplatziert in der S-Bahn. Zwar hatte auch die ein Erste-Klasse-Abteil, doch in dem durch eine Glastrennwand vom Rest des Wagens abgegrenzten kleinen Bereich, kam er sich vor wie eine Raubkatze in einem Käfig. Die Enge trug nicht gerade dazu bei, seine Anspannung zu mindern. Im Gegenteil, sie zeigte ihm nur noch mehr die Unausweichlichkeit der Entscheidung, die er heute zu treffen hatte. Er wusste, wenn er am Endpunkt der Fahrt ankam und durch die Glastür ging, dann gab es kein Zurück mehr.

    Wie sehr er sie doch liebte. Ihre Ungezwungenheit, ihre Leichtigkeit, ihre Jugend. Aber er wusste, dass der Tag kommen würde, an dem ihm das nicht mehr reichte. Sein Lebensplan sah anders aus, da bedeutete sie nur ein Abenteuer, eine Ablenkung. Und das hatte sie nicht verdient. Rebecca sollte ihren Märchenprinzen finden, das wünschte er ihr von ganzem Herzen. Doch er war es nicht. Nathaniel verabscheute sich schon jetzt dafür, doch irgendwann würde sie hoffentlich seine Entscheidung verstehen. Im Rückblick hoffte er, konnte sie ihm dann verzeihen.

    Diese Kleine, hörte er seinen Vorgesetzten auf der letzten Cocktailparty sagen, ist wirklich ein netter Zeitvertreib, Nathaniel, aber du weißt schon, was von dir erwartet wird.

    Ja, klar, wusste er das, teure Kleidung, teures Styling; die Fahrt im Regional-Express war beinahe unter Niveau, aber immerhin, ein 1. Klasse-Ticket; Cocktail Partys nach Feierabend und dann natürlich mit der passenden Begleitung. Wie sie Rebecca gemustert hatten. Er hatte ihr ein teures, schwarzes Abendkleid gekauft. Extra eine Perlenkette, die mehr kostete, als Rebecca im ganzen Monat verdiente. Sie sah wunderschön aus an jenen Abend, reich und begehrenswert, doch es passte einfach nicht, als ob man in einen Zerrspiegel sah. Dass die anderen feinen Gäste über sie tuschelten, bekam Rebecca zum Glück nicht mit.

    An jenem Abend war die Entscheidung, dass er sich von Rebecca trennen musste in ihm aufgekeimt. Jedoch hatte Nathaniel sie bis zum heutigen Tag herausgeschoben.

    Nächster Halt: Bochum Ehrenfeld, verkündete der Lautsprecher. Die halbe Strecke lag nun hinter Nathaniel. Noch immer saß er als einziger Fahrgast in der ersten Klasse, wohingegen im anderen Teil des S-Bahn-Wagens eine unruhige Enge herrschte. Unterschiedlichste Personen drängten sich auf den Sitzplätzen oder standen eng beieinander im Gang. Unmittelbar vor der Glastrennwand stand eine junge Frau mit einem Kinderwagen. Trotz der Enge und der Unruhe kümmerte sich die frisch gebackene Mutter ruhig und hingebungsvoll um ihr Baby. Sie sang ihrem Kind offenbar etwas vor. Nathaniel konnte es nicht hören. Doch die Worte, die er ihr von den Lippen las und seine Erinnerungen brachten das Lied in seinen Gedanken zum Klingen. Sie sah Rebecca zum Verwechseln ähnlich. Braune, schulterlange Haare, die ihr keck ins Gesicht fielen, da sie den Kopf nach vorne geneigt hielt. Ihre fein geschnittenen Gesichtszüge und die kirschroten Lippen bewirkten, dass Nathaniel zu zweifeln begann.

    Ich bin sehr zufrieden mit ihrer Arbeit, Nathaniel. Sie haben in der kurzen Zeit, die sie bei uns sind, schon eine Menge für das Unternehmen geleistet. Ich wusste gleich, dass ich mich nicht in ihnen getäuscht habe. Er sah das Gesicht seines Vorgesetzten als Spiegelbild in der Scheibe des S-Bahnwagens vor dem dunklen Hintergrund der vorbeiziehenden Gebäude. Nathaniel selbst war von seinem Erfolg in seiner neuen Stellung als Abteilungsleiter der Kreditabteilung sehr überrascht. Doch offensichtlich schien das Glück des Tüchtigen endlich auf seiner Seite zu sein.

