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Mutterherz Teil 3: Herzrasen
Mutterherz Teil 3: Herzrasen
Mutterherz Teil 3: Herzrasen
eBook235 Seiten3 Stunden

Mutterherz Teil 3: Herzrasen

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Über dieses E-Book

Die Polizeisirene schrillte so laut, dass Slavica zu Schreien begann: "Zu laut! Zu laut!" Ihre Mutter stand auf, um das Küchenfenster zu schließen. Auf der Hoffläche stand ein Streifenwagen. Ihr wurde heiß.
Kamen sie her, um sie zu holen...? Im dritten Teil der Trilogie Mutterherz wird die Schlinge um die Verdächtigen eng wie ein Nadelöhr. Doch dann werden die Verfolger plötzlich zu Gejagten und müssen um ihr Leben fürchten. Tim, der nicht nur einen Mörder, sondern auch seine Mutter sucht, steht am Ziel seiner Suche. Doch das hatte er sich ganz anders vorgestellt.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum12. Okt. 2015
ISBN9783738042979
Mutterherz Teil 3: Herzrasen

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    Buchvorschau

    Mutterherz Teil 3 - Julie Starke

    Herzrasen

    Mutterherz

    Teil 3

    Herzrasen

    Tim Fuchs 1. Fall

    Julie Starke

    Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

    Jegliche Vervielfältigung und jeder Auszug bedürfen der

    Genehmigung des Autors.

    Nahezu alle Figuren, Orte und Handlungen in diesem Werk basieren auf realen Personen, Plätzen und Ereignissen. Die Namen und Zusammenhänge dieser Geschichte sind jedoch frei erfunden.

    Was bisher geschah:

    Während die Ermittler den Täterkreis immer weiter eingrenzen, hält Praktikant Tim es gegenüber seinen Kollegen und der Auftraggeberin geheim, adoptiert zu sein, um in Ruhe parallel seine dunkle Herkunft erforschen zu können. Dessen Adoptiveltern sind durch seinen Wunsch, etwas über seine leiblichen Eltern zu erfahren, gekränkt. Ihn wiederum kränken die mangelnde Unterstützung und die jahrelangen Lügen. Tim findet die Namen seiner Mutter, deren Eltern und später seines Bruders heraus, der ebenfalls zur Adoption gegeben wurde und brennt darauf, alle ausfindig zu machen. Franziska Lausitz wird von ihrem spielsüchtigen Mann geschlagen, misshandelt und gedemütigt, aber trennt sich nicht von ihm, weil sie hofft, dass er wieder zu sich finden wird. Sie vertraut sich niemandem an und leugnet, als Tim es herausfindet. Das Konkurrenzdenken zwischen Tim und Franziska erschwert die Zusammenarbeit zwischen beiden emotional sehr, führt aber zu hervorragenden Ergebnissen. Die für zwei Wochen in der Detektei beschäftigte Schülerpraktikantin Nuray bringt mit ihrer offenen Art und unflätigen Ausdrucksweise den Ermittlern zunächst nur Mehrarbeit. Letztlich sind es aber ihre Kenntnisse von Abkürzungen bei der SMS-Kommunikation, die zur Auswertung der Texte des Todesopfers führen und einen Verdächtigen ausschließen. Tim beginnt ein heimliches Liebesverhältnis mit der reichen Klientin, die sich zu ihm hingezogen fühlt, weil er ihr zuhört und bei der Beerdigung der Schwester beisteht. Er recherchiert ohne Erlaubnis auf eigene Faust, in dem er Verdächtige und Zeugen aufsucht, im Wissen, seinen Job zu riskieren. Der Geliebte und ehemalige Chef Christine Deubachers wird durch die Detektive als Täter ausgeschlossen, ebenso wie die nette Nachbarin und die Konkurrentin der Arbeitsstelle, auf die sich Christine bewarb. Aber da sind noch immer der neue Vorstand der Drucktechnik Deubacher AG, der ohne Christines Tod nicht gewählt worden wäre, der frustrierte Onkel, die unbekannte Putzfrau und die hautkranke Geschäftsführerin. Haben sie etwas mit dem Todesfall zu tun? Schließlich statten die Detektive dem wunderlichen Gärtner, der mit Christine über viele Jahre befreundet war, einen Besuch ab und erfahren Ungeheuerliches.

