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Deep Dream: Ein medizinethischer Krimi
Deep Dream: Ein medizinethischer Krimi
Deep Dream: Ein medizinethischer Krimi
eBook412 Seiten4 Stunden

Deep Dream: Ein medizinethischer Krimi

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Über dieses E-Book

San Francisco im Frühjahr 2043. Neuronale Implantate sind das einträgliche Geschäft der Firma Biophysical Implants. Die Implantate stellen für Chirurgen eine Erweiterte Realität im Operationssaal her. Geheim ist die Entwicklung eines XEQ-Implantats, das in den Thalamus eingesetzt werden soll – die Neuroanatomen haben den Thalamus als das Tor zum Bewusstsein identifiziert. Man nimmt an, dass jeder XEQ-Implantat-Träger Spitzenchirurg wird.
Biophysical Implants verheimlicht jedoch, dass eine XEQ-Implantation bei einem Probanden bereits zu einem verheerenden Ergebnis geführt hat. Dass dieser Implantat-Träger seither nicht mehr aus einem Deep Dream erwacht, wird zum bestgehüteten Geheimnis des Forschungsteams.
Ein junges Ehepaar, John und Laura, gerät in das Fahrwasser der Entwicklungen von Biophysical Implants. John ist mit der Entscheidung konfrontiert, sich als Mitarbeiter der Firma ebenso XEQ implantieren zu lassen. John will als Forscher unbedingt Neuland betreten. Doch im Laufe des Thrillers zeichnen sich mehr und mehr die Risiken des Eingriffs ab. In dem Konflikt, der entsteht, macht John eine unerwartete Entwicklung. Von einem Mann, der anfangs blindlings seine Karriere verfolgt, reift er zu einem sensiblen Beobachter und Partner heran. Dabei entdeckt John ganz neu seine Liebe zu Laura.
Die Geschehnisse bei Biophysical Implants entwickeln sich zu einem spannenden Kriminalfall, den Pastor Tim unkonventionell löst. Tim geht auf seine direkte Art ungewöhnliche Wege, um die Katastrophe von John und Laura abzuwenden.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum12. Feb. 2020
ISBN9783750281493
Deep Dream: Ein medizinethischer Krimi

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    Buchvorschau

    Deep Dream - Rüdiger Marmulla

    Deep Dream

    In die Dunkelheit

    Sonntagsausflug

    Arbeitstag

    Zurück

    Traum in der Nacht

    Reboot

    Die Revision

    Nachtgedanken

    Yosemite

    Er spricht

    Zur Hüfte

    Die Wanderung

    Schwierigkeiten

    Zum Kaffee bei Sarah

    Gespräch unter Männern

    Rechenschaft

    Rückfrage

    Wo ist Peter?