    Rebeccas jugendliches, befreiendes Lachen drang an seine Ohren, wischte seine Gedanken fort. Dann erst erkannte Nathaniel seinen Irrtum. Er sah, dass ein junger Mann neben die Frau getreten war, die Rebecca so sehr ähnelte und ihr etwas ins Ohr flüsterte. Sie lachte erneut, und zufällig traf ihr Blick Nathaniels. Ertappt und verlegen senkte er seinen Blick. Es wäre so einfach und es war so schwer zugleich.

    Bochum Hauptbahnhof stieg ein Herr ein, den Nathaniel auf knapp über sechzig einschätzte. Er erweckte Nathaniels Aufmerksamkeit, als er die Glastür zur ersten Klasse öffnete, diese betrat und auf einem Sitz schräg gegenüber Platz nahm. Erschrocken blickte Nathaniel in das Gesicht des Neuankömmlings. Fahl die Haut. Müde glanzlose Augen, die starr geradeaus blickten, ins Leere. Lippen die wohl schon Jahre nicht mehr von einem Lächeln umspielt worden waren. Nathaniel spürte deutlich die innere Anspannung des anderen. Es verärgerte ihn deutlich, dass Nathaniel ihm seinen verdienten Platz in der ersten Klasse durch seine bloße Anwesenheit streitig machte. Sein kurzer Blick zu Nathaniel hinüber sagte unverständlich, sprechen sie mich nicht an.

    Um dem Blick des anderen auszuweichen schaute Nathaniel auf seine Heuer Tag Armbanduhr und stellte fest, dass ihn noch knapp zwanzig Minuten von seinem Treffen mit Rebecca trennten. Doch der Anblick seines Gegenübers, der den Raum für Nathaniel noch einmal eingeschränkt hatte, ließ ihn nicht los. Verstohlen musterte er noch einmal das frustrierte, müde, desillusionierte Gesicht. Und jetzt stach es ihm direkt ins Auge, was er unterschwellig schon im ersten Moment gespürt hatte. Dieser Mann war furchtbar einsam. Er schien Erfolg in seinem Beruf zu haben, denn er verfügte über Geld, das sah man seiner Kleidung an. Und er hatte hervorragende Umgangsformen, ein Gentleman der alten Schule, das zeigte seine Haltung. Doch das alles war nur eine Maske hinter die dieser Mann kaum jemanden blicken ließ. Er spielte eine perfekte Rolle, und er spielte sie wirklich hervorragend, eiskalt und skrupellos. Aber in diesem Moment, in diesem Augenblick verließ ihn die Kraft die Maskerade noch weiter aufrecht zu erhalten. Nathaniel erhaschte einen tiefen Einblick in seine Seele und sah die abgrundtiefe Einsamkeit. Ist es das was am Ende bleibt …? Nathaniel fröstelte. Er sah in der Seitenscheibe sein eigenes Spiegelbild und die Angst in seinem Blick.

    Sie erreichten den Halt Dortmund-Kley. Ihm blieben noch zehn Minuten. Die Worte die er sich gedanklich schon zurechtgelegt hatte, gerieten durcheinander. Die Türen öffneten sich und die junge Mutter mit dem Kinderwagen stieg aus. Es war wie eine Warnung. Lass sie nicht gehen! Beinahe wäre er aufgesprungen um sie aufzuhalten. Im letzten Moment erkannte er jedoch seinen Irrtum. Es war nicht Rebecca und noch hatte er sie nicht verloren. Die Türen der S-Bahn schlossen sich mit dem charakteristischen Zischen und kurz darauf fuhr der Zug weiter. Neun Minuten und dreißig Sekunden.

    Der Halt Dortmund-Oespel zog einfach vorbei. Er merkte es gar nicht. Die S-Bahn fuhr weiter und brachte ihn mit jedem Meter seinem Ziel näher und der unausweichlichen Entscheidung. Unausweichlich, war sie das? Wer schrieb ihm denn vor, dass er sich so entscheiden musste, wie er sich entschlossen zu entscheiden hatte? War er nicht ein freier Mensch? Frei in seinen Entscheidungen, in der Wahl des Weges, den er einschlagen wollte? Konnte er mit den Konsequenzen leben?