    Freitag, 27. April 2012

    Es war ihm niemals darum gegangen, Polizisten zu beleidigen oder Sachbeschädigungen gutzuheißen. Das war nur ein mehr oder weniger unerwünschter Nebeneffekt. Keiner von ihnen hatte Spaß daran, in bitterer und nasser Kälte des Spätherbstes in Gorleben all das zu tun, nein. Es ging darum, ein Zeichen zu setzen; die Welt darauf aufmerksam zu machen, dass durch unverantwortliches, menschliches Handeln radioaktiver Müll entstand, der quer durch Europa gekarrt wurde und Deutschland nie wieder verlassen sollte. Aber dass Deutschland ihn dafür bestraft sehen wollte, weil er das Richtige tat, musste an die Öffentlichkeit. Er wollte alles dafür tun, dass sein Strafprozess in die Öffentlichkeit rückte, dass Fernsehteams und Reporter die Verhandlung verfolgten und alle Medien darüber berichteten. Und Christine hatte es verhindert. Niemand würde sich jetzt noch für seine Gesinnung, seine Gedanken, seine Erklärungen und seine Gefühle interessieren, schon gar kein Reporter.

    Ende Februar hatte sie ihn in seiner Wohnung besucht, braungebrannt und ungemein fröhlich. Sie erzählte von ihrem Freund, von herrlichen Stränden und blaugrünem Meer und merkte gar nicht, wie oberflächlich sie geworden war. Er zeigte ihr den Strafbefehl, der seinen Widerstand gegen die Polizisten, die ihn gewaltsam von den Schienen wegtragen mussten, in einer Geldsumme bezifferte. Mit Enthusiasmus schilderte er ihr seinen Plan. Er hatte in den letzten Wochen intensiv daran gearbeitet: Deutschland sollte auf ihn sehen, wenn er im Gerichtssaal stand und darauf aufmerksam machte, wie furchtbar kurzsichtig der Staat war. Ein Staat, der noch immer auf Atomenergie setzte und radioaktiven Müll produzierte, der zahlreiche Generationen überdauern würde, ohne etwas an seiner Gefährlichkeit einzubüßen. In seiner öffentlichen Gerichtverhandlung würde er die Gelegenheit nutzen aufzuzeigen, welch Wahnsinn in Deutschland, in Europa und in der ganzen Welt betrieben wurde, in dem der Mensch sein Bedürfnis nach Energie über die Belange der Natur stellte. Christine hörte ihm kopfschüttelnd zu. Sie sagte dauernd, dass das der falsche Weg sei. Er würde sich selbst ruinieren, lächerlich machen und der Sache damit nicht dienen. Er hielt dagegen und zeigte ihr sein Werk. Er hatte lang für den Text gebraucht. Es war eine Mischung zwischen Pressemitteilung, offener Brief und Pamphlet, für Behörden, Ämter, Firmen und natürlich für die Zeitungsredaktionen und Fernsehanstalten gedacht. Nicht nur für die in Deutschland, sondern auch für alle Staaten, die an diesem Wahnsinn mitarbeiteten. Für Frankreich hatte er eigens eine französische Übersetzung anfertigen lassen. Christine sah auch Exemplare in englischer, italienischer, polnischer, russischer und in drei weiteren Sprachen, die sie nicht zuordnen konnte. Levin hatte bereits Kopien gefertigt. Der Stapel war fast kniehoch. Seit gestern stellte Levin sämtliche Adressen zusammen, um sein Werk per Post zu verschicken. Dadurch versprach er sich eine höhere Aufmerksamkeit bei den Adressaten. E-Mails würden möglicherweise im Spamordner landen. Levin reichte Christine das Papier. Seine Fingernägel hatten einen dunklen Rand. Egal, mit wieviel Seife er die Nägel bürstete, als Gärtner ließen sich die Spuren seiner Arbeit nie ganz beseitigen. Christine nahm sich Zeit, den Text gründlich zu lesen. Sie griff nach ihrem Handy. Für einen Augenblick lang glaubte Levin, er würde sie mit weiteren Adressen versorgen. Christine hatte gute Kontakte. Vielleicht rief sie jemanden an, der sich mit Marketing und Verbreitung gut auskannte? Oder schrieb sie wichtigen Personen eine SMS? Mit Christine im Boot würde er die stürmische Reise in die Öffentlichkeit meistern und für einen Empfang im Hafen sorgen, über den man noch lange sprechen würde. Sie ließ sich den Strafbefehl mit der Zahlungsaufforderung geben. Es dauerte fast drei Minuten, bis Levin merkte, dass Christine etwas anderes tat.

