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Mutterherz Teil 2: Herzenssache
Mutterherz Teil 2: Herzenssache
Mutterherz Teil 2: Herzenssache
eBook239 Seiten3 Stunden

Mutterherz Teil 2: Herzenssache

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Über dieses E-Book

Das Streben nach Gewinn, die Liebe für ein Kind, die Gier nach Erfolg, der Wunsch nach Erkenntnis, die Angst vor dem Unbekannten - jeder hat etwas, das ihn antreibt – so auch der Mörder von Christine Deubacher. Musste sie sterben, weil sie sich als Umweltaktivistin Feinde machte? Oder weil sie die Tochter eines erfolgreichen Geschäftsmannes war? Oder weil sie sich in ihren Chef verliebte? Vielleicht starb sie, weil jemand ihre Arbeitsstelle wollte oder gar, weil sie nicht in die Familie passte? Stück für Stück kommen die Ermittler der Detektei Keller in Augsburg weiter. Währenddessen hält Praktikant Tim es gegenüber seinen Kollegen und der Auftraggeberin geheim, adoptiert zu sein, um in Ruhe parallel seine dunkle Herkunft erforschen zu können.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum3. Mai 2015
ISBN9783738026153
Mutterherz Teil 2: Herzenssache

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    Buchvorschau

    Mutterherz Teil 2 - Julie Starke

    Titel

    Mutterherz

    Teil 2

    Herzenssache

    Tim Fuchs 1. Fall

    Julie Starke

    Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

    Jegliche Vervielfältigung und jeder Auszug bedürfen der

    Genehmigung des Autors.

    Nahezu alle Figuren, Orte und Handlungen in diesem Werk basieren auf realen Personen, Plätzen und Ereignissen. Die Namen und Zusammenhänge dieser Geschichte sind jedoch frei erfunden.

    Mutterherz, o Mutterherz!

    Ach! wer senkte diese Regung,

    Diese flutende Bewegung,

    Diese Wonne, diesen Schmerz,

    Süß und schauervoll in dich!

    Gott, der Herzenbilder,

    Sprach zur roten Flut

    In den Adern: Milder

    Fließe, still und gut!

    Und da strömten Flammen

    Alle himmelwärts

    In der Brust zusammen,

    Und es ward ein Mutterherz.

    Mutterherz, o Mutterherz!

    Diese liebevolle Regung,

    Diese flutende Bewegung,

    Diese Wonne, diesen Schmerz

    Senkte Gott, nur Gott in dich!

    Christian Friedrich Daniel Schubart

    Was bisher geschah:

    Tim Fuchs arbeitet als Praktikant in der Detektei Keller, um die Zeit bis zur Polizeiausbildung zu überbrücken, die er aufgrund seines Übergewichts und seiner Kurzsichtigkeit noch nicht antreten darf. Die Detektei erhält den Auftrag einer reichen Schweizerin, um den Mörder ihrer Schwester Christine Deubacher zu finden. Ein Unfall kann aufgrund der durchgeschnittenen Telefonleitung und dem Obduktionsbericht ausgeschlossen werden. Verdächtig ist bisher der verheiratete Liebhaber der Verstorbenen, der gleichzeitig ihr Boss war und jetzt in Untersuchungshaft sitzt. Dann gibt es noch die verwitwete Nachbarin, die einen Schlüssel zur Mordwohnung besitzt; den wunderlichen Gärtner, der unglaublich wütend auf Christine ist; den neuen Vorstand der Drucktechnik Deubacher AG, der ohne Christines Tod nicht gewählt worden wäre; eine alleinerziehende Putzfrau mit Geldsorgen und eine kinderlose Geschäftsführerin - Letztere hat die Verluste durch ihre Scheidung noch nicht ausgeglichen, erhält aber neue Aufträge, weil ihr größter Konkurrent in Untersuchungshaft sitzt. Während der Arbeiten werden die Ermittler von weiteren Sorgen geplagt: Die Angaben der Auftraggeberin stimmen nicht. Manfred Keller bekommt eine schlechte Nachricht, die ihn sehr mitnimmt. Franziska Lausitz bemerkt, dass ihr arbeitsloser Ehemann das Haushaltsgeld verspielt und Tim wartet sehnsüchtig auf den 17. April, den Tag, an dem er hoffentlich das Geheimnis um seine Herkunft lüften wird.