    Die S-Bahn erreichte den Tunnel der zum Halt Dortmund-Universität führte. Die moderne LED-Beleuchtung an den Tunnelwänden lähmte Nathaniels Geist. Er konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen, starrte sein eigenes Spiegelbild in der dunklen Glasscheibe an, hinter der die Lichter der LED-Beleuchtung an ihm vorbeiblitzten. „Wenn ich in zwei, drei Jahren aufhöre, dann werde ich mit Sicherheit ihren Namen in meine Überlegungen wer mein Nachfolger sein soll mit einbeziehen", echote die Stimme seines Vorgesetzten in seinen Ohren und wurde beinahe von den Geräuschen der S-Bahn übertönt. Als die S-Bahn ihr Tempo verringerte und die enge Tunnelröhre dem unterirdischen Bahnhof der Dortmunder Universität wich, und Nathaniel die wartenden Leute an sich vorbeiziehen sah, glaubte er für den Bruchteil einer Sekunde Rebeccas Gesicht zwischen den Wartenden erkannt zu haben.

    Nathaniel erschrak. Es war als hätte ihm jemand eine Ohrfeige gegeben. Er sprang auf, riss die Tür zwischen der ersten und der zweiten Klasse auf und begann den Gang zwischen den Sitzreihen entlangzulaufen. Er musste wissen, ob er sie tatsächlich gesehen hatte, und ob Rebecca sich nun auch in der S-Bahn befand. Das wäre eine Katastrophe. Er wollte sie doch erst am Hauptbahnhof treffen. Jetzt, hier war er gar nicht darauf vorbereitet.

    Und da stand sie, nichtsahnend; ließ ihr unglaubliches, befreiendes Lachen erklingen im Gespräch mit ihren Kommilitonen. Noch hatte sie ihn nicht bemerkt. Aber das konnte nur noch Sekunden dauern, weil Nathaniel kaum einen Meter von ihr entfernt mitten im Gang stand und sie anstarrte. Er hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie so geschämt. Wie konnte er diesem bezaubernden, Engel gleichem Wesen nur so etwas antun? Wie um alles in der Welt konnte er auf dem Gleis am Hauptbahnhof auf sie zugehen und ihr sagen, dass es vorbei war, dass er die Beziehung nicht weiterführen konnte, weil es seine Karriere störte?

    Ihm traten Tränen in die Augen. Tränen der Wut, auf sich selbst. Konnte er wirklich so egoistisch sein? Warum hatte es überhaupt so weit kommen können? Wollte er wirklich seine Ideale verraten. Das Gesicht des alten, verbitterten Mannes erschien vor seinen geistigen Augen. Erfolg, wollte er ihn wirklich um solch einen Preis?

    Rebecca wand ihren Kopf in seine Richtung sie hatte ihn bemerkt. Erstaunen huschte über ihr Gesicht, dann Freude ihn zu sehen. Sie sprang auf ihn zu, ihre Arme zu einer Umarmung auseinandergebreitet. Dann entdeckte sie seine Tränen. „Nathaniel, was ist?"

    Er wischte alles fort. Strich die Entscheidung aus seinem Kopf. Ließ die Illusion von Erfolg und Macht, Ruhm und Reichtum einfach platzen. Dann schloss er sie in seine Arme und drückte sie so feste, wie noch nie in seinem Leben. Ein Lächeln huschte über seine Lippen und seine Augen strahlten sie an, als er fragte: „Willst du mich heiraten?"

    2                                 Emergency Exit

    Freitag, 05:40

    Fünf Uhr vierzig. Mein Wagen steht wie jeden Morgen an derselben Stelle auf dem Parkplatz vor dem S-Bahn-Halt Essen-Steele-Ost. Doch diesen Morgen werde ich in meinem ganzen Leben nicht mehr vergessen. Es regnet in Strömen, das Autoradio läuft, ich habe die Augen geschlossen und lausche der Musik und den aktuellen Berichten. Erst in einer halben Stunde werde ich die S-Bahn nach Dortmund nehmen. So wie an jeden Morgen. Die Scheiben sind beschlagen und die Regentropfen trommeln auf das Autodach. Plötzlich klopft es gegen die Scheibe der Beifahrertür. Mein Puls schnellt in die Höhe, ich reiß die Augen auf und ich starre durch die vom Regen mit Tropfen benetzte Scheibe in das fahle Gesicht einer jungen Frau. Sie bedeutet mir das Fenster zu öffnen. Ein Druck auf den Schalter des elektrischen Fensterhebers lässt die Seitenscheibe ins Innere der Beifahrertür hinuntergleiten. Darf ich einsteigen? Es ist kalt und ich bin schon ganz nass, fragt sie ohne sich vorzustellen. Ich mustere sie misstrauisch. Ihre Haare, mittig knallrot und nach oben gegelt, an den Seiten pechschwarz, sind unbestritten klatsch nass. Sie zittert, und soweit ich das im Dunkeln erkennen kann, sind ihre Lippen vor Kälte schon ganz violett. Oder hat sie eine ausgefallene Vorliebe für schräge Lippenstiftfarben? Bitte!, verleiht sie mit bebender Stimme ihrer Frage eine Dringlichkeit, welcher ich mich nicht entziehen kann. Obwohl in meinen Kopf sämtliche Alarmglocken schrillen, betätige ich den Knopf für die Zentralverriegelung, die mit einem deutlichen Klack aufspringt. Sie öffnet die Beifahrertür und lässt sich dankbar auf den Sitz gleiten.