    „Die Staatsanwaltschaft wird dich jetzt in Ruhe lassen, sagte sie. „Lass du sie auch in Ruhe!

    Sie hatte die Geldstrafe online mit ihrem Handy überwiesen.

    Erst wich das Blut aus seinem Gesicht, um einen Augenblick später heiß kochend zurückzukehren. Mit ungewöhnlich donnernder Stimme warf er ihr Verrat vor. Christine gab das gleiche zurück. Doch Levin wusste nicht, wovon sie sprach.

    „Ich habe Conny getroffen. Bei Visionwunder. Das ist die Firma, bei der ich mich beworben habe."

    „Und?"

    „Sie war zeitgleich mit mir zum Bewerbungsgespräch eingeladen."

    Levin erinnerte sich, seiner Schwester davon erzählt zu haben. Doch dass Conny sich daraufhin selbst bewarb, war ihm neu.

    „Ich kann nichts dafür, dass sie in der gleichen Branche arbeitet wie du", antwortete er patzig. Er sah in ihre blauen Augen. Sie verengten sich zu schmalen Schlitzen, als sie weitersprach.

    „Von der freien Stelle bei Visionwunder konnte sie nur durch dich erfahren haben. Die Stelle war noch gar nicht offiziell ausgeschrieben! Du weißt, wie wichtig mir der Arbeitsplatzwechsel ist! Und dann sorgst du für meine Konkurrenz!"

    Jetzt wurde Levin der Zusammenhang klar. Wie konnte er sich in der langjährigen Freundin nur so irren? „Deswegen hast du meine Strafe überwiesen! Du willst dich an mir rächen, weil ich Conny von der freien Stelle erzählte. Deswegen ruinierst du meinen Plan!"

    „Was?" rief Christine verständnislos.

    Mit der Kraft einer Gärtnerhand schlug er auf die Holzplatte des Tisches, dass die Gläser klirrten. „Du denkst nur an Geld und Arbeitsstellen! Für das Wohl unserer Erde interessierst du dich in Wirklichkeit gar nicht. Du bist rücksichtslos wie all die anderen Kapitalisten und Schlipsträger, die unserer Erde schaden!"

    Christine stand auf, nahm wortlos ihre Jacke vom Garderobenhaken und ging. In Levin tobte feurige Wut. Wut auf Conny und noch mehr Wut auf Christine. Er wollte Christine nie wieder sehen und darin hart bleiben. Er löschte die Kontaktdaten aus seinem Mobiltelefon, vernichtete E-Mails, zerriss Fotos. Jedes Mal, wenn sein Blick auf die zahlreichen Kopien fiel, fühlte sich die neue Härte gut und richtig an. Doch nach wenigen Wochen vermisste er die alte Freundin schmerzlich. Sie trug Schuld daran, dass die Behörden und Politiker so weiter machen würden, wie bisher. Die Umweltverschmutzung durch Müll, die Verseuchung durch Chemikalien, die Verstrahlung durch radioaktives Material und letztlich die Vernichtung von natürlichem Lebensraum schritten unaufhörlich weiter voran – und Christine wechselte die Seiten! Sie unterstützte jetzt das System, statt die Idee. Er redete sich ein, sie wisse nicht, was sie getan hatte. Vielleicht war ihr neuer Kapitalisten-Lover an ihrer Wandlung schuld? Levin haderte. Er sollte ihr verzeihen. Doch tief in sich spürte er, dass er noch nicht verzeihen konnte. Er hatte alles versucht, war sogar am See gewesen, um mit sich wieder in Einklang zu kommen. Aber dieses Mal half ihm das Wasser nicht. Statt befreit und heldenhaft aus dem Wasser empor zu steigen, war er ein Idiot, der sich bei Temperaturen von knapp über Null Grad in einem Waldsee beinahe eine Lungenentzündung holte. Wie viele Tage waren vergangen? Wochen? Monate? Die Hoffnungslosigkeit, die Welt und ihre Schönheit noch retten zu können, überfiel ihn und Schmerz breitete sich in ihm aus. Der Schmerz begrüßte ihn nach dem Aufwachen, begleitete ihn den Tag über und ging mit ihm zu Bett. Eines Morgens ging Levin nicht mehr zur Arbeit. Ihm fehlte die Kraft, sich aus dem Bett zu erheben. Er wünschte sich so sehr, Christine würde sich melden. Sie würden sich in die Arme nehmen und neue Projekte planen. Aber das tat sie nie.