    Mittwoch, 28. März 2012

    Es ist eine Sache, wenn sich Wolken am Himmel zu einer dunklen Decke verdichten. Das Wetter drückt auf das Gemüt, senkt die Motivation und lässt auch den einen oder anderen verdrängten Gedanken ungewünscht zum Vorschein kommen. Irgendwann, ganz sicher, wird der Himmel wieder aufreißen und das vertrauenserweckende, sehnsuchtsvoll erwartete Blau wieder durchblicken lassen. Etwas ganz anderes ist es, wenn die Wolken beginnen, um das eigene Herz zu kreisen. Wenn sie dann allmählich so eng werden, dass kein anderes Gefühl außer bitterem Misstrauen mehr Platz hat, schwindet die Hoffnung auf einen Irrtum.

    Tim rieb sich den dunkelblonden Schopf. Frau Hänggis Information über die Geschäftsanteile ihrer Schwester war nachweislich falsch gewesen. Außerdem durfte er eines nicht außer Acht lassen: Silvia Hänggi hatte Gelegenheit gehabt, vor dem Detektivbesuch die E-Mail in den Drucker zu legen, das Telefonkabel durchzuschneiden und das Weinglas mit Heldmanns Spuren zu platzieren. Ihre milchkaffeefarbenen Augen leuchteten in seiner Erinnerung auf. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Er wollte nicht, dass Frau Hänggi etwas mit dem Tod ihrer Schwester zu tun hatte. Er musste etwas tun. Irgendetwas, bevor Manfred Keller oder Franziska Lausitz ebenfalls misstrauisch wurden.

    ***

    Was war schlimmer: ihr eigener Anblick oder der Schmerz, der sie erfüllte? Das Bild im Badezimmerspiegel bewies, was sie noch immer nicht glauben konnte. Der Abdruck seiner einzelnen Finger zeichnete sich sichtbar auf ihrer Wange ab: Vier lange, kräftige Spuren, die sich von der Nasenfalte bis zum Ohr ausdehnten. Sie drehte ihren Kopf leicht und zuckte empfindlich. Der Schmerz zog sich durch die Halswirbel. Ihre Haut im Gesicht brannte bei der kleinsten Berührung. Sie ließ kaltes Wasser über einen Waschlappen laufen, kühlte ihre Backe. Im Spiegelbild sah sie sich selbst in die Augen.

    „Du bist wirklich zu weit gegangen, Franziska! Du hast ihn hintergangen. Du hast dich hinter seinem Rücken in seine Angelegenheiten eingemischt. Er leidet unter der Arbeitslosigkeit, versucht Ideen zu entwickeln und umzusetzen für uns und unsere Familie. Und dann wirfst du ihm Faulheit im Haushalt vor! Haushalt ist nun mal nicht sein Ding! Diese Rolle ist er nicht gewöhnt und er will sie auch nicht. Er leidet. Und was machst du? Du zerstörst seine Alternativen! Du schreibst hinter seinem Rücken seine Freunde an und streust auch noch Salz auf seine Wunden."

    Neben dem Schmerz im Gesicht fühlte sie nichts als Scham darüber, mit unbedachten Äußerungen ihren Mann dazu gebracht zu haben, ihr weh zu tun.

    Montag, 02. April 2012

    An diesem unheilvollen Montag brachte Elena Siebert ihrem neuen Boss um 16:30 Uhr die Unterschriftenmappe, damit er die Post bis 16:45 Uhr unterschreiben konnte. Seit Callum Black zum Vorstand der Aktiengesellschaft ernannt worden war, war Elena Siebert schon fünf Mal zu spät zum Abholen in den Kindergarten gekommen. Die traurigen Augen und das vorwurfsvolle „Ich bin das letzte Kind. Warum holst du mich so spät?" ihres Sohnes reichten völlig aus, ihr ein bleiernes Gewissen zu machen. Aber das war nicht das schlimmste. Die Erzieherinnen im Kindergarten nahmen die ersten vier Male das Zuspätkommen mehr oder weniger kommentarlos hin. Vergangenen Donnerstag jedoch wies die Gruppenleiterin auf die Klausel im Betreuungsvertrag hin, in dem wiederholtes, zu spätes Abholen als Grund zur Kündigung des Betreuungsplatzes genannt wurde. Frau Siebert verstand den Wink, gelobte Besserung und holte ihr Kind am Freitag vorbildlich eine Viertelstunde vor Ende der Abholzeit. Aber der Boss saß da in einem Meeting und sie konnte pünktlich gehen. Der Verlust des Kindergartenplatzes würde das Aus ihrer Arbeitsstelle bedeuten. Und mit nur einem Gehalt konnten Wieland und sie die Rate für das Haus nicht mehr bezahlen. Jetzt war es kurz vor fünf und die Mappe lag noch immer bei ihm. Beunruhigt sortierte sie die Unterlagen auf ihrem Arbeitsplatz, räumte den Tisch auf und spülte ihren Kaffeebecher in der Teeküche aus. Um Punkt 17:00 Uhr öffnete sie den Büroschrank, zog ihre bequemen Büroschuhe aus und ihre Straßenschuhe an. Sie schlüpfte in ihren Mantel, legte sich ihre Riemchenhandtasche um die linke Schulter und wartete. Was würde passieren, wenn sie jetzt einfach ging? Herr Black würde sehr wütend werden. Die Minuten vergingen. Ihre Unruhe wuchs. Sie spürte sie in jeder Faser ihres Körpers. Sie musste spätestens um 17:15 Uhr gehen, um noch pünktlich zum Kindergarten zu kommen. Die Uhr zeigte 17:05 Uhr. Feierabend seit fünf Minuten. Doch solange die Unterschriftenmappe noch nicht zurück war, konnte sie die Post nicht zum Versand fertig machen – und das war nun mal ihr Job. Und heute war das wichtige Schreiben an die Bank dabei. Das Schreiben, um das den ganzen Vormittag ein irrsinniger Aufwand betrieben worden war.