    Ich bin Marie, stellt sie sich vor und streckt mir ihre feingliedrige, blasse Hand hin. Ihre Fingernägel sind genauso knallrot lackiert, wie ihre Haare gefärbt sind. Der Ärmel ihres schwarzen Strickpullovers reicht ihr bis an die oberen Fingerknöchel. Und du? Mein Blick springt von ihrer Hand zu ihren braunen Augen. Ich nicht, antworte ich und bereue meinen billigen Scherz so gleich. Doch ein Lächeln huscht über ihre Lippen; tatsächlich violetter Lippenstift. Wer denkt sich den so etwas aus? Nein, lacht sie, wie heißt Du? Joseph, schießt es mir durch den Kopf, doch das scheint mir dann doch zu viel des Guten. Titus, antworte ich. Sie sieht mich verblüfft an und verkneift sich ein Lachen. Im Autoradio läuft Sweet Sixteen von Billy Idol und ich versuche ihr Alter zu erraten. Runaway Child, singt Billy. Ist Marie auch eine Ausreißerin? Meine S-Bahn fährt gleich, sage ich und versuche meinen Blick von ihrer an beiden Knie aufgerissenen schwarzen Jeans zu lösen. Nach Dortmund? - Ja. - Da will ich auch hin.

    Sechs Uhr Zwölf. Gerade fährt die S-Bahn los. Marie saß in Fahrtrichtung, ich ihr gegenüber. Sie gähnt genüsslich, doch das bemerke ich nur aus den Augenwinkeln, da mein Blick einen Mann im hinteren Teil des Wagens fixiert, der die ganze Zeit schon zu uns hinüberschaut. Er war im letzten Moment, als das Türsignal schon ertönte, in die S-Bahn gestiegen. Ich überlege kurz, ob ich diesen Mann zuvor schon einmal gesehen habe. Nein, er scheint heute zum ersten Mal mitzufahren - wie auch Marie, die ich zuvor ebenfalls noch nie gesehen habe, obwohl ich die Strecke jeden Tag zur gleichen Zeit pendle. Ein unangenehmes Gefühl beschleicht mich. Was will dieser Mann von Marie? Dass er etwas von mir will, schließe ich von vorneherein aus. Der Gedanke, dass sie eine Ausreißerin ist kommt mir wieder in den Kopf. Aber wie ein Mitarbeiter von einem Jugendheim sieht dieser Mann nicht aus. Ich schaue Marie an, versuche mir nichts anzumerken zu lassen. Doch sie durchschaut mich.

    Was ist los?, flüstert sie und ich höre deutlich die Angst in ihrer Stimme.

    Vielleicht irre ich mich ja, antworte ich, aber dort hinten scheint sich jemand sehr für uns zu interessieren.

    Erfolglos versuche ich Marie mit einem Wink zu bedeuten, dass sie sich nicht zu dem Mann umdrehen soll. Als sie mich wieder anblickt, steht ihr der Schrecken deutlich ins Gesicht geschrieben.

    Kennst du den?, frage ich Marie, die sofort verneinend ihren Kopf schüttelt. Ich sehe ihr an, dass sie lügt. Wer ist das? Was will er von dir, will ich wissen.

    Marie sieht mich mit flehendem Blick an. Beinahe schafft sie es, dass ich nicht weiter bohre, doch meine Neugier ist einfach stärker.

    Du solltest wirklich nicht weiter fragen, mahnt Marie mich und sieht mich eindringlich an, Ich will nicht, dass du da mit reingezogen wirst.

    Ich überlege, wie ich ihr helfen kann. Offenbar traut sich ihr Verfolger nicht hier in der S-Bahn etwas zu unternehmen. Also ist Marie solange sie bei mir ist und nicht aussteigt relativ sicher, rede ich mir ein.