    Und jetzt wusste er warum. Sie konnte es nicht mehr, nie wieder. Und dieses Wissen färbte die Wolken seiner Welt schwärzer als alles, was er je zuvor gesehen hatte.

    ***

    Levin Hönig war kein Täter. Nur ein depressiver Sonderling mit verletzten Idealen. Nachdem Manfred Keller und Tim Fuchs sich vergewissert hatten, dass seine Schwester nach ihm sehen würde, verließen sie seine Wohnung. Die Hönig-Geschwister konnten als Täter ausgeschlossen werden.

    „Das bedeutet, fasste Manfred Keller während der Rückfahrt in die Detektei zusammen „dass Sie um die Einschleusung in das Unternehmen Bayerisch Media nicht herum kommen. Wir brauchen die internen Informationen. Bald.

    Tim wusste noch nicht, ob ihm das gefiel. Er fuhr Herrn Keller heim und stellte das Auto in der Detektei ab. Die warme Abendsonne tauchte die Welt in ein freundliches Gelb. Das erste Mal seit Monaten ließ Tim die Mütze im Rucksack stecken, bevor er sich auf sein Fahrrad schwang. Im Gepäck hatte er ein paar Liebesromane und eine Schachtel Zigaretten.

    „Hallo, ich bin Tim!" sagte er sanft.

    „Hallo. Ich bin Konrad. Sind Sie der neue Pfleger?"

    „Nein, das ist Bojan. Ich bin Tim. Ich komme Sie besuchen! Wo ist Maria?"

    „Maria, heidernei, war das ein Feger."

    „Wo ist sie?"

    „Nicht da. Ich bin da. Haben wir uns schon einmal gesehen?"

    Tim sank das Herz. Die Frau, welche ihm gegenüber saß, war heute wieder so verwirrt, dass er keinen Zugang zu Maria kriegen würde.

    „Ja, gestern!" sagte Tim.

    In ihrem Gesicht versuchte er, irgendwelche Ähnlichkeiten festzustellen. Aber da war nichts. Nichts an dieser Frau erschien ihm irgendwie ähnlich. Sie trug allerdings wieder auffällig viel Makeup.

    „Ich war mit Ihnen im Garten und später habe ich Ihnen eine Geschichte vorgelesen."

    „Ah, vorlesen, wie schön!" schwärmte die Rothaarige. Eigentlich müsste man Orangehaarige sagen, dachte Tim, denn die Haarfarbe war wirklich karottig. Das war mit Sicherheit keine Naturhaarfarbe. Möglicherweise war sie früher vielleicht echtrothaarig gewesen?

    „Maria hat mir immer vorgelesen. Ich kann leider nimmer selbst lesen, meine Augen wollen nimmer."

    „Ich hab Ihnen etwas mitgebracht. Schauen Sie mal. Das sind lauter Romane. Wie der, den wir gestern gelesen haben. Nur etwas länger. Wollen Sie es hören?"

    Die alte Dame nickte.

    Und dann setzte sich Tim in das kleine Zimmerchen im Altenheim auf einen Stuhl, während Frau Maria Tann alias Konrad eingekuschelt im Sessel saß und den billigen Liebesromanen vom Kiosk lauschte.

    Samstag, 28. April 2012

    Ein 7,5 Tonnen Laster mit Münchner Kennzeichen blockierte einen Fahrbahnstreifen der Moltkestraße komplett. Er war nur zweiachsig, hatte aber eine elektrische Ladeklappe, die immer wieder rauf und runter fuhr, während polnisch und tschechisch sprachige Möbelpacker ein Möbelstück nach dem anderen aufluden. Tim drängte sich ins Treppenhaus, vorbei an weiteren Helfern, welche Kisten über die steinernen Stufen aus der Wohnung trugen.

    „Herr Fuchs!" hörte er eine freundliche Stimme.

    „Frau Wagner, Grüß Gott, wie geht es Ihnen?" fragte Tim und bereute die Frage sofort. Frau Wagner tat das, was er befürchtet hatte und was sie unermüdlich beherrschte: Sie quasselte.