    Der Minutenzeiger sprang auf die 2. Elena Siebert fasste einen Entschluss. Sie würde beim Chef anklopfen und ihn um die Mappe bitten. Sie klopfte an. Nichts tat sich. Als sie ihre Hand auf die kalte Klinke legte, pochte ihr Herz aufgeregt. Sie klopfte erneut und öffnete gleichzeitig die Tür.

    „Herr Black, begann sie. „Die Mappe!

    Callum Black, der hinter dem schwarzen Monitor kaum zu sehen war, fuhr hoch. „Sehen Sie nicht, dass ich hier arbeite?"

    „Ich muss gehen. Wenn die Post heute noch raus soll, brauche ich die Mappe jetzt!"

    „Dann nehmen Sie sie doch einfach mit und lassen mich endlich in Ruhe!"

    „Haben Sie unterschrieben?" wagte sie zu fragen.

    „Wie lange wollen Sie mich noch nerven? Nehmen Sie das Ding und verschwinden Sie! Auf Wiedersehen!"

    Frau Siebert angelte nach der Mappe. Ihre Lippen formten einen Abschiedsgruß, doch sie brachte es nicht fertig, ein „Wiedersehen" hörbar auszusprechen. Im Sekretariat schlug sie die Mappe auf. Mit raschen Händen nahm sie ein Schreiben nach dem anderen heraus, faltete es geschickt und steckte es in einen weißen Umschlag. Beim vierten Bogen sah sie es. Ausgerechnet das Schreiben, welches an die Bank ging. Die Unterschrift fehlte. Hastig durchforstete sie die anderen Papiere. Die Unterschrift fehlte sonst nirgends. Die Uhr zeigte 17:15 Uhr. Sie musste jetzt das Büro verlassen, um ihr Kind zu holen.

    Was sollte sie bloß tun?

    Um Zeit zu gewinnen, tütete sie zunächst die unterschriebenen Briefe ein und frankierte diese. Dann fasste sie kurzerhand einen Entschluss. Sie klebte ein Post-it auf den nicht unterschriebenen Brief, kritzelte eine Notiz und faxte das Schreiben an die Bank. Es war sechs Minuten vor halb sechs. Mit hinter sich herfliegender Handtasche und der rutschenden Post unter dem Arm eilte sie zum Kindergarten.

    ***

    Der neue Praktikant hatte kugelrunde schokobraune Augen, bonbonrosafarbene Strähnen in fast pechschwarzem Haar und war ein Mädchen. Nuray Yilmaz‘ lilafarbene Sternenohrringe baumelten an ihren Ohren im selben Takt, wie sie ihren Kaugummi kaute. Die vierzehnjährige Neuntklässlerin war nicht groß - etwa einen guten Kopf kleiner als Tim - und wenn man die aufgetürmten Haare einmal hinunter kämmte und die Absatzschuhe wegließ, dann ging sie ihm nur knapp bis zur Brust.

    „Ich bin schon sehr gespannt, was ich hier alles tun darf! plapperte sie. „Ich habe mir extra so eine Fucking-Army-Hose gekauft, damit ich auch versteckte Beobachtungen durchführen kann. Alter, die war scheißteuer!

    Tim stutze über ihre Ausdrucksweise. „Eine was?"

    „Eine Army-Hose. Mit so ‘nem Tarnaufdruck, damit man zwischen Büschen und Sträuchern nicht so leicht entdeckt wird."