    Lass uns bis Bochum fahren und dort zur Bahn-Polizei gehen. Bei den vielen Reisenden, die um diese Zeit unterwegs sind, wird er es kaum wagen, dir etwas anzutun. - Du verstehst das nicht, zischt Marie, Bitte misch dich nicht weiter ein. Ich muss nach Dortmund und komm schon zurecht. Ich habe dich nicht gebeten, mein Bodyguard zu spielen. Also lass es bitte.

    Die nächsten drei Haltestellen schweigen wir uns an. Weitere Fahrgäste steigen ein. Ein Mann in einer Monteur Kluft setzt sich unserem Freund gegenüber und versperrt mir die Sicht. Unschlüssig schau ich aus dem Fenster. In der Ferne ziehen die Lichter von Straßenlaternen vorbei, wie Geister in der Nacht. Wir erreichen den nächsten Halt. Es ist Bochum Hauptbahnhof. Ich sehe gerade noch, als der Monteur sich für einen Augenblick zur Seite dreht, dass Maries Verfolger in ein Mobiltelefon spricht. An der Tür die zwischen ihm und uns liegt steigen zwei Mann vom DB Sicherheitsdienst ein. Sie gehen an das hintere Ende des Wagens um die Fahrscheine zu überprüfen. Mittlerweile erreichen wir den nächsten Halt.

    Ich frage mich, ob Marie mich nur eiskalt ausgenutzt hat, wie nah der Mann in Steele-Ost schon an ihr dran gewesen ist, was ich erwartet, erhofft habe, was ich in Maries Verhalten hineingedeutet habe - ob ich sie einfach ihrem Schicksal überlassen soll?

    Es tut mir leid. Marie scheint meine Gedanken erraten zu haben. Sie sieht mich mit ihren rehbraunen Augen an, dass ich es ihr irgendwie nicht mehr übelnehmen kann. Was bin ich auch für ein Narr, mir was einzubilden, bin ich doch mit Sicherheit mindestens fünfzehn Jahre älter als sie. In diesem Moment steht unser Freund auf, schlendert in unsere Richtung und lässt mich dabei nicht aus den Augen. Sein arrogantes, überhebliches Lächeln widert mich an. Marie bemerkt meinen Blick und dreht sich um. Ihr Blick streift unseren Freund und die beiden Sicherheitsleute. Hilfesuchend legt sie ihre Hand auf mein Knie.

    Hallo Marie. So früh schon unterwegs? Maries Verfolger lässt sich mit einer geschmeidigen Bewegung neben ihr auf den in verschiedenen Blautönen gemusterten Sitz nieder. Er fasst ihre Hand, zieht sie von meinem Knie weg und sieht mich dabei freundlich lächelnd an. Doch das Lächeln erreicht seine Augen nicht, die seine Skrupellosigkeit verraten. Ich merkte, wie sich Marie vor Angst und Ekel versteift. Ich nicke mit meinem Kopf in Richtung der Sicherheitsleute.

    Keine Chance, antwortet mein Gegenüber, greift mit seiner freien Hand in die Seitentasche seiner schwarzen Bomberjacke und zieht einen checkkartengroßen Ausweis hervor. Ich erkenne das DB Logo. Dass der Ausweis falsch ist, wissen wir beide. Ich kann gerade noch den Vornamen lesen, Mike, der auf dem Ausweis angegeben ist, dann verschwindet er wieder in der Jackentasche. Das sind doch meine Kollegen. Ich habe diese kleine Taschendiebin hier erwischt und bringe sie jetzt zur Bahnpolizei am Hauptbahnhof Dortmund, erklärt Mike gelassen. Dass er damit durchkommt glaube ich ihm sogar.

    Wer wartet in Dortmund wirklich auf Marie?, frage ich gerade heraus.

    Ach, Mike tut erstaunt, hat sie dir nicht erzählt, mit was sie ihr Geld verdient. Jusuf will doch nur, dass die arme Marie nicht unter die Räder kommt. Mir wird alles klar. Marie starrt beschämt zu Boden. Die Situation scheint aussichtslos. Aber kann ich Marie wirklich einfach ihrem Schicksal überlassen?