    „Danke, danke! Mit dem Kreuz hab ich’s und seit neuestem mit der Blase… Keine schöne Sache, keine schöne Sache, sag ich Ihnen. Bin ganz unglücklich darüber. Zum Internisten muss ich, oder? Oder geht man da zum Urologen? Blasenentzündung und das in meinem Alter… man glaubt es nicht, aber stellen Sie sich vor, ich kann keine Nacht mehr durchschlafen, weil ich so oft aufstehen muss. Ich hab bestimmt schon zwei Liter Nieren- und Blasentee getrunken, muss davon aber nur noch mehr aufs Klo."

    „Aber das spült alles durch und schwemmt die Bakterien hinaus. Falsch ist es auf keinen Fall!" unterbrach Tim freundlich und bewegte sich einige Schritte weiter auf die Tür von Frau Deubachers Wohnung zu. Einer der Möbelpacker bat ihn, zur Seite zu gehen und Tim wich einer Anrichte aus.

    „Heute räumen s‘ alles aus, gell? Die arme Frau Deubacher, so eine nette Nachbarin. So traurig ist das, mei. Ich hab übrigens die Putzfrau wieder getroffen."

    „Die Putzfrau von Frau Deubacher?"

    „Ja, die nette Dame aus Sarajewo."

    „Und wo?"

    „Oh, wir haben zusammen im Wartezimmer gesessen. Sie hat eine Tochter im Rollstuhl mit ganz verdrehten Füßen! Die ist auch sonst nicht ganz gescheit und muss ganz oft zum Arzt. Ich hab sie dort getroffen. Bei meinem Orthopäden in der Grottenau. Ich hab es doch mit dem Kreuz, hab ich das schon erwähnt? Ist eben nimmer dasselbe, ob man 30, 40 oder 80 ist…. Bei mir steckt es buchstäblich in den alten Knochen."

    „Haben Sie gefragt, wie sie heißt?"

    „Wie sie heißt? Nein, ich habe sie nicht gefragt."

    Tim seufzte still für sich. Es wäre auch zu schön gewesen! Er wollte sich verabschieden, um in die Deubacher Wohnung zu kommen. Doch Frau Wagner war mit dem Gespräch noch nicht am Ende.

    „Aber die Sprechstundenhilfe hat sie aufgerufen. Slavica heißt die Tochter, das weiß ich sicher. Und die Mutter… Gesichter vergesse ich nie. Aber Namen? Jetzt hab ich es. Alpia irgendwas, glaub ich."

    „Alpia?"

    „Ja, ist nicht so häufig bei uns in Deutschland. Ich dachte noch, sie heißt wie eine Schokoladentafel! Aber der Nachname…?"

    „Würden Sie mich anrufen, wenn es Ihnen einfällt?" bat Tim und schrieb seine Telefonnummer auf einen Zettel.

    „Ja, gern! Und dann kommen Sie mal wieder zum Kaffee vorbei!"

    In der Wohnung waren diverse Helfer dabei, Christine Deubachers Hab und Gut in Kisten zu verstauen. Es dauerte einen Augenblick, bis Tim Silvia zwischen den vielen fremden Personen entdeckte. Die goldenen Haare wurden durch ein Zopfgummi streng am Hinterkopf festgehalten und explodierten in einem Lockenwust hinter ihr. Sie trug zitronengelbe Gummihandschuhe, hatte die dunkelblaue Bluse bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt und schrubbte die Kacheln im bereits leergeräumten Badezimmer mit einem Schwammtuch. Die Fliesen waren schon ganz blank, aber Silvia schrubbte, als könne sie damit ihre Schwester ins Leben zurückholen.

    „Guten Morgen", sagte Tim und sie drehte sich um.

    „Tim! sagte sie mit viel Sehnsucht in der Stimme und Tränen in den Augen. Sie umarmte ihn. „Schön, dass du da bist!

    Ihre Lippen berührten sein Ohr. Im gleichen Augenblick spürte er Gänsehaut von seinen Oberschenkeln bis zum Haaransatz. Ihr betörender Bann nahm ihn sofort wieder gefangen. Er war ein ganzes Stück größer als sie und hielt sie beschützend fest. So musste sich ein Prinz fühlen, welcher auszog, um eine Prinzessin zu retten. Es war einfach, sich neben jemandem, der Schwäche zeigte, stark zu fühlen. Plötzlich löste sie sich und zog verlegen die rechte Schulter nach oben. Sie bemerkte, dass sie noch immer ein Schwammtuch in der Hand hielt.

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