Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

WAS BLEIBT, IST DAS LEBEN
WAS BLEIBT, IST DAS LEBEN
WAS BLEIBT, IST DAS LEBEN
eBook835 Seiten11 Stunden

WAS BLEIBT, IST DAS LEBEN

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Auf seinem Weg zu einem Konzert an der Uferpromenade von Manila trifft Marian, ein deutscher Finanzberater, die 23-jährige Studentin Diwata, eine Frau von außerordentlicher Schönheit und Bildung. Sehr schnell entwickelt sich eine Liebe jenseits aller Tabus. Ihre Beziehung ist jedoch weit mehr als eine erotische Affäre. Beide spüren, dass sie als Seelenverwandte füreinander bestimmt sind. Überschattet wird der einjährige Traum von Diwatas konservativen Eltern, die das Paar immer stärker unter Druck setzen, endlich zu heiraten. Diwata gerät daraufhin ins Spannungsfeld zwischen Freiheitsdrang und Tradition, einen Konflikt, den sie in ihrem Roman Rosario entscheidet allein verarbeitet. Auch Marian kann nicht mehr verdrängen, dass er bereits verheirateter Familienvater ist, obwohl weder Diwata noch ihre Eltern bis zu seiner Rückkehr etwas davon erfahren.

Der Konflikt spitzt sich zu, als sich Marian in London für Ehefrau Lesley und Tochter Eliza entscheidet.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum6. Juli 2017
ISBN9783745098532
WAS BLEIBT, IST DAS LEBEN

Ähnlich wie WAS BLEIBT, IST DAS LEBEN

Ähnliche E-Books

Darstellende Künste für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für WAS BLEIBT, IST DAS LEBEN

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    WAS BLEIBT, IST DAS LEBEN - Oliver Klamm

    Was bleibt, ist das Leben

    Auf seinem Weg zu einem Konzert an der Uferpromenade von Manila trifft Marian, ein deutscher Finanzberater, die 23-jährige Studentin Diwata, eine Frau von außerordentlicher Schönheit und Bildung. Sehr schnell entwickelt sich eine Liebe jenseits aller Tabus. Ihre Beziehung ist jedoch weit mehr als eine erotische Affäre. Beide spüren, dass sie als Seelenverwandte füreinander bestimmt sind. Überschattet wird der einjährige Traum von Diwatas konservativen Eltern, die das Paar immer stärker unter Druck setzen, endlich zu heiraten. Diwata gerät daraufhin ins Spannungsfeld zwischen Freiheitsdrang und Tradition, einen Konflikt, den sie in ihrem Roman Rosario entscheidet allein verarbeitet. Auch Marian kann nicht mehr verdrängen, dass er bereits verheirateter Familienvater ist, obwohl weder Diwata noch ihre Eltern bis zu seiner Rückkehr etwas davon erfahren.

    Der Konflikt spitzt sich zu, als sich Marian in London für Ehefrau Lesley und Tochter Eliza entscheidet. Lesley hat damit gedroht, Eliza und sich selbst umzubringen, falls Marian wieder zu Diwata zurückkehren sollte. Was soll der Verzweifelte tun? Auch Diwata hat er am Geheimen Strand der Insel Palawan ewige Treue geschworen. Völlig aus der Bahn geworfen wird er, als er erfährt, dass er Vater einer unehelichen Tochter namens Dalisay geworden ist. Zerrissen zwischen beiden Frauen und Kindern verfällt er fast dem Wahnsinn. Auch Diwata findet auf ihrem langen Weg der Ausgrenzung, Selbstzerstörung und Selbstfindung kein vollkommenes Glück. Sie spürt, dass sie ihren Seelenfrieden nur an Marians Seite erlangen kann.

    Be yourself, no matter what they say.

    Sting: Englishman In New York

    Man muss das Leben verrücken,

    um es uneingeschränkt zu erleben

    Diwata, Heldin des Romans

    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort

    Amors Altlast

    Amors Traum

    Amors Schatten

    Abgründe

    Auf der Suche nach dem Glück

    Das Jüngste Gericht

    Zum Autor

    Vorwort

    Liebe Leser!

    Dieser Roman wird euch in mehrere Länder führen. Erwartet aber keine genaue Beschreibung von Orten, die so detailgetreu ist, dass sogar jeder Stein der Wirklichkeit entspricht. Um Gottes Willen! Nichts läge mir ferner, als Orte im Stil von Karl May so wahrheitsgemäß wie möglich zu beschreiben.

    Meine Welt ist eine fantastische, versponnene. Mitunter mag sogar der eine oder andere Ort verzerrt erscheinen. Inspiriert von Aufenthalten in verschiedenen Ländern bin ich das tollkühne Wagnis eingegangen, daraus eine eigene Welt zu schaffen. Sehr viel Fiktion und Fantasie vermischt sich mit etwas Wirklichkeit.

    So verwundert es nicht, dass ein Großteil der Romanfiguren fiktiv ist und sogar Götter in einer von mir erfundenen Fahrt durch mehrere Unterwelten „aus den Mythologien gerissen" dargestellt werden.

    Ich verstehe diesen Roman als Flucht aus einer zu rationalen Welt, ohne dabei auch nur im Entferntesten der verbreiteten Fantasy-Literatur zu entsprechen.

    Philipp Maria Libertinus

    Amors Altlast

    Am frühen Abend des achten Septembers 2012 sitzt Dalisay Dinguinbayan an ihrem Tisch auf der Terrasse des Frankfurter Cafés Hauptwache. Wie lange sitzt sie dort schon? Seit Stunden? Sie weiß es nicht. Heute ist ihr zwanzigster Geburtstag. Ihre großen, mandelförmigen Augen jedoch haben keine Spur von Lebensfreude. Sie sind tief traurig, seitdem ihre Mutter im Dezember des vergangenen Jahres am Geheimen Strand einer kleinen Insel bei Palawan spurlos verschwunden ist. Wo liegen Mamas sterblichen Überreste nun? Treiben sie irgendwo in der unendlichen Weite des Pazifischen Ozeans? Warum ist Mama verschollen? Ist sie einem Mord zum Opfer gefallen oder von einem Tsunami mitgerissen worden? Tatsache ist, dass man nur ihre Kleider und den gelben Bikini am legendären Strand von Matinloc gefunden hat. Wie dem auch sei: Alle Mutmaßungen um den Tod der Mutter sind müßig.

    Barfuß sitzt Dalisay auf ihrem Stuhl, eine attraktive, junge Frau in einem roten Sommerkleid. Sie lässt ihre nackten Beine lässig baumeln. Wunderschöne, lange, glatte, dunkelbraune Haare bedecken ihre Schultern. Ihre sinnlichen Lippen hat sie rot geschminkt, als ob sie sich für ein Blind-Date zurechtgemacht hätte.

    Dalisay hätte fröhlich mit ihren Freunden in ihrer zweiten Heimat London feiern können. Doch nun ist sie in Frankfurt. Und das ist gut so. Auch zu Deutschland hat Dalisay eine besondere Beziehung. Schließlich hatte sie einen deutschen Vater namens Marian, den sie noch nie gesehen hat. Sie will nicht ungerecht sein. Papa ist mehr als nur ein Erzeuger. Er hat bis jetzt für ihren Unterhalt gesorgt und ihr stets liebevolle E-Mails geschrieben. Hier und da hat er ihr auch Geschenke geschickt. Stofftiere. Puppen. Teddybären. Später auch Kinderbücher und noch später modische Kleider. Doch er hat all dies sicher nicht ohne schlechtes Gewissen getan. Denn er ist nur ein Schatten aus der Ferne. Aus welchen Gründen auch immer will er bis jetzt nicht, dass sich ihre Wege kreuzen, denn er hat sie weder besucht noch eingeladen. Sie ist wohl seine Altlast, jemand, der ihm und seiner Familie zur Last fällt. Schließlich könnte ohne sie alles so schön sein mit seiner Frau Lesley und seiner ersten Tochter Eliza. Ja, sie hat ihm schon immer die Suppe versalzen. Und heute Abend wird sie, Dalisay, seine leibhaftige Tochter, ihn zur Rede stellen. Sie wird ihn zum ersten Mal in ihrem Leben sehen, heute, an ihrem zwanzigsten Geburtstag. Ihr Herz klopft wild wie ein Trommelwirbel, als sie daran denkt.

    Vor Aufregung wird sie keinen Satz sprechen können. Dabei hat sie ihm so unendlich viel zu erzählen. Unmotiviert löffelt sie in der Suppe herum, das Glas ist noch halb voll. Und ihr Blatt zwischen Zitronenlimonade und Kartoffelsuppe? Das ist weiß. Immer noch. Mein Gott, wie schwer ist es, ihre Gefühle auszudrücken! Warum kann sie keinen klaren Gedanken fassen?

    Schließlich trifft sie die Entscheidung. Nach alldem, was geschehen ist, kann sie kein ungezwungenes Gespräch mit Papa führen wie ihre blutjungen Freundinnen mit ihren Vätern. Wie sehr sehnt sie sich nach ihrem Vater! Welch unbeschreiblichen Wunsch hat sie, ihn endlich zu umarmen, seine Hände, seinen Atem und sein Herz zu spüren und ihm ihre Tochterliebe zu bekunden. Doch das wird erst möglich sein, nachdem sie mit ihm gesprochen hat. Sie weiß jedoch beim besten Willen nicht, was sie ihm sagen soll. Deshalb will sie schreiben und ihre Gedanken ordnen, bevor sie ihn zur Rechenschaft zieht.

    Nun ist es schon sieben Uhr abends. Es ist noch immer schwül warm, fast heiß. Auch die mittlerweile etwas mattere Sonne scheint immer noch. Tollkühne, halbnackte Jugendliche auf Skateboards machen akrobatische Luftsprünge, küssende Liebespaare sitzen auf den Treppen vor dem immer noch gut besuchten Café. Knisternde Erotik und Lebensfreude, die zu einer neuen Version von Love Is In The Air inspirieren würde. Doch Dalisay sitzt versunken in ihrer eigenen Welt, entrückt wie auf einer einsamen Insel, auf der nur sie allein wohnt. Sie schenkt der sie umgebenden Lebensfreude keine Beachtung. Sie wird ihn zur Rede stellen. Doch wie? Mit welchen Worten?

    Amors  Traum

    In Gedanken versunken lief Marian an jenem späten Nachmittag des ersten Januars 1991 durch den Rizal Park. Es war Trockenzeit und frühlingshaft warm. Er war erst vor wenigen Tagen in Manila angekommen, doch sein Geist war noch in London, seiner zweiten Heimat. In dieser Stadt hatte er sein Studium der Betriebswirtschaft erfolgreich beendet, in der Deutschen Bank als Kundenberater gearbeitet und seine Familie zurückgelassen. Er war in eine fremde Welt getaucht und hatte scheinbar sehr schnell Abstand zu seinem alten Leben gefunden. Exotische Gerüche nach köstlichen Speisen hatten seine Sinne berauscht und nachts hatte er des Lärmes wegen nicht schlafen können. Wie freundlich die Menschen hier waren. Dennoch hatte er noch keine wirklichen Freunde gefunden, abgesehen von Paco, einem Spanier, mit dem ihn von Anfang an eine gewisse Seelenverwandtschaft verband.

    Kinder ließen bunte Luftballons steigen, Straßenhändler verkauften farbenfrohe Zuckerwatte, allerlei Süßigkeiten und Eis, fröhliche Jugendliche lärmten auf dem Rasen und eng umschlungene Liebespaare zogen an ihm vorbei. Wie viele Monate, ja Jahre waren vergangen, seit er jene Trunkenheit der Liebe verspürt hatte? Die tollen Tage der Liebe mit seiner in Trennung lebenden Frau Lesley waren ja schon lange vorüber.

    Die Sonne badete Bäume, Menschen und Gebäude in einem purpurnen Rot und ließ sowohl seine Umgebung als auch ihn selbst unwirklich erscheinen. Träumte er? Da tauchte plötzlich, umkreist von Nationalflaggen und gestutzten Bäumen, das imposante Monument des Nationalhelden und Dichters José Rizal auf, das sogar die höchsten Bäume des Parks überragte. Warum war er überhaupt hierhergekommen? Er war Verwirrt. Alles drehte sich. Er ging weiter, versuchte sich zu konzentrieren, setzte sich wieder hin. Da fiel ihm ein, dass er noch fast gar nichts gegessen und getrunken hatte. Er kaufte sich ein geröstetes Hähnchen mit Reis, Gemüse und Erdnuss-Soße sowie eine Dose Mangosaft. Das gute Essen, welches er mit großem Appetit aß, schien seine Gehirnzellen wieder zu aktivieren. Das Konzert, schoss es durch seinen Kopf. Das Konzert der alternativen Rockgruppe Eraserheads, jener schon regional bekannten Newcomerband, die heute Abend auftreten sollte. Doch wo fand das Konzert statt? Auf der legendären Uferpromenade südlich des Parks, nicht weit vom Hafen entfernt. Wie kam er aber dorthin? Er fühlte sich verloren wie ein kleines Kind, tappte herum, öffnete ungeschickt seinen Stadtplan und versuchte sich zu orientieren.

    Plötzlich sah er zwei attraktive junge Frauen. Eine trug eine blaue Jeans und ein weißes Hemd. Doch es war die Schönere von beiden, die ihm sofort ins Auge fiel. Ihre langen schwarzen Haare hoben sich vom weißen Kleid ab, das die perfekte Figur ihres zierlichen Körpers betonte. Sein Herz pochte. Schüchtern blieb er stehen. Dann überwand er seine Hemmungen, holte die beiden ein und stotterte mit unüberhörbarem deutschem Akzent auf Tagalog:

    „ Saán ang konsiyerto?"

    Sie verstand ihn nicht. Etwas genervt wiederholte er, jetzt mit kräftigerer Stimme:

    „Saán ang konsiyerto?"

    Die Schöne lachte.

    „Wo das Konzert ist, willst du wissen?, fragte sie in einem solch perfekten Deutsch, dass Marian sie verblüfft anschaute. „Komm einfach mit. Wir gehen auch dorthin. Beide Frauen und Marian setzen sich auf eine Parkbank. Die mit der blauen Jeans und dem weißen Hemd Bekleidete stellte sich vor.

    „Ich heiße Imelda", sagte sie auf Englisch mit amerikanischem Akzent. Sie lächelte dabei. Marian konnte sehen, dass sie mittellange Haare und einen Scheitel trug.

    „Und mein Name ist Diwata", sagte die Schöne auf Deutsch und sah ihn mit ihren großen mandelförmigen Augen so an, als wollte sie einen Blitz durch seinen Körper jagen. Der Name Diwata stammt aus dem Sanskrit. Devedha bedeutet in dieser Sprache Göttliche. In der Mythologie ihres Landes war Diwata eine göttliche Nymphe oder Fee. Der Name passte zu jener Frau, deren außergewöhnliche Anmut natürlich und märchenhaft war. Nur ihre vollen sinnlichen Lippen waren rot geschminkt und verliehen ihrem Gesicht dadurch eine noch erotischere Ausstrahlung.

    „Und wie heißt du?"

    „Marian."

    „Marian? Dieser Name klingt aber nicht sehr deutsch", wunderte sich Diwata. Obwohl sie es nicht wollte, musste sie Marian immer wieder ansehen. Was für ein Adonis war über ihren Weg gelaufen! Sollte dieser Deutsche Amor verkörpern, so entsprach er völlig der klischeehaften Vorstellung gegenüber einem nordischen Gott. Er hatte tiefblaue Augen, natürliche, mittellange, blonde Locken bedeckten seinen Kopf. Erfreulicherweise hatte Marian keinen Bierbauch wie viele primitive Männer auf ihrer Wanderung durch die Schlafzimmer schöner Frauen ihres Landes. Seine Körpergröße war perfekt, das heißt weder zu groß noch zu klein. Er trug eine blaue Jeans und ein grünes T-Shirt. Imelda war ein bisschen beleidigt, weil sich ihre Freundin nur noch für den attraktiven Deutschen zu interessieren schien. Besonders ärgerte sie, dass sie nur Deutsch sprach, eine Sprache, die sie überhaupt nicht verstand. Eine Weile saßen alle drei stumm da und beobachteten die vorbeiziehenden Menschen.

    „Hast du eine Freundin?, fragte Imelda plötzlich mit schüchterner Stimme. „Nein, antwortete der verblüffte Deutsche.

    „Bist du verheiratet und hast du Kinder?", fragte Diwata.

    „Nein", log Marian mit der überzeugenden Stimme eines Schauspielers.

    Einen Augenblick schämte er sich seiner fatalen Lüge wegen, doch dann beruhigte er sein Gewissen. Sollte er etwa den Zauber einer solchen Begegnung mit der unerfreulichen Geschichte seiner komplizierten Beziehung überschatten? Mussten die anmutigen Frauen wissen, dass er eine zweijährige Tochter namens Eliza Snow Patricia hatte und von seiner jungen Frau Lesley getrennt lebte? Seine Glut für Lesley hatte schon seit längerer Zeit an Leidenschaft verloren, erloschen war sie trotzdem nicht. Unerträglich war vielmehr die tägliche Routine gewesen, die aus ihm einen Roboter gemacht hatte. Hinzu kamen scheinbar unüberwindbare Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf Elizas Erziehung. War er allein nach Manila gekommen, weil er einen völligen Neuanfang brauchte oder wollte er sich nur finden, um später nach London zurückzukehren und im vertrauten Kreise der Familie ein neues Leben zu wagen?

    Inzwischen war die Nacht hereingebrochen und ein riesiger Menschenstrom bewegte sich zur großen Bühne, auf der das Konzert der Gruppe Eraserheads stattfinden sollte. Marian und die beiden Frauen folgten der Menschenmenge. Es herrschte eine euphorische Stimmung. Auch Diwatas und Imeldas Fröhlichkeit wirkten geradezu elektrisierend, obwohl sie begonnen hatten, sich nur in Tagalog zu unterhalten, einer Sprache, die Marian nur sehr schlecht beherrschte. Warum lachten sie? Machten sie sich vielleicht über ihn lustig? Er sollte wohl nicht immer alles auf sich selbst beziehen. Auf der Uferpromenade erkannte man schon die riesige, rot beleuchtete Bühne, vor der sich schon ziemlich viele Menschen versammelt hatten. Mit Glück gelang es Marian und seinen beiden Begleiterinnen, relativ weit vorne Stehplätze zu ergattern, obwohl man die Bühne nicht besonders gut sehen konnte.

    Sehr bald waren sie von einer riesigen Menschenmenge umzingelt, der man scheinbar unmöglich entfliehen konnte. Da es ewig dauerte, bis die Musiker erschienen, verloren viele die Geduld und grölten, in der Hoffnung, das Konzert würde irgendwann einmal beginnen. Die Zeit, die das Publikum warten musste, schien ewig zu dauern, doch endlich stolzierten die Musiker auf die Bühne. Sänger, Gitarristen und Schlagzeuger wurden mit einem ohrenbetäubenden Applaus begrüßt. Das gesamte Konzert glich dem Ausbruch des Vulkans Pinatubo. Die Massen sangen, klatschten, grölten mit. Mädchen kreischten, Tausende von Armen zuckten in Ekstase in die Höhe, wie unkontrollierbare Wellen bewegten sich wogende Körper im Takt, Männer rissen sich ihre T-Shirts vom Leib und unzählige Frauen warfen BHs und Slips auf die Bühne.

    Diwata saß auf Marians Rücken, um die Musiker besser zu sehen. Ihre nackten Oberschenkel berührten die Wangen seines Gesichts und ihre Hände krallten sich in seine Schulter. Welch unbändiges Verlangen verspürte er plötzlich, sich in Zeus zu verwandeln! In der Gestalt eines weißen Stieres wollte er seine auf ihm sitzende, ihn mit beiden Armen und Beinen umschlingende Europa durch das Publikum tragen und verschwinden. Doch zugleich schämte er sich ein wenig. Was war in ihn gefahren? Er kannte die zierliche junge Frau ja erst seit etwa vier Stunden. Außerdem musste er schmunzeln, als er sich vorstellte, welch große Massenpanik sein Auftritt als schnaubender weißer Stier auslösen würde.

    Die Stimmung änderte sich, als die Band ihre Balladen anstimmte. Marian verstand zwar kein Wort, war jedoch bewegt von der Schönheit der fremden Sprache und dem aus vollen Kehlen singenden Publikum.

    Ein Meer von Wunderkerzen erleuchtete die allmählich kühle Nacht. Marian nahm Diwatas zierliche, nackte, kalte Füße in beide Hände und massierte sie in der Hoffnung, dass sie wieder warm würden. Ein wohltuendes Gefühl elektrisierte seinen Körper. Wie lange hatte er darauf gewartet, wieder körperliche und menschliche Nähe zu spüren. War er jetzt jedoch zu weit gegangen?

    Das Konzert war vorbei. „Du musst mich jetzt nach Hause tragen, denn ich habe meine Schuhe verloren", lachte die von ihm Bewunderte. Das war natürlich nur ein Spaß. Wegen der späten Abendstunde liefen sie schnell durch den Park, tauschten ihre Adressen. Zwei Abschiedsküsschen für beide Damen und schon trennten sich wieder ihre Wege für längere Zeit.

    Als Marian am nächsten Morgen erwachte, wusste er nicht, ob der gestrige Abend ein Traum oder Wirklichkeit gewesen war. Die Begegnung mit Diwata hatte ihn verwirrt. Er glaubte nicht mehr an die Liebe auf den ersten Blick, weil Zuneigung für ihn etwas war, was sehr langsam entsteht. Dennoch sah er sie immer wieder vor Augen. Ihr zauberhaftes Gesicht, ihr sinnlicher Mund, ihr charmantes Lächeln und ihr betörender Blick erweckten in ihm ein Gefühl der Sehnsucht nach Geborgenheit und zugleich den Wunsch nach einer leidenschaftlichen Affäre, die ihn aus dem behäbigen Trott seines Alltags herausholen könnte. War er nach langer Zeit wieder dabei sich zu verlieben? Als eher rationaler Mensch versuchte er, sich gegen diesen pathologischen Zustand zu wehren. Liebe macht bekanntlich blind. Außerdem hatte er die große Verantwortung für seine Tochter, gleichgültig, wie schwierig seine Beziehung zu Lesley war. Das bittersüße Gefühl, sich zu verknallen, war aber stärker als jegliche Logik.

    Er versuchte Diwata zu vergessen, doch es gelang ihm nicht. Wie ein Jugendlicher in der Pubertät entdeckte er oft beim Aufstehen noch feuchte Flecken auf seinem Bettlaken (er schlief gewöhnlich nackt). An seine Träume konnte er sich nicht mehr erinnern, doch ihm war klar, wer in ihnen erschienen sein musste. Sollte er Lesley anrufen und sagen: „Es tut mir leid, aber es ist aus!"? Das brachte er nicht übers Herz. Doch Diwata wollte er ebenfalls nicht die Wahrheit sagen. Warum hatte er sie im Rizal Park so unverfroren belogen?

    In den folgenden zwei Wochen saß er jeden Tag vor dem Telefon und wollte anrufen, doch er konnte sich nicht einmal dazu überwinden, den Hörer abzuheben und Diwatas Nummer zu wählen. Zu groß war seine Angst, dass sie schon einen Freund haben könnte. (Eine solch schöne Frau musste einen Freund haben). Welch ein Feigling er war! So gab er sich dem Verliebtsein hin, er wollte seinen Gefühlen gar nicht mehr widerstehen, jenem süßen Gift, das ihn scheinbar aus der Realität herausholte und ihn immer mehr in eine Traumwelt riss. Zweifelsohne war er kein Teenager, aber wie ein pubertärer Jüngling schien er in eine Welt schweben zu wollen, in der jegliche Gesetze der Logik, des Verstandes und der Vernunft ihre Gültigkeit verloren. Und dennoch verließ er seine Wohnung in Makati nur noch zum Arbeiten und zum Einkaufen. Abends saß er allein auf seinem Bambussessel und hörte ein romantisches Lied nach dem anderen im Kerzenschein.

    Schließlich fasste er sich ein Herz und lud Paco zum Essen ein, um mit ihm über die verworrene Situation zu sprechen. Sein Freund machte ein ernstes, ja sorgenvolles Gesicht. „Marian, sagte er, „du musst wissen, auf was du dich da einlässt. Was immer du tust: Tu es mit gutem Gewissen und aus vollem Herzen. Wenn du es wirklich ernst mit Diwata meinst, dann bist du auch Teil ihrer Familie. Ich glaube kaum, dass Diwata und ihre Eltern dich als in Trennung lebender Familienvater akzeptieren werden. Dies ist ein sehr konservatives Land, in dem es sehr wichtig ist, sein Gesicht zu wahren.

    Mit leiser Stimme entgegnete Marian, dass er Diwata hinsichtlich seiner eigenen familiären Situation angelogen habe. Paco sah Marian streng an und sagte zunächst nichts. Dann erwiderte er mit gewichtiger, ja fast zorniger Stimme: „Du musst die Wahrheit sagen, verstanden? Du musst die Wahrheit sagen!"

    Diwata war gerade über ihre schmerzhafte zweijährige Beziehung mit Isagani, einem großen Egoisten, hinweggekommen. Dieser Typ hatte nur genommen, ohne zu geben. Er hatte sie ausgebeutet, wann immer er konnte. Tag für Tag hatte sie für ihn gekocht und geputzt, ihn sexuell befriedigt, wann immer er er es wollte und war für ihn da, wenn er sie brauchte. Solch eine Beziehung wollte sie nie mehr haben und sich Zeit lassen. Brauchte sie überhaupt einen Mann? Sie hatte einen großen Freundeskreis, liebevolle Eltern, war zufrieden mit ihrem Studium und feierte erste Erfolge mit ihren Kurzgeschichten. Ihre sexuellen Bedürfnisse befriedigte sie mit einem Vibrator oder mit ihrem Finger. Und dann kam ER, jener blond gelockte, attraktive Adonis, flirtete mit ihr und trug sie während eines Konzerts auf ihren Schultern. Doch das bedeutete zunächst einmal nichts, denn attraktive Männer gab es schließlich wie Sand am Meer und sie hätte schon viele Affären haben können, wenn sie diese gewollt hätte. Was sie brauchte, war ein Mann, mit dem sie durch Dick und Dünn gehen konnte und der es verstand, ihre Gedanken zu lesen.

    Wenn auch bei vielen Menschen beliebt, so war sie trotzdem kein einfacher Mensch, sondern eine Idealistin, die ständig gesellschaftliche Normen hinterfragte und sich ihnen manchmal widersetzte. In der Liebe galt schon immer für sie das Prinzip: „Alles oder nichts." Sie war wie eine von beiden Seiten brennende Kerze. Hatte sie auch von Isagani zu viel verlangt? Sie wusste, dass es bestimmt nicht einfach werden würde, einen neuen Freund zu finden.

    Trotz alldem hoffte sie, dass Marian so schnell wie möglich anrufen würde. Ihre Freundin Imelda hatte auch einen sehr guten Eindruck von ihm. „Der ist wirklich süß und wirkt gebildet. Triff dich mit ihm und lern ihn besser kennen. Vielleicht passt ihr gut zusammen, sagte sie. Doch Marian rief nicht an. In der ersten Woche dachte sie sich nichts dabei, wahrscheinlich war er in seiner Bank zu beschäftigt. Im Laufe der zweiten Woche wurde sie zuerst ungeduldig, dann resignierte sie: „Er hat wohl kein Interesse an mir.

    Eines Abends, als sie gerade unter der Dusche stand, klingelte das Telefon. Ohne sich abzutrocknen und mit nassen Haaren sprang sie aus der Kabine und rannte zum Hörer:

    „Hi, hier ist Marian." Ihr Herz pochte.

    „Marian. Warum hast du dich so lange nicht gemeldet?"

    „Es tut mir leid. Es gibt wirklich keinen Grund. Ich würde dich gern wieder treffen!"

    „Ich dich auch. Komm einfach am Samstagmittag bei mir vorbei. Ich koche etwas für dich und wir können uns unterhalten."

    Bekleidet mit einem weißen Sommeranzug und einem schwarzen T-Shirt lief Marian durch das Bankenviertel von Makati, dessen Wolkenkratzer ihn an New York erinnerten. Menschen hetzen auf den Straßen, auch heute, am Samstag. Es war Mitte Januar und mittags schon sehr warm. Am Friedhof von Makati, auf dem 17000 gefallene US- Soldaten begraben liegen, nahm er ein Taxi und fuhr zu Diwatas Villa im Nobelviertel Bel Air Village. Marian fiel sofort ins Auge, dass in diesem Viertel sehr reiche Leute wohnten.

    Sie öffnete die Tür und lächelte ihn an, als ob sie sich schon seit mehreren Monaten gekannt hätten. Heute trug sie weiße Shorts sowie eine pinkfarbene Bluse mit tiefem Ausschnitt. Sie lief barfuß. Ihre Wohnung war geschmackvoll mit weißen Designermöbeln eingerichtet, an ihren Wänden hingen Bilder moderner Maler. In ihrem Garten war ein kleiner Teich, umgeben von großen Palmen, Baumfarnen, Papaya- und Moringabäumen, berauschend duftenden Blumen wie Rhododendren, Orchideen, dem duftenden Sampaguita mit kleiner Blüte sowie Rosenbeeten. Diwata hatte ein köstliches Essen gekocht und servierte als erstes einen Eintopf aus Kokosmilch mit Chili, Stockfisch, Schweinefleisch und Knoblauch, gefolgt von frittierten Shrimps sowie in Essig, Öl, Knoblauch und schwarzem Pfeffer gebratenem Hühnerfleisch. Anschließend gab es in Kokosmilch gedünsteten Haifisch, mehrere Gemüsesorten und Reis. Mit gebratener Banane gefüllte Frühlingsrollen sowie verschiedene Eis- und Käsesorten rundeten den Gaumenschmaus ab. Getrunken wurden erlesene französische Weine.

    Das Essen zog sich bis in den Abend hin. Während des langen Mals sprachen sie über Kunst, Literatur, Musik und Politik. Diwatas Wunsch nach Seelenverwandtschaft schien sich bereits jetzt zu erfüllen, denn sie merkte, dass Marian oft ihre Meinung teilte und gebildet war. Besonders wichtig für sie war, dass er Dinge kritisch hinterfragte und nicht nur das nachplapperte, was in den Medien verbreitet wurde. Außerdem konnte er, im Gegensatz zu Isagani, sehr gut zuhören. Natürlich sprachen sie auch über ihre Eltern. Was Marian über Diwatas Familie erfuhr, ließ ihn vor Neid erblassen.

    „Mein Vater ist Abteilungsleiter bei Siemens hier in Manila. Er hat den Großteil seiner Kindheit und Jugend in Deutschland verbracht und später an renommierten Universitäten in den USA und in England studiert. Er ist ein sehr gebildeter und weitgereister Mann und spricht fünf Sprachen fließend, darunter natürlich auch Deutsch. Ihm ist es zu verdanken, dass ich die deutsche Schule hier in Manila besucht und später mein Deutsch als Studentin der Germanistik und Betriebswirtschaft an der Berliner Humboldt Universität verbessert habe. Meine Mutter war die Leiterin eines bekannten Verlags hier in Manila, der später leider in Konkurs gegangen ist. Sie hat sich auch als Schriftstellerin versucht, allerdings mit mäßigem Erfolg. Später hat sie diese Tätigkeit aufgegeben und sich nur noch ihrer Familie gewidmet. Ich habe zwei Schwestern, Miriam und Ariana, die beide an der Universität Manila Kunstgeschichte und Anglistik studieren. Ach, fast hätte ich meine Oma vergessen. Sie war Freiheitskämpferin während der japanischen Besatzung meines Landes und später freie Journalistin für feministische Frauenzeitschriften. Paradoxerweise waren meine Eltern eher konservativ und hatten oft Streit mit meiner Großmutter." Marian staunte, doch seine Angebetete sprach über ihre Familie und sich selbst mit Selbstverständlichkeit und Nonchalance, ohne jeden Hauch von jener Überheblichkeit, die Töchter des gehobenen Bürgertums oft prägt. Selbst der nicht wirklich erfolgreiche Werdegang ihrer Mutter stellte das erbärmliche Leben seiner Eltern in den Schatten.

    „Und was kannst du mir über dich erzählen?" Marian wurde nervös. Was konnte er über seine Familie schon erzählen?

    „Naja, ehrlich gesagt bin ich weder stolz auf meine Eltern noch auf meine Heimatstadt. Meine Mutter war Hausfrau, mein Vater Postbeamter. Seit Menschengedenken leben die Familien meiner Eltern in der an Monotonie und Langeweile nicht zu überbietenden Kleinstadt Hintertupfingen. In dieser Stadt ist alles grau: Graue Häuser, graue Straßen, graue Gesichter. Auch der Himmel ist oft grau."

    „Ich verstehe. Ich habe auch solche Kleinstädte gesehen. Fürchterlich. Man fühlt sich wie im Vorruhestand. Und das deutsche Wetter! Bonjour, tristesse."

    „Ja, das stimmt. Doch manchmal gab es auch Abwechslung. Weißt du wann?"

    „Nein. Erzähl mal!"

    „Das war immer dann, wenn Frau Gertrude Mayer weiße Geranien auf den Balkon stellte statt rote."

    „Oh, das klingt ja wirklich spannend", amüsierte sich Diwata.

    „Ja, sagte Marian, „aber das war noch nicht alles. Richtig aufregend wurde es, wenn die gleichen Autos immer auf unterschiedlichen Parkplätzen parkten, was zu einem höchst abwechslungsreichen Farbenspiel führte. Zu jener Zeit sahen die Autos ja nicht wie die heute schwarz wie Leichenwagen aus, sondern sie waren bunt.

    „Großartig", lachte Diwata, sichtlich amüsiert über Marians Galgenhumor.

    „Für die meiste Abwechslung wurde aber gesorgt, wenn Herr Biedermann mit nacktem Oberkörper bei Europa- und Weltmeisterschaften sein schwarz-rot-goldenes Fähnchen aus dem Fenster hielt und sein Bierbäuchlein zeigte, was Frau Meyer als Störung der öffentlichen Ordnung und sexuelle Belästigung empfand. Nicht selten kam dann die Polizei, die den Vorgang ausführlich notierte."

    „Mein Gott, wie furchtbar, stöhnte Diwata. „Wahrscheinlich kam die auch, wenn irgendwo zu laut gefeiert wurde.

    „Ja, natürlich. Du weißt ja, manche Deutschen empfinden selbst eine auf den Boden fallende Feder als Lärm, spottete Marian. „Doch es gab besondere Anlässe, an denen dann laut gebrüllt werden durfte.

    „Und wann war das?", fragte Diwata interessiert.

    „Na, rate mal. Beim Fußball natürlich", lästerte Marian. „Wenn die deutsche Mannschaft ein Tor schoss, dann schrien alle Tor, Tor, Tor, als ob sie den Sieg eines römischen Gladiators bejubelt hätten. Verlor die Mannschaft, dann heulten alle wie ein Wolfsrudel kurz vor dem Verrecken."

    „Bist du kein Fußballfan?", fragte Diwata erstaunt.

    „Nein, überhaupt nicht. Ich hasse Fußball gab Marian ehrlich zu. „Bitte frag jetzt nicht: Trinkst du kein Bier? Isst du keine Bratwurst? Nicht jeder Deutsche entspricht diesen Vorurteilen. Diwata war erleichtert, dass sie in Zukunft keine Grillpartys mit Bratwurst, fettigen Pommes Frites und in Mayonnaise triefendem Nudel- oder Kartoffelsalat ertragen müsste. Auch die Spiele der Bundesliga am Samstagnachmittag würden ihr erspart bleiben.

    „Etwas Gutes hatte der Fußball dann doch. Weißt du was?"

    „Nein, erzähl mal."

    „Die Leute zeigten Gefühle, ja sogar Leidenschaft, lästerte Marian. „Zu solchen Gefühlsausbrüchen kam es sonst nur, wenn die Äste eines Baumes zu weit in den Garten des Nachbarn wuchsen oder ein Auto fünfzig Zentimeter zu nah an einem anderen Auto parkte. Darüber wurde dann leidenschaftlich diskutiert. Beide bogen sich vor Lachen. „Manchmal kam es sogar zu den berühmt berüchtigten Kriegen am Gartenzaun und nicht selten führten diese Verstöße sogar zu Auseinandersetzungen vor Gericht fuhr Marian fort. „Das waren Kapitalverbrechen, die geahndet werden mussten.

    „Das ist ja unglaublich, sagte Diwata, räumte dann aber ein. „Naja, Spießer gibt es überall.

    „Der Gipfel der Spießigkeit ist jedoch der deutsche Schrebergarten. Hast du schon einmal einen solchen Garten gesehen?", fragte Marian neugierig.

    „Nein", gab Diwata zu.

    „Nun, da hast du etwas verpasst, spottete Marian. „In diesen Gärten stehen lieblich lächelnde Gartenzwerge in akribisch abgemessenen Abständen neben etwas kläglichen Blumen, meistens Tulpen. Als ich in Hintertupfingen meine Kindheit und Jugend verbrachte, konnte man im Sommer in diesen Gärten kaum noch die Bäume erkennen, so dick war der Rauch der Holzkohle. Überall stank es nach Rauch und nach dem Fett der Würstchen. Übrigens: Kennst du Heino?

    „Nein. Wer ist das?", fragte Diwata interessiert.

    „Ein ziemlich abgefahrener Schlagerstar mit kurzen weißen Haaren und Sonnenbrille. Als Hintergrundmusik ertönte an den immer gleichen Grillabenden seine sonore Bassstimme. Heino klang wie ein Gott der Biedermänner." Daraufhin ahmte Marian Heino so gekonnt nach, dass Diwata vor Lachen fast vom Stuhl gefallen wäre. Vor allem seine Songs Die schöne Barbara oder Blau, blau, blau blüht der Enzian zog er durch den Dreck.

    „Während Heino sang, führten fette Männer und Frauen unglaublich geistreiche Gespräche über Renovierungen am Haus oder Schnäppchen bei Aldi mokierte sich Marian. „Es war offensichtlich: Da saß nicht nur manch ein Herr, sondern auch manche Frau der Ringe, aber im Gegensatz zu Tolkiens Ringen waren diese rein körperlich, deutlich sichtbar am Bauch und Unterleib, eine Folge der ungesunden Ernährung und des Bieres, das übermäßig nachgespült wurde, damit das Würstchen besser rutschen konnte.

    „Du Armer, bemitleidete Diwata ihren Gesprächspartner. „Wie konntest du das Leben in dieser Stadt überhaupt aushalten?

    „Was glaubst du? Überhaupt nicht gab Marian zu. „Ich fragte mich oft, was mich in jener hohlen spießbürgerlichen Welt noch zurückhielt. Schließlich hatte alles, was das Leben lebenswert macht, dort keinen Platz: Kreativität, Abwechslung, Spontanität, fröhliche Feste im liebenswerter Menschen aus verschiedenen Ländern, Theater, Kunst, Musik und Literatur. Es war eine Welt seelenloser Roboter in der unbarmherzigen Routine ihres grauen Alltags. Dort starb man auf Raten. Man vegetierte im Mief dahin.

    „Und dann bist du eines Tages von zu Hause abgehauen?", fragte Diwata mit Neugier.

    „Ja, das stimmt. Es war kurz nach meinem Abitur. Nach einem lautstarken Streit mit meinen Eltern packte ich meine Koffer und verschwand."

    „Für immer?", fragte Diwata bestürzt. Ihre tiefen schwarzen Augen zeigten Anteilnahme.

    „Was heißt für immer? In jenem Augenblick, als ich die Tür hinter mir zuknallte, dachte ich zumindest daran, nie wieder zu meinen Eltern zurückzukehren."

    „Und jetzt?", wollte Diwata wissen.

    „Das ist eine schwierige Frage seufzte Marian. „Die Antwort bleibt offen. Im Augenblick denke ich jedenfalls nicht daran, nach Hintertupfingen zu reisen und meine Eltern zu besuchen.

    Aus Taktgefühl stellte Diwata keine weiteren Fragen zu Marians Eltern.

    „Wohin bist du dann gefahren?", wollte sie stattdessen wissen. Ihr Interesse war aufrichtig.

    „Nach Berlin, der einzigen deutschen Stadt, die in einem Atemzug mit London oder Paris verglichen werden kann gestand Marian. „Zumindest meiner Meinung nach. Die Zeit in Berlin war zunächst sehr hart. Ich hatte ja kaum Geld und musste mich mit Gelegenheitsjobs wie Nachtportier, Tellerwäscher, Discjockey und als Datentypist durchbeißen. Von irgendetwas musste ich ja leben und meine Miete bezahlen. Ich hatte keine besonderen Ansprüche und konnte keine großen Sprünge machen. Doch für die Berliner Clubs und günstigen Restaurants reichte mein Geld allemal. In Berlin entdeckte ich meine Liebe für Kunst, Geschichte, Theater und Musicals. Ich besichtigte viele Museen und ging oft ins Theater.

    „Allein?", fragte Diwata verwundert.

    „Du bist aber neugierig", lachte Marian. „Nein, natürlich nicht. Ich wohnte in einer netten Wohngemeinschaft, zusammen mit Maja, einer Malerin, Tatjana, einer russischen Kunststudentin und Uwe, der als Sozialarbeiter in Berlin Kreuzberg, einem sogenannten sozialen Brennpunkt, arbeitete. Zum ersten Mal in meinem Leben erfuhr ich, wie wunderbar es ist, unter weltoffenen und toleranten Menschen zu leben. Auf mich traf Goethes Spruch Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein wortwörtlich zu. Später schrieb ich mich an der Humboldt Universität ein und begann dort mein Studium der Betriebswirtschaft."

    „Wolltest du für immer in Berlin bleiben?" Ihre Frage klang interessiert.

    „Nein, das nicht antwortete Marian. „Ein weit gereister Student überzeugte mich auf einer Studentenparty davon, im Ausland zu leben. Da ich Betriebswirtschaft studierte und später in einer Bank arbeiten wollte, fasste ich den Entschluss, in London mein Studium fortzusetzen. Ich war begeistert von dieser Stadt und wollte während meines Studiums dort bleiben.

    „Warum hast du dich mit deinem Interesse für Kunst und Musik ausgerechnet für ein Studium der Betriebswirtschaft entschieden?", fragte Diwata verwundert.

    „Ich glaube, dass man finanzielle Sicherheit im Leben braucht, egal was man vorhat, sagte Marian nüchtern. „Ich finde, dass sich die Welt der Zahlen und die Welt der Kunst nicht ausschließen. Sogar Mick Jagger hat Betriebswirtschaft studiert.....

    „Und sein Studium abgebrochen, unterbrach ihn Diwata. „Das ist richtig. Doch seine betriebswirtschaftlichen Kenntnisse haben ihm sicherlich genutzt.

    Diwata gefiel, was Marian sagte. Auch sie war der Ansicht, dass man im Leben Träume haben müsse, zugleich jedoch auch ein solides Fundament. Sonst platzt jeglicher Traum.

    „In der Freizeit habe ich meinen Berliner Lebensstil fortgesetzt, erzählte Marian. „Museen, Theater, Musicals, Kneipen. Leider blieb mir dafür nur am Wochenende Zeit.

    „Hattest du eine Beziehung?", fragte Diwata neugierig.

    „Ja, da war eine Engländerin, deren Mutter Inderin war."

    Marian vermied es, ihren Namen Lesley Bhattacharya Smith zu nennen.

    „Und was war mit ihr?"

    „Wir wollten uns zuerst verloben und dann heiraten, doch dann merkten wir, dass wir nicht zueinander passten", log Marian zum zweiten Mal. Er sprach mit dem Talent eines Schauspielers, der sich so sehr mit seiner Rolle identifiziert, dass er Fiktion und Realität nicht mehr voneinander unterscheiden kann. Schließlich wollte er seine Romanze nicht beenden, bevor sie begonnen hatte. Sie hatte nicht den geringsten Verdacht und fragte auch nicht nach. Schließlich sprach sie selbst nicht gerne über ihre gescheiterte Beziehung mit Isagani.

    Hand in Hand spazierten sie durch den Ayala Park von Makati. Ihre konservativen Landsleute dachten sicher, dass sie ein Paar wären. Sie hatte ohne jeden Zweifel schon Gefühle für den Deutschen mit blondem, lockigem Haar, doch sie wollte nichts überstürzen. Was er über seine Herkunft erzählt hatte, gefiel ihr natürlich nicht. Welche Schuld hatte Marian jedoch? On ne choisit pas ses parents singt Maxime Le Forestier in der ersten Strophe seines bewegenden Liedes Né quelque part. Ganz richtig: Man sucht seine Eltern nicht aus. Peinlichen Eltern läuft man davon. Genau das hatte Marian getan. Sie empfand eine tiefe Bewunderung. Das war gewiss nicht einfach für ihn gewesen. Er hatte sich Dinge erkämpfen müssen, die für sie selbstverständlich waren: Kultur, Kunst, Weltoffenheit. Es war ihm gelungen. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was mit ihm geschehen wäre, wenn er sein kultur- und seelenloses Kaff niemals verlassen hätte. Niemand, der im Leben nach etwas Großem strebt, bleibt in der Provinz. Nun lief er neben ihr, jener schöne Mann, den sie kaum kannte. Sie wollte ihn jetzt auch gar nicht genauer kennen. War er hierhergekommen, um sie zu finden? War es eine Schicksalsfügung? Sein Bericht hatte sie berührt. Er würde ihr Held sein. Sie legte ihren Arm um seine Schultern. Er erwiderte ihre Gefühle und tat dasselbe. Vor Erregung bekam sie eine Gänsehaut. Eine innige Freundschaft war besiegelt.

    Manila ist für viele westliche Touristen ein klangvoller, exotischer Name. Sie glauben, diese Stadt sei eine fernöstliche Metropole, müssen dann aber feststellen, dass sie sich in einem eher westlich geprägten Betonloch befinden. Allein im Stadtzentrum leben rund zwanzig Millionen Menschen. Die erschreckenden Folgen dieses Wachstums sind Gewühl, Lärm, kilometerlange Verkehrsstaus, Dreck am Straßenrand und eine an manchen Tagen über alle Maßen verschmutzte Luft. Eine riesige Smogwolke liegt an heißen Tagen über der Stadt und ein ätzender Gestank aus Abfall und Kot weht über den Slums. Andererseits ist diese Stadt ein faszinierender Schmelztiegel von Menschen verschiedener Religionen: Christen, Moslems und Buddhisten.

    Als Tochter einer wohlhabenden Familie des Großbürgertums hatte Diwata die trostlosen und heruntergekommenen Viertel ihrer Heimatstadt niemals betreten. Marian sollte diese Orte natürlich auch nicht sehen und sich in die Schönheit ihrer Stadt verlieben. Ihre Stadtbesichtigung begann deshalb in Manilas Altstadt Intramuros. Während sie die Stadt „innerhalb der Mauern betraten, zeigte Diwata auf das Erbe der spanischen Kolonialherrschaft und erklärte: „Diese mächtigen Steinwälle und tunnelartigen Tore zeugen von der Macht der Spanier.

    „Ermordeten die Spanier auch so viele Eingeborene wie auf ihren Eroberungen im heutigen Lateinamerika?", erkundigte sich Marian.

    „Nein, antwortete Diwata, „sie gingen diplomatischer vor, indem sie die einheimische Bevölkerung mit Hilfe von Tauschwaren und Geschenken zum Katholizismus bekehrten.

    „Und wie lange blieben sie auf den Philippinen?"

    „Du wirst es kaum glauben", sagte Diwata. „Ihre Kolonialherrschaft dauerte 333 Jahre: von 1565, als Miguel Antonio Legazpi einen Blut Pakt mit Häuptling Raja Sikatuna schloss, bis zum zehnten Dezember 1898, als der Friedensvertrag von Paris das Ende des Spanisch-Amerikanischen Krieges bestätigte. Die Philippinen wurden nun von den Amerikanern kolonialisiert. Die philippinischen Truppen jedoch leisteten unter Führung ihres Generals Aguinaldo erheblichen Widerstand. Es folgte ein Guerillakrieg, der bis 1911 dauerte und dem Tausende Filipinos und Amerikaner zum Opfer fielen."

    „Und wann wurden die Philippinen unabhängig?" fragte Marian.

    „Das war erst im Jahre 1946 unter General Rodas, aber der Nationalfeiertag ist der zwölfte Juni. An diesem Tag rief Emilio Aguinaldo im Jahre 1898 die Unabhängigkeit aus, obwohl das Land noch gar nicht unabhängig war und von den Amerikanern kolonialisiert wurde."

    Nachdem sie eine Weile schweigend die Altstadt erkundet hatten, sagte Diwata plötzlich: „Ich zeige dir heute das koloniale Erbe der Spanier." Hand in Hand schlenderte sie mit ihm durch Intramural zur ältesten Kirche der Stadt: San Augustin. Marian bestaunte den spanisch-mexikanischen Barockstil und bewunderte die achtundsechzig Chorstühle aus dunklem Olivenholz sowie die mit einer geschnitzten Tropenlandschaft verzierte Kanzel. „Guck mal, flüsterte Diwata und zeigte auf ein Grab. „Hier liegt Legazpi begraben.

    „Wer?", fragte Marian mit einem etwas dümmlichen Gesichtsausdruck.

    „Na hör mal, Eroberer Miguel Antonio Legazpi, mit dessen Unterwerfung der Inselbewohner die spanische Kolonialherrschaft begann, antwortete Diwata überrascht. „Hast du das schon wieder vergessen? Entweder du hörst nicht zu oder hast ein Gedächtnis wie ein Sieb, lachte sie.

    Die Spuren der spanischen Kolonialzeit führten Marian und Diwata zur Casa Manila, der originalgetreuen Rekonstruktion einer Residenz des 19. Jahrhunderts. Auf dem Plaza San Luis setzen sie sich in eines der ins alte Gemäuer gebauten Cafés und lauschten der Musik eines Kammerorchesters. Marian nahm Diwatas Hände und schaute in ihre braunen Augen. Er empfand eine große Dankbarkeit, dass sich sein Leben an der Seite einer solch gebildeten und attraktiven jungen Frau auf wundervolle Weise zu verändern schien. Er wollte nicht wissen, ob und wie lange die sich langsam entfaltende Liebe dauern würde. Diwata hingegen kniete in der Kathedrale von Manila nieder und betete, dass Gott sie von Marian niemals mehr trennen möge.

    Manila - Chinatown an einem frühen Freitagnachmittag im März 1991.Sie liefen Hand in Hand durch das pulsierende Leben der chinesischen Gemeinde, besuchten Antiquitäten-, Juwelier- und Kräuterläden mit exotischen Waren und besichtigten Teehäuser. Ein ohrenbetäubender Lärm umgab sie. Geschäftiges Treiben. Es roch nach köstlich gewürztem Essen, süßsaure Dämpfe strömten aus den Garküchen. Straßenmärkte lenkten vom dröhnenden Verkehr der Rizal-Avenue ab. Eine trockene Hitze lag über der Stadt. Sie betraten hungrig ein kantonesisches Restaurant. Diwata bestellte auf Chinesisch.

    „Chinesisch sprichst du auch?", wunderte sich Marian.

    „Ja, ein bisschen. Ich habe ein halbes Jahr in Peking gelebt." Marian tat so, als gönne er der Freundin auch diese bereichernde Erfahrung. Innerlich erblasste er aber vor Neid. Wie gern wäre auch er viel in der Welt herumgekommen.

    Der Kellner servierte typisch kantonesische Gerichte wie Dampfeier, gebratenen Reis, süß-saures Schweinefleisch, eine große Auswahl an Nudelgerichten und Meeresfrüchten sowie Huhn mit Zitronensoße.

    „Seit wann leben Chinesen in Manila?", fragte Marian neugierig.

    „Seit sehr langer Zeit. Sie sind als Händler ins Land gekommen und ließen sich vor allem im Dorf Binundok nieder. Die Spanier zeigten ihnen gegenüber ihr doppeltes Gesicht. Die spanischen Besatzer konnten Chinesen aus wirtschaftlichen Gründen nicht entbehren, zwangen sie aber andererseits zum Christentum."

    „Wurden Chinesen von den Spaniern verfolgt?"

    „Leider ja. In den Jahren 1603, 1639 und 1762 kämpften viele gegen ihre Unterdrückung. Die Aufstände wurden blutig niedergeschlagen, viele wurden vertrieben. Die heutigen Chinesen kommen vor allem aus Guangzhou. Sie leben relativ friedlich neben den Nachkommen reicher philippinisch-spanischer Mestizen und Ausländern."

    „Seltsam, entgegnete Marian, „dass der Mob erfolgreiche Menschen nicht erträgt. Es ist ja allgemein bekannt, dass die deutschen Juden ein ähnliches Schicksal ertragen mussten. Man denke nur an die vielen Pogrome und Verfolgungen. Viele Juden waren erfolgreiche Händler und wurden deshalb gleichermaßen beneidet und gehasst. Es folgten Minuten des Schweigens. Plötzlich sagte Marian mit nachdenklicher Stimme: „Rassistische Vorurteile gibt es leider immer und überall. Manch ein Dummkopf verbreitet heute wieder antisemitische Ressentiments oder warnt vor der so genannten gelben Gefahr."

    Beim Essen lief beiden das Wasser im Munde zusammen. Es war ein Gaumenschmaus. Lange sprachen sie kein Wort.

    „Weißt du, sagte Marian plötzlich. „In einem ganz fremden Land und völlig anderen Kulturkreis wie diesem muss man sich seine neue Lebenswelt erst ertasten, erfühlen, erschnuppern und erschmecken.

    „Und ervögeln," erwiderte Diwata zynisch.

    Das traf. Marian verstand sofort die sarkastische Bemerkung seiner Freundin. Er wurde rot und sagte kein Wort. Diwata empfand ihre Anspielung auf den Sextourismus ihres Landes keineswegs als taktlos. In ihrer typisch offenen Art wollte sie provozieren. Außer Marian saß wohl niemand im Restaurant, der Deutsch verstand. Wären dort Deutsche gewesen, hätte sie sich auch nicht geschämt.

    „Ich weiß, dass du anders bist. Du wirst niemals mit solchen Frauen verkehren." Sie betonte solchen Frauen mit einem Gesichtsausdruck größter Verachtung. „Selbst diejenigen, die – aus welchen Gründen auch immer – für lächerliches Geld ihren Körper an Fremde verkaufen, sehen oft sehr gut aus", fügte sie mit herablassendem Gesichtsausdruck hinzu. „Doch ihre Schönheit ist nur eine Fassade. In ihrem Innern sind sie müde und leer. Sex ist für sie nur ein Beruf wie jeder andere, den sie oft mit Krankheiten bezahlen. Ich hingegen werde dir ein Feuer zeigen, was du niemals vergessen wirst. In dieser Welt wahrer Liebe wird es nur uns geben. Ich werde alle Frauen, die du begehrst, verkörpern. Wir werden Königin und König sein."

    Nach dem Essen fuhren sie außerhalb der Mauern Intramuros mit einer Kaleza, einer traditionellen bunten einachsigen Kutsche, deren Klappern der Pferde das spanische Ambiente betonte. Diwata schmiegte sich fest an ihren Geliebten. Sie fühlte sich fast wie auf einer romantischen Hochzeitsfahrt.

    Abends saßen sie auf einer Bank an der Bucht von Manila. Ein betörender Sonnenuntergang malte den magischen Ort in prächtigen rötlichen Farben, die von Orange bis Scharlachrot reichten und beide vergessen ließen, dass sie in einem Moloch waren. Beiden gelang es, sich vorzustellen, was die Keimzelle dieses urbanen Ungeheuers einmal war: eine kleine Tropensiedlung am Großen Ozean, ein Malaien Dorf des 5. Jahrhunderts nach Christus an der fast kreisrunden Bucht. In diesem Meerbusen, der noch heute einen der besten Naturhäfen der Erde und ein fesselndes Panorama bietet, überfiel Diwata und Marian zum ersten Mal jene Leidenschaft, die im Laufe ihrer Liebe von Tag zu Tag stärker werden sollte. Sie fragte ihn: „Warum hast du dich ausgerechnet für Manila entschieden und nicht für New York, Sidney, Melbourne?"

    Sie blickte ihn lange mit ihren großen Augen an. Er antwortete nicht. Sie schwiegen.

    „Schließ die Augen", sagte sie. Er tat, was sie sagte. Unvermittelt spürte er, wie sich ihre Lippen berührten und wie ihre Zungen miteinander verschmolzen. Sie küsste ihn mit einer solchen Zärtlichkeit und Leidenschaft wie keine andere Frau, nicht einmal Lesley. Diese Leidenschaft elektrisierte ihn, als ob sich Götterblitze seines Körpers und seiner Seele bemächtigten.

    Die Nacht war hereingebrochen. Beide schliefen friedlich auf der Bank in einer der gefährlichsten Städte der Welt. Ein Engel schien sie zu beschützen. Im Morgengrauen erwachte Marian und streichelte Diwatas lange schwarze Haare. Sie hatte ihren Kopf auf seine Schultern gelegt. Träumte er immer noch? Auf einmal wusste er, dass er mit seiner Geliebten den Traum bis zu seiner Vollendung erleben wollte. Diwata war keine Frau, sondern eine Fee, ein im wahrsten Sinne des Wortes göttliches Wesen, zu schön und zu zerbrechlich für die Widrigkeiten der Wirklichkeit. Würde ihre Liebe bis in alle Ewigkeit andauern? Würde das Feuer ihrer Leidenschaft niemals enden?

    Diwata wachte auf. Beide ließen sich von der Morgenröte betören. Keiner sagte ein Wort. Plötzlich flüsterte ihm seine Liebhaberin ins Ohr: „Du bist meine Morgenrot nach langer Nacht." Beide lachten über Diwatas geistreiches Wortspiel mit Marians Nachnamen Morgenroth.

    Diwatas Eltern wohnten in Ermitage, einem Viertel mit Häusern im spanischen Kolonialstil südlich des Rizal Parks. Das Haus in der Flores Avenue wirkte elegant, aber kalt. Die Fliesen bestanden aus weißem Marmor. Protzige, kunstvoll geschnitzte Möbel aus dunkelbraunem Molaveholz hoben sich vom Weiß der Wände und des Bodens ab. Kunstvolle Teppiche lagen auf dem Boden. Im Flur des Hauses und im Garten plätscherten Springbrunnen. An den Wänden hingen  Bilder mit religiösen Motiven. Meterhohe Pflanzen standen in den Ecken.

    Diwata öffnete die Tür und führte Marian zu ihrem Vater Bayran Dinguinbayan, der vor einem großen, mit einer Steinplatte bedeckten Tisch aus Molaveholz saß und eine Pfeife rauchte. Der Empfang war überaus herzlich. Marian wurde sofort zu Tisch gebeten. Zum ersten Mal sah Marian Diwatas Familie: ihre jeweils achtzehn und zwanzigjährigen Schwestern Miriam und Ariana sowie ihren Bruder Danil. Alle drei trugen eine etwas steife und formelle Kleidung. Auch die Großeltern saßen am riesigen Glastisch.

    Das Essen war ein Fest für Gaumen und Sinne. Als Vorspeisen wurden kleine chinesische Frühlingsrollen sowie diverse Nudelgerichte serviert. Es folgten in Essig, Knoblauch und Zwiebeln gedünstetes Geflügel sowie verschiedene Fischarten, entweder roh in Knoblauch, Chili und Ingwer eingelegt oder in süß-saurer Soße gebraten. Ferner wurden Krabben, Garnelen und Langusten aufgetischt. Als Beilage gab es Reis. Edle Weine wurden zum Essen getrunken. Vor allem Diwatas Schwestern waren sehr neugierig und durchlöcherten den deutschen Gast mit Fragen über Gott und die Welt. Es wurde viel gelacht und das Mittagsmahl zog sich bis zum späten Nachmittag hin, als süße Desserts aus Reis, Eiern, Süßkartoffeln, Kokosnuss und Maniok verspeist wurden. Der Deutsche hatte die Herzen seiner Gastfamilie erobert und ging mit bester Laune nach Hause.

    Kurze Zeit später machte Marian Bekanntschaft mit Diwatas Freunden: Masako aus Japan, Lin aus China und Anja aus Deutschland. Viele erschienen in leichten Sommerkleidern, manche in der traditionellen Tracht ihres Landes.

    Auf dem Tisch auf Diwatas Terrasse türmten sich Sushi und Jiaozi, Paella und Bulgur, Börek, Falafel und Tabuli, leckere Crêpes und Quiches sowie eine große Auswahl an philippinischen Fischgerichten. Marian hatte einen Spargelsalat mit Schinken mitgebracht, um dem Klischee zu widersprechen, dass Deutsche auf Partys nur Nudel- und Kartoffelsalat essen. Auch für das Dessert wurde bestens gesorgt. Der Tisch bog sich geradezu vor Kuchen und Süßspeisen. Die geladenen Gäste waren fast alle Paare: Ling aus China war mit Seiji aus Japan liiert, Anja kam in der Begleitung ihres französischen Freundes François, die türkische Elif erschien eine Stunde später mit ihrem griechischen Freund Spiros und die Israelin Rachel, die in Manila Zwischenstation vor ihrer Weiterreise nach Auckland machte – kam Hand in Hand mit ihrem palästinensischen Freund Mohammed. Nur Masako, eine bildhübsche Frau mit japanischem Vater und italienischer Mutter, war Single, ebenso wie Manuel aus Kolumbien. Alle stellten sich die Frage, ob die beiden im Laufe der bevorstehenden langen Nacht zueinander finden würden.

    Beim Buffet hatten alle die Möglichkeit, sich besser kennen zu lernen. Es waren alle Studenten, mit denen sich Diwata im In- und Ausland angefreundet hatte. Während des Essens führten sie lange Gespräche über ihre Herkunft und die Kultur ihres Landes und schlossen sehr schnell Freundschaft. Alle schien eine gewisse Seelenverwandtschaft zu verbinden. Das Essen schmeichelte den Sinnen. Da fast alle Gäste den ganzen Tag über beinahe nichts gegessen hatten, verschlangen alle geradezu die köstlichen Speisen mit großem Appetit, trotz der noch hohen Temperaturen. Ein ohrenbetäubendes Stimmengewirr ertönte, das selbst mehrere Gärten weiter noch zu hören war. Die Wirkung des Weines zum Nachspülen ließ nicht lange auf sich warten. Zur lauten Musik wurde kräftig getanzt. Die im Gegensatz zu anderen Japanerinnen keineswegs schüchterne Masako und der ebenfalls leidenschaftliche Manuel schienen sich tatsächlich schnell näher zu kommen. An Diwatas etwas abseits gelegenen Teich unterhielten sie sich lebhaft. Später konnte Marian von weitem sehen, dass sie sich leidenschaftlich küssten und berührten. Manuel schien im wahrsten Sinne des Wortes ein Latin Lover zu sein. Als Masako und Manuel, bereits schon recht benebelt vom vielen Wein, eng umschlungen die Tanzfläche betraten, skandierten alle: „Masako! Manuel! Masako! Manuel! Masako! Manuel!", ganz so, als handelte es sich um Popstars.

    Marian war bewegt. Eine solch elektrisierend fröhliche Stimmung hatte er noch nicht einmal auf seinen Studentenfeten in London erlebt, geschweige denn auf den langweiligen Partys mit seinen Schulkameraden, auf denen immer nur gesoffen und geknutscht worden war. Hier zeigte sich, dass sich Menschen aller Kulturen gut miteinander verstehen können. Marian beobachtete die anmutigen Paare, die ihn fast zu Tränen rührten. Das Band einer wunderbaren Freundschaft und Liebe vereinte alle und war stärker als die Vorurteile und historisch, politisch oder religiös geprägten Ressentiments ihrer Vorfahren. „Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weit." Diese Worte aus Schillers Hymne an die Freiheit schienen sich hier zu bewahrheiten.

    Kurz vor Morgengrauen lief die feucht fröhliche Gesellschaft durch den menschenleeren Ayala Park. Singend und lachend liefen sie auf den Wegen unter großen subtropischen Bäumen. Es war so dunkel, dass man fast nicht seine eigene Hand vor dem Gesicht sehen konnte. Im Morgengrauen legten sich die Paare auf den Rasen. Schnell wurde es ruhig. Marian schloss die Augen und knöpfte Diwatas weißes Hemd auf. Hastig wanderten seine Hände über ihre sinnlichen und wohlgeformten Brüste. Diwatas Stöhnen vermischte sich mit den Schreien der anderen, in noch tiefere Körperregionen vordringenden, den Morgen lustvoll begrüßenden Paaren.

    Zum zweiten Mal führte Marians Weg zum Rizal Park, der im Volksmund auch Luneta genannt wird. Es war der erste Mai 1991. Im Gegensatz zu jenem angenehm warmen Januarabend, an dem Marians Liebesgeschichte vor vier Monaten in diesem legendären Park begonnen hatte, brannte jetzt sogar die Abendsonne unbarmherzig. Eine stickige Schwüle lag über dem Park. Marian wartete vor dem mit fliegenden Drachen verzierten Tor zum Chinesischen Garten. Sie hatte ihm gesagt, dass sie an diesem Ort der Ruhe und Harmonie einen Abend verbringen würden, den er niemals vergessen sollte. Plötzlich stand sie vor ihm: eine Elfe in einem pinkfarbenen, leichten Kleid. Er konnte deutlich sehen, dass sie unter dem Kleid weder Slip noch BH trug, doch der Umriss ihres nackten Körpers wirkte keineswegs vulgär, sondern schien mit dem Rosa des Kleides geheimnisvoll zu verschmelzen. Ebenfalls rosa bemalte Lippen lächelten ihn an. „Komm", sagte sie, nahm ihn bei der Hand und führte ihn durch den Chinesischen Garten. Er schaute sie an und spürte, dass er kaum noch Kontrolle über seine außer Rand und Band geratenen Hormone hatte. Die Stimme der vermeintlichen Vernunft sagte ihm jedoch zugleich: „Was ist in sie gefahren? Was werden die Leute in diesem religiösen Land denken, wenn du dich mit dieser Frau an einem öffentlichen Ort vergnügst? Werden sie gar die Polizei holen?"

    Das Krebsgeschwür seiner kleinbürgerlichen Erziehung hatte er seit dem Verlassen seiner Kleinstadt geheilt. Es hatten sich jedoch in seinem Geist Metastasen gebildet, die sich immer dann bemerkbar machten, wenn es darum ging, konservativ bürgerliche Werte gegenüber der Lust zu verteidigen. Tief in seinem Innern herrschte die Doppelmoral jenes Spießers, der an einem lauen Sommerabend bei offenem Fenster in der Dunkelheit seines Schlafzimmers ein attraktives nacktes Paar beim heißen Liebesspiel auf dem gegenüberliegenden Balkon beobachtet und dabei onaniert, sich zugleich jedoch überlegt, ob er nicht die Polizei wegen Störung der öffentlichen Ordnung anrufen sollte. War er besser als jener heuchlerische Geistliche, der sich heimlich an Pornofilmen erregt oder sich an Minderjährigen vergreift, am nächsten Tag jedoch auf der Kanzel den „Zerfall der Sitten" geißelt und sowohl Lust als auch Sinnlichkeit als etwas ganz und gar Verwerfliches verdammt? Marian hasste jegliche Art der Bigotterie, die zu jeder Zeit der Geschichte die Gesellschaft prägte, gleichgültig in welchem Land. Ihm kamen jene deutschen Spießbürger in den Sinn, die gegen Hildegard Knefs nackte Brüste im Kinofilm Die Sünderin protestiert hatten. Dieselben Moralapostel hatten zuvor tatenlos zugesehen, als Millionen von Juden in Konzentrationslager verschleppt worden waren, ganz so, als wären sie Vieh gewesen. Später dachte er an jene einfältigen Amerikaner, die auf ihren Bildschirmen achselzuckend bis zur Unkenntlichkeit verbrannte vietnamesische Opfer amerikanischer Napalm-Bomben während des Vietnamkrieges gesehen hatten. Warum hatten sich diese Spießer über einige Nackte beim legendären Woodstock-Konzert im Jahre 1969 erregt? Marian stellte sich vor, wie brave Filipinos in Sonntagskleidern eine anmutige Frau ihres Landes beim Liebesspiel mit einem Deutschen beobachten und dies als Verletzung ihrer Moralvorstellung empfinden würden. Doch wer von ihnen hatte jemals seine Stimme gegen die Slums von Tondo und Valenzuela erhoben, deren weit über 700 000 Bewohner an Tuberkulose, Typhus, Malaria und Durchfall litten? Ein Liebesakt in der Öffentlichkeit schien schlimmer zu sein als der „Smokey Mountain, ein fünfzig Meter hoher Müllberg mitten am Hafen, an dem 20.000 Menschen lebten. „Wie ist es möglich, dass es in einem Land so viele Huren gibt, obwohl Prostitution offiziell verboten ist?, fragte sich Marian. Er hasste die Scheinheiligkeit…. und war doch selbst ganz und gar von ihr durchdrungen. Er war traurig, dass er nicht abschalten und den Zauber jenes Abends ungehemmt genießen konnte.

    Ein leichter Abendwind hatte die Schwüle weggefegt. Jene zauberhaften, von roten Säulen getragenen und mit grünen Dächern bedeckten Pagoden, die vor kurzem noch nur schemenhaft in der gelblich-braunen Luft erkennbar gewesen waren, hoben sich jetzt märchenhaft von der Blauen Lagune ab. Sie waren mit Figuren der chinesischen Mythologie verziert. So ähnlich stellte er sich die Gärten in Peking vor, einer Stadt, die er noch nie besichtigt hatte, die ihn aber seit langem schon magisch anzog.

    Diwata schmiegte sich an ihn und führte ihn zu einer Bank an einem geschützten Ort in der Nähe eines Rosenbeetes. Ihre Hand nahm seine Hand und führte ihn zu den unteren Knöpfen ihres Sommerkleides. „Öffne sie, flüsterte sie in sein Ohr. Marian tat es, doch dann zögerte er, zog seine Hand zurück und machte den Reißverschluss wieder zu. „Was ist los mit ihr?, dachte er noch einmal. Die Gesellschaft in diesem Land vieler Religionen ist sehr konservativ. Man muss die religiösen und ethischen Gefühle anderer Menschen respektieren. Was sie vorhat, würde außerdem in jedem Land der Welt im höchsten Maße gegen die Norm verstoßen, nicht zuletzt in seinem eigenen. Er war hier ein Gast und wollte keinen Ärger bekommen. Diwata sagte kein Wort. „Spießer, dachte sie. Beide saßen stumm nebeneinander. Plötzlich hörte er, dass sie leise schluchzte. Zum ersten Mal während ihrer Beziehung hatte er sie wirklich verletzt. Was für ein Idiot er war. Sie war gekommen, um mit ihm ein Fest der Zärtlichkeit und Liebe zu feiern. Ihre Liebe war stärker als die Angst vor dem möglichen Gerede fremder Leute. Sie hatte keine Angst, ihr Gesicht zu verlieren, doch er hatte seines verloren. Über eine Stunde saßen sie stumm nebeneinander, bis sie wieder seine Hand nahm und zu den Knöpfen führte. „Was hält dich zurück? Schämst du dich? Kümmere dich nicht um andere Leute. Öffne dein Herz und lass es geschehen.

    Diesmal öffnete er die Knöpfe und streichelte mit ruhig kreisenden Bewegungen ihren Unterleib. Er spürte, dass kein einziges Schamhaar ihre glatt rasierte, feuchte Scheide bedeckte. Er spielte mit Schamlippen und Klitoris und drang mit seinem Finger in sie ein. Im ruhigen Rhythmus seiner Bewegungen stöhnte sie sehr leise, aber lustvoll.

    Die Nacht war hereingebrochen. Die wenigen vorbeiziehenden jungen Paare beachteten sie nicht. Niemand konnte sie sehen. Sie waren ein für die Außenwelt unsichtbares Paar. Er drang mit seinem Finger tiefer in sie ein. „Mehr", flüsterte sie …. und schenkte ihm ihren Liebeselixier. Er nahm seine Hand aus ihrem Kleid und knöpfte es zu. Eine Weile saßen sie wieder schweigend nebeneinander. Sie hatte ein Tuch auf seinen Schoß gelegt. Mit kunstvollen Bewegungen spielte sie mit seinem großen, weißen, vor Erregung pochenden Glied. Welch lang erwartete Symbiose! Während ihre kleine brünette Hand das ruhige, zärtliche Liebesspiel fortsetzte, spürte er, wie sich seine Vorhaut über die Eichel wölbte und gleich einem lustvollen Meer wieder zurückzog. Wundervolle Gebieterin über Ebbe und Flut! Er verlor jede Hemmung und ließ es geschehen. Während sie ihre ruhigen Bewegungen fortsetzte, flüsterte sie: „Mahal kita - Ich liebe dich" in sein Ohr. Zärtlich berührten ihre rosa geschminkten Lippen sein Ohrläppchen. Ihre Zunge benetzte genussvoll das Innere seines Ohrs. Ihre Lippen wanderten seinen nackten Hals herab und hinterließen Stempel der Liebe. Im sanften Abendwind wehende rosafarbene Rosenblätter wirbelten durch die Lüfte. Dieses Paar schien im wahrsten Sinne des Wortes auf einer rosa Wolke zu schweben. Pinkfarbenes Kleid und rosa Lippen, gebettet in Rosenblättern in der gleichen Farbe. Drei Farben Rosa verschmolzen zu einem Hohelied der Liebe und Zärtlichkeit. Im nun menschenleeren, finsteren Garten hatte sie das Tuch entfernt. Er spürte, wie sich sein Penis in ihrer nun leidenschaftlich masturbierenden Hand mit äußerster Erregung empor richtete und an Schönheit gewann. Wie sehr wünschte er sich, diesen Moment unbeschreiblichen Glücks so lange wie möglich hinauszuzögern, als plötzlich sein schleimig weißliches Sperma auf ihr Sommerkleid spritzte. Sein Glied glich einer Fontäne, die er weder kontrollieren konnte noch wollte. Die Nacht war hereingebrochen. Die Sterne leuchteten so hell, als wollten sie als Goldtaler auf sie nieder regnen.

    Mehrere Wochen vergingen, ohne dass Marian von Diwata etwas hörte. Sehr oft rief er sie an, doch sowohl Schwestern und Eltern logen, dass sie entweder nicht zu Hause sei oder keine Zeit habe. Eine große Traurigkeit und Melancholie bemächtigten sich seiner. Soll das schon alles gewesen sein? Warum ließ sie einen Fisch am trockenen Strand zappeln, den doch so stark nach ihren Gewässern dürstete? Jetzt spürte er, in welchem Maße sie seinem Leben einen Sinn gab. Er existierte ohne sie, doch seine Existenz war von keinerlei Leben durchflutet. Die langweilige Kundenberatung in seiner Bank füllte ihn nicht aus. Er wusste, dass sie notwendig war, damit er seinen Aufenthalt finanzieren konnte. Letztendlich profitierten sie beide von seinem mehr oder weniger soliden finanziellen Fundament und er war in gewisser Hinsicht dankbar. Doch bis auf Paco hatte er niemanden, mit dem er über seine Gefühle sprechen konnte. Sollte er jemanden aus Diwatas Bekanntenkreis anrufen? Die netten jungen Leute, die er auf Diwatas Party kennen gelernt hatte, waren noch keine wirklich engen Freunde, obwohl er mit vielen Telefonnummern und Adressen ausgetauscht hatte. Warum rief sie nicht an? Weder er noch Paco hatten irgendeine Erklärung dafür. Wollte sie sich an ihm wegen seines Verhaltens im Chinesischen Garten rächen? Das war nicht ihre Art. Sie war in keiner Weise nachtragend. Den Grund für ihr langes Schweigen sollte er niemals erfahren.

    Eines Abends kam die Erlösung. „Hallo, ich brauche dich. Komm morgen Abend", hauchte sie am Telefon mit ihrer sanften Stimme, ganz so, als ob nichts geschehen wäre. Er wusste noch nicht, dass die darauf folgende Nacht Ende Mai 1991 einer ihrer erotischen Höhepunkte werden sollte.

    Er klingelte an ihrer Tür und sie öffnete ihm. Sie war barfuß. Ihren nackten Körper bedeckte nur ein weißer Bademantel. „Ich sehe es deinen Augen an, mein Schatz. Du möchtest wissen, was unter diesem Bademantel ist. Doch da musst du dich noch etwas gedulden, lachte sie. „Komm erst einmal. Sie nahm seine Hand und führte ihn zum bereits bekannten großen Tisch auf ihrer Terrasse, auf dem allerlei kunstvoll zubereitete, erlesene Speisen standen: mit Koriander gewürzte Austern und Kaviar, Granatäpfel sowie allerhand köstliche Süßigkeiten, darunter Zimt- und Ingwersterne sowie erlesener Trüffel. Ein besonders exotischer Leckerbissen war Balut, ein drei Wochen altes, angebratenes Entenei. Als Getränke gab es mit Hanföl vermischten und mit Muskatnuss gewürzten Kakao sowie die besten importierten französischen und italienischen Weine. Der die Abendluft erfüllende Duft nach Rhododendren, Orchideen, Sampaguita und Rosen war noch berauschender als gewöhnlich. Von allen Seiten des Gartens erklang ein geheimnisvoller Gesang der Zikaden, aus einem Zimmer der Nachbarschaft ertönte eine Klaviersonate von Wolfgang Amadeus Mozart. Diwata setzte sich auf den Schoß ihres Geliebten. Das Abendessen wurde ein Fest der Sinne, wie es Marian noch nie erlebt hatte. Sie kosteten jede der erlesenen Speisen einzeln, erlebten ihre Gaumenfreuden sinnlich und ließen die Weine bis zum letzten Tropfen auf ihrer Zunge verschmelzen. Sie glichen einem sich mit Berührungen und Küssen vereinigenden Liebespaar im Garten Rodins.

    „Kennst du das Hohe Lied der Liebe?", fragte sie Marian.

    Dieser schüttelte mit dem Kopf.

    „In diesem Lied bekunden sich Sulamith und Salomo ihre Zuneigung, indem sie ihre Körperteile mit Weinreben, Feigen und Granatäpfeln vergleichen."

    Sie nahm einen großen Schluck Wein und sagte, besoffen vor Glück: „Salomo."

    „Sulamith", erwiderte er. Beide schwiegen eine Weile und lachten.

    Plötzlich verband sie Sulamiths Augen mit einem roten Tuch und führte ihn in ihr Schlafzimmer. Dort riss sie ihm Tuch und Kleider vom Leib. Da standen sie sich gegenüber und sahen sich zum ersten Mal vollständig nackt. Sie sah einen Herkules mit heller Haut und gelocktem Haar. Nicht ein einziges Muttermal trübte seine makellose Haut, geschweige denn irgendein Sonnen- oder Lederfleck. Nicht einmal ansatzweise hatte er einen Bauch. Sie schien mehrere Frauen in einem zu verkörpern.

    Ich bin eine Narzisse von Scharon, eine Lilie der Täler.

    Wer war sie? Isolde? Marion? Nofretete? Kleopatra? Nie zuvor hatte er eine Frau von derartig perfekter Schönheit gesehen. Ihre langen Haare bedeckten einen Großteil ihres Rückens. Mandelförmige Augen, markante Nase

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1