    Alles im Griff

    Hesekiel

    Operationsplanung

    Rücksprache mit Pastor Tim

    Unzufrieden

    Die Recherche

    Lagebesprechung

    Gespräch zu Dritt

    Sonntagspredigt

    Drohungen

    Im Park am Golden Gate

    Internetnachforschungen

    Das Einverständnis

    Dinner im Nobelrestaurant

    Treasure Island

    Morgengrauen

    Pancakes

    Mädchentreffen

    Tag -1

    Mama’s on Washington Square

    Tag 0

    Rauschen im Stromnetz

    Der Kontakt

    Getrennt

    Der Spalt im Tor zum Bewusstsein

    Mein Freund

    Tag -1 - 1

    Tag 0 - 1

    Kontakt über das Stromnetz

    Ammoniak

    Aufgeschlossen

    Zwei Flaschen Regular Dandy Clean

    Der Biograph Scanner

    Suchauftrag

    Die Spitze vom Eisberg

    Samstagnachmittag

    Die Nachricht

    In der Frühe des Tages

    Vom liebenden Paar

    Letzte Meldung

    Kaffeetrinken mit Sarah

    Nichts

    San Francisco International Airport

    Wieder eine Nachricht

    Robert Edward Lee Freedom Airport

    Zu Tisch mit Pam und Wayne

    Das Telefonat

    Ein neuer Tag

    Countdown zur Heimkehr

    Vorkehrungen

    Abendrunde

    In der Sammlung

    Die Rettung läuft an

    Für sein Leben

    Geschafft

    Der Morgen in Atlanta

    Air Canada

    Ärztliche Hilfe

    Tara

    Waynes Predigt

    Botanical Garden

    Seelsorge mit Wayne

    Die Ruine

    Wiederaufbau

    Der Auftrag

    Unklarheiten

    Ein neuer Suchauftrag

    University of California, Berkeley

    Rückfrage nach Atlanta

    Barbara

    Zu spät

    Das Übergabegebet

    Seelenwanderung

    Doppelagent

    Molekulare Bildgebung

    Wieder in Berkeley

    Das Interview

    Der Bericht

    Eine Absage

    Fenja Hansen

    Brainstorming

    Ein offenes Wort

    Das zweite Interview

    Von Jesus und Lazarus

    Weitere Nachforschungen

    In der Klinik

    Im Tiermodell

    Aus dem Who’s Who

    Atlanta History Center

    Das Resümee

    Lauras und Johns Glück

    Das Kompetenzteam

    Telefonate

    Kirche gesucht

    In der Tiburon Church

    Auf zur Insel

    San Francisco Police Department

    Der Haftbefehl

    Die spontane Reise

    Ein glückliches Wochenende

    Bist Du bereit – heute – Gott zu lieben?

    Das Zeugnis

    Der Gottesdienst in der Tiburon Church

    Schlagzeilen

    Kronprinsessevej, Fredensborg

    Passeig de Montjuïc, Barcelona

    Mayfield Avenue, Stanford

    Rücksprache mit dem Kriminalkommissar

    Herzen erreicht

    Polizeibericht

    Ein Anruf aus der Heimat

    Der Abschied

    Eine Strategie

    In Zacs Lounge

    Das Netzwerk

    Ausflug mit John

    Der Dienst

    Rücksprache mit Ethan

    Breaking News

    Nach dem Gottesdienst

    In der Praxis

    Die Entscheidung

    Die Zusage

    Der Lazarus-Effekt

    Kirchengründung

    Frieden

    Ein Mädchen

    Zwanzigste Schwangerschaftswoche

    Der Notfall

    Am Krankenbett

    Zusammen mit Peter

    Risiken

    Keine Heimlichkeiten

    Umbau

    Heimkehr

    Die Bitte

    Seelsorge mit Tim

    In Untersuchungshaft

    Besuch aus Atlanta

    Vergebung

    Hausbesuch

    Die Beerdigung

    Das Wunder des Lebens

    Auf meinem Arm

    Beim Kinderarzt

    Augenklinik, UCSF Medical Center

    Sonntagsausflug - 1

    In die Dunkelheit

    Laut schepperte der Metalleimer, als sie mit ihrem linken Fuß daran stieß. Die beiden uniformierten Frauen aus dem Sicherheitsdienst mussten sich mit ihren Augen erst an die Dunkelheit des Raums gewöhnen. Irgendjemand hatte den Eimer mitten im Zimmer stehen lassen.

    Der Lichtkegel der Rotlichttaschenlampe ließ einen schlichten Raum mit einem Krankenbett, einem Tisch mit einem eingeschalteten EEG-Gerät und mit einem einfachen Stuhl erahnen. Neben dem Krankenbett befand sich ein Infusionsständer. Das abgedunkelte Fenster hatte keine Griffe. Im Übrigen war der Raum leer.

    „Er ist wach!", rief die jüngere Kollegin aus, die heute das erste Mal mit dabei war. Mit der Rotlichttaschenlampe leuchtete sie in das Gesicht des Mannes.

    Die erfahrene Frau aus dem Sicherheitsdienst widersprach: „Nein. Er schläft. Tief und fest."

    Die Jüngere wollte es nicht glauben: „Schau doch! Seine Augen sind offen. Er schläft nicht, er ist wach."

    „Er schläft mit offenen Augen. Die Daten des EEG sprechen eine deutliche Sprache. Theta-Wellen. N1- und N2-Schlafphase während einer Hirnfunktionsstörung. Diese Wellen wären nur bei Kleinkindern normal." – Die erfahrene Frau aus dem Sicherheitsdienst von Biophysical Implants war medizinisch gut ausgebildet. Ihre intelligenten Augen blitzten aus dem dunkelhäutigen Gesicht unter den Afrolocken. Sie deutete mit der Hand auf den Monitor neben der Liege: „Er ist in einem Deep Dream. Er träumt, dass er wach ist", flüsterte sie ganz leise.

    Mit gepresster Stimme gab die andere Frau zurück: „Jetzt verstehe ich gar nichts mehr."