    „Ich glaube nicht, dass du hier eine 'versteckte Beobachtung zwischen Büschen und Sträuchern’ durchführen musst", sagte Tim leicht belustigt.

    „Ich kann sie natürlich auch einfach so anziehen! antwortete Nuray schnell. „Ist gar nicht schlimm. Sieht auch so geil aus! Was machen wir denn sonst noch so?

    „Die Arbeit ist ganz abwechslungsreich. Natürlich viel Bürokram. Herr Keller macht oft Observierungen. Das heißt, er beobachtet Leute und schreibt auf, was die so tun. Meist überprüfen wir Daten, Adressen, holen Schufa-Auskünfte und so was. Aber hin und wieder gibt es zum Beispiel auch Aufträge, bei denen wir in Geschäften, die uns dafür bezahlen, klauen, um Schwachstellen aufzuzeigen."

    „Das ist cool. Dann wird man fürs Klauen bezahlt? Geil."

    Tim zeigte ihr das Büro und führte sie dabei durch sämtliche Räume. Franziska Lausitz war heute nicht da, weshalb Nuray am Empfang sitzen sollte. Franziska würde ihre helle Freude an der quirligen Türkin haben, dessen war sich Tim sicher.

    „Hier ist das Telefon. Falls du mal die Tür öffnen musst…", begann Tim und wurde von ihr sofort unterbrochen.

    „Ist klar, dann ruf ich erst mal jemanden an und frag, ob ich den Kerl auch wirklich rein lassen soll."

    „Nein, widersprach Tim. „Dann gibst du diesen Code ein und kannst an der Sprechanlage hören, was er sagt… er tippte auf das Tastenfeld „und dann bestätigst du das mit der Rautetaste."

    „Was ist eine Rautetaste?"

    „Na, dieses Doppelkreuz hier, der Gartenzaun!"

    „Ach, Hashtag meinst du!"

    „Wie auch immer. Du drückst und dann öffnet sich die Absperrung und die Tür kann aufgedrückt werden."

    „Und ich lass alle rein die klingeln? Einfach so?"

    „Jep!" antwortete Tim.

    „Und was braucht‘s ihr dann so ein scheißmerkwürdiges Türabsperrungssystem? Wenn ich doch jeden rein lassen tu?"

    „Damit niemand, der hier arbeitet, einen Schlüssel braucht. Es funktioniert über den Fingerabdruck."

    „Cool! antwortete Nuray und schob den Kaugummi von einer Backe kauend in die andere. „Wenn einer einbrechen will, muss er dir den Finger abschneiden und ihn an das Dings halten, damit die Tür aufgeht!

    „Sensor", korrigierte Tim und schob sie sanft vom Empfang weg.

    „Das hier ist der Kopierer. Wir können alles kopieren, Din A 4, Din A 3, schwarz und bunt, beidseitig und von zwei einzelnen Kopien auf eine Doppelseite…"

    „Und umgekehrt", ergänzte Nuray.

    „Das weiß ich nicht", gab Tim zu, der das noch nie probiert hatte. Er zeigte Nuray die kreischende Kaffeemaschine und wie man sie bediente.

    „Und wo ist das Labor?" fragte Nuray, nachdem sie den Rundgang beendet hatten.

    „Welches Labor?"

    „Na, in CSI haben sie immer so coole Labore mit Schwarzlichtlampen, in denen sie dann die Spurensicherungen mit den Mikroskopen machen und so."

    „Das ist bloß eine TV-Serie! Dort laufen sie auch mit Taschenlampen am Tatort herum, obwohl sie einfach Licht anknipsen könnten."

    „Echt? Ist mir noch nicht aufgefallen, antwortete Nuray und dachte einen Augenblick lang nach. „Du hast Recht, Mann, Alter! Gestern hatten sie auch Taschenlampen an. Hab noch nie darüber nachgedacht, weshalb sie das Licht nicht anmachen! Nuray sah sich um. „Also, kein Labor?"

    „Nein, bestätigte Tim. „Kein Labor.

    „Och, Nuray zog eine Schnute. „Und ich hab mich schon so darauf gefreut, in so ‘nem Laborkittel am Tisch zu stehen und verfickte Proben auszuwerten und genetische Fingerabdrücke zu untersuchen und mit den assligen Tätern zu vergleichen und so ‘n Scheiß.

    „Für so etwas beauftragen wir eine andere Firma."

    „Für was?"

    „Für Vaterschaftsgutachten oder so, wenn ein genetischer Abgleich durchgeführt werden muss. Wir nehmen nur die Proben und schicken sie ins Labor."