    Flashback. Was machst du in Dortmund? - Und du, weicht Marie mir aus. Ich arbeite in einem kleinen Konstruktionsbüro. Wirklich nichts Aufregendes. - Natürlich, so siehst du auch aus, neckt sie mich und lacht. Dann lass mich mal raten, wonach du aussiehst, sage ich und mustere Marie. Plötzlich beugt sie sich vor und küsst mich auf den Mund. Nimm mich doch einfach so, wie du mich jetzt kennst. Marie fährt mir mit ihren Fingern durch die Haare. Ein Schauer überflutet meinen Geist und löscht meine Vermutungen über Marie. Okay, antworte ich.

    Sie ist auf keinen Fall Sweet Sixteen, das wird mir jetzt schmerzlich bewusst. In was für dunkle Machenschaften Marie verstrickt ist, will ich das wirklich wissen? Dass sie Hilfe braucht ist nicht von der Hand zu weisen. Ob ich der Richtige dafür bin, kann ich in diesem Moment nicht beantworten. Doch wenn ich auf mein Gefühl höre, dann ist da etwas, was mir sagt, dass ich ihr helfen sollte. Aber wie?

    Die S-Bahn erreicht die Station Dortmund-Universität. Ich zermartere mir den Kopf um eine Lösung zu finden. Marie sitzt mir gegenüber wie ein Häufchen Elend, zumindest habe ich diesen Eindruck. Doch in dem Moment als die S-Bahn wieder anfährt, spring sie plötzlich auf. So plötzlich, dass selbst Mike für den Bruchteil einer Sekunde vollkommen überrascht ist. Genau diese Sekunde reicht Marie um an ihm vorbei zu hechten. Sie springt hinüber zu den nächstgelegenen Türen, als die beiden Sicherheitsleute auf den Tumult aufmerksam werden. Mike springt auf und will ihr nach. Ich werfe mich mit meinem ganzen Gewicht in seinen Rücken. Wir gehen zusammen zu Boden. Die Bremsen der S-Bahn kreischen auf und ein unglaublicher Ruck durchschlägt den Wagen, als Marie die Notbremse herunterreißt. Durch die abrupte Bewegung werden Mike und ich zur Seite gewirbelt, gegen den Unterbau der Sitzbank. Mike kommt unter mir frei und ist sofort auf den Beinen. Ich brauche unendlich quälende Sekunden länger um mich aufzurappeln. Die Sicherheitsleute stürmen heran. Marie zerrt an dem Hebel für die Notentriegelung der Tür, kaum, dass die S-Bahn stehen geblieben ist. Zischend löst sich die Verriegelung. Marie versucht vergeblich die schweren Türen aufzuschieben. Mike packt sie an der Schulter und reißt sie zurück. Ich taumle zu ihnen hin. Mein Arm windet sich um Mikes Hals. In irgendeinem Film habe ich eine ähnliche Szene schon gesehen. Doch wie schwer es ist jemanden mit solch einem Griff zurück zu zerren, erkennt man nicht, wenn man auf dem Sofa vor der Flimmerkiste sitzt. Mike beachtet mich gar nicht. Er zerrt an Maries Pullover.

    „Was soll das, schreit einer der Sicherheitsleute und ist bis auf wenige Schritte heran. Marie rammt mit unglaublicher Wucht und der Kraft der Verzweiflung ihren Ellenbogen in Mikes Magengrube und dann unter sein Kinn. Sein Kopf ruckt nach oben, sodass ich ihn besser zu packen bekommen. Ungeschickt verlagere ich mein Gewicht nach hinten und schaff es doch, ihn von Marie wegzuzerren. Marie bekommt irgendwie die linke Tür aufgeschoben. „Auseinander, schreit der Sicherheitsmann und sieht wirklich wütend aus. Marie springt aus der S-Bahn. Glücklicherweise kann sie sich auf den unebenen Boden neben der Bahn abfangen. Doch der Sprung von gut einem Meter Tiefe staucht ihren Körper heftig zusammen, dass sie keuchend nach Luft schnappt. Ich sehe gerade noch aus den Augenwinkeln, wie sie sich irgendwie wieder aufrappelt und in Richtung Notausgang humpelt, der sich nur wenige Meter von den Türen der S-Bahn entfernt in Fahrtrichtung befindet. Der Sicherheitsmann drängt sich an Mike und mir vorbei und streckt seinen Kopf aus der S-Bahn, schreit Marie hinterher, „Stehenbleiben! Seine Stimme schallt bedrohlich durch die Tunnelröhre. Der zweite Sicherheitsmann versucht Mike und mich auseinander zu bringen. Bevor es ihm gelingt verpasst mir Mike noch einen Faustschlag ins Gesicht. „Idiot, spuckt er mir entgegen.