    „Das macht nichts. Wir müssen nur die Infusionsflasche wechseln. Er braucht genug Flüssigkeit. Und hochkalorische Ernährung, entgegnete die ältere Kollegin. „Der Schlauch aus der Infusion mündet in die innere Jugularvene am Hals des Mannes. Die Infusion muss in eine zentrale Vene gehen. Eine oberflächliche Hautvene würden wir mit der hochkalorischen Flüssigkeit innerhalb kürzester Zeit verbrennen und die Vene würde augenblicklich verstopfen. In der inneren Jugularvene ist ein starker Blutstrom, der die konzentrierte Infusion gut verdünnt. Der Mann hat einen unglaublichen Flüssigkeits- und Energieverbrauch.

    „Was ist mit ihm passiert?"

    „Frag‘ nicht. Denke daran, dass du alle zwei Stunden die Infusion erneuerst. Tag und Nacht."

    „Ja, du kannst dich auf mich verlassen. – Und dann fast vorsichtig fragte die Jüngere weiter: „Warum ist der Raum abgedunkelt?

    „Wir müssen ihn vor allen unnötigen Reizen abschirmen. Der Mann darf nicht mit Sinneswahrnehmungen überflutet werden. Das ist wichtig. Lass uns jetzt gehen. Wir überwachen das EEG von draußen im Nebenraum über die Telemetrie. Und pass auf, dass du nicht wieder gegen den Eimer stößt."

    Sonntagsausflug

    „Möchtest du darüber reden? – Nervös fahre ich mir mit der Hand durchs Haar. Wir stehen beide mit Blick auf den Pazifik und schweigen lange Minuten, die Brandung ist deutlich zu hören. Diese ersten Frühlingstage haben uns zum Picknick geladen. Alles scheint neu und verheißungsvoll. Heute ist der erste freie Sonntag seit Wochen. Unsere Terminkalender sind wie immer übervoll, doch heute haben wir endlich Zeit für einander. Ich habe diesen Moment mit John so ersehnt, doch jetzt ist die Stimmung wie beklommen. Ich versuche es noch einmal: „John, du wirkst zurzeit, als wärst du nicht richtig hier. Was ist los? – Ich blicke besorgt in seine tiefbraunen Augen. Er ist so schweigsam die letzte Zeit, und doch spüre ich eine Unruhe in ihm, die ich ergründen möchte. Ich vermisse so sehr sein sorgloses jungenhaftes Lachen.

    John räuspert sich, nach einer Pause sagt er: „In der Firma steht eine große Sache an." – Mehr nicht.

    Langsam werde ich ungeduldig: „John, für mich und uns ist es sehr wichtig, dass du mir jetzt endlich sagst, was los ist."

    John schaut mich mit ernster Miene an: „Kannst du mir garantieren, mit niemandem darüber zu sprechen?"

    Ich wende mich ab und schaue zu einer Ansammlung massiger Monterey-Zypressen, meine Stimme wirkt auf einmal brüchig: „Das kann ich dir nicht garantieren. Beziehungen beruhen auf Vertrauen."

    Fast kleinlaut setzt John an: „Laura, ich weiß, dass ich dich bisher zu wenig in meine beruflichen Dinge einbezogen habe."

    Ich stelle mich vor ihn und schaue ihm direkt in die Augen: „Dann tue es jetzt!"

    John ist groß und stattlich, doch jetzt wirkt er wie ein kleiner Junge: „Ich kann nicht … streng geheim. Wir dürfen mit niemandem darüber sprechen."

    Ich kann nicht anders, als ihn herausfordernd anzuschauen: „Auch nicht mit Tim? Als Pastor hat er doch Schweigepflicht."

    John macht eine Abwehrbewegung und gibt fast brutal zurück: „Lass mich bloß mit diesem Pastor Tim in Ruhe. Und dann sichtlich verzweifelt: „Ich habe tatsächlich niemanden, mit dem ich sprechen kann. Noch nicht einmal Peter ist da. – John schaut mich liebevoll an, und ich sehe Bewunderung in seinen Augen.

    Ich fühle mit ihm, ich fühle mit dem Mann, den ich so sehr liebe: „Weißt du, John, ich verstehe dich. Ich bin doch immer für dich da."

    John sieht mich lange an und dann sagt er vorsichtig: „OK, Laura. Ich habe die Möglichkeit, mich beruflich zu verbessern. Er schaut sich um: „Biophysical Implants will, dass ich in Zukunft meine eigene Arbeitsgruppe leite. Und ich werde sehr gut verdienen. Wir werden so viel Geld haben, dass wir uns ein größeres Haus leisten können und eines Tages werden wir auch Kinder haben, so wie du es dir wünschst.

    – Ich zucke zusammen – eines Tages?

    John wendet sich mir zu: „Wir werden das Leben führen können, das wir immer führen wollten. Du wirst auch nicht mehr für FedEx arbeiten müssen, es wird uns richtig gut gehen."

    Jetzt will ich es wirklich wissen: „An was arbeitet ihr denn in eurem jetzigen Projekt genau?"

    John kommt langsam in Fahrt: „Laura, du kennst doch die Cochlea-Implantate. Menschen, die ein krankes Innenohr haben und eigentlich taub sind, können mit ihrer Hilfe wieder hören. Ein Mikrofon wird mit dem Hörnerv verbunden, und die Signale des Mikrofons werden direkt ans Gehirn weitergeleitet. Fast feierlich fährt er nach einer Pause fort: „Biophysical Implants hat nach dem Cochlea-Implantat das Opticus-Implantat entwickelt. Es geht also nicht mehr um den Hörnerv, sondern um den Sehnerv. Chirurgen, die dieses Implantat tragen, können beispielsweise das Gehirn unter der geschlossenen Schädeldecke sehen. Sie können durch Haut und Knochen hindurchschauen. Und sehen genau, wo sie schneiden müssen und wo nicht…

    „Erstaunlich, unterbreche ich ihn, „wirklich interessant, dass es das schon gibt.

    John ist in seinem Element: „Ja. Man nennt es Erweiterte Realität. Wir forschen daran, wie die Implantate die Nervenenden richtig ansprechen."

    Interessiert frage ich nach: „Sind Implantate, die eine Erweiterte Realität herstellen, wirklich eine gute Entwicklung?"

    John ist sich sicher: „Das sind sie. Oder willst du lieber von einem Chirurgen operiert werden, der kein Opticus-Implantat trägt?"

    Ich bin verunsichert, John scheint keine Zweifel zuzulassen. Mein Blick wandert aufs offene Meer.

    Und ich höre immer nur Fachliches. Immer nur Medizintechnik. Kein Wort über das Team oder seinen Chef. Ich weiß nur von seinem Kollegen Peter. Es fühlt sich so unpersönlich an, was John mir da erzählt. Ich verstehe es nicht. Warum ist er in letzter Zeit nicht richtig bei mir, wenn wir zusammen sind? Es geht immer nur um Technik, manchmal kommt er selbst mir schon wie ein Roboter vor. Ich habe doch etwas viel wichtigeres auf dem Herzen, ich würde es ihm so gerne erzählen. Ich versuche, das Thema zu wechseln: „John, wollen wir zur niederländischen Mühle gehen? Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit sie abgebrannt ist. Ich will schauen, was von ihr noch steht."

    John steht auf und lässt sich in seinem Gedankenfluss nicht unterbrechen: „Laura, wir haben in den letzten zwei Jahren, seit ich bei Biophysical Implants bin, erhebliche Fortschritte mit einer neuen Produktentwicklung gemacht. Das neuronale Implantat XEQ ist etwas ganz Neues, es ist eine Verbindung zwischen Mensch und Technik."

    Ich unterbreche ihn und lache: „XEQ? Das ist ein komischer Zungenbrecher. Wofür steht das?"

    Ohne die Miene zu verziehen erklärt mir John: „XEQ steht für den Befehl ‚execute‘, das heißt ‚Führe aus‘. Der Chip ist dafür entwickelt worden, direkt in den Thalamus implantiert zu werden. Die Neuroanatomen haben herausgefunden, dass der Thalamus das Tor zum Bewusstsein ist. Von hier aus werden im Gehirn Entscheidungen gebahnt. Die Vernetzung ist hier natürlich sehr viel komplexer als bei einem Cochlea- oder Opticus-Implantat. Fast erschrocken schaut sich John um, um sicher zu sein, dass niemand mithört. Dann fährt er mit leiser Stimme fort: „Das XEQ-Implantat wirkt direkt bewusstseinserweiternd. Wissen muss nicht mehr angelesen oder antrainiert werden. Sämtliches Wissen steht dem Implantat-Träger sofort nach Implantation aktiv zur Verfügung. Und der Clou ist, XEQ besitzt ein neuronales Netzwerk mit künstlicher Intelligenz. John richtet sich merklich auf, sein Blick sucht den Horizont. „Zusätzlich wird bei Chirurgen motorisches Geschick mittransplantiert. Dadurch werden alle XEQ-Implantat-Träger talentierte Spitzenchirurgen."

    Wir überqueren den John F. Kennedy Drive. Während wir weiter laufen, rollt ein Auto langsam und fast geräuschlos an uns vorbei.

    Jetzt werde ich sehr, sehr still. Was soll ich denn auch sagen? Nie hätte ich geahnt, dass Biophysical Implants schon so weit in der Innovationsentwicklung ist. Was mir John da erzählt, klingt für mich unheimlich. Seine Begeisterung wirkt auf mich, als sei er im Rausch.

    Nur wenige Schritte weiter und wir bleiben schlagartig stehen. Zwischen den Bäumen öffnet sich der leere Raum, wo einmal die historische Mühle stand: „Oh, nein!", rufe ich aus. Über ein gemauertes Backsteinfundament ragen noch ein paar wenige schwarz verbrannte Balken hinaus. Der Platz um die ehemalige Mühle ist mit einem Metallzaun abgesperrt. Daran hängt ein Schild:

    „Hier stand bis zur Nacht vom

    11. auf den 12. Oktober 2042

    die niederländische Mühle,

    die dem Feuer zum Opfer fiel."

    So traurig. So viele Kindheitserinnerungen habe ich an die Mühle. Hier habe ich an der Hand meines Vaters das Laufen gelernt. Sommerliche Geburtstagsfeste feierten wir mit meinen Freunden hier. Auch die Geburtstage unserer ungeborenen Kinder wollte ich hier feiern.

    Recht unbeeindruckt meint John: „Man kann die Mühle neu wieder aufbauen. Erst als er mein Gesicht sieht, ergänzt er: „Natürlich … es wird nicht mehr dasselbe sein.

    Zwischen den immergrünen Bäumen mit ihrer aschgrauen dicken Rinde sehe ich im Westen das Meer. Wie sehr liebe ich diese sonnigen Frühlingstage, die Brandung des Pazifiks und unseren Picknickplatz. Ich hatte mir so gewünscht, dass wir hierher kommen, weil ich John die Neuigkeit hier im Park am Golden Gate sagen wollte. Doch jetzt fühlt sich alles anders, irgendwie schal an.

    Wir laufen weiter und leise sagt John nach einer Weile fast zu sich selbst: „Ich bin bereit. Jetzt." Sein Satz klingt in meinen Ohren nach. In der Erinnerung wird mir das bewusst. Aber ich verstehe nicht, was er damit meint.

    Beiläufig erwidere ich „Bereit? Wozu?" und schaue durch die Gitter des Maschendrahtes. Ich stelle mich auf meine Zehenspitzen, um besser über die verbrannten Balken hinweg sehen zu können.

    „Ich bin bereit, der erste XEQ-Implantat-Träger zu werden. John zieht die Augenbrauen nach oben und setzt nach: „Wenn man von einer guten Sache überzeugt ist, dann muss man auch bereit sein, so weit zu gehen.

    – Ich erschrecke. Mir wird heiß und kalt. Habe ich richtig verstanden?

    Jetzt kommt eine kühle Brise von Westen über das Meer. Es fröstelt mich. Und mir fehlen die Worte. Mein Magen krampft sich zusammen. Gleich muss ich mich übergeben.

    John bittet mich: „Laura, die ganze Sache ist streng vertraulich. Bitte behalte alles für dich."

    – Ich möchte nachhause: „Bitte lass uns unsere Picknicksachen holen und nach Sausalito heimfahren." Ich bin fassungslos. Was bekomme ich hier zu hören? Erster XEQ-Implantat-Träger. Er bezieht mich überhaupt nicht in seine Entscheidungen ein. Bin ich wütend oder enttäuscht? Vielleicht beides. Mein Geheimnis sage ich ihm nicht. Nicht jetzt. Nicht heute. Nicht nach dieser Nachricht.

    Arbeitstag

    Das war gestern ein schöner Sonntagsausflug mit Laura. Wir konnten so gut reden, und das Projekt hat sie sehr beeindruckt. Ich sehe sie noch vor mir, in ihrem schwarzbraunen Kleid, das ich so sehr mag. Ich sehe ihre dunkelblonden, gelockten und schulterlangen Haare, ihre grünen Augen in ihrem Gesicht mit den weichen Zügen. Alles an ihr liebe ich.

    Meine Augen wandern über die Bucht. Die Fähre legt im Hafen von Fisherman’s Wharf an. Alle Fahrgäste sind Mitarbeiter von Biophysical Implants. Aus Sicherheitsgründen wird bei jedem Passagier ein Irisscan und ein biometrischer Abgleich des Gesichts vorgenommen. Ich bin schnell an der Reihe und setze mich dann auf einen der Plätze unter der Glaskuppel der Fähre. In der Ferne erkenne ich die kleine Insel in der Bucht im morgendlichen Nebel nur schemenhaft.

    Früher war auf ihr ein Hochsicherheitsgefängnis. Im ersten Sezessionskrieg diente sie als Lager für die Kriegsgefangenen der Nordstaaten. Vor nahezu hundert Jahren wurde das Gefängnis aufgegeben und die Häuser standen seither leer. Biophysical Implants erschien der Ort mit seinen rauen Felsen und den hohen Mauern vor zehn Jahren hinreichend sicher für seine Forschungslaboratorien und besiedelte Alcatraz neu. Niemand kann die Insel unbemerkt betreten oder verlassen. Der Leuchtturm ist eines der wenigen Gebäude, die unverändert blieben. Die anderen Gebäude stehen nur noch mit ihrer Außenhülle. Sie wurden innen vollkommen entkernt und nach den Bedürfnissen von Biophysical Implants neu gestaltet. Wir Mitarbeiter nennen die Insel Biophysical Island.

    Es ist heute seltsam still. Ich beobachte, wie Frauen und Männer schweigend nach mir an Bord gehen. Für mich stehen heute zahlreiche Funktionsuntersuchungen im hochauflösenden Positronen-Emissions-Tomograph an. Ein bisschen aufgeregt bin ich schon, heute in die Röhre zu kommen.

    Die Fähre legt ab. Sie fährt ruhig, gemächlich bahnt sie sich ihren Weg über die Bucht.

    Hohe Wände schließen den Hafen von Biophysical Island ein. Am gläsernen Eingangstunnel der Insel schließen zwei Schleusentüren den Tunnel ab. Niemand darf etwas auf die Insel mitbringen. Keine Aktentasche. Kein Schreibzeug. Keine technischen Geräte. Erst nach einem weiteren Bodyscan öffnet sich die hintere Tür der Schleuse.

    Fast feierlich betritt man die Empfangshalle. Über den großen Hof gehe ich hinüber zum Diagnosezentrum. Ich betrete das Gebäude und treffe auf Michael, den Chefradiologen und Leiter des Projekts. Der Mann in seinen 60ern trägt einen weißen Kittel über seiner übergewichtigen Figur. Sein sympathisches Gesicht mit der hohen Stirn und dem kurzen Haar ist wie immer akkurat glatt rasiert.

    „Guten Morgen, John. Alles OK?"

    „Ja, alles OK". Schon lange haben wir auf diesen Tag hin gearbeitet. Ich lege meinen Mantel ab und folge Michael in den Raum mit dem Tomographen. Gedämpftes Licht erfüllt diesen Raum. Ein blauer Lichtkranz umgibt den Tomographen. Die Szenerie wirkt beinahe übernatürlich. Ich kann kaum glauben, dass es jetzt schon losgeht.

    „Bitte lege dich auf die Liege und mache den linken Arm frei", ordnet Michael an.

    Ich folge seinen Anweisungen und Michael desinfiziert die Haut in meiner Ellenbeuge. Dann gibt es einen kleinen Stich und kurz darauf liegt der Katheter in meiner Armvene. Über diesen Katheter wird die radioaktive Substanz, mit der mein Gehirn vermessen wird, infundiert. Kurz darauf bewegt sich meine Liege und fährt sanft in den Tomographen hinein. Die radioaktive Substanz wird sich in meinem Körper anreichern und Stoffwechselvorgänge in meinem Gehirn abbilden. Der Prozess ist mir bereits aus der Theorie vertraut: die Aktivität in den einzelnen Bestandteilen meines Gehirns wird während des Lösens verschiedener Aufgaben gemessen.

    Es geht los, Michael stellt mir zuerst ein paar einfache Rechenaufgaben: „Was ist das Quadrat von zwölf?"

    „Einhundertvierundvierzig."

    Frage um Frage, so geht es immer weiter: „Wer war die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika?"

    „Michelle Obama."

    Und: „In welchem Jahr endete der zweite amerikanische Bürgerkrieg?"

    „2036."

    Dann: „Wie lauten die binomischen Formeln?"

    „A plus B in Klammern mal C plus D in Klammern ergibt AC plus AD plus BC plus BD".

    Mehr und mehr muss ich mich konzentrieren. Die Fragerunde dauert über vier Stunden. Jetzt wird ein Monitor über mein Gesicht gefahren. Auf dem Monitor werden Bilder und Symbole angezeigt, und ich muss benennen, was ich sehe: „Ein grünes Dreieck., „Ein roter Kreis. Kurz darauf werden mir Filmsequenzen mit Bewegungsabläufen vorgespielt, die ich mit den Augen verfolgen soll: „Die Sequenz zeigt eine Kugel, die eine schiefe Ebene hinabrollt. Ich beschreibe, was ich sehe: „Ich sehe einen Reiter auf einem Pferd. Sie überwinden ein Hindernis.

    Während der Funktionsuntersuchung werden die stoffwechselaktiven Areale in meinem Thalamus vom Tomographen abgebildet. Die Untersuchungen gehen ohne Mittagessen bis zum frühen Abend. Ich bin total müde und erschöpft. Ununterbrochen tropft die radioaktive Flüssigkeit über den Katheter in meinen Arm. Dann wird es eine Weile still im Untersuchungsraum. Der Radiologe kontrolliert nochmals sämtliche Schnittbilder und dreidimensionalen Rekonstruktionen unserer heutigen Untersuchung. Ich hebe meinen Kopf und erkenne, wie auf dem Monitor mit leuchtenden Signalen die unterschiedlichen Areale meines Gehirns im Zeitverlauf dargestellt werden. Fließende Bewegungen bunter Farben wandern durch die Schnittbilder.

    Michaels Bürostuhl knarzt leise, als er sich behäbig nach hinten schiebt und dann aufsteht: „Wir sind so weit. Alles ist im Kasten. Mit diesen Daten werden wir einen individuellen XEQ-Chip für dich fertigen und mit den Messergebnissen der heutigen Untersuchung kalibrieren."

    – Ich atme tief aus: „Bist du zufrieden?"

    Michael lächelt freundlich: „Ja. Sehr."

    Ich begegne seinem Blick und ergänze: „Dann bin ich es auch."

    Die Liege fährt ruhig aus dem Tomographen wieder heraus. Michael entfernt den Katheter aus meinem Arm und klebt ein kleines Pflaster auf die Einstichstelle. Ein bisschen schwindelig ist mir, als ich nach so vielen Stunden wieder aufstehe. Ich krempele meinen Hemdsärmel wieder nach unten, ziehe meinen Mantel an und verabschiede mich. Ich schaue auf meine Armbanduhr, es ist kurz vor 18.00 Uhr. Ich kann die erste Abendfähre zurück auf das Festland bekommen, wenn ich mich jetzt beeile.

    Mit raschen Schritten gehe ich über den Hof zur Glasschleuse. Die Fähre hat bereits angelegt. Wieder ein Bodyscan. Nichts dürfen die Mitarbeiter von Biophysical Implants bei ihrer Abreise von der Insel mitnehmen. Ich setze mich unter die Glaskuppel der Fähre. Die Sonne steht schon tief an einem wolkenlosen Himmel. Ich schaue auf der Fahrt zufrieden auf die Skyline der Großstadt. Wir sind kurz vor dem Ziel unserer Arbeit. Die jahrelangen Vorbereitungen kommen zum Ende und schon bald werden wir Neuland betreten. Ich fühle mich als Pionier. Das Projekt fühlt sich gut an. Ich bin wie ein Abenteurer. Ich bin der erste Sternenreisende, ich bin der Alan Shepard von Biophysical Implants. Wir werden der Menschheit neue Horizonte aufreißen. Gemächlich läuft die Fähre in den Hafen von Fisherman’s Wharf ein.

    Zurück

    „Wir kommen so nicht weiter." – Michael schüttelte den Kopf.

    „Dann revidieren wir", beendete Stephen die kurze Diskussion vor der Tür des Krankenzimmers. Der hagere Neurochirurg kniff seine schmalen Lippen zusammen. Er strich sich mit der rechten Hand durch seinen grauhaarigen Bürstenschnitt. Sein Arztkittel war von unten bis oben sorgfältig zugeknöpft.

    Zusammen mit dem Sicherheitsdienst betraten sie das verdunkelte Zimmer. Sie schalteten das Licht ein. Die Neonröhre an der Decke tauchte den Raum in eine nüchterne Helligkeit.

    „Warum steht denn hier ein Metalleimer mitten im Raum?", schimpfte Michael.

    „Für die leeren Infusionsbeutel", gab die eine der beiden Frauen des Sicherheitsdienstes zurück.

    Ärgerlich stieß Michael den Eimer mit dem Fuß an den Rand des Krankenzimmers. Es schepperte laut.

    Mit offen starrenden Augen lag er auf seinem Bett. Nach einem kurzen Blick auf den Monitor schaltete Stephen die Aufzeichnung des EEG ab. An den Kurven hatte sich seit einer Woche nichts verändert.

    „All die viele Arbeit…", seufzte Michael.

    „Lass uns retten, was zu retten ist. Wir haben auch ihm gegenüber eine Verpflichtung. Nicht nur dem Projekt gegenüber", entgegnete Stephen.

    Michael verzog seinen Mund. Dieser Fehlschlag war ihm lästig: „Ich bin froh, dass er keine Angehörigen hier in San Francisco hat. Keine Ehefrau, die unbequeme Fragen stellt."

    „Lassen sie den Operationssaal sofort vorbereiten", wandte sich Stephen an den Sicherheitsdienst.

    „Einen Narkosearzt brauchen wir nicht. Der Mann ist ohnehin nicht bei Bewusstsein. Und der Eingriff ist vollkommen schmerzfrei", ordnete Michael an. Je weniger Leute im Operationssaal dabei sein würden, umso lieber wäre es ihm.

    – „Wir holen es wieder raus", dachte Stephen laut und wunderte sich selbst, dass er das Unvorstellbare ausgesprochen hatte.

    Traum in der Nacht

    Es riecht nach frischem Kaffee und Toastbrot aus der Küche. Ich muss noch einmal eingeschlafen sein. Vier Uhr nachts war es, als ich von einem seltsamen Traum erwachte. Er wirkte sehr real. Ich kann mich an jedes Detail des Traums erinnern. – John bereitet schon das Frühstück vor. Das ist seine Spezialität. Ich höre ihn in der Küche laut und fröhlich hantieren. Das ist lieb von ihm. Also stehe ich eilig auf, um ihm von meinem Traum zu erzählen. Unser Haus am Berghang ermöglicht vom Esstisch aus einen freien Blick auf die Bucht von San Francisco. Tiefblau erscheint das Wasser, ein einzelnes Segelboot ist so früh am Morgen schon in der Bucht unterwegs.

    „Guten Morgen", begrüße ich ihn.

    „Einen herrlichen guten Morgen", gibt John schwungvoll zurück. In seiner hellblauen Jeans und dem weißen T-Shirt sieht er sehr jungenhaft aus. Niemand würde ahnen, dass er mit seinen 25 Jahren schon so viel berufliche Verantwortung trägt.

    Ich sehe, dass er sich sehr wohlfühlt, geradezu beschwingt sieht er aus. Er gibt mir einen Kuss, streichelt mit seinen Händen behutsam mein Gesicht, und ich setze mich zu ihm an den Tisch. Alles hat er schon vorbereitet. Ich spreche für mich kurz ein Gebet – dann greife ich zu. Kaffee. Butter. Marmelade. Toastbrot. Was braucht man mehr? Ich habe den ersten Bissen von meinem Toast noch nicht richtig geschluckt, da platzt es aus mir heraus: „Willst du wissen, was ich heute Nacht geträumt habe?"

    „Ja, Laura. Selbstverständlich. Du kannst es ohnehin nicht für dich behalten", gibt John lachend zurück.

    „Ich habe von einem Bach geträumt. Ich stand bis zu meinen Knöcheln im Strom des Wassers. Ich ging den Strom aufwärts. Ich ging dahin, wo das Wasser herkam. Da entdeckte ich, dass das Wasser aus einer gemauerten Wand kam. Es war irgendein Gebäude. Ich erlebte ganz

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