    „Cool. Darf ich das mal sehen?"

    „Wie wir die Proben verpacken und Briefmarken drauf kleben?"

    „Nein, wie die arbeiten, um die Täter zu überführen."

    „Dann musst du ein Praktikum im Labor machen. Wir selber geben nur unsere Materialien ab und warten auf die Ergebnisse."

    „Aha", sagte Nuray verständnislos.

    Herr Keller kam schwungvoll durch die schwere Eingangstür. „Ah, die Praktikantin ist schon da! sagte er freundlich. „Wie heißt du?

    „Nuray."

    „Und dein Vorname?"

    „Immer noch Nuray. Das ist türkisch und heißt Mondlicht. Nur steht für Licht und Ay ist der Mond."

    Herr Keller nickte abwesend. „Ich muss noch einiges mit dir besprechen!"

    Nuray nickte eifrig. Keller bat Tim um einen Kaffee, bevor er sich mit der Praktikantin zurückzog. Tim wusste, was jetzt kam. Er hatte die Prozedur ebenfalls in seiner ersten Praktikantenwoche über sich ergehen lassen. Es waren seitenweise Aufklärungen über die Vertraulichkeitsklausel, die sie unterschreiben musste und ausführliche Belehrungen über die notwendige Diskretion und Ernsthaftigkeit der jeweiligen Aufträge.

    Es dauerte 20 Minuten, bis Nuray seufzend aus dem Besprechungszimmer wieder herauskam. Keller wies Tim an, ihr die Archivierung zu zeigen und verließ dann die Detektei. Der kastige Aktenschrank und das Archiv im Keller waren nicht groß und Tim erklärte rasch, wie es funktionierte.

    „Und was soll ich jetzt machen? fragte Nuray und klang gelangweilt, als Tim sie dann am Empfang Platz nehmen ließ. „Warten bis jemand kommt und dann den Code eingeben? Kommt heut überhaupt jemand?

    „Es sind keine Termine vergeben. Aber ich glaube, ich hab da was für dich!"

    ***

    Nacht auf Dienstag, 03. April 2012

    Die Brücke spannte sich fast endlos weit über grässliches, unheilvolles Nichts. Es war ihm egal, wohin oder worüber die Brücke führte. Vollkommen egal. Das einzige, was ihn interessierte, war die Person, die sich langsam, aber stetig, darüber bewegte. Er wollte sie sehen. Ihr Gesicht sehen. Unbedingt.

    Er folgte ihr.

    Dreh dich!

    Bitte.

    Sie drehte sich nicht um. Er lief ihr hinterher, setzte einen Fuß vor den anderen. Eilte weiter. Sein Wunsch, sie zu berühren - nicht grob, sondern vorsichtig nur am Saum zupfend, damit sie anhielt und ihn eines Blickes würdigte - wuchs ins Unermessliche. Doch hier lief etwas schrecklich schief. Er konnte sie nicht berühren. Seine Arme waren zu kurz. Er kam nicht voran – und sie entfernte sich weiter. Wenn er jetzt nichts tat, würde sie einfach entschwinden. Tim sammelte seine Kräfte und überwand sich. Er rief, sie solle stehen bleiben.

    Sie musste ihn doch gehört haben! Er rief, nein er schrie, bis ihm der Hals brannte.

    Für einen Moment hielt sie inne.

    Bitte, dreh dich um!

    Dann setzte sie wieder einen Fuß vor den anderen. Als sei gar nichts echt. Nicht sie, nicht er. Nicht die Brücke, nichts.

    Wut breitete sich in ihm aus. Er wollte sie an der Schulter packen. Sie dazu bringen, sich ihm zu zeigen. Doch der Abstand zwischen ihnen wurde immer größer. Das war doch nicht möglich! Tim sah sich verwirrt nach hinten um und stellte fest, dass er keinen Meter zurückgelegt hatte.

    Bitte. Dreh dich um! Zeig nur einmal dein Gesicht. Bitte.

    Als sie nur noch ein winziger Punkt am Horizont war, liefen ihm Tränen übers Gesicht. Sie hatte ihn erneut verlassen. Die kalte Klaue ergriff sein Herz und drückte zu.

    „Tim!"

    Das Licht erhellte schlagartig den Raum. Tim schrak auf.

    „Was ist? Dein Gesicht ist ja ganz nass. Du hast geschrien!"

    Tim kniff die kurzsichtigen Augen zusammen, um die Digitalziffern seines Radioweckers abzulesen. Es war

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