    „Die ist weg", hör ich den Sicherheitsmann sagen. Er schiebt mit Wucht die Tür zu und hilft dann seinem Kollegen uns auseinander zu bringen. Sekunden später steht Mike an eine Trennwand gelehnt auf der einen Seite, die Hand des Sicherheitsmanns auf seine Brust gedrückt und ich auf der anderen, das Blut, das aus meiner Nase tropft, mit einem Taschentuch stillend. Der zweite Sicherheitsmann spricht in sein Sprechfunkgerät im Kontakt zum S-Bahn-Fahrer und der Fahrdienstleitung.

    Marie, geht es mir durch den Kopf. Werde ich sie je wiedersehen?

    3                                       Geisterzug

    Freitag, 05:13

    Noch immer dröhnte es in seinen Ohren von der lauten House-Musik in der Disco. Irgendwann war es ihm zu langweilig geworden. Seine Freunde waren schon vor einer guten Stunde gegangen. Nach und nach war es auf der Tanzfläche immer leerer geworden. Ein heißes Hühnchen würde er diese Nacht eh nicht mehr abschleppen. Die Wirkung der Energydrinks ließ zusehends nach und der Alkohol, den er sich gläserweise in den hohlen Kopf geschüttet hatte machte ihn zusätzlich müde. Auf dem Weg zum Bahnhof hatte er einige Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Die kalte Nachtluft ließ seine Gedanken nur wenig klarer werden. Klares Denken hätte auch nur bedeutet, dass er sich wieder erinnert hätte. Da war Mark das Schwindelgefühl in seinem Kopf allemal lieber.

    Mark versuchte seinen Blick auf das Ziffernblatt seiner Armbanduhr zu fokussieren. HD war das nicht, was seine Augen ihm da zeigten. Es gelang ihm nicht herauszufinden wie spät, oder eher wie früh es war. Er entschloss sich auf den Bahnsteig zu gehen und einfach so lange zu warten bis die nächste S-Bahn kam. Er nahm den Aufzug, denn in seinem Zustand war die unendlich erscheinende Treppe keine Option und die Rolltreppe war eh defekt.

    Eine Reflektion in der Glasscheibe der Aufzugtüren durchdrang plötzlich seinen vom Alkohol ummantelten Sinn und ließ ihn zusammenzucken. Er erkannte das Spiegelbild seiner Exfreundin, so als ob sie hinter ihm auf dem Bahnsteig stehen würde. Mark wirbelte herum. Doch seine Ex stand da nicht. Das Gefühl, dass dort aber vor einer Sekunde noch jemand gestanden hatte ließ Mark nicht los, auch wenn er sich nicht erklären konnte, wie dass hätte möglich sein sollen. Verwirrt verließ er den Aufzug. Er schaffte es zu einer Sitzbank und ließ sich auf das kalte, glatte Holz nieder. Sein Blick erfasste die große Bahnsteiguhr. Viertel nach fünf. Wann wohl die nächste Bahn kam?

    Das Geräusch des anspringenden Aufzugmotors riss ihn aus seinen müden Gedanken. Er beobachtete, wie die Kabine durch die Öffnung im Boden des Bahnsteiges nach unten sank. Vielleicht jemand der ebenfalls nach einer durchzechten Nacht nach Hause will, hoffte Mark, mit dem ich noch quatschen kann. Doch als die Aufzugskabine wieder die Bahnsteigebene erreichte war sie leer. Trotzdem öffneten sich die Türen.

    Was geht denn hier ab, dachte Mark und sprang auf. In diesem Moment bemerkte er, dass alle Bahnsteige menschenleer waren. Es war so still, dass er sogar das Sirren der Neonröhren über sich hören konnte. Was zum Teufel...! Mark erschauderte. Voller Angst sah er sich um. Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken zur Disco zurück zu gehen, um nach anderen Leuten zu sehen. Das polternde Geräusch der in diesem Moment einfahrenden S-Bahn nahm ihm jedoch die Entscheidung ab.

    Erleichtert betätigte er den Türsensor, nachdem der Zug zum Stehen gekommen war. Die Türen öffneten sich und Mark stieg ein. Er suchte sich den nächsten Sitzplatz aus, ließ sich auf die harte Polsterung sinken und schloss die Augen. Kurz darauf zogen die Elektromotoren an und die Bahn fuhr los.

    Hallo, mein Lieber, drang eine krächzende weibliche Stimme an sein Ohr. Sie klang so nah, als ob die Frau ihm direkt gegenübersaß. Doch das konnte nicht sein. Da war niemand, als er sich hingesetzt hatte. Mark öffnete die Augen und blickte direkt in das ungepflegte, runzelige, schmierige Gesicht einer alten Frau. Mark konnte nicht entscheiden, ob ihre schmutzige heruntergekommene Kleidung oder ihr Atem mehr stank. Angewidert setze er sich ganz gerade hin um wenigstens ein wenig mehr Abstand zwischen ihr und sich zu bekommen.

    Hast versucht zu vergessen, krächzte die Alte unvermittelt, Hast es nich geschafft. Kannst se zurückbekommen, wenne willst. Doch musste ne andere vor Bösem retten. Mark verstand nur Bahnhof. Er wollte aufstehen und sich woanders hinsetzen. Doch die Alte packte mit ihrer dreckigen Hand, die in einem Fetzen von einem Handschuh steckte seinen Oberschenkel und drückte ihn mit erstaunlicher Kraft zurück auf den Sitz.

    Hey, lass mich sofort los, du alte Hexe!, rief Mark.

    „Nein, hör zu!", schnitt die Alte ihm das Wort ab und starrte direkt in sein Gesicht. Mark versuchte ihrem durchdringenden Blick auszuweichen. Doch er musste sie ansehen, er konnte ihrem Blick nicht ausweichen.

    „Hör zu!, krächzte die Alte, und es schien als würde sie kaum noch Luft bekommen. Mark befürchtete, dass die Frau jeden Moment direkt vor ihm starb. Er wich angeekelt noch weiter zurück, sodass die Sitzlehne schon schmerzhaft gegen seine Rippen drückte. „Du musst se retten. Du bist ihre letzte Chance. Ihr seid auf besondere Art mittnander verbunden.

    Mark starrte die Alte voller Panik an, ihm war heiß und kalt zugleich. Er wollte hier einfach nur noch weg. Doch die Alte vermochte ihn zu bannen, so sehr er sich auch dagegen wehrte. Ihm schossen vor Panik Tränen in die Augen.

    „Lass mich los!" Er schrie sie an, stemmte sich mit aller Kraft gegen sie.

    „Morgen Nacht," krächzte die Alte so leise, dass es von Marks panischem Geschrei überdeckt wurde, doch er hörte es trotzdem.

    Dann ließ die Alte ihn plötzlich los, wich so geschwind zur Seite, dass Mark vollkommen überrascht, erschöpft, schwer atmend in sich zusammensackte. Er verlor für Sekunden das Bewusstsein.

    Das Kreischen der Bremsen als die S-Bahn den nächsten Halt erreichte, holte ihn zurück in die Gegenwart. Am ganzen Körper zitternd, sprang er auf und blickte sich gehetzt um. Doch die Alte war verschwunden. Er rannte durch den ganzen Wagen, doch er fand sie nicht. Dann bemerkte er die geöffneten Türen und sein Gehirn hatte nur noch einen Befehl für ihn. Raus hier! Er hechtete hinaus.

    Wurde jedoch sofort abrupt gestoppt, als er brutal vor eine Säule, die er gar nicht wahrgenommen hatte, krachte. Er hörte noch das schrecklich knackende Geräusch in seinem Nacken, dann verlor er abermals das Bewusstsein.

    Regungslos lag Marks Körper vor der Säule auf den körnigen Asphalt. Die Türen der S-Bahn schlossen sich geräuschlos. Sekunden später fuhr der Zug los. Als das hintere Ende des Zuges gerade den Bereich des Bahnsteigs verlassen hatte, verlosch die komplette Beleuchtung im Inneren des Zuges. Zuletzt waren die blutroten Rücklichter der S-Bahn zu sehen, als diese im Dunkel der Nacht verschwand. Das Signal vor dem Bahnsteig, rechts von den Gleisen sprang auf Rot. Doch auf der Aufnahme dieser Nacht der Videoüberwachung war der Zug nicht zu sehen. Und im Fahrplan war für fünf Uhr und eineinhalb Minuten auch kein Zug aufgeführt. Ein kühler Wind strich über den menschenleeren Bahnsteig und wirbelte Staub und lose Blätter auf. Schatten huschten an Mark vorbei und der S-Bahn hinterher. Passagiere die irgendwann den letzten Zug verpasst hatten